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Beiträge verschlagwortet als “Ernährungssouveränität”

[Besetzung] Presse-Information CBG vom 16.04.21

CBG Redaktion

Besetzung bei BAYER

„Block BAYER“ blockiert Pestizid-Exporte

Am heutigen Tag haben AktivistInnen der Kampagne „Block BAYER“ erfolgreich zwei Verladestationen des Chemieparks Dormagen besetzt. Die Salzverladestationen am Rhein gehören zu einer Chlorgasgewinnungsanlage, die auch die Pestizidproduktion von BAYER Crop Science versorgt. Nach offiziellen Daten wurden allein im Jahr 2017 insgesamt 233 unterschiedliche Pestizid-Wirkstoffe, zusammen 59.616 Tonnen Wirkstoffe, aus Deutschland in zahlreiche Länder der Welt exportiert. Darunter sind sogar solche Pestizide, die in Europa längst verboten sind, weil sie von den Behörden als zu gesundheitsschädlich eingestuft wurden.

Zu den exportierten Pestiziden zählt unter anderem das BAYER-Insektengift Beta-Cyfluthrin (Produktnamen: MODESTO und ELADO), das akut so giftig ist, dass die WHO es in die zweithöchste Gefahrenklasse (WHO Ib) aufgenommen hat. Auch auf der Liste: Das Insektizid Thiacloprid. Es gehört zur Gruppe der Neonikotinoide, ist reproduktionstoxisch und nach Einschätzung der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA „wahrscheinlich krebserregend“. Besonders problematisch sind Einsatz und Export von Thiacloprid auch, weil der Leverkusener Multi den Wirkstoff vielfach in Mischpräparaten anbietet.

Eine an der Aktion beteiligte Aktivistin begründete die Blockade mit den Worten„Es ist ein Skandal, dass ein deutscher Konzern im globalen Süden hochgefährlich Pestizide verkauft, die hier verboten sind. Die Ausnutzung schwächerer Menschenrechts- und Umweltstandards ist Umweltrassismus. Das wollen wir hier deutlich machen und fordern, dass BAYER die Produktion hochtoxischer Pestizide stoppt.“

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) solidarisiert sich mit den AktivistInnen und ihrem Anliegen.

Die lobenswerte Aktion verweist auf ein Konzernverbrechen BAYERs, welches auch die CBG im Rahmen der anstehenden BAYER-Hauptversammlung am 27.4.2021 wieder thematisieren wird.

Dies geschieht im Rahmen eines Protest-Livestreams, der unter
cbgnetwork.org/HV

am 27.4.2021 von 9.30 Uhr bis 17.00 Uhr zu sehen sein wird,
sowie einer Kundgebung vor der Konzernzentrale von BAYER in Leverkusen,
am 27. April von 8.30 -12.00 Uhr

und einer Protest-Präsenz in der Hauptversammlung selbst, welche am 27. April von 9.30-17.00 Uhr in der BAYER-Liveübertragung zu sehen sein wird.

Die Coordination reicht wie jedes Jahr Gegenanträge zu allen Tagesordnungspunkten der Hauptversammlung ein.

Auch werden Video-Statements eingereicht, die in der Übertragung der HV selber zu sehen sein werden.

Auch Block BAYER wird Teil der anstehenden Proteste sein. In Solidarität zur Kampagne dokumentieren wir hier deren Presse-Mitteilung.

+++Noch Fragen? Alle Infos auf +++
cbgnetwork.org/HV
info@cbgnetwork.org
0211/33 39 11

PRESSEMITTEILUNG von Block BAYER

Block BAYER legt Verladestationen lahm +++ Produktionsstätte von BAYER Crop Science betroffen +++ Block BAYER setzt Zeichen zum Internationalen Tag des bäuerlichen Widerstands

Dormagen/Leverkusen, 16.04.2021. Heute früh gelang es mehreren AktivistInnen der Kampagne „Block BAYER“, zwei Verladestationen des Chemieparks Dormagen zu besetzen. Die Salzverladestationen am Rhein gehören zu einer Chlorgasgewinnungsanlage, die auch die Pestizidproduktion von BAYER Crop Science versorgt. Mit ihrer erfolgreichen Aktion machen sie auf die Doppelstandards des Konzerns aufmerksam, der weiter hochgefährliche Pestizide produziert und verkauft, die in der EU nicht zugelassen sind. In Solidarität mit gefährdeten Bäuerinnen und Bauern findet die Aktion zum Internationalen Tag des bäuerlichen Widerstands (17.04.) statt.

Eine an der Aktion beteiligte Aktivistin erklärt: „Es ist ein Skandal, dass ein deutscher Konzern im globalen Süden hochgefährlich Pestizide verkauft, die hier verboten sind. Die Ausnutzung schwächerer Menschenrechts- und Umweltstandards ist Umweltrassismus. Das wollen wir hier deutlich machen und fordern, dass BAYER die Produktion hochtoxischer Pestizide stoppt.“

Mit der Aktion richten sich die AktivistInnen auch an die Politik, denn es liegt in der Macht der Bundesregierung, eine Verordnung zu erlassen, die den Export von Pestizidwirkstoffen verbietet, die in der EU nicht genehmigt sind. Hochtoxische Pestizide gefährden die Gesundheit von BäuerInnen und ArbeiterInnen auf dem Land. Sie sind nur notwendig für ein agrarindustrielles System, welches das Insektensterben befeuert und die Biodiversität weltweit bedroht. Wie in Frankreich und der Schweiz, müssen auch in Deutschland die Exporte hochgefährlicher Pestizide verboten werden, insbesondere, wenn sie hier nicht zulassungsfähig sind.

In Dormagen ist der weltweit größte und wichtigste Produktionsstandort von BAYER Crop Science. Hier wird unter anderem das Neonikotinoid Imidacloprid hergestellt, welches hochgiftig für Honigbienen und viele wildlebende Insekten und seit 01.12.2020 in der EU nicht mehr zugelassen ist. Ein weiteres Beispiel für Doppelstandards ist das Fungizid Propineb, welches als hochgiftiges Pestizid klassifiziert ist, in Deutschland über keine Zulassung verfügt und u.a. nach Indien und Brasilien exportiert wird.

Die Kampagne steht in Kontakt mit verschiedenen internationalen Gruppen von Betroffenen von BAYERs hochgefährlichen Pestiziden. In Argentinien beispielsweise gefährdet der Einsatz der Pestizide Menschenleben und nicht zuletzt in großem Ausmaß die Imkerei im Land.

So berichtete ein Imker aus Argentinien: „Im September 2018 starben 220 meiner Bienenvölker. Insgesamt waren es mehr als 600 Stöcke von drei Imkern. Sie haben Fipronil versprüht, das Produkt Clap, das von BAYER hergestellt wird. Das Gift, das sie verwendet haben, war überall rund um das Dorf.“

Der Protest findet zum Internationalen Tag des bäuerlichen Widerstands statt, der jährlich am 17. April an die brutale Ermordung von 19 AktivistInnen der brasilianischen Landlosenbewegung erinnert. Der Tag steht seit 25 Jahren für Millionen Bäuerinnen und Bauern weltweit für den Kampf um Ernährungssouveränität und bäuerliche Selbstbestimmung. Die Kampagne „Block BAYER“ steht auf der Seite der bäuerlichen Landwirtschaft und schließt sich dem Kampf gegen die Macht von Agrarkonzernen an.

Kontakt und Telefon vor Ort: Max Teck und Janna Kamp, 015759435413
E-Mail: presse@blockbayer.org
Webseite: https:blockbayer.org
Aktuelle Infos zur Aktion: https:
twitter.com/blockbayer
Fotos zur freien Verwendung: https://www.flickr.com/people/192754870@N06/

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[29 Einsprüche] Neuer GegenrednerInnen-Rekord

CBG Redaktion

So viele GegenrednerInnen wie bei der diesjährigen BAYER-Hauptversammlung konnte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN noch nie aufbieten: 29 Konzern-KritikerInnen traten im Bonner World Conference Center ans Mikrofon und konfrontierten Vorstand und Aufsichtsrat mit den Risiken und Nebenwirkungen ihrer rücksichtslosen Profit-Jagd.

Von Jan Pehrke

Den größten Posten in der Schadensbilanz, welche die 29 KritikerInnen dem Konzern am 25. Mai präsentierten, gingen auf das Konto von seiner Agro-Sparte. Die „weißen Männer“, die sich anmaßen, „die Verantwortung für die Ernährung der Welt zu haben“, wie der brasilianische Künstler und Filmemacher Walter Solon es in seiner Gegenrede ausdrückte, mussten sich so einiges anhören. „Insektensterben, Nitrat im Grundwasser, Monokultur statt Vielfalt – all das macht eindringlich klar: Wir brauchen eine Agrarwende“, hielt der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner fest. Aber der Leverkusener Multi geht mit der Übernahme von MONSANTO genau den entgegengesetzten Weg, kritisierte der Politiker: „Statt für neue Lösungen für eine bessere Landwirtschaft steht BAYSANTO für noch mehr von den altbekannten Übeln wie Pestizide, Gentechnik und Klagen gegen Umweltgesetze.“

Tatort Brasilien

Die Länder der „Dritten Welt“ leiden in besonderer Weise unter den Risiken und Nebenwirkungen des agro-industriellen Modells von BAYER & Co. Alan Tygel reiste extra aus Brasilien an, um den AktionärInnen dies vor Augen zu führen. Jahr für Jahr weisen die Statistiken des Staates 6.000 Pestizid-Vergiftungen aus, wobei es nach Ansicht des Aktivisten von der PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGRARGIFTE UND FÜR DAS LEBEN eine hohe Dunkelziffer gibt: „Aber wir wissen, dass die realen Zahlen mit Sicherheit zehnfach größer sind. Denn die Mehrzahl der Vergifteten lebt auf dem Land, dort, wo es keinen oder kaum Zugang zu medizinischer Versorgung gibt. Landwirte begehen Selbstmord, Kinder werden mit Schäden geboren, Babys weisen Anzeichen von Pubertät auf. Alles nachgewiesenermaßen wegen der Agrargifte.“ Nicht zuletzt geht das auf die Politik der doppelten Standards zurück, die BAYER praktiziert. Nach dem Motto „Darf es ein bisschen mehr sein“ offeriert der Konzern in Brasilien toxischere Pestizide als auf dem alten Kontinent. Zehn Pestizide, die das Unternehmen in Europa wegen ihrer Gefährlichkeit nicht mehr vertreiben darf, bietet es in dem Land noch an, rechnete der Umweltaktivist der ManagerInnen-Riege vor. Und es könnte sogar noch schlimmer kommen. Gegenwärtig betreibt der Leverkusener Multi in Tateinheit mit anderen Branchen-Riesen Tygel zufolge nämlich Extrem-Lobbying, um den Einfluss der Umwelt- und Gesundheitsbehörde bei der Zulassung der „Pflanzenschutzmittel“ zu beschneiden. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn BAYER hat einen guten Draht zur Politik. Sechs Mal trafen EmissärInnen des Konzerns jüngst mit dem Landwirtschaftsminister Blairo Maggi bzw. dessen VertreterInnen zusammen.
Nach dem genauen Inhalt der Gespräche fragte Christian Russau den BAYER-Chef Werner Baumann. Der Vertreter des DACHVERBANDs DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE zeichnete ein ähnlich düsteres Bild von der Lage des lateinamerikanischen Landes wie Tygel. Der Staat, der mit seinen Soja- und Mais-Monokulturen hauptsächlich die Tier-Fabriken auf der ganzen Welt beliefert, hat einen einzigartigen Pestizid-Durst. Auf 7,3 Liter pro EinwohnerIn kommt er. Die Folgen schilderte Russau. In den Hauptanbau-Gebieten registrierte die Bundesuniversität von Mata Grossa 1.442 Fälle von Magen-, Speisenröhren- oder Bauchspeicheldrüsen-Krebs gegenüber 53 Fällen in Regionen ohne so riesige Agrar-Fabriken. Und die Umwelt leidet ebenfalls unter den Giften und den anderen Begleiterscheinungen der industrialisierten Landwirtschaft. Sinkende Grundwasser-Pegel, ausgelaugte Äcker und Boden-Erosionen nannte der Konzern-Kritiker als Beispiele.
Zu den Nachhaltigkeitszielen der UN, den Sustainable Development Goals (SDGs), gehört es nicht zuletzt, bis zum Jahr 2030 die Zahl der durch gefährliche Chemikalien verursachten Todesfälle und Erkrankungen zu verringern. Auf BAYER können die Menschen in den großen Agrar-Regionen Lateinamerikas dabei nach Einschätzung von Russaus Dachverbandskollegen Tilman Massa nicht zählen. „Aus unserer Sicht tragen Sie nur unzureichend zum Erreichen der Ziele bei – erst recht mit der Übernahme von MONSANTO“, teilte er dem Vorstand mit. Glyphosat, den unter dem Namen ROUNDUP vermarkteten Top-Seller des US-Unternehmens, machte Massa nämlich als Hauptversucher des massiven Leids der BrasilianerInnen und ArgentinierInnen aus. „Dort sind Menschen auf ganz andere Weise Glyphosat ausgesetzt. Mit Flugzeugen wird das Gift auf den in Monokultur wachsenden Plantagen gesprüht. Wer in einem Dorf wohnt, das an diese Plantagen angrenzt, kommt direkt mit dem Herbizid in Kontakt“, so Massa. Darüber hinaus verkörpert BAYSANTO für ihn das Gegenteil einer nachhaltigen, die Ernährungssouveränität fördernden Landwirtschaft.

BAYSANTO

Thomas Cierpka von der internationalen Bio-LandwirtInnen-Vereinigung IFOAM sieht den Leverkusener Multi ebenfalls weit entfernt von den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. An Lippenbekenntnissen hierzu fehlt es nicht, konstatierte Cierpka. „Ich vermisse allerdings eine dazu passende Geschäftspolitik, die eben diese Ziele, anstatt einzig und allein die wirtschaftliche Dimension des eigenen Wirkens in das Zentrum ihrer Entscheidungen und Aktiviäten stellt“, kritisierte er. Und eine solche Geschäftspolitik steht seiner Ansicht nach mit BAYSANTO noch weniger in Aussicht. „BAYER/MONSANTO arbeiten Richtung Monopol-Stellung. 20 Jahre Gen-Technologie und Patentierung von wenigen Hochleistungssorten zeigen, dass wenige Arten und Sorten an Hilfsmittel wie ROUNDUP gebunden werden. Biologische Vielfalt verschwindet, das Klima verändert sich und immer noch gehen 800 Millionen hungrig zu Bett“, so seine Analyse.
ROUNDUP durfte auch in der Bewertung der Übernahme nicht fehlen, die Silvia Bender vom BUND vornahm. Sie sprach die über 4.000 Klagen von Glyphosat-Geschädigten in den USA an und fragte die Vorstandsriege, ob BAYER für etwaige Schadensersatz-Zahlungen schon Rücklagen gebildet hat. Zudem wollte sie wissen, welche Position der Konzern zu dem von der Bundesregierung geplanten Glyphosat-Ausstieg einnimmt.
Sanjay Kumar beschäftigte sich auch mit dieser chemischen Keule und kritisierte dabei vor allem die Standard-Phrasen wie die von dem „günstigen Nutzen/Risiko-Profil“, mit denen der BAYER-Chef das Pestizid verteidigte. „Sind Sie eigentlich im Bilde, dass für eine Risiko-Bewertung Nutzen komplett irrelevant ist? Es gibt keinen Nutzen, der ein systemisches Risiko wie die Zerstörung der Biodiversität aufwiegen könnte“, so der Medienwissenschaftler.
René Lehnherr vom MONSANTO-Tribunal setzte Glyphosat ebenfalls auf die Tagesordnung der Hauptversammlung, lenkte die Aufmerksamkeit darüber hinaus jedoch noch auf ein zweites Pestizid aus dem Hause MONSANTO: Dicamba. In den USA sorgte die Agro-Chemikalie jüngst für verbrannte Erde. Sie beschränkte ihren Aktionsradius nämlich nicht auf die gegen das Mittel resistenten Genpflanzen, sondern verflüchtigte sich und griff auf Ackerfrüchte über, die nicht gegen den Stoff gewappnet waren und deshalb massenhaft eingingen.
Einer der Hauptgründe für BAYER, MONSANTO zu schlucken, stellte die Produkt-Palette des US-Unternehmens im Bereich der digitalen Landwirtschaft dar. Was der Leverkusener Multi als eine gewinnträchtige Zukunftstechnologie ansieht, erscheint anderen als Horror-Vision einer „schönen neuen Welt“ auf den Bauernhöfen. Bernd Schmitz von der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL) gab in Bonn seiner Furcht vor einer Daten-Krake BAYER Ausdruck, die Zugriff noch auf die letzte Ackerkrume nimmt und den LandwirtInnen keinen Zugang zu den gewonnenen Informationen mehr gewährt. Mute Schimpf von FRIENDS OF THE EARTH EUROPE fühlte derweil den Versprechungen einer computer-gestützten Präzisionslandwirtschaft auf den Zahn, die mit Hilfe von Bits und Bytes den Pestizid-Verbrauch vermindern will, und konnte diese Aussicht nicht mit der Profit-Logik in Einklang bringen: „Wenn tatsächlich weniger Pflanzenschutzmittel vertrieben werden, worin besteht das wirtschaftliche Interesse von BAYER, einen der umsatzstärksten Sektoren abzubauen?“

Bienensterben

Wie bereits in den letzten Jahren nahm der Tagesordnungspunkt „bienengefährliche Pestizide“ den größten Raum in der Hauptversammlung ein. Gleich zehn GegenrednerInnen widmeten sich dem Thema – und noch dazu mehrere VertreterInnen von Investment-Fonds, für die der Umgang des Konzerns mit GAUCHO & Co. „Reputationsrisiken“ barg. Mit dem Ende April 2018 erfolgten EU-Verbot der BAYER-Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam erblickten die ImkerInnen jedoch zum ersten Mal Licht am Ende des Tunnels. „Könnte Ihr Scheitern auf allen Ebenen (Zulassungsbehörde, Kommission, Mitgliedsstaaten und EuGH) vielleicht etwas damit zu tun haben, dass sich der chemische Pflanzenschutz nun endgültig als der falsche Ansatz herausgestellt hat“, fragte Annette Seehaus-Arnold vom „Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund“ den Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann deshalb mit einiger Genugtuung. Wiebke Schröder von SumOf-Us indes erkundigte sich danach, ob der Global Player sich die Niederlage wirklich eingesteht oder aber plant, das Votum der Europäischen Union anzufechten.
Trotz der Entscheidung Brüssels gaben die BienenzüchterInnen jedoch noch keine Entwarnung, denn die Kommission zog nur drei Ackergifte aus dem Verkehr. Der Imker Markus Bärmann etwa warnte vor den Netzmitteln, die den Agro-Chemikalien als Wirkungsverstärker zugesetzt sind und eine Gefahr für die Bienen bedeuten. Sein Kollege Ralph Bertram beschrieb die Risiken und Nebenwirkungen von BAYERs BISCAYA. Karl Bär vom Umweltinstitut München lenkte das Augenmerk schon einmal auf die Neu-Entwicklung SIVANTO, mit welcher der Konzern nach alter Manier plant, alten Wein in neue Schläuche zu füllen, während Michael Aggelidis von der Partei DIE LINKE die AktionärInnen daran erinnerte, mit welch perfiden Methoden der Leverkusener Multi versuchte, WissenschaftlerInnen dazu zu drängen, Imidacloprid und Clothianidin das Testat „ungefährlich“ auszustellen.
Aber auch das Positive kam nicht zu kurz an diesem schönen Frühlingstag. Bernward Geier von der Initiative COLABORA wartete mit Nachrichten aus dem indischen Öko-Paradies Sikkim auf, das er gerade besucht hatte. Dort betreiben 100 Prozent der Bauern und Bäuerinnen ökologischen Landbau. Und sie machen damit Schule. Immer mehr Regionen des Landes folgen dem Beispiel Sikkims. Diese Entwicklung muss nach Ansicht Geiers auch dem Leverkusener Multi zu denken geben: „Ich frage den Vorstand, ob er mittel- oder zumindest langfristig Strategien hat bzw. gedenkt zu entwickeln, die sich der Tatsache stellen, dass inzwischen die Bio-Bewegung weltweit sich das Ziel gesetzt hat, bis zum Jahr 2050 100 Prozent Biolandbau weltweit erreicht zu haben?“

  • Spärliche Antworten

Auf die von Bernward Geier und den anderen Konzern-KritikerInnen vorgelegte umfangreiche Anklageschrift gegen das von BAYER favorisierte Modell der agro-industriellen Landwirtschaft wusste Werner Baumann nur Dürftiges zu entgegnen. Der Ober-BAYER plädierte für „Wahlfreiheit, die Vielfalt fördert“ und sah im Übrigen keinen Widerspruch zwischen ökologischer und konventionell betriebener Landwirtschaft, um dann aber doch für letztere zu optieren, weil sie angeblich ertragreichere Ernten ermöglicht und deshalb flächen-schonend wirkt. Die Nebenwirkungen dieser Praxis, die Alan Tygel am Beispiel der Pestizid-Vergiftungen in Brasilien aufgezeigt hatte, nahm der Große Vorsitzende dabei in Kauf. „Jeder einzelne dieser Fälle ist tragisch“, konzedierte er, ohne daraus allerdings andere Konsequenzen zu ziehen, als für „mehr Vorbeugung“ zu plädieren.
Auf Glyphosat ließ Baumann hingegen nichts kommen: „Ein effizientes und sicheres Mittel“. Doppelte Standards gibt es ihm zufolge im Hinblick auf den südamerikanischen Staat auch nicht. Tygels entsprechendem Vorwurf wich Baumann mit dem Statement aus: „Wir vermarkten in Brasilien ausschließlich Produkte, die allen regulatorischen Anforderungen des Landes genügen.“ Und selbstverständlich kann Agro-Chemie aus seinem Hause keiner Biene etwas zuleide tun. Die „Hypothese“, Agrochemikalien seien für das Bienensterben verantwortlich, hielt er für „weitgehend widerlegt“. Dementsprechend haderte der Vorstandsvorsitzende auch mit dem von der EU beschlossenen Aus für GAUCHO & Co. Als eine „Überinterpretation des Vorsorge-Prinzips“ bezeichnete Werner Baumann den Beschluss.

Pharma-GAUs

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Aber der BAYER-Konzern besteht aus mehr als nur der Landwirtschaftssparte. Und auch in den anderen Bereichen entspricht die Güte der Geschäftsbilanz dem Umfang der Schadensbilanz. Georg Wehr legte davon mit seiner eigenen Person Zeugnis ab. „Auch wenn man es mir auf den ersten Blick nicht ansehen mag, so stehe ich heute als schwerkranker junger Mann vor Ihnen“, bekundete er. Wehr musste vor einer Untersuchung ein gadolinium-haltiges Kontrastmittel von BAYER einnehmen und leidet seither an einem ganzen Bündel von Gesundheitsstörungen wie etwa Herzrhythmus-Störungen, Muskel-Zuckungen, Blutdruck-Schwankungen und Leberschäden. „Wie gedenkt das Unternehmen BAYER Betroffene angemessen zu entschädigen und bei ihrer Behandlung und Rehabilitation zu unterstützen?“, fragte er Vorstand und Aufsichtsrat. Beate Kirk und Gottfried Arnold konfrontierten den Verstand mit den Risiken und Nebenwirkungen der Hormon-Spirale MIRENA sowie des Schwangerschaftstests DUOGYNON. Jan Pehrke informierte die Hauptversammlung über die Schlampereien in BAYERs Leverkusener Pillen-Produktion. Überdies legte er die desaströsen Folgen dar, welche die schmutzigen Pharma-Lieferketten des Konzerns bei ihren ersten Gliedern China und Indien haben. Mit ihren größtenteils ungereinigten Abwasser-Frachten sorgt dort die Billig-Fertigung für den Weltmarkt nämlich für massive Gesundheitsschädigungen und Umweltbelastungen.
Werner Baumann gab sich zu diesem Themen-Komplex nicht redseliger, als er sich bei den Beiträgen zur Landwirtschaft gezeigt hatte. Genauere Auskünfte über die Zulieferer des Unternehmens in Indien und China verweigerte er mit Verweis auf das Betriebsgeheimnis, und die Kritik an den Pharmazeutika wehrte der Manager mit Standard-Phrasen ab. Und an denen fehlte es ihm auch nicht, als es auf Lars-Ulla Krajewski zu reagieren galt, die wie zuvor schon Kenneth Dietrich auf die Risiken und Nebenwirkungen der Öffnung von BAYERs Leverkusener Dhünnaue-Deponie im Zuge der Erweiterung der A1-Autobahn aufmerksam machte.
Und so rückte die Konzern-Kritik am Ende des Tages wieder ganz dicht an den Stammsitz der Aktien-Gesellschaft heran, nachdem sie vorher schon den ganzen Radius des unheilvollen Wirkens des Multis von China über Indien bis nach Brasilien abgeschritten hatte und damit so global agierte wie das Unternehmen selbst.

[Ticker] STICHWORT BAYER 03/2016

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG beim „Terra Viva March“
Der Düsseldorfer „March against MONSANTO“ hieß diesmal „Terra Viva March“, „March against BAYER“ wäre vielleicht aber der passende Namenswechsel gewesen, schickt der Leverkusener Multi sich doch gerade an, seinen US-amerikanischen Konkurrenten zu übernehmen. Der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) war die Teilnahme aus gegebenem Anlass diesmal ein noch wichtigeres Anliegen. Der neue CBG-Geschäftsführer Toni Michelmann malte den DemonstrantInnen in seinem Rede-Beitrag plastisch aus, was es bedeutet, wenn BAYER der Coup gelingen und das Unternehmen damit ein Monopol über die globalen Nahrungsmittel-Märkte erlangen sollte.

Anhörung im Landtag
Am 18. August 2015 hatte das Oberverwaltungsgericht Münster die Klage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) abgelehnt und ihr die Einsichtnahme in den Vertrag verwehrt, den BAYER mit der Universität Köln im Bereich medizinischer Forschungen abgeschlossen hatte. Für die Piraten-Partei zeigte dieses Urteil, wie dringlich eine gesetzliche Neuregelung der Transparenz-Vorschriften in den Landesgesetzen Nordrhein-Westfalens ist. Deshalb startete sie verschiedene Initiativen. Dazu gehörte unter anderem eine öffentliche Anhörung zum Thema im Landtag, die am 28. April 2016 stattfand. Zu den Eingeladenen gehörte auch ein Vertreter der CBG. Dieser legte dem Innenausschuss noch einmal dar, welch einen enormen Einfluss ein Konzern wie BAYER mittlerweile nicht nur auf Hochschulen, sondern auf den gesamten Bildungssektor hat, weshalb dieses Treiben nicht im Verborgenen stattfinden dürfe. Christopher Bohlens von TRANSPARENCY INTERNATIONAL und die NRW-Datenschutzbeauftragte Helga Block traten ebenfalls für erweiterte Informationspflichten bei Kooperationen zwischen Wirtschaft und Universitäten ein. Die EmissärInnen der Unternehmensverbände wollten indessen die Geheimniskrämerei fortführen. „Informationsfreiheit muss dort an seine Grenzen stoßen, wo die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gefährdet ist“, meinte etwa die nordrhein-westfälische Industrie- und Handelskammer in ihrer schriftlichen Stellungnahme zur Anhörung.

Proteste gegen GAUCHO & Co.
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) gelten als besonders bienengefährlich. Die EU hat diese Stoffe deshalb ebenso wie andere Ackergifte dieser Substanz-Klasse bereits mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt.
Und nicht nur bei seinen Hauptversammlungen sieht sich der Leverkusener Multi mit direkter Kritik in Sachen „GAUCHO & Co.“ konfrontiert. So initiierte die Organisation FRIENDS OF THE EARTH im April 2016 Demonstrationen vor Konzern-Niederlassungen im US-amerikanischen Washington, im kanadischen Montreal und im englischen Newbury.

Kritik an „Neuer Allianz“
Im Jahr 2012 gründeten BAYER, MONSANTO, CARGILL, DUPONT und andere Agro-Riesen gemeinsam mit den führenden Industrie-Staaten am Rande eines G8-Treffens die „Neue Allianz für Ernährungssicherheit“. Die „Public Private Partnership“ will Entwicklungshilfe nach Konzern-Gusto machen und strebt deshalb unter anderem an, die „Verteilung von frei verfügbarem und nicht verbessertem Saatgut systematisch zu beenden“. Dafür akquiriert die Allianz nicht zu knapp öffentliche Gelder. Allein die Bundesrepublik stellte ihr in den Jahren bis 2014 über 50 Millionen Euro zur Verfügung. Luis Muchanga vom UNAC, dem mosambikanischen Verband für Kleinbauern und -bäuerinnen, kritisiert das Treiben der Multis scharf. „Die Neue Allianz beunruhigt uns und die mosambikanischen Kleinbauern sehr. Wir sind gegen das Modell einer industrialisierten Landwirtschaft, das die Neue Allianz propagiert. Ernährungssicherheit, wie sie der Neuen Allianz vorschwebt, ist etwas völlig anderes als die Ernährungssouveränität, für die wir eintreten“, so Muchanga.

Manipulierte Glyphosat-Studien
Ein ehemaliger Mitarbeiter der US-amerikanischen Umweltbehörde „Environmental Protection Agency“ (EPA) erhebt schwere Vorwürfe gegen seine einstige Arbeitsstelle. William Sanjour bezichtigt die EPA in seinem Buch „Poison Spring“, die Zulassung von Pestiziden nicht widerrufen zu haben, obwohl sich die zur Genehmigung vorgelegten Studien als manipuliert erwiesen hatten. Die Behörde hätte stattdessen von den Herstellern einfach nur neue Untersuchungen eingefordert, so Sanjour. Auch bei dem umstrittenen Ackergift Glyphosat, das unter anderem MONSANTO und BAYER produzieren, ging die Agency dem Whistleblower zufolge so vor.

Habeck für Pestizid-Steuer
Dänemark, Frankreich und Schweden erheben eine Steuer auf Pestizide, um einen Anreiz zu setzen, die Ausbringung der Ackergifte zu reduzieren. Die Einführung einer solchen Maßnahme schlägt in einer Studie, die der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Robert Habeck von Bündnis 90/die Grünen in Auftrag gab, jetzt auch das „Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung“ vor. Das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) fordert eine solche Abgabe bereits seit Längerem.

Leserbrief zu Menschenversuchen
Die vom VEREIN DEMOKRATISCHER ÄRZTINNEN UND ÄRZTE herausgegebene Zeitschrift Gesundheit braucht Politik hatte in ihrer Ausgabe 4/15 einen Text über den BAYER-Forscher Gerhard Domagk veröffentlicht, der 1935 die antibakterielle Wirkung eines Sulfonamid-Farbstoffes entdeckt hatte und dafür später den Nobelpreis erhielt. Mit eben diesem Sulfonamid unternahm die vom Leverkusener Multi mitgegründete IG FARBEN in Konzentrationslagern Menschenversuche. Da der Artikel diesen Sachverhalt bestritt und stattdessen behauptete, die IG FARBEN hätte die Sulfonamid-Lieferungen in die KZs eingestellt, nachdem sie von den dortigen Experimenten erfahren hatte, schrieb die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) einen Leserbrief. Darin wies die CBG auch auf eine SWB-Veröffentlichung zum Thema hin, die mit Zitaten aus dem Beweis-Material zu den Nürnberger Prozessen eindeutige Belege für dieses Kriegsverbrechen des Großkonzerns anführte. „Medikamente sind von der IG unmittelbar an Konzentrationslager in solchen Mengen versandt worden, dass schon hieraus die Verwendung dieser Medikamente zu unzulässigen Zwecken hätte gefolgert werden müssen“, hieß es in den Dokumenten unter anderem.

ÄrztInnen gegen CO-Pipeline
Nicht nur die zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld verlegte Kohlenmonoxid-Pipeline wirft Sicherheitsfragen auf. Auch die in den 1960er Jahren zwischen Dormagen und Leverkusen gebaute und schon genutzte Verbindung birgt hohe Risiken. Eine ÄrztInnen-Initiative forderte die nordrhein-westfälische Landesregierung deshalb in einem Brief auf, dem Röhren-Verbund die Betriebserlaubnis zu entziehen. Unter anderem begründeten die MedizinerInnen dies mit den unzureichenden Katastrophenschutz-Maßnahmen. „Die bestehenden Leckerkennungssysteme schlagen erst an, wenn bereits 100 Kubikmeter CO ausgetreten sind. Dabei können schon ein oder zwei Atemzüge ausreichen, um einen Menschen zu töten. Ein Vollbruch der Leitung könnte eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes zur Folge haben“, heißt es in dem Schreiben.

KAPITAL & ARBEIT

US-Werke ohne GewerkschaftlerInnen
In den USA haben die Gewerkschaften traditionell eine schweren Stand, bei BAYER allerdings einen noch schwereren: Während der Organisationsgrad in den Betrieben durchschnittlich bei 6,7 Prozent liegt, beträgt er in den US-Niederlassungen des Leverkusener Multis nur 5,5 Prozent. Diesen „Erfolg“ können sich die dortigen ManagerInnen gutschreiben, denn sie versuchen mit allen Mitteln, die Gründung von Beschäftigten-Vertretungen zu hintertreiben. So schüren sie etwa die Angst, Betriebszellen würden den jeweiligen Standort und damit auch die Jobs gefährden. In Emeryville hat der Konzern GewerkschaftlerInnen vor den Beschäftigten sogar als Schmarotzer diffamiert, die es nur auf die Mitgliedsbeiträge abgesehen hätten. Und schließlich müssen organisierte Belegschaftsmitglieder bei Entlassungen immer auch als erste dran glauben.

Erneute Effizienz-Offensive
Im Zuge der Trennung von seiner Kunststoff-Sparte hat der Leverkusener Multi die Holding-Struktur mit den vormals selbstständig agierenden Teil-Bereichen aufgegeben. „Wir sind überzeugt davon, dass die stärkere Verzahnung von strategischen und operativen Aufgaben BAYER voranbringen wird“, sagte Aufsichtsratschef Werner Wenning zur Begründung. Und der Konzern verbindet mit der Veränderung auch ein neues Rationalisierungsprogramm. „Es gibt einige Bereiche, wo unsere Mitbewerber effizienter arbeiten“, mit diesen Worten stimmte der Manager Markus Arnold die Beschäftigten auf die Maßnahme ein. Unter anderem will er Doppelarbeiten, nicht reibungslos funktionierende Herstellungsprozesse und Probleme bei den Zuständigkeitsregelungen ausgemacht haben.

Ausgliederung im Lager-Bereich
BAYER hat am Standort Dormagen die Pestizid-Produktion beträchtlich gesteigert. Deshalb reichen die Lager-Kapazitäten nicht mehr aus. Nun hat der Leverkusener Multi aber nicht etwa mit einem Erweiterungsbau begonnen, sondern einfach bei einem externen Dienstleister in Düsseldorf 20.000 Paletten-Plätze angemietet. Bleibt nur zu hoffen, dass der Anbieter auch die für die Unterbringung von Chemikalien nötigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen hat.

24 Millionen für den Vorstand
Der BAYER-Vorstand konnte sich auch 2015 wieder über eine saftige Gehaltserhöhung freuen. Die Gesamtbezüge stiegen gegenüber dem Vorjahr von 22,2 Millionen auf 23,8 Millionen Euro. Und darüber hinaus
musste der Konzern noch 2,3 Millionen Euro für die späteren Pensionen der ManagerInnen zurücklegen.

BAYER stößt Haushaltsgifte-Sparte ab
Der Leverkusener Multi trennt sich von seinen Haushaltsgiften. Das Unternehmen verkaufte die Sparte mit den Pestiziden für den Haus- und Gartenbereich, mit der es zuletzt einen Umsatz von rund 240 Millionen Euro machte, an das französische Unternehmen SBM. Alle 250 Arbeitsplätze dürften diese Transaktion wohl kaum überleben.

ERSTE & DRITTE WELT

Marketing-Instrument „Health Camps“
Der indische Staat hat – vornehmlich in der Nähe von Slums – Gesundheitscamps eingerichtet, um wenigstens für eine notdürftige medizinische Versorgung der Armen zu sorgen. Auch BAYER, ROCHE und andere große Pharma-Firmen sind in den „Health Camps“ präsent. Entwicklungshilfe leisten sie dort allerdings nicht, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag. Die Konzerne stellen den in den Camps praktizierenden ÄrztInnen Personal und Apparaturen zur Diagnose von Krankheiten zur Verfügung, erwarten aber eine kleine Gegenleistung: Das Verschreiben ihrer Medikamente. „Die Förderung des Arznei-Umsatzes durch Screening-Programme, welche den Anschein von Wohltätigkeit verbreiten, ist eine gängige Praxis in Indien“, kritisiert das British Medical Journal. Das Fachblatt sieht darin einen klaren Verstoß gegen die Grundsätze eines verantwortungsvollen Marketings, zu denen sich BAYER & Co. immer gerne bekennen. Auch der holländische Mediziner Hans Hogerzeil geißelt das Treiben der Pillen-Riesen: „Ich würde das eine Markt-Penetration unter dem Label der Corporate Social Responsibility nennen.“

KONZERN & VERGANGENHEIT

Merkel spricht Chemie-Verbrechen an
2013 konnte der BAYER-Konzern zu seinem 150-jährigen Betriebsjubiläum Bundeskanzlerin Angela Merkel als Festrednerin gewinnen. Im Vorfeld hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN die Christdemokratin in einem Offenen Brief aufgefordert, in Leverkusen auch die dunklen Kapitel der Vergangenheit des Unternehmens wie etwa Giftgas-Produktion, ZwangsarbeiterInnen und Menschenversuche in den KZs anzusprechen. Das tat Merkel jedoch nicht. Drei Jahre später bei der BASF jedoch zeigte sie mehr Geschichtsbewusstsein. Bei den Feierlichkeiten zu „100 Jahre Leuna“ verschwieg die Politikerin die Chemie-Verbrechen nicht länger. „Es bleibt unsere Pflicht, daran zu erinnern“, mahnte sie.

BAYERs „Max Planck“-Connection
2015 war ein trauriges Jubiläum zu begehen: „25 Jahre Freiland-Versuche in Deutschland“. 1990 hatte das Kölner „Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung“ gentechnisch veränderte Petunien ausgesetzt. Der Leverkusener Multi war frühzeitig in das Projekt involviert. Er unterstützte die Experimente finanziell und sicherte sich so Zugriff auf die Ergebnisse. Dem Gen-ethischen Informationsdienst (GID) berichtete der damalige Forschungsleiter Dr. Heinz Saedler, dass „die Mitarbeiter der Firma BAYER (...) an unser Institut gekommen waren, um die Methodik und das Know-how kennenzulernen, um beides dann zu Hause auf ihre Projekte anwenden zu können.“ Und genauso hatte es sich die bundesdeutsche Forschungspolitik auch gedacht. Sie war Saedler zufolge nämlich darauf aus, „die Grundlagen-Forschung so zu entwickeln, dass sie in Anwendungsnähe kommt“.

POLITIK & EINFLUSS

BAYER setzt EFSA unter Druck
BAYERs Pestizid Thiacloprid hat die EU im Gegensatz zu den anderen beiden bienengefährlichen Neonicotinoiden Imidacloprid und Clothianidin von ihrem vorläufigen Verbot verschont. So findet sich der Stoff dann nicht nur in den Bienen selber wieder, sondern auch in ihrem Produkt, dem Honig. Und seit Kurzem darf es sogar wieder ein wenig mehr sein: Als die Europäische Behörde für Lebensmittel (EFSA) den Grenzwert für Thiacloprid im Februar 2016 von 0,2 auf 0,05 mg/kg senkte, schrieb der Konzern nämlich einen Brandbrief nach Brüssel und bekam prompt „geliefert“ – die EFSA machte den Beschluss rückgängig.

Gekaufte Glyphosat-Wissenschaft
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat, der hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz kommt, aber auch in BAYER-Mitteln wie GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE enthalten ist, gilt als gesundheitsgefährdend. So hat eine Krebsforschungseinrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Substanz im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Just vor der Sitzung eines EU-Gremiums, das sich mit der Frage eines Verbotes dieser Agro-Chemikalie befasste, legte eine aus WissenschaftlerInnen der Welternährungsorganisation FAO und der WHO gebildete Kommission jedoch eine entlastende Studie vor. „Die Experten sind nach eingehender Analyse aller vorliegenden Daten zu dem Schluss gekommen, dass für den Verbraucher von den Glyphosat-Rückständen in Lebensmitteln kein Gesundheitsrisiko ausgeht“, erklärte eine WHO-Sprecherin. Was sie jedoch nicht erklärte: Sowohl der Vorsitzende des „Joint FAO/WHO Meeting on Pesticide Residues“ als auch sein Stellvertreter gehören dem „International Life Science Institute“ an, das schon Spenden von rund 500.000 Dollar von MONSANTO und Croplife – dem Lobbyverband von MONSANTO, BAYER & Co. – erhielt.

Merkel kaut BAYER-PR nach
Die Agro-Riesen gerieren sich beim Verkauf ihrer Pestizide und Gen-Pflanzen gerne als bessere EntwicklungshelferInnen, denen es nur darum gehe, alle Menschen satt zu machen. Und so will BAYER dann auch MONSANTO selbstverständlich nur schlucken, um „die weltweite Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung mit gesunden, sicheren und bezahlbaren Lebensmitteln zu ermöglichen“. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verbreitet diese PR-Lügen. In einer Rede lobte sie BAYER & Co. dafür, „bei der Bekämpfung des Hungers eine zentrale Rolle“ zu spielen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisierte diese Äußerung scharf. „Das von BASF, BAYER und Co. propagierte Modell der industriellen Landwirtschaft ist gescheitert. Es führt zu einem erhöhten Ausstoß von Klimagasen, dem Verlust fruchtbarer Böden sowie zu einer verringerten Biodiversität. Hunger ist in den meisten Fällen eine Folge von Armut und sozialer Ungerechtigkeit. Die Kanzlerin sollte an dieser Stelle nicht die gebrochenen Versprechungen der Konzerne nachbeten“, erklärte CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes.

Schäuble zu BAYER-Diensten
Die Konzerne nutzen alle Steuersparmodelle, die sich ihnen so bieten. BAYER tut sich hierzu vor allem in Belgien und in den Niederlanden um. Dort haben etwa BAYER WORLD INVESTMENTS, BAYER GLOBAL INVESTMENTS, BAYER CAPITAL CORPORATION und BAYER ANTWERPEN ihren Sitz (siehe auch ÖKONOMIE & PROFIT). Weil den Finanzämtern durch solche Briefkasten-Firmen Milliarden entgehen, plant die Europäische Kommission Maßnahmen gegen das Vorgehen der Groß-Unternehmen. Dazu zählt beispielsweise, die Gesellschaften zur Offenlegung der Abgaben zu veranlassen, die sie in den jeweiligen Staaten leisten. Und die Zahlen dieses „Country-by-Country-Reportings“ sollten nach Ansicht der EU nicht nur den FinanzbeamtInnen zur Verfügung stehen, sondern allen, die sich dafür interessieren. Dagegen wehrt sich der Leverkusener Multi jedoch vehement. „Diese Form der Transparenz ist wenig hilfreich“, meint BAYERs Steuer-Chef Bernd-Peter Bier und sieht gleich den ganzen Standort Europa in Gefahr. „Drittstaaten – aber im Übrigen auch Wettbewerber – können so an die Kennziffern der europäischen Unternehmen gelangen, ohne dass sie dafür die Daten der eigenen Unternehmen preisgeben müssen“, warnt er. Darum appelliert er an die Politik: „Wir erwarten ein Signal, dass Deutschland seine Unternehmen schützt.“ Und von Finanzminister Wolfgang Schäuble kam ein solches Signal dann auch prompt. „Fachleute wissen, dass der Informationsaustausch sehr viel weniger effizient sein wird, wenn er öffentlich sein wird“, hielt er fest und setzte sich in Brüssel für die „effiziente“ Lösung ein. Damit nicht genug, drang der Finanzminister zusätzlich noch darauf, die Tochter-Firmen der Aktien-Gesellschaften von der Berichtspflicht zu entbinden. Das wollten seine KollegInnen aus den anderen Mitgliedsstaaten jedoch nicht mitmachen. „Wir wurden hierbei von keinem MS (Mitgliedsstaat, Anm. Ticker) unterstützt, klagt sein Ministerium. Nicht einmal in Deutschland selber hat Schäuble für seine Beistandspolitik ausreichend Rückendeckung. Sowohl Justizminister Heiko Maas (SPD) als auch die meisten Ministerpräsidenten der Länder, denen durch die ganz legalen Steuertricks der Konzerne viele Einnahmen entgehen, treten einstweilen für das Recht der Öffentlichkeit ein, mehr über das Finanz-Gebaren von BAYER & Co. zu erfahren.

Preis für Chlor-Fertigungsstätte
Mit einer Chlor-Produktion von über einer Million Tonnen gehört BAYER europa-weit zu den größten Anbietern der Substanz. Dennoch sperrte sich der Leverkusener Multi lange gegen eine umweltschonendere Fertigung dieser gefährlichen Chemikalie. Während viele mittelständische Betriebe ihre Chlor-Herstellung schon lange auf das Membran-Verfahren umgestellt hatten, bei dem kein giftiges Quecksilber als Produktionsrückstand mehr anfällt, hielt der Konzern noch eisern am Unbewährten fest. Erst als Subventionen in Höhe von sechs Millionen Euro aus dem Forschungsministerium lockten, zeigte er sich zu Veränderungen bereit. Gemeinsam mit dem Anlagenbauer UHDE und der RWTH Aachen entwickelte das Unternehmen das Membran-System bei dieser Gelegenheit gleich so weiter, dass zur Einspeisung des zur Elektrolyse benötigten Sauerstoffs weniger Energie erforderlich ist als bisher. Und genau dafür erhielt der Global Player nun vom Land Nordrhein-Westfalen einen Klimaschutz-Preis, obwohl seine gesamten Kohlendioxid-Emissionen im Jahr 2015 stiegen (siehe WASSER, BODEN & LUFT).

BAYERs Nachwuchsarbeit gefällt Obama
Seit Jahr und Tag bemüht sich der Leverkusener Multi, die Naturwissenschaften von ihrem schlechten Image zu befreien und Nachwuchsarbeit zu betreiben. An kritischen WissenschaftlerInnen hat er dabei natürlich kein Interesse, außer Gentechnik und Agro-Chemie steht nicht viel auf dem Lehrplan. „Making Science Make Sense“ heißt das betreffende Programm in den USA. Und dem Konzern gelang es sogar, US-Präsident Barack Obama dafür einzunehmen. „BAYER setzt sich dafür ein, 100.000 amerikanische Eltern und ihre Kinder zusammenzubringen, um gemeinsam im Rahmen von Wissenschafts- und Techologie-Projekten zu arbeiten“, lobte er etwas unkonkret.

Prizker bei BAYER
Im letzten Herbst besuchte die US-amerikanische Handelsministerin Penny Prizker die Berliner BAYER-Niederlassung. Im Beisein von Thorben Albrecht, Staatssekretär im „Bundesministerium für Arbeit und Soziales“, informierte sie sich dem Leverkusener Multi zufolge über die Berufsausbildung in Deutschland und die Frage, wie sich die Unternehmen hierzulande auf den technologischen Wandel durch die Digitalisierung einstellen.

PROPAGANDA & MEDIEN

Einweihung der „Dream Production“
Am 17. Juni 2016 nahm die BAYER-Tochter COVESTRO ihre „Dream Production“ offiziell in Betrieb. „CO2, das unpopuläre Treibhaus-Gas – so ist gemeinhin die Wahrnehmung. Doch das ist eigentlich nur die halbe Wahrheit. Denn wie im Theater sich der vermeintliche Bösewicht häufig als Held erweist, so hat auch Kohlendioxid sozusagen zwei Gesichter. Es ist nämlich gleichzeitig ein nützlicher Helfer“, mit diesen Worten pries COVESTRO-Chef Patrick W. Thomas die neue Rolle des CO2 als Grundstoff zur Herstellung von Kunststoffen in Dormagen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zweifelt allerdings an den dem Kohlendioxid nun zugesprochenen Star-Qualitäten. Für sie ist die „Dream Production“ alles andere als eine Traumfabrik. Das gesamte Verfahren erfordert nämlich selber viel Energie, bei deren Erzeugung als Nebenwirkung Kohlendioxid entsteht. So schlägt etwa die Herstellung von Katalysatoren, die das reaktionsträge CO2 aktivieren, in der Klimabilanz als Negativposten zu Buche. Als „bestenfalls marginal“ bezeichnete die CBG in ihrer Presseerklärung deshalb die Verbesserung des CO2-Footprints für den gesamten Prozess. Auf rund zehn Prozent beläuft sich die Einsparung, während die gesamten BAYER-Emissionen weiter zunehmen (siehe WASSER, BODEN & LUFT). An der COVESTRO ging diese bereits im Frühjahr 2016 erstmals geübte Kritik nicht spurlos vorüber. Sie versucht jetzt nicht mehr mit einer guten Klima-Bilanz durch die CO2-Kunststoffe zu punkten, sondern betont die Schonung natürlicher Ressourcen durch die Verwendung von Kohlendioxid statt Öl. Und wenn die Gesellschaft im Vorfeld schon eine Medien-Agentur engagiert hatte, um sich mittels der „Dream Production“ als Umweltengel in Szene zu setzen, so zeigte sie zur Eröffnung „low profile“. Nicht einmal eine Pressemitteilung veröffentlichte das Unternehmen zur Einweihung der Fertigungsstätte.

BAYERs Innovationsapotheke
Die ApothekerInnen beraten die KundInnen, und BAYER berät die ApothekerInnen – was dabei herauskommt, ist klar: BAYER-Produkte in den Taschen der KundInnen. Der Leverkusener Multi hat zur Sicherung dieses Mechanismus’ in Köln eine „Innovationsakademie Deutscher Apotheken“ (IDA) aufgebaut, die angeblich schon mit über 1.000 Pharmazien zusammenarbeitet. In der IDA hat er sogar die Möglichkeit, den PharmazeutInnen ganz praktischen Unterricht zu geben. Zur Ausstattung gehört nämlich eine Muster-Apotheke, die auf dem neuesten technischen Stand ist. So verfügt sie etwa über eine Kamera, welche die Laufwege von KundInnen aufnimmt, um Aufschlüsse darüber zu gewinnen, wie die ApothekerInnen ihnen möglichst viele Waren vor die Nase setzen können. Ganz oben auf dem Lehrplan der Akademie steht für BAYER dann auch „die Frage, wie sich durch die richtige Präsentation der Verkauf von OTC-Produkten steigern lässt. Dabei steht ‚OTC’ für nicht verschreibungspflichtige Medikamente“. Und das kommt nicht von ungefähr. „Gerade dieser Bereich wird für Apotheker immer wichtiger. Denn er bietet viel Potenzial, um Impulskäufe zu generieren“, hält der Konzern fest, ohne zu erwähnen, dass dieser Bereich deshalb auch für ihn immer wichtiger wird. Er tut jedoch alles dafür, ASPIRIN & Co. auf diesem Gebiet die besten Ausgangspositionen zu verschaffen. Der Konzern gibt etwa Regal-Systeme und andere Einrichtungsgegenstände kostenlos ab; lediglich eine kleine Gegenleistung verlangt er: „BAYER-Produkte erhalten dafür in der Apotheke die prominentesten Plätze.“

Chemie-Tag mit TU Dortmund
Der Leverkusener Multi veranstaltet regelmäßig „Tage der Chemie“, um zu versuchen, das Image dieser nicht eben gut beleumundeten Naturwissenschaft aufzupolieren. Dabei setzt das Unternehmen traditionell schon bei den Jüngsten an. Im Bergkamener Werk beispielsweise veranstaltete es einen SchülerInnen-Wettbewerb, um das Interesse der Youngster zu wecken. Aber auch um die Älteren kümmerte der Konzern sich zu diesem Anlass. So bewegte er die ihm seit langer Zeit in Freundschaft verbundene TU Dortmund dazu, an dem BAYER-Standort über ihre Studiengänge zu informieren, damit die Bildungsstätte ihm auch weiterhin passgenauen, unkrititischen Nachwuchs liefert.

VFA im Kontrollwahn
Die Multis investieren viel Zeit und Geld in das sogenannte Reputationsmanagement. Und zuweilen drohen sie auch mit Anzeigen-Entzug oder bemühen Gerichte, um eine konzern-freundliche Berichterstattung durchzusetzen. Besonders doll trieb es jetzt der von BAYER gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“. Er hielt eine Presse-Konferenz ab und verlangte anschließend von den JournalistInnen, ihm die Artikel vor Erscheinen noch einmal zur Freigabe der wörtlichen Zitate vorzulegen. „Es herrscht ein Kontrollwahn“, empörte sich Klaus Max Smolka in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über diese Gängelung. Ein mutiger Schritt, denn wer sich den Gepflogenheiten der Konzerne nicht fügt, riskiert berufliche Nachteile wie etwa den, keine Einladungen zu Hintergrund-Gesprächen mehr zu erhalten.

Tomaten-PR in der Rheinischen Post
BAYER zählt in Europa zu den größten Züchtern von Tomaten-Saatgut (siehe auch PFLANZEN & SAATEN). Und obwohl sich das in der Angebotspalette neben Pestiziden, Gen-Pflanzen und Medikamenten nicht gerade gut macht, steht der Leverkusener Multi zu dem Produkt-Segment und sucht seit einiger Zeit verstärkt die Öffentlichkeit. So gewann er die Rheinische Post dazu, Reklame für CALIFORNICATION, ROTATION und andere „High-Tech-Tomaten“ zu machen. Auf einer ganzen Seite, dekoriert von Rezeptvorschlägen, breitete die Zeitung die Story vom Gemüse-Bauern BAYER aus.

Marketing-Ausgaben steigen weiter
BAYER gibt immer mehr Geld für Marketing und Vertrieb aus. 2015 stiegen die Zahlen gegenüber dem Vorjahr um 15,9 Prozent auf 12,36 Milliarden Euro. Obwohl das mehr als einem Viertel des Gesamtumsatzes entspricht, verweigert der Konzern der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf den Hauptversammlungen seit Jahren eine genauere Aufschlüsselung dieser Ausgaben.

DRUGS & PILLS

BAYER stoppt STIVARGA-Vertrieb
Nach dem Arzneimittel-Neuverordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 müssen neue Medikamente eine Kosten/Nutzen-Prüfung durchlaufen. Schaffen die Arzneien es dann in diesem Prozess, ihre Überlegenheit gegenüber den gängigen Pharmazeutika unter Beweis zu stellen, können die Hersteller in den Verhandlungen mit den Krankenkassen einen besonders hohen Preis für die Präparate verlangen. Dem BAYER-Mittel STIVARGA (Wirkstoff: Regorafenib) gelang dies für das Anwendungsgebiet „fortgeschrittener Darmkrebs“ jedoch nicht (siehe Ticker 2/16). Einen Zusatznutzen vermochte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von MedizinerInnen, Krankenhäusern und Krankenkassen bei dieser Indikation nicht auszumachen. Er folgte damit der Bewertung, die das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) vorgelegt hatte. Demnach verlängerte STIVARGA zwar das Leben der PatientInnen um rund 45 Tage, die stärkeren Nebenwirkungen wie z. B. Durchfall heben diesen positiven Effekt nach Ansicht des IQWiG jedoch wieder auf. Auch zweifelte das Institut die Ergebnisse der STIVARGA-Tests, die zur Zulassung der Arznei geführt hatten, wegen nicht eingehaltener Studien-Standards an. Der Konzern reagierte schroff auf das Votum. Er bezeichnete die Entscheidung als „nicht nachvollziehbar“ und entschied kurzerhand, das Pharmazeutikum in Deutschland vom Markt zu nehmen.

Neue ASPIRIN-Studie
Mit Verweis auf eine Studie der TU München versucht BAYER, den Verkauf des Schmerzmittels ASPIRIN weiter anzukurbeln. Die ForscherInnen um Markus Ploner hatten herausgefunden, dass sich körperlicher Schmerz binnen kurzem in der Psyche niederschlägt. „Es ist grundsätzlich richtig, jede Art von Schmerz ernstzunehmen und die Schmerz-Weiterleitung frühzeitig und ausreichend zu unterbinden, um eine Chronifizierung (...) zu unterbinden“, meint deshalb Prof. Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel. Und von diesem Statement ist es dann nicht mehr weit bis zur Produkt-Empfehlung des Leverkusener Multis: „Hier punktet die weiterentwickelte ASPIRIN-Tablette: Eine erste spürbare Schmerz-Linderung tritt bereits 16 Minuten nach der Einnahme ein.“ Bis zu den ersten Nebenwirkungen dauert es hingegen ein wenig länger, dafür kommen sie gewaltig – Magenblutungen zählen zu den gravierensten.

LAIF-Lieferengpass
Kein Johanneskraut-Mittel verschreiben die MedizinerInnen so oft wie BAYERs LAIF. Für 30 Millionen Tagesdosen des Präparats, das bei leichten bis mittelschweren Depressionen Anwendung findet, erstellten die ÄrztInnen 2014 Rezepte. In diesem Jahr dürften es jedoch weniger sein. Der Leverkusener Multi kann nämlich nicht liefern, und die PatientInnen stehen auf dem Schlauch. Über die Gründe macht der Konzern nur ungenaue Angaben. Teile der neuen Ernte hätten die hohen Qualitätsstandards nicht in allen Punkten erfüllt, verlautet aus der Unternehmenszentrale. Darüber, ob die Probleme mit neuen Auflagen des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) bezüglich der Rückstände von Pyrrolizidinalkaloiden zusammenhängen, schweigt sich der Pharma-Riese aus. Fragen zur Belastung seiner LAIF-Pflanzen mit diesen von Kräutern zur Insektenabwehr gebildeten Giften ließ er unbeantwortet.

Neue Hormon-Spirale
BAYERs Hormon-Spiralen haben beträchtliche Nebenwirkungen. Bei MIRENA etwa reichen sie von nächtlichen Schweißausbrüchen, Herzrasen und Unruhe über Schlaflosigkeit und Bauchkrämpfe bis hin zu Oberbauchschmerzen. Allein die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erhielt bereits über 45.000 Meldungen zu solchen unerwünschten Arznei-Effekten. Trotzdem will der Leverkusener Multi seine Produkt-Palette in diesem Bereich noch einmal erweitern. Er hat in den USA und in der EU einen Zulassungsantrag für die Spirale LCS-16 gestellt und stellt als besonderen Vorteil die geringe Konzentration des Wirkstoffes Levonorgestrel heraus. Als „hocheffektiv und gleichzeitig gut verträglich“ bezeichnet der Konzern seine neueste Errungenschaft. Aber das sagt er in seinen Hauptversammlungen ja auch immer über MIRENA, wenn Geschädigte ihn mit ihren Krankengeschichten konfrontieren.

41 Anwendungsbeobachtungen
Erkenntnisse werfen die Beobachtungsstudien zu Arzneien, die MedizinerInnen mit ihren PatientInnen durchführen, kaum ab. Das ist aber auch gar nicht Sinn der Übung. Die Anwendungsuntersuchungen verfolgen einzig den Zweck, die Kranken auf das getestete Präparat umzustellen. Dafür zahlen die Pharma-Riesen den ÄrztInnen jährlich ca. 100 Millionen Euro. Rund 700 Euro erhalten diese pro TeilnehmerIn. „Fangprämien“ nannte ein ehemaliger Vorsitzender der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ diese Zuwendungen einst. 41 solcher „Studien“ mit BAYER-Medikamenten fanden nach Angaben des Recherche-Netzwerkes Correct!v von 2009 bis 2014 in den Praxen statt. Unter anderem testeten die MedizinerInnen für den Konzern das Antibiotikum AVALOX, das MS-Präparat BETAFERON, das Kontrastmittel GADOVIST, das Blutprodukt KOGENATE und die Krebs-Arznei NEXAVAR.

BAYERs DDR-Arzneitests korrekt?
Im Jahr 2013 berichtete der Spiegel über großflächige Arznei-Tests bundesdeutscher Pharma-Firmen in der ehemaligen DDR. Von 1961 bis 1990 fanden dort ca. 600 Arznei-Versuche mit ungefähr 50.000 ProbandInnen statt. Auch BAYER war mit von der Partie. Der Pharma-Riese erprobte im anderen Deutschland unter anderem das Antibiotikum CIPROBAY, das Diabetikum GLUCOBAY, das die Gehirn-Durchblutung fördernde Mittel NIMOTOP und das zur Blutstillung nach Bypass-Operationen zum Einsatz kommende TRASYLOL, das wegen seiner Risiken und Nebenwirkungen von 2007 bis Anfang 2012 verboten war. Der Spiegel-Bericht warf Fragen danach auf, ob die Medikamenten-Prüfungen gängigen Standards entsprachen. Darum beauftragte die damalige Bundesregierung eine Kommission mit einer genaueren Untersuchung. Drei Jahre später stellte diese erste Ergebnisse vor. Die ForscherInnen um den Medizin-Historiker Volker Hess fanden nach Auskunft der Ostbeauftragten der Großen Koalition, Iris Gleicke, „keine Hinweise darauf, dass ethische Standards verletzt worden wären“. Systematische Verstöße gab es den ExpertInnen zufolge nicht. Die Grünen meldeten jedoch Zweifel an den Resultaten an. Sie bemängelten unter anderem, dass Hess und sein Team nur einen Bruchteil der Firmen-Unterlagen gesichtet haben und dass BAYER & Co. dieses Material obendrein noch vorselektieren durften. Auch gebe es Hinweise auf medizinische Grundsätze verletzende Tests mit nicht einwilligungsfähigen Menschen, so die Partei. Die Informationen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN über die einstigen Versuche des Leverkusener Multis bestätigen das skeptische Urteil von Bündnis 90/Die Grünen über die wissenschaftliche Arbeit. So verabreichte der Pharma-Riese sein NIMOTOP damals etwa AlkoholikerInnen in akutem Delirium. „Ich bin psychisch absolut weggedampft“, berichtete ein früheres Versuchskaninchen. Und da hatte er noch Glück. „Es hätte auch Tote geben können“, meint der Mediziner Ulrich Moebius. Bei TRASYLOL, das der Pharma-Riese im Osten auch als Mittel zur Konservierung von Organen, die für eine Transplantation vorgesehen waren, erprobte, wies er den verantwortlichen Arzt Dr. Horpacsy an, Stillschweigen über negative Resultate zu bewahren (siehe SWB 3/13). Darum verschwieg dieser in einem späteren Aufsatz den völligen Verlust der Vital-Funktionen der Nieren unter TRASYLOL. Er vermeldete lediglich, die Gabe des Pharmazeutikums hätte nicht zu einer Verbesserung des Transplantat-Überlebens geführt; dafür hätte der Stoff jedoch einen positiven Effekt auf die Enzym-Werte des Organs gehabt. Der Global Player weist in Sachen „DDR-Tests“ allerdings alle Schuld von sich. „Sofern im Auftrag unseres Unternehmens klinische Studien in der ehemaligen DDR durchgeführt worden sind, gehen wir davon aus, dass diese entsprechend der Deklaration von Helsinki sowie den Vorschriften des Arzneimittel-Gesetzes der ehemaligen DDR erfolgte“, erklärte er.

Testosteron bei Fettleibigkeit?
Mit großer Anstrengung arbeitet der Leverkusener Multi daran, die „Männergesundheit“ als neues Geschäftsfeld zu etablieren und Hormon-Präparaten wie NEBIDO oder TESTOGEL neue und nur selten zweckdienliche Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. Zu diesem Behufe hat der Pharma-Riese die Krankheit „Testosteron-Mangel“ bzw. „männliche Wechseljahresstörungen“ erfunden. Aber dabei soll es nicht bleiben. BAYER will die Mittel auch bei fettleibigen Männern in Anschlag bringen. „Epidemiologische Studien zeigen mit großer Übereinstimmung, dass zwischen Adipositas und Testosteron-Mangel (Hypogonadismus) ein enger Zusammenhang besteht“, behauptet der Konzern. Er erweitert diesen Zusammenhang sogar noch um Diabetes – und weiß sogleich Abhilfe. Der Multi präsentiert in einem Artikel, den er in der Zeitschrift Diabetes, Stoffwechsel und Herz platzieren konnte, Untersuchungen, welche die positiven Effekte von NEBIDO & Co. auf das Gewicht und den Blutzucker-Spiegel der Probanden belegen. Allerdings handelt es sich dabei lediglich um kleine, den Anforderungen von Zulassungsstudien nicht genügende Test-Reihen mit unter hundert Teilnehmern. MedizinerInnen warnen indessen vor den Hormon-Gaben. Als Nebenwirkungen zählen sie unter anderem Herzinfarkt, Harntrakt-Schädigungen, Brust-Wachstum, Bluthochdruck, Ödeme und Leberschäden auf. Zudem beobachteten die WissenschaftlerInnen Schrumpfungen des Hodengewebes und Samenzellen-Missbildungen.

BAYER testet Finerenone
Der Leverkusener Multi erprobt zur Zeit den Wirkstoff Finerenone. Er will die Substanz zur Behandlung von Herz-Insuffizienz einsetzen und spekuliert darauf, Präparaten wie dem PFIZER-Mittel INSPRA Markt-Anteile wegnehmen zu können. Angeblich hat das Pharmazeutikum nämlich weniger Nebenwirkungen als andere Arzneien dieser Medikamenten-Gruppe, die häufig die Blutkalium-Konzentrationen in bedenkliche Höhe treiben und deshalb das Herz schädigen können. Zudem testet der Konzern Finerenone noch zur Therapie von solchen Nierenschädigungen, die in Folge einer Diabetes entstehen.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Neonicotinoid-Verbot in Frankreich
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) gelten als besonders bienengefährlich. Sie sorgen unter anderem für schrumpfende Populationen, indem sie im Futtersaft der Ammen-Bienen die Bildung des Botenstoffes Acetylcholin hemmen, der bei der Aufzucht der Larven eine wichtige Rolle spielt. Die EU hat Imidacloprid und Clothianidin wegen ihrer desaströsen Wirkung auf Bienen gemeinsam mit der Substanz Thiamethoxam bereits vorläufig aus dem Verkehr gezogen. Die Französische Nationalversammlung ging im März 2016 jedoch noch einen Schritt weiter. Sie erließ ein komplettes Neonicotinoid-Verbot, das 2018 in Kraft tritt. Der Leverkusener Multi protestierte vehement gegen diese Entscheidung. Er sieht die LandwirtInnen nun mit „veritablen Engpässen beim Schutz ihrer Pflanzen“ konfrontiert und prophezeite Ernte-Einbußen von 15 bis 40 Prozent.

UN-Gremium warnt vor GAUCHO & Co.
Auch die Vereinten Nationen hatten die Berichte über das zunehmende Bienensterben alarmiert. Darum setzte sie mit dem Welt-Biodiversitätsrat (IPBES) ein Gremium ein, um eine Bestandsaufnahme zur Lage von Bienen und anderen anderen Bestäuber-Insekten zu erhalten und Aufschluss die Gefährdung der Bestände zu gewinnen. Die WissenschaftlerInnen kamen – wie schon viele ihrer KollegInnen vor ihnen – zu dem Ergebnis, dass Ackergifte eine Mitschuld am Rückgang der Populationen tragen. „Das Gutachten ermittelte, dass Pestizide, inklusive Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide, für Bestäuber weltweit eine Bedrohung darstellen“, hält der IPBES fest. Das Pikante dabei: Unter den am Bericht beteiligten ForscherInnen befand sich auch Christian Maus von BAYERs Bienenforschungszentrum in Monheim. Das wirbelte in Leverkusen gehörig Staub auf. Die Presseabteilung des Konzerns griff Maus umgehend dafür an, sich nicht von der Neonicotinoid-Kritik des Reports distanziert zu haben und tat das stellvertretend für ihn: „Diese Aussage können wir nicht nachvollziehen.“

Zahlreiche Bienen-Arten gefährdet
Besonders Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO und PONCHO tragen eine Mitschuld am Bienensterben (s. o.). Welches Ausmaß der Rückgang der Populationen in der Bundesrepublik bereits angenommen hat, machte jetzt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen deutlich. Von insgesamt 560 Wildbienen-Arten schätzte die Große Koalition 40,9 Prozent als gefährdet ein. 39 Spezies sind bereits ausgestorben. Nicht viel besser sieht es bei den Schmetterlingen aus: 69 Arten drohen bald vom Planeten zu verschwinden. BAYER jedoch leugnet den Zusammenhang zwischen den Agro-Chemikalien und dem Artensterben. Auf der Hauptversammlung am 29. April 2016 zeigte sich der Konzern „ … davon überzeugt, dass unsere Neonicotinoide sicher sind für die Umwelt, wenn sie sachgerecht eingesetzt werden“.

Neues Bio-Pestizid
BAYER hat die Zulassung für das Pestizid REQUIEM erhalten, dessen Wirk-Mechanismus auf einem biologischen statt auf einem chemischen Prinzip beruht. Der Inhaltsstoff Terpenoid ist einer Substanz nachgebildet, mit der sich die Pflanze Epazote, bekannt auch als Mexikanischer Drüsengänsefuß, gegen Insekten wehrt. Damit erweitert der Konzern seine Produkt-Palette im Bereich der Bio-Pestizide. So bietet er in diesem Segment bereits das Anti-Wurmmittel BIBACT und das Anti-Pilzmittel CONTANS an. Zudem kaufte der Global Player bereits im Jahr 2014 das argentinische Unternehmen BIAGRO, das biologische Saatgutbehandlungsmittel auf der Basis von Mikro-Organismen und Pilzen sowie Mittel zur Stärkung des Pflanzen-Wachstums produziert. Der Leverkusener Multi will wegen REQUIEM & Co. jedoch seinen Agrogift-Schrank nicht gleich entsorgen; „best of both worlds“ lautet die Devise. „Wir setzen auf integrierte Angebote für Nutzpflanzen. Also auf die Auswahl des passenden Saatguts und die beste Kombination aus chemischen und biologischen Produkten“, so BAYER-Manager Ashish Malik.

PFLANZEN & SAATEN

Tomaten made by BAYER
Von keiner Gemüse-Art produziert die europäische Landwirtschaft mehr als von der Tomate. Entsprechend stark konzentrieren sich die Agro-Multis auf diese Nachtschatten-Gewächse – BAYER, SYNGENTA, MONSANTO & Co. dominieren den EU-Handel mit Tomaten-Saatgut. Der Studie „Concentration of Market Power in the EU Seed Market“ zufolge stammten 2013 45 Prozent aller Saaten aus den Gewächshäusern dieser Konzerne. Der Marktanteil der BAYER-Tochter NUNHEMS belief sich 2014 auf 3,7 Prozent. Inzwischen dürfte dieser gestiegen sein, denn in den letzten zwölf Monaten brachte das Unternehmen viele neue Sorten heraus. Die „hochtechnologischen Tomaten“ versprechen laut NUNHEMS gute Ernten, zuweilen gar „Ertragsrekorde“ und „Einheitlichkeit“, was diese „zu einer rentablen Wahl für den Erzeuger macht“. Geschmacksfragen stellen sich der Firma hingegen nicht.

BAYER erweitert Weizenzucht-Zentrum
Im Saatgut-Geschäft des Agro-Riesen bildet Weizen einen Schwerpunkt, weil die Ackerfrucht die weitverbreiteste Kulturpflanze der Welt ist. Bis 2020 will der Konzern 1,5 Milliarden Euro in Züchtungsprogramme investieren, um eine führende Rolle in diesem Markt-Segment zu einzunehmen. Dazu kooperiert er mit vielen Weizenforschungsinstituten und unterhält eigene Zuchtstationen. Sieben solcher Einrichtungen hat der Multi bisher schon aufgebaut. In Gatersleben, wo der Global Player seit 2012 ein solches Zentrum – nicht von ungefähr in unmittelbarer Nähe des „Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzen-Forschung“ – betreibt, plant er jetzt eine Erweiterung. Das Unternehmen kündigte an, dort die Acker-Flächen auf 80 Hektar zu verdoppeln.

GENE & KLONE

BAYERs Gen-Soja entert Brasilien
Brasilien hatte es Gen-Pflanzen made by BAYER jahrelang sehr schwer gemacht. So verbot das Land gentechnisch veränderten Mais der Produktreihe LIBERTYLINK und entzog der Sorte T25 die Genehmigung. Jetzt aber scheint der Widerstand gebrochen. Ab diesem Jahr vermarktet der Leverkusener Multi in dem südamerikanischen Staat LIBERTYLINK-Soja. Dabei handelt es sich um eine Laborfrucht, die immun gegen das extrem gesundheitsschädliche und in Europa deshalb nur noch bis 2017 erlaubte Pestizid Glufosinat ist. Gleich 2.000 LandwirtInnen wollen es nach Aussage des Global Players trotzdem mit dem LL-Soja versuchen.

WASSER, BODEN & LUFT

BAYER-Altlast unter Kleingarten
Viele Duisburger KleingärtnerInnen sorgen sich um ihre Grundstücke, denn unter der Grasnarbe schlummern Altlasten von BAYER, KRUPP oder MANNESMANN. Boden-Untersuchungen des Bielefelder Instituts IFUA PROJEKT ergaben in vielen Fällen bedenkliche Werte für Cadmium, Zink, Arsen, Benzo(a)pyren und Blei. Auf dem Gelände des Kleingarten-Vereins „Borgsche Hütte“ in Rumeln, wo der Leverkusener Multi um 1958 Giftstoffe verklappt hat, gab es hingegen keine Überschreitungen der zulässigen Limits. Das Chemie-Grab liege zu tief, als dass von ihm noch Gefahren ausgehen könnten, versichert Wolfgang Ibels vom Duisburger Umweltamt. Mögliche Verunreinigungen des Grundwassers durch die Hinterlassenschaften des Leverkusener Multis ignorierte er dabei jedoch.

Kaum Energie-Ersparnis
BAYERs Energie-Einsatz sank 2015 gegenüber dem Vorjahr von 85.317 auf 83.182 Terajoule. Die Reduktion verdankt sich jedoch mitnichten einer ressourcen-schonenderen Produktionsweise, sondern hauptsächlich der im letzten Jahr erfolgten Stillegung der Fertigungsstätte im brasilianischen Belford Roxo.

Mehr Kohlendioxid-Emissionen
BAYERs Emissionen des klima-schädlichen Kohlendioxids stiegen 2015 gegenüber dem Vorjahr um 160.000 Tonnen auf 9,71 Millionen Tonnen. Ein Grund dafür ist, dass der Konzern bei der Energie, die er selbst erzeugt, mehr auf die besonders klima-schädliche Kohle setzt. Deren Quantum am Energie-Mix wuchs gegenüber 2014 von 12.611 auf 12.755 Terajoule. Für den Löwenanteil an den CO2-Emissionen des Unternehmens sorgt die Kunststoff-Tochter COVESTRO mit 6,41 Millionen Tonnen, dahinter folgt die CURRENTA als Betreiber der Chemie- „Parks“ mit 1,47 Millionen Tonnen, die Agro-Sparte mit einer Million Tonnen und der Pharma-Bereich mit 0,57 Millionen Tonnen.

BAYER schädigt Ozonschicht
Seit Jahren schon sorgt hauptsächlich ein einziges Werk des Leverkusener Multis für den ganzen Ausstoß an ozon-abbauenden Substanzen: die Niederlassung der Agro-Sparte im indischen Vapi. Und seit Jahren schon schraubt der Konzern auch ein bisschen an der Fertigungsstätte rum, so dass die Werte immer ein bisschen sinken. Aber 2015 summierten sie sich trotzdem noch auf 11,7 Tonnen (2014: 14,8).

1.610 Tonnen flüchtige Substanzen
Auch BAYERs flüchtige organische Substanzen entstammen hauptsächlich dem Werk im indischen Vapi. Im Zuge der „Work in Progress“-Sanierung ging der Ausstoß ebenso wie derjenige der ozon-abbauenden Stoffe (s. o.) 2015 etwas zurück. Von 2.120 auf 1.610 Tonnen sank der Wert.

Kaum weniger Stickstoff & Co.
Der Ausstoß von Stickstoffoxiden, Schwefeloxiden, Staub und Kohlenmonoxid hat sich bei BAYER 2015 gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Die Emissionen von Stickstoffoxiden stiegen von 2.360 Tonnen auf 2.420 Tonnen, während diejenigen von Schwefeloxiden leicht von 1.220 Tonnen auf 1.170 Tonnen zurückgingen. Auch etwas weniger Staub wirbelte der Konzern auf: 250 gegenüber 230 Tonnen. Dafür erhöhte sich jedoch der Kohlenmonoxid-Ausstoß um 20 auf 930 Tonnen.

BAYERs großer Durst
Der Leverkusener Multi hat einen enormen Wasser-Durst. Auf 346 Millionen Kubikmeter bezifferte er seinen Konsum im Jahr 2014, in den zwölf Monaten zuvor waren es sogar 350 Millionen gewesen. Zum Vergleich: Das ist mehr als das Dreifache dessen, was die ganze Stadt Köln verbraucht. Drei Viertel des Wassers gehen als Kühlwasser drauf, ein Viertel verwendet der Konzern in der Produktion. Und erschwerend kommt noch hinzu, dass die Wiederaufbereitungsquote verschwindend gering ist: Gerade einmal 10,4 Millionen Liter recycelte das Unternehmen.

BAYER Abwasser-Frachten
2015 produzierte der Leverkusener Multi mit 61 Millionen Kubikmetern fünf Millionen Liter weniger Abwässer als 2014, aber nicht, weil er etwa „grüner“ produzierte, sondern nur, weil er überhaupt weniger produzierte. Und trotzdem schaffte es der Konzern noch, von einzelnen Stoffen mehr einzuleiten als im Vorjahr. Bei den anorganischen Salzen stieg die Menge von 845.000 Tonnen auf 927.000 Tonnen. Bei den Schwermetallen, die das Unternehmen nicht mehr einzeln aufführt, um besonders gefährliche Stoffe wie Quecksilber nicht nennen zu müssen, wuchs sie von 63 auf 64 Kilogramm. Der Phosphor-Eintrag blieb hingegen konstant bei 100 Tonnen, und der Stickstoff-Wert sank von 760 auf 560 Tonnen. Auch organischer Kohlenstoff fand sich etwas weniger im Wasser wieder: Das Volumen reduzierte sich um 40 Tonnen auf 1.160.

BAYER produziert mehr Müll
Im Jahr 2015 produzierte BAYER mehr Müll als 2014. Von 896.000 auf 940.000 Tonnen stieg die Menge. Auch bei gefährlichen Abfällen erhöhte sich der Wert; er legte von 487.000 auf 541.000 Tonnen zu. Als Grund dafür nennt der Leverkusener Multi neben Produktionssteigerungen „eine neue abfallrechtliche Bewertung der Wirbelschicht-Asche aus dem Kraftwerk im Chem-‚Park’ Leverkusen“.

CO & CO.

„Risiko nicht ausgeschlossen“
Während BAYERs zwischen Dormagen und Krefeld geplante Kohlenmonoxid-Pipeline wegen einer Klage noch immer keine Betriebsgenehmigung hat, zeigt deren zwischen Dormagen und Leverkusen verlaufendes Pendant schon bedenkliche Alterserscheinungen. Besonders dort, wo die Leitung den Rhein unterquert, zeigen sich Korrosionsschäden, also Abnutzungserscheinungen an den Bau-Bestandteilen. So treten an diesem Düker nach einem Bericht des TÜV Rheinland „gravierende externe Materialverluste“ auf. Eine „Restlebensdauer von 2 Jahren, bis die rechnerisch geforderte Mindestrohrwandstärke von 3,6 mm erreicht wird“, errechnete der Technische Überwachungsverein. Nachdem die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN diesen Befund publik gemacht hatte, blieb dem Leverkusener Multi nichts anderes übrig, als Maßnahmen einzuleiten: Er kündigte den Bau eines neuen Dükers an. Dieser nimmt noch einmal größere Dimensionen als der alte an und bietet zusätzlich zu den zehn Leitungen noch Platz für fünf Reserve-Pipelines. Weil der Pharma-Riese deshalb in die unter Naturschutz stehende Uferlandschaft eingreifen muss, hat er später Kompensationsleistungen zu erbringen. Absolute Sicherheit mochte der Konzern auch nach der Fertigstellung des neuen Tunnel-Systems nicht garantieren. Lediglich als „unwahrscheinlich“ bezeichnete das Unternehmen das Risiko einer Explosion im Düker, es könne aber „nicht 100-prozentig ausgeschlossen werden“. Und die Folgen wären BAYER zufolge „wegen der engen räumlichen Nähe der Rohrleitungen und dem zu erwartenden Totalversagen auch der CO-Leitung als katastrophal einzuschätzen“. Trotzdem rechnet der Multi fest mit einer Betriebsgenehmigung durch die Bezirksregierung. Anfang 2017 will er den Düker dann nutzen – und ansonsten wohl bei der Pipeline, die immerhin schon rund 50 Jahre auf dem Buckel hat, alles beim Alten lassen. Lediglich ein paar kleine Eingriffe stehen möglicherweise an.

STANDORTE & PRODUKTION

Neues Haus für Insektizid-Forschung
BAYER will am Standort Monheim ein Gewächshaus für die Insektizid-Forschung errichten, das „weltweit neue Maßstäbe“ setzt. 43,5 Millionen Euro investiert der Leverkusener Multi zu diesem Behufe.

Leverkusen: Neue Pack-Anlage
BAYER errichtet in Leverkusen für rund 150 Millionen Euro eine neue Anlage für Medikamenten-Verpackungen. Zudem kündigte der Konzern den Bau einer Fertigungstätte für Arznei-Formulierungen an.

Millionen-Investition in Bitterfeld
Der Leverkusener Multi plant am Standort Bitterfeld, wo er vor allem das Schmerzmittel ASPIRIN produziert, 20 bis 30 Millionen Euro zu investieren. Das Geld will er unter anderem für einen Ausbau der Automation, für neue Filteranlagen und für mehr Informationstechnologie.

ÖKONOMIE & PROFIT

Die BAYER-Bank in Belgien
Der Leverkusener Multi unterhält viele Niederlassungen im Steuer-Paradies Belgien. BAYER ANTWERPEN etwa wirkt als konzern-interne Bank, die den Teilgesellschaften Geld für Investitionen leiht. Für den Global Player entsteht so eine Win-win-Situation: Während die Tochter-Firmen die Zins-Zahlungen von der Steuer absetzen können, muss BAYER ANTWERPEN für die Zins-Erträge kaum Abgaben zahlen. Und bei den 11,8 Milliarden Euro an Krediten, die im Jahr 2015 von Belgien aus auf die Reise gingen, kommen da schon ganz hübsche Summen zusammen.

BAYERs globale Steuer-Praxis
Der Leverkusener Multi hat Niederlassungen auf der ganzen Welt. Nur profitiert steuerlich nicht die ganze Welt gleichermaßen von den Erträgen. Die BAYER-Töchter müssen einen Großteil ihrer Gewinne an die Mutter-Gesellschaft in Leverkusen abführen. In der Heimat fällt deshalb auch der Löwenanteil der Abgaben an, welche der Konzern leistet, nachdem er sich durch Nutzung diverser Steuersparmodelle arm gerechnet hat. Der Global Player gibt an, 50 Prozent seiner Ertragssteuern in Deutschland zu zahlen, obwohl er hierzulande nur rund elf Prozent seines Gesamtumsatzes erzielt und nur 31 Prozent seiner Belegschaftsangehörigen beschäftigt. Mit Imperialismus hat das alles aber dem Unternehmen zufolge nichts zu tun. Der Pharma-Riese betrachtet die ungleiche Verteilung vielmehr als angemessen und führt dazu eine recht abenteuerliche Begründung an: Da er hauptsächlich an den deutschen Standorten forsche und das mit viel kosten-intensivem „Trial and Error“ einher gehe, sei auch das unternehmerische Risiko vornehmlich zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen angesiedelt. Sorgen bereiten ihm in diesem Zusammenhang nun die Pläne der EU, die Multis zur Veröffentlichung ihrer Steuer-Zahlungen in den einzelnen Ländern zu zwingen (siehe POLITIK & EINFLUSS) So warnt BAYERs Steuer-Chef Bernd-Peter Bier, das sogenannte Country-by-Country-Reporting „führt gerade vor dem Hintergrund der deutschen Export-Stärke dazu, dass die Regierungen unserer ausländischen Absatzmärkte (sic!) künftig mehr vom deutschen Anteil am Steuer-Kuchen abhaben wollen“. Deshalb sperrt er sich vehement gegen weitergehende Transparenz-Verpflichtungen.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Salzsäure tritt aus
Am 15.1.2015 meldete die BAYER-Tochter COVESTRO am US-amerikanischen Standort Illinois einen Stoff-Austritt: Ein Tankwagen, der Salzsäure transportierte, verlor 7.600 Liter seiner Ladung.

Polyisocyanat tritt aus
Am 18.1.2015 meldete die BAYER-Tochter COVESTRO am indischen Standort Hubli einen Transport-Unfall, bei dem 1.200 Kilo des Gefahrguts Polyisocyanat ins Freie gelangten.

TDI tritt aus
Am 7.2.2015 liefen in einem kalifornischen Werk der BAYER-Tochter COVESTRO an einer Abfüll-Station 1.150 Liter des Kunststoffes TDI aus, weil ein Tankwagen zu voll gepumpt wurde.

MDI tritt aus
Am 31.5.2015 meldete die BAYER-Tochter COVESTRO am US-amerikanischen Standort Ward Creek einen Transport-Unfall. Ein Sattelzug stürzte auf der Straße um, und 1.500 Liter des Kunststoffes MDI liefen aus.

BAYHYDROL tritt aus
Am 4.6.15 kam es in Helsinki zur Beschädigung eines Containers der BAYER-Tochter COVESTRO, in dem sich das Lackharz BAYHYDROL befand. Die Flüssigkeit trat aus, und 12 Personen, die mit ihr in Berührung gerieten, mussten sich zur Untersuchung in ein Krankenhaus begeben. Ein stationärer Aufenthalt blieb ihnen aber erspart.

DESMOPHEN-Tank platzte
Am 18.8.15 platzte am Antwerpener Standort der BAYER-Tochter COVESTRO bei einem Umfüll-Vorgang ein Tank, in dem sich der Lack-Grundstoff DESMOPHEN befand. Rund 6.000 Kilogramm des Stoffes gelangten so an die Luft. Der Leverkusener Multi gab jedoch sogleich Entwarnung: „Es kam weder zu Verletzungen noch zu Gefährdungen.“

Salpetersäure tritt aus
Am 3.9.15 kam es am Dormagener Standort der BAYER-Tochter COVESTRO beim Entladen von Salpetersäure zu einem Unfall. In der Folge liefen 150 Liter des Stickstoffs aus, der auf Haut, Atemwege und Schleimhäute stark reizend wirkt und Verätzungen hervorrufen kann. Ein Beschäftigter geriet mit der Substanz in Berührung und kam in ein Krankenhaus. Er konnte jedoch zum Glück bald schon wieder entlassen werden.

DESMODUR tritt aus
Am 28.9.15 durchbohrte am US-amerikanischen Standort Laredo der BAYER-Tochter COVESTRO ein Gabelstabler die Wand eines Fasses, in dem sich das Kunststoff-Produkt DESMODUR befand. In der Folge liefen 150 Liter der Substanz aus.

Salzsäure tritt aus

  • 2


Am 30.9.15 trat an einem Kesselwagen der DEUTSCHEN BAHN, der Salzsäure der BAYER-Tochter COVESTRO beförderte, eine Leckage auf. 100 Liter der Substanz flossen auf diese Weise aus.

DESMODUR tritt aus

  • 2


Wie zuvor in Laredo (s. o.) durchbohrte am 28.10.15 auch in Köln ein Gabelstabler ein Fass, in dem sich DESMODUR der BAYER-Tochter COVESTRO befand. Und wieder flossen 150 Liter der Substanz aus.

DESMODUR tritt aus

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Das Werk der BAYER-Tochter COVESTRO am US-amerikanischen Standort Martinsburg schickte am 9.12.15 ein undichtes DESMODUR-Fass auf Reisen. Der LKW-Fahrer bemerkte den Austritt des Kunststoff-Produkts jedoch nach einiger Zeit und alarmierte die Feuerwehr. Diese sog die Substanz mit Bindemitteln auf und konnte den Schaden so in Grenzen halten.

Polyalkohol tritt aus
Am 16.12.15 informierte die BAYER-Tochter COVESTRO am US-amerikanischen Standort Charleston die Behörden über einen Verkehrsunfall, in dessen Folge ein LKW aus einem Tank 1.900 Liter Polyalkohol verlor.

RECHT & UNBILLIG

4.300 XARELTO-Klagen
BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO mit dem Wirkstoff Rivaroxaban hat gefährliche Nebenwirkungen. So erhielt das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) 2015 von ÄrztInnen 173 Benachrichtigungen über Todesfälle, von denen 137 auf Blutungen zurückgingen. Insgesamt erfolgten 1.792 Meldungen wegen unerwünschter Pharma-Effekte. In den USA, wo PatientInnen bzw. deren Hinterbliebene leichter Schadensersatz-Ansprüche geltend machen können, beschäftigt sich deshalb bereits die Justiz mit XARELTO. Bis zum 25.1.2016 lagen 4.300 Klagen vor. Bei kanadischen Gerichten belief sich die Zahl auf acht.

Patent-Klage gegen AUROBINDO et. al.
Der Leverkusener Multi verklagt routinemäßig Pharma-Hersteller, die nach Ablauf der Patentfrist Nachahmer-Produkte seiner Pillen auf den Markt bringen wollen, wegen Verletzung seines geistigen Eigentums. So hofft der Konzern sich die lästige Billig-Konkurrenz möglichst lange vom Leibe halten zu können. Deshalb ging er auch gegen AUROBINDO und sieben weitere Unternehmen vor, die Generika-Versionen seines umstrittenen Gerinnungshemmers XARELTO (s. o.) vorbereiten.

Patent-Klage gegen MYLAN
BAYER will generische Versionen seines Krebsmittel NEXAVAR möglichst lange vom Markt fernhalten. Aus diesem Grund ging der Pharma-Riese jetzt gerichtlich gegen die Firma MYLAN vor, die bei den US-Behörden Zulassungsanträge für ein solches Präparat eingereicht hatte, und verklagte das Unternehmen wegen Patent-Verletzung.

BAYER-Patente ungültig
BAYER hatte das Unternehmen WATSON LABORATORIES, das beabsichtigt, Generika-Versionen der gefährlichen drospirenon-haltigen Verhütungsmittel BEYAZ und SAFYRAL herzustellen, schon vor längerer Zeit wegen Patent-Verletzung verklagt. In erster Instanz bekam der Pharma-Riese auch Recht, aber WATSON focht die Entscheidung an. Und in dem Revisionsverfahren erklärte das Gericht die BAYER-Patente dann für ungültig. Als Begründung führten die RichterInnen an, dass MERCK als ursprünglicher Inhaber der BEYAZ- und SAFYRAL-Schutzrechte schon vor Erhalt des Patents einzelne Komponenten der Kontrazeptiva zum Verkauf angeboten hatte. Ob der Global Player plant, gegen diesen Beschluss vorzugehen, stand bis Redaktionsschluss nicht fest. Auch der Rechtsstreit mit LUPIN in der gleichen Sache könnte durch das Urteil jetzt eine andere Wendung nehmen.

EU-Klage wg. Dünger
Laut nordrhein-westfälischem Umweltministerium befindet sich das rechtsrheinische Grundwasser-Reservoir in einem chemisch so schlechten Zustand, dass es sich nicht zur Trinkwasser-Gewinnung eignet. BAYER trägt dazu unter anderem durch den Dünger bei, der auf den landwirtschaftlichen Versuchsfeldern in Monheim zum Einsatz kommt und so für Nitrat-Einträge sorgt. Die Europäische Kommission hatte die Bundesrepublik in der Vergangenheit mehrfach aufgefordert, die Dünge-Praxis strenger zu reglementieren, aber es geschah nichts. Deshalb hat die EU nun vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg eine Klage eingereicht. Nicht einmal der Verweis auf eine in Arbeit befindliche Gesetzes-Novelle konnte Juncker & Co. davon abhalten. Diese enthalte zu viele Ausnahme-Regelungen und sei deshalb nicht geeignet, eine bessere Wasser-Qualität zu garantieren, hieß es aus Brüssel.

FORSCHUNG & LEHRE

Pharmazie-Studierende bei BAYER
Früh übt sich, wer ein/e Pharmazeut/in ganz im Sinne der Pharma-Industrie werden will, deshalb bietet der Leverkusener Multi viele Übungsmöglichkeiten an. So unterhält er bereits seit 2008 eine Kooperation mit der Kieler Christian-Albrechts-Universität, in deren Rahmen die BAYER-Tochter KVP PHARMA + VETERINÄR zweimal im Jahr Pharmazie-Studierende empfängt. Im Werk erfahren diese dann unter anderem, wie mustergültig der Pillen-Riese angeblich Qualitätssicherung betreibt und die regulatorischen Rahmenbedingungen umsetzt. Und die Lehrenden spielen das Spiel mit. Die Privatdozentin Dr. Regina Scherließ bezeichnet es dem Global Player zufolge nachgerade als Glücksfall, mit dem BAYER-Standort in Kiel ein international aufgestelltes Pharma-Unternehmen zu haben, das den Studierenden einen solchen Einblick bietet.

BAYER forciert Digital-Medizin
Der Leverkusener Multi bereitet sich auf den Eintritt in den Markt der digitalen Medizin vor und fördert im Rahmen seiner „Grants4Apps-Accelerator“-Initiative Start-ups, die Apps oder andere Anwendungen entwickeln. So erhielt VIOMEDO im Jahr 2015 Geld für ein Internet-Projekt, das den Pharma-Riesen mehr ProbandInnen für seine Klinischen Studien zuführen soll. SERONA bekam Unterstützung für das Vorhaben, die personalisierte Medizin auf dem Gebiet der Hormon-Therapien mittels Daten-Analysen voranzutreiben und VITAMETER für die Konstruktion eines Gerätes zur Bestimmung des Vitamin-Gehaltes im Blut.

[EU] STICHWORT BAYER 02/2011

CBG Redaktion

EU-Handelspolitik nach Konzern-Gusto

„Wir machen das für euch!“

Die Europäische Union schließt fleißig Handelsabkommen ab. Die Verträge mit Kolumbien, Peru und Südkorea sind schon unterschrieben, ein Abschluss mit Indien steht noch in diesem Jahr an. BAYER & Co. haben die Agenda der EU bei den Verhandlungen entscheidend mitbestimmt und profitieren entsprechend von den Ergebnissen. Strengere Patent-Regime, freiere Marktzugänge, mehr Investitionsschutz, Gleichbehandlung mit inländischen Unternehmen und verbesserter Zugriff auf Rohstoffe - fast kein Wunsch blieb unerfüllt. Die ärmeren Länder hingegen müssen mit höheren Preisen für lebenswichtige Güter wie Arzneien, einer Schwächung ihres Agrar-Sektors und weiterem Ungemach rechnen.

von Jan Pehrke

Um die ganz großen Globalisierungsvorhaben steht es nicht gut. Das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) landete Ende der 1990er Jahre auf dem Müllhaufen der Geschichte, und die Liberalisierungsbestrebungen der Welthandelsorganisation WTO im Rahmen der Doha-Runde kommen wegen der Vetos der Entwicklungsländer ebenfalls nicht voran, was in Brüssel für einigen Unmut sorgte. „Die WTO ist eine mittelalterliche Organisation. Man kann Diskussionen zwischen 146 Mitgliedsstaaten nicht so strukturieren und steuern, dass sie zum Konsens führen“, klagte der damalige EU-Handelskommissar Pascal Lamy 2003 nach der ergebnislosen Minister-Konferenz von Cancún. Als Konsequenz daraus treibt die Europäische Union nun bilaterale Handelsabkommen mit einzelnen Nationen oder Staatengruppen voran. Mit Kolumbien, Peru, Südkorea und dem zentralamerikanischen Bund, dem Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama angehören, hat sie bereits Verträge abgeschlossen - nur das EU-Parlament muss noch seine Zustimmung geben. Verhandlungen mit Singapur, Kanada, der Ukraine und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay laufen zurzeit. Mit den 79 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten, die sich zu dem Verband AKP zusammengeschlossen haben, kam es hingegen nicht zu der Unterzeichnung eines Dokuments, weshalb die EU jetzt Einzelgespräche führt und sich mit zahlreichen Nationen bereits auf Abkommen geeinigt hat.

Die USA, China und andere mächtige Staaten handeln ähnlich. Die Globalisierung unter dem Diktat des Neoliberalismus schreitet also weiterhin unaufhörlich voran, nur fehlen ihr die erkennbaren Wegmarken und zentralen Projekte wie einst das MAI. Darum spielen sich die Geschehnisse oftmals unter der Wahrnehmungsschwelle ab und reizen nicht mehr zu großen Gegenmobilisierungen. Dabei wären diese nötiger denn je, da die bilateralen Verträge oftmals sogar noch über die WTO-Liberalisierungen hinausgehen. Diskussionen mit Einzelstaaten und kleineren Allianzen kann man eben leichter „so strukturieren und steuern, dass sie zum Konsens führen“ - „Teile und herrsche“ heißt die Erfolgsformel.

EU als Sprachrohr
„Gewährleisten, dass wettbewerbsfähige europäische Unternehmen (...) Zugang zu den Weltmärkten erhalten und auf ihnen sicher operieren können, das ist unsere Agenda“, so umschrieb 2006 der damalige EU-Handelskommissar Peter Mandelson die „Global Europe“-Strategie. Das mündete in Verhandlungsziele wie Absenkung von Zollgrenzen, strenger Patentschutz, verbesserter Zugriff auf Rohstoffe, Gleichbehandlung von in- und ausländischen Unternehmen und mehr Investitionsschutz. BAYER & Co. haben nicht nur an der Erstellung dieser Liste einen maßgeblichen Anteil gehabt, sie bestimmten die ganze neue Außenhandelspolitik Brüssels mit. UNICE, der EU-Lobbyverband der Multis, drängte die Union nach dem Abbruch der Cancún-Gespräche, einen Beschluss von 1999 zu verändern und sich bilateralen Handelsabkommen nicht länger zu verschließen. Und die Nachfolge-Organisation BusinessEurope mahnte ein ausgearbeitetes Programm an, das die Kommission mit „Global Europe - competing in the World“ schließlich auch vorlegte.

Die Mitwirkung der Konzerne bei der praktischen Umsetzung war dann nur noch Formsache. So fanden etwa vor Beginn der Verhandlungen mit Indien regelmäßig Treffen zwischen der „Generaldirektion Handel“ und BusinessEurope sowie den Branchenverbänden der Chemie- und Pharma-Industrie statt. Die Direktion schickte der Organisation sogar einen Fragebogen zu, um auch ja alle Wünsche der Multis zu berücksichtigen. Zudem erhielten die Global Player Zugang zu den Indien-Dokumenten der EU. Eine „Politik der offenen Tür“ nannte das der damalige Direktionschef David O‘Sullivan. Ganz weit offen hielt die Tür dabei der Handelsdirektor Thomas Heynisch, was nicht weiter verwundert, denn er stand früher in Diensten des vom Leverkusener Multi gegründeten „Verbandes der Forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA). Aber auch die Europäische Kommission selber zeigte sich ehrerbietig. „Wir machen das für euch“, versicherte Peter Mandelson den Unternehmen, weshalb die „European Business Group“ frohlockte: „Wir können die Kommission als unser Sprachrohr benutzen“.

BAYER profitiert
In dieser Funktion hat die Kommission BAYER viele Dienste erwiesen. So darf sich die Pharma-Sparte über Patent-Regelungen in den Abkommen freuen, die weit über die 1994 im Rahmen der Welthandelsrunde in Uruguay beschlossenen Trips-Vereinbarungen hinausgehen. Galt in diesen Verträgen ein 20-jähriger Schutz des geistigen Eigentums, so können die Pillen-Riesen nun in Peru und Kolumbien bedeutend länger Monopol-Profite einstreichen. Die Bearbeitungsdauer der Zulassungsanträge für die Arzneien müssen die beiden Länder nämlich jetzt noch draufrechnen. Auch Zugang zu den Test-Daten der Pillen dürfen sie erst nach fünf Jahren gewähren, weshalb sich die Produktion von Nachahmer-Präparaten verzögert, denn die meisten Generika-Firmen haben nicht das Geld für eigene Klinische Prüfungen. Zudem haben die südamerikanischen Staaten sich verpflichtet, Patent-Verstöße strenger zu verfolgen und zu bestrafen. BAYER & Co. steht es jetzt frei, die Behörden schon bei einem bloßen Verdacht zu einer Beschlagnahme von angeblich widerrechtlich produzierten Arzneien zu veranlassen. Selbst wenn die Medikamente Peru oder Kolumbien nur als Durchgangsstation nutzen und weder im Herkunfts- noch im Bestimmungsland einem Patentschutz unterliegen, hat der Zoll das Recht zuzuschlagen. Innerhalb ihrer eigenen Grenzen praktiziert das die EU schon lange und macht dabei eine reiche Beute. Und zu allem Übel gelten diese Regeln nicht nur für Pillen, sondern in ähnlicher Form auch für Pestizide und Saatgut und finden sich in allen bisher unterzeichneten Freihandelsabkommen wieder.

Bessere Geschäfte mit diesen Gütern garantieren die vereinbarten Senkungen der Einfuhrzölle. Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ und der europäische Chemie-Verband CEFIC hatten zwar eine Null-Lösung gefordert, aber die Reduzierung der Tarife um durchschnittlich 80 Prozent dürfte auch für bedeutend mehr Absatz sorgen. Das „Handelshemmnis“ Ausfuhrsteuern tragen die Vereinbarungen ebenfalls ein gutes Stück weit ab, was BAYER & Co. ermöglicht, billiger an Rohstoffe heranzukommen. Sogar ein bisschen MAI ist mit den Vertragsabschlüssen gekommen; der Investitionsschutz wird nur nicht mehr auf multinationaler Ebene, sondern bloß noch auf der bilateralen gewährt. Aber der Effekt ist derselbe: Die Verträge gewähren den Multis eine Gleichbehandlung mit einheimischen Unternehmen und ermöglichen einen ungehemmten Kapitalfluss sowie einen regen Handel zwischen Mutter- und Tochterunternehmen.

Ein schlechter Deal
Entsprechend negative Auswirkungen haben die Freihandelsabkommen für die ärmeren Nationen. Allein unter den EU-Staaten, haben sie nicht mehr die Verhandlungsmacht, die sie zum Leidwesen Pascal Lamys noch in den Welthandelsrunden besaßen. Was dort dank des Drucks der Entwicklungsländer von der Agenda verschwand - die so genannten Singapur-Themen Investitions- und Wettbewerbsregeln, öffentliche Auftragsvergabe sowie Handelserleichterungen - kam bilateral sofort wieder aufs Tapet und, im Sinne von BAYER & Co. ausgestaltet, auch in die Verträge. Deshalb konnte der jetzige EU-Handelskommissar Karel de Gucht nach der Einigung mit Kolumbien und Peru jubilieren, die Ergebnisse würden in Sachen „Marktzugang“ und „Handelsregeln“ die WTO-Bestimmungen weit in den Schatten stellen.

In den Entwicklungs- und Schwellenländern profitiert nur eine Gruppe wirtschaftlicher Akteure von den Abschlüssen: die einheimischen Multis. Wie schon bei den Verhandlungen auf multilateraler Ebene gibt auch bei den Verhandlungen auf bilateraler Ebene die „Internationale des Kapitals“ den Takt vor. So steht BusinessEurope derzeit Seit‘ an Seit‘ mit der „Confederation of Indian Industry“ (CII), um das Freihandelsabkommen mit Indien im Sinne von Big Business zu gestalten.

Der Großteil der Bevölkerung hat hingegen das Nachsehen. Besonders gravierend wirken sich die Handelsvereinbarungen auf die Gesundheitsversorgung aus, denn die verschärften Patentregeln verteuern Medikamente drastisch. Hätte die EU all ihre Forderungen gegenüber Peru durchgesetzt, so hätte das die Arzneimittel-Aufwändungen in dem Land um 459 Millionen Dollar erhöht, wie die Initiative HEALTH ACTION INTERNATIONAL ausgerechnet hat. Aber selbst der erreichte Kompromiss dürfte den Andenstaat hunderte Millionen Dollar kosten. Das bevölkerungsreiche Indien wird mit dieser Summe nicht auskommen. Patent-Bestimmungen wie in Peru und Kolumbien hätten aber nicht nur schlimme Folgen für die einheimische Bevölkerung, sondern für alle Länder des Südens. Indien ist nämlich die „Apotheke der dritten Welt“; die in dem Staat produzierten Nachahmer-Präparate gehen in den ganzen Trikont. Allein ÄRZTE OHNE GRENZEN bezieht 80 Prozent seiner Aids-Medikamente preiswert aus dem südasiatischen Staat und versorgt damit 160.000 Patienten. Darum warnt die Organisation: „Das Abkommen würde dazu führen, dass wichtige Nachahmer-Medikamente in Indien nicht mehr hergestellt werden dürfen“.

Die Verträge schreiben jedoch auch in anderen Bereichen einen strengeren Patentschutz fest. Das von BAYER & Co. reklamierte geistige Eigentum auf Saatgut nimmt den LandwirtInnen das Recht, einen Teil ihrer Erträge aufzusparen und für eine Wiederaussaat zu verwenden. Für diese seit Generationen übliche Praxis können die Multis nun eine Lizenzgebühr verlangen. Bolivien hatte sich entschieden gegen diesen Punkt gewehrt. „Das Leben ist etwas Heiliges, was nicht mit der Europäischen Union verhandelt werden kann“, erklärte Präsident Evo Morales und forderte, die Interessen transnationaler Unternehmen nicht länger über die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Umwelt zu stellen. Deshalb befand der damalige bundesdeutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Morales „störe“ den Verhandlungsprozess und war froh, ihn schließlich nicht mehr dabeizuhaben. Die indischen FarmerInnen teilen dagegen den Standpunkt des bolivianischen Staatsoberhauptes. „Die Patent-Forderungen der EU werden das fundamentale Recht der Landwirte beschneiden, Saatgut zu sammeln und zu tauschen und damit zu einem Verlust von Pflanzen-Arten und traditionellem agrikulturellen Wissen beitragen“, kritisierte ihr Koordinationskomitee in einem Offenen Brief an den indischen Premierminister Manmohan Singh.

Die Patent-Ansprüche auf Pestizide stärken die Freihandelsabkommen ebenfalls. Wie die Test-Daten von Arzneien belegen sie auch Patente von Ackergiften mit einer Sperrfrist, was die Produktion von billigeren Nachahmer-Präparaten erschwert. Die indische Regierung zeigte sich schon im Vorfeld entgegenkommend und bereitete eine 3-Jahres-Regel vor, aber das reichte der „European Crop Protection Agency“ (ECPA) nicht. Die Brüsseler Lobby-Organisation von BAYER & Co. lehnte die 2008 ins Parlament eingebrachte „Pesticides Management Bill“ des Parlamentes ab und drängt nun im Zuge der Vertragsverhandlungen auf längere Verschluss-Zeiten. Sollte die ECPA sich durchsetzen, so müssen die LandwirtInnen länger die von BAYER & Co. diktierten Monopol-Preise für neu entwickelte Agro-Chemikalien zahlen.

Bauernsterben
Die FarmerInnen zählen ganz generell zu den Hauptleidtragenden der Abkommen. Die massiven Absenkungen der Zoll-Tarife erlauben es der EU, die Märkte der Entwicklungs- und Schwellenländer mit Milch, Fleisch, Früchten und anderen hoch subventionierten Agrar-Produkten zu überschwemmen, was in den Ländern des Südens die Existenz besonders der kleinen Betriebe gefährdet und den Trend zu einer industriellen Landwirtschaft forciert. „Wir lehnen die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens ab, da es schädliche Auswirkungen auf die bäuerlichen Gemeinschaften, Indiens Agrar-Produktion und daraus folgend auf die Ernährungssouveränität und die Souveränität Indiens im Ganzen hat“, heißt es deshalb in dem Protestbrief der Bauern und Bäuerinnen an Premier Singh.

Sein peruanischer Amtskollege Alan García hat sich von solchen Protesten nicht erweichen lassen. Er titulierte die Kleinbauern und -bäuerinnen als Fortschrittsfeinde und machte sich gleich nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA daran, ihre Rechte zu beschneiden. Unter Umgehung des Parlamentes erleichterte er per Dekret die Möglichkeit von Enteignungen und Umwidmungen von Regenwald-Flächen in Äcker, um Investoren, die Bergbau betreiben, Rohstoffe gewinnen oder Agrosprit-Plantagen anlegen wollen, freie Hand zu geben. Die indigenen Gruppen reagierten darauf mit massiven Protesten, welchen die Regierung gewaltsam niederschlug. Im Juni 2009 tötete die Polizei bei der Auflösung einer Straßenblockade Dutzende Menschen und verletzte 200. Immerhin zog García anschließend zwei der so genannten Dschungelgesetze zurück. Der Kontrakt mit der EU erweitert jetzt den Kreis der Interessenten an Perus Bodenschätzen und Biosprit-Äckern noch einmal, was die Lage der LandwirtInnen in den entsprechenden Gebieten weiter verschlechtern dürfte. Im Nachbarland Kolumbien kann es eigentlich nicht mehr viel schlimmer kommen. Nichtsdestotrotz befürchten Menschenrechtsgruppen durch die Vereinbarungen mit der EU aber eine neuerliche Zunahme der Vertreibungen, die seit 1985 4,6 Millionen Menschen ihr Land kosteten, weil das Abkommen die Rechtsposition von Öl-Firmen, Agro-Baronen und Minengesellschaften stärkt.

Andere Wirtschaftszweige haben gleichfalls unter den Agreements zu leiden. So sorgte der Fall der Zollgrenzen nach dem Assoziierungsabkommen mit der EU in Tunesien für einen drastischen Anstieg der Waren-Importe, dem die landeseigene Ökonomie nichts entgegenzusetzen hatte. „Es dürften in den letzten fünf Jahren um die dreißig Prozent der kleinen Betriebe eingegangen sein“, schätzt der Nordafrika-Experte Dr. Werner Ruf. Ähnliches steht Indien bevor. Wenn die Verträge beispielsweise großen Lebensmittelketten wie METRO, CARREFOUR und TESCO eine Geschäftslizenz ausstellen, wird der kleinteilige einheimische Einzelhandel dagegen kaum bestehen können.

Bilateral statt regional
Zudem schwächen die Freihandelsabkommen die regionale Integration und damit eine gemeinsame Entwicklung der armen Länder. Die Europäische Union, selbst eine supranationale Organisation, schreckt nämlich nicht einmal davor zurück, andere Bünde aufzuspalten, um zu Vertragsabschlüssen zu kommen. Als die Verhandlungen mit den 78 AKP-Staaten stockten, ging Brüssel nach der Devise „Going with the willing“ vor und erzielte so vorläufige oder endgültige Übereinkünfte mit Botswana, Mosambik, Kenia, Ruanda, Papua-Neuguinea und über 30 weiteren Ländern.

In Folge der Abmachungen verlagert sich der Warenverkehr mehr und mehr auf die Nord/Süd-Achse, zwischen den AKP-Staaten selber finden weniger Geschäfte statt, da es ihnen bestimmte Klauseln erschweren, untereinander Handelsvereinbarungen zu treffen. Zudem dürfen die Länder sich gegenseitig nur noch beschränkt Vergünstigungen gewähren, es sei denn, sie räumen der EU dieselben Vorteile ein. Nach dem Motto „Du sollst keinen Handelspartner haben neben mir“ macht Brüssel zudem der regionalen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, der Nigeria, Senegal und 13 weitere westafrikanische Staaten angehören, das Leben schwer. In den derzeit laufenden Verhandlungen mit einzelnen Mitgliedern verlangt Brüssel nämlich, die an den Grenzen erhobene Gemeinschaftsabgabe abzuschaffen, die der Finanzierung der Union dient.

Auch die Andengemeinschaft CAN überstand die Freihandelsabkommen nicht unbeschadet. Hatte die CAN der Vertrag Kolumbiens mit den USA schon die Mitgliedschaft Venezuelas gekostet, so kam es im Laufe der Verhandlungen mit der EU nochmals zu einem Zerwürfnis. Kolumbien, Peru, Ecuador und Bolivien vermochten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegenüber der Europäischen Union zu einigen, weshalb schließlich nur Kolumbien und Peru das Abschluss-Papier unterzeichneten. Agrar-Produkte aus Frankreich, Italien und Deutschland sowie andere Waren finden nun leichter den Weg in diese Länder und diejenigen der Nachbarn umso schwerer, was denen Wirtschaftskraft entzieht. Schon die Handelsvereinbarungen Kolumbiens und Perus mit den Vereinigten Staaten haben die Soja-Exporte Boliviens in die beiden CAN-Staaten empfindlich einbrechen lassen, und durch die Handelsregelungen mit der EU sind nun weitere Verluste zu erwarten.

Zwang statt Dialog
Die Umsetzung der „Teile und herrsche“-Strategie erfolgt ohne Rücksicht auf Verluste. Die Europäische Union erpresst die Unterschriften durch die Drohung, ansonsten Kürzungen bei der Entwicklungshilfe vorzunehmen. Auch die Ankündigung, unbotmäßiges Verhalten mit dem Entzug des Entwicklungsländern gewährten privilegierten Marktzugangs zu bestrafen, dient als Zwangsmittel. Nigerias Weigerung, ein „Economic partnership agreement“ (EPA) zu unterzeichnen, beantwortete Brüssel umgehend mit der Erhebung von Zöllen auf Exporte aus dem Land. Offizielle Begründung: Die Sonderbehandlung widerspricht den WTO-Bestimmungen. Allein die Kakao-Produzenten kostet das jährlich Millionen Euro. Die Ausfuhrsteuern möchte die Union ebenfalls wegverhandeln - ganz wie von BusinessEurope gefordert. „Die EU sollte in Betracht ziehen, die Marktzugangspräferenzen für ein Produkt auszusetzen, wenn ein Land, das Teil der Wertschöpfungskette für dieses Produkt ist, zu marktverzerrenden Maßnahmen greift wie beispielsweise Ausfuhr-Beschränkungen für Rohstoffe“, schreiben BAYER & Co. in ihrer Stellungnahme zu dem Präferenzsystem.

No politics please
Sang- und klanglos verhallte die Bitte des AKP-Handelsbeauftragen Paul Bunduku-Latha an die EU-Delegierten, „ein wenig Flexibilität und Humanität“ zu zeigen. Der Appell der Afrikanischen Union, in den EPAs eine entwicklungspolitische Perspektive zu verankern, blieb ebenfalls unerhört. Und an die Milleniumsziele der UN wie die Reduzierung der Armut wollte die Europäische Union schon gar nicht erinnert werden. Sie hielt sich streng an die Vorgabe von EuroCommerce: „Die Handelspolitik sollte nicht mit Sozial- und Umweltstandards vermischt werden“. Das Kapitel über nachhaltige Entwicklung in den Entwürfen zum Freihandelsabkommen mit Indien betrachtet die Kommission deshalb nur als Formalität - „nötig, um das EU-Parlament zu beruhigen“.

Auch politische Standards werden nicht mit der Handelspolitik vermischt. So erklärte Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel in einem Interview: „Mit Kolumbien sollten wir ideologiefreier umgehen“. Trotz anhaltender Vertreibung und Morden an GewerkschaftlerInnen und MenschenrechtlerInnen - allein zwischen Juli und Oktober 2010 fanden 30 AktivistInnen den Tod - meint der FDP-Politiker nämlich, in dem Land hätte sich so einiges getan.

Die Art und Weise, wie der Anden-Staat das Freihandelsabkommen mit der EU politisch durchdrückte, scheint Niebel dabei ebenfalls zu übersehen. Um lästige Kritik aus dem Ausland an den Menschenrechtsverletzungen auszuschalten, setzte das Land seinen Sicherheitsdienst DAS unter anderem auf den Menschenrechtsausschuss des EU-Parlaments, HUMAN RIGHTS WATCH und OXFAM an. Im Rahmen der „Operation Europa“ stahlen die AgentInnen Festplatten, setzten die Angehörigen von AktivistInnen mit Drohanrufen unter Druck und brachten Falschmeldungen über Kontakte der Menschenrechtler mit der FARC-Guerilla in Umlauf.

Immerhin nahm die kolumbianische Regierung diese und andere schmutzige Undercover-Aktionen zum Anlass, dem DAS aufzulösen und Untersuchungen anzusetzen. So stieß der Staatsanwalt dann auch auf ein Dokument mit einem Amtshilfe-Ersuchen, das an den Bundesnachrichtendienst gerichtet war. Die Geheimdienstler erbaten darin Auskünfte über Reise-Bewegungen von politisch missliebigen Personen. Ob der BND sich kooperativ zeigte, darüber liegen der Bundesregierung aber leider „keine Erkenntnisse“ vor. Auf eine kleine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele antwortete Cornelia Pieper, FDP-Staatsministerin im Auswärtigen Amt: „Zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem DAS bestehen seit den späten 80er-Jahren Kontakte. Diese haben aber keinerlei Bezug zu den in der Anfrage thematisierten Aktivitäten“.

Ein besonderes Interesse am Erkenntnisgewinn über die „Operation Europa“ hat auch die EU-Kommission nicht. Sie lehnte einen Antrag des Parlaments ab, die Machenschaften des kolumbianischen Sicherheitsdienstes genauer zu erforschen, um das Freihandelsabkommen nicht zu gefährden. Die Europäische Union interessiert nämlich nur eines: „Neue Instrumente suchen, um ökonomisch zu wachsen“, wie es Marianne Gumaelius von der „Generaldirektion Handel“ ausdrückte. Und dafür macht sie in ihrer Handelspolitik BAYER & Co. den Weg frei, nicht nur in Kolumbien und Peru, sondern auch in Zentralamerika, Indien, Südkorea und auf dem afrikanischen Kontinent - koste es, was es wolle.

[Editorial] STICHWORT BAYER 02/03 2010

CBG Redaktion

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

seit Jahrtausenden schaffen Menschen auf der ganzen Welt die Vielfalt der Kulturpflanzen. Sie ist Gemeingut und gehört allen. Dass wir über sie verfügen können, ist grundlegend für das tägliche Brot und unsere Ernährungssouveränität. In vielen Ländern gewinnen, tauschen und verkaufen Bäuerinnen und Bauern bis heute ihr selbst erzeugtes Saatgut.

Die EU will die bestehenden Saatgutgesetze in Europa ändern. Dabei fordern die Saatgut-Konzerne die Absicherung der von ihnen beanspruchten geistigen Eigentumsrechte, die Patentierbarkeit ihrer Sorten sowie eine starke Einschränkung, wenn nicht gar ein Verbot, aller bäuerlichen, nicht eingetragenen Sorten.

Zehn Konzerne – unter ihnen BAYER, MONSANTO, SYNGENTA und LIMAGRAIN – kontrollieren bereits 67 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes. Sie wollen sich das Geschäft mit dem übrigen Markt nicht länger entgehen lassen und ihre eingetragenen Sorten, die meist nur mit chemischen Düngern, Pestiziden und künstlicher Bewässerung gedeihen können, der ganzen Welt aufzwingen. Aber nicht diese hochgezüchteten Industrie-Sorten werden die Weltbevölkerung in Zukunft ernähren, sondern die vielfältigen, regionalen und an Klimaveränderungen anpassungsfähigen Sorten.

Die Verhandlungen für das neue europäische Saatgutrecht verlaufen bisher im stillen Kämmerlein zwischen VertreterInnen der Saatgutindustrie und EU-FunktionärInnen - und lassen Schlimmes befürchten. Um auf das zukünftige Saatgutrecht Einfluss zu nehmen, wollen wir eine breite Öffentlichkeit für unsere Ziele gewinnen. So fordern wir das Recht, Saatgut aus eigener Ernte zu gewinnen, nachzubauen und weiterzugeben, das Verbot von Gentechnik in der Landwirtschaft und von Pflanzen-Patentierungen. Darüber hinaus verlangen wir die Förderung regionaler Sortenvielfalt durch Unterstützung der ErhalterInnen und ZüchterInnen biologischer Sorten und ein neues Saatgutzulassungsverfahren, das gentechnisch produzierte und chemie-intensive Sorten ausschließt. Zudem treten wir für eine Reduzierung des hohen Energieverbrauchs in der Landwirtschaft ein, der durch Einsatz von Industriesorten, Kunstdünger und Pestiziden, durch Monokulturen und weite Transporte entsteht. „Zukunft säen – Vielfalt ernten“ lautet unsere Devise. Deshalb muss Saatgut Gemeingut bleiben: Keine Patentrechte für BAYER & Co.!

BU: Jürgen Holzapfel gehört der Saatgutkampagne an (www.saatgutkampagne.org )

[Biosprit] Energiepflanzen

CBG Redaktion

Nachwachsender Wahnsinn

Die „Biosprit-Lüge“ entwickelt eine katastrophale Dynamik, die die Welt erschüttert. Doch auch der weltweite Widerstand wächst.
Von Werner Paczian (Rettet den Regenwald)

Innocence Dias starb einen grausamen Tod. Seine Mörder stachen sieben Mal auf ihn ein und schnitten ihm die Kehle durch. Jahrzehntelang hatte er den Guerillakrieg im kolumbianischen Departement Antioquia und den Terror durch paramilitärische Gruppen und Drogenbarone überlebt. Innocence Dias starb paradoxerweise, weil die Welt durch „grüne“ Energie besser werden soll.

Sein Fehler war, dass er sein Land nicht an eine Gruppe von Paramilitärs verkaufen wollte, die eines Tages in seinem Dorf Llano Rico auftauchte. Nach dem Mord gab Dias` Familie auf und floh. Heute wachsen auf dem Land der Vertriebenen Ölpalmen der Agrarsprit-Firma Urapalma, mit der die Paramilitärs zusammengearbeitet haben.

Große Regenwaldflächen sind in dem südamerikanischen Land inzwischen in Palmöl-Plantagen verwandelt worden, angeheizt durch den „Energiedurst“ in den Industriestaaten auf sogenannte „umweltfreundliche“ Energie aus nachwachsenden Rohstoffen. Der Boom hat katastrophale Konsequenzen für Tausende kolumbianische Kleinbauern. „Paramilitärische Gruppen gehen auf der Suche nach Land für Palmöl mit brutaler Gewalt vor“, berichtet der britische Entwicklungshelfer Dominic Nutt, der kürzlich Kolumbien besucht hat. „Sie sagen dem Kleinbauern einfach: Wenn du nicht verkaufst, verhandeln wir morgen mit deiner Witwe.“

Fast jeden Tag bringt heute irgendein PR-Dienst irgendwo auf der Welt einen Bericht, wonach gerade eine neue wunderbare grüne Ära anbricht - die Ära der Biotreibstoffe. Obwohl die Ölkonzerne das schwarze Gold noch lange aus dem Boden pumpen werden, besteht der ungeschriebene, globale Konsens, dass es dringend nötig ist, den Ölverbrauch zu drosseln. Das „böse“ Öl ist ganz schwer mitverantwortlich für Umweltverschmutzung, schlechte Luft, Krankheiten und vor allem - die Klimakatastrophe.

Gottlob hat die Menschheit einen Ausweg aus diesem Desaster gefunden: Nachwachsende Rohstoffe wie Palmöl, Mais, Soja oder Zuckerrohr, mit denen unsere Häuser beheizt, unsere Einkaufspassagen erleuchtet und unsere Autos mit Allradantrieb und Klimaanlage betrieben werden können. Treibhausgase würden deutlich reduziert, wenn unsere Autos mit Biosprit fahren, bei dem die Pflanzen das ausgestoßene CO2 vorher gebunden haben. Länder ohne eigene Ölproduktion würden in Sachen Energie unabhängiger, Kleinbauern hätten ein Einkommen, weil sie ihre Energiepflanzen auf dem Weltmarkt anbieten könnten. Arme Länder würden plötzlich reich, weil sie ihre Energie vom Acker überall auf der Welt anbieten könnten.

Alles eine gigantische, globale Lüge! Tatsächlich ist schon die Bezeichnung „Bioenergie“ bewusste Manipulation. Die Vorsilbe suggeriert, dass die Produkte organisch und umweltfreundlich erzeugt werden. Der Begriff „Agrarenergie“ beschreibt viel treffender die zerstörerischen Prozesse, die mit der industriellen landwirtschaftlichen Energieproduktion verbunden sind.

Agrarenergie rettet nicht das Klima, sondern zerstört Regenwälder, Savannen und Moore und heizt damit die Klimakatastrophe sogar zusätzlich an. Kleinbauern und Indigene werden teils brutal von ihren Ländereien vertrieben. Als Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau verschärft Agrarenergie den weltweiten Hunger und wird zum sozialen Sprengsatz. Die Gentechnik-Industrie träumt endlich vom globalen Durchbruch und schmiedet gemeinsam mit Öl-, Pestizid-, Saatgut- und Autokonzernen an einem globalen Energiekartell, das Milliarden an Subventionen erhält. Obwohl inzwischen Hunderttausende Ethanol- und Palmölsklaven im Namen des Agrarenergie-Booms schuften, wird eine größere Unabhängigkeit vom Erdöl trotzdem mitnichten erreicht.

Bio, Business oder Big Bio-Business?
Die Hoffnung, Energie aus nachwachsenden Rohstoffen könne die Macht der Öl-, Energie- und Autoindustrie brechen, ist eine naive Ansicht. Der Agrarsprit-Boom wurde nicht ausgelöst von Umweltaktivisten oder Politikern, die ein echtes Interesse daran haben, die Klimakatastrophe und Umweltzerstörung zu verhindern. Die Lawine losgetreten haben die weltweit mächtigsten Multis und ihre politischen Lakaien.

Mit dabei sind riesige Konzerne aus der Öl-, Auto-, Chemie- und Gentechnik- Industrie und globale Investment-Fonds. Nahrungsmittelmultis wie Cargill und Archer Daniels Midland Company (ADM) kontrollieren schon heute die Lebensmittelproduktion in weiten Teilen der Erde. Die Agrarenergie eröffnet ihnen zusätzliche Märkte. Superkonzerne wie Monsanto, Syngenta, Bayer und BASF investieren wie wild in Agrarpflanzen, die den Anforderungen der Agrarsprit- Produzenten entsprechen. Noch gezieltere und höhere Erträge verspricht die Gentechnik-Industrie.

Für die Ölkonzerne ist der Boom ein gefundenes ökonomisches Fressen. Einerseits können sie ihre Petrodollars in die Zukunftsbranche Agrarsprit investieren, andererseits können sie in ihrem angestammten Business weitermachen, weil auch die Nachfrage nach fossilen Rohstoffen laut diversen Prognosen steigen wird. Für die Automobilindustrie ist der Agrarsprit-Boom die perfekte Ablenkung von Forderungen, endlich spritarme Autos zu produzieren oder sogar weniger Pkw als bisher. Abgerundet wird der Agrarsprit-Boom durch Investment- Unternehmen, die die Branche mit ausreichend Kapital füttern.

Es herrscht Goldgräberstimmung wie zu Rockefellers Zeiten. Der Ölkonzern BP kooperiert mit dem chemischen und biotechnologischen Unternehmen DuPont, um eine neue Generation von genmanipuliertem Pflanzenkraftstoff zu entwickeln. Toyota arbeitet mit BP in Kanada daran, Ethanol aus Zellulose herzustellen. VW hat einen Vertrag mit ADM abgeschlossen. Royal Dutch Shell ist dabei, eine zweite Generation von Agrartreibstoffen zu entwickeln, und versucht sich an Ethanol aus Lignin und Zellulose. Und Cargill, der Aground Nahrungsmittelriese, hat begonnen, selbst Pflanzendiesel herzustellen.

Aus deutschen Landen frisch in den Tank - das ist der Trend. Die Verbio AG verwandelt hauptsächlich Rapsöl in Agrardiesel, arbeitet aber an Verfahren, um verstärkt Soja- und Palmöl verwenden zu können. Andere deutsche Unternehmen investieren in Holland und Belgien, die mit ihren Häfen Rotterdam und Antwerpen die größten europäischen Umschlagsplätze für Agrarsprit werden wollen. E.ON und RWE planen den Bau kombinierter Steinkohle- und Biomassekraftwerke. Die Südzucker-Tochter CropEnergies errichtet eine Ethanolfabrik im belgischen Wanze.

Mitte August 2007 teilte das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) in Münster mit, in Deutschland würden immer mehr Produktionsanlagen zur Herstellung von Agrardiesel errichtet, die Kapazitäten würden in diesem Jahr auf ein Rekordniveau steigen. Nach einer aktuellen Analyse seien für das laufende Jahr zusätzliche Anlagen mit einer Jahreskapazität von 1,54 Millionen Tonnen geplant, so das IWR. Die gesamte Kapazität zur Produktion von Agrardiesel steige bis Ende des Jahres um über 40 Prozent auf rund 5,4 Millionen Tonnen (2006: 3,8 Millionen Tonnen).

Frankenstein-Sprit
Die großen Gewinner des landwirtschaftlichen Jahrhundertbluffs „Bioenergie“ sind die Gentech-Konzerne. Während Genfood bis heute von den meisten Verbrauchern abgelehnt wird, können sich Automotoren nicht wehren. Mit genmanipulierten Rohstoffen zur Agrarenergiegewinnung versucht die Branche hoffähig zu werden. Unter Beteiligung von BASF Plant Science experimentieren Forscher beispielsweise mit genmanipulierten Manioksorten, die höhere Stärkeanteile produzieren. Die Zulassung der Gensorten wird die industrielle Maniokproduktion zur Energieerzeugung in vielen tropischen Regionen forcieren. Dem traditionellen Anbau dieses Grundnahrungsmittels hingegen droht die Verdrängung.

In den USA sind 70 Prozent der Mais- und Sojapflanzen gentechnisch verändert. In Südamerika dominiert Monsanto den Markt mit seinem genmanipulierten Soja, das resistent ist gegen „Roundup“, ein Herbizid, das krebsfördernd ist und Missbildungen hervorruft. Die Gentech-Konzerne testen längst Sorten, die speziell für die Produktion von Agrartreibstoffen entwickelt wurden. Syngenta hat in die Maissorte 3272 das Enzym Alpha-Amylase eingepflanzt, ein starkes Allergen. Gelangen die Gene dieses Enzyms in die Nahrungskette, wäre das ein Super-GAU.

Die Millionen Kleinbauern, die angeblich vom Agrarenergie-Boom endlich zu Wohlstand kommen, sucht man vergebens in dem neuen Big Business. Stattdessen beherrschen global agierende Konzerne, milliardenschwere Investoren und Großgrundbesitzer den Markt, die es längst zu Reichtum gebracht haben. Trotzdem erhält der Agrartreibstoffsektor weltweit so viele Subventionen aus öffentlichen Geldern wie kaum eine andere Branche. Die „Global Subsidies Initiative“ hat errechnet, dass allein die US-Steuerzahler den Agrosprit-Boom mit jährlich rund 5,5 bis 7,3 Milliarden US-Dollar subventionieren.

Auch die Bundesregierung, die EU und wir Verbraucher subventionieren die Produktion und den Einsatz von „Agrarkraftstoffen“ oder zahlen künstlich erhöhte Endpreise. Ende Juli 2007 mahnte ausgerechnet der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine Umkehr in der Förderpolitik an, das Gremium wurde pikanterweise von der Bundesregierung selbst eingerichtet. „Der vielfach verbreitete Eindruck, Biomasse könne in absehbarer Zeit einen großen Teil der fossilen Brennstoffe - klimafreundlich - ersetzen, ist wissenschaftlich nicht tragbar“, schreiben die Sachverständigen in einem Sondergutachten und kritisieren die bestehenden Subventionen für Agrarenergie.

Klimaschutz durch Klimakiller
Agrarenergie bremst nicht den Klimawandel, sie heizt ihn kräftig an. Allein durch das Abfackeln von Regenwäldern und Torfgebieten in Südostasien, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen, werden Megatonnen CO2 freigesetzt, bevor auch nur ein Gramm CO2 bei uns eingespart werden kann.

In Brasilien, das weltweit führend in der Produktion von Ethanol als Treibstoff ist, stammen 80 Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen nicht vom Autoverkehr, sondern von Brandrodung und Abholzung, teils als Folge der Ausweitung der Soja- und Zuckerrohrplantagen.

Schon heute ist ein wesentlicher Grund für die Klimakatastrophe das Agrobusiness selbst und das damit verbundene globale Ernährungssystem. Die Landwirtschaft ist für 14 Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Wichtigster Einzelgrund ist der Einsatz gigantischer Mengen Kunstdünger, wodurch permanent Stickoxide in die Atmosphäre gelangen, die sogar noch wesentlich schädlichere Klimagase sind als CO2.

Laut „Stern Review“, eine Studie zu Ökonomie und Klimawandel im Auftrag der britischen Regierung, werden die gesamten Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft bis zum Jahr 2020 um etwa 30 Prozent ansteigen. Die sogenannten Entwicklungsländer werden ihren Verbrauch von chemischen Düngemitteln während desselben Zeitraums verdoppeln, Folge auch des Agrarenergie- Booms. Die Klimakatastrophe ausgerechnet mithilfe der Agrarindustrie bekämpfen zu wollen, ist wie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben - vielleicht noch schlimmer.

Die Erdöl-Lüge
Immerhin befreit uns die Agrarenergie von der Geißel Erdöl, die uns seit Jahrzehnten erpressbar macht, so die Befürworter der „grünen“ Revolution. Wenn sich jemand mit Erdöl auskennt, dann sind es die Ölkrieg führenden Experten um Bush und Co. Laut Daten des „International Energy Outlook“ der US-Regierung aus 2006 steigt der globale Energieverbrauch zwischen 2003 und 2030 um 71 Prozent. Der Verbrauch an Erdöl werde um 50 Prozent steigen, der von Kohle, Erdgas und Erneuerbaren Energien sich jeweils nahezu verdoppeln, und die Nuklearenergie werde um ein Drittel wachsen. Nach dem US-amtlichen Bericht wird die Erneuerbare Energie inklusive Agrartreibstoffen 2030 nicht mehr als magere neun Prozent des globalen Energieverbrauchs ausmachen.

Völlig unrealistisch ist daher die Annahme, dass die weltweiten Acker den globalen Energieverbrauch decken können. Selbst wenn die USA ihre gesamte Mais- und Soja-Ernte in Agrarsprit verarbeiteten, könnten damit lediglich 12 Prozent des nationalen Benzinverbrauchs und nur sechs Prozent des nationalen Dieselverbrauchs gedeckt werden. Weshalb klar ist, dass die Agrotreibstoffdiskussion vor allem auf die sogenannten Entwicklungsländer abzielt.

Für die Weltbank mit ihrer lateinamerikanischen Tochter, die inter-amerikanische Entwicklungsbank, ist das größte südamerikanische Land, Brasilien, der ideale Ort für die Agrartreibstoffexpansion, weil es dort noch viel Platz für neue Anbauflächen gebe. Die Weltbank-Tochter rechnet mit 120 Millionen Hektar potenziell verwertbarem Ackerland. Ähnliche Berichte rechnen vor, dass Lateinamerika, Südostasien und Afrika zusammen rund 50 Prozent des global benötigten Agrartreibstoffs produzieren könnten, wenn man die dortigen „ineffektiven“ traditionellen Bauernkulturen durch industrielle, „effektive“ Agrarplantagen ersetze. Ein Vorgang, der beispielhaft bereits in Brasilien vorgeführt wird: Allein zwischen 1985 und 1996 wurden dort 5,3 Millionen Menschen von ihrem Land vertrieben - um Platz vor allem für Soja- und Eukalyptusplantagen sowie für Rinderweiden und Zuckerrohrplantagen zu schaffen.

Die Entwicklungshilfe-Lüge
Agrartreibstoffe bekämpfen nicht die Armut in den Ländern des Südens - sie bekämpfen vielmehr die Armen. Die große Mehrheit der Bauern dort besitzt nur wenig Land. Die Produktion auf kleinen Flächen zur Deckung des weltweiten Energiebedarfs ist nicht rentabel. Für Agrarkraftstoffe werden daher ganze Landstriche in industrielle Monokulturen umgewandelt. Das Geschäft machen Konzerne und Großgrundbesitzer. Die Folge sind schwerste Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen.

In Kolumbien wurden Dörfer von Flugzeugen und Hubschraubern aus bombardiert. Sobald die Überlebenden ihre Heimat verlassen haben, wird ihr Land konfisziert, der Wald abgeholzt und in Palmölplantagen verwandelt. Diese dienen dann der Produktion von pflanzlichem Diesel für die Reichen. Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen haben gewaltsame Vertreibungen und Drohungen durch die Agrarsprit-Mafia auch in Indonesien, Malaysia, Ecuador, Peru, Kamerun, Uganda und anderen Ländern des Südens dokumentiert.

In Tansania etwa sollen Tausende Kleinbauern aus elf Dörfern dem britischen Konzern „Sun Biofuels PLC“ weichen, der im Kisarawe-Distrikt an der Küste auf 9.000 Hektar Jatropha-Ölpflanzen anbauen will - es fehlt nur noch die formale Unterschrift von Präsident Jakaya Kikwete. Das Agrarenergie-Geschäft stinkt geradezu nach Korruption und ist offenbar so lukrativ, dass „Sun Biofuels PLC“ über 630 Millionen Dollar Entschädigungen an 2.840 Haushalte zahlen will.

Weiter nördlich geht es den letzten afrikanischen Elefanten in Äthiopien an den Kragen. Dort will die Münchener Firma „Flora Ecopower AG“ im offiziellen Schutzgebiet „Babile Elephant Sanctary“ Rizinusölpflanzen anbauen. Die Genehmigung für die Plantagen im Schutzgebiet mit noch rund 260 Elefanten erteilten die lokalen Behörden ohne Umweltverträglichkeitsprüfungen für 45 Jahre. Ein Firmensprecher verteidigt das Agrarsprit-Projekt als „neues Konzept der Entwicklungshilfe“.

Benzin statt Brot
„Die Produktion von Agrartreibstoffen kann weltweit zu Hunderttausenden zusätzlichen Hungertoten führen“, warnte im Juni 2007 Jean Ziegler, UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung. Der bekannte Soziologe und frühere Schweizer Parlamentarier beschuldigt die EU, Japan und die USA der „totalen Heuchelei“, weil sie Agrartreibstoffe förderten, um ihre eigene Abhängigkeit von Ölimporten zu verringern. Dadurch erhöhe sich der Druck auf Land, das für Nahrungsmittelproduktion benötigt werde.

Weil weltweit immer mehr Nahrungsmittel zur Energiegewinnung verbrannt werden, hungern noch mehr Menschen auf der Erde. Die Ärmsten der Armen können finanziell mit Autobesitzern nicht konkurrieren. Der mexikanische „Tortilla-Krieg“ lieferte dafür bereits ein Beispiel. Aufgrund der Verteuerung von Importmais verdoppelte sich in Mexiko der Preis für Maismehl und die daraus hergestellten Tortilla-Fladen, dem Hauptnahrungsmittel der armen Bevölkerung.

US-Agronomen haben berechnet, dass bei fortgesetzter Verbrennung von Nahrungspflanzen die Zahl der Hungernden von rund 850 Millionen auf 1,2 Milliarden Menschen im Jahr 2025 steigen könnte. Das Getreide, das umgewandelt in Ethanol zur Füllung des Tanks eines Oberklassewagens notwendig ist, kann einen Menschen während eines ganzen Jahres ernähren. In Indonesien kochen inzwischen immer mehr Menschen mit gebrauchtem Pommesfett, weil sie sich das traditionell verwendete und nährstoffreiche Palmöl nicht mehr leisten können, seit der Palmölpreis im Zuge der Agrarsprit-Revolution sprunghaft angestiegen ist.

Agrartreibstoffe konkurrieren mit Nahrungsmitteln nicht nur um Land, sondern auch um das Wasser, das die Ackerfrüchte zum Wachsen brauchen. Das internationale Wasser-Management- Institut kalkuliert, dass in einem Land wie Indien jeder Liter Zuckerrohr-Ethanol 3.500 Liter an Wasser verbraucht.

Mitte August 2007 legten Forscher auf der Internationalen Wasserwoche in Stockholm Studien vor, die eindeutig belegen: Weltweit ist nicht ausreichend Wasser vorhanden, um den Bedarf an Lebensmitteln zu decken und außerdem große Mengen Pflanzen für die Gewinnung von Agrarsprit anzubauen.

Todes-Sprit
Obwohl auch die Ethanol-Produktion sehr wasserintensiv ist, hat US-Präsident Bush im Frühjahr 2007 ein historisches Bündnis mit dem brasilianischen Präsidenten Lula geschlossen: eine „OPEC des Ethanols“. Die Zuckerrohrbarone klatschen seitdem in die Hände und träumen von einer 55-prozentigen Steigerung der Anbauflächen, um die Nachfrage aus Europa und den USA abzudecken. Rund 200.000 Migranten aus Brasiliens Nordosten schneiden pro Saison im Süden das Zuckerrohr mit Macheten - 12 Stunden am Tag, in der prallen Sonne und für einen Hungerlohn. Jedes Jahr sterben Dutzende dieser „Ethanol-Sklaven“ an Erschöpfung oder Hitzschlag.

Frei Betto, brasilianischer Befreiungstheologe, Bestsellerautor und Zeitungskolumnist, spricht schlicht von „Todes- Sprit“. Der Zuckerrohranbau in Brasilien beruhe seit der Kolonialzeit auf extremer Ausbeutung, Umweltvernichtung und Abzweigung öffentlicher Gelder.

Der Boom beim Zuckerrohranbau bewirkt laut Frei Betto eine gewaltige Binnenmigration, Slumwachstum, die Zunahme von Morden und Rauschgifthandel sowie Kinderprostitution. „Weil sich der Sojaanbau im Südosten Brasiliens durch die Ethanolproduktion verringert, kommt es zu einer starken Ausweitung der Sojaflächen in Amazonien. Und dies bedeutet rücksichtslose Urwaldzerstörung.“

Frei Betto fordert deswegen die Lula-Regierung auf, sich um die Hungernden des Landes zu kümmern, anstatt die Zuckerrohrbarone noch reicher zu machen.

Die BtL-Lüge
Die Wunderwaffe der Agrarsprit-Fetischisten heißt BtL - „Biomass to Liquid“. Doch die als besonders ökologisch propagierte zweite Generation von Agrartreibstoffen, hergestellt aus den Pflanzenresten der land- und forstwirtschaftlichen Produktion, ist keine ökologische Wunderwaffe, sondern eine zusätzliche ökologische Gefahr. Alle Biomasse, die zum Beispiel für die Ethanolproduktion verbrannt wird, kehrt nicht mehr in die Erde zurück. Die ohnehin durch die agro-industrielle Landwirtschaft verarmten Böden werden dadurch noch stärker erodiert und benötigen eigentlich die organischen Reststoffe zur Regeneration.

Jede Sekunde werden schon heute 2.420 Tonnen Boden in die Weltmeere gespült. Was das bedeutet, spüren vor allem diejenigen Ureinwohner und Kleinbauern weltweit, die seit Generationen ihre Böden angepasst bewirtschaften.

Immer heftiger werden ihre Vorbehalte gegen den Agrarenergie-Boom. Anfang Juli 2007 protestierten Indigenenvertreter in Paris auf einer Tagung der „Convention on Biodiversity“ gegen die aggressive Vermarktung von Agrarenergie. Durch die riesigen Monokulturen würden systematisch indigene Rechte verletzt, die Armut verstärkt, die Artenvielfalt zerstört und traditionelle Kulturen vernichtet. Anfang 2007 forderten lateinamerikanische Umweltgruppen in einem offenen Brief an die Europäische Union: „Wir wollen Ernährungssouveränität, keine Biotreibstoffe. Der durch die Länder des Nordens verursachte Klimawandel lässt sich nicht dadurch aufhalten, dass nun neue Probleme in unserer Region geschaffen werden.“ Auch die brasilianische Landlosenbewegung MST und das weltweite Netzwerk Vía Campesina warnen: „Wir können keine Tanks füllen, während Mägen leer bleiben.“ Beim Sozialforum in Mali im Februar 2007 schließlich sagten Hunderte von Aktivisten den Monokulturen der Energiepflanzen, den sogenannten „Grünen Wüsten“, den Kampf an. In Europa haben vor wenigen Wochen über 100 Umweltgruppen von der EU ein sofortiges Moratorium für Agrarkraftstoffe gefordert.

Nachdruck aus dem „Regenwald Report 3/2007“, http://www.Regenwald.org