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[SWB 01/2022] Ampelkoalition

CBG Redaktion

Eine gute Wahl für BAYER

Mit der Losung „Mehr Fortschritt wagen“ treten SPD, Grüne und FDP an. Für mehr Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit steht die Ampel jedoch auf Rot. Eine grüne Welle gibt es nur für die Wunsch-Vorhaben der Industrie. Dementsprechend zufrieden zeigen sich BAYER & Co.

Von Jan Pehrke

„Das richtige Signal für die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft“ geht für BAYER-Chef Werner Baumann von dem Ampel-Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ aus. Jetzt komme es auf die konkrete Ausgestaltung an, erklärte er gegenüber dem Handelsblatt. Aber auch da kann der Große Vorsitzende nicht meckern. So erweist das Klimaschutz-Kapitel des Koalitionsvertrags zunächst einmal den Konzernen seine Reverenz. „Unsere Wirtschaft legt mit ihren Unternehmen, den Beschäftigten sowie Verbraucher-innen und Verbrauchern die Grundlage für unseren Wohlstand“, lautet der erste Satz. Blöd nur, dass „unsere Wirtschaft“ mit ihrem Treibhausgas-Ausstoß auch die Grundlage für eine Gefährdung des Ökosystems „Erde“ legt. Also muss nach dem Willen der AmpelkoalitionärInnen eine Art von Abhilfe her, welche BAYER & Co. schont. Deshalb federn sie die geplanten Maßnahmen entsprechend ab. „Um unsere heimische Industrie, insbesondere die Grundstoff-Industrie, zu unterstützen, werden wir in dem für die Erreichung der Klimaziele ausreichendem Maße geeignete Instrumente schaffen“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Klimaschutz
Im Einzelnen planen die drei Parteien, den Ausstieg aus der Kohle vorzuziehen. „Idealerweise gelingt das schon bis 2030“, formulieren sie vorsichtig und bauen sicherheitshalber mit der „Errichtung moderner Gaskraftwerke“ vor. Zudem beabsichtigen Scholz & Co., bis zum Jahr 2030 80 Prozent des Strombedarfs mit Erneuerbarer Energie zu decken – trotz eines prognostizierten Mehrbedarfs von 20 bis 30 Prozent. Dazu möchten sie den Ausbau von Windkraft & Co. beschleunigen und die entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren einfacher gestalten. Das bleibt jedoch nicht auf Rotoren und Sonnenkollektoren beschränkt und trägt damit einer langjährigen Forderung der Industrie nach einer „Entbürokratisierung“ der verwaltungstechnischen Prozesse Rechnung. Entsprechend angetan zeigten sich BAYER & Co. von dem, was die FAZ einen „Turbo für Großprojekte“ nennt.

Dabei kommt allerdings so einiges unter die Räder. So scheut die neue Regierung nicht vor „Legalplanungen“ zurück, also davor, Vorhaben einfach per Gesetz zu genehmigen, statt sie den langen Marsch durch die Institutionen gehen zu lassen. Überdies hat sie vor, sich ins Reich der juristischen Spekulation zu begeben. Sie will „für solche Projekte unter gewissen Voraussetzungen eine Regelvermutung für das Vorliegen der Ausnahme-Voraussetzungen des Bundesnaturschutz-Gesetzes schaffen“. „Klimaschutz vs. Artenschutz“ – so lautet die neue Frontstellung. Auch die BürgerInnen-Beteiligung muss zurückstehen. Das Recht auf Einwendungen schleift die Regierung Scholz gehörig. Projekte wie die Kohlenmonoxid-Pipeline und der Autobahn-Ausbau in Leverkusen inklusive neuer Rheinbrücke und Öffnung der ehemaligen BAYER-Deponie „Dhünnaue“ dürfte jetzt erheblich leichter grünes Licht bekommen.

Über eine im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführte Abgabe hat sich neben den Privathaushalten auch die Industrie an den Kosten für Windparks, Sonnenenergie- und Photovoltaik-Infrastruktur beteiligt, in geringerem und in BAYERs Fall noch einmal reduzierten Maße zwar (siehe S. 10 ff.), aber immerhin. Selbst das erspart ihr Rot-Grün-Gelb nun. „Um (...) für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energie-Preise zu sorgen, werden wir die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strom-Preis beenden. Wir werden sie daher zum 1. Januar 2023 in den Haushalt übernehmen. Die Finanzierung übernimmt der EKF (Energie- und Klimafonds, Anm. SWB), der aus den Einnahmen der Emissionshandelssysteme (BEHG und ETS) und einem Zuschuss aus dem Bundeshaushalt gespeist wird“, kündigt der Koalitionsvertrag an.
Dem Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten waren ursprünglich noch ganz andere Aufgaben zugedacht. Er sollte den Ausstoß von CO2 so teuer machen, dass es den Multis Anreize für das Errichten saubererer Anlagen bietet. Doch dafür kosten die Zertifikate zu wenig. So kommt es die Konzerne billiger, die CO2-Lizenzen zu erwerben, als in klima-freundlichere Fabriken zu investieren. „Die Industrien schieben Neuinvestitionen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf“, konstatiert die im Auftrag der NRW-Grünen erstellte Studie „Wie kann Nordrhein-Westfalen auf den 1,5-Grad-Pfad kommen“. Die Untersuchung, die Agora Energiewende und die Unternehmensberatung ROLAND BERGER in Tateinheit mit BAYER, BASF, BP, SIEMENS und anderen Firmen erstellt haben, drückt es ein wenig vornehmer aus und spricht von „Investitionsattentismus“. Darum hilft die Ampel den Unternehmen nun freundlicherweise mit Klima-Verträgen („Carbon Contracts for Difference“) aus, „um so insbesondere auch die Wirtschaftlichkeitslücke zu schließen“. Das Geld dazu stellt wieder der Energie und Klimafonds bereit. 60 Milliarden Euro fließen per Nachtragshaushalt in diesen Topf. „Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 erhöht die verfügbaren Mittel für die aus dem Sondervermögen ‚Energie- und Klimafonds’ finanzierten Maßnahmen, von denen viele den Wirtschaftsunternehmen zugutekommen“, heißt es in dem Paragrafen-Werk. Zudem garantiert die Bundesregierung „sichere Absatzmärkte für klima-freundliche Produkte durch Mindestquoten in der öffentlichen Beschaffung“.

Die Vorgänger-Regierung hatte 2019 mit ihrem Klimaschutz-Gesetz nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Felder „Verkehr“, „Gebäude“, „Energie“, „Landwirtschaft“ und „Abfall“ verbindliche Reduktionsvorgaben gemacht – inklusive einer jährlichen Überprüfung. Den Grünen reichte das ursprünglich jedoch nicht. In ihrem Wahlprogramm formulierten sie die Erfordernis, die Regularien „nachzuschärfen“. Davon lassen sie jetzt jedoch ab. Und Die Zeit weiß auch den Grund: „Da die Klimaschutz-Maßnahmen der neuen Koalition nicht unmittelbar zu einer Senkung der Emissionen führen, werden in den kommenden Jahren wohl viele Sektoren ihre Ziele verfehlen. Nun allerdings wären es grüne Minister, die die Misserfolge erklären müssten, was die Partei-Führung offenbar vermeiden wollte. Annalena Baerbock soll diese Überlegung in mehreren internen Gesprächen zum Ausdruck gebracht haben.“ Von einem Klimaministerium mit Vetorecht ist auch nichts geblieben. Olaf Scholz sprach in seiner Regierungserklärung zwar noch von einer „zentralen Querschnittsaufgabe“, an der sich die Ampelkoalition messen lassen will, aber die Evaluation erfolgt dezentral ohne grüne Oberaufsicht. Den Klima-Check für alle Gesetze führen jetzt die jeweis verantwortlichen Ministerien durch.

Dementsprechend enttäuscht zeigte sich die grüne Basis von den Vereinbarungen. „Die versprochenen Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens sind unmöglich zu erreichen“, resümiert der Aufruf „Mehr grün wagen“. Und die Grüne Jugend konstatiert bei aller Notwendigkeit, auf die Koalitionspartner zuzugehen: „Aber klar muss sein, mit dem Klima kann man nicht einfach so Kompromisse machen“. Auch in Zahlen fiel die Reaktion der Partei auf das Verhandlungsergebnis verhalten aus. Nur 57 Prozent der Mitglieder beteiligten sich überhaupt an der Urabstimmung über den Koalitionsvertrag, und 86 Prozent von ihnen votierten dann für „Ja“. Fridays For Future war ebenfalls nicht gerade begeistert. „Während die Welt auf knapp drei Grad Erhitzung hinsteuert, verfehlt der Vertrag von SPD, Grünen und FDP noch vor Amtsantritt die eigenen Versprechen zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Trotzdem feiern wir nach 154 Wochen Klimastreiks auch Erfolge der Klima-Bewegung wie den Kohle-Ausstieg 2030“, heißt es in einer Erklärung der Organisation.

Viel mehr zu feiern hatten allerdings BAYER & Co. So begrüßte der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) in seiner Stellungnahme zum Koalitionsvertrag den Entschluss der Bundesregierung, den Unternehmen bei der CO2-Reduktion nicht mehr so genau auf die Finger zu schauen. In der „Abkehr vom ineffizienten Mikro-Management einer Nachjustierung jährlicher Sektor-Ziele“ sah der Verband „das richtige Signal“. Auch freute ihn, „dass das Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 „weich“ ausgestaltet ist (‚idealerweise’)“ und der Ampelkoalition „Erdgas als Brücken-Technologie“ gilt. Dem Verband kommt es in Sachen „Energie“ nämlich zuvörderst auf die Versorgungssicherheit an – und auf die Strom-Kosten. In diesem Zusammenhang lobt er SPD, Grüne und FDP sehr dafür, die „Wettbewerbsfähigkeit“ ernst genommen zu haben und nennt als Beispiele die Streichung der EEG-Umlage und die Reform der Netz-Entgelte. Die Klimaschutz-Verträge gefallen dem BDI natürlich ebenfalls, allerdings haben die Kontrakte für ihn zu viel mit dem Klimaschutz zu tun. Die „Knüpfung von Industrie-Entlastungen an die Umsetzung wirtschaftlicher Energieeffizienz-Maßnahmen“ schätzt er deshalb entsprechend kritisch ein.

Beim „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) fällt die Bewertung der entsprechenden Passagen des Koalitionsvertrags ähnlich aus. „Wir sehen noch keinen Booster, aber viele gute Ansätze, die Transformation der Industrie aktiv zu flankieren“, so der VCI-Hauptgeschäftsführer und ehemalige BAYER-Manager Wolfgang Große Entrup. Namentlich erwähnt der Verband dabei den Energie- und Klimafonds, die Klima-Verträge, den Wegfall der EEG-Umlage und das „Vorhaben, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu halbieren“.

Nur Risiken, keine Gefahr
So wenig, wie der Koalitionsvertrag für eine Klima-Wende steht, so wenig steht er für eine Agrar-Wende. Die Vereinbarung bekennt sich zwar zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, bleibt aber, was die Umsetzung angeht, vage. So wollen die drei Parteien „den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern und die Entwicklung von natur- und umweltverträglichen Alternativen fördern“, kündigen aber keine konkrete Maßnahmen dazu an. Eine Pestizid-Steuer etwa, wie sie viele Umweltverbände als Instrument für einen Kurswechsel fordern, findet sich in dem Dokument nicht. In Sachen „doppelte Standards“ erwägen die AmpelkoalitionärInnen zumindest eine Regelung. „Wir werden von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, den Export von bestimmten Pestiziden zu untersagen, die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind“, kündigen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP an. Aber nicht nur, weil es diese Möglichkeit mit dem Paragraf 25 des Pflanzenschutzgesetzes eigentlich schon gibt (siehe S. 24 ff.), bleibt dieser Vorstoß mit Fragezeichen behaftet. Klartext spricht der Koalitionsvertrag im Pestizid-Kapitel nur einmal. „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt“, heißt es auf Seite 46.
Die Agro-Gentechnik erwähnt die neue Bundesregierung in dem Schriftstück mit keinem Wort. Stattdessen spricht sie nur nebulös von der Züchtung klima-robuster Pflanzensorten, die sie zu unterstützen gedenkt, von der zu gewährenden Transparenz über Züchtungsmethoden und der zu stärkenden Risiko- und Nachweis-Forschung.

In anderen Bereichen fühlen sich Scholz & Co. durch die aktuellen Entwicklungen beflügelt, offener zu reden. „Deutschland hat die Chance, zum international führenden Biotechnologie-Standort zu werden. Durch den ersten mRNA-Impfstoff aus Mainz hat unser Land weltweite Sichtbarkeit erlangt. Damit ist eine Leitfunktion für die wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Biotechnologie verbunden“, verkünden sie. Die Ampel stand hier offensichtlich auf Gelb und gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf die künftig unter FDP-Ägide stehende Forschungspolitik.

Ganz ähnlich hatte sich zu dem Thema jüngst BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich vernommen. „Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt. Diese Pandemie hat vielen Menschen die Augen für Innovationen in einer Weise geöffnet, die vorher nicht möglich war“, sagte er bei einer Veranstaltung in Berlin.

Selbstredend freuen sich „Bundesverband der Deutschen Industrie“ und der „Verband der Chemischen Industrie“ in ihren Stellungnahmen zum Ampelvertrag wie Bolle über den Auftrieb, den die Gentechnik in Zeiten von Corona bekommen hat. Und dass die Koalition sich generell so zukunftszugewandt wie wagemutig gibt und „künftig neben dem Vorsorge-Prinzip auch Innovationspotenziale konsequent miterfassen will“, trifft beim BDI natürlich auch auf breite Zustimmung. Ebenso angetan zeigt er sich von der Absicht der Dreier-Koalition, das Gefährdungspotenzial von Substanzen auf Basis des Risikos zu beurteilen. „Eine Bewertung allein auf Basis von Gefahren-Eigenschaften wäre nicht zielführend und innovationsfeindlich“, hält der Verband fest.

Eine Prüfung der Stoffe auf Grundlage der „Gefahr“ unterscheidet sich nämlich maßgeblich von einer solchen auf der Grundlage des „Risikos“. Eine Bewertung anhand der Gefahr nimmt allein die Eigenschaften des Produkts in den Blick, eine anhand des Risikos berücksichtigt indes das Ausmaß, in dem Mensch, Tier und Umwelt der Chemikalie ausgesetzt sind. Während die Gefahr einer Substanz also immer absolut gilt und keine Grenzen kennt, ist das Risiko immer relativ. Es ist unter anderem von der Wirkstärke abhängig. Und als Maß der Dinge kommt so der Grenzwert ins Spiel, der das Höchstmaß der Belastbarkeit anzeigt. Solche Limits treffen auf die – zähneknirschende – Zustimmung von BAYER & Co., erlauben diese ihnen doch, ihre Waren auf den Markt zu bringen und zu halten. Und genau darum ist es dem BDI zu tun: „Um innovative Lösungen und gesellschaftlich relevante Technologien entwickeln und einsetzen zu können, muss es auch künftig möglich sein, gefährliche Chemikalien herzustellen und zu verwenden.“
Der VCI begrüßt derweil das „klare Bekenntnis für eine innovative Gesundheitswirtschaft als Garant für medizinischen Fortschritt, Beschäftigung und Wohlstand“. Für den Verband hat gerade die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig ein starker Pharma-Standort Deutschland ist. Deshalb behagt ihm die versprochene Stärkung im Prinzip auch. „Diese sollte aber nicht durch Subventionen, sondern durch wettbewerbsfähige Produktions- und Erstattungsbedingungen erreicht werden. Vor diesem Hintergrund sind die Fortschreibung des Preis-Moratoriums und die Verkürzung der freien Preissetzung für innovative Arzneimittel ein falscher Weg“, kritisiert der „Verband der Chemischen Industrie“. Dabei kann er sich über den Erfolg seiner Lobby-Arbeit eigentlich gar nicht beklagen. Im ursprünglichen Entwurf des Koalitionsvertrages hätten BAYER & Co. den Krankenkassen noch einen Rabatt von 16 Prozent auf patent-geschützte Arzneimittel einräumen müssen. „Doch diese Passagen aus dem ersten Entwurfspapier haben die Parteien auf den letzten Metern noch gestrichen“, wie die Pharmazeutische Zeitung berichtete. Jetzt heißt es nur noch: „Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittel-Preise.

Der Mann, der die Gesundheitspolitik in Zukunft verantwortet, ist ein alter Bekannter von BAYER. Karl Lauterbachs Wahlkreis liegt nämlich in Leverkusen. Der Sozialdemokrat stand sogar schon einmal in Diensten des Konzerns. In einer Studie stellte er dem Cholesterinsenker LIPOBAY, den das Unternehmen später wegen seiner Risiken und Nebenwirkungen vom Markt nehmen musste, ein gutes Zeugnis aus. „Die frühen Hinweise darauf, dass LIPOBAY möglicherweise gefährlich war, nahm Lauterbach damals ebenso wenig wahr, wie es seine Auftraggeber taten“, befand der Spiegel. Andere Medikamente des Global Players kamen bei ihm allerdings nicht so gut weg. So monierte er in einer für die Barmer Ersatzkasse durchgeführten Untersuchung die Praxis der MedizinerInnen, bei Bluthochdruck Kalzium-Antagonisten wie ADALAT zu verschreiben statt der preiswerteren und mindestens ebenbürtigen Entwässerungstabletten. Den Krebs-Arzneien von BAYER & Co., die irre viel Geld verschlingen und das Leben der PatientInnen doch oft nur wenige Monate verlängern, widmete der Mediziner ein ganzes Buch. Aber auch zur allgemeinen Geschäftspolitik des Leverkusener Multis äußerte er sich. Im Jahr 2006 kritisierte er das Rationalisierungsprogramm beim CURRENTA-Vorgänger BAYER INDUSTRY SERVICES. „Politisch doppelzüngig, entlarvend und moralisch ein Armutszeugnis“ nannte der SPDler es und wusste auch um die Motive des Unternehmens: „Der kurzfristige Gewinn ist das Ziel, das ist die ganze Geschichte.“ Lauterbach wähnte sich wegen solcher und ähnlicher Einlassungen sogar auf der berühmt-berüchtigten Schwarzen Liste der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO. „Ich habe vor einigen Tagen Hinweise erhalten, dass MONSANTO auch über mich Dossiers in Auftrag gegeben hat.“ sagte er 2019.

Als fortschrittlichen Gesundheitspolitiker weist ihn seine Vergangenheit allerdings nicht aus. So befürwortete er die Schließung unrentabler Krankenhäuser, saß im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Kliniken und trat für Fallpauschalen ein. Eine dringend erforderliche Neuerung wird es in seiner Amtszeit schon einmal nicht geben: Die Bürgerversicherung. Dementsprechend erleichtert zeigt sich die FAZ. „Die Private Krankenversicherung kann dankbar sein, dass es die Linkspartei nicht in die Koalition geschafft hat. Denn sowohl die Linke als auch SPD und Grüne hatten die Einführung einer Bürgerversicherung angekündigt – mit der es der PVK an den Kragen gegangen wäre. Jetzt aber sichert die FDP den Fortbestand des dualen Systems.“

Die FDP sichert den Konzernen neben einer „Superabschreibung“ auch den Fortbestand der erweiterten Verlust-Verrechnung und zusätzliche Steuer-Einsparungen wie den Ausbau des Verlust-Vortrags. Aber nach Ansicht der Firmen hätte es noch ein bisschen mehr sein dürfen. „Im Koalitionsvertrag fehlt es an einem klaren Bekenntnis der Koalition zu einer wettbewerbsfähigen Besteuerung (fett im Original, Anm. SWB) der Unternehmen von maximal 25 Prozent“, moniert der BDI. Und dem „Verband der Chemischen Industrie“ schwant deshalb Schlimmes: Steuerpolitisch wird der Standort Deutschland aus Sicht des VCI mit dem Konzept des Koalitionsvertrages in den kommenden Jahren noch weiter im Standort-Wettbewerb zurückfallen.“

Bei den handelspolitischen Beschlüssen der Ampel liegt für die Verbände auch so einiges im Argen. Sie bekennen sich zwar grundsätzlich zur Verankerung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards in Handelsverträgen, aber die in der Vereinbarung diesbezüglich formulierten Kriterien für den Kontrakt der EU mit den Mercosur-Staaten sind nach dem Dafürhalten des BDI „so kategorisch formuliert, dass damit faktisch das Abkommen auf Eis gelegt wird“. Nach Meinung des Verbandes gelte es, wie auch in Sachen „Lieferketten“, vielmehr „die richtige Balance zwischen Prinzipien und Pragmatismus zu finden.
Durch andere Vorhaben sehen die Konzerne sich in ihrem Wachstum gestört. So stehen sie einer Erweiterung der Fusionskontrolle ebenso skeptisch gegenüber wie einer Entflechtung, der statt eines Machtmissbrauchs als ultima ratio schon die bloße Macht zum Eingreifen reicht. Dazu dürfte es freilich mit der FDP im Boot schwerlich kommen. Und all die anderen Pläne der Ampel sind auch nicht dazu angetan, den Kapital-Verkehr großartig zu behindern. Dafür nehmen SPD, Grüne und FDP der Konzern-Kritik eine wichtige Plattform. Die Parteien ermöglichen es den Unternehmen, ihre Hauptversammlungen auch ganz ohne Pandemie dauerhaft online abzuhalten und so vor UmweltschützerInnen, Klima-AktivistInnen, Gentech-GegnerInnen und anderen ins Virtuelle zu flüchten.

[Ticker 03/21] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion
BLOCK BAYER in Aktion Der BAYER-Konzern vertreibt in den Ländern der sogenannten Dritten Welt zahlreiche Pestizide, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben. Aus Protest dagegen haben AktivistInnen von BLOCK BAYER am 16. April 2021 zwei Verladestationen des Dormagener Chemie-„Parks“ besetzt, wo der Agro-Riese einige dieser Mittel wie z. B. Probineb produziert. „Es ist ein Skandal, dass ein deutscher Konzern im globalen Süden hochgefährliche Pestizide verkauft, die hier verboten sind. Das wollen wir hier deutlich machen und fordern, dass BAYER die Produktion hochtoxischer Pestizide stoppt“, erklärte eine Sprecherin von BLOCK BAYER. Toxic BAYER 256 Seiten stark ist das Schwarzbuch zu BAYER, das der französische Journalist Martin Boudot verfasst hat. Die ganze Geschichte des Leverkusener Multis floss in „Toxic BAYER“ ein; von den Anfängen über die Mittäterschaft im NS-Staat bis hin zum MONSANTO-Deal reicht der Bogen, den Boudot spannt. Dabei stützte er sich nicht zuletzt auf Informationen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), deren konzern-kritische Arbeit in dem Werk dann auch nicht zu kurz kommt. Patent-Krake BAYER BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe gentechnischer Methoden, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten. Dadurch droht die Kontrolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hände der Agro-Riesen zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert das Europäische Patentamt deshalb in einer Petition dazu auf, keine solchen Schutzrechte mehr zu erteilen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) unterstützt dieses Anliegen und unterzeichnete den Appell. Insgesamt kamen 196.000 Unterschriften zusammen. Mercosur-Abkommen stoppen! Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lehnt den Handelsvertrag ab, den die EU mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abschließen will. Dieser droht nämlich das agro-industrielle Modell in diesen Ländern noch einmal voranzutreiben. Und damit steigen auch die Risiken und Nebenwirkungen dieser Wirtschaftsweise wie mehr Monokulturen, mehr Pestizide und Gentechnik, mehr Vertreibungen von Indigenen und weniger Regenwald, denn die Übereinkunft verspricht den lateinamerikanischen Nationen einen erleichterten Zugang zum EU-Markt für ihre Agrar-Güter. Das wiederum erhöht die Absatz-Chancen und damit auch die Produktion – und die Nachfrage nach Glyphosat & Co. Aber BAYER würde nicht nur davon profitieren, sondern auch von den Gegenleistungen, welche die Mercosur-Mitglieder erbringen müssen, haben diese sich doch zur Senkung der Einfuhr-Zölle für Güter aus Europa verpflichtet. Brüssel erwartet durch die Reduktion der Sätze, die bisher für Autos 35 Prozent des Warenwerts, für Chemikalien bis zu 18 Prozent und für Pharmazeutika bis zu 14 Prozent betrugen, Einsparungen von rund vier Milliarden Euro für die EU-Unternehmen. Grund genug also für den Leverkusener Multi, trotz der desaströsen Folgen des Abkommens für Mensch, Tier und Umwelt für eine Unterzeichnung zu streiten. Und Grund genug für die CBG, Mercosur abzulehnen und den entsprechenden Aufruf des SEATTLE TO BRUSSELS NETWORK zu unterzeichnen. Hormongifte stoppen! Viele Pestizide von BAYER wie z. B. ARENA C, BALET oder CONSENTO wirken hormon-ähnlich und zählen deshalb zu den sogenannten endokrinen Disruptoren (EDCs). Diese können den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln und Krankheiten wie Krebs oder Diabetes auslösen. Darum appellierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gemeinsam mit den Gruppen HEJSUPPORT, WOMEN ENGAGE FOR A COMMON FUTURE (WECF) und dem PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN), welche die Initiative gestartet hatten, an die Bundesregierung, endlich zu handeln. „Das Fehlen dringend nötiger politischer Maßnahmen und der offensichtliche Schutz der Interessen einer starken Chemie-Industrie gefährden die Gesundheit jetziger und künftiger Generationen. Hier kann die Politik nicht tatenlos zusehen. Sie hat eine Verantwortung für die BürgerInnen, die sie erfüllen muss“, so Johanna Hausmann von WECF. Glyphosat stoppen! Die kanadische Grünen-Politikerin Jenica Atwin hat eine Initiative zum Stopp von Glyphosat ins Leben gerufen und einen Gesetzesvorschlag ins Parlament eingebracht. „Dieser Erlass ändert den Pest Control Products Act, um die Herstellung, den Besitz, die Handhabung, die Lagerung, den Transport, den Import, den Vertrieb und die Verwendung von Glyphosat zu verbieten“, heißt es in der „Bill C-285“. Dabei ist Atwin bewusst, dass sie einen langen Weg vor sich hat. „Es geht gegen die großen Industrien“, sagt sie: „Es wird eine Menge Hürden geben, aber es ist der Beginn einer Diskussion.“

KAPITAL & ARBEIT

Aufsichtsrat bekommt 19 Prozent mehr Der BAYER-Aufsichtsrat hat sich eine gewaltige Lohn-Erhöhung gegönnt. Die Bezüge steigen im Vergleich zu 2017 um rund 19 Prozent. Der oder die Vorsitzende des Gremiums erhält künftig ein Fix-Gehalt von 480.000 Euro, der oder die Vize-Vorsitzende schlappe 320.000 Euro. Das gemeine Aufsichtsratsmitglied kann auf einen Betrag von bis zu 360.000 Euro kommen, die Sitzungsgelder von 1.500 Euro pro Zusammenkunft noch nicht einmal mitgerechnet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Maßlosigkeit in einem Gegenantrag, den sie zur diesjährigen Hauptversammlung einreichte. „Diese Summen sind der arbeitenden Bevölkerung im Allgemeinen und den BAYER-Beschäftigten im Besonderen nicht zu vermitteln“, hieß es darin. Ohnehin liegen beim Leverkusener Multi Welten zwischen den ManagerInnen-Gehältern und denen der ArbeiterInnen und Angestellten. Nach einer Erhebung der „Hans-Böckler-Stiftung“ lag der Verdienst des BAYER-Vorstandsvorsitzenden im Jahr 2017 um den Faktor 58 über dem Durchschnittslohn der Belegschaft. Angehörige der Leitungsebenen strichen 41 Mal so viel ein und die Vorstandsmitglieder 24 Mal so viel. Auf der Hauptversammlung von 2009 hatte eine Vertreterin des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE die Vorstandsriege auf der Hauptversammlung einmal gefragt, ob sie bereit wäre, die eklatante Lohn-Spreizung erst einmal auf den Faktor 20 zurückzuführen. Sie erhielt jedoch eine schnöde Abfuhr. BAYERs damaliger Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Schneider sprach sich vehement gegen solche „statistischen Grenzen“ aus.

POLITIK & EINFLUSS

NRW will Steuer-Wettbewerb Im Jahr 2012 zog der BAYER-Konzern seine Patent-Abteilung aus Leverkusen ab und verlegte sie nach Monheim, das sich ihm mit der niedrigsten Gewerbesteuer ganz Nordrhein-Westfalens als gute Adresse für eine Briefkasten-Firma empfohlen hatte. Damit trat er einen gnadenlosen Unterbietungswettbewerb los. 2019 gab sich dann auch Leverkusen geschlagen. Die Stadt ließ sie sich in Kamin-Gesprächen auf einen Deal mit BAYER ein. Der Pillen-Produzent sagte die Rückverlagerung von Teil-Gesellschaften zu und erhielt im Gegenzug Hebe-Sätze auf Monheim-Niveau. Mit diesen Tarifen ging die Kommune sogar auf Werbetour und versuchte, Unternehmen aus dem Umland zu akquirieren. Das wiederum nahm die Landes-SPD zum Anlass für eine Kleine Anfrage im Landtag. „Wie will die Landesregierung den Gewerbesteuer-Kannibalismus verhindern?“, wollte sie wissen. Die Antwort lautete zusammengefasst: Gar nicht. Das Land NRW sieht anders als Brandenburg, wo Gemeinden mit hohen Gewerbesteuer-Einnahmen eine Umlage zahlen müssen, keinerlei Anlass, den ruinösen Konkurrenz-Kampf der Städte und Gemeinden um Industrie-Ansiedlungen zu beenden. Es benennt den Grund für die Misere von BAYERs Stammsitz zwar eindeutig: „Der Rückgang in Leverkusen stand in Zusammenhang mit dem vollständigen Verlust der Steuer-Einnahmen von dem bis dahin größten Gewerbesteuer-Zahler infolge der gezielten Verlagerung ausgewählter Geschäftsbereiche dieses Betriebs“, will aber nicht an der Ursache ansetzen. Stattdessen unterstützen CDU und FDP Leverkusen bei der Kapitulation vor dem Kapital bzw. dabei, „den Standort auch im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig zu machen und dadurch einerseits Steuer-Erträge ihres größten Gewerbe-Betriebs zurückzuerlangen und andererseits die bereits kommunizierte Abwanderung anderer Großsteuerzahler abzuwenden.“ Für immer virtuelle HVs Schon lange vor Corona hatten BAYER & Co. mit der Abkehr von Präsenz-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit, ihre AktionärInnen-Treffen online abhalten zu können, was BAYER als erster DAX-Konzern nutzte. Nun will die Politik den Unternehmen die Flucht ins Internet dauerhaft ermöglichen. Im Juni 2021 fasste die Konferenz der JustizministerInnen der Länder einen entsprechenden Beschluss. An das Justizministerium erging der Auftrag, dafür ein Gesetz zu erarbeiten. „Unser Aktienrecht braucht mehr digitalen Schwung“, meinte der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) und konstatierte: „Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass Hauptversammlungen auch virtuell gut abgehalten werden können.“ Ein bisschen weniger Glyphosat Gegen einen Glyphosat-Stopp vor dem Auslaufen der EU-Zulassung Ende 2023 hatte die Große Koalition sich schon im September 2019 ausgesprochen. Sie gab sich mit einer Minderungsstrategie zufrieden. Für diese ließen sich die PolitikerInnen dann zu allem Übel auch noch Zeit bis kurz vor Toresschluss der Legislatur-Periode. Überdies fielen die Regelungen äußerst bescheiden aus. SPD und CDU verabschiedeten diese im Rahmen des Insektenschutz-Gesetzes. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für die Anwendung im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fällt. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid bis 2024 erlaubt. Erst dann erfolgt das Aus – und das auch noch unter Vorbehalt. Wenn die EU Glyphosat bis dahin nämlich nicht aus dem Verkehr zieht, wackelt auch der Beschluss der Bundesregierung. „Sollten sich in diesem Zusammenhang Änderungen der Dauer der Wirkstoff-Genehmigung ergeben, ist das Datum des vollständigen Anwendungsverbots gegebenenfalls anzupassen“, hält die „Pflanzenschutzanwendungsverordnung“ fest. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte weisen ebenfalls starke Mängel auf. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch zunahmen. So sicherten sich die Länder Öffnungsklauseln. Zudem drückte die CDU einen „Erschwernisausgleich Pflanzenschutz“ durch, der den LandwirtInnen den Spritz-Entzug durch Zahlungen in Höhe von 65 Millionen Euro erleichtert.

Lieferketten-Gesetz verabschiedet

Die Lieferketten BAYERS erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi seine Arznei-Grundstoffe zu einem guten Teil aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei zunächst davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne ausüben und setzte auf Freiwilligkeit. Sie hob den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe und machte sich daran, erst einmal ein Lagebild zu erstellen. Dazu startete die Große Koalition eine Umfrage unter den Betrieben und bat um Informationen darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollte sie dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Nur ein Bruchteil der angeschriebenen Firmen antwortete überhaupt, und von diesen genügte bei der Beschaffung kaum eines den sozialen und ökologischen Anforderungen. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Und den bereitete die Politik dann auch vor, was die Industrie-VertreterInnen in Panik versetzte. „Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmen verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, was sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“, echauffierte sich etwa der damalige Präsident der „Bundesvereinigung der Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), Ingo Kramer. In der Folge taten die LobbyistInnen der Industrie alles, um das Schlimmste zu verhindern. Sie mahnten eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnten eine Haftungsregelung vehement ab. Schlussendlich konnten sie sich damit durchsetzen. Im jetzigen Paragrafen-Werk fehlt beides. Dem Leverkusener Multi dürfte es daher erspart bleiben, mit einer Klage von solchen InderInnen oder ChinesInnen konfrontiert zu werden, die in den Hot Spots der globalen Pharma-Produktion leben und unter den gesundheitlichen Folgen leiden. Dazu liegen nämlich zu viele Zwischenhändler zwischen BAYER und den Arznei-Produzenten vor Ort. Zudem müssten die Betroffenen in Deutschland noch eine Nichtregierungsorganisation finden, die in ihrem Namen vor Gericht zieht und so eine „Prozess-Standschaft“ wahrnimmt. Eine Möglichkeit, direkt Ansprüche anzumelden, lässt das Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz den Geschädigten nämlich nicht „Eine Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz begründet keine zivilrechtliche Haftung“, heißt es auf Drängen der Konzerne nun im Paragraf 3, Absatz 3. Milliarden-Amnestie für BAYER & Co. Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage gilt der Förderung alternativer Energien. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken, die sich pro Gigawatt-Stunde auf rund 64.000 Euro belaufen. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen vor einiger Zeit verklagt. Der Leverkusener Multi, der Betrugsvorwürfe „entschieden“ zurückweist, sah sich mit immensen Nachforderungen konfrontiert und schickte ein Hilfe-Ersuchen nach Berlin. Fast 20 solcher Schreiben von Unternehmen gingen bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein. Und die Briefe zeigten Wirkung. Das Bundeswirtschaftsministerium fügte ins „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ von 2021 den Paragrafen 104 ein, der BAYER & Co. die Möglichkeit einräumt, mit den Übertragungsnetzbetreibern einen Vergleich zu schließen. „Eine Milliarden-Amnestie für Konzerne“ nannte der Spiegel das. Kein Unternehmensstrafrecht „Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Sogar höhere Strafen für Multis planten die Parteien: „Die geltende Bußgeld-Obergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig.“ Und wirklich nahm auch alles seinen parlamentarischen Gang. Mitte 2019 veröffentlichte das Justizministerium erste Vorschläge und im Weiteren zwei ReferentInnen-Entwürfe. Im Juni 2020 kam dann der Gesetzesentwurf der Bundesregierung – und dann nichts mehr. Der Lobby-Druck von BAYER & Co. brachte die CDU zum Umfallen. Sie trug das Vorhaben nicht mehr mit, was Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erboste: „Das ist ein Bruch des Koalitionsvertrags, für den mir jedes Verständnis fehlt. Das zeigt, wie wenig die CDU aus Skandalen gelernt hat.“ So braucht der Leverkusener Multi auch künftig bei Abrechnungsbetrügereien mit falschen Arznei-Rechnungen (siehe RECHT & UNBILLIG), Preisabsprachen, unlauterer Werbung oder der Vermarktung gefährlicher Produkte die Macht des Gesetzes nicht allzu sehr zu fürchten. Hickhack um Hartwig BAYERs langjähriger Chef-Jurist Roland Hartwig sitzt heute für die AfD im Bundestag. Er gehört zu den vier stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion und hat keine Berühungsängste mit extrem rechten Positionen. So hielt er im Juni 2019 eine Rede beim „Staatspolitischen Kongress“, einer Veranstaltung des von Götz Kubitscheck und Karlheiz Weißmann gegründeten braunen Thinktanks „Institut für Staatspolitik“. Ende 2020 musste Hartwig den Vorsitz der „Arbeitsgruppe VS“ abgeben, welche die Aufgabe hat, die Partei aus dem Visier des Verfassungsschutzes zu bugsieren. Der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen veranlasste seine Ablösung, nachdem der EX-BAYER ihn für die Aussage kritisiert hatte, nicht alle AfDlerInnen stünden auf dem Boden der Verfassung. Auf Initiative Björn Höckes fasste der AfD-Bundesparteitag im Frühjahr 2021 allerdings den Beschluss, den Juristen wieder in Amt und Würden zu bringen. Der Bundesvorstand lehnte das – gegen die Stimmen von Alice Weidel, Tino Chrupalla, Stephan Brandner und Stephan Protschka – jedoch ab.

DRUGS & PILLS

DUOGYNON-Studie erst 2022 Ein hormoneller Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das unter den Namen DUOGYNON und PRIMODOS vertriebene Medizin-Produkt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Geschädigte oder deren Eltern fordern den Leverkusener Multi seit Jahren auf, die Verantwortung dafür zu übernehmen, bislang allerdings vergeblich. „BAYER schließt DUOGYNON als Ursache für Missbildungen aus“, erklärte der Global Player auf der jüngsten Hauptversammlung. Die Bundesregierungen jedweder Couleur sahen ebenfalls keinen Handlungsbedarf. In England hatten die Betroffenen mehr Erfolg. Die Politik gab einen Untersuchungsbericht in Auftrag, der den Behörden zahlreiche Versäumnisse im Umgang mit den Risiken des Medizinprodukts bescheinigte, woraufhin sich der damalige Gesundheitsminister bei den Geschädigten entschuldigte. Auch die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik versagten. So stand der damals im Bundesgesundheitamt zuständige Referatsleiter Klaus-Wolf von Eickstedt früher selbst in Diensten SCHERINGs und tat in alter Verbundenheit alles dafür, das Mittel auf dem Markt zu halten. Genau diese Machenschaften soll jetzt eine Untersuchung aufklären. Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte eine solche bereits im September 2020 an. Geschehen ist bisher jedoch noch nichts. Darum hakten Bündnis 90/Die Grünen in einer Kleinen Anfrage nach. Zurzeit laufe die Auftragsvergabe, antwortete die Bundesregierung. Die Veröffentlichung der Arbeit kündigte sie für das Frühjahr 2022 an. Die Betroffenen bezog das Gesundheitsministerium bei der Konzeption des Studien-Designs jedoch nicht ein. Das stieß ebenso auf die Kritik der Initiative NETZWERK DUOGYNON wie die Wahl eines geheimen Ausschreibungsverfahrens. ASTEPRO ohne Rezept Nach Meinung vieler ExpertInnen müsste die Rezeptpflicht für viel mehr Medikamente gelten. Nicht wenige der Pharmazeutika, die frei in der Apotheke erhältlich sind, haben nämlich starke Nebenwirkungen und verlangen einen sorgsamen Umgang. Dazu zählen etwa das Schmerzpräparat ASPIRIN oder die Magenarzneien ANTRA und IBEROGAST aus dem Hause BAYER. Die Pharma-Multis versuchen hingegen mit allen Mitteln, den Menschen immer mehr ihrer Produkte auch ohne eine Verschreibung zugänglich zu machen, um den Absatz zu erhöhen. So setzte der Leverkusener Multi das Thema bereits einmal auf die Agenda seiner regelmäßigen Lobby-Runden in Berlin, den „Politik-Lunches“. Mit einem natürlich eindeutigen Ergebnis: „Die Referenten sprachen sich dafür aus, dass die Rahmenbedingungen für einen OTC-Switch (Wechsel von der Verschreibungspflicht zum rezeptfreien Arzneimittel) in Deutschland optimiert werden können.“ Auch in Australien ist da dem Unternehmen zufolge noch Luft nach oben, denn die Aufsichtsbehörden des Landes lehnten einen OTC-Switch seines Potenzmittels LEVITRA ab. Aber dafür konnte der Konzern in den USA jüngst einen Erfolg verbuchen. Für sein Antihistaminikum ASTEPRO, ein Nasenspray für AllergikerInnen, ist künftig keine ärztliche Verordnung mehr nötig. CIPROBAY schädigt Herzklappen Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen auslösen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hinaus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Aorten-Aneurysmen und -Dissektionen – krankhafte Ausweitungen der Hauptschlagader verbunden mit der lebensbedrohlichen Gefahr eines Risses – traten ebenfalls bereits auf. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachten die MedizinerInnen schon. Und jetzt muss der Leverkusener Multi auf seinen Packungsbeilagen noch einen weiteren Warnhinweis ergänzen. Fluorchinolone können nämlich die Herzklappen angreifen. Schlechte Zeiten für YASMIN & Co. Von BAYERs Verhütungsmitteln mit dem Wirkstoff Drospirenon wie YAZ, YASMIN und YASMINELLE geht ein erhöhtes Embolie-Risiko aus (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Während es bei neun bis zwölf von 10.000 Frauen, welche diese Pharmazeutika oder andere der dritten oder vierten Generation gebrauchen, zu Blutgerinnseln kommt, ist das nur bei fünf bis sieben von 10.000 derjenigen Frauen der Fall, die Pillen mit den älteren Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nutzen. Glücklicherweise hat sich das in der Bundesrepublik inzwischen herumgesprochen. Der Versorgungsanteil der Drospirenon-Präparate sank von 2009 bis 2019 von 22 auf zwei Prozent. Auf den übrigen Märkten macht der Leverkusener Multi aber immer noch gute Geschäfte mit den Mitteln. Im Jahr 2020 betrug der weltweite Umsatz mit YAZ & Co. 670 Millionen Euro. Mehr Glaukome durch Kontrazeptiva Durch die Einnahme von Verhütungsmitteln auf Hormon-Basis steigt die Gefahr, an Grünem Star zu erkranken. Forschende der „University of British Columbia“ machten bei Frauen, welche diese Kontrazeptiva nutzten, ein mehr als doppelt so hohes Risiko aus, das Augenleiden zu bekommen, als bei solchen, die nicht zu YASMIN & Co. greifen. Lieferengpässe bei BAYER-Arzneien Der Pharma-Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. BAYER und andere große Unternehmen setzen mehr und mehr auf neue, patent-geschützte Pillen, da diese besonders hohe Renditen versprechen. Bei ihrem nicht so viel Geld abwerfenden Alt-Sortiment rationalisieren die Konzerne hingegen nach Kräften. So beziehen sie Vor- und Zwischenprodukte zur Wirkstoff-Herstellung und manchmal auch die komplette Substanz zunehmend aus Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien und China. Dort produzieren hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. Damit nicht genug, konzentriert sich die Fabrikation auf immer weniger Anbieter. Und wenn da einmal Störungen im Betriebsablauf auftreten, leiden PatientInnen auf der ganzen Welt unter Lieferengpässen. Seit einiger Zeit passiert das immer häufiger. Im letzten Jahr konnten die Apotheken den PatientInnen 16,7 Millionen Packungen nicht aushändigen. Auch Präparate des Leverkusener Multis glänzen zunehmend durch Abwesenheit, 2021 waren es bisher ASPIRIN i. v. 500 mg, das Herzmittel NIMOTOP, der Gerinnungshemmer XARELTO und das umstrittene Verhütungsmittel YASMINELLE (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Die Produktion des Mittels BAYOTENSIN zur Akutbehandlung eines hohen Blutdrucks stellte der Konzern ganz ein. Für die Spezial-Behältnisse, in die der Wirkstoff abgefüllt war, gab es dem Unternehmen zufolge nämlich keine Lieferanten mehr. Globale Pharma-Lieferketten Die Lieferketten BAYERS im Pharma-Bereich erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi Arznei-Grundstoffe aus Indien und China (s. o.). Dort locken nämlich Standort-Vorteile wie niedrige Herstellungskosten und laxe Umweltauflagen – mit den entsprechenden Risiken und Nebenwirkungen. Bei der BAYER-Hauptversammlung im April 2021 erfragte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, welche Substanzen genau der Konzern aus diesen Ländern bezieht. Antibiotika und Vorstufen für Röntgen-Kontrastmittel, lautete die Antwort.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat und kein Ende? Im Jahr 2023 läuft in der Europäischen Union die Glyphosat-Genehmigung aus. BAYER und die anderen Hersteller haben jedoch einen Antrag auf eine Zulassungsverlängerung gestellt. Und im Juni 2021 keimte bei ihnen auch Hoffnung auf. Da gab nämlich die sogenannte Bewertungsgruppe für Glyphosat (AGG) ein positives Votum ab. Durch die Behandlung von Pflanzen mit Glyphosat sei kein „chronisches oder akutes Risiko“ für die VerbraucherInnen zu erwarten, hielt die AGG fest. Das Gremium, in dem sich Prüfbehörden-VertreterInnen aus Frankreich, Ungarn, den Niederlanden und Schweden zusammenfanden, kam zu dem Schluss, dass „Glyphosat die Zulassungskriterien für die menschliche Gesundheit erfüllt“. Dementsprechend hieß es dann in der Pressemitteilung der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA: „Eine Einstufung für Keimzell-Mutagenität, Karzinogenität oder Reproduktionstoxizität war nicht gerechtfertigt. Der Vorschlag der vier Mitgliedstaaten beabsichtigt keine Änderung der bestehenden Einstufung.“ BAYER zeigte sich erfreut. Der Bericht bestätige „die Schlussfolgerungen führender Gesundheitsbehörden“, so der Konzern. Trotzdem stehen die Zukunftschancen für das Herbizid nicht eben gut. „Ich glaube nicht, dass es eine ernsthafte Chance für eine Verlängerung der Glyphosat-Lizenz gibt. Dafür ist die politische Stimmung gegen das Mittel zu aufgeheizt“, zitierte das Handelsblatt einen EU-Insider. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird alles in ihren Kräften stehende tun, um es nicht zu einem Temperatur-Abfall kommen zu lassen. Mehr Kindestode durch Glyphosat In Brasilien erhöht sich durch Glyphosat-Rückstände im Wasser die Kindersterblichkeit. Das ergab die Studie „Down the River: Glyphosate Use in Agriculture and Birth Outcomes of surrounding Populations“ von Mateus Dias, Rudi Rocha und Rodrigo R. Soares. Eine Steigerung um fünf Prozent durch das Mittel machten die drei aus, was ein Plus von 503 Sterbefällen pro Jahr ergibt. Auch die Zahl der Frühgeburten und der Babys mit einem niedrigen Geburtsgewicht steigt den ForscherInnen zufolge. Alan Tygel von der brasilianischen PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGROGIFTE UND FÜR DAS LEBEN forderte daraufhin einen sofortigen Vermarktungsstopp. Der BAYER-Konzern sah dafür keinen Grund. Er nannte die wissenschaftliche Arbeit, die im Auftrag der „Latin American and the Caribbean Economic Association“ entstand, „unsolide und schlecht durchgeführt“ und betonte, der Sicherheit bei all seinen Produkten immer die höchste Priorität einzuräumen. Glyphosat schädigt die Darmflora Glyphosat hat das Potenzial, eine Schädigung der Darmflora, eine sogenannte Dysbiose, hervorzurufen. Das ergab eine Analyse von Studien, die Jacqueline A. Barnett und Deanna L. Gibson von der kanadischen „University of British Columbia“ vornahmen. Sogar als Auslöser für Gesundheitsstörungen, die viele MedizinerInnen mit einer Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) in Verbindung bringen, kommt das BAYER-Herbizid nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen in Betracht. „Glyphosat kann eine Rolle bei vielen Krankheiten spielen, die mit der Dysbiose in Zusammenhang stehen, darunter Zöliakie, entzündliche Darm-Erkrankungen und das Reizdarm-Syndrom“, so die Forscherinnen. Damit nicht genug, vermag das Pestizid durch seine Einwirkung auf das Darm-Mikrobiom Barnett und Gibson zufolge auch die psychische Gesundheit zu beeinträchtigen und beispielsweise Depressionen auszulösen. Insektensterben durch Glyphosat BAYERs Pestizid Glyphosat trägt zum Insektensterben bei. Einen neuen Beleg dafür liefert eine Studie, die WissenschafterInnen der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität gemeinsam mit ihren KollegInnen vom „Max-Planck-Institut für chemische Ökologie“ und des japanischen „National Institute of Advanced Industrial Science and Technology“ durchführten. So greift das Herbizid ihren Angaben zufolge ein Bakterium an, das in enger Symbiose mit dem Getreideplatt-Käfer lebt und Schutzfunktionen erfüllt, ohne die das Insekt nicht existieren kann. Dabei halten die ForscherInnen ihren Befund auch übertragbar: „Da wir beobachten konnten, wie Glyphosat die symbiotische Gemeinschaft schädigt, fragten wir uns, ob Glyphosat auch für andere Insekten, die auf ihre mikrobiellen Partner angewiesen sind, eine Gefahr darstellt.“ Glyphosat gegen Koka-Pflanzen Der kolumbianische Präsident Iván Duque plant, die im Jahr 2015 von seinem Amtsvorgänger Juan Manuel Santos gestoppten Flugzeug-Sprüheinsätze mit Glyphosat zur Zerstörung von Koka-Pflanzen wieder anlaufen zu lassen (siehe auch SWB 3/21). Dabei fällt die Bilanz des Chemie-Krieges gegen die Droge verheerend aus, sowohl in gesellschaftlicher und sozialer als auch in gesundheitlicher und ökologischer Hinsicht. Entsprechend groß ist die Empörung im Land. Auch bei den aktuell stattfindenden Protesten, die sich massiver Gewalt von Polizei und Militär ausgesetzt sehen, spielt das Thema eine Rolle. So beteiligten sich indigene LandwirtInnen an einem landesweiten Streik und forderten die Regierung auf, „das Versprühen von Glyphosat aus der Luft und die Gesundheitsreform zu stoppen und die aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen“. Der Leverkusener Multi wollte sich der Financial Times gegenüber nicht zum neuen Glyphosat-Programm Kolumbiens äußern, da er nicht direkt in die Praxis involviert sei. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte das Unternehmen dagegen unmissverständlich auf, das Pestizid für solche Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen. Dicamba: EPA übt Selbstkritik Bei einer internen Revision stellte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA schwere Mängel bei der Dicamba-Zulassung im Jahr 2018 fest. Donald Trump hatte der Behörde gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine neue Führungsspitze verpasst, die sich offenbar massiv in den Prüfungsprozess einschaltete. „In unseren Interviews nannten die Wissenschaftler der Pestizid-Abteilung Beispiele dafür, dass wissenschaftliche Analysen geändert wurden, um die politischen Entscheidungen leitender Beamter zu unterstützen“, heißt es in dem Bericht. So fehlten dann in den Abschluss-Dokumenten plötzlich Passagen über das Gefährdungspotenzial von Dicamba. Auch erhielten die ExpertInnen die Anweisung, sich bei der Sichtung der Unterlagen ausschließlich auf Daten der Hersteller zu stützen. „Die Wissenschaft selber können wir nicht ändern, aber unsere Politik basiert nicht immer auf deren Ergebnissen“, zitiert der Report einen frustrierten EPA-Beschäftigten. Der niederschmetternde Befund veranlasste die AutorInnen der Untersuchung, eine Reihe von Reformen zur Wahrung der Unabhängigkeit der Einrichtung anzumahnen. Aus deutschen Landen Der BAYER-Konzern vertreibt in den Ländern des Globalen Südens zahlreiche Pestizide, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben. Einige dieser Ackergifte stellt er sogar in Deutschland her und exportiert sie dann. So produziert der Global Player in Dormagen den Wirkstoff Probineb und in Frankfurt Indaziflam sowie Ethoxysulfuron.

GENE & KLONE

Schlappe für CUREVAC Der Corona-Impfstoff von BAYERs Kooperationspartner CUREVAC hat bei den klinischen Tests ein enttäuschendes Endergebnis erzielt. Das Gentech-Mittel kam nur auf eine Wirksamkeit von 48 Prozent gegen SARS-CoV-2. ExpertInnen führen das auf die im Vergleich zu anderen Präparaten niedrige Dosierung der Wirksubstanz zurück. Die ForscherInnen hatten bewusst keine höhere gewählt, um das Vakzin nicht so stark wie etwa dasjenige von BIONTECH herunterkühlen zu müssen. Der Leverkusener Multi arbeitete seit Anfang Januar 2021 mit CUREVAC zusammen. Er erklärte damals, „sein Fachwissen und seine etablierte Infrastruktur“ einbringen zu wollen, um der Firma bei der Durchführung der Klinischen Studien, dem Zulassungsprozedere, der späteren Überwachung der Sicherheit des Vakzins sowie bei der Organisation der Lieferkette für die benötigten Zusatzstoffe zur Seite zu stehen. Rund einen Monat später erweiterten die beiden Firmen ihre Verbindung noch einmal. Sie erstreckt sich nun auch auf den Produktionsprozess; BAYER baut dafür zurzeit in Wuppertal Kapazitäten auf. Nun steht allerdings in den Sternen, ob diese überhaupt einmal zum Einsatz kommen werden. Warnung vor EYLEA Das BAYER-Präparat EYLEA zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zu Blindheit führen kann – ist nicht ohne. In einer Fertigspritze verabreicht, erhöht das Gentech-Mittel das Risiko eines Anstiegs des Augeninnendrucks. Die Aufsichtsbehörden haben den Leverkusener Multi deshalb angewiesen, vor dieser Nebenwirkung zu warnen und den ÄrztInnen einen sogenannten „Rote-Hand-Brief“ zuzustellen. Viel Geld für METAGENOMI Die Gen-Scheren, die bei der Gentechnik 2.0 zum Einsatz kommen, schnippeln längst nicht so präzise, wie ihre ErfinderInnen behaupten. Allzu oft kommt es zu so genannten Off-Target-Effekten, also zu Veränderungen der DNA an Stellen, die gar nicht im Visier der ForscherInnen standen. Dem abzuhelfen, hat sich das Start-Up METAGENOMI verschrieben. Es will zielgerichtetere Methoden des Genome Editing auf Basis der CRISPR-Cas-Technik entwickeln und konnte dafür viele Unterstützer gewinnen. BAYER, der Humboldt Fund, HOF CAPITAL und andere Investoren stellten METAGENOMI rund 65 Millionen Dollar zur Verfügung. Neues Gensoja für Brasilien Der BAYER-Konzern bringt in Brasilien ein neues Gensoja auf den Markt. Das Erbgut der Pflanze der Produktlinie ROUNDUP READY 2 XTEND ist so manipuliert, dass das Gewächs sowohl Duschen mit Glyphosat als auch solche mit Dicamba übersteht, wenn diese Herbizide auf den Feldern gegen Wildwuchs zum Einsatz kommen. Und gegen Raupen hat der Konzern die Ackerfrüchte ebenfalls gentechnisch gewappnet. SMARTSTAX-Start mit Gentech 2.0 Der BAYER-Konzern setzt massiv auf die Gentechnik 2.0. Rund 100 Patent-Anträge hat er in diesem Bereich schon beim Europäischen Patentamt eingereicht und bis jetzt sieben positive Bescheide erhalten. 2022 startet der Leverkusener Multi in den USA nun mit der Vermarktung der ersten Pflanze, in der eines der neuen Verfahren zur Anwendung kommt. Der Mais der SMARTSTAX-PRO-Produktreihe wartet nämlich nicht nur mit den üblichen Resistenzen gegen die Herbizide Glyphosat und Glufosinat auf, sondern auch mit der RNAi-Technologie. Mit Hilfe dieser sogenannten Ribonukleinsäure-Interferenz blockiert das Gewächs ein Gen im Erbgut des Maiswurzelbohrers und schützt sich so vor dem Schadinsekt. Ohne Nebenwirkungen geht das allerdings nicht ab: Die Ribonukleinsäure kann mit der Darmflora von Mensch und Tier interagieren, in den Blutkreislauf gelangen und sogar in die Steuerung von Genen eingreifen. Aber BAYER ficht das an. „Uns liegen keine verlässlichen wissenschaftlichen Nachweise dafür vor, dass die sachgerechte Anwendung von Produkten mit einer Wirkungsweise auf RNAi-Basis zu negativen Effekten führt“, erklärte Agrar-Vorstand Liam Condon auf der letzten Hauptversammlung. EU-Parlament gegen Import-Zulassungen Im März 2021 sprach sich das Europäische Parlament gegen Import-Zulassungen für zwei Gen-Pflanzen von BAYER und SYNGENTA aus. Bei der Baumwolle des Leverkusener Multi aus der Produktreihe GHB 614 x T 304-40 x GHB 119 füllte die Mängel-Liste fünf Seiten. Unter anderem machten die PolitikerInnen Fehler bei der Gefahren-Analyse der Laborfrucht aus, die zur Insekten-Abwehr mit gleich zwei Sorten des Bacillus thuringiensis (Bt) bestückt und zudem gegen die beiden Herbizide Glufosinat und Glyphosat resistent ist. So ignorierte die „Europäische Lebensmittelbehörde“ (EFSA) bei ihren Risiko-Prüfungen den Abgeordneten zufolge die Tatsache, dass die Bt-Proteine in der Baumwolle eine viel stärkere Giftigkeit entfalten als in der freien Wildbahn. Sie interagieren nämlich mit den Enzymen der Gewächse. Trotzdem untersuchte die EFSA nur der Bacillus selber. Die Initiative TESTBIOTEST begrüßte die Entscheidung der EU-ParlamentarierInnen: „Damit wächst der Druck auf die EU-Kommission, wesentlich kritischer mit den Prüfberichten der EFSA umzugehen.“ Der Gentech-Schmetterling In Brasilien startet ein Freiluft-Versuch mit gentechnisch veränderten Eulenfaltern. Da sich Raupen dieser Schmetterlingsart zum Verdruss von BAYER & Co. an Mais schadlos halten, haben ForscherInnen der Firma OXITEC in das Erbgut des Spodoptera frugiperda eingegriffen. Um die Bestände der Spezies zu dezimieren, ist es nun so verändert, dass die weiblichen Nachkommen das Larvenstadium nicht überstehen. Der BAYER-Konzern unterstützt das Projekt finanziell, denn sein Gentech-Mais kann sich dieses Wurms nicht mehr erwehren, weil „einige der wirksameren Kontroll-Strategien resistenz-anfällig geworden sind“. Konkret versagt das in den Pflanzen eigentlich für die Schadinsekten-Abwehr zuständige Bt-Toxin zunehmend seinen Dienst. Die Risiken, die mit der Freisetzung der Labor-Schmetterlinge einhergehen, ignoriert der Global Player geflissentlich. Ihm geht es einzig und allein darum, die Profite im Geschäft mit seinen Gen-Pflanzen zu sichern.

WASSER, BODEN & LUFT

Neues Klimaschutz-Gesetz Im März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutz-Gesetz stattgegeben. Die Karlsruher RichterInnen teilten den Standpunkt der BeschwerdeführerInnen, wonach dieses Paragrafen-Werk die grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechte künftiger Generationen ungebührlich einschränke, weil die Bundesregierung diesen die Hauptlast bei der Kohlendioxid-Einsparung aufbürde. „So sind die notwendigen Freiheitsbeschränkungen der Zukunft bereits in den Großzügigkeiten des gegenwärtigen Klimaschutz-Rechts angelegt“, heißt es in der Begründung des Urteils. Darum musste die Große Koalition nachbessern und die Klimaziele verschärfen. Jetzt legte sie sich auf eine CO2-Reduktion von 65 statt wie bisher 55 Prozent bis 2030 fest, ausgehend vom Basis-Jahr 1990. Dementsprechend senkten CDU und SPD die zulässigen Jahres-Emissionsmengen für Gebäude-Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft, Energie-Branche und Industrie ab. Für BAYER & Co. reduzierten sich die Grenzen des Erlaubten gegenüber dem Klimaschutz-Gesetz von 2019 um 22 Millionen Tonnen. 2022 dürfen sie noch 177 Millionen Tonnen ausstoßen und dann sukzessive immer weniger bis 118 Millionen im Jahr 2030. Die im Vergleich zu den anderen Bereichen strengeren Vorgaben für Industrie und Energie hatten Gründe. „Dies folgt einerseits dem ökonomischen Gedanken, dort zu mindern, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind, andererseits sind Industrie- und Energie-Sektor weiterhin die Sektoren mit den höchsten Emissionen“, heißt es im Gesetz. Der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) kritisiert das Paragrafen-Werk. Er vermisste unter anderem Subventionsregelungen, „um Wettbewerbsnachteile auszugleichen“ und politische Weichenstellungen für „günstigen Strom“. Grüne wollen Kampfstoff-Bergung 1,6 Millionen Tonnen Munition, Minen und chemische Kampfstoffe aus zwei Weltkriegen lagern in den Gewässern von Nord- und Ostsee, darunter auch die einst von BAYER entwickelten Substanzen Lost, Tabun und Sarin. Da die Metall-Umhüllung der Chemie-Waffen mittlerweile durchrostet, treten die Gifte aus. Als besonders gefährlich betrachtet das Umweltbundesamt dabei neben bestimmten Arsen-Verbindungen Zäh-Lost, eine Mixtur aus Schwefel-Lost und Verdickungsmitteln. Während sich andere Kampfstoffe im Wasser allmählich zersetzen, behält diese Chemikalie nämlich eine feste Konsistenz und verliert kaum etwas von seiner Wirksamkeit. „Die meisten der bisher bekannten Unfälle mit Kampfstoffen wurden durch Zäh-Lost rund um das Versenkungsgebiet östlich der dänischen Ostsee-Insel Bornholm verursacht, wobei Klumpen von Zäh-Lost in Fischernetze gerieten“, konstatiert die Behörde. Die FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben die Bundesregierung jetzt aufgefordert, endlich etwas gegen die tickenden Zeitbomben in den Meeren zu unternehmen die schon viele Todesopfer gefordert haben. „Munitionsaltlasten in den Meeren bergen und umweltverträglich vernichten“, ist ihr gemeinsamer Antrag überschrieben, mit dem sich der Bundestag Mitte April 2021 befasste. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) begrüßte diesen Vorstoß, trat aber dafür ein, das Verursacher-Prinzip greifen zu lassen und die damaligen Hersteller der Kriegswerkzeuge wie etwa BAYER an der Finanzierung des Unterfangens zu beteiligen. „Die Räumungsarbeiten sind laut FDP und Grünen mit immensen Kosten verbunden. Darum ist es nur recht und billig, BAYER als Pionier auf dem Gebiet der chemischen Kampfstoffe mit zur Kasse zu bitten“, hieß es in der Presseerklärung der CBG. Glyphosat gefährdet Grundwasser Bis zu 50 Prozent des ausgebrachten Glyphosats kann ins Grundwasser gelangen. Das stellte ein ForscherInnen-Team um Andreas Hartmann von der Universität Freiburg und Thorsten Wagener von der Universität Potsdam fest. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass 99 Prozent des Pestizides im Boden versickert. Wie Hartmann und Wagener aber in einem Aufsatz, den die Zeitschrift Proceedings veröffentlichte, darlegen, leiten Risse und Hohlräume in der Erde große Mengen des Mittels bis ins Grundwasser weiter. Wasser-Strategie ohne Plan Der Klimawandel macht Wasser zu einer immer kostbareren Ressource. Das hat auch die Politik erkannt. Im Juni 2021 stellte Bundesumweltministerin Svenja Schulze den Entwurf zu einer nationalen Wasser-Strategie vor, um das Lebenselixier besser zu schützen. BAYER & Co. als die größten Wasserverbraucher und Wasserverschmutzer nahm das 76-seitige Papier dabei allerdings nicht in den Blick. Es führte keinerlei konkrete Vorhaben auf, um das gefährdete Gut vor dem Zugriff der Profit-Interessen zu bewahren, obwohl allein der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020 auf einen Wassereinsatz von 57 Millionen Kubikmetern kam. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte das scharf. „Zunehmende Trockenheitsperioden, eine schwindende Grundwasser-Neubildungsrate, der immense Durst der Konzerne und eine wachsende Schadstoff-Belastung der Gewässer verlangen ein sofortiges gesetzgeberisches Handeln. Dazu kann oder will sich die Umweltministerin aber offensichtlich nicht entschließen. So bleibt es bei bloßer Symbol-Politik“, hieß es in ihrer Presseerklärung. BAYERs großer Durst Der BAYER-Konzern hat einen enormen Wasser-Durst (s. o.) Bei der jüngsten Hauptversammlung erfragte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, wie viel Kubikmeter der kostbaren Ressource die Standorte in Nordrhein-Westfalen verbrauchen. Auf insgesamt 4,4 Millionen Kubikmeter kommen die Niederlassungen in Leverkusen, Wuppertal, Bergkamen und Monheim, bekam die Coordination zur Antwort.

ÖKONOMIE & PROFIT

Rating-Agentur stuft BAYER herab Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Glyphosat-Geschädigten platzen und legte stattdessen einen eigenen Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten vor (siehe RECHT & UNBILLIG). Unmittelbar danach stufte die Rating-Agentur MOODY’S INVESTORS SERVICE die Kreditwürdigkeit des Konzerns von Baa1 auf Baa2 herab. „Die anhaltende Unsicherheit in Bezug auf die abschließende Beilegung von Rechtsfällen gegen BAYER im Zusammenhang mit Glyphosat“, führte sie als einen der Gründe für die Entscheidung an. Auch die hohen Kosten für den Rechtskomplex „Glyphosat“ stellte die Agentur in Rechnung. Zudem zeigte sie sich von den „mittelfristigen Finanzzielen“ des Leverkusener Multis enttäuscht und bewertete die Profit-Aussichten im Agrar-Geschäft wegen des verstärkten Wettbewerbs negativ. Trotz des Verkaufs von Unternehmensteilen, eines kostensparenden Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramms und steigenden Renditen im Bereich „Consumer Health“ kam MOODY’S bei der „Betriebsprüfung“ letztlich „zu Finanzkennzahlen, die nur mit einem Baa2 bewertet werden können“. Hohe Abschreibungen In die BAYER-Bilanz fließt auch der Wert der Zukäufe ein. Dieser sogenannte Goodwill macht beim Leverkusener Multi 118 Prozent des Eigenkapitals aus. Für MONSANTO hatte er den Goodwill allerdings viel zu hoch angesetzt. Die immensen Schadensersatz-Ansprüche in Sachen „Glyphosat“ und schlechte Geschäfte im Agro-Bereich erforderten eine massive Korrektur: 9,3 Milliarden Euro musste der Global Player abschreiben.

RECHT & UNBILLIG

Immer mehr Dicamba-Klagen Neben Glyphosat entwickelt sich für den BAYER-Konzern auch das Herbizid Dicamba, das er hauptsächlich in Kombination mit gentechnisch gegen die Substanz immunisierten Gewächsen anbietet, zu einem Sorgenkind. Der Wind treibt das vom Leverkusener Multi z. B. unter dem Namen XTENDIMAX vertriebene Mittel nämlich zu Ackerfrüchten hin, die dem Stoff nichts entgegenzusetzen haben und deshalb eingehen. 57 Wein-AnbauerInnen und vier WeiterverarbeiterInnen machen wegen dieser Abdrift auf einer Fläche von 1.200 Hektar Schädigungen an Weinreben geltend und fordern eine Kompensation in Höhe von 114 Millionen Dollar plus 228 Millionen Dollar Strafe. Zudem zog ein Imker vor Gericht, weil die chemische Keule seine Bienenvölker dezimierte und der Pflanzen-Kahlschlag den Tieren Pollen und Nektar nahm, sodass die Honig-Produktion einbrach. Zwei weitere Prozesse in Sachen „Dicamba“ laufen bereits seit Längerem. Darüber hinaus schloss der Global Player im Juni 2020 mit rund 170 KlägerInnen einen Vergleich, der ihn zu einer Zahlung von 400 Millionen Dollar verpflichtete. Trotzdem lässt das Unternehmen auf das Ackergift nichts kommen. „BAYER ist von der Sicherheit und dem Nutzen des Herbizids XTENDIMAX überzeugt. Wir werden diese Technologie auch weiterhin verteidigen“, ließ der Gen-Gigant verlauten. Klage gegen Phosphorit-Abbau „Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hochproblematischer Stoff“, sagt die Umwelt-Aktivistin Hannah Connor von der US-amerikanischen Organisation Center for Biological Diversity. Und tatsächlich sorgt das Herbizid sogar schon vor seiner eigentlichen Geburt für so einige Verwerfungen. Der Abbau des Sediment-Gesteins Phosphorit, das BAYER zur Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor benötigt, belastet Mensch, Tier und Umwelt nämlich massiv. So gelangen etwa Schwermetalle und radioaktive Stoffe wie Uran, Radom, Radium und Selen in die Umwelt. Darum fechten mehrere US-amerikanische Umweltverbände die Genehmigung zum Abbau des Phosphorits ein, die BAYERs Minen-Gesellschaft P4 PRODUCTIONS im Jahr 2019 erhielt. Das Center for Biological Diversity, das Western Watersheds Project und die WildEarth Guardians werfen dem „Bureau of Land Management“ vor, bei der Prüfung des Antrages Umweltrichtlinien missachtet zu haben, und reichten Klage ein. Besonders das Selen stellt den Organisationen zufolge eine Bedrohung dar. „Zwischen 1996 und 2012 starben in der Nähe der Phosphorit-Minen im Südosten von Idaho über 600 Stück Vieh an Selen-Vergiftung“, hält die Klageschrift fest. Die Gewässer verseucht das Halbmetall ebenfalls. „Die Selen-Konzentration im Blackfoot-Fluss entspricht schon jetzt nicht mehr den Wasserqualitätsstandards von Idaho. Mehr Selen in fragilen Ökosystemen ist das Letzte, was die Region braucht“, so Chris Krupp von den WILDEARTH GUARDIANS. Erst Anfang März 2021 musste der Leverkusener Multi für Schäden, welche die Phosphorit-Förderung während der 1950er und 1960er Jahre in der inzwischen stillgelegten Ballard-Mine verursachte, eine hohe Summe zahlen (siehe Ticker 2/21). Der Prozess, den die US-amerikanische Umweltbehörde EPA, der Bundesstaat Idaho und eine Gruppe von Indigenen angestrengt hatten, endete mit einem Vergleich, der den Konzern fast 2,5 Millionen Dollar kostete. Ähnliche Verfahren gegen P4 PRODUCTIONS gab es in den Jahren 2011 und 2015. Bienengift-Bann bleibt Im Jahr 1999 begann die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihre Kampagne gegen BAYERs bienengefährliche Pestizide. Es sollte jedoch noch fast 20 Jahre dauern, bis sich der Erfolg einstellte: Im April 2018 verbot die Europäische Union die Wirkstoffe von BAYERs GAUCHO und PONCHO (heute BASF) sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam. Aber die Konzerne gaben sich nicht geschlagen. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGh) war nämlich noch die Klage von BAYER und SYNGENTA gegen das im Jahr 2013 von Brüssel erlassene vorläufige Verbot anhängig. 2018 verloren die Unternehmen in erster Instanz, und Anfang Mai 2021 scheiterte auch das Berufungsverfahren. Entsprechend zerknirscht reagierte der Leverkusener Multi: „BAYER ist enttäuscht darüber, dass die wesentlichen Aspekte dieses Falles vom Gericht nicht anerkannt wurden.“ Allerdings dürfen die Mittel in einigen Teilen der EU per Notfall-Zulassungen weiter ihr Unwesen treiben (s. u.) – und im Rest der Welt sowieso. Klage wg. Vogelschwund Der französische Vogelschutzbund „Ligue de protection des oiseaux“ LPO) hat BAYER und NUFARM verklagt. Der Verband macht den von beiden Unternehmen verkauften Pestizid-Wirkstoff Imidacloprid aus der Gruppe der Neonicotinoide für den Rückgang der Vogel-Populationen verantwortlich und verlangt Reparationszahlungen. Zudem fordert die LPO das Gericht auf, ein Total-Verbot der Agro-Chemikalie zu verhängen und damit die Ausnahmeregelungen des „loi du décembre 2020“ aufzuheben. „Die Neonicotinoide stehen für ein industriell geprägtes Agrarmodell, das unsere Landwirte in eine wirtschaftliche Sackgasse führt und die Vögel auf dem Land hat verschwinden lassen (...) Die Verantwortlichen für diese Katastrophe müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte LPO-Präsident Allain Bougrain Dubourg. Mexiko: Glyphosat-Bann bleibt Im Jahr 2020 hatte die mexikanische Regierung Glyphosat verboten. Der BAYER-Konzern ging gegen die Entscheidung gerichtlich vor, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Auch eine Klage des „National Farm Councils“, einer Vereinigung von GroßagrarierInnen, scheiterte. Kein Glyphosat-Vergleich Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Glyphosat-Geschädigten platzen (siehe auch SWB 3/21). Der Konzern sah keine Chance mehr, den richterlichen Segen für sein Ansinnen zu bekommen, das Herbizid unbegrenzt weiter zu vermarkten, aber für weitere Gesundheitsschäden nur noch begrenzt zu haften. Stattdessen präsentierte der Leverkusener Multi einen eigenen 5-Punkte-Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten. Dieser sieht vor, auf den Packungen des Pestizids statt eines Warn-Labels einen Hinweis auf wissenschaftliche Studien zu Glyphosat anzubringen. Überdies erwägt der Agro-Riese, das Mittel nicht mehr auf dem PrivatkundInnen-Markt anzubieten, da aus diesem Kreis über 90 Prozent der KlägerInnen stammten. Zum Umgang mit künftigen Schadensersatz-Ansprüchen enthält der Plan nichts Konkretes. „Das Unternehmen wird andere Lösungen für potenzielle künftige Klagen zu ROUND UP prüfen“, heißt es lediglich. Niederlage im Fall „Hardeman“ Der Leverkusener Multi hat bisher in allen drei großen Glyphosat-Prozessen Niederlagen erlitten. Den ersten, den Dewayne Johnson gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO angestrengt hatte, musste das Unternehmen sogar schon endgültig verloren geben. Und im Fall „Hardeman“ unterlag der Agro-Riese Mitte Mai 2021 in zweiter Instanz. Dabei hatte sich der Global Player gerade hier Chancen ausgerechnet, denn er konnte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA als Entlastungszeugen aufbieten. Gemeinsam mit dem Justizministerium nutzte die Einrichtung das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht, das es Unbeteiligten gestattet, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, hieß es in dem „Brief of the United States as Amicus Curiae in Support of MONSANTO“, was das Wall Street Journal damals so kommentierte: „Die Trump-Administration stützt BAYER in Herbizid-Verfahren.“ FRAG DEN STAAT vs. BfR Anfang 2019 hatte das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) die Initiative „FRAG DEN STAAT“ verklagt (Ticker 3/19). Die Behörde warf der Organisation vor, mit der Veröffentlichung eines BfR-Gutachtens zu Glyphosat, das diese unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz angefordert und auf ihrer Website veröffentlicht hatte, gegen das Urheberrecht verstoßen zu haben. Das 6-seitige Dokument spielt eine Schlüsselrolle im wissenschaftlichen Streit um das Pestizid. Im Jahr 2015 bewertete die „Internationale Agentur für Krebsforschung“ (IARC) der Weltgesundheitsorganisation das Breitband-Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend“ und setzte sich damit von dem Glyphosat-Prüfbericht des „Bundesinstituts für Risiko-Bewertung“ ab. Die Politik sah Klärungsbedarf und erbat vom BfR eine Stellungnahme. Daraufhin erstellte die Behörde eine ergänzende Expertise. Die Kurzfassung dieses „Addendum I“ ging dann als Handreichung an das Bundeslandwirtschaftsministerium und enthält offenbar so brisantes Material, dass das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ dieses lieber unter Verschluss halten möchte. Aber das gestaltet sich schwierig. Nach Ansicht des Landgerichts Köln kann das Dokument keine Schutzrechte mehr beanspruchen. FRAG DEN STAAT hatte nämlich einfach an UnterstützerInnen appelliert, ebenfalls Anträge zur Einsicht in das Schriftstück nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu stellen. Das geschah 45.000 Mal, auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beteiligte sich damals. Und damit war das Gutachten dann in der Welt. Darüber hinaus deckt die im Urheberrechtsgesetz garantierte Zitat- und Berichterstattungsfreiheit das Vorgehen der AktivistInnen, befanden die RichterInnen im November 2020. Das BfR ging gegen die Entscheidung vor, verlor im Mai 2021 jedoch auch in zweiter Instanz. Pestizid-Kritikerin verurteilt Im Herbst 2020 hatte die französische Initiative ALERTE AU TOXIQUES ein Dossier über Pestizid-Rückstände in französischen Weinen aus der Region um Bordeaux veröffentlicht. Der Befund war alarmierend: In allen der 20 untersuchten Fabrikate fanden sich Ackergift-Spuren. In manchen Flaschen stießen die WissenschaftlerInnen auf bis zu 15 unterschiedliche Wirkstoffe. Sogar das EU-weit verbotene Iprodion – enthalten unter anderem in BAYERs ROVRAL und CHIPCO GREEN – wiesen die ForscherInnen nach. Der Branchenverband CIVB sah seine Umsätze in Gefahr. Deshalb verpflichtete er einen Anwalt, der schon in Diensten von MONSANTO gestanden hatte, und ging gerichtlich gegen die Alerte-Gründerin Valérie Murat vor. In erster Instanz verurteilte das Gericht die Pestizid-Kritikerin zu einer Strafzahlung in Höhe von 125.000 Euro. Murat will den RichterInnen-Spruch jedoch anfechten. Zahlreiche Gruppen stärkten ihr bei dem Prozess mit einer Solidaritätserklärung den Rücken, darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). In Sachen „Agent Orange“ Das im Vietnam-Krieg von den USA als Entlaubungsmittel eingesetzte Agent Orange hat unermessliches Leid über das Land gebracht. Dennoch hat bisher noch noch kein Vietnamese und keine Vietnamesin eine Entschädigung erhalten. Das will die in Vietnam geborene und seit Langem in Frankreich lebende Tran To Nga ändern. Sie berief sich auf ein Gesetz in ihrer Wahlheimat, das die rechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen gestattet, auch wenn diese außerhalb der Grenzen des Staates geschahen, und verklagte die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO sowie dreizehn weitere Unternehmen. „Ich kämpfe nicht für mich selbst, sondern für meine Kinder und die Millionen von Opfern“, sagt die 79-Jährige. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und zahlreiche andere Organisationen unterstützen sie dabei. BAYER hingegen erklärt die Schadensersatz-Ansprüche für unbegründet. Der Konzern behauptet, MONSANTO hätte lediglich als Erfüllungsgehilfe der US-Army agiert, obwohl das Unternehmen mit dem Pentagon bereits seit 1950 in einem regen Austausch über die Kriegverwendungsfähigkeit der „Agent Orange“-Chemikalie 2,4,5-T stand. BAYER-Anwalt Jean-Daniel Bretzner zog schon die Zuständigkeit des Gerichts in Zweifel. Er bestritt ihm das Recht, über die Verteidigungspolitik eines souveränen ausländischen Staates in Kriegszeiten zu richten. Die RichterInnen folgten den Argumentationen von Bretzner & Co. Sie befanden, dass die Firmen „auf Anweisung und im Namen des amerikanischen Staates“ gehandelt hätten und sprachen die Unternehmen frei. Tran To Nga akzeptiert dieses Votum jedoch nicht und kündigte an, in Berufung zu gehen.
  • YASMINELLE-Klage abgewiesen
Ende Juni 2021 hat das Oberlandesgericht Karlsruhe die Klage der Arznei-Geschädigten Felicitas Rohrer gegen den BAYER-Konzern abgewiesen. Die 37 Jahre alte Frau forderte 200.000 Euro von dem Unternehmen, weil sie nach der Einnahme des Verhütungsmittels YASMINELLE eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand erlitten hatte. Diese „Nebenwirkung“ des Medikaments ist seit Langem bekannt. Zudem reicht dem Arzneimittelgesetz eine bloße Kausalitätsvermutung, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Einen exakten wissenschaftlichen Nachweis über eine Kausalbeziehung zwischen einer Arzneimittel-Einnahme und dem Auftreten von Nebenwirkungen zu erbringen, erweist sich nämlich allzu oft als eine unlösbare Aufgabe. Trotz alledem sprach die Richterin den Leverkusener Multi frei. Dessen AnwältInnen war es nämlich gelungen, die Juristin zu überzeugen, dass auch eine lange Flugreise Rohrers den Venenverschluss ausgelöst haben könnte. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Entscheidung scharf. „Das ist ein Skandal-Urteil. In den USA haben bisher schon 12.000 Leidensgenossinnen von Felicitas Rohrer Recht bekommen und insgesamt zwei Milliarden Dollar Schmerzensgeld von BAYER erhalten. Hierzulande aber kuscht die Justiz vor der Macht der Konzerne“, hieß es in ihrer Presseerklärung. Ähnlich reagierte die Klägerin. „Ich bin sehr enttäuscht über dieses Urteil und hätte es so nicht erwartet. Wir werden es nun genau prüfen und schauen, welche weiteren juristischen Schritte möglich sind“, erklärte sie. Da das Gericht eine Revision skandalöserweise nicht zuließ, bleibt Felicitas Rohrer nur noch der Weg, eine Nichtzulassungsbeschwerde einzureichen, um ein endgültiges Schließen der Akte „YASMINELLE“ zu verhindern. LIPOBAY-Klage stattgegeben BAYERs Cholesterinsenker LIPOBAY hat mindestens 100 PatientInnen den Tod gebracht, bis der Konzern ihn im Sommer 2001 vom Markt nehmen musste. In der Folge sah sich das Unternehmen mit einer Unmenge von Entschädigungsprozessen konfrontiert. Derjenige, den der italienische Arzt Roberto Trevisanato führte, zog sich über 20 Jahre hin, bis er im Mai 2021 nun mit einer Verurteilung des Leverkusener Multis endete. Das Gericht bezeichnete die Arznei als gefährlich und warf dem Pharma-Riesen vor, auf den Packungsbeilagen nicht ausreichend vor den Nebenwirkungen gewarnt zu haben. Im Rückblick sagte Trevisanato in einem Interview: „Mein Leben wurde zerstört: Als ich dieses Mittel für zwei Monate einnahm, landete ich für zwei Jahrzehnte in der Hölle.“ BAYER vor Gericht In Italien müssen sich BAYER, NOVARTIS und der Krankenhaus-Konzern SAN DONATO wegen Abrechnungsbetrugs zulasten der öffentlichen Gesundheitssysteme vor Gericht verantworten. Das Hospital hatte beim regionalen Gesundheitsdienst der Lombardei Arznei-Rechnungen der beiden Unternehmen eingereicht, die nicht den wahren Preisen entsprachen, da die Pharma-Riesen SAN DONATO unter der Hand Rabatte gewährten. Auf ähnliche Weise hatte der Leverkusener Multi in Tateinheit mit anderen Pillen-Produzenten, Krankenhäusern, ÄrztInnen und Apotheken Anfang der 2000er Jahre die US-amerikanischen staatlichen Gesundheitsprogramme Medicaid und Medicare geschröpft. Den Einrichtungen, die Bedürftigen Arzneien zur Verfügung stellen, entstand so Jahr für Jahr ein Schaden von rund einer Milliarde Dollar. Im Jahr 2000 zahlte der Global Player dafür 14 Millionen Dollar Strafe und 2003 sogar 250 Millionen Dollar. Ermittlungen wg. Bestechung Der BAYER-Konzern sieht sich in Griechenland mit dem Vorwurf der ÄrztInnen-Bestechung konfrontiert. Er soll von 2005 bis 2008 rund 800 MedizinerInnen mit Sachzuwendungen und Geld-Geschenken von bis zu 20.000 Euro veranlasst haben, Medikamente des Konzerns zu verschreiben. Im Jahr 2015 hat die Staatsanwaltschaft deshalb eine Anzeige erstattet. Über den aktuellen Stand der Ermittlungen liegen keine Informationen vor.

[Ticker 02/21] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion

CBG beim Klima-Streik
Der BAYER-Konzern stößt Jahr für Jahr Millionen Tonnen Kohlendioxid aus und trägt so zum Klima-Wandel bei. Darum nahm die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wieder am Klima-Streik teil. Sie beteiligte sich am 19. März 2021 aus gegebenem Anlass dort an den Protesten, wo der Agro-Riese seinen Stammsitz hat: in Leverkusen. Zu einer Mahnwache vor dem Rathaus der Stadt hatte die Ortsgruppe von FRIDAYS FOR FUTURE aufgerufen. Insgesamt gab es an diesem Tag rund 1.000 Aktionen in insgesamt 68 Ländern.

CBG hat Agro-Industrie satt
Jedes Jahr im Januar ist Berlin der Schauplatz der „Wir haben Agro-Industrie satt“-Proteste. Dieses Mal fanden sie in hybrider Form statt. Es gab sowohl eine kleinere Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt als auch die „Aktion Fußabdruck“, die eine „Anwesenheit in Abwesenheit“ ermöglichte. Rund 10.000 Menschen stimmten mit ihren Füßen ab gegen Pestizide, Gentechnik, Monokulturen und Tier-Fabriken, um „die Agrar-Wende loszutreten“. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) beteiligte sich mit einem „Glyphosat-Stopp jetzt!“-Fußabdruck daran. Überdies schickte die Coordination eine vor dem Dormagener BAYER-Werk aufgezeichnete Rede zum Thema „Glyphosat“ in die Hauptstadt. Und trotz alledem ließ sie es sich nicht nehmen, am 16. Januar vor Ort präsent zu sein, wenn auch in reduzierter Mannschaftsstärke. Geschäftsführer Marius Stelzmann vertrat sie dort.

Machtlose Vereinsmitglieder
Der jüngste Beschluss der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zur Verteilung der Gelder aus der TV-Vermarktung benachteiligt die kleinen Vereine aus der 2. Liga gegenüber den Top-Teams aus der 1. Liga. Der Fußball-Funktionär Andreas Rettig sieht darin ein erneutes Zeichen dafür, wie sehr sich der Fußball kommerzialisiert und von seinen Fans entfremdet hat. Eine wichtige Rolle dabei spielte seiner Meinung nach die ehemalige „Werkself“ BAYER Leverkusen. Der Club war nämlich der erste, der die Rechte seiner Mitglieder beschnitt. „Besonders die 1999 erteilte Ausnahmegenehmigung für BAYER 04 Leverkusen von der sogenannten 50-plus-1-Regel (der Verein behält die Stimmrechtsmehrheit in der Gesellschafter-Versammlung einer neu gegründeten Tochter-Gesellschaft) war eine erste Abkehr vom Vereinsleben“, schreibt er in der Rheinischen Post. „Der Verein gehörte nun nicht mehr den Mitgliedern“, so Rettig.

Petition in Sachen „Patente“
BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe gentechnischer Methoden, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten (siehe PFLANZEN & SAATEN). Dadurch droht die Kontrolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hand der großen Konzerne zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert das Europäische Patentamt deshalb in einer Petition dazu auf, keine solchen Schutzrechte mehr zu erteilen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zählt zu den Unterstützern dieser Kampagne.

KAPITAL & ARBEIT

BAYER CROPSCIENCE schrumpft
Ende September 2020 hatte der Leverkusener Multi ein 1,5 Milliarden Euro schweres Spar-Paket angekündigt – noch nicht einmal zwei Jahre nach dem letzten – und dabei auch Verkäufe von Unternehmensteilen nicht ausgeschlossen. „Zudem prüfen wir die Möglichkeit, uns von nicht strategischen Geschäften oder Marken unterhalb der Divisionsebene zu trennen“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Im Februar 2021 wurde aus der Möglichkeit dann Realität: Der Agro-Riese gab bekannt, die Sparte „Environmental Science“ mit den Pestiziden für nicht-landwirtschaftliche Bereiche wie Forstwirtschaft, öffentliche Grünanlagen, Golfplätze und Gleis-Anlagen veräußern zu wollen. Im Rahmen einer Auktion gedenkt er die Einheit zu verscherbeln. Das Mindestgebot steht auch schon fest: Zwei Milliarden Euro. Wie viele Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens durch die Entscheidung verloren gehen, teilte das Management nicht mit.

ERSTE & DRITTE WELT

385 Millionen Pestizid-Vergiftungen
Die letzte Studie über akute Pestizid-Vergiftungen stammt aus dem Jahr 1990. Damals ermittelte die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Million Fälle pro Jahr. Im Herbst letzten Jahres erschien nun eine neue Forschungsarbeit, die mit einem noch einmal drastischeren Befund aufwartet. Die Untersuchung „The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning“ verzeichnet 385 Millionen Pestizid-Vergiftungen per anno. Am stärksten betroffen sind Entwicklungs- und Schwellenländer. Prozentual die meisten Fälle unter LandwirtInnen und LandarbeiterInnen gibt es in Süd- und Südost-Asien sowie in Ostafrika. Auch südamerikanische Staaten wie Kolumbien, Venezuela und Argentinien kommen auf beunruhigend hohe Raten. Die ForscherInnen führen mehrere Gründe für den steilen Anstieg der Zahlen an. Die WHO hat damals nur die schwereren Krankheitsverläufe registriert und konnte sich zudem nicht auf eine so breite Daten-Basis stützen wie die neue Studie. Vor allem aber nahm die Ackergift-Produktion zu. Um rund 80 Prozent erhöhte sich die Menge der von BAYER & Co. in Umlauf gebrachten Substanzen von 1990 bis 2017. Darunter litten ebenfalls wieder vor allem die Länder des globalen Südens. In Südamerika legte die Pestizid-Nutzung um 484 Prozent zu und in Asien um 97 Prozent, während sie in Europa um drei Prozent schrumpfte. Von einem „Problem, das nach einem sofortigen Handeln verlangt“, sprechen die AutorInnen angesichts der vielen Vergiftungen. Die tödlich verlaufenden Intoxikationen haben dagegen abgenommen. Sie reduzierten sich von jährlich 20.000 im Jahr 1990 auf nunmehr 10.000. Als Grund vermuten die WissenschaftlerInnen das Verschwinden einiger besonders gefährlicher Mittel vom Markt. Dies bedürfe allerdings noch einer genaueren Überprüfung, hielten sie fest.

POLITIK & EINFLUSS

Plausch mit der EU-Kommission
Im Dezember 2019 trafen sich VertreterInnen verschiedener EU-Generaldirektionen mit VertreterInnen des europäischen Pharma-Verbandes EFPIA sowie mit LobbyistInnen von BAYER, PFIZER, BOEHRINGER & Co. Die Mitglieder der Generaldirektionen „Steuern und Zoll“, „Industrie und Handel“ und „Gesundheit“ hielten die Konzern-EmissärInnen dabei nicht nur über laufende politische Projekte wie etwa die Verhandlungen zu der pan-afrikanischen Freihandelszone AfCFTA auf dem Laufenden, sondern warben auch proaktiv um Mitarbeit. So ermunterten die GeneraldirektorInnen die EFPIA, der Kommission doch bitte ihre Prioritäten in Sachen „AfCFTA“ zu übermitteln.

Die EU-Chemikalienstrategie
Mit immer mehr Chemikalien suchen BAYER & Co. die Welt heim. Zwischen 2000 und 2017 steigerten die Konzerne ihre Produktionskapazitäten von 1,2 auf 2,3 Milliarden Tonnen. Und für den Zeitraum bis 2030 sagt die UN noch einmal fast eine Verdoppelung des Verkaufs chemischer Substanzen voraus. Dabei hat der Output der Branche schon jetzt massive Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. Die Weltgesundheitsorganisation beziffert die Zahl der von Kunststoffen, Pestiziden und anderen Stoffen verursachten Todesfälle auf 1,6 Millionen jährlich. Aus diesen Gründen entschloss sich die Europäische Union zu handeln. „Wenn wir nichts unternehmen, wird sich die Gesamtzahl der Krebsfälle in der EU bis 2035 voraussichtlich verdoppeln“,mahnte die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Darum brachte Brüssel im Oktober 2020 eine Chemikalien-Strategie auf den Weg. Diese versteht sich als Teil des „Green Deals“ und beabsichtigt, „den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu erhöhen“. Im Rahmen dieser Strategie will die Europäische Union beispielsweise Maßnahmen zur Eindämmung von Gefahren ergreifen, die hormon-ähnlich wirkende Erzeugnisse – sogenannte endokrine Disruptoren – hervorrufen, zu denen unter anderem Pestizide wie BAYERs Glyphosat gehören. Bei schwer abbaubaren Stoffen sieht sie ebenfalls Handlungsbedarf. Zudem plant die EU, die Gefährdungen, die von den Kombinationswirkungen der Produkte ausgehen, zu minimieren und alle Waren zu verbieten, die krebserregende, erbgut- oder fortpflanzungsschädigende Substanzen enthalten. BAYER & Co. liefen Sturm gegen das Vorhaben und versuchen nun, Obstruktionspolitik gegen die Umsetzung zu betreiben (s. u.).

VCI will andere Chemie-Strategie
Die Ankündigungen der EU, eine Chemikalien-Strategie auf den Weg zu bringen, ließ bei BAYER & Co. die Alarm-Glocken läuten. Ihre LobbyistInnen in Brüssel arbeiteten rund um die Uhr, um das Schlimmste zu verhindern und konnten auch einige Erfolge verbuchen. So intervenierten die EU-Generaldirektionen „Industrie“ und „Gesundheit“ zugunsten der Konzerne und machten sich für schwächere Bestimmungen stark. Nach der Verabschiedung der Strategie im Oktober 2020 konzentrieren sich die Multis darauf, ihre Vorstellungen bei der konkreten Realisierung der Maßnahmen durchzusetzen. Mitte März 2021 etwa forderte der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) „mehr Augenmaß für die kommenden Reformen“. „Für die Chemie- und Pharmabranche und ihre Kunden in nachgeschalteten industriellen Wertschöpfungsketten wird die EU-Chemikalienstrategie massive Auswirkungen haben, wenn sie unverändert umgesetzt werden sollte“, warnte die Lobby-Organisation. Wieder einmal stieß sie sich an dem Gefahren-Ansatz der EU, der sich dem Vorsorge-Prinzip verpflichtet fühlt. Nach diesem Ansatz sind einige Stoffe an sich schädlich und nicht bloß ab einer bestimmten Schwelle, weshalb schon kleinste Mengen Krankheiten auslösen können. Im Gegensatz dazu kennt der Risiko-Ansatz keine absoluten Gefahren, sondern nur relative, von der Wirkstärke abhängige und deshalb durch Grenzwerte einhegbare. Darum bevorzugt die Industrie eine solche Regulierungsvariante. Dementsprechend behauptet der VCI in seiner Veröffentlichung, „dass auch Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften sicher gehandhabt werden können“ und wendet sich vehement gegen Verbote. Seine Hoffnungen setzt der Verband auf die Gespräche am Runden Tisch, die im Rahmen der Implementierung der neuen Chemie-Politik vorgesehen sind. „Die Einrichtung eines Runden Tisches aller Interessensgruppen begrüßen wir außerordentlich – vorausgesetzt, es kommt zu unvoreingenommenen Diskussionen, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup, der im Jahr 2019 von BAYER zum „Verband der Chemischen Industrie“ gewechselt war.

Ein bisschen weniger Glyphosat
Gegen einen Glyphosat-Stopp vor dem Auslaufen der EU-Zulassung Ende 2023 hatte die Große Koalition sich schon im September 2019 ausgesprochen. Sie gab sich mit einer Minderungsstrategie zufrieden. Für diese ließen sich die PolitikerInnen dann zu allem Übel auch noch Zeit bis kurz vor Toresschluss der Legislatur-Periode. Überdies fielen die Regelungen äußerst bescheiden aus. SPD und CDU verabschiedeten diese im Rahmen des Insektenschutz-Gesetzes, welches das Bundeskabinett im Februar 2021 auf den Weg brachte. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für Anwendungen im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fallen. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid erlaubt. Und die Länder dürften im Bundesrat noch zusätzliche Aufweichungen durchsetzen. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte weisen ebenfalls starke Mängel auf. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte das Paragrafen-Werk deshalb scharf. „Dieser Beschluss reicht nicht aus. Wir fordern einen sofortigen Glyphosat-Stopp, denn das Pestizid stellt eine immense Gesundheitsgefahr dar“, hieß es in ihrer Presseerklärung.

Druck auf Mexiko wg. Glyphosat
Wenn Länder ein Glyphosat-Verbot ankündigen, nutzt der BAYER-Konzern sofort seine politischen Kanäle, um solche Pläne zu verhindern. Das bekam nicht nur Thailand (Ticker 4/20), sondern auch Mexiko zu spüren, wie Recherchen des US-amerikanischen CENTER FOR BIOLOGICAL DIVERSITY (CBD) ergaben. So setzte die BAYER-Lobbyistin Stephanie Murphy in Washington alle Hebel in Bewegung, um die Verantwortlichen von der Notwendigkeit eines „politischen Engagements auf hoher Ebene“ zu überzeugen. Murphy, einst selbst in der US-Administration beschäftigt – sie arbeitete unter dem US-Handelsbeauftragten als „Director for Agricultural Affairs“ – kontaktierte dabei unter anderem Leslie Yang, die Direktorin für internationale Handels- und Umweltpolitik. Dieser schlug sie unter anderem vor, im Rahmen der Verhandlungen über das USMCA – den Nachfolger des Handelsabkommens NAFTA – Druck auf Mexiko auszuüben. Und die PolitikerInnen taten wie geheißen. Trumps Handelsbeauftragter Robert Lighthizer etwa warnte die damalige Wirtschaftsministerin des lateinamerikanischen Landes, Graciela Márquez Colín, vor der Gefährdung der „Stärke unserer bilateralen Beziehungen“ durch den Glyphosat-Bann und andere neue Agrar-Gesetze. Glücklicherweise blieb Mexiko im Gegensatz zu Thailand schlussendlich bei seiner Position. „Wenn man sich den Email-Austausch zwischen der US-Regierung und BAYER anschaut, sieht man, dass die US-Regierung mehr oder weniger alles tut, worum sie von BAYER gebeten wird. Das ist extrem beunruhigend“, resümiert Nathan Donley vom CBD. Der Leverkusener Multi ist sich hingegen keiner Schuld bewusst. „Wie viele Unternehmen und Organisationen, die in stark regulierten Bereichen tätig sind, stellen auch wir Informationen zur Verfügung und tragen zu wissenschaftlich fundierten Entscheidungsfindungen und regulatorischen Prozessen bei“, verlautete aus der Unternehmenszentrale.

BAYER-Gelder für Kapitol-Sturm
Der Leverkusener Multi und die TELEKOM-Gesellschaft T-MOBILE USA haben den Sturm auf das Washingtoner Kapitol, der am 6. Januar 2021 stattfand, durch Spenden an den „Verband der republikanischen Generalstaatsanwälte“ (RAGA) mitfinanziert, wie Recherchen der taz ergaben. 50.000 Dollar zahlte die BAYER-Tochter MONSANTO dem RAGA, dessen Unterorganisation „Rule of Law Defense Fund“ massiv zu Aktionen an dem Tag mobilisierte, im letzten Jahr. „Um 13 Uhr werden wir zum Kapitol ziehen (...) Wir hoffen, dass Patrioten wie Sie gemeinsam mit uns weiter kämpfen werden, um die Integrität unserer Wahlen zu schützen“, so lautete der Text ihrer Telefon-Kampagne. Schon im Wahlkampf hatte das „Political Action Comitee“ (PAC) des Leverkusener Multis mehrheitlich republikanische KandidatInnen gesponsert. Rund 186.000 Dollar ließ ihnen das „BAYERPAC“ zukommen. 24 der vom Konzern unterstützten PolitikerInnen der republikanischen Partei gehörten dann zu denjenigen 147 Abgeordneten, die am Tag der Belagerung des Parlamentsgebäudes durch den von Donald Trump aufgehetzten rechten Mob gegen die Anerkennung des Wahl-Sieges von Joe Biden votierten. „Nicht genug damit, dass BAYER seit Dekaden Unsummen in die Pflege der politischen Landschaft der USA investiert. Jetzt tragen die Schecks des Agro-Riesen auch noch mit dazu bei, Trumps Angriff auf demokratische Institutionen zu alimentieren, der bereits fünf Menschenleben gekostet hat. Partei-Spenden von Unternehmen müssen endlich verboten werden“, hieß es in der Presseerklärung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN dazu. Gegenüber der taz erklärte der Agro-Riese, nicht nur den „Verband der republikanischen Generalstaatsanwälte“, sondern auch sein demokratisches Pendant mit Geldern zu bedenken. Er wolle jetzt zunächst einmal die RAGA-interne Untersuchung zu den Vorgängen abwarten, um dann über eine weitere Förderung zu entscheiden. Und Spenden an diejenigen RepublikanerInnen, „die gegen die Zertifizierung der US-Präsidentschaftswahl gestimmt haben“, setze BAYER vorerst aus, verlautete aus der Unternehmenszentrale. Katja Kipping von der Partei „Die Linke“ kritisierte die Sponsoring-Praktiken: „Die Spenden von BAYER und TELEKOM an Trump-Unterstützer zeigen vor allem eins: Spenden aus der Wirtschaft haben keinen moralischen, sondern einen profit-orientierten Kompass. Sie dienen der Beeinflussung politischer Entscheidungen im Unternehmensinteresse. Dieses Erkaufen von Wohlwollen widerspricht grundsätzlich dem demokratischen Gedanken und ist abzulehnen.“ Auch der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, verurteilte das Vorgehen der beiden Konzerne. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), der Bundesvorstand der SPD und die Co-Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, wollten sich gegenüber der taz hingegen nicht zu dem Fall äußern.

Agrar-Subventionen für Bauer BAYER
Die EU bedenkt den Leverkusener Multi für seinen Grundbesitz und seine Pestizidsversuchsfelder seit geraumer Zeit mit Agrar-Subventionen. Im Jahr 2019 strich der Konzern stolze 144.585,27 Euro aus Brüssel ein.

Neue Spenden-Kriterien
Der BAYER-Konzern sponsert PolitikerInnen nur in den USA direkt, weil dort angeblich „Spenden an Kandidaten und Politiker Teil der politischen Kultur sind“. Wie die taz herausfand, erhalten sogar veritable Klima-LeugnerInnen wie die Republikaner Blaine Luetkemeyer, Kevin McCarthy und Joni Ernst Schecks vom Leverkusener Multi. Nach dieser image-schädigenden Enthüllung sah der Global Player Handlungsbedarf und formulierte neue Richtlinien, die nun „auch gesellschaftliche Herausforderungen reflektieren“. Bei den jetzigen Vergabe-Kriterien „spielen zum Beispiel die Haltung zum Klimawandel und der Schutz der Biodiversität eine wichtige Rolle“, wie es im Nachhaltigkeitsbericht heißt.

16 Millionen für Verbindungsbüros
In den Hauptstädten der Welt pflegt der BAYER-Konzern die jeweiligen politischen Landschaften von sogenannten Verbindungsbüros aus. 16 Millionen Euro investierte er 2020 in diese. Am meisten Geld verschlang mit 8,5 Millionen Euro die Operationsbasis in Washington, es folgten Brüssel mit 2,4 Millionen, Berlin mit zwei Millionen, Peking mit 1,6 Millionen, Brasilia mit einer Million und Moskau mit 300.000 Euro.

Lückenhaftes Lobbyregister
Im März 2020 hat die Bundesregierung die Einführung eines Lobbyregisters beschlossen. Die Transparenz-Regelungen lassen allerdings zu wünschen übrig. So fehlt etwa ein „legislativer Fußabdruck“. Die BAYER-LobbyistInnen vom Berliner Verbindungsbüro des Konzerns müssen deshalb nicht offenlegen, ob sie den PolitikerInnen beim Schreiben von Gesetzen unter die Arme gegriffen haben. Was die Einfluss-ArbeiterInnen in den Fachreferaten so treiben, wo die meisten Paragrafen-Werke entstehen, erfährt die Öffentlichkeit nämlich auch weiterhin nicht. Zudem können die Konzern-EmissärInnen Angaben zu ihrem finanziellen Aufwand verweigern. Informationen zu den konkreten Zielen ihres Antichambrierens brauchen sie ebenfalls nicht zu geben. Überdies verlangt die Große Koalition von ihnen nicht, alle ihre Treffen in das Register einzutragen. „Die Lobby-Netzwerke, die zentralen Elemente der Einflussnahme, bleiben so verborgen“, kritisierten die Wissenschaftler Ulrich Battis und Andreas Polk deshalb in der FAZ.

PROPAGANDA & MEDIEN

BAYERS Glyphosat-TV
Der BAYER-Konzern wollte nicht auf sich sitzen lassen, was das TV-Magazin W wie Wissen in einer Sendung so alles an Kritik zu Glyphosat zusammengetragen hatte, und betrieb Gegen-Aufklärung. Er produzierte ein „Faktencheck“-Video und lud es auf seinen You Tube-Kanal hoch. Sogar einen echten Landwirt bot der Leverkusener Multi auf, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Aus dessen Munde waren dann aber auch wieder nur die alten Gassenhauer wie „Die Dosis macht das Gift“ zu hören, die der Global Player schon oft zur Aufführung gebracht hatte. Zum Thema „Artensterben“ beließ BAYER es bei einem Achselzucken. So ein Acker ist halt kein Pony-Hof, befand das Unternehmen bzw.: „Eine Fläche, die zur Erzeugung von Lebensmitteln genutzt wird, kann nicht zugleich als Biotop dienen.“ Glyphosat-Verwehungen? Die kommen nicht vor und überhaupt: „Die Wissenschaft ist sich einig, dass Glyphosat bei sachgerechter Anwendung eines der sichersten Pflanzenschutzmittel ist, die es weltweit gibt.“ Noch Fragen?

Konzern-Vehikel swiss-food
BAYER und SYNGENTA betreiben in der Schweiz gemeinsam die Website swiss-food, die sich der Propaganda in Sachen „Glyphosat & Co.“ verschrieben hat bzw. „einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion rund um die Produktion unserer Nahrungsmittel und um Pestizide leisten“ will. Zu diesem Behufe arbeitet sich die Gegenaufklärung gleich an zwölf Mythen parallel ab. „Natürlich ist gesund – Chemie ist Gift“, „Pestizide sind schuld am Insektensterben“, „Dem Schweizer Wasser geht es schlecht“ – gegen das alles und noch viel mehr zieht swiss-food zu Felde.

TIERE & VERSUCHE

95.010 Tierversuche
Der BAYER-Konzern selbst oder von ihm beauftragte Unternehmen führten im Jahr 2020 95.010 Tierversuche durch und damit 22.985 weniger als 2019. 83,8 Prozent der „Test-Objekte“ waren Ratten und Mäuse, 3,3 Prozent Vögel, 1,6 Prozent Fische und 1,5 Prozent Frösche.

DRUGS & PILLS

Kein Zusatznutzen für VITRAKVI
BAYERs Arznei VITRAKVI kommt bei Krebs-Arten zum Einsatz, die durch ein Zusammenwachsen bestimmter Gene entstehen. Solche Tumor-Bildungen treten sehr selten auf. Darum reklamierte der Leverkusener Multi für das Mittel mit dem Wirkstoff Larotrectinib erfolgreich einen „Orphan Drug“-Status und erreichte eine Zulassung, obwohl nur 102 Personen an der Klinischen Prüfung teilgenommen hatten. Das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) zeigte sich von dem Medikament indes nicht überzeugt. Es vermochte keinen Zusatznutzen auszumachen. Die – noch laufenden – Studien könnten einen solchen Nachweis theoretisch erbringen. Diese vergleichen das Mittel jedoch nicht mit anderen, wie das IQWiG kritisierte. Der Pharma-Riese versucht das zu kompensieren, indem er Effekte von VITRAKVI auf das Gesamtüberleben der PatientInnen und die Tumor-Progression beschrieb, die er als „dramatisch“ bezeichnet. Dies ließ das Institut jedoch nicht gelten. Es stellte selbst Vergleichsstudien an und resümierte: „Im Endpunkt Gesamtüberleben sind die bisher beobachteten Unterschiede zwischen Larotrectinib und anderen Therapien bei keiner der Krebs-Erkrankungen so groß, dass sie nicht auch auf systematischer Verzerrung beruhen könnten.“ Zudem übte das IQWiG Kritik an BAYERs Auswertung der Untersuchungsdaten. „Ergebnisse wurden selektiv dargestellt“, befand das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“.

Beschleunigtes Finerenone-Verfahren
Die BAYER-Arznei Finerenone hemmt die übermäßige Ausschüttung von Mineralocorticoid-Hormonen, die zu Nieren- und Herz/Kreislauf-Problemen führen kann. In der Klinischen Prüfung sank dem Konzern zufolge das Risiko eines Nierenversagens bei PatientInnen, die Finerenone erhielten, um 18 Prozent im Vergleich zu denjenigen, die ein Placebo bekamen. Das Risiko für Herzinfarkte und andere kardiovaskuläre Ereignisse reduzierte sich um 14 Prozent. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sicherte dem Leverkusener Multi deshalb ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für das Medikament zu.

Beobachtungsstudien: Keine Bedenken
Erkenntnisse werfen die sogenannten Anwendungsbeobachtungen (AWB), die MedizinerInnen mit ihren PatientInnen zur Wirkung bestimmter Arzneien durchführen, kaum ab. Das ist auch gar nicht Sinn der Übung. Die Prozeduren – wie sie der BAYER-Konzern etwa jüngst zu seinen Blutprodukten KOVALTRY und JIVI in Auftrag gegeben hat – verfolgen nur den Zweck, die Kranken auf die getesteten Präparate umzustellen. Und dafür zahlen die Pharma-Riesen den ÄrztInnen viel Geld. „Fangprämien“ nannte ein ehemaliger Vorsitzender der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ diese Zuwendungen einst. Die Bundesregierung aber sieht das ganz anders – mit den Augen der Pillen-Produzenten nämlich – und will die Praxis deshalb auch nicht unterbinden. „Die AWB sind dazu bestimmt, Erkenntnisse bei der routinemäßigen Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel durch Ärztinnen und Ärzte bei Patientinnen und Patienten zu sammeln. Mit ihrer Hilfe können Erkenntnisse über zugelassene oder registrierte Arzneimittel gewonnen werden“, hieß es in der Antwort von Merkel & Co. auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen.

Schnellere Zulassungen in China
Im Rahmen des „Healthy China 2030“-Programms will die Pekinger Regierung die Entwicklung innovativer Medikamente fördern und schuf dafür auch Anreize. So verkürzt sich für neue Arzneien das Zulassungsprozedere. Auch Pharmazeutika zur Behandlung seltener Krankheiten erhalten Sonderkonditionen.

Preis-Druck in China
Die chinesische Regierung überprüft alljährlich die Arznei-Ausgaben und stellt im Zuge dessen auch die Liste mit denjenigen Medikamenten neu zusammen, für welche die staatliche Krankenkasse die Kosten übernimmt. Dabei führt sie harte Verhandlungen mit den Pillen-Riesen. Von einer „Rabatt-Schlacht“ spricht die Neue Zürcher Zeitung und der BAYER-Lobbyist Matthias Berninger etwas gefasster von „Preisdruck auf die Pharma-Industrie“.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat schädigt das Herz
Nach einer Studie von WissenschaftlerInnen der „Icahn School of Medicine“ und des „Ramazzini Instituts“ kann Glyphosat das Herz schädigen. Den ForscherInnen zufolge löste das Herbizid im Organismus von Ratten eine gesteigerte Produktion der Aminosäure Homocystein aus, die als Risiko-Faktor für Herz/Kreislauf-Erkrankungen gilt. Die Veröffentlichungen zu den Gesundheitsstörungen, die das Herbizid hervorruft, füllen inzwischen Bibliotheken. Eigentlich müsste es – schon um Tierversuche zu vermeiden, welche die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ablehnt – gar keine neuen Untersuchungen (s. u.) mehr geben.

Glyphosat schädigt den Darm
Das Pestizid Glyphosat schädigt die Mikroorganismen-Kulturen im Darm. Das fand ein internationales WissenschaftlerInnen-Team um Dr. Michael Antoniou vom Londoner „King’s College“ heraus und bestätigte damit frühere Studien (siehe Ticker 1/21). Nach Einschätzung Antonious ist das ein alarmierender Befund. „Wir wissen, dass unser Darm von tausenden verschiedenen Bakterien-Stämmen bewohnt wird und ein Gleichgewicht in ihrer Zusammensetzung (...) entscheidend für unsere Gesundheit ist. Also hat alles, was das Darm-Mikrobiom stört (...), das Potenzial, sich negativ auf unsere Gesundheit auszuwirken“, so der Forscher.

Glyphosat schädigt Bienen
Nach einer Untersuchung chinesischer WissenschaftlerInnen greift Glyphosat die Gesundheit von Bienen an. Wie das Team von der „Chinesischen Akademie für Agrar-Wissenschaften“ herausfand, beeinträchtigt das Herbizid die Gedächtnis-Leistung der Insekten. Auch leiden deren körperliche Fähigkeiten. Daher traten die ForscherInnen dafür ein, ein Frühwarnsystem einzurichten, das die ImkerInnen rechtzeitig vor dem Versprühen des Mittels informiert, damit diese ihre Bienenstöcke schützen können.

Glyphosat: Ungeprüft zugelassen
Ende 2017 verlängerte die EU die Glyphosat-Zulassung um fünf Jahre. Den Ausschlag dafür gab die Stimme des damaligen deutschen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt (CSU). Nach dieser Entscheidung stellten BAYER und die anderen Hersteller 30 Anträge auf neue Genehmigungen, da die alten nur bis zum 15. Dezember 2020 Gültigkeit besaßen. Die Behörden der einzelnen EU-Länder schafften es jedoch nur, vierzehn von ihnen rechtzeitig vor dem Verfall der Vermarktungslizenz zu bearbeiten. Damit war das Schicksal der anderen Glyphosat-Erzeugnisse aber keinesfalls besiegelt. „In diesen Fällen müssen die bestehenden Zulassungen gemäß Artikel 43 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 formal um ein weiteres Jahr bis zum 15. Dezember 2021 verlängert werden“, teilte das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit“ mit.

Weniger Glyphosat auf den Schienen
Die DEUTSCHE BAHN zählt zu den Großverbrauchern von Glyphosat. Nach Angaben des Unternehmens gehen rund 0,4 Prozent der jährlich in Deutschland insgesamt ausgebrachten Mengen auf die Gleisanlagen nieder. 2019 verkündete die Bahn allerdings einen Ausstiegsplan. Der Konzern erklärte, bis 2023 ganz auf das Mittel verzichten zu wollen. Und wirklich macht er Fortschritte. 2020 sank der Verbrauch im Vergleich zu 2018, wo er bei 57 Tonnen lag, schon um rund die Hälfte. Unter anderem ersetzt das Mähen den Einsatz der Chemikalie.

Glyphosat in Spaghetti
Die Zeitschrift Ökotest wies bei einer Untersuchung Glyphosat-Rückstände in Spaghetti nach. In 12 von 20 Sorten fanden sich Spuren des Herbizids.

„Glyphosate-residue-free“
In den USA findet das Lebensmittel-Label „ohne Glyphosat-Rückstände“, das die Organisation „Detox Project“ schuf, eine immer stärkere Verbreitung. Die Zahl der Produkte, die dieses Siegel tragen, beläuft sich mittlerweile auf 70, und deren Absatz nahm 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent zu.

PFLANZEN & SAATEN

Patente auf konventionelle Pflanzen
„Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren“ schließt das „Europäische Patent-Abkommen“ von der Patentierbarkeit aus. Trotzdem reklamieren die Konzerne immer wieder Schutzrechte für Gewächse, die mittels althergebrachter Methoden entstanden. Fünf solcher Anträge stellte der Leverkusener Multi allein im Jahr 2020. Das förderte eine Untersuchung des Netzwerkes KEINE PATENTE AUF SAATGUT zutage. „Es gibt bereits zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie rechtliche Schlupflöcher dazu benutzt wurden, um Patente auf Gerste und Bier, auf Melonen oder auch auf Salat aus konventioneller Züchtung zu erteilen“, konstatiert die Organisation. Sie wirft den Unternehmen vor, zufällige genetische Veränderungen als patentierbare Erfindungen auszugeben und die Grenze zwischen konventionellen und gentechnischen Verfahren systematisch zu verwischen. Die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO tat das etwa bei einer Paprika-Sorte, die bestimmten Krankheiten trotzt – ein Ergebnis von Kreuzung und Selektion, basierend auf der Analyse von DNA-Sequenzen. Die Initiative warnt vor den Konsequenzen dieser Entwicklung: „Im Ergebnis erlangen eine Handvoll internationaler Konzerne immer mehr Kontrolle über die Produktion unserer Lebensmittel.“ Darum fordert KEIN PATENTE AUF SAATGUT die Politik auf, das Treiben von BAYER & Co. zu unterbinden. „Die Bundesregierung hat nur noch wenige Monate Zeit, um hier im Sinne des Koalitionsvertrages für mehr rechtliche Klarheit zu sorgen“, erklärte das Netzwerk-Mitglied Georg Janßen von der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT bei der Übergabe der Patent-Studie an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) am 11. März 2021 in Berlin.

EPA widerruft Melonen-Patent
Im Jahr 2011 erteilte das Europäische Patentamt (EPA) der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO ein Patent auf eine Melone, obwohl bei der Züchtung keine gentechnischen Methoden zum Einsatz kamen. Die „neue“ Eigenschaft, eine Resistenz gegen bestimmte Krankheitserreger, war eine alte: indische Sorten verfügten über sie. Das Unternehmen hatte sie nur mittels Selektion und Kreuzungen marktreif gemacht. Darum erhob damals ein breites Bündnis aus solchen Initiativen wie KEIN PATENT AUF LEBEN und GREENPEACE und Aktivistinnen wie Vandana Shiva Einspruch gegen die Entscheidung. Die EPA gab diesem statt, aber MONSANTO ging dagegen vor. Im März 2021 bestätigte nun aber die Beschwerdekammer des Patentamtes den Widerruf des Patents endgültig. Allerdings macht es für den Entzug der Schutzrechte nur formale Gründe geltend. Das US-Unternehmen hätte „das relevante biologische Material“ bei der Antragstellung der Öffentlichkeit zugänglich machen oder eine Probe bei einer anerkannten Institution hinterlegen müssen, so die JuristInnen. Darum fällte die EPA kein Grundsatz-Urteil. Entsprechend skeptisch bleiben die Patent-GegnerInnen. „Das Patent basiert auf konventioneller Züchtung und beansprucht Pflanzen-Sorten. Beides darf laut europäischer Patent-Gesetze nicht patentiert werden. Die Erteilung des Patents war ein klarer Rechtsbruch, doch das spielte bei der Entscheidung des EPA keine Rolle“, kritisiert Ruth Tippe vom Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT.

Kooperation mit ABACUSBIO
Der BAYER-Konzern hat mit dem Unternehmen ABUCUSBIO eine Kooperation auf dem Gebiet der Pflanzenzucht vereinbart. Die neuseeländische Firma will mit den von ihr zusammengetragenden Daten nicht nur „zur genetischen Verbesserung“ der Produkte des Leverkusener Multis beitragen, sondern auch deren „wirtschaftliches Potenzial beeinflussen“.

GENE & KLONE

Neue Import-Zulassung
Die EU-Kommission hat im Januar 2021 acht Import-Genehmigungen für Genpflanzen erteilt. Sechs davon galten BAYER-Produkten. Drei Mais-Sorten und ein Soja-Konstrukt des Leverkusener Multis erhielten erstmals Zulassungen. Die Mais-Arten MON 88017 und MON 89034 durften in die Verlängerung gehen. Die Initiative TESTBIOTECH kritisierte die Entscheidungen scharf. Nach Ansicht des „Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie“ nahm es die EU nämlich mit der Begutachtung nicht allzu genau. Als Beispiel nannte es das Verfahren zum Mais MON 87427 x MON 87460 x MON 89034 x MIR 162 x NK 603. Diese Laborfrucht kann laut Konzern dank der Gentechnik auch Trockenheitsperioden gut überstehen, was TESTBIOTEST zufolge aber erst noch zu beweisen wäre. „Wie eine detaillierte Prüfung der Antragsunterlagen zeigt, wurde der Mais nie unter den entsprechenden Bedingungen getestet. In den Freisetzungsversuchen wurden die Felder stattdessen bei Bedarf bewässert. Zudem wurden beim Anbau der Pflanzen nur rund 900 Gramm Glyphosat pro Hektar eingesetzt und nicht über drei Kilogramm, wie es in der Praxis die Regel ist“, konstatiert die Organisation.

EU-Parlament sagt „Nein“
Im Dezember 2020 weigerte sich das EU-Parlament mit großer Mehrheit, Einfuhr-Genehmigungen für fünf Genpflanzen zu erteilen. Vier Anträge hatte BAYER eingereicht, einer stammte von SYNGENTA. Bei den Laborfrüchten des Leverkusener Multis handelte es sich um eine Soja-Art und drei Mais-Sorten, die mit bis zu vier Giften des Boden-Bakteriums „Bacillus thuringiensis“ bestückt sind, um Schadinsekten abzuwehren. Und diese haben es in sich. Die Bt-Toxine interagieren nämlich mit den Enzymen der Gewächse, in welche die GenwerkerInnen sie eingebaut haben, und potenzieren so ihre Giftigkeit. Bis zu 20 Mal höher als im natürlichen Zustand kann diese sein. Das belegen alte Dokumente des jetzt zu BAYER gehörenden Unternehmens MONSANTO, welche die Initiative TESTBIOTECH aufgespürt hat (siehe Ticker 1/21).

WASSER, BODEN & LUFT

3,58 Millionen Tonnen CO2
Im Geschäftsjahr 2020 stieß der BAYER-Konzern 3,58 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus. Gegenüber 2019 sank der Wert um 180.000 Tonnen, was jedoch mitnichten auf erste Erfolge einer etwaigen Minderungsstrategie verweist. „Dieser Rückgang ist überwiegend auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen“, hält das Unternehmen in seinem Nachhaltigkeitsbericht fest. Für den größten Teil der Emissionen sorgt nach wie vor die Agrar-Sparte. Dabei ist Glyphosat der größte Klima-Killer, denn die Gewinnung seines Vorproduktes Phosphor aus Phosphorit am US-Standort Soda Springs frisst enorm viel Energie. So deutlich drückt der Agro-Riese das allerdings nicht aus. Im neuen Nachhaltigkeitsbericht heißt es lediglich verklausuliert: „Besonders energieintensiv ist unsere Rohstoffgewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science – daher entfällt der größte Anteil unserer Treibhausgas-Emissionen auf diese Division.“

Schlechter Energie-Mix
17.836 Terrajoule Strom erzeugte der BAYER-Konzern im Geschäftsjahr 2020 selbst. Dabei setzt er zum überwiegenden Teil auf fossile Energieträger. Von den im Geschäftsjahr 2020 produzierten 17.836 Terrajoule entfielen 10.911 Terrajoule auf Erdgas und 566 Terrajoule auf Kohle, wobei der Kohle-Anteil gegenüber 2019 immerhin von 13,5 Prozent auf rund drei Prozent sank. Von den 18.022 Terrajoule zugekauften Stroms entstammten nur sechs Prozent aus erneuerbaren Energie-Quellen. Den Rest des Bedarfs deckten Gas, Kohle oder Kernkraft. Der Leverkusener Multi gelobt aber Besserung. „U. a. in den USA, in Mexiko und Spanien haben wir im Berichtsjahr Lieferverträge für Strom aus erneuerbaren Energien abgeschlossen“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht. Bis 2030 will der Global Player hier auf eine Quote von 100 Prozent kommen.

Ein bisschen Emissionshandel
„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren. Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So bekamen die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum braucht der Leverkusener Agro-Riese kaum Emssionshandel zu betreiben. Mit lediglich fünf Anlagen, die für noch nicht einmal zehn Prozent seines jährlichen CO2-Ausstoßes von 3, 58 Millionen Tonnen sorgen, war er im Geschäftsjahr 2020 dabei.

CO2-Kompensation statt -Reduktion
Eigentlich gibt es nur einen Weg, den Klimawandel einzudämmen: die Reduktion des Stromverbrauchs und den Umstieg auf erneuerbare Energie-Träger. BAYER & Co. ist aber noch etwas anderes eingefallen. Sie wollen ihre CO2-Emissionen nicht nur reduzieren, sondern auch kompensieren, also das, was ihre Produktionsanlagen so absondern, an anderer Stelle wieder ausgleichen, sprich: neutralisieren. Der Leverkusener Multi hat sich vorgenommen, diese Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 zu erreichen, und zwar nur zu 42 Prozent durch eine Senkung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase. Den Rest sollen andere Maßnahmen erbringen wie z. B. Investitionen in Projekte zur Wiederaufforstung. Um 200.000 Tonnen CO2 hat der Global Player seine Klima-Bilanz auf diese Weise im Geschäftsjahr 2020 schon aufhübschen können. Bis der Effekt sich allerdings auch anderswo als nur auf dem Papier einstellt und die Bäumchen, die BAYER pflanzt, sich wirklich positiv auf das Klima auswirken, dürften jedoch noch so einige Jahrzehnte ins Land ziehen. Und Menschen, die in der Nähe der Dreckschleudern leben müssen und dadurch ihre Gesundheit ruinieren, nützen Wälder in Uruguay, Brasilien oder China herzlich wenig. Zu allem Übel plant der Agro-Riese auch noch, sein berühmt-berüchtigtes Glyphosat mit in die Rechnung einzubeziehen. Er verkauft das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid nämlich als klimaschonend, weil es den LandwirtInnen das – angeblich Kohlendioxid freisetzende – Pflügen erspart.

Weniger ODS und VOC
Im Geschäftsjahr 2020 haben die BAYER-Werke weniger ozon-abbauende Stoffe (ODS) und flüchtige organische Substanzen (VOC) ausgestoßen als 2019. Der Wert für die ODS sank von 12,3 auf 4,3 Tonnen und derjenige für die VOC von 1.410 auf 690 Tonnen. Bisher sorgten immer die Uralt-Dreckschleudern des Konzerns im indischen Vapi für den Großteil des Ausstoßes. Der Leverkusener Multi doktert zwar schon seit über 15 Jahren an den Anlagen herum, aber neuerliche Sanierungsmaßnahmen scheinen jetzt endlich zu greifen. „Maßgeblich für die Reduktion beider Kennzahlen ist der Anschluss der Lagertanks für Lösemittel an die Abluft-Reinigungsanlage am Standort Vapi, Indien“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns.

Weniger Emissionen in die Luft
Nach BAYER-Angaben führte die COVID-19-Pandemie an einigen Standorten zur Drosselung der Produktion. Infolgedessen reduzierten sich auch die Schadstoff-Mengen, die der Konzern in die Luft emittierte. Der Ausstoß von Kohlenmonoxid ging 2020 gegenüber dem Vorjahr von 2.070 Tonnen auf 1.160 Tonnen zurück und derjenige von Stickoxiden von 4.250 auf 4.160 Tonnen. Auch die Schwefeloxid-Mengen verringerten sich. Sie sanken von 2.430 auf 1.320 Tonnen. Nur mehr Feinstaub fiel im Geschäftsjahr 2020 trotz Corona an. Von 1.960 auf 2.290 Tonnen stieg der Wert.

Enormer Wasser-Verbrauch
Obwohl die Industrie-Produktion in Folge der Corona-Pandemie sank und auch die Fertigungsstätten des BAYER-Konzerns weniger ausgelastet waren, ging sein Wasser-Einsatz im Geschäftsjahr 2020 kaum zurück. Er belief sich auf 57 Millionen Kubikmeter (2019: 59 Millionen Kubikmeter). Zu allem Übel erstreckt sich der enorme Durst des Agro-Riesen auch auf Gebiete, die unter Wasser-Knappheit leiden. Drei Millionen Kubikmeter verbrauchte er in diesen Regionen.

25 Millionen Liter Abwässer
Analog zum etwas gesunkenen Wasser-Bedarf gingen auch BAYERs Abwasser-Einleitungen im Geschäftsjahr 2020 etwas zurück. Sie reduzierten sich von 26 auf 25 Millionen Kubikmeter.

Mehr Schadstoff-Einleitungen
Wegen der Corona-Pandemie liefen viele Produktionsstätten BAYERs nicht auf Hochtouren. Trotzdem gingen die Schadstoff-Einleitungen in die Gewässer 2020 nicht generell zurück, was dem Konzern zufolge spezielle Gründe hatte. Die von 420 auf 480 Tonnen gestiegenen Werte für Stickstoff erklärt er mit einem Störfall auf dem Gelände des Werkes in Kansas City und die größere Menge an organisch gebundenem Kohlenstoff, die in den Flüssen landete, führt er auf die Einführung einer verbesserten Abwasser-Analytik am brasilianischen Standort Camaçari zurück. Nur die Zahlen für Phosphor und Anorganische Salze sanken, von 510 auf 380 Tonnen bzw. 167.000 auf 151.000 Tonnen, während diejenigen für Schwermetalle mit 2,6 Tonnen gleich blieben.

Mehr Abfall
Im Geschäftsjahr 2020 produzierte BAYER mehr Abfall als 2019. Von 872.000 auf 943.000 Tonnen stieg die Menge. „Das ist im Wesentlichen auf den Saatgut-Produktionsstandort Maria Eugenia Rojas, Argentinien, zurückzuführen, an dem große Mengen an pflanzlichen Nebenprodukten als nicht gefährlicher Abfall zur landwirtschaftlichen Nutzung und Kompostierung entsorgt wurden“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht zur Erklärung. Das Aufkommen an gefährlichem Abfall reduzierte sich dagegen „durch den Abschluss von Bau- und Sanierungstätigkeiten am Standort Vapi, Indien“.

Schmutzige Glyphosat-Produktion
Im US-Bundesstaat Louisiana stößt keine Produktionsstätte mehr chemische Stoffe aus als BAYERs Glyphosat-Fabrik in Luling. Schon seit Jahren behauptet sie diesen Spitzenplatz. 2019 setzte sie nach Angaben der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA rund 8.300 Tonnen an Kobalt, Kupfer, Nickel, Ammonium, Methanol, Formaldehyd, Phosphor und anderen Substanzen frei. Aber auch die Anlage in Soda Springs, wo der Leverkusener Multi das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor herstellt, ist eine veritable Dreckschleuder. Auf 2.670 Tonnen Cobalt & Co. kommt der Standort.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

BAYER-Gefahren
Der BAYER-Konzern geht mit zahlreichen gefährlichen Stoffen um. Den Standort Leverkusen betreffend führt der Chemie„park“-Betreiber CURRENTA in einer Broschüre einige Beispiele für risiko-reiche Substanzen auf, die der Agro-Riese einsetzt. Ammoniak, Chlor und Methanol etwa können laut CURRENTA schon „in sehr geringer Menge beim Einatmen, Verschlucken oder Aufnahme über die Haut zum Tode führen“. Das Ammoniak ist überdies in der Lage, mit Luft explosive Gemische zu bilden und das Chlor, Brände zu verursachen oder zu verstärken. Das Methanol findet sich – gemeinsam mit Aceton – darüber hinaus noch in der Rubrik „leicht bzw. extrem entzündbar“ wieder.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

92 Anlagensicherheitsereignisse
Unter „Anlagensicherheitsereignissen“ versteht der BAYER-Konzern „den Austritt von chemischen Substanzen oder Energien oberhalb definierter Schwellenwerte aus ihrer ersten Umhüllung wie Rohr-Leitungen, Pumpen, Tanks oder Fässern“. 92 solcher noch nicht als Störfälle zu bezeichnenden Stoff-Freisetzungen registrierte der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020.

Phosphor-Austritt in Soda Springs
Am 28.11.2020 kam es bei der Herstellung des Glyphosat-Vorproduktes Phosphor zu einem Störfall. Ein Lagertank-Ventil öffnete sich wegen eines Defektes in der Automatik, wodurch phosphor-haltiger Schlamm austrat und sich an der Luft entzündete.

Natriumhydroxid-Austritt in Luling
Am 17. Oktober 2020 ereignete sich bei der Glyphosat-Produktion am US-Standort Luling ein Störfall. Durch ein defektes Ventil an einer Rohrleitung kam es zu einem Austritt von Natriumhydroxid.

ÖKONOMIE & PROFIT

Desaströse Geschäftszahlen
Auf der Bilanz-Pressekonferenz am 25. Februar 2021 legte der BAYER-Konzern desaströse Zahlen für das Geschäftsjahr 2020 vor. Er verbuchte einen Verlust von rund 10,5 Milliarden Euro. Der Umsatz bewegte sich mit 41 Milliarden Euro zwar ungefähr auf dem Niveau von 2019, aber das Unternehmen musste wegen der vielen Schadensersatz-Prozesse „Sonderaufwendungen“ verbuchen. „Diese standen insbesondere in Verbindung mit Rückstellungen für die getroffenen Vereinbarungen in Bezug auf die Rechtskomplexe Glyphosat, Dicamba, PCB und ESSURE“. „Lange Zeit haben die Nebenwirkungen der BAYER-Erzeugnisse keinen Einfluss auf die Geschäftsbilanz gehabt. Das ist jetzt anders“, konstatierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in ihrer Presseerklärung.

ASKBIO: Die zweitgrößte Übernahme
Im Oktober 2020 hatte BAYER die US-amerikanische Gentherapie-Firma ASKLEPIOS BIOPHARMACEUTICAL (ASKBIO) erworben. Zwei Milliarden Euro zahlte der Konzern sofort, weitere zwei Milliarden stellte er bei erfolgreichen Arznei-Kreationen in Aussicht. In der Rangliste der größten Akquisitionen von deutschen Unternehmen belegte der Leverkusener Multi damit den zweiten Platz. Nur SIEMENS kaufte im vorigen Jahr für noch mehr Geld ein.

STANDORTE & PRODUKTION

Mehr Pillen aus Peking
Der BAYER-Konzern baut seine Anlagen zur Herstellung von Arzneien am chinesischen Standort Peking aus. Mit einer Investition in Höhe von 50 Millionen Euro will er die jährliche Produktionskapazität um 40 Prozent erhöhen.

RECHT & UNBILLIG

Erster Glyphosat-Kläger gewinnt
Der erste Entschädigungsprozess in Sachen „Glyphosat“ hat sein offizielles Ende gefunden. Der Leverkusener Multi erklärte, das Urteil des Berufungsgerichts in San Francisco nicht anzufechten, das der BAYER-Tochter MONSANTO eine erhebliche Schuld an der Krebserkrankung des Klägers Dewayne Johnson zugesprochen hatte. Aber einsichtig zeigt sich der Global Player trotzdem nicht. „BAYER hat großes Mitgefühl mit Herrn Johnson und allen Menschen, die an Krebs leiden, ist aber weiterhin der Meinung, dass das Urteil nicht durch wissenschaftliche Beweise oder das Gesetz gestützt ist.“ Der Rückzug hat lediglich strategische Gründe. Das Unternehmen rechnet sich nämlich in dem zweiten Glyphosat-Verfahren, das Edwin Hardeman angestrengt hatte, mehr Chancen aus. Hier hatte nämlich die von Donald Trump auf Linie gebrachte US-amerikanische Umweltbehörde EPA zu Gunsten BAYERs interveniert und das Herbizid vom Krebsverdacht freigesprochen. Gemeinsam mit dem Justizministerium machte es vom Rechtsinstitut des „Amicus Curiae“ Gebrauch, das es Unbeteiligten erlaubt, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, hieß es in dem Schreiben.

Glyphosat-Kläger versterben
Im Jahr 2015 hatten die ersten Glyphosat-Geschädigten Schadensersatz-Klagen eingereicht. Aber ein abschließendes Urteil liegt erst zu einer vor (s. o.). Unterdessen sterben immer mehr Betroffene an Krebs, ohne von BAYER Zahlungen erhalten zu haben. So erlag Carolina Garces am 8. März 2021 ihrer Krankheit.

Einigung im Fall „Calderon“
Bereits im Juni 2020 wollte BAYER eine Vergleichslösung für die rund 125.000 Glyphosat-Geschädigten präsentieren, die gegen den Konzern Klage eingereicht hatten. Aber der Agro-Riese konnte bisher nichts vorlegen, was den zuständigen Richter Vince Chhabria überzeugt hätte. Darum drohte dieser im November 2020 an, die von ihm für die Zeit der Mediationsgespräche gestoppten Prozesse wieder anlaufen zu lassen: „Ich bin nicht daran interessiert, den Zeitplan für die Entscheidung dieser Fälle so lang zu strecken“, bekundete er. Und Chhabria hielt Wort. Er lehnte das Begehr des Leverkusener Multis ab, die Streitsache „Jaime Alvarez Calderon“ zusammen mit all den anderen auf die lange Bank zu schieben und ließ die Justiz-Maschine wieder anlaufen. Calderon hatte 33 Jahre auf Weingütern arbeitet und dabei immer wieder Umgang mit Glyphosat. 2014 bekam er Lymphdrüsen-Krebs, dem er im Dezember 2019 erlag. Seine Hinterbliebenen führten die juristische Auseinandersetzung jedoch weiter. Ihnen machte BAYER jetzt ein Vergleichsangebot, um es nicht zu einem schlagzeilen-trächtigen Prozess kommen zu lassen.

Immer noch kein Vergleich
Die juristischen Auseinandersetzung um Schadensersatz in Sachen „Glyphosat“ gegen die BAYER-Tochter MONSANTO ziehen sich nun bereits seit sechs Jahren hin. Nach den ersten drei Verfahren schlug der zuständige Richter Vince Chhabria Vergleichsverhandlungen vor und verhängte gleichzeitig ein Prozess-Moratorium. Im Juni 2020 präsentierte der Leverkusener Multi dann seinen Vorschlag für den Umgang mit den rund 125.000 Klagen. Er bot Zahlungen von bis zu acht Milliarden Euro für die Erkrankten an. Für zukünftige Fälle – mit denen zu rechnen ist, da der Konzern aus Profit-Gründen partout nicht auf den Verkauf von Glyphosat-Vermarktung verzichten mag – reservierte er eine Milliarde Dollar. Über die Rechtmäßigkeit dieser Ansprüche sollte nach seinen Vorstellungen allerdings kein Gericht befinden, sondern ein „unabhängiges Wissenschaftsgremium (Class Science Panel)“. Diesem wollte das Unternehmen die Entscheidung darüber überlassen, ob das von der Aktien-Gesellschaft unter dem Namen ROUNDUP vermarktete Pestizid wirklich Lymphdrüsen-Krebs verursachen kann. „Dadurch wird diese Entscheidung anstelle von Jury-Verfahren wieder in die Hände sachkundiger Wissenschaftler gegeben“, so der Global Player. In den rund vier Jahren, die das mindestens dauert, hätten sich die Betroffenen in Geduld zu üben: „Mitglieder der Gruppe möglicher künftiger Kläger dürfen ihre Ansprüche bis zur Entscheidung des Wissenschaftsgremiums nicht weiter geltend machen und keinen Schadensersatz fordern.“ Chhabria lehnte eine solche Lösung jedoch ab. Vor allem akzeptierte er nicht, zukünftigen Glyphosat-Geschädigten den Rechtsweg zu verbauen. Der Jurist stellte infrage, „ob es verfassungsgemäß (oder generell gesetzmäßig) wäre, die Entscheidung der Kausalitätsfrage (d. h. ob – und wenn ja, ab welcher Dosis – ROUNDUP in der Lage ist, Krebs zu verursachen) über Richter und Jurys hinweg an ein Gremium von Wissenschaftlern zu delegieren“. Also musste BAYER wieder in Klausur. Den zweiten Anlauf unternahm der Agro-Riese dann Anfang Februar 2021. Darin stockte er den Fonds für die noch zu erwartenden Glyphosat-Klagen um eine Milliarde Dollar auf und schränkte gleichzeitig die Kompetenzen des Class Science Panel etwas ein. Aber auf Zustimmung traf der Konzern damit trotzdem nicht. Er hatte die Vereinbarung nämlich nur mit ein paar Großkanzleien getroffen, die nicht ganz aus freien Stücken handelten – 170 Millionen Dollar hatten sie vom Konzern als Entscheidungshilfe erhalten. Zahlreiche andere Anwaltsbüros und JuristInnen-Vereinigungen erhoben hingegen Einspruch gegen den neuen Vorschlag. Nach Meinung der „National Trial Lawyers“ erschwert er unzähligen Menschen den Zugang zur Justiz und schafft überdies einen unheilvollen Präzedenz-Fall für künftige Prozesse: „Diese Art von Vergleich würde anderen Unternehmen, die sich der Haftung und den Konsequenzen für ihr Verhalten entziehen wollen, eine unhaltbare Vorlage liefern.“ BAYER lässt den Geschädigten nun zwar die Wahl, ob sie die vorgeschlagenen Summen akzeptieren oder aber ihre Klage aufrechterhalten, aber in den zukünftigen Prozessen sind statt Strafzahlungen nur noch Entschädigungen vorgesehen, was viele RechtsanwältInnen kritisieren. Zudem stießen sich viele JuristInnen an dem Plan des Leverkusener Multis, durch die Etablierung des Class Science Panel neue Verfahren erst einmal für vier Jahre zu blocken. Wegen all dieser Kritik verzögert sich die Causa weiter. Die AnwältInnen des Global Players baten sich mehr Zeit aus, um alles nochmals zu überarbeiten. Vince Chhabria gab dem auch statt und setzte den 12. Mai als neuen Termin an.

NBFA-Klage geht zu Gericht
Nicht alle in den USA anhängigen Glyphosat-Verfahren haben eine Schadensersatz-Forderung zum Inhalt. So will die NATIONAL BLACK FARMERS ASSOCIATION (NBFA) ein Urteil erzwingen, dass den BAYER-Konzern daran hindert, „seine glyphosat-haltigen Produkte in einer Weise zu vermarkten, welche die Mitglieder der NBFA in unzumutbarer Weise gefährdet“. Aber die Klage hängt. Der für alle juristischen Vorgänge in Sachen „Glyphosat“ zuständige Richter Vince Chhabria hat nämlich im Sommer 2019 Vergleichsverhandlungen angeregt und bis zum Finden einer Lösung ein Prozess-Moratorium verhängt. Der NBFA dauerte das alles jedoch zu lange. Darum erbat sie von den BAYER-AnwältInnen die Zustimmung dafür, ihre Klage aus dem Paket zu lösen und vor Gericht zu bringen. Das lehnten diese jedoch ab. Darum wandte die Organisation sich an den „U.S. District Court for the Northern District of California“, der dann auch erste Termine festsetzte.

Glyphosat-Klage in Australien
Auch in Australien beschäftigen die Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat nun die Gerichte. Eine Gruppe um den Landwirt John Fenton, der das Herbizid für seine Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung verantwortlich macht, reichte im Februar 2021 eine Sammelklage ein.

Umweltstrafe wg. Glyphosat
„Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hochproblematischer Stoff“, sagt die Umwelt-Aktivistin Hannah Connor von der US-amerikanischen Organisation „Center for Biological Diversity“. Und tatsächlich sorgt das Herbizid sogar schon vor seinen eigentlichen Geburt für so einige Verwerfungen. Der Abbau des Sediment-Gesteins Phosphorit, das BAYER zur Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor benötigt, belastet Mensch, Tier und Umwelt nämlich massiv. Unter anderem setzt die Förderung der Mineral-Gemenge in den Tagebau-Minen vor den Toren der Phosphor-Fertigungsstätte am US-amerikanischen Standort Soda Springs giftige Stoffe wie Selen, Arsen, Uran, Radium und Radom frei. Besonders die Indigenen, die in der Nähe der Minen leben, leiden stark unter den gesundheitsschädlichen Wirkungen der Substanzen. Darum haben sie gemeinsam mit der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA gegen BAYERs Minen-Gesellschaft P4 PRODUCTIONS geklagt und einen Erfolg erzielen können. Das Unternehmen verpflichtete sich, rund um die Ballard-Mine eine Fläche von über 200 Hektar zu sanieren. Unter anderem muss es Trinkwasser-Barrieren bauen und Feuchtgebiete zur Wasser-Reinigung anlegen. Zudem erklärte sich P4 PRODUCTIONS bereit, mehrere hunderttausend Dollar an Entschädigungen zu zahlen und mit einer Bürgschaft über 89 Millionen Dollar dafür zu garantieren, dass das Geld für die Maßnahmen auch ausreicht. Bereits in den Jahren 2011 und 2015 hatte die Minen-Gesellschaft Umweltverbrechen begangen, die hohe Strafen nach sich zogen.

Viele Klagen zum MONSANTO-Deal
Zahlreiche GroßaktionärInnen gehen gegen BAYER juristisch vor, weil der Konzern ihrer Meinung nach bei der Prüfung der MONSANTO-Übernahme möglichen Prozessen von GLYPHOSAT-Geschädigten nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte, was in der Folge für einen Kurs-Absturz sorgte. In Deutschland zogen die beiden Kanzleien Tilp und Hausfeld für ihre MandantInnen vor Gericht. „MONSANTO hat immer so getan, als gäbe es kein Prozess-Risiko, weil die Behauptungen, Glyphosat sei krebserregend, haltlos seien“, so der Hausfeld-Jurist Wolf von Bernuth: „Tatsächlich gab es sehr wohl erhebliche Prozess-Risiken. Das durfte BAYER bei Bekanntgabe der Übernahme-Absicht nicht verschweigen“. In den USA haben die Investment-Gesellschaft HAUSSMANN TRUST sowie die beiden Pensionsfonds „City of Grand Rapids Police & Fire Retirement System“ und „City of Grand Rapids General Retirement System“ Klagen eingereicht. Und Anwaltsbüros suchen per Annonce nach AktienhalterInnen, die Ansprüche geltend machen wollen.

Laues Lieferketten-Gesetz
Die Lieferketten BAYERS erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi seine Arznei-Grundstoffe zu einem guten Teil aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei zunächst davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne ausüben und setzte auf Freiwilligkeit. Sie hob den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe und machte sich daran, erst einmal ein Lagebild zu erstellen. Dazu startete die Große Koalition eine Umfrage unter den Betrieben und bat um Informationen darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollte sie dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Nur ein Bruchteil der angeschriebenen Firmen antwortete überhaupt, und von diesen genügte bei den globalen Einkaufstouren kaum eines den sozialen und ökologischen Anforderungen. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Und den bereitete die Politik dann auch vor, was die Industrie-VertreterInnen in Panik versetzte. „Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmen verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, was sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“, echauffierte sich etwa der damalige Präsident der „Bundesvereinigung der Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), Ingo Kramer. In der Folge taten die LobbyistInnen alles, um das Schlimmste zu verhindern. Sie mahnten eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnten eine Haftungsregelung vehement ab. Schlussendlich konnten sie sich damit durchsetzen. Im jetzigen Gesetzes-Entwurf fehlt beides. Dem Leverkusener Multi dürfte es daher erspart bleiben, mit einer Klage von solchen InderInnen oder ChinesInnen konfrontiert zu werden, die in den Hot Spots der globalen Pharma-Produktion leben und unter den gesundheitlichen Folgen leiden. Dazu liegen nämlich zu viele Zwischenhändler zwischen BAYER und den Arznei-Produzenten vor Ort. Zudem müssten die Betroffenen in Deutschland noch eine Nichtregierungsorganisation finden, die in ihrem Namen vor Gericht zieht und so eine „Prozess-Standschaft“ wahrnimmt. Das ist BAYER & Co. aber noch zu viel. Die Konzerne sehen in dieser „Prozess-Standschaft“ ein Instrument dafür, eine zivilrechtliche Haftung „durch die Hintertür“ einzuführen. „Hier muss der Text geschärft werden. Juristische Winkelzüge dürfen nicht dazu genutzt werden, um die Unternehmen doch einer weltweiten Klage-Industrie auszusetzen“, verlangt der „Verband der Chemischen Industrie“.

EU-Lieferkettengesetz
Auch die EU plant ein Lieferketten-Gesetz (s. o.). Ihre Vorstellungen gehen dabei weit über das deutsche Paragrafen-Werk hinaus. So will die Europäische Union den Anwendungsbereich nicht nur auf die direkten Zulieferer beschränken, Haftungsregelungen einführen und auch kleinere Firmen in die Regelung einbeziehen. „Wir denken nicht nur über Geldbußen für Verstöße gegen die Auflagen nach, sondern auch über strafrechtliche Konsequenzen“, so EU-Justizkommissar Didier Reynders. BAYER & Co. scheint er mit diesen Vorschlägen allerdings nicht überzeugt zu haben. „Die Industrie bleibe zurückhaltend, räumt er ein“, konstatiert die FAZ. Für den Sommer kündigt die EU-Kommission einen Gesetzes-Entwurf an. Das dürfte die Konzerne zu einigen Lobby-Aktivitäten animieren.

Simpson lässt nicht locker
In ihrer Zeit als BAYER-Beschäftigte bekam Laurie Simpson einen umfassenden Einblick in die Praxis des Leverkusener Multis, die Risiken seiner Arzneien zu verschweigen und die Mittel ohne Rücksicht auf Verluste mit Hilfe zum Teil illegaler Marketing-Methoden zu vertreiben. Sie kritisierte dieses Vorgehen intern und musste dafür berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Darum machte sie die Fälle öffentlich und begann im Jahr 2008 drei Prozesse gegen den Pharma-Riesen zu führen, die bis heute andauern. In dem Verfahren um das bei OPs zum Einsatz kommende Blutstill-Präparat TRASYLOL lastet Simpson dem Konzern an, der medizinischen Öffentlichkeit und den PatientInnen das gesundheitsgefährdende Potenzial des Medikaments verheimlicht zu haben, das er zwischenzeitlich vom Markt zurückziehen musste. Zudem beschuldigt sie das Unternehmen, den Verkauf des Pharmazeutikums mit illegalen Methoden wie dem Einräumen von Rabatten und der Gewährung anderer Vergünstigungen befeuert zu haben. Darüber hinaus bezichtigt die Frau den Global Player, den Gebrauch von TRASYLOL auch bei Operationen wie beispielsweise Leber-Transplantationen empfohlen zu haben, obwohl für die Indikationen gar keine Zulassungen vorlagen. Ähnliche Praktiken wirft Laurie Simpson dem Leverkusener Multi im Umgang mit dem Cholesterin-Senker LIPOBAY vor, das er nach über 100 Todesfällen im Zusammenhang mit der Arznei nicht mehr vertreiben durfte. Zudem brachte sie die Strategie der Aktiengesellschaft, den Absatz seines Antibiotikums AVELOX durch Geldzahlungen und andere Zuwendungen an MedizinerInnen zu fördern, vor Gericht.

FORSCHUNG & LEHRE

Viele Forschungssubventionen
Im Geschäftsjahr 2020 erhielt BAYER vom bundesdeutschen Staat dreizehn Millionen Euro an Forschungssubventionen und damit eine Million mehr als 2019.

Der Lipobay-Skandal

CBG Redaktion

Weltweit starben mindestens 100 Menschen durch den Blutfettsenker Lipobay. Firmeninterne Papiere zeigen, dass dem Konzern das erhöhte Risiko bereits vor der Markteinführung bekannt war. Das Management gab die Devise aus: ‚Wir wissen nicht, wo die rechtliche Grenze ist, bis wir auf sie gestoßen sind'.

BAYER musste das Präparat im August 2001 vom Markt nehmen. Der Konzern zahlte mehr als eine Milliarde Dollar Entschädigungen. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert strafrechtliche Ermittlungen gegen den BAYER-Vorstand.

[Stets zu Diensten] Eine gute Wahl für BAYER

CBG Redaktion

Auch die neue Bundesregierung pflegt die ökonomische Landschaft. Sie stellt die „Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts“ vor den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt und räumt den Konzernen auch sonst den Weg zur gnadenlosen Profit-Jagd frei. Nicht umsonst halten die BAYER-ManagerInnen große Stücke auf Angela Merkel.

Von Jan Pehrke

„Frau Merkel macht seit vielen Jahren gute Arbeit“, das antwortete BAYER-Chef Werner Baumann der Bild-Zeitung auf die Frage, ob eine 4. Kanzlerschaft gut für die Wirtschaft wäre. Und der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning pflichtet ihm bei: „Ich sehe im Moment keine Alternative zu ihr.“ Warum sollten die beiden Manager auch mit der CDU-Politikerin hadern? Unter allen bisher von ihr geführten Regierungen hat der Leverkusener Multi schalten und walten können, wie er wollte – und glänzende Geschäfte gemacht.

Prima Klima für BAYER
Das neue Regierungsprogramm setzt diese Politik nicht nur fort, sondern hält zusätzlich noch einige Schmankerl für den Konzern bereit. So haben sich CDU und SPD von dem Ziel verabschiedet, die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 zu senken, und damit den Offenbarungseid in der Klima-Politik geleistet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte vor dieser Entwicklung schon seit Längerem gewarnt und angemahnt, die Wirtschaft stärker in die Pflicht zu nehmen. „Die Bundesrepublik droht ihre selbstgesteckten Klimaschutz-Ziele zu verfehlen. Das liegt nicht zuletzt an der Industrie, die kaum einen Beitrag zur Kohlendioxid-Reduktion leistet“, hieß es 2017 in der Presseerklärung der Coordination zur Bonner Weltklima-Konferenz.

Eine große Rolle bei der Suspendierung der CO2-Minderung spielte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). „Wir brauchen im Bund eine Politik, die auch den energie-intensiven Industrie-Sparten Stahl, Aluminium, Chemie, Glas und Papier einen zukunftssicheren Standort in Deutschland bietet“, hatte der getönt. Die Klagen von BAYER & Co. über angeblich zu hohe Strom-Preise fanden in ihm einen geeigneten Resonanzkörper. „Das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Subventionen für regenerative Energien sind heute für viele Unternehmen fast ein größeres Problem (sic) als die Personalkosten“, meinte der Christdemokrat. Am Ende hatte Laschet Erfolg mit der Panikmache. „Bei dem Herzensthema von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gab es früh eine Einigung. Das nationale Klima-Ziel für 2020 wurde gekippt, nun gelten die im Pariser Abkommen genannten Ziele für 2030“, schrieb die Rheinische Post zu den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag.

Die Große Koalition benötigt die zusätzlichen zehn Jahre, weil sie sich entschlossen hat, die Energiewende zu schaffen, „ohne die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Industrie-Standortes Deutschland zu gefährden“. Aus Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten der Industrie hat sie sich vorgenommen, bei der Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen „Kos-ten-Effizienz und Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten“. „Offenbar sind hier die Sondierer willens, die Realität anzuerkennen“, lobte der „Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) umgehend. Auch die Androhungen von BAYER & Co., wegen vermeintlich zu hoher Strom-Rechnungen zu Klimaschutz-Flüchtlingen zu werden und Produktionsstätten in andere Länder zu verlagern, haben bei CDU und SPD sichtlich verfangen. Es gelte, eine solche „Carbon Leakage“ zu verhindern, halten die Parteien fest. Darum fehlt in dem Koalitionsvertrag jede verbindliche Aussage zu einer Reform des EU-Emissionshandels, der in seiner jetzigen Form überhaupt nicht funktioniert. Weil die Lizenzen zum Ausstoß von Kohlendioxid zum Schnäppchen-Preis zu haben sind, fehlt den Unternehmen jeglicher Anreiz, ihre Emissionen zu drosseln. Aber trotzdem visiert die GroKo keine konkreten Maßnahmen an. „Den EU-Emissionshandel wollen wir als Leitinstrument weiter stärken“, heißt es lediglich. Und den Kohleausstieg schieben Merkel & Co. auch auf die lange Bank. Sie gründen erst einmal eine Kommission, die dazu Genaueres ausarbeiten soll. Folgerichtig verkündete der bisher im Wirtschaftsministerium für diesen Politik-Bereich zuständige Staatssekretär Rainer Baake seinen Rücktritt. Da die Koalitionsvereinbarung „in den Bereichen Energiewende und Klimaschutz eine herbe Enttäuschung“ sei, bat er um seine Entlassungspapiere.

Aber nicht nur um den Klimaschutz braucht sich der Leverkusener Multi bei seiner Rendite-Jagd nicht groß zu kümmern, auch den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt kann er weiter außer Acht lassen. Die GroßkoalitionärInnen bekennen zwar: „Wir wollen für unsere Kinder und Enkelkinder eine intakte Natur bewahren“, konkrete Maßnahmen folgen dem jedoch kaum. Im Pestizid-Bereich etwa plant die neue Bundesregierung, sich bis zur Mitte der Legislatur-Periode Zeit zu lassen, um eine Ackerbau-Strategie „für u. a. umwelt- und naturverträgliche Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln“ auszuarbeiten. Die Umsetzung erfolgt dann laut Koalitionsvertrag „gemeinsam mit der Landwirtschaft“ und ist von Förder-Maßnahmen zum Insektenschutz begleitet. „Dabei liegt uns der Schutz der Bienen besonders am Herzen“, erklären die PolitikerInnen. Aber selbst durch diesen kleinen Ausflug in ihre Gefühlswelt gewinnt ihre Agenda nicht an Überzeugungskraft. Konkret zeigt sich das am Beispiel von Glyphosat, dem von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften Ackergift-Wirkstoff. Statt einen Sofort-Ausstieg zu beschließen, einigte sich die Große Koalition auf eine „Minderungsstrategie“, die lediglich „so schnell wie möglich“ ohne das Mittel auskommen will. Darum steht zu befürchten, dass CDU und SPD Glyphosat hierzulande im Herbst 2018 erst einmal eine neue Zulassung erteilen. Und zu allem Überfluss nehmen sich Merkel & Co. auch noch einem alten BAYER-Wunsch an und beschleunigen die Genehmigungsverfahren für Pestizide, auf dass noch mehr ungenügend auf ihre Risiken und Nebenwirkungen untersuchte Produkte die Äcker heimsuchen.

Das Ziel, „Wasser und Böden besser zu schützen“, verfolgen Christ- und SozialdemokratInnen ähnlich ambitionslos: „Im Dialog mit der Landwirtschaft werden wir auf eine gewässer-schonende Bewirtschaftung hinwirken.“ Und in Sachen „Arzneimittelrückstände im Wasser“ soll es eine Öffentlichkeitskampagne richten. Die AnwenderInnen und Hersteller der wasser-belastenden Produkte an den Kosten für die Aufbereitung der lebenswichtigen Ressource zu beteiligen, schwebt den Parteien hingegen nicht (mehr) vor. Der entsprechende Passus flog wieder aus dem Koalitionsvertrag. Jetzt steht dort lediglich zu lesen: „Die Abwasserabgaben-Regelung wollen wir mit dem Ziel der Reduzierung von Gewässer-Verunreinigungen weiterentwickeln.“ Zu zahlen haben das dann die VerbraucherInnen, fürchtet der „Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft“ (BDEW). „Der jetzige Vorschlag wälzt die Kosten für eine vierte Reinigungsstufe auf die Verbraucherinnen und Verbraucher ab, obwohl sie nicht die Verursacher der Gewässer-Verunreinigungen sind“, erklärte der BDEW. „Ökonomie vor Ökologie“, so überschrieb Der Spiegel seinen Artikel über die avisierte Umweltpolitik der Großen Koalition passenderweise.

Spahns Spendierlaune
BAYERs Pharma-Sparte darf mit dem GroKo-Programm ebenfalls zufrieden sein. Eine Reduzierung der ständig steigenden Pillen-Preise nehmen sich CDU und SPD nämlich nicht vor, obwohl vor allem die Krankenkassen hier ein Einschreiten gefordert hatten. Besonders bei neu zugelassenen Arzneien sahen sie Handlungsbedarf, weil BAYER & Co. hier ein Jahr lang ihren Rendite-Phantasien freien Lauf lassen können, ehe die mit AOK & Co. ausgehandelten Preise greifen. Der frisch ins Amt gekommene Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sich durch Lobby-Tätigkeiten im Pharma-Bereich für den Job qualifiziert hat, sieht sogar noch Luft nach oben. „Die Preise für neue Arzneimittel müssen so sein, dass es sich lohnt, für echte Innovationen, für wirklichen Fortschritt, etwa bei Demenz, zu forschen“, meint er.

Von rechtlicher Seite her droht den Pillen-Profiten auch kein Unbill. Sammelklagen wie in den USA, die den Leverkusener Multi dort schon zu Milliarden-Zahlungen an Geschädigte seiner Pharmazeutika LIPOBAY und YASMIN zwangen, finden keinen Eingang ins Bürgerliche Gesetzbuch. Dem BDI, der vor einem enorm hohen volkswirtschaftlichen Schaden durch dieses Rechtsinstitut gewarnt hatte und es mit großen Missbrauchsrisiken behaftet sieht, gelang es mal wieder, sich durchzusetzen. Lediglich eine Musterfeststellungsklage beabsichtigen Merkel & Co. einzuführen. Diese beschränkt die Klage-Befugnis wohlweislich auf bestimmte, nicht näher beschriebene Einrichtungen, „um eine ausufernde Klage-Industrie zu vermeiden“, denn: „Bewährte wirtschaftliche Strukturen sollen nicht zerschlagen werden.“

Von einem anderen juristischen Mittel bleibt BAYER ebenfalls verschont. Hatte es in dem Koalitionsvertrag von 2013 geheißen: „Wir prüfen ein Unternehmensstrafrecht für internationale Konzerne“, so liegt das Ergebnis fünf Jahre später nun vor. Die GroßkoalitionärInnen haben sich gegen ein solches Instrument entschieden. Ein bisschen ungemütlicher dürfte es für die Multis aber trotzdem werden. Die neue Bundesregierung will nämlich sicherstellen, „dass bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden“, und eine solche Strafverfolgung nicht länger in das Ermessen der zuständigen Behörde stellen. Überdies haben CDU und SPD vor, die bisherige Bußgeld-Obergrenze von zehn Millionen Euro anzuheben.

An die Steuerspar-Modelle von BAYER & Co. traut sich die Regierungskoalition hingegen nicht heran. Nur die bisher nach unten offene Abgaben-Skala beabsichtigt sie, mit Mindest-Sätzen ein wenig zu begrenzen. Viel mehr Eigeninitiative entwickelt die Merkel-Riege jedoch nicht. Sie bekundet lediglich ihre Solidarität mit Vorhaben auf EU- und OECD-Ebene: „Wir unterstützen ausdrücklich alle Bemühungen für eine gerechte Besteuerung großer Konzerne.“ Derartigen Lippenbekenntnissen könnten jedoch schon bald Taten in die andere Richtung folgen. Die Bundesregierung gedenkt nämlich, „eine Antwort auf internationale Veränderungen und Herausforderungen, nicht zuletzt in den USA“, zu geben. Entsprechenden Druck hatte vorher der BDI ausgeübt und mit Blick auf Donald Trumps massive Senkungen der Tarife „strukturelle Steuerreformen“ angemahnt, um „wettbewerbsfähig zu bleiben“. Der CDUler Fritz Güntzler weiß diese Aufgabe bei Finanzminister Olaf Scholz in guten Händen, erinnerte er sich doch in einem Gespräch mit der Faz noch an die maßgeblich vom ehemaligen BAYER-Finanzchef Heribert Zitzelsberger gestaltete und den Multis Milliarden-Entlastungen eintragende Unternehmenssteuerreform des Jahres 2000. „Jetzt erkenne man den großen Plan, warum die Union das Finanzministerium an die SPD abgegeben habe, scherzte er“, so gibt die Zeitung seine Worte wieder.
Der BAYER-Stammsitz Leverkusen hat sich bis heute nicht von diesem Paragrafen-Werk erholt. Die Kommune musste dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ beitreten und steht aktuell unter der Finanzaufsicht des Kölner Regierungspräsidenten. Der die Stadt im Bundestag vertretende Karl Lauterbach (SPD) verteidigte den Koalitionsvertrag trotzdem. Gerade für die Beschäftigten würde er durch Veränderungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts viel bringen. Besonders hob der Politiker dabei Erleichterungen für ArbeiterInnen und Angestellte hervor, die durch Kettenverträge gezwungen sind, sich bei einem Unternehmen von Befristung zu Befristung zu hangeln. „Das ist besonders bei den BAYER-Töchtern hier in Leverkusen der Fall“, meinte Lauterbach und kündigte ein Verbot dieser Praxis durch die Große Koalition an. Ob CDU und SPD da liefern und die Belegschaftsangehörigen des Multis davon wirklich profitieren, bleibt allerdings abzuwarten. Verpflichtet zeigt sich der Koalitionsvertrag im Wesentlichem nämlich nur einem: den Profit-Interessen von BAYER & Co. ⎜

[Gesundheitskarte] STICHWORT BAYER 03/2015

CBG Redaktion

BAYER & und die Gesundheitskarte

Gläserne PatientInnen

Die Gesundheitskarte bietet die Möglichkeit, alle Daten zum Gesundheitszustand der gesetzlich Krankenversicherten zu erfassen. Was für die IT-Industrie ein großes Geschäft ist und BAYER & Co. wichtige Informationen über ihre Kundschaft verschaffen kann, birgt für die PatientInnen große Gefahren.

Von Wilfried Lubin

Ausgangspunkt für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) war der 8. August 2001. Da musste der Arzneimittel-Hersteller BAYER seinen Cholesterin-Senker LIPOBAY vom Markt nehmen, weil Wechselwirkungen mit anderen Arzneien aufgetreten waren, die über 100 Menschen den Tod brachten. Bei der Aufarbeitung des Skandals wurde festgestellt, dass die Medikamenten-Gaben kaum dokumentiert waren. Die Unternehmensberatung ROLAND BERGER schlug daraufhin in einem Gutachten eine Chipkarte vor, die alle verordneten Pharmazeutika erfasst, mögliche Wechselwirkungen anzeigt und im Bedarfsfall das medizinische Personal informiert.
Gleich nach der Veröffentlichung meldeten sich ÄrztInnen und ApothekerInnen, die Krankenkassen und PatientInnen-Verbände sowie die Gesundheitsindustrie und auch DatenschützerInnen zu Wort. Alle hatten Wünsche und Anliegen. So entwickelte sich aus einer „einfachen Verschreibungsliste“ ein „höchst komplexes System“, das Deutschland die „Telematik-Infrastruktur“ (TI) bescherte1. Im Jahr 2004 schließlich leitete die damalige SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Entwicklung der eGK ein. Anfang 2006 erfolgten in einigen Bundesländern erste Tests mit der eGK, die äußerst pannenreich verliefen2.
Zur Entwicklung und Installation der TI gründete sich dann die „Gesellschaft für Telematik“ (GEMATIK). Gesellschafter dieser GmbH sind ÄrztInnen, ApothekerInnen, Krankenhäuser, Krankenkassen und Unternehmen aus der Informationstechnologie wie z. B. die zu BERTELSMANN gehörende Firma ARVATO-SYSTEMS. In den folgenden Jahren wurde dann peu à peu die neue eGK mit Foto eingeführt. Die Politik zwang dabei die Krankenkassen, bestimmte Prozentzahlen ihrer Versicherten mit der neuen Karte auszustatten. Wer diese Prozentzahl nicht erreichte, sollte weniger Verwaltungsmittel erhalten. Die Krankenkassen gaben diesen Druck an ihre Versicherten weiter. So ist es nicht verwunderlich, dass zum Jahresende 2014 nur noch ca. drei Prozent der gesetzlich Krankenversicherten keine Gesundheitskarte mit Foto haben3.
„Bis heute ist die vollständige Umsetzung des milliarden-schweren eGK-Projekts immer wieder an technischen und datenschutzrechtlichen Problemen und am Widerstand von Patientinnen, Ärzten und Juristinnen gescheitert. Die privaten Krankenkassen sind aus dem Projekt seit 2010 ausgestiegen, was nicht heißt, dass privat Versicherte nicht auch bald die eGK vorgeschrieben bekommen“, resümiert der Blog digitalcourage4 Man könnte sich hier fragen: warum? Da vermutlich sehr viele Personen des öffentlichen Lebens (z. B. PolitikerInnen, UnternehmerInnen) privat versichert sind, könnten deren gesundheitliche Daten bei einer zentralen Erfassung leichter an die Öffentlichkeit gelangen und somit deren Privatleben stören. Oder aber warten die privaten Krankenversicherungen so lange ab, bis alle Probleme beseitigt sind und die Kosten durch die gesetzlich Versicherten bezahlt wurden?
Bis jetzt sollen über 1,2 Milliarden Euro an die Unternehmen geflossen sein5. Diese Summe ist jedoch nur die Spitze des Ausgaben-Eisberges für die eGK. Wie der Festredner padeluun bei der diesjährigen Verleihung des Schmähpreises „Big Brother Award“ ans Bundesgesundheitsministerium (BGM) konstatierte, könnten bis zu 15 Milliarden Euro an Kosten anfallen6. Die Studie der Firma BOOZ ALLEN HAMILTON kommt padeluun zufolge auf ähnliche Ergebnisse. Dieses Geld der gesetzlich Krankenversicherten wäre sinnvoller in Diagnostik und Heilbehandlung sowie in bessere Personalausstattung der Kliniken investiert.

Zentrale Daten-Erfassung
Die seit 2012 ausgegebene eGK mit Foto hat einen Mikrochip, auf dem zur Zeit die Versicherten-Stammdaten gespeichert sind. Diese Daten beinhalten Name, Geburtsdatum, Anschrift, Angaben zur Krankenversicherung, neue Krankenversicherten-Nummer sowie den Versichertenstatus (Mitglied, Familienversicherter oder Rentner). Neu ist die Angabe zum Geschlecht, die im Verbund mit dem Foto den Missbrauch erschweren soll.
Um dies alles zu erfassen, installiert die GEMATIK das Versichertenstammdaten-Management (VSDM). Es ist vorgesehen, diese Daten bei jedem MedizinerInnen-Besuch zu aktualisieren. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Krankenkassen die eingereichten Fotos keiner Identitätsprüfung unterzogen haben. Die Krankenkassen sind dazu laut BGM auch nicht verpflichtet. Es heißt lapidar: „Die Krankenkassen müssen hierfür geeignete Maßnahmen vorsehen (...) und angemessene Verfahren durch(zu)führen.“ 7 Den Versuch der Krankenkassen und des BGM, diese Aufgabe den ÄrztInnen zu übertragen, lehnen diese ab.
Nach den Vorstellungen der Befürworter, z. B. des BGMs, soll die jetzige eGK mit ihren Versichertenstammdaten inklusive Online-Abgleich und -Aktualisierung in Rechenzentren zentral erfasst werden. Das BGM will dazu eine Datenautobahn aufbauen. Die Erprobung wird im Herbst 2015 mit 1.000 ÄrztInnen und zehn Krankenhäusern in den Bundesländern Sachsen, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein anlaufen. „Versicherte, die eine dieser Praxen oder Krankenhäuser aufsuchen, nehmen automatisch am Test teil“, heißt es dazu aus dem Ministerium8. Zudem plant es, nach und nach die elektronische Patientenakte, den elektronischen ÄrztInnen-Brief und das elektronische Rezept einzuführen. Vielleicht soll auch, wie es in Großbritannien angestrebt wird, eine Zusammenführung der „Krankenakten aus Arztpraxen künftig automatisch und (...) ohne (...) Einwilligung von PatientInnen in eine zentrale Datenbank“ erfolgen und dann den „Unternehmen für Forschungsprojekte zur Verfügung gestellt werden“9. Das Unterfangen nennt sich care data. Hier sollen erfasste genetische Daten der britischen Bevölkerung mit den Daten aus Krankenakten abgeglichen werden. Die Pharma-Industrie will nämlich, wie sie schon 1999 bekundete, die erfassten Daten analysieren, um so Krankheiten „vorherzusehen und zu vermeiden.“ Häufig auftretende Erkrankungen wie z. B. Krebs könnten dann mit Medikamenten behandelt werden, bevor der Mensch daran erkrankt, versprechen die Hersteller, die hier enorme Extra-Profite wittern.
In Deutschland hat sich der Verband BIO Deutschland e. V., zu dessen Fördermitgliedern BAYER zählt, ebenfalls für mehr Einbindung bei der Erstellung der TI und eGK ausgesprochen. Dazu gehöre auch, dass Biotech-Firmen auf die Gesundheitskarte zugreifen dürfen, so die Organisation. Und im Referentenentwurf zum „E-Health-Gesetz“ soll der Privatwirtschaft ebenfalls das Abgreifen von PatientInnen-Daten ermöglicht werden. Sollte dieser das Parlament unverändert passieren, so hätten die LobbyistInnen der IT-Industrie ihr zentrales Ziel erreicht. Es könnten dann nämlich private Firmen wie APPLE mit seinen Produkten „iHealth“ oder „Apple Watch“ auf das System zugreifen. Der Entwurf sieht laut junge welt auch vor, „Teile der TI (zu) nutzen, konkrete Anwendungen aber nur außerhalb der Infrastruktur“10, weshalb die Zeitung warnt: „Es ist möglich, dass Firmen Patienten-Daten dann über die TI entschlüsseln und anschließend auf ihre eigenen Computersysteme übertragen.“ Gleichzeitig würde das Zwei-Schlüssel-Prinzip abgeschafft, das eine Erhebung von Daten nur in Anwesenheit des PatientInnen und mit seiner eGK erlaubt. Der Leverkusener Multi ist dabei in einer besonders guten Position, hat er doch über die PRONOVA BKK, dem Zusammenschluss der Betriebskrankenkassen von BAYER, BASF, FORD und anderen großen Konzernen, einen barriere-freieren Zugang zum Krankenkassen-Bereich.
Wie daten-hungrig der Leverkusener Multi ist, zeigt ein Fall aus England. Bei der dortigen Gesundheitsbehörde NHS erwarb er PatientInnen-Unterlagen, „um die Größe des britischen Marktes für Gebärmutter-Wucherungen zu erkunden“ und mit diesem Wissen „den Marketingstrategie-Prozess zu füttern“. Auch andere Firmen beteiligten sich am Großeinkauf, was auf der Insel einen großen Skandal auslöste.
Ein weiteres Betätigungsfeld für den Pharma-Riesen und andere Unternehmen tut sich durch die Einrichtung des „elektronischen Rezeptes“ (eRezept) auf. Bisher konnte weder Ärzteschaft noch Apotheken oder Pharmafirmen feststellen, ob ein ausgestelltes Rezept auch eingelöst wurde. Mit der Einführung des elektronischen Rezeptes (eRezept) ist ihnen das jedoch möglich, was den Druck auf die PatientInnen erhöht, sich die Tabletten wirklich zu beschaffen – und den Konzerne so zu Mehreinnahmen verhilft.
Für Rezepte interessiert sich der Leverkusener Multi schon länger. Er hat die Firma PHARMAFACT damit beauftragt, für ihn die Rezeptdaten der Krankenkassen auszuwerten. Auf diese Weise weiß der Konzern ganz genau, wie das Geschäft mit seinen Arzneien so läuft und wie er seine Pharma-DrückerInnen präparieren muss. Eine Zeitlang wusste er dies sogar genauer, als die Polizei erlaubt. PHARMAFACT gab nämlich widerrechtlich nicht nur anonymisierte Unterlagen heraus, sondern auch solche mit Namen von MedizinerInnen, so dass BAYER & Co. ganz genaue Informationen über die Verschreibungsgepflogenheiten einzelner ÄrztInnen hatten. Doch im Jahr 2012 flog das Ganze auf. „Die Unterlagen, die uns in Auszügen zugespielt wurden, scheinen valide zu sein. Sie könnten einen der größten Daten-Skandale der Bundesrepublik im Medizinbereich aufdecken“, konstatierte der Leiter des „Unabhängigen Datenschutzzentrums Schleswig-Holstein“, Thilo Weichert, damals.
Doch nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums dient die Medizin 2.0 nur dem Wohlergehen der Versicherten. So soll die eGK im Verbund mit der Telematik-Infrastruktur eine bessere Versorgung der Versicherten durch schnelle und sichere Kommunikation zwischen den LeistungserbringerInnen (z. B. ÄrztInnen / Kliniken) bewerkstelligen, den Missbrauch erschweren, eine Kostenersparnis bringen, die Qualität bei der medizinischen Behandlung erhöhen und zu mehr Transparenz für die PatientInnen führen. Zudem verspricht das Ministerium eine sichere Datenautobahn, auf der nur autorisierte Personen (z. B. Patientin/ Patient, Ärztin/Arzt) an die medizinischen Daten kommen können. Darüber hinaus bestimmten die Versicherten selbst, was auf ihrer eGK gespeichert wird: „Der Versicherte ist dabei Herr über seine persönlichen Gesundheitsdaten“11 Dieses Recht kann allerdings jederzeit widerrufen werden. Außerdem ist fraglich, wie der Versicherte von diesem Recht in der Praxis Gebrauch machen soll.

Kritik von allen Seiten
Verfolgt man das Für und Wider zur eGK und zu TI in der öffentlichen Diskussion, zeichnet sich jedoch kein so eindeutig positives Bild ab. Es hagelt von verschiedensten Seiten Kritik, nicht nur gegen die eGK und die TI, sondern auch gegen den im Januar 2015 veröffentlichen Referenten-Entwurf zum E-Health-Gesetz. Das Bündnis „Stoppt die e-Card“, ein Zusammenschluss von 54 Bürgerrechtsorganisationen, DatenschützerInnen sowie PatientInnen- und ÄrztInnen-Verbänden, steht mit seinen Vorbehalten keineswegs alleine da. So forderte Kathrin Vogler von der Partei „Die Linke“ in ihrer Bundestagsrede am 16.01.2015 den Stopp der eGK; sie sprach sich stattdessen für die Entwicklung von Alternativen aus, die sich mehr am Wohl der PatientInnen orientieren12. Auch haben die Krankenkassen die Haushaltsmittel für 2015 an die GEMATIK vorerst gesperrt. Grund: zu geringe Fortschritte beim Aufbau der TI. Zudem wurden die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages aus den letzten Jahren am 27.02.2015 von der VertreterInnen-Versammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (dem „Parlament“ der KBV) erneut bestätigt. Mit großer Mehrheit lehnte das Gremium den „Anschluss an die zentrale E-Card-Infrastruktur“ ab. Überdies forderte es den hauptamtlichen KBV-Vorstand auf, sich im Gesetzgebungsverfahren zum E-Health-Gesetz konkret für eine Streichung der strategisch wichtigen Funktion „Online-Versichertenstammdatenmanagement“ (VSDM) einzusetzen. Dieses VSDM würde alle ÄrztInnen-Praxen an das von der BERTELSMANN-Tochter ARVATO aufgebaute zentrale Großnetz anschließen, und Weigerungen will Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) im neuen Gesetz sogar unter Strafe stellen.
Die KritikerInnen in der Ärzteschaft plädieren hingegen für Dezentralität und betrachten die Daten, die in einer riesigen TI gespeichert, bearbeitet und eventuell zweckentfremdet weiterverwendet werden, als eine Belastung des vertraulichen Arzt-Patienten-Verhältnisses. Nicht zuletzt steht damit nämlich die ärztliche Schweigepflicht auf dem Prüfstand, die es bisher weitestgehend verhindert hat, dass beispielsweise Daten über Krebs, Diabetes, Nervenzusammenbruch oder AIDS unbefugt an andere gelangen konnten. Laut Ärzteschaft gibt es zudem schon einen Austausch zwischen niedergelassenen ÄrztInnen und Kliniken durch Verschlüsselungssoftware per E-mail, der auch kostengünstiger sei. Darüber hinaus hat eine Kölner ÄrztInnen-Initiative im Dezember 2014 eine Unterschriften-Liste gegen die Anweisung gestartet, PatientInnen ohne neue Gesundheitskarte nicht mehr zu behandeln.
Wie es um die Datensicherheit in der elektronischen Informationsübermittlung steht, zeigen die Veröffentlichungen des Whistleblowers Edward Snowden. Seit 2010 sind die Dienste in der Lage, unbemerkt den Datenverkehr auszuspähen. So ist es den Geheimdiensten der USA und Großbritanniens problemlos gelungen, beim weltweit führenden Kartenhersteller GEMALTO das Sicherheitskonzept zu knacken – just das Unternehmen, das 2009 den Auftrag erhielt, 25 Millionen elektronische Gesundheitskarten für Versicherte der AOK zu personalisieren und zu verschicken. „Wenn bis heute dieses Datenleck den Betreibern der Firma nicht aufgefallen ist, bedeutet das, dass interne Kontrollen völlig versagt haben müssen. Es gibt also keine Sicherheit mit den jetzt ausgegebenen elektronischen Karten“, konstatierte der Sicherheitsexperte Rolf Lenkewitz13.
Zu ähnlichen Aussagen kommt Professor Dr. Harmut Pohl in seinem Kommentar „Chipkarten-Hack und die Folgen – Kommentare der Experten 2,0“ Er hält fest: „Die organisierte Kriminalität übernimmt die technischen Fähigkeiten der Nachrichtendienste in sehr kurzer Zeit (...) Die organisierte Kriminalität ist daher z. B. besser und aktueller über den Gesundheitszustand eines jeden von uns informiert als wir selbst – und unser Hausarzt!“14 Das dies keine unbedeutenden Warnungen sind, zeigt auch ein Bericht der WAZ aus dem Bereich des Online-Banking. „Wieder Konten mit TAN-System leergeräumt“, lautete die Überschrift15.

Druck auf Verweigerer
Wer keine neue Gesundheitskarte besitzt, muss trotzdem nicht auf ÄrztInnen-Besuche verzichten. Das ließ sich Kathrin Vogeler von der Bundesregierung bestätigen. „Wer der elektronischen Gesundheitskarte skeptisch gegenübersteht, kann sich auch im nächsten Jahr ärztlich behandeln lassen, ohne gleich eine Privatrechnung zu riskieren. Anstelle einer e-Card reicht nämlich ein Nachweis über den Leistungsanspruch von der Krankenkasse, auf Papier, per Brief oder Fax an die Arztpraxis“, erklärte die Politikerin16. Die Aussage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): „Ab 1. Januar gilt ausschließlich die elektronische Gesundheitskarte (eGK)“ ist also durch die Bundesregierung widerlegt. Der Versicherungsschutz hängt nicht von der eGK ab, sondern von gezahlten Versicherungsbeiträgen und von den notwendigen Angaben nach § 15 SGB V17. Das widersprüchliche und unfaire Verhalten von einigen Krankenkassen, ÄrztInnen, BGM etc. gegenüber denjenigen gesetzlich Versicherten, die nach wie vor die eGK verweigern, ist deshalb aufs Schärfste zu verurteilen.
Seit Beginn dieses Jahres verhalten sich Krankenkassen und MedizinerInnen den eGK-VerweigerInnen gegenüber unterschiedlich. Obwohl die Versicherten Beiträge zur Krankenversicherung zahlen und dadurch berechtigt sind, medizinische Leistungen zu erhalten, werden sie von einigen Krankenkassen und auch ÄrztInnen schikaniert. Die INITIATIVE PATIENTENDATEN fasst die Erfahrungen so zusammen: „Die Techniker Krankenkasse beispielsweise stellt Ersatzbescheinigungen nur für jeweils einen Tag aus, so dass man sich für jeden Arztbesuch eine neue Bescheinigung holen muss (...) Einzelne Krankenkassen weigern sich, die Ersatzbescheinigungen vor einem Arztbesuch zur Verfügung zu stellen, oder wollen diese nicht per Post zuschicken, sondern nur in die Arzt-Praxis faxen. Einzelne Ärzte wiederum weigern sich, ihre Fax-Nummer bekanntzugeben, andere können angeblich keine Überweisung mehr ausstellen, wenn die Ersatzbescheinigung nur einen Tag gültig ist. Manche weisen sogar Patienten mit einer Ersatzbescheinigung ab und verweigern die Behandlung, auch wenn sie aufgrund ihrer Kassen-Zulassung verpflichtet sind, Kassen-Patienten zu behandeln.“18 Selbst bei chronisch Kranken wird mit Schikanen vorgegangen, um sie zum Einlenken zu bewegen19.
Versicherte, die wollen, dass ihre intimsten Gesundheitsdaten nur im engsten Kreis überschaubar verwendet werden und nicht in zentralen Rechenzentren (TI), haben ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung so gut wie verloren. Es entfällt nämlich das Recht auf Information darüber, wer zu den eigenen Daten Zugang hat,
sowie das Recht, ihre Verarbeitung einzuschränken, abzulehnen oder ihre Löschung zu verlangen.
Durch die zentrale Speicherung in Rechenzentren bleiben nicht wie bisher alle Krankheitsdaten dezentral bei den behandelnden MedizinerInnen. Zukünftig sind Praxen, Apotheken, PsychotherapeutInnen, Krankenhäuser, Krankenkassen und viele weitere Berufsgruppen des Gesundheitswesens durch die eGK und TI in einem riesigen Computernetzwerk miteinander verbunden. Und es steht zu befürchten, dass auch andere Interessenten wie z. B. die Pharma-Industrie legal oder illegal Zugang bekommen. Laut namhaften IT- und DatenschutzexpertInnen gibt es keinen hundertprozentigen Schutz vor Missbrauch des Systems. So hat das, was nach dem LIPOBAY-Skandal begann und bloß das eigentlich sinnvolle Projekt verfolgte, den verschiedenen AkteurInnen des Gesundheitswesens den Arzneimittel-Gebrauch von PatientInnen transparenter zu machen, zu einer Entwicklung geführt, an deren Ende gläserne PatientInnen stehen könnten.

Fußnoten
1 vgl. www.heise.de; 04.08.2011: Elektronische Gesundheitskarte: Es begann vor zehn Jahren
Anmerkung zur TI: alle elektronischen Verarbeitungssysteme (z. B. Kartenlesegeräte, eGK, Rechenzentren), die medizinische Daten speichern und übermitteln und vernetzt sind, ergeben die TI.
2 vgl. WAZ vom 27.06.2012: Fehlerhafte Gesundheitskarte
3 vgl. junge Welt, Nr. 3 vom 05.01.2015, S. 12: Big Data – Big Business
4 www.digitalcourage.de: Wie geht es weiter mit der elektronischen Gesundheitskarte?
5 www.kathrin-vogler.de; Bundestagsrede vom 16.01.2015
6 www.bigbrotheraward.de
7 vgl. www. bmg.bund.de; Elektronische Gesundheitskarte und E-Health /Fragen und Antworten
8 vgl. www. bmg.bund.de; Elektronische Gesundheitskarte und E-Health
9 vgl. Gen-ethischer Informationsdienst, GID, Nr. 229, April 2015, S.16f. Zusatzinfo: 2002 begann Großbritannien mit dem Aufbau einer zentralen Datenbank im staatlichen Gesundheitssystem, dem National Health Service (NHS). Ein Gutachten stellte jedoch fest, dass „weder die Kommunikation zwischen ÄrztInnen und Kliniken“ vereinfacht, „noch sonst in irgendeiner Form die Gesundheitsversorgung“ verbessert wurde. Darum stand das Urteil über das Vorhaben, das bis heute 12 Milliarden Pfund verschlang, bald fest: Das „bisher gewaltigste Scheitern“ eines IT-Projektes.
10 vgl. junge Welt, Nr. 19 vom 23.01.2015, S. 5: „Ziel: Gläserner Patient“
11 vgl. www.bmg.bund.de; Elektronische Gesundheitskarte und E-Health, Allgemeine Informationen/Fragen und Antworten
12 www.kathrin-vogler.de; Bundestagsrede vom 16.01.2015
13 vgl. www.presseportal.de: Elektronische Gesundheitskarte: Super-GAU durch Sicherheitsangriffe auf Chipkarten
14 vgl. www.stoppt-die-e-card.de: Chipkarten-Hack und die Folgen – Kommentare der Experten 2,0
15 vgl. WAZ vom 19.08.2014: Wieder Konten mit TAN-System leergeräumt
16 vgl. www.kathrin-vogler.de: Auch 2015 sind Arztbesuche ohne eCard möglich
17 vgl. www.digitalcourage.de: Wie geht es weiter mit der elektronischen Gesundheitskarte?
18 vgl. www.initiative-patientendaten.de: Streit um elektronische Gesundheitskarte eskaliert
19 vgl. www.ddrm.de: Ein Skandal: Die Erpressung chronisch Kranker ohne eGK wird weiter verschärft

[Interview Gotzsche] STICHWORT BAYER 01/2015

CBG Redaktion

Interview mit Prof. Peter Gøtzsche

Autor des preisgekrönten Buchs „Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität: Wie die Pharmaindustrie unser Gesundheitswesen korrumpiert“

Professor Gøtzsche, Ihr Buch hat im englischsprachigen Raum große Aufmerksamkeit erlangt. Wann kommt es in Deutschland heraus?
Es erscheint am 14. November im Riva Verlag, München.

Unser Netzwerk beschäftigt sich seit über 30 Jahren speziell mit BAYER. Wie wichtig ist die deutsche Pharmaindustrie, zum Beispiel in Bezug auf Lobbying?
Alle großen Pharmaunternehmen betreiben heftiges Lobbying, auch auf europäischer Ebene.

Die Firma BAYER hat viele Pharmaskandale zu verantworten, von Heroin bis Lipobay. Welche Erfahrung haben Sie mit diesem Unternehmen gemacht?
Wie andere große Pharmaunternehmen auch hat sich BAYER an organisierter Kriminalität beteiligt, zum Beispiel an der Bestechung von Ärzten oder dem Betrug am amerikanischen Gesundheitsprogramm Medicaid.
Im 2. Weltkrieg hat BAYER medizinische Experimente an KZ-Häftlingen durchgeführt. Ein Brief aus dieser Zeit zeigt, dass BAYER vom KZ Auschwitz 150 Frauen für jeweils 170 Mark kaufte. BAYER schrieb an den Kommandanten: „Die Versuche wurden gemacht. Alle Personen starben. Wir werden uns bezüglich einer neuen Sendung bald mit Ihnen in Verbindung setzen.“ Deutsche Unternehmen haben KZ-Häftlingen zum Beispiel Typhusbakterien gespritzt und danach verschiedene Medikamente ausprobiert.

Warum vergleichen Sie die Pharmaindustrie mit dem Organisierten Verbrechen?
Weil ich herausgefunden habe, dass das Geschäftsmodell der zehn größten Pharma-Unternehmen organisierte Kriminalität beinhaltet.

In den 80er Jahren infizierten BAYER-Produkte Tausende Bluter mit HIV. Interne Dokumente zeigen, dass die Firmenleitung die Risiken kannte, die kontaminierten Produkte aber weiter verkaufte. Ist dies ein Beispiel für kriminelle Geschäfte?
An dieser Stelle ist BAYER nicht alleine. Es gab viele Firmen, die kontaminierte Blutprodukte verkauften.

BAYER gibt jährlich rund 10 Milliarden Euro für Werbung und Vertrieb aus. Hierunter fallen Medikamentengaben an Krankenhäuser, Ärzte-Fortbildungen, Pharmareferenten, Spenden an Lobbyverbände etc. Der Konzern verweigert jedoch eine Aufschlüsselung dieser Summe. Sollte die Industrie gezwungen werden, solche Ausgaben im Detail zu veröffentlichen?
Ja, natürlich. Wir sollten aber einen Schritt weiter gehen und Werbung für Medikamente generell verbieten. Tabakwerbung haben wir schließlich auch reglementiert, und das Pharmamarketing ist ebenso gefährlich.

Warum gelingt es den Firmen immer wieder, unnütze und sogar gefährliche Präparate auf den Markt zu drücken?
Es ist üblich, die Ergebnisse von Medikamententests zu verfälschen und die Gefahren von Arzneimitteln zu verheimlichen. Zudem stoßen wir überall auf das Geld der Pharmaindustrie - jeder mit Einfluss im Gesundheitswesen soll gekauft werden. Der Industrie gelingt es auf allen Ebenen, wichtige Personen zu bestechen – bis hin zu Gesundheitsministern.
Aber besonders gefährlich ist das Pharmamarketing. Die Lügen sind häufig so eklatant, dass die Firmen das exakte Gegenteil der Wahrheit behaupten.

Gibt es Abschätzungen, wie viele Menschen an Nebenwirkungen sterben?
Untersuchungen aus verschiedenen Teilen der Welt kommen zu konsistenten Ergebnissen. So sterben in den USA pro Jahr schätzungsweise 200.000 PatientInnen an medikamentösen Nebenwirkungen. Etwa in der Hälfte der Fälle werden die Präparate ordnungsgemäß eingenommen. Die andere Hälfte stirbt wegen Überdosierungen oder weil der behandelnde Arzt nicht auf Interaktionen mit anderen Arzneien geachtet hat. Den Medizinern können wir allerdings kaum einen Vorwurf machen: fast jedes Medikament hat 20 oder mehr Sicherheitshinweise und Kontraindikationen. Es ist absolut unmöglich, diese alle zu kennen.

Welcher Anteil der Präparate auf dem Markt ist denn aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Wir könnten auf ziemlich einfachem Weg 95% der Medikamenten-Ausgaben sparen und hätten sogar eine gesündere Bevölkerung. Allein wenn wir bei Präparaten mit derselben Wirkung immer das preiswerteste Mittel auswählen würden, ließe sich etwa die Hälfte der Kosten sparen.
In vielen Fällen wäre es schlichtweg besser, gar keine Medikamente zu verschreiben. Alle Mittel haben unerwünschte Nebenwirkungen, die zusammen genommen für eine schreckliche Anzahl von Todesfällen verantwortlich sind. Schmerzmittel werden beispielsweise viel zu häufig verwendet. Auch sollten wir nur einen winzigen Teil der heute verwendeten Psychopharmaka verschreiben, denn diese sind generell gefährlich, wenn sie länger als ein paar Wochen eingenommen werden.

Antibabypillen aus der Yasmin-Reihe haben ein deutlich erhöhtes Embolierisiko im Vergleich zu älteren Präparaten. Allein in den USA hat BAYER fast zwei Milliarden Dollar an geschädigte Frauen gezahlt. Warum wurden diese Pillen trotzdem noch nicht verboten?
Einer meiner dänischen Kollegen veröffentlichte frühzeitig zwei Studien, die ein erhöhtes Risiko von Blutgerinnseln durch Pillen wie Yaz oder Yasmin zeigten. Er wurde von Ärzten, die auf der Gehaltsliste von BAYER stehen, in aggressiver Weise angegriffen. BAYER hat zudem Studien finanziert, die das erhöhte Risiko bestritten.

BAYER gehört zu den weltweit größten Anbietern freiverkäuflicher Medikamente. Was ist das größte Problem in diesem Bereich?
Vieles davon taugt nichts – außer den Käufern das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Wie beurteilen Sie die regelmäßig wiederkehrenden Versuche, eine tägliche Einnahme von Aspirin als Prävention gegen Herzerkrankungen und spezielle Krebsarten zu etablieren, sogar für Gesunde?
Dagegen ist nichts einzuwenden, schließlich wollen wir alle länger leben. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass sehr wenige von einer solchen Prophylaxe profitieren würden, während viele geschädigt würden. Es ist daher keine gute Idee, die gesamte Bevölkerung präventiv zu behandeln. Generell ist die Überbehandlung von Gesunden eines der größten – zugleich für die Industrie lukrativsten - Probleme im heutigen Gesundheitswesen.

BAYER und die Uniklinik Köln haben 2008 einen weit reichenden Kooperationsvertrag geschlossen. Wir haben vergebens versucht, Einblick in die Abmachung zu erhalten. Stimmen Sie mit uns darin überein, dass solche Geheimkooperationen zu einer Ausrichtung der Forschung nach rein wirtschaftlichen Kriterien führen?
Ich bin ein großer Gegner solcher Kooperationen. Die Erfahrung zeigt, dass die beteiligten Firmen meist die Gewinne abschöpfen und die Ergebnisse für sich beanspruchen. Die Steuerzahler zahlen die Zeche, indem sie viel zu teure Medikamente erstatten müssen.
Außerdem: ist es akzeptabel, eine Kooperation mit einer Branche einzugehen, deren Handeln oftmals kriminell ist und die aus Profitgründen den Tod vieler PatientInnen in Kauf nimmt? Ich meine Nein. Klinische Studien sollten vollkommen unabhängig von der Pharmafirmen durchgeführt werden. Und grundsätzlich darf es im Gesundheitswesen keine geheimen Kooperationen geben. Sie sollten eine Einsichtnahme gerichtlich erzwingen, oder sich bei einem Ombudsmann bzw der Politik beschweren (Anm. der Redaktion: die Politik feierte den Vertrag seinerzeit als „großen Gewinn für die Arzneimittel-Forschung“; vor Gericht scheiterte eine Einsichtnahme bislang).

Öffentlich finanzierte Studien kommen häufig zu anderen Ergebnissen als Untersuchungen der Industrie. Wie kommt das?
Es ist nicht sinnvoll, dass ein Unternehmen, das mit schöngefärbten Studien Milliarden Euro oder Dollar verdienen kann, meist der einzige ist, der jemals die Rohdaten der Studien zu Gesicht bekommt.
Wir haben ein System, in dem die Pharmaunternehmen ihre eigenen Richter sind. Das ist doch merkwürdig, in anderen Bereichen lassen wir dies schließlich auch nicht zu. Es wäre zum Beispiel lächerlich, zu einem Richter zu sagen: „Ich habe selbst ermittelt, hier sind alle Beweise“. Aber genau dieses System haben wir im Gesundheitswesen akzeptiert. Die Industrie macht ihre eigenen Studien und manipuliert sie häufig in einem schrecklichen Ausmaß. Aus diesem Grund können wir den Veröffentlichungen der Unternehmen - selbst in angesehenen Fachzeitschriften - nicht vertrauen.

Nach Ihrer Aussage ist das System voller Interessenkonflikte. Ärzte werden von Pharmaunternehmen bezahlt, Mitarbeiter von Behörden wechseln in die Industrie (und umgekehrt). Wie könnte man diese Situation ändern?
Wir stoßen überall auf das Geld der Industrie. Ich schlage daher vor, Pharmawerbung schlichtweg zu verbieten. Gute Medikamente werden sich immer durchsetzen, hierfür benötigen wir keine Werbung.
Ein Werbeverbot würde dazu führen, dass Ärzte nicht mehr von Pharmareferenten korrumpiert werden können. Die Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften hätten nicht mehr so große Angst, Artikel zu veröffentlichen, die nicht im Interesse der Industrie sind. Mit Hilfe einer solchen Reform könnten wir die Fachmagazine aus der Umklammerung von „Big Pharma“ befreien.

Haben Sie weitere Forderungen zur Regulierung der Pharmaindustrie?
Die Industrie behält die Rohdaten ihrer Studien für sich. Stattdessen sollten wir neue Medikamente von öffentlichen Einrichtungen untersuchen lassen. Die Hersteller könnten die Tests bezahlen, sollten aber mit den Studien selbst nichts zu tun haben. Ärzte sollten auch keine Zuwendungen der Industrie annehmen dürfen.
Aktuell sind leider viele Mediziner bereit, als Mit-Autoren von Studien zu fungieren, zu deren Rohdaten ihnen der Zugriff verweigert wird und die in Wahrheit von den Firmen verfasst werden. Dabei könnten die Studien ohne die Mitwirkung der Ärzte und ihrer PatientInnen nicht durchgeführt werden. Dies ist ein Verrat akademischer Integrität und ein Bruch des Patienten-Vertrauens. Ärzte und Selbsthilfegruppen müssen das Geld einer derart korrupten Industrie schlichtweg zurückweisen.

In Ihrem Buch heißt es, dass diejenigen, die das kriminelle Handeln der Pharmaindustrie aufdecken, zu Parias werden. Haben Sie nach dem Erscheinen des Buchs Rückschläge erleben müssen?
Nein, im Gegenteil, das Buch hat viel Lob erhalten. Von der Industrie direkt habe ich natürlich nichts gehört. Es gab aber einige unverblümte Lügen seitens der Lobbyverbände der Industrie und ihrer bezahlten Partner in den Reihen der Ärzteschaft. Die Fragen stellte Philipp Mimkes (CBG)

Prof. Peter Christian Gøtzsche, Direktor des Nordic Cochrane Centers, ist Spezialist für Innere Medizin. Von 1975-83 war er in der Pharmaindustrie in den Bereichen Klinische Studien und behördliche Regulierung tätig. Von 1984-95 arbeitete er in Kopenhagener Krankenhäusern. 1993 gehörte er zu den Gründern der Cochrane Collaboration. Gøtzsche wurde 2010 an der Universität Kopenhagen zum Professor für klinisches Forschungsdesign und Analyse ernannt.

[Steuern] STICHWORT BAYER 01/2015

CBG Redaktion

BAYER zahlt kaum Abgaben

Im Steuer-Paradies

Was APPLE, GOOGLE, STARBUCKS und andere wegen ihrer ganz legalen Steuertricks momentan in der Kritik stehenden Global Player können, kann BAYER schon lange. Auch der Leverkusener Multi nutzt jede Gelegenheit, um sich vor dem Fiskus noch ärmer zu rechnen als er es steuertechnisch nach den unzähligen Gesetzes-„Reformen“ seit 2001 ohnehin schon ist. Und so kommt es dann, dass mit Leverkusen die Stadt, an dem Deutschlands wertvollster Konzern seinen Firmen-Sitz hat, ein Sparpaket nach dem anderen verabschieden muss.

Die meisten Niederlassungen hat der Leverkusener Multi in seinem Stammland. Dann folgen die Staaten mit den größten Absatzmärkten wie die USA und China. Nur der prominente Platz einer Nation in der Aufstellung verwundert: der Hollands. 15 Filialen betreibt der Konzern dort. Mit den heimatlichen Gefühlen seines niederländischen Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers hat das allerdings wenig zu tun. Der Nachbar wirbt vielmehr aggressiv mit seinem günstigen „Fiskal-Klima“ und offeriert vielfältige Angebote zum Sparen von Unternehmenssteuern. So ist die Nutzung von geistigem Eigentum oder Namensrechten in so genannten Patent-Boxen für unschlagbare fünf Prozent Körperschaftssteuer zu haben. Auf diese Weise können die BAYER-Töchter die Gebühren, die sie etwa für eine ASPIRIN-Lizenz entrichten müssen, steuermindernd geltend machen, während diese in Holland als Einnahmen finanzamt-technisch kaum ins Gewicht fallen. Auch als Standort für eine konzern-interne Bank, die den Teilgesellschaften Geld für Investitionen leiht, eignet sich das Land. In diesem Fall wirken die für die Kredite zu zahlenden Zinsen steuermindernd, indessen sie in Mijdrecht bei BAYER WOLRD INVESTMENTS B. V. den Gewinn nicht groß schmälern.

Steuerstandort BENELUX
Darum hat der Global Player die Besitz-Verhältnisse innerhalb seines Imperiums binnen der letzten Jahre ein wenig neu geordnet. 2012 verschob er Anteile an seinen US-Gesellschaften im Wert von 1,4 Milliarden Euro nach Holland zu BAYER WORLD INVESTMENTS, und BAYER GLOBAL INVESTMENTS bekam 526 Millionen Euro schwere Anteile von BAYERs französischen Teilgesellschaften zugewiesen. Darüber hinaus hat der Konzern in den Niederlanden zu günstigen Konditionen eine Euro-Anleihe über 1,3 Milliarden Euro begeben, für welche die BAYER CAPITAL CORPORATION eine Haftungsverpflichtung eingegangen ist.
Aber auch nach Belgien steuerflüchtet der Agro-Mogul. Das Land gewährt nämlich Zinsen auf Eigenkapital und lockt damit ausländisches Geld zur Steuer-Veranschlagung an. Deshalb verdoppelte der Leverkusener Multi 2011 die Mittel seiner in Antwerpen ansässigen Tochter-Gesellschaft auf acht Milliarden Euro und konnte seinen Gewinn von 254,8 Millionen Euro fast komplett wieder mit nach Hause nehmen. Lediglich 10,8 Millionen Euro musste er dort lassen – das entspricht einer Steuerquote von 4,3 Prozent. Zur Erklärung heißt es aus der Zentrale des Global Players lediglich: „BAYER nutzt wie einige andere Unternehmen das günstige makrowirtschaftliche Klima in Belgien, das durch den Abzug für Risikokapital geschaffen wurde.“ In Luxemburg hingegen nutzt der Pharma-Riese das günstige versicherungswirtschaftliche Klima und hat dort sowohl die INDURISK RÜCKVERSICHERUNG AG als auch die PANDIAS RE AG angesiedelt.

Heimische Wohltaten
Gewinne dort anfallen zu lassen, wo es nichts kostet und Verluste da, wo der Fiskus droht – „eine veränderte regionale Ergebnis-Verteilung“ nennt BAYERs Finanz-Vorstand Werner Baumann diese Operation. In seiner Abteilung gibt es eine Extra-Stelle für „Global Tax Projects“. Die Angestellten dort befassen sich unter anderem mit dem „Tax Planning“ und dem „Transfer Pricing“, also der Ermittlung von Preisen für konzern-interne Deals mit Markenrechten, Lizenzen oder realen Produkten.
Dabei bedürfte es einer solchen „Ergebnis-Umverteilung“ eigentlich gar nicht groß, denn in heimischen Gefilden lebt es sich auch ganz steuerparadiesisch. Und für das sonnige Klima hat der Global Player nicht zuletzt selbst gesorgt. 1999 wechselte mit Heribert Zitzelsberger nämlich der Finanz-Chef des Unternehmens als Staatssekretär ins Finanzministerium. „Wir haben mit Herrn Zitzelsberger unseren besten Mann entsandt und gehen davon aus, dass er in unserem Sinn tätig wird“, kommentierte der damalige Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider auf der Hauptversammlung den Wechsel. Und jener enttäuschte die Erwartungen seines ehemaligen Bosses nicht. „Keinem der Berliner Großkopfeten hat die deutsche Großindustrie so viel Wohltaten zu verdanken wie Heribert Zitzelsberger“, konstatierte die Berliner Zeitung einmal.
Die unter seiner Federführung konzipierte, 2001 in Kraft getretene „Unternehmenssteuer-Reform“ senkte den Körperschaftssteuersatz von 40 auf 25 Prozent ab. Wenn die Unternehmen ihren zu den alten Bedingungen versteuerten Gewinn nachträglich an die AktionärInnen ausschütteten, konnten sie sogar noch rückwirkend in den Genuss der Herabsetzung kommen. Der Leverkusener Multi ließ sich das nicht zweimal sagen, erhöhte seine Dividende auf astronomische 1,40 Euro und erhielt vom Finanzamt 250 Millionen zurück. Zudem stellte das Gesetzes-Werk Veräußerungsgewinne steuerfrei. Die Konzerne brauchten aus diesem Grund für den Erlös aus dem Verkauf von Unternehmensteilen keinen Cent mehr an den Fiskus abzuführen. Auch den Einkauf gestaltete der Staatssekretär günstiger. „In Deutschland können als einzigem Industrie-Land der Welt alle Ausgaben (...) de facto voll steuerlich abgesetzt werden“, kritisierten Lorenz Jarass und Gustav M. Obermair in ihrem Buch „Geheimnisse der Unternehmenssteuern“ Zitzelbergers Werk.
Und von seinen Nachfolgern gab es dann noch einmal Nachschlag. 2008 senkte die Große Koalition mit Peer Steinbrück als Finanzminister die Körperschaftssteuer auf 15 Prozent ab. Dass der SPD-Politiker im Gegenzug mittels einer Zinsschranke den Verkehr auf den konzern-internen Steuer-Verschiebebahnhöfen einschränkte und auch Leasing-Gebühren wieder in größerem Maße der Abgabe-Pflicht unterwarf, schmälerte den Wert des Steuergeschenkes nur wenig: Auf sechs Milliarden Euro bezifferte es die damalige Bundesregierung selber. Zwei Jahre später folgte mit dem „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, das der in Folge der Finanzkrise darbenden Konjunktur Beine machen sollte, die nächste kleine Aufmerksamkeit. 2,4 Milliarden Euro an Steuer-Entlastungen brachte diese mit sich. CDU und FDP hoben die Zinsschranke wieder an und gestatteten den Unternehmen, beim Kauf von Firmen auch deren Verlust-Vorträge mit in die eigene Rechnung zu übertragen. Zudem erleichterten die Parteien BAYER & Co. die steuer-optimierende „regionale Ergebnis-Verteilung“ zwischen Tochter- und Muttergesellschaften. Und sogar Rationalisierungen konnten die Multis nun von der Steuer absetzen. Schwarz-Gelb ließ nämlich „den Abzug von Verlusten bei Umstrukturierungen innerhalb verbundener Unternehmen“ wieder zu.
Die Armrechenkünste international operierender Konzerne kosten die hiesigen Finanzämter rund fünf Milliarden Euro. Im Vergleich zu mittelständischen Unternehmen mit Deutschland als einzigem Standort zahlen die Big Player 30 Prozent weniger Steuern auf ihren Umsatz. Und so haben zwar die Gewinne der Multis die Finanzkrise längst hinter sich gelassen, das insgesamt von den Gesellschaften erbrachte Abgaben-Aufkommen aber nicht, da dieses vor allem die kleineren Firmen tragen müssen bzw. „die Gewerbesteuer die Rolle als stärkste Unternehmenssteuer übernommen hat“, wie es der langjährige Steuerausschuss-Vorsitzende des „Bundesverbandes der deutschen Industrie“, Bernd Jonas, ausdrückt. Unterm Strich spielen jedoch sogar Gewerbe- und Körperschaftssteuer zusammen nur eine Nebenrolle. Gerade einmal 1,8 Prozent der Finanzamt-Einnahmen stammen aus diesen Quellen. Für den Rest sorgen die abhängig Beschäftigten.
In anderen Staaten stellt sich die Situation ähnlich dar. Seit Mitte der 1980er Jahre, als sich mit dem Neoliberalismus die angebotsorientierte, verstärkt auf das Wohl der Konzerne ausgerichtete Wirtschaftspolitik durchsetzte, hat ein Steuerabsenkungswettlauf ohnegleichen begonnen. In den Industrieländern sanken die Steuerhöchstsätze in dem Zeitraum von 45 auf 25 Prozent. Gleichzeitig boten sich den Konzernen immer mehr Möglichkeiten zur „kreativen Steuer-Gestaltung“. Nach Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben sie ca. 1.500 Milliarden Euro auf die Reise in die besten Steuer-Standorte geschickt und dem Zugriff der heimischen Behörden entzogen.

Leverkusen darbt
Wie sehr diese Konzern-Beglückung dem Gemeinwesen schadet, zeigt das Beispiel „Leverkusen“. Die Stadt, die der Stammsitz des wertvollsten bundesdeutschen DAX-Konzerns ist, darbt bereits seit zwei Dekaden. Mehrere Jahre lang musste die Kommune mit Nothaushalten über die Runden kommen, weil BAYER weniger Gewerbesteuern überwies – und manchmal wie 1999, 2001, 2003 und 2004 – auch gar keine. 2013 blieb ihr deshalb nichts anderes übrig, als dem Stärkungspakt Stadtfinanzen beizutreten. „So viel Schwimmbäder können wir gar nicht schließen, um die Steuerausfälle abzufangen“, klagte der Oberbürgermeister Paul Hebbel (CDU) 2002, nachdem der Pharma-Riese das Kunststück fertig gebracht hatte, den Skandal um den todbringenden Cholesterin-Senker LIPOBAY per Verlustvortrag von der Steuer abzusetzen. Die Verantwortlichen der ebenso gepeinigten Standort-Stadt Dormagen erhoben sogar Zweifel an der Seriosität der BAYER-Zahlen. „Dass der Gewinn bei Null liegt, kann mir keiner erklären. Und solange mir das keiner erklären kann, glaube ich es nicht“, so der damalige Kämmerer Jürgen Alef. Der Global Player gab ihm dann ein wenig Nachhilfe in Steuer-Arithmetik: „Wir müssen deutlich unterscheiden zwischen dem Bilanz-Gewinn eines Unternehmens und dem so genannten steuerpflichtigen Gewerbe-Ertrag, der für die Gewerbesteuer maßgeblich ist.“
2011 reichten dem Pharma-Riesen dann genau acht Buchstaben, bzw. deren Tilgung, um das Finanzamt zu düpieren. Er hatte die Entscheidung gefällt, keine Medikamente mehr unter dem Namen SCHERING zu vertreiben, und da der Wert der Marke in der Bilanz – aus welchen Gründen auch immer – mit 405 Millionen Euro angesetzt ist, schrumpfte der steuerpflichtige Gewinn entsprechend. Die letzte Hiobsbotschaft von BAYER erreichte Leverkusen erst Anfang Mai 2014 im Zusammenhang mit der Entscheidung des Pillen-Produzenten, vom US-Unternehmen MERCK die Sparte mit den nicht verschreibungspflichtigen Produkten zu erstehen. Im Zuge des Geschäfts versprach er zwar sogleich ein um zwei Prozent höheres Ergebnis pro Aktie und bezifferte den Effizienz-Gewinn auf 400 Millionen Euro, aber die Stadt profitiert nicht nur nicht davon, ihr erwachsen aus dem, was das Unternehmen seinen AktionärInnen gegenüber als zusätzliche „Synergie-Effekte“ pries, sogar noch erhebliche Nachteile. „BAYER rechnet ab dem ersten Jahr nach dem Vollzug mit signifikanten Steuer-Einsparungen“, hatte der Gen-Gigant zur Feier des Tages nämlich verlautbart. Im September 2014 gab er dem Stadtkämmerer Frank Stein die genaue Größe bekannt. Und der kam ganz geplättet aus dem Chemie-„Park“ zurück. Er muss als Synergie-Defekt nicht nur „Einbrüche im zweistelligen Millionen-Bereich“ hinnehmen, sondern für die beiden letzten Jahre auch noch – wohl vornehmlich an BAYER – Gewerbesteuer-Einnahmen zurückerstatten. Gerade einmal 60 Millionen Euro Gewerbesteuer wird die Kommune einnehmen. Der Haushaltsentwurf ist nun ebenso ein Fall für den Schredder wie das Entschuldungskonzept. „Der Sparkommissar winkt“, droht Oberbürgermeister Reinhard Buchhorn schon, und sein Kämmerer blickt düster in die Zukunft. Bei der Gewerbesteuer „müssen wir künftig von ganz anderen Volumina ausgehen“, so Stein.

OECD vs. BAYER & Co.?
Aber die FinanzministerInnen der 20 größten Wirtschaftsmächte (G 20) wollen jetzt zu einer Rückhol-Aktion ansetzen, da das Treiben von BAYER & Co. zunehmend ihre Haushaltsplanung gefährdet. „Die G 20 sehen in der aggressiven Steuerplanung ein ernstes Risiko für die Steuereinnahmen, die Souveränität und für faire Steuersysteme weltweit“, erklärten die Industrienationen. Auf ihrem Moskauer G20-Treffen im Sommer 2013 beschlossen die PolitikerInnen unter anderem, bis zum September 2015 Regelungen zu einer verbesserten Steuer-Transparenz zu schaffen, Steuer-Schlupflöcher zu schließen und die Auswahl an ganz legalen Steuertricks zu beschränken. Zudem beabsichtigen sie, die steuermindernde Preisgestaltung bei konzern-internen Geschäften zu regulieren, welche die Finanzämter oft vor Probleme stellt. „Wie soll man als Finanz-Fahnder kontrollieren, ob die Herstellung von 20 ASPIRIN-Tabletten drei Euro oder drei Cent kostet“, klagte etwa ein Finanzbeamter einmal. 60 Prozent des Welthandels machen solche internen Geschäfte der OECD zufolge schon aus.
Auf ihrem Weg hin zu mehr Steuergerechtigkeit musste der Industrieländer-Verbund allerdings schon kräftig Federn lassen. So gelang es bei der 2014er-Zusammenkunft der G20-FinanzministerInnen im australischen Cairns nicht, eine Übereinkunft zu den Patentboxen zu treffen. Darum beschreiten immer mehr Länder den umgekehrten Weg und führen selbst eine solche Regelung ein. Zuletzt stieß Irland dazu. Auf internationalen Druck hin schloss das Land das berühmt-berüchtigte Steuer-Schlupfloch „Double Irish“ und schnitt den Konzernen damit den Weg auf die Bermudas via Dublin ab – um dann mit der Patentbox aber gleich ein neues aufzumachen.
BAYER hätte hierzulande ebenfalls gerne solch eine praktische Einrichtung. Immer wieder hatte der Konzern, auf die Praxis in anderen Ländern verweisend, die Einführung gefordert und schreckte dabei nicht einmal vor Drohungen zurück: „Es liegt auf der Hand, dass solche Unterschiede auch bei Standort-Entscheidungen den Ausschlag geben können“. Die Große Koalition macht nach der Devise „If you can’t beat them, join them“ jetzt auch Anstalten nachzuziehen, es könnte sich dabei allerdings auch um ein taktisches Manöver handeln, um andere Länder dazu zu bewegen, die Regelung wieder abzuschaffen. Gespräche darüber hat es auf der „Berlin Tax Conference“ Ende Oktober 2014 bereits gegeben – und sogar schon eine Deadline: 2020 haben die PolitikerInnen als Zeitpunkt für das Auslaufen des Steuerspar-Modells ins Auge gefasst. Ab dann soll es nur noch für die wirklich in dem jeweiligen Land erbrachten Forschungsleistungen Rabatte geben. Aber wenn eine solche einheitliche Regelung wirklich kommt, darf BAYER sich im Zuge der „Harmonisierung“ berechtigte Hoffnungen auf mehr „Forschungsförderung“ auch in heimatlichen Gefilden machen.
Und noch andere Schmankerl kündigen sich für BAYER & Co. an. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs nährt nämlich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke, weshalb sie vor einer ungewissen Zukunft steht. Zudem fühlen sich die Multis berufen, weitere Veränderungen anzumahnen. „Dringende Verfahrensvereinfachungen sind in der Einkommens-, der Umsatz-, der Gewerbe- und der Körperschaftssteuer erforderlich“, schrieben acht Wirtschaftsverbände unisono an die FachpolitikerInnen. Eine „Win-Win-Situation“ versprachen sie bei Vollzug. Und in Zeiten abschwächender Konjunktur-Daten wächst die Bereitschaft der Bundesregierung, die Wunschliste der Unternehmen weiter abzuarbeiten. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil stellte etwa schon einmal bessere Abschreibungsmöglichkeiten in Aussicht.

Gute Aussichten
Eine Kehrtwende in Sachen „Unternehmenssteuern“ haben BAYER & Co. also nicht mehr zu befürchten. Die Faz schreibt schon die ganze OECD-Initiative ab. „Niemand sollte sich zu viel davon versprechen“, mahnt die Zeitung. Allenfalls „die eine oder Ungereimtheit im internationalen Steuerrecht“ könnte am Ende auf der Strecke bleiben. Und Grundsätzliches wie die Hinterfragung der Berechtigung konzern-interner Geschäfte, globale Mindeststeuersätze, einheitliche Bemessungsgrundlagen, eine nach Ländern aufgeschlüsselte Veröffentlichung der Steuer-Zahlungen oder die Einführung von Quellensteuern – also der Pflicht, Abgaben dort zu entrichten, wo die wirkliche Produktion stattfindet –, kam gar nicht erst auf den Verhandlungstisch.
Gute Aussichten also für den Global Player. Und wie sollte ihm auch ausgerechnet im Kapitalismus, der nichts anderes will, als den Konzernen optimale Rahmenbedingungen für die Kapital-Verwertung zu liefern, die Steuer-Gesetzgebung zu Schaden gereichen? Falls dann die politische Landschaft doch einmal der besonderen Pflege bedarf, so stehen BAYER & Co. dafür genügend Möglichkeiten offen. Der Leverkusener Multi hat das schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts kultiviert. „Alle Schwierigkeiten lassen sich nur überwinden durch planmäßige Beeinflussung“, hielt der damalige Generaldirektor Carl Duisberg fest und gab die Marschroute vor: „Wo wir einwirken können und müssen, das ist die Parteipolitik ... Was ist zur Durchsetzung unserer Gedanken notwendig? Geld“. Heutzutage findet diese Einwirkung unter anderem durch die Schmalenbach-Gesellschaft statt, in dessen Arbeitskreis „Steuern“ BAYERs „Head of Tax“ Bernd-Peter Bier sitzt. Diese illustre Runde verfolgt nach eigener Aussage „das Ziel, die Entwicklungen des Unternehmensteuerrechts in der Bundesrepublik durch Veröffentlichungen und Diskussionsveranstaltungen zu begleiten. Ziel dieser Bemühungen ist es, im Sinne der Schmalenbach-Gesellschaft den Prozess der Gesetzgebung in Deutschland und die Aktivitäten in Europa zu begleiten und auf diese Weise an der Gestaltung der Unternehmensbesteuerung mitzuwirken.“ In Brüssel finden sich da noch Mitbegleiter wie die Lobby-Organisationen „Bundesverband der deutschen Industrie“ und „Business Europe“ sowie Steuerspar-Dienstleister wie PRICE WATERHOUSE COOPERS (PwC), über die der Leverkusener Multi die Steuer-Politik der EU steuern kann. Denn wie notierte der ehemalige US-Präsident Rutherford B. Hayes schon 1876 in sein Tagebuch: „Dies ist keine Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk mehr. Dies ist eine Regierung von Unternehmen, durch Unternehmen und für Unternehmen.“ Von Jan Pehrke

[Verkauf BMS] STICHWORT BAYER 01/2015

CBG Redaktion

BAYER stößt Plaste-Geschäft ab

Die Chemie stimmt nicht mehr

2013 hatte BAYER noch mit pompösen Feierlichkeiten seinen 150. Geburtstag begangen. Fast auf den Tag genau ein Jahr später legt der Konzern seine Chemie-Geschichte ad acta: Er gibt bekannt, sich von seiner Kunststoff-Sparte trennen zu wollen. Damit beugt der Leverkusener Multi sich dem Drängen der Finanzinvestoren, die einen solchen Schritt seit Langem gefordert haben, und setzt 16.800 Beschäftigte einer ungewissen Zukunft aus.

BAYERs Wurzeln liegen in der Chemie. Seinen Anfang nahm das Unternehmen 1863 mit der Fertigung von synthetischen Farben. Nach und nach kamen dann Arzneimittel, Kunststoffe, Kunstfasern, Pestizide sowie andere Produkte dazu und stellten den Konzern auf vier Säulen: Chemie, Kunststoffe, Pharma und Landwirtschaft. Diese trugen mehr als hundert Jahre. Aber ab den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geriet die Struktur unter Druck. Der Neoliberalismus und die in seinem Zuge erstarkten Finanzmärkte gaben die Parole „Konzentration auf das Kerngeschäft“ aus. Nach dieser Ideologie sollten die Konzerne den Schwerpunkt auf solche Bereiche legen, in denen sie zu den Top-Anbietern auf dem Weltmarkt gehörten, und den Rest abstoßen. Um den Forderungen Nachdruck zu verschaffen, straften die großen Investoren Zuwiderhandlungen von BAYER & Co. mit einem „Konglomeratsabschlag“. Diesen nahm die Aktien-Gesellschaft lange Zeit in Kauf. Das 4-Säulen-Modell mit seiner komplexen Konstruktion schützte sie nämlich vor feindlichen Übernahmen. Zudem erlaubte es dem Global Player, Schwächephasen einer Sparte mit guten Erträgen bei anderen auszugleichen. Das, was die BörsianerInnen verächtlich „Quersubventionierung“ nannten, half ihm beispielsweise, die Krise um den Cholesterinsenker LIPOBAY zu überstehen, dessen todbringende Nebenwirkungen den Multi zu Schadensersatz-Zahlungen in Milliarden-Höhe zwangen.

BAYER wird zur Holding
Dennoch schwächte der Pharma-GAU das Unternehmen, das sich gerade auf einen Börsengang an der Wall Street vorbereitete, so sehr, dass es den Märkten Entgegenkommen signalisierte – zunächst nur formal. Der Konzern verlieh sich im Jahr 2002 eine Holding-Struktur und spaltete sich in vier voneinander völlig unabhängige Aktien-Gesellschaften auf, was die Loslösung der einzelnen Sparten bedeutend erleichterte. Einen „Umbruch, tief greifender als jeder andere in der BAYER-Geschichte“ nannte der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning damals diesen Schritt. Er frohlockte, das Unternehmen werde dadurch „Werttreiber und Wertvernichter noch leichter identifizieren können“ und verkündete unheilvoll: „BAYER wird in der Lage sein, schneller die Konsequenzen daraus zu ziehen.“
Entsprechend positiv reagierte der Aktienmarkt – und entsprechend besorgt zeigten sich Belegschaft und Gewerkschaft. Für sie unterminierte die neue Gesellschaftsform die Tragfähigkeit der Säulen „Chemie“, „Kunststoffe“, „Pharma“ und „Landwirtschaft“. Darüber hinaus sahen sie durch die Vierteilung ihren Einfluss schwinden. Nur zähneknirschend gaben die VertreterInnen der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE im Aufsichtsrat deshalb ihr Placet. Die Zustimmung habe man sich nur durch teure Zugeständnisse abringen lassen, verteidigte sich der damalige Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erhard Gipperich und zählte die Übernahme des beschäftigungssichernden Standort-Vertrags durch die AGs, die Schaffung von Standort-Betriebsräten und die Beibehaltung des Gesamtbetriebsrats zu den Verhandlungserfolgen. Der zu dem Zeitpunkt das Amt des IG-BCE-Vorsitzenden innehabende Hubertus Schmoldt kündigte darüber hinaus eine spezielle Tarif-Regelung für die neue Holding an. „Auch das gibt Sicherheit, dass BAYER nicht den Weg der früheren HOECHST beschreitet und sich nach völliger Aufspaltung nur auf den Pharma-Bereich konzentriert“, meinte er.

Die erste Säule fällt
Schon ein Jahr später trieb der Leverkusener Multi dann vermeintliche Wertvernichter auf: Er gab wegen angeblich zu geringer Renditen die Trennung von der Chemie-Abteilung und von Teilen der Kunststoff-Sparte bekannt. Ein Fünftel des Unternehmens stellte der Konzern damit zur Disposition. Nachdem er vorher schon die Geschäftsfelder „Anorganische Chemie“, „Titandioxid“, „Silikon“, „Ingenieur-Keramik“ und „Textil-Farben“ abgestoßen hatte, verabschiedete der Global Player sich nun von diversen Kunststoffen sowie von den Faser-, Leder-, Textil- und Papier-Chemikalien.
Die AktionärInnen jublilierten. Nach den entsprechenden Presse-Meldungen stieg die Aktie um acht Prozent. An den Standorten löste die Nachricht indes einen Schock aus. In Leverkusen gingen BAYER-Beschäftigte sogar auf die Straße und forderten den Erhalt der Chemie-Sparte. Die IG BCE segnete das Vorhaben jedoch – mit dem inzwischen schon habituell gewordenen Zähneknirschen – ab. „Das Herz sagt nein, der Kopf sagt ja”, so Erhard Gipperich. „Hätten wir uns verweigert, wäre es nach 2004 zu Entlassungen gekommen – im großen Stil”, meinte er, abermals auf Konzessionen von Seiten BAYERs verweisend wie etwa die Zusage, die „Standortsicherungsvereinbarung” bis Ende 2007 zu verlängern. Während der inzwischen zum Vorstandsvorsitzenden aufgestiegene Werner Wenning bekundete, der Konzern werde sich künftig „ohne Wenn und Aber” auf Pharma, Landwirtschaft und hochwertige Kunststoff-Materialien stützen, zog die Abspaltung unter dem Namen „LANXESS“ an die Börse. Dort spaltete der als BAYERs „Reste-Rampe“ titulierte Neuling kräftig weiter ab, um die Rendite-Vorgaben des Aktienmarktes erfüllen zu können – und kämpft aktuell mit enormen Schwierigkeiten.

BMS fällt
Der Aderlass ging unterdessen weiter. Dem Manager Magazin zufolge hatte der Leverkusener Multi schon 2007 nach einem Käufer für BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) Ausschau gehalten, aber die Finanzkrise stoppte die Versuche. Zwei Jahre später machten dann Meldungen über Verhandlungen mit der INTERNATIONAL PETROLIUM INVESTMENT COMPANY (IPIC) die Runde. Aber erst der neue BAYER-Chef Marijn Dekkers sollte die Sache schließlich unter Dach und Fach bringen. Schon als die Konzern-Oberen sich auf die Suche nach einem neuen Vorstandsvorsitzenden machten, gehörte ein „Track Record im Portfolio-Management“, also Erfahrung im Kaufen von Firmen und Verkaufen von Betriebsteilen, zum Anforderungsprofil. Und über diese verfügte Dekkers nicht zu knapp. Bei seinem früheren Arbeitgeber hatte er 45 Firmensparten veräußert, die Hälfte der 130 Fabriken dicht gemacht und 5.000 von 13.000 Arbeitsplätzen vernichtet, ehe er FISHER SCIENTIFIC erwarb und damit die Beschäftigtenzahl auf 35.000 erhöhte. Auf solche „Talente“ setzte der Kapitalmarkt. „Von Wennings designiertem Nachfolger Marijn Dekkers erhoffen sich viele Analysten, dass sich der erste nicht im Konzern aufgewachsene Vorstandschef möglichst schnell vom ungeliebten Kunststoff-Geschäft trennt“, hielt der Der Platow-Brief zur Amtseinführung fest. Und das Handelsblatt formulierte ähnliche Erwartungen. Vorerst jedoch hielt der Holländer sich bedeckt. „Für Aussagen ist es viel zu früh“, konstatierte er und nannte als sein Credo: „Evolution statt Revolution“.
Aber im September 2014 gab es dann doch die Revolution, nachdem es vorher schon zu einigen Aufstandsversuchen in Sachen „BMS“ gekommen war. Auch die Übernahme des Geschäfts mit nicht rezeptpflichtigen Arzneien von MERCK & Co. stellt sich im Nachhinein als anti-evolutionäre Tat dar. Durch diese verschoben sich nämlich die Risikoausgleichsmechanismen weg von den drei Säulen zu einer einzigen Sparte hin. Fußpflege-Mittel, Sonnencremes, Allergie- und Magen/Darm-Arzneien sowie Pharmazeutika gegen Erkältungen und Hautkrankheiten werfen zwar keine exorbitanten Profite ab, bescheren dem Konzern aber kontinuierliche Einkünfte und sorgen so für ein gutes Polster, falls einmal eine aussichtsreiche Pharma-Entwicklung floppt.
Eine nicht unwesentliche Rolle bei dem Entschluss, sich BAYER MATERIAL SCIENCE zu entledigen, dürfte der immer größer werdende Einfluss der Finanzinvestoren gespielt haben – aktuell besitzt allein BLACKROCK rund 30 Prozent der BAYER-Aktien (siehe SWB 4/14). Aufspaltung ist nämlich das liebste Spiel der Branche, auch die Mitbewerber DOW CHEMICAL und DUPONT drängen Hedge Funds und andere Akteure momentan, Unternehmensteile zu veräußern. Und so hieß es schließlich: „BAYER will sich in Zukunft ausschließlich auf die Life-Science-Geschäfte HealthCare und CropScience konzentrieren und MaterialScience als eigenständiges Unternehmen an die Börse bringen.“ Bei einem guten Angebot mochten die ManagerInnen einen Verkauf jedoch auch nicht ausschließen.
Was die Rheinische Post „Das Ende einer BAYER-Ära“ nannte, war für Marijn Dekkers lediglich „eine Frage der Investitionspolitik“. Der Süddeutschen Zeitung sagte er: „Wir müssen entscheiden, wofür wir bei BAYER künftig Geld ausgeben wollen (...) Da die Bereiche Gesundheit und Agrarwirtschaft höhere Renditen erwirtschaften, würden wir unsere Ressourcen vor allem dort konzentrieren.“ Er gab dabei sogar noch vor, nicht bloß schnöde Profit-Interessen zu verfolgen, vielmehr auch für BMS nur das Beste zu wollen. Weil die Sparte bei BAYER zu kurz komme, sei es besser, ihr „einen eigenen Zugang zum Kapitalmarkt zu verschaffen“, meinte der Große Vorsitzende. Und im offiziellen Konzern-Statement lässt er sich mit den Worten vernehmen: „Wir sind davon überzeugt, dass MaterialScience die Selbstständigkeit nutzen wird, um die erreichte Stärke noch besser, schneller und flexibler einsetzen zu können.“
Die wirtschaftsfreundliche Presse sprach indes Tacheles. Vom „Abwurf der bisherigen Gift-Pille Chemie“ kündete die Faz, dabei mit ihrer Metaphorik keinesfalls auf die Risiken und Nebenwirkungen von Plaste & Elaste anspielen wollend, sondern lediglich auf die angebliche Ertragsschwäche des Bereichs. Der Aktionär konstatierte derweil trocken: „Last abgestreift“. Und seine Klientel teilte die Einschätzung. Am Tag der Bekanntgabe der Abwicklung erklomm die BAYER-Aktie ein Allzeit-Hoch. „Nun wird das Kind verstoßen – und die Aktionäre applaudieren“, kommentierte die Westdeutsche Zeitung: „Deren Votum ist für den Konzernlenker wichtiger als die Klage der Gewerkschaft, dass die Arbeitnehmer der Kunststoff-Sparte doch zum Weltruhm von BAYER beigetragen hätten.“ In der Börsen-Arithmetik gewann das BAYER-Ganze nach der Devise „Weniger ist mehr“ durch die Subtraktion seiner Teile: Der Konzern stieg im September 2014 zum wertvollsten DAX-Unternehmen auf.
Entsprechend niedergedrückt reagierten Beschäftigte und GewerkschaftlerInnen. „Bei Pharma wird eine Rendite von 30 Prozent erreicht. Wir schaffen zehn Prozent. Aber das reicht dem Vorstand nicht mehr“, so die Uerdinger Betriebsratsvorsitzende Petra Kohnen. „Viele von uns arbeiten in der dritten Generation im Konzern. Nicht als BAYER-Beschäftiger in Rente zu gehen, fällt schwer“, fasste sie die Stimmung unter der Belegschaft zusammen. Immer wieder hatten die ArbeiterInnen und Angestellten an den Kunststoff-Standorten Opfer erbracht, um die angeblich schlechten Geschäftszahlen zu verbessern und die Sparte im Unternehmen zu halten. Sie hatten in den letzten Jahren die Vernichtung von über 2.000 Arbeitsplätzen, Werksschließungen, untertarifliche Bezahlung, Effizienz-Programme und die Streichung von Boni erduldet – und jetzt stellt sich heraus: Das alles war umsonst. Im Aufsichtsrat hatten sich die GewerkschaftsvertreterInnen lange gegen den Plan der BAYER-Oberen gestemmt, mussten letztendlich aber klein beigeben: „Die durch uns kritisierte Abkehr von der Drei-Säulen-Strategie ist durch die Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat, trotz intensivster Beratungen, nicht zu verhindern gewesen.“ Sonst hätte das Management keine finanziellen Mittel mehr bereitgestellt, womit der Bereich eine äußerst kritische Entwicklung genommen hätte, erläuterten die Delegierten.

Absehbare Reaktionen
Abermals jedoch machte die IG BCE gute Miene zum bösen Spiel. Wie üblich verwies die Gewerkschaft dabei auf dem Global Player abgetrotzte Konzessionen wie die Regelungen der neuen Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV), die eine Arbeitsplatz-Garantie für die BMS-Beschäftigten bis 2020 – also auch noch für die ersten Jahre der Post-BAYER-Zeit – vorsehen. „Die Trennung von MaterialScience ist ein tiefgreifender Einschnitt für die Kolleginnen und Kollegen. Mit dieser Vereinbarung ist es uns jedoch gelungen, eine gute Basis für die Zukunftssicherung der Arbeitsplätze in beiden Gesellschaften zu schaffen“, stellte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Thomas de Win fest. Allerdings gilt diese Übereinkunft nur für die rund 6.500 KollegInnen in den deutschen Werken. Das Schicksal der 10.000 anderen Belegschaftsmitglieder in den über die ganze Welt verstreuten Niederlassungen war nicht Gegenstand der Gespräche. Darum erheben nun auch diese entsprechende Ansprüche. So erklärte Levi Sollie, Vertrauensmann der belgischen Gewerkschaft ALGEMEEN BELGISCH VAKVERBOND (ABVV) bei BAYER MATERIALSCIENCE in Antwerpen: „Die Gewerkschaften fordern eine Jobgarantie, so wie sie die deutsche Belegschaft erhalten hat. BAYER hat die Verantwortung, unsere Löhne und Arbeitsbedingungen für die kommenden Jahre zu garantieren. Im März 2015 wird das Antwerpener BAYER-Werk seinen 50. Geburtstag begehen - den meisten Arbeitern ist aber nicht nach Feiern zu Mute. Worauf wir jetzt zählen, ist ein Abkommen zur Sicherung der Arbeitsplätze“. Darüber gab es zwar erste Verhandlungen, aber dieselben Konditionen wie ihren deutschen KollegInnen wollte der Multi den AntwerpenerInnen nicht zugestehen. So sollte etwa die Arbeitsplatz-Garantie bloß bis 2017 gelten.
Boomende Börsen, betretene Beschäftige, zähneknirschende Zustimmung von Seiten der Gewerkschaft – um das übliche chemische Reaktionsschema bei den Abspaltungsprozessen zu komplettieren, fehlte jetzt eigentlich nur noch die Bestandsgarantie für die verbliebenen Säulen, und auch die folgte umgehend. Mittelfristig stehe eine Trennung vom Pestizid-Geschäft nicht zur Debatte. Es werde auch in fünf Jahren auf jeden Fall noch zu BAYER gehören, gab Dekkers dem Handelsblatt zu Protokoll. In einem anderen Interview kündigte er sogar eine engere Zusammenarbeit der ForscherInnen aus beiden Sparten an. Ob aber die eher vage Klammer „Life Science“ zwei so unterschiedliche Sphären wirklich auf Dauer zusammenhalten kann, bleibt abzuwarten. Die Börsen-Zeitung sieht die Landwirtschaftsabteilung jedenfalls schon auf dem besten Wege, den Staffelstab des „Wertvernichters“ von BMS zu übernehmen: „In diese Position wird in einem Life-Science-Konzern auch das Pflanzenschutz-Geschäft geraten, das zudem zyklisch ist.“ Auf alle Fälle steht der Leverkusener Multi nun vor einem Umstrukturierungsprozess, denn für das, was von dem Konglomerat übrig geblieben ist, braucht es kein Holding-Konstrukt mehr. „Wir werden uns die Organisation ansehen“, sagt der Vorstandsvorsitzende deshalb auch.
Zunächst einmal ist der Konzern jedoch vollauf mit der Abwicklung von BMS beschäftigt. Trotz formaler Eigenständigkeit gestaltet sich die Loslösung nämlich gar nicht so einfach, weil es doch noch viele Verbindungen zu den anderen Unternehmenstöchtern und der Muttergesellschaft gibt. So unterhält MaterialScience zum Chem„park“-Betreiber CURRENTA, einem Gemeinschaftsunternehmen von BAYER und LANXESS, Geschäftsbeziehungen. Auch arbeiten die Dienstleister BAYER BUSINESS SERVICES und BAYER TECHNOLOGY SERVICES für die Kunststoff-Abteilung. Ebenso gilt es, die Vermögenswerte auseinanderzudividieren – und die Schulden. LANXESS hatte der Global Player nämlich damals zum Abschied noch Belastungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro mit auf den Weg gegeben, was dort für ernstliche Verstimmung sorgte.
Die alte BMS-Mannschaft wollte der Vorstand aus verständlichen Gründen nicht mit den Trennungsaufgaben betrauen. So nimmt jetzt Klaus Schäfer die Position des bisherigen Produktionschefs Tony Van Osselaer ein, der in Rente ging, und auch den Posten des Finanz-Vorstandes besetzte BAYER um. Mit Frank Lutz füllt ihn jetzt ein Mann aus, der auf Erfahrungen bei der DEUTSCHEN BANK und bei GOLDMAN SACHS verweisen kann. Diese beiden Finanzhäuser sind es dann auch, welche den Weg der Plaste & Elaste-Sparte in die Selbstständigkeit vorbereiten. BAYER favorisiert dabei einen regulären Börsengang. Der Konzern-Mutter würde ihr verstoßenes Kind auf diese Weise nämlich einen großen Batzen Geld einbringen. Sollte das Klima an den Aktienmärkten jedoch nicht genügend Erlöse versprechen, so hätte der Konzern noch die Alternative, genauso wie bei der Abspaltung von LANXESS zu verfahren und den bisherigen AktionärInnen des Unternehmens in einem sogenannten Spin-Off Papiere des ausgemusterten Firmenteils zu schenken. „BAYER hätte dann keine Erlöse, dafür müsste die Kunststoff-Sparte erhebliche Teile der Konzern-Schulden tragen“, hält das manager-magazin fest.
Begehrlichkeiten haben aber auch schon Beteiligungsgesellschaften angemeldet. Die Private-Equity-Multis ADVENT, CARLYLE, CINVEN, CVC und KKR haben Ende Oktober 2014 die Gründung eines Konsortiums angekündigt, um MaterialScience zu erwerben. „Kein Kommentar“ – hieß es dazu aus Leverkusen. Die für die Linkspartei im Bundestag sitzende Sahra Wagenknecht warnt den Leverkusener Multi eindringlich davor, auf eine solche Offerte einzugehen. „Beim Börsengang müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, damit eine Übernahme des Tochter-Unternehmens durch Zockerbuden so unwahrscheinlich wie möglich wird. Schon 2006 hatte die BAYER AG mit HC STARCK ein Tochter-Unternehmen direkt den Heuschrecken überlassen. Das Ergebnis für die Beschäftigten waren rücksichtloser Stellenabbau und schlechtere Arbeitsbedingungen.“
Aber von moralischen Erwägungen lässt BAYER sich nicht leiten. Sonst hätte der Konzern BMS gar nicht erst zur Disposition gestellt und damit rund 17.000 Beschäftigte einer ungewissen Zukunft ausgesetzt. Das Unternehmen orientiert sich nur am Profit-Prinzip und an den Rendite-Erwartungen von Aktionären wie BLACKROCK, hinter denen Pensionsfonds und Superreiche stehen. Und ein solches Wohlverhalten belohnt die Börse. Sie machte den Global Player nach Bekanntgabe der Trennung von der Plaste-Abteilung nicht nur zum wertvollsten bundesdeutschen Konzern, sie sieht sogar noch Luft nach oben. So gab jüngst die BAADER BANK eine Kauf-Empfehlung ab, weil die Entflechtungsarbeiten so zügig vorankämen. Damit nicht genug, krönte das Manager Magazin den BAYER-Filetierer Marijn Dekkers für seine Schandtat zu schlechter Letzt auch noch zum „Manager des Jahres“. Von Jan Pehrke

[Ticker] STICHWORT BAYER 01/2015 – TICKER

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Umbenennungskampagne erfolgreich
Am 29. September 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele AktivistInnen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund hatte das jetzt Erfolg (siehe auch SWB 1/15). Eine große Mehrheit aus SPD, Grünen, Linken und Piraten stimmte dafür, die Carl-Duisberg-Straße in „Kleine Löwenstraße“ umzutaufen. Und auch Lüdenscheid möchte Duisberg nicht mehr ehren und suchte sich für einen Weg einen neuen Namenspatron. In anderen Orten, wie in Frankfurt, Dormagen, Bonn, Krefeld, Wuppertal, und Maxdorf/Ludwigshafen läuft die Kampagne unterdessen weiter.

Kampagne für Patent-Gesetz
Mit Patenten auf Pharmazeutika sichern sich BAYER & Co. Monopol-Profite. Dieses Vorgehen macht die Arzneien besonders für Menschen in Armutsregionen unerschwinglich. Viele Länder versuchen allerdings, ihrer Bevölkerung trotzdem den Zugang zu den benötigten Medikamenten zu sichern. So berief sich Südafrika im Jahr 2001 auf einen Ausnahme-Paragrafen des internationalen TRIPS-Patentschutzabkommens und führte Nachahmer-Präparate von AIDS-Medikamenten ein, was BAYER und 40 weitere Pharma-Riesen zu einer Klage veranlasste. 2008 beschloss der Staat deshalb, die Praxis durch ein Patent-Gesetz gerichtsfest zu machen. Zu einer Verabschiedung des Paragrafen-Werkes kam es jedoch noch nicht. Extrem-Lobbying von BAYER & Co. hat das bis jetzt verhindern können – allein der US-amerikanische Pillenhersteller-Verband PhRMA steckte 450.000 Dollar in eine PR-Kampagne gegen den Plan. (Ticker 2/14). Es gibt aber auch Gegenkräfte: Die AIDS-Initiative TREATMENT ACTION CAMPAIGN versammelte 50.000 Organisationen und Einzelpersonen hinter sich, um für das Gesetz – unter anderem durch einen Offenen Brief an den südafrikanischen Ministerpräsidenten Jacob Zuma – zu werben.

KAPITAL & ARBEIT

Plischke bald im Aufsichtsrat?
Lange Zeit war es für die Vorstandsvorsitzenden von BAYER & Co. Usus, nach ihrer Amtperiode als Firmenlenker den Posten des Aufsichtsratschefs zu übernehmen. 2009 hat die damalige Große Koalition diesem Automatismus jedoch einen Riegel vorgeschoben. Nach Ansicht von CDU und SPD standen die internen Lösungen einer wirklichen Kontrolle der Geschäftspolitik im Wege. Deshalb erlegten sie den wechselwilligen ManagerInnen eine zwei-jährige Karenzzeit auf. Äußerst widerwillig saß diese Werner Wenning ab, ehe er als Aufsichtsratsvorsitzender zum Leverkusener Multi zurückkehrte. Und jetzt richtet sich auch der 2014 pensionierte ehemalige Forschungsvorstand Wolfgang Plischke in der Warteschleife auf ein Comeback beim Pillen-Riesen ein. „Der Leverkusener Pharma-Konzern möchte auf seine Expertise und langjährigen internationalen Erfahrungen nicht verzichten“, vermeldet die Faz. Zu dieser „Expertise“ hatte es unter anderem gehört, trotz interner Warnungen so lange es nur irgend ging an dem Cholesterinsenker LIPOBAY festzuhalten, welcher dann schließlich bis zu seinem von den Behörden erzwungenen Vertriebsstopp über 100 Menschen den Tod brachte.

Multifunktionär Wenning
Mit seinem Posten als BAYER-Aufsichtsratschef fühlt sich Werner Wenning noch längst nicht ausgelastet. Dieselbe Position bekleidet er bei E.ON, und bei SIEMENS rückte er jüngst zum Aufsichtsratsvize vor. Einfache Mandate nimmt er zudem in den Kontrollgremien der DEUTSCHEN BANK und der Versicherungsgesellschaft TALANX wahr. Darüber hinaus hat Wenning Sitze in den Gesellschafter-Ausschüssen von HENKEL und FREUDENBERG.

ERSTE & DRITTE WELT

Afrika im Fokus
Auf der Suche nach Absatz-Gebieten hat der Leverkusener Multi einen neuen Kontinent entdeckt. „2014 steht eine Afrika-Strategie hoch oben auf der Agenda“, bekundete der Konzern unlängst (Ticker 3/14). Machte das Unternehmen dort 2012 einen Umsatz von 711 Millionen Euro, so erwartet es bis 2018 eine Steigerung auf über eine Milliarde Euro. In einzelnen Staaten rechnet es sogar mit einem Plus von über 30 Prozent. Die meisten Hoffnungen ruhen dabei auf dem Pharma-Sektor, der bereits jetzt für die größten BAYER-Einnahmen in Afrika sorgt. „Schon im vergangenen Jahrzehnt haben sich die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in Afrika mehr als verdoppelt“, frohlockt der Pillen-Produzent. Vor allem mit Diabetika, Anti-Infektiva und Verhütungsmitteln macht er dort Geschäfte. Bei den Kontrazeptiva darf er dabei sogar auf die tatkräftige Unterstützung durch Entwicklungshilfe-Programme zur Familien-Planung bzw. Bevölkerungspolitik zählen. „Wir haben ein einzigartiges Portfolio, und unsere Mission ‚BAYER: Science For A Better Life’ steht für genau das, was Afrika braucht“, meint der Konzern. Die BUKO PHARMA-KAMPAGNE kommt da zu einer ganz anderen Einschätzung. Die Initiative untersuchte das Gebaren von BAYER & Co. in Uganda, das als beispielhaft auch für die Unternehmenspolitiken in anderen Ländern des Kontinents gelten kann, und stellt dem Konzern ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. So vermarktet dieser dort viele umstrittene und deshalb als irrational eingestufte Pharmazeutika: 21 von 49 Medikamenten fallen unter diese Kategorie. Zu den als unentbehrlich erachteten Mitteln des Global Players hingegen hat die Bevölkerung wegen der hohen Preise kaum Zugang; sie finden sich zumeist nur in Privatkliniken und Privat-Apotheken. Darüber hinaus bietet der Multi in dem Staat für die am weitesten verbreiteten Gesundheitsstörungen kaum Arzneien an, weil er sich in Forschung & Entwicklung lieber auf die mehr Rendite versprechenden Mittel gegen westliche Zivilisationskrankheiten konzentriert. Ähnlich verhalten sich die anderen großen Pharma-Hersteller. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden rund eine Milliarde Menschen an Plagen wie Ebola, Tuberkulose, Flussblindheit oder Bilharziose, gegen die Big Pharma kein Mittel weiß.

Kein Moxifloxacin bei TBC
Die Pharma-Multis haben die ärmeren Staaten nicht in ihrer Kundendatei. Deshalb müssen öffentliche oder private Institutionen einspringen, um Medikamenten-Entwicklungen für Krankheiten zu fördern, die besonders häufig in sogenannten Entwicklungsländern auftreten. Eine solche Organisation ist die „Global Alliance for TB-Drug-Development“. Bill Gates, die Rockefeller Foundation, die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA und diverse andere Vereinigungen finanzieren im Rahmen des Verbundes die Suche nach neuen Tuberkulose-Behandlungsmethoden. So fließt auch Geld für die Erprobung einer Kombinationstherapie von Tbc-Arzneien mit BAYERs Antibiotikum AVALOX; speziell für diesen Forschungsansatz hatte die Stiftung von Bill und Melinda Gates im Frühjahr 2006 noch einmal 100 Millionen Dollar locker gemacht. Das Präparat sollte die Genesung beschleunigen, auf diese Weise die Bildung Antibiotika-resistenter Bakterienstämme eindämmen und so die Überlebenschancen der PatientInnen erhöhen. Dies schaffte das Mittel jedoch nicht: Die verkürzte Therapie wirkte sich negativ auf den Heilungsprozess aus und führte häufiger zu Rückfällen.

Indien weniger im Fokus
Die Pillen-Riesen lagern immer mehr Arznei-Erprobungen in ärmere Länder aus. Besondern in Indien finden BAYER & Co. günstige Standort-Bedingungen vor. Dort locken günstigere Preise, ein großes Reservoir an ProbandInnen und fehlende Kontrollen. Die Risiken und Nebenwirkungen sind dementsprechend hoch. Allein von 2007 bis 2011 kamen 158 TeilnehmerInnen an klinischen Prüfungen mit BAYER-Präparaten ums Leben. Das bewog die indischen Behörden, strengere Regeln einzuführen. So machten sie es den Pharma-Riesen zur Pflicht, für alle etwaigen Gesundheitsstörungen ihrer ProbandInnen aufzukommen. Der Leverkusener Multi reagierte prompt: Er stornierte schon angesetzte Versuche mit seinem Gerinnungshemmer XARELTO.

BAYER’S TONIC in Indien
In ärmeren Regionen können die Menschen sich oft keinen MedizinerInnen-Besuch leisten. Die Pharma-Riesen reagieren darauf, indem sie ominöse Allheilmittel auf den Markt werfen. So vertreibt der Leverkusener Multi in „Entwicklungsländern“ etwa BAYER’S TONIC mit den Ingredienzien Leber-Extrakt, Hefe, Zucker und Alkohol als Stärkungsmittel. In Indien bewarb der Multi das Produkt ungeachtet seines Alkohol-Gehaltes von rund zehn Prozent speziell für Kinder. Erst nach Protesten von Gesundheitsinitiativen sah das Unternehmen davon ab und druckte ein Warnhinweis auf die Packung. Trotzdem empfehlen es ApothekerInnen aus alter Gewohnheit immer noch für diese Altersgruppe, wie Testkäufe der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gezeigt haben. Und das Versprechen, das Präparat ohne Alkohol herzustellen, hat der Konzern bis heute nicht eingelöst.

KONZERN & VERGANGENHEIT

Eine kleine BAYER-Buße
BAYER war bereits an den Vorbereitungen zum Ersten Weltkrieg beteiligt und avancierte später zum wichtigsten Lieferanten chemischer Waffen. Generaldirektor Carl Duisberg fischte auch im „Menschenbassin Belgien“ nach ZwangsarbeiterInnen und formulierte die Kriegsziele mit. Der fatalen Rolle, die der Leverkusener Multi bei dem Waffengang spielte, stellte er sich im Gedenkjahr 2014 allerdings nicht. Bei der letzten Hauptversammlung vom CBGler Axel Köhler-Schnura mit der Kritik an Duisbergs Kriegsverbrechen konfrontiert, antwortete Unternehmenschef Marijn Dekkers: „Die historischen Verdienste Carl Duisbergs sind weithin anerkannt. Er ließ Wohnungen für die Arbeiter bauen, verringerte deren wöchentliche Arbeitszeit, er führte soziale Versicherungssysteme ein und setzte sich für den Umweltschutz ein, lange bevor es gesetzliche Regelungen dazu gab.“ Später im Jahr aber kam es doch noch zu einer kleinen Geste der Reue von Seiten des Global Players. Am Volkstrauertag beteiligten sich Christian Zöller und Iris Müller-Florath von der 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA an einem Rundgang zu den Erinnerungsorten des Ersten Weltkriegs in Leverkusen, zu denen auch das Tor 4 des Chem„parks“ zählt. Dort hielt Zöller, der bei dem Unternehmen für den „Politik- und Bürgerdialog“ zuständig ist, eine Ansprache zur historischen Verantwortung des Konzerns. Als „Krieg der Chemiker“ bezeichnete Zöller darin den Ersten Weltkrieg und berichtete dann von BAYERs Chemiewaffen-Produktion.

KAPITAL & ARBEIT

Selbstbedienung im Ideen-Pool
Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit betont der Leverkusener Multi die Unverzichtbarkeit des Schutzes des geistigen Eigentums. An den Ideen seiner Beschäftigten vergreift der Konzern sich jedoch ganz unverblümt. So erklärt der Pharma-Riese frank und frei, dank der Verbesserungsvorschläge der Beschäftigten aus dem „BAYER Ideen-Pool“ bereits im ersten Jahr der Umsetzung über vier Millionen Euro eingespart zu haben. An Prämien zahlte er indessen nur rund 1,3 Millionen Euro aus.

Neue „Innovationsplattform“
Nicht nur qua Ideen-Pool (s. o.) beutet BAYER das Potenzial seiner Beschäftigten aus. Seit Mai 2014 betreibt der Leverkusener Multi eine sogenannte Innovationsplattform mit Namen „WeSolve“, auf der er die Belegschaft mit konkreten Fragestellungen konfrontiert. „Wie könnte eine Technologie aussehen, um Schädlingsbefall aus der Ferne zu erkennen?“, will der Konzern da beispielsweise von seinen Belegschaftsangehörigen wissen. Mit der Resonanz auf diese Maßnahme zur Abschöpfung von Wissen zeigt sich das Unternehmen angesichts von bisher 800 Beiträgen zufrieden. „Das Feedback ist sehr positiv“, lässt „Global Program Manager“ Puneet Kumar Srivastava verlauten.

POLITIK & EINFLUSS

„Lex BAYER“ verabschiedet
Über die marode Leverkusener Autobahn-Brücke, zu derem beklagenswerten Zustand BAYERs immenser Liefer-Verkehr nicht wenig beigetragen hat, dürfen keine schweren LKWs mehr fahren. Zum Gelände des Chemie-Multis müssen sie deshalb einen Umweg von ca. 20 Kilometern in Kauf nehmen. Ernst Grigat, bei der 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA für die Chem-„Parks“ in Leverkusen und Dormagen verantwortlich, verfällt aus diesem Grund schon in Weltuntergangsstimmung. „Wenn nicht schnellstmöglich Abhilfe geschaffen wird, fürchten wir, dass die Industrie verlagert wird. Damit ist das langsame Sterben der chemischen Industrie in Deutschland vorprogrammiert.“ Und die apokalyptischen Töne zeigen Wirkung. Grigat bekommt eine neue Brücke, und damit alles ganz schnell gehen kann, änderte die Bundesregierung Ende März 2015 sogar das Bundesfernstraßen-Gesetz. Dieses erschwert es den BürgerInnen nämlich, gegen die Planungen vorzugehen, indem es kurzen Prozess macht: Etwaige Einsprüche dürfen nur noch über eine Instanz gehen. Der nordrhein-westfälische Bauminister Michael Groschek (SPD) verspricht sich davon einen Zeitgewinn von bis zu anderthalb Jahren. Ein Problem mit der Beschneidung der BürgerInnen-Rechte hat er nicht. Als wichtiger erachtet es der Sozialdemokrat, dass der Neubau steht, bevor die Rheinbrücke gar nicht mehr befahrbar ist. „Wir können es uns nicht leisten, durch Klagewellen das Risiko einer Vollsperrung einzugehen“, so Groschek. Sogar die zwischen der Brücke und dem Kreuz Leverkusen geplante acht-spurige Stelzen-Autobahn fällt unter die „Lex BAYER“, was die Stadtverwaltung an BAYERs Stammsitz erboste. „Im Leverkusener Rathaus herrscht Entsetzen über die Pläne“, vermeldete der Leverkusener Anzeiger. Es spreche überhaupt nichts dafür, die Klagerechte der Bürger in Sachen „Stelzen-Autobahn“ einzuschränken, gab das Blatt die Worte von Bau-Dezernentin Andrea Deppe wieder.

Groschek erhält Wunschliste
Der Leverkusener Multi trägt dank ganz legaler Steuertricks zwar kaum noch etwas zur Finanzierung des Gemeinwesens bei, dafür wachsen aber die Begehrlichkeiten. So sieht er den Staat nicht nur beim Bau neuer Brücken in der Pflicht (s. o.), ganz allgemein fordert der Konzern mehr Anstrengungen im Bereich „Infrastruktur“. Deshalb überreichte der Branchen-Verband „ChemCologne“ dem nordrhein-westfälischen Bauminister Michael Groschek schon im letzten Jahr eine Wunschliste in Form der Studie „Chemie-Logistik im Rheinland“. Aber nicht nur neue Bau-Maßnahmen mahnen BAYER & Co. darin an, sie beanspruchen auch ein Mitsprache-Recht bei den Projekten. „Für eine funktionierende Chemie-Logistik ist es wichtig, dass bei der Verkehrsinfrastruktur-Planung die besonderen Bedürfnisse der chemischen Industrie (Gefahrgut-Transport) berücksichtigt werden“, schreiben die Unternehmen Groschek ins Stammbuch.

Kraft weiht TDI-Anlage mit ein
Am 9. Dezember 2014 weihte der Leverkusener Multi in Dormagen seine neue Kunststoff-Anlage ein. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Verbände hatten sich im Vorfeld gegen das Projekt ausgesprochen und ihre Kritik auf einem Erörterungstermin im Herbst 2011 vorgetragen. Die Coordination stieß sich vor allem am großen Ressourcen-Verbrauch der Fertigungsstätte und am avisierten Gebrauch des gefährlichen Giftgases Phosgen als Zwischenprodukt, ohne Schutzmaßnahmen durch eine Beton-Ummantelung der Produktionsstätte zu treffen. Darüber hinaus monierte sie den zu geringen Sicherheitsabstand zu Wohnsiedlungen und Verkehrseinrichtungen. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gab all dem hingegen bei der feierlichen Eröffnung ihren landesmütterlichen Segen. Sie bescheinigte dem Global Player, mit der TDI-Produktion ein Signal für den Umweltschutz zu setzen. Und obwohl der Konzern gerade einmal drei Monate vorher die Trennung von seiner Plaste-Sparte bekanntgegeben hatte, weil sie seinen Rendite-Vorstellungen nicht mehr entsprach, stimmte für die Sozialdemokratin die Chemie. „Die Investition macht die Leistungsstärke des BAYER-Standortes deutlich. Es ist aber auch ein wichtiges Zeichen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Nordrhein-Westfalens als attraktiver Chemie-Standort“, bekundete sie.

Schöning im VFA-Vorstand
Klaus Schöning, Leiter von BAYER HEALTHCARE, hat einen Posten im Vorstand des von BAYER gegründeten „Verbandes der forschenden Arzneimittel-Hersteller errungen. Als einer der größten bundesdeutschen Arznei-Produzenten hat der Multi Schöning zufolge eine Art natürliches Recht auf einen solchen Sitz: „Daraus ergibt sich auch unser Anspruch, Verbandsarbeit aktiv mitzugestalten.“ Besonders aktiv will der Manager den Dialog mit Bundestagsabgeordneten und anderen wichtigen EntscheiderInnen in Berlin vorantreiben. „Diese Gespräche sind wichtig, um den Wert der Arzneimittelbranche und insbesondere unserer innovativen Medikamente für die Politik, Gesellschaft und Wirtschaft deutlich zu machen“, so der Healthcare-Chef.

Regierung startet Pharma-Dialog
Im September 2014 hat die Bundesregierung den „Pharma-Dialog“ ins Leben gerufen. In einer konzertierten Aktion wollen das Gesundheits-, Wirtschafts- und das Forschungsministerium den Pillen-Produzenten bessere Rahmenbedingungen verschaffen. „Erklärtes Ziel des Dialogs ist die Stärkung des Pharma-Standortes Deutschland“, freut sich der Leverkusener Multi. Schon zwei Monate nach dem Start der Initiative durfte der Global Player Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zum Antrittsbesuch begrüßen und sich von ihm loben lassen: Als einen der „innovativsten Wirtschaftszweige unseres Landes“ bezeichnete Gröhe die Arznei-Branche. BAYER-Chef Marijn Dekkers möchte dafür allerdings mehr Anerkennung und kündigte an, diese bei den Pharma-Dialogen auch einzufordern. „Wenn uns Politik und Gesellschaft unterstützen, können wir weiterhin in Deutschland forschen, innovative Arzneimittel für die ganze Welt entwickeln und im globalen Wettbewerb vorne mitspielen“, sagte er mit einem kaum verhohlenen drohenden Unterton. Der Vorsitzende des von BAYER gegründeten „Verbandes der forschenden Arzneimittel-Hersteller“, Hagen Pfundner, hat derweil schon einen Akteur ausgemacht, der angeblich einen Keil zwischen Politik und Pharma-Konzerne treibt: die Krankenkassen. Durch ihre Dominanz bei den Preisverhandlungen für neue Medikamente würden sich „Politik und Industrie voneinander entfernen“, meint der Lobbyist. Aber er weiß Abhilfe. WissenschaftlerInnen sollen an den Gesprächen teilnehmen und den Einfluss von DAK & Co. reduzieren, rät Pfundner.

Kritik am AMNOG
Die PolitikerInnen erwarteten vom 2011 eingeführten Arzneimittel-Neuverordnungsgesetz (AMNOG) Einsparungen bei den Medikamenten-Ausgaben von bis zu zwei Milliarden Euro. Die Kosten/Nutzen-Bewertung von bereits zugelassenen Pillen sollte nämlich die Spreu vom Weizen trennen und die Pharma-Riesen bei Minderleistern oder 08/15-Produkten zu finanziellen Zugeständnissen zwingen. Die mit dem Paragrafen-Werk verbundene Hoffnung trog jedoch, nicht zuletzt, weil die schwarz-gelbe Koalition auf Druck der Pharma-Lobby von ihren Plänen abgerückt war, alle Arzneien einer Revision zu unterziehen und sich stattdessen auf neue Präparate beschränkte. BAYER & Co. reicht dies jedoch nicht. Sie fordern einen weiteren AMNOG-Rückbau. So stößt sich Frank Schöning von BAYER VITAL an dem, was das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWIG) unter Zusatznutzen versteht. „Wenn kein Zusatznutzen festgestellt wird, bedeutet das nicht automatisch, dass ein Produkt keinen Zusatznutzen hat“, sagte er bei einem vom Leverkusener Multi anberaumten Presse-Gespräch und warf dem IQWIG vor, „patienten-relevante Endpunkte“ bei ihren Untersuchungen nicht in ausreichendem Maß zu berücksichtigen. Der BAYER-Manager hätte nämlich schon gerne einen Zusatznutzen für ein Produkt ausgewiesen bekommen, wenn es nicht mehr dreimal, sondern nur noch zweimal am Tag eingenommen werden muss. Hilfestellung leistete Schöning bei dem Termin die Geschäftsführerin des von BAYER gegründeten „Verbandes der forschenden Arzneimittel-Industrie“, Birgit Fischer. „Es besteht der Verdacht, dass es einzig und allein um die Reduzierung der Preise geht“, mit diesen Worten kritisierte die Lobbyistin das Bewertungsverfahren.

Mehr Gentech-Importe gefordert
Die europäischen Dachverbände der Futtermittel- und Fleisch-Industrie sowie der LandwirtInnen fordern die EU auf, mehr Importgenehmigungen für Gen-Pflanzen von BAYER, MONSANTO & Co. zu erteilen. Wenn nicht mehr Ackerblüten wie BAYERs T25-Mais oder die beiden Baumwoll-Arten T304-40 und LL25xGHB614 auf den Markt kommen und eingeführte Sorten konventioneller Art keine Spuren dieser Laborfrüchte enthalten dürfen, ist nach dem Horror-Szenario der Lobby-Organisationen die Nahrungsmittel-Sicherheit gefährdet.

Obamas Klima-Plan gefährdet
Die Obama-Administration bereitet einen „Clean Power Plan“ vor. Dieser will den Energie-Erzeugern vorschreiben, die Kohlendioxid-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent und bis 2030 um 30 Prozent zu verringern. BAYER & Co. laufen Sturm gegen das Vorhaben, weil sie höhere Strom-Preise befürchten. Der Industrie-Verband „Chamber of Commerce“ legte umgehend eine Studie vor, um Stimmung gegen die Gesetzes-Initiative zu machen. 290 Milliarden Dollar müssten die VerbraucherInnen infolge des Obama-Projekts bis 2030 mehr für Energie zahlen, rechnete der Lobby-Club vor. Und auch die in Diensten der Konzerne stehende JuristInnen-Vereinigung „American Legislative Exchange Council“ (ALEC) entfaltete sogleich Aktivitäten. In mehr als 12 Bundesstaaten schrieb die Organisation, welcher der Leverkusener Multi seit 1992 angehört, für republikanische PolitikerInnen Eingaben gegen den „Clean Power Plan“.

PROPAGANDA & MEDIEN

Marken-Pflege bei Facebook
„BAYER duldet keine Gesetzes-Verstöße bei der Vermarktung seiner Produkte. Verantwortungsvolles Marketing steht auch für ethisch-moralische Grundsätze“, heißt es in einem Nachhaltigkeitsbericht des Leverkusener Multis. Dennoch überschreitet er immer wieder die Grenzen des Erlaubten. So hat der Konzern die österreichische PR-Agentur Mhoch3 engagiert, um „Online-Reputationsmanagement“ zu betreiben und mittels gefaketer Postings Produkte des Unternehmens auf Facebook und in Foren anzupreisen (siehe auch SWB 1/15). In krudem Stil, der für Authentizität bürgen soll, ist auf chefkoch.de dann beispielsweise „Benny was hast du deiner katze letzt endlich gegeben damit die Flöhe verschwinden? Wir behandeln immer mitn Spot On von Bayer namens Advantage- kennst du das?...wünsch Euch viel Glück“ zu lesen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN geht gegen diese Werbe-Praxis von BAYER gerichtlich vor und hat Strafanzeige gestellt.

Greenwashing mit Merkel
Um sich trotz immensen Schadstoff-Ausstoßes als Umweltengel präsentieren zu können, unterstützt BAYER einige Naturschutzprojekte. Dabei erhielt der Konzern jetzt auch Schützenhilfe von der Bundeskanzlerin persönlich. Angela Merkel machte 2014 auf ihrem Weg nach Australien zum G20-Gipfel einen kurzen Stopp in Neuseeland und besuchte dort auch das vom Leverkusener Multi gesponserte „Motutapu Restoration Trust“-Projekt, das sich gefährdeter Vogel-Arten annimmt. „Das war eine hervorragende Gelegenheit, Angela Merkel zu zeigen, wie wir uns als Unternehmen für das Gemeinwohl einsetzen“, freute sich BAYERs Neuseeland-Chef Holger Detje.

Redwashing mit „Philos“-Preis
Blutern widmet BAYER besondere Aufmerksamkeit, gilt es doch, vergessen zu machen, dass in den 80er Jahren Tausende Hämophile an HIV-verseuchten Blutprodukten des Konzerns starben, weil das Unternehmen seine Präparate aus Kostengründen keiner Hitze-Behandlung unterzogen hatte. Deshalb erhalten die Bluter-Verbände viele Zuwendungen. Zu diesen zählt auch der „Philos“-Preis, mit dem der Pharma-Riese besondere Projekte auszeichnet. Im Februar 2015 überreichte er der „Interessensgemeinschaft Hämophiler“ für ihr Wochenend-Seminar „Hämophilie im Alter“ einen Scheck in Höhe von 10.000 Euro.

PR mit Präventionskampagne
Immer wieder führt der Leverkusener Multi Präventionskampagnen durch, die nur vordergründig der gesundheitlichen Aufklärung und der körperlichen Fitness dienen. Jüngstes Beispiel: Die gemeinsam mit der „Deutschen Schlaganfall-Hilfe“ und der „Deutsche Sporthochschule Köln“ initiierte Aktion „Rote Karte dem Schlaganfall“. Diese hat vielmehr nur den Zweck, ADALAT und XARELTO als Mittel zur Schlaganfall-Prophylaxe zu bewerben und die Beziehungen zu den Kooperationspartnern zu vertiefen.

BAYER sucht den Diabetes-Star
Der Leverkusener Multi möchte Diabetes-Kranke schon möglichst früh binden und so den Absatz seines umstrittenen Diabetikums GLUCOBAY und seiner Blutzucker-Messgeräte erhöhen. Zu diesem Behufe ruft er zum „‚Fine Stars’-Modelcasting 2015“ auf. Dieses sucht nach Kindern und Jugendlichen mit Diabetes, die sich von ihrer Krankheit „nicht unterkriegen lassen und voll im Leben stehen“. Die GewinnerInnen dürfen dem Konzern dann als Diabetes-„BotschafterInnen“ dienen. Den Namen verdankt die Casting-Show der Giraffe Fine aus dem Kölner Zoo, für welche der Pharma-Riese 2008 werbewirksam eine Patenschaft übernommen hatte.

BAYER sponsert „Weltverhütungstag“
„Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson über seine Vorstellung von „Entwicklungshilfe“. Zur großen Befriedigung des Leverkusener Multis erfreut sich diese Ansicht selbst heute noch großer Beliebtheit, denn sie eröffnet den Verhütungsmitteln des Konzerns gute Absatzchancen in den ärmeren Ländern. Darum ist der Pharma-Riese auch der Hauptsponsor des „Weltverhütungstages“, der 2014 sogar einen Aktionsplan verabschiedet hat, um BAYERs Produkt-Palette vorzustellen bzw. „den Bedarf nach korrekten, objektiven und leicht verfügbaren Informationen zum Thema Verhütung“ zu stillen.

Keine Angst vor Fortbildungskodex
Die „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittel-Industrie“ (FSA) hat einen neuen Transparenz-Kodex zum Umgang mit ÄrztInnen verabschiedet. Dieser schreibt die Veröffentlichung von finanziellen Zuwendungen oder geldwerten Leistungen vor, welche BAYER & Co. MedizinerInnen gerne für Fortbildungen, Beratungsleistungen und wissenschaftlich unsinnige Beobachtungsstudien, welche nur der Einstellung der PatientInnen auf das jeweilige Konzern-Präparat dienen, angedeihen lassen. Mit „nachteiligen nennenswerten Auswirkungen“ der Initiative rechnet der Pharma-Riese allerdings nicht. DoktorInnen, die keine „individuelle Transparenz“ wünschen, müssen nämlich nicht mit der Publizierung ihres Namens rechnen, da der Kodex viele Ausnahme-Regelungen vorsieht. Und dem Beispiel einiger Unternehmen, die MedizinerInnen für Vorträge künftig nicht mehr bezahlen wollen, mag der Global Player auch nicht folgen. „Bei Einhaltung der Transparenz-Regeln im Kodex spricht aus unserer Sicht nichts gegen eine angemessene Honorierung von ärztlichen Leistungen“, meint der Konzern.

Der Konzern als Kümmerer
Während der Konzern de facto immer unsozialer wird, indem er Arbeitsplätze vernichtet und Arbeitsbedingungen verschärft, macht seine PR-Abteilung seit einiger Zeit verstärkt auf „sozial“. Zu diesem Behufe initiierte sie 2007 die „BAYER Cares Foundation“, die Projekte in der Nähe der Konzern-Standorte fördert. 2014 unterstützte die Stiftung unter anderem das „Junge Ensemble“ des Theas-Theaters in Bergisch-Gladbach, ein Ferien-Angebot des Bistums Magdeburg für sozial benachteiligte Kinder, den Jugendmigrationsdienst Wolfen und den Europa-Jugendbauernhof Deetz.

DRUGS & PILLS

Kein NEXAVAR bei Leberkrebs
BAYERs NEXAVAR mit dem Wirkstoff Sorafenib ist bislang zur Behandlung von fortgeschrittenem Nierenkrebs, fortgeschrittenem Leberkrebs und einer bestimmten Art von Schilddrüsenkrebs, bei der zuvor eine Bestrahlung mit radioaktivem Jod keine Fortschritte erzielte, zugelassen. Der Leverkusener Multi setzt jedoch alles daran, das Anwendungsspektrum zu erweitern. So versuchte er jüngst, das gemeinsam mit dem Unternehmen ONYX entwickelte Medikament bei solchen Leberkrebs-PatientInnen zur Anwendung zu bringen, denen die ÄrztInnen alle Geschwüre entfernt hatten. Aber die entsprechenden Tests erbrachten kein positives Ergebnis. Zuvor war bereits eine andere Leberkrebs-Erprobung gescheitert, und auch bei Brust, Lungen-, Haut- und Bauchspeicheldrüsenkrebs konnte NEXAVAR keine Therapie-Erfolge erzielen. Der Pillen-Riese bleibt aber beharrlich. „Obwohl wir vom Ausgang der Studie enttäuscht sind, wollen wir weiterhin das Potenzial des Wirkstoffes in allen Stadien von Leberkrebs untersuchen“, so der Pharma-Entwicklungschef Jörg Möller.

ESSURE 2.0
Bei ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation, handelt es sich um eine kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich nach etwa drei Monaten die Eileiter verschließen. Allzu oft jedoch bleibt die Spirale nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Nebenwirkungen. Darum zieht ESSURE viel Kritik auf sich, und das dürfte sich in nächster Zeit auch nicht ändern. Der Leverkusener Multi arbeitet zwar gerade an einer Weiterentwicklung des Medizin-Produktes, aber um eine Veränderung des Risiko-Profils geht es ihm dabei nicht. Dem Konzern ist es vielmehr um eine schnellere Wirkung zu tun: Er will den Prozess beschleunigen, der die Einleiter-Zugänge versperrt. Entsprechende klinische Tests laufen bereits.

Ein bisschen Gender-Medizin
Die Schulmedizin begreift den Körper als Maschine, und Maschinen haben kein Geschlecht. Entsprechend stellen die Pharma-Konzerne für Männer und Frauen dieselben Medikamente her. Dabei differieren die Krankheiten und Krankheitsverläufe zum Teil sehr. So machen sich etwa die Symptome für einen Herzinfarkt bei weiblichen Personen anders als bei männlichen Personen bemerkbar. Jetzt will auch der Leverkusener Multi dem kleinen pharmakologischen Unterschied mehr Aufmerksamkeit widmen. Ein gemeinsam mit der Berliner Charité unternommenes Forschungsprojekt hat zu dem Sinneswandel geführt.

Neue XOFIGO-Studie
Der Leverkusener Multi sucht nach einer neuen Anwendungsmöglichkeit für sein gemeinsam mit dem norwegischen Unternehmen ALGETA entwickeltes Medikament XOFIGO. Bisher hat das Präparat eine Zulassung bei der Prostatakrebs-Art CRPC, wenn eine Hormon-Behandlung erfolglos geblieben ist und sich zudem noch Metastasen im Knochen gebildet haben. Dann soll eine radioaktive Bestrahlung mit dem Wirkstoff Radium-223-Dichlorid das Wachstum der Tumor-Zellen hemmen. Und jetzt testet der Pharma-Riese das Mittel in Kombination mit den Pharmazeutika Abirateron-acetat und Prednison bei Patienten, die sich noch keiner Chemo-Therapie unterzogen haben. Das Produkt vermag allerdings schon in seinem angestammten Gebiet nicht recht zu überzeugen. Bei den Klinischen Tests verlängerte es die Lebensdauer der Krebs-Kranken um noch nicht einmal drei Monate. In England übernimmt deshalb der dortige „National Health Service“ die XOFIGO-Behandlungskosten nicht.

Tests mit Prostata-Arznei
BAYER entwickelt gemeinsam mit dem finnischen Unternehmen ORION ein Medikament für Prostatakrebs-Patienten, die zwar noch keine Metastasen haben, aber erhöhte, nicht auf eine Behandlung mit Testosteron-Blockern reagierende PSA-Werte. Das Präparat soll die Arbeit des Androgen-Rezeptors stören und so die Bildung von Testosteron hemmen, welches das Tumor-Wachstum befördert. Die entsprechenden Tests der Phase III haben im Herbst 2014 begonnen.

Neue ADEMPAS-Studie
Bei der Arznei ADEMPAS handelt es sich um ein Mittel zur Behandlung der beiden Lungenhochdruck-Krankheiten CTEPH und PAH. Der Wirkstoff Riociguat soll in der Lunge die Bildung eines Enzyms stimulieren, das für eine Erweiterung der Blutgefäße sorgt und so die Sauerstoff-Aufnahme verbessert. Da der Leverkusener Multi aus Profit-Gründen ständig nach neuen Anwendungsmöglichkeiten für seine Arzneien sucht, will er das Präparat jetzt auch bei solchen CTEPH-PatientInnen einsetzen, bei denen eine Behandlung mit PDE-E-Hemmern keinen Erfolg gezeigt hat. Entsprechende Studien mit dem Mittel, dessen Wirkung der industrie-unabhängige Arzneibrief als „marginal“ bezeichnet, laufen zurzeit.

ALEVE doch nicht Klassenbester
Entzündungshemmende Schmerzmittel wie BAYERs ALEVE (Wirksubstanz: Naproxen) steigern bei längerer Einnahme das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere Herz-Kreislauf-Krankheiten mit möglicher Todesfolge deutlich. Einige neuere Studien hatten allerdings das Gefährdungspotenzial von ALEVE geringer als das der anderen Präparate eingeschätzt. Die US-Gesundheitsbehörde kündigte daraufhin an, dem Leverkusener Multi zu gestatten, dieses auf den Packungen zu vermerken, sollte sich der Befund bestätigen. Dies tat er allerdings nicht. Der FDA-Beratungsausschuss überprüfte die Untersuchungsergebnisse und konnte keine gravierenden Unterschiede zwischen den Mitteln feststellen.

Zulassung für Verhütungspflaster
Die Europäische Arzneimittel-Behörde EMA hat einem Verhütungspflaster von BAYER die Zulassung erteilt. Das Produkt enthält 0,55 mg des Hormons Ethinylestradiol und 2,1 mg des Hormons Gestoden. Damit überschreiten die Konzentrationen diejenigen von Kontrazeptiva in Pillen-Form. Dem Leverkusener Multi zufolge stellt das jedoch keine Gefahr dar, da die Wirkstoffe peu à peu über die Woche verteilt in den Organismus gelangen. Studien bescheinigen den Pflastern im Allgemeinen dagegen ein höheres Gefährdungspotenzial als anderen Verhütungsmethoden. Bei Vergleichsuntersuchungen mit Pillen und Vaginal-Ringen zeigten sie ein schlechteres Risiko-Profil.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Bienensterben auf Obama-Agenda
Der US-Präsident Barak Obama hat eine landesweite Strategie gegen das Bienensterben angekündigt. „Das Problem ist ernst und stellt eine bedeutende Herausforderung dar, die im Interesse der Nachhaltigkeit unserer Nahrungsmittel-Produktion in Angriff genommen werden muss“, heißt es in dem „Presidential Memorandum“. Zu dem Maßnahmen-Katalog gehört auch, den Anteil zu untersuchen, den Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie die BAYER-Mittel PONCHO und GAUCHO an dem Verenden der Tiere haben. Vielen Initiativen geht der Schritt der Regierung indes nicht weit genug. Der US-amerikanische Ableger des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKES (PAN) und mehr als 125 weitere Gruppen appellierten an Obama, es seinen europäischen Kollegen gleichzutun und die gefährlichen Mittel umgehend aus dem Verkehr zu ziehen.

FENOMENAL nicht phänomenal
BAYERs vor einiger Zeit auf den Markt gebrachtes Antipilzmittel FENOMENAL (Wirkstoffe: Fosetyl und Fenamidone) ist alles andere als phänomenal. Das für Erdbeeren, Zierpflanzen und Ziergehölze bestimmte Pestizid hatte erhebliche Schwierigkeiten, seine Zulassung zu erhalten. So urteilte das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit“ (BVL) zunächst: „Für die Erdbeer-Indikationen konnte die hinreichende Wirksamkeit nicht belegt werden.“ Die vorgelegten Unterlagen schätzte das BVL als mangelhaft und unvollständig ein. Bei eigenen Labor-Untersuchungen ermittelte es deutlich höhere Rückstandswerte als der Leverkusener Multi. Auch bei der Abbau-Zeit kamen die WissenschaftlerInnen auf andere Zahlen als der Konzern. Zudem bemängelte das Amt zu alte Sicherheitsdatenblätter und das Fehlen von Material aus bundesdeutschen Feldversuchen zur Rückstandsbewertung. Das Risiko, dass sich die Rote Wurzelfäule und andere Pilz-Arten bald auf die Wirkstoffe einstellen und Resistenzen herausbilden könnten, schätzte es „beim Fosetyl gering, beim Fenamidone hingegen hoch“ ein. Überdies hatte der Agro-Riese dem Bundesamt zufolge eine viel zu hohe Dosierung empfohlen. Erst durch das Nachreichen von Dokumenten hat der Global Player dann grünes Licht für fast alle der beantragten Anwendungsgebiete erhalten.

Neues Reis-Herbizid
„Mit der Entdeckung der herbiziden Wirkung bestimmter Sulfonylharnstoff-Verbindungen (...) erfolgte ein Quantensprung in der chemischen Unkrautbekämpfung“, hielt noch 2012 eine vom staatlichen Julius-Kühn-Forschungsinstitut für Kulturpflanzen veranstaltete Konferenz fest, an der auch ein Vertreter des Leverkusener Multis teilnahm. Inzwischen ist der Ruhm der 1985 auf Sulfonylharnstoff-Basis eingeführten Stoffe allerdings verblasst. So trotzen etwa auf den Reisfeldern immer mehr Wildpflanzen den BAYER-Mitteln RAFT (Wirkstoff: Oxadiargyl), TOPSTAR (Oxadiargyl), SUNRICE (Ethoxysulfuron), WHIP SUPER (Fenoxaprop-p-ethyl) und RICESTAR (Fenoxaprop-p-ethyl). Doch der Agro-Riese will nun Abhilfe schaffen und vermarktet für Reis-Kulturen mit COUNCIL COMPLETE ein neues Produkt. In Südkorea schon zugelassen, erwartet der Konzern in Kürze weitere Genehmigungen in asiatischen Ländern für das Mittel mit den Ingredienzien Triafamone und Tefuryltrione. „Tefuryltrione bekämpft sehr effektiv Unkräuter, die gegen Herbizide aus der chemischen Klasse der Sulfonylharnstoffe resistent sind und sich auf den südkoreanischen Reisfeldern zunehmend ausbreiten“, verspricht der Konzern.

BAYER erforscht Resistenzen
Die oligopol-artigen Strukturen auf dem Agro-Markt schwächen die Innovationskräfte der Branche immens (SWB 1/14). So haben BAYER & Co. seit Dekaden kein neues Anti-Unkrautmittel mehr entwickelt. Die Folge: Schon 238 Wildpflanzen-Arten sind immun gegen die gängigen Chemie-Cocktails geworden. Der Leverkusener Multi räumt das sogar selber ein. „Seit über 25 Jahren hat die weltweite Pflanzenschutz-Industrie kein wirtschaftlich bedeutendes Herbizid mit neuem Wirkmechanismus mehr für Flächenkulturen entwickelt und auf den Markt gebracht – unter anderem eine Folge der Konsolidierung der Industrie, die mit einer deutlichen Reduktion der Forschungsaufwendungen für neue Herbizide einherging“, sagt der BAYER-Forscher Dr. Hermann Stübler. Jetzt will der Global Player seine Anstrengungen in dem Bereich jedoch intensivieren. Er eröffnet in Frankfurt ein Kompetenz-Zentrum für Unkraut-Resistenzen mit 12 Beschäftigen. Bis diese neue Mittel entwickelt haben, dürften allerdings noch einige Jährchen ins Land ziehen, wenn es ihnen denn überhaupt gelingt.

Bio boomt
Die Absatz-Chancen für Pestizide auf biologischer Basis vergrößern sich. ExpertInnen sagen für das Jahr 2020 ein Markt-Potenzial von drei Milliarden Dollar voraus. Darum baut BAYER mit Produkten wie dem Anti-Wurmmittel BIBACT und dem Anti-Pilzmittel CONTANS, dessen komplette Vertriebsrechte für Europa der Konzern sich im Oktober 2014 gesichert hat, das „Bio“-Segment zielstrebig aus. Auch in Forschung & Entwicklung investiert der Agro-Riese. So stehen am Standort West Sacramento schon 100.000 Bakterien-Stämme als Pflanzenschutz-Versuchsobjekte zur Verfügung. Der Leverkusener Multi hebt als Vorteile der Bio-Methode die sehr spezifische und deshalb Resistenz-Bildungen verhindernde Wirkungsweise sowie die flexiblen Einsatzmöglichkeiten bis zum Tag der Ernte hervor. Er will deshalb jedoch seinen Agrogift-Schrank nicht gleich entsorgen; „best of both worlds“ lautet die Devise. „Wir setzen auf integrierte Angebote für Nutzpflanzen. Also auf die Auswahl des passenden Saatguts und die beste Kombination aus chemischen und biologischen Produkten“, so BAYER-Manager Ashish Malik.

Pestizid-Gegnerin angegriffen
Die massive Ausweitung des Soja-Anbaus in Südamerika führt zu einer entsprechenden Ausweitung der Pestizid-Ausbringung – und zu einer Ausweitung der Gesundheitsschädigungen. Im argentinischen Ituzaingó etwa kommt ein Drittel der Neugeborenen mit Missbildungen zu Welt; bei 80 Prozent der BewohnerInnen wiesen WissenschaftlerInnen Rückstände von Agrochemikalien im Blut nach. Viele Wirkstoffe, die auch in BAYER-Mitteln enthalten sind, haben daran einen Anteil, so etwa Glyphosate (GLYPHOS, USTINEX G), und Chlorpyrifos (BLATTANEX, PROFICID und RIDDER). Aber die Betroffenen setzen sich zur Wehr und gründen Initiativen wie die „Mütter von Ituzaingó“. Damit setzen sie sich jedoch Gefahren aus. So wurde die Aktivistin Sofia Gatica überfallen, und als Grund kommt für sie nur ihr aktuelles Engagement gegen eine Saatgut-Aufbereitungsanlage von MONSANTO in Frage.

Mehr Pestizide in Afrika
Auf der Suche nach Absatz-Gebieten ist der Leverkusener Multi in Afrika fündig geworden. Nicht nur mehr Pharmazeutika (siehe ERSTE & DRITTE WELT), sondern auch mehr Pestizide möchte BAYER auf dem Kontinent absetzen – bis 2020 strebt der Agro-Riese eine Umsatz-Verdoppelung an. Deshalb baut er seine Präsenz vor Ort aus. In Angola, der Elfenbeinküste, Nigeria und Tansania will er demnächst Repräsentanzen eröffnen.

PFLANZEN & SAATEN

Neuer Hybrid-Reis mit KAIIMA
BAYER hat eine Zusammenarbeit mit dem israelischen Unternehmen KAIIMA AGRITECH vereinbart, um neue hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete Reis-Sorten zu kreieren. Dabei kommt die von KAIIMA entwickelte, ohne Gentech-Verfahren auskommende EP-Technologie zum Einsatz, die den Pflanzen zu mehr Robustheit verhelfen soll, indem sie ihren Chromosomen-Satz vervielfacht.

Neuer Hybrid-Raps in Kanada
Der Leverkusener Multi hat in Kanada eine neue Art seines hybriden, also nicht zur Wiederaussaat geeigneten Raps’ der INVIGOR-Produktreihe herausgebracht, den er in Kombination mit seinem Ultragift Glufosinat vermarktet. Die Sorte soll den LandwirtInnen BAYER zufolge eine spätere und deshalb ertragreichere Ernte ermöglichen, weil sie über besonders stabile, dem Regen trotzende Schoten verfügt.

Neuer Weizen in Osteuropa
Im Saatgut-Geschäft des Agro-Riesen bildet Weizen, die am meisten verbreitete Kulturpflanze der Welt, einen Schwerpunkt. Sieben Zuchtstationen unterhält BAYER mittlerweile; zudem kooperiert das Unternehmen mit vielen Weizenforschungsinstituten. Bis 2020 will der Konzern 1,5 Milliarden Euro in Züchtungsprogramme investieren. Spätestens dann soll auch die erste hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete und deshalb mehr Ertrag versprechende Sorte auf den Markt kommen. Und eine selbstentwickelte konventionelle Weizen-Art bietet der Global Player schon ab diesem Jahr an, vorerst allerdings nur in Osteuropa.

GENE & KLONE

BAYER-Raps kreuzt aus
Die Schweiz erlaubt keinen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. Trotzdem entdeckten WissenschaftlerInnen dort Spuren von MS8, RF3 und MS8xRF3 – drei Sorten des BAYER-Genraps’ der INVIGOR-Produktlinie. Die ExpertInnen vermuten, dass die gegen das Ultra-Gift Glufosinat resistente Laborfrucht über den Baseler Rheinhafen mit einer Weizenlieferung aus Kanada in das Land gelangte. Demnach wäre dort ein guter Teil der Weizen-Ernte kontaminiert.

Verunreinigungen durch STARLINK
Zu den Erblasten, die BAYER 2001 mit dem Kauf von AVENTIS CROPSCIENCE übernahm, gehörte der Gen-Mais STARLINK. Dieser hatte ein Jahr zuvor für den ersten großen Gentechnik-Skandal in der Geschichte gesorgt. Obwohl nur in den USA und auch da lediglich als Futtermittel zugelassen, wies die Initiative GENETICALLY ENGINEERED FOOD ALERT (GEFA) Spuren der Laborfrucht in rund 300 Lebensmitteln nach. Allein der Lebensmittel-Konzern KRAFT musste daraufhin 2,5 Mio. Packungen Maismehl-Chips zurückrufen. AVENTIS blieb damals nichts anderes übrig, als die Gen-Pflanze vom Markt zu nehmen. Trotzdem treibt diese immer noch ihr Unwesen. So tauchte STARLINK Ende 2013 in saudi-arabischen Lebensmitteln auf.

Super-Pflanzen, Super-Unkräuter
Die gentechnische Veränderung beschleunigt das Wachstum von Ackerfrüchten. Wenn diese auskreuzen und ihre Eigenschaften auf Unkräuter übertragen, wie es häufig geschieht, gedeihen diese ebenfalls üppiger. Das hat ein US-amerikanisches WissenschaftlerInnen-Team um Allison Snow herausgefunden und in dem Fachjournal New Phytologist publiziert.

Immer mehr Bt-Resistenzen
BAYER & Co. bauen in ihre Laborfrüchte gern das Gift-Gen des Bacillus thuringiensis (Bt) ein, um Schadinsekten zu töten. Der Leverkusener Multi setzt besonders bei SURPASS und anderen Baumwoll-Pflanzen auf den Bazillus. Baumwollkapselbohrer & Co. können sich jedoch immer besser auf ihn einstellen, fünf von 13 Insekten-Arten kann er kaum mehr etwas anhaben. Zu diesem Befund kamen WissenschaftlerInnen des französischen Forschungsinstituts CIRAD und der „University of Arizona“ nach einer Auswertung entsprechender Studien. Brasilianische ForscherInnen von der Universität São Paulo um Juliano Ricardo Farias bestätigten die Resultate. Diese Situation zwingt die LandwirtInnen dazu, zusätzliche Insektizide einzusetzen. Die Behauptung von BAYER & Co., die Gentechnik würde den Pestizid-Verbrauch senken, erweist sich also wieder einmal als falsch.

Indien: Versuche mit Bt-Reis
Die Gentechnik ist in Indien sehr umstritten. Als einzige Laborfrucht darf auf den Äckern bisher die mit dem Insekten-Gift des Bacillus thuringiensis (Bt) bestückte Baumwolle blühen. Vor allem zwischen Landwirtschafts- und Umweltministerium gab es immer wieder Auseinandersetzungen um die Risikotechnologie. Im Dezember 2013 musste jedoch die gentech-kritische Umweltministerin Jayanthi Natarajan ihren Rücktritt erklären. Seither hat sich das umweltpolitische Klima im Land geändert. Die Aufsichtsbehörde GEAC gab grünes Licht für rund 200 Feldversuche mit gentechnisch manipulierten Pflanzen, darunter auch für solche mit Bt-Reis aus dem Hause BAYER. Die Lobby-Organisation ABLE-AG, welcher der Leverkusener Multi, MONSANTO und andere Agro-Riese angehören, bedankte sich in einem Schreiben umgehend für das Entgegenkommen. Das letzte Wort in der Sache ist allerdings noch nicht gesprochen. Dem Obersten Gerichtshof des Landes liegt nämlich immer noch der Antrag zur Entscheidung vor, ein zehnjähriges Moratorium für Freisetzungsversuche zu verhängen.

Mehr Gentech mit CELLECTIS
Der Leverkusener Multi baut seine Kooperation mit dem US-Unternehmen CELLECTIS PLANT SCIENCE auf dem Gebiet der Gentechnik aus. CELLECTIS entwickelt für den Konzern neue Raps-Sorten und gewährt ihm Zugang zu neuen Technologien. Von diesen erwartet sich die BAYER-Forscherin Catherine Feuillet viel: „Sie ermöglichen so präzise Modifikationen des Genoms oder der Gene, dass Veränderungen des gesamten Pflanzen-Genoms vermieden werden.“

Neue Gentech-Baumwolle
In den USA bietet BAYER seit Neuestem sein Baumwoll-Saatgut der FIBERMAX-Produktreihe mit einer kombinierten Insektizid- und Herbizid-Resistenz an. Die Pflanzen trotzen sowohl Glyphosat als auch dem Antiunkraut-Mittel Glufosinat, weshalb die LandwirtInnen die entsprechenden Pestizide gleich im Doppelpack ausbringen können. Und die haben es in sich: Glyphosat steht im Verdacht, das Erbgut zu schädigen und Krankheiten wie Alzheimer, Diabetes und Krebs zu befördern. Glufosinat wirkt ebenfalls reproduktionstoxisch. Zudem ist es imstande, Missbildungen bei Föten zu verursachen, Verhaltensstörungen hervorzurufen und die Entwicklung des Gehirns zu beeinträchtigen. Wegen dieser Risiken und Nebenwirkung muss die Substanz in Europa bis September 2017 vom Markt verschwinden.

Suche nach Signalstoffen
Der Leverkusener Multi hat mit TARGENOMIX, einer Ausgründung des „Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie“ eine Forschungskooperation vereinbart, um die Wirkungsweise von bestimmten Signalstoffen zu ergründen, die für das Gedeihen der Ackerfrüchte wichtig sind. Auf Basis dieser Erkenntnisse hofft der Agro-Riese dann, „innovative Lösungsansätze für den Pflanzenschutz und die Pflanzen-Gesundheit“ gewinnen zu können.

Wieder kein EYLEA-Zusatznutzen
BAYERs zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zur Blindheit führen kann – zugelassene Augen-Arznei EYLEA (Ticker 2/12) erschließt nicht gerade medizinisches Neuland. In den klinischen Prüfungen gelang es dem Gentech-Medikament mit dem Wirkstoff Aflibercept nicht, das NOVARTIS-Präparat LUCENTIS zu übertrumpfen, was der Leverkusener Multi auch selbst einräumen musste. Laut Konzern zeigte das Pharmazeutikum in Tests lediglich „eine vergleichbare Wirkung (‚Nicht-Unterlegenheit’) gegenüber der Behandlung mit LUCENTIS“. Das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWIG) mag ebenfalls partout keinen Zusatznutzen zu erkennen. Nachdem es schon bei der eigentlichen Makula-Degeneration keinen durch EYLEA bewirkten Therapie-Fortschritt festmachen konnte, gelang ihr das für das Anwendungsgebiet „diabetisches Makula-Ödem“ ebenso wenig. Der Pharma-Riese hat gegen die Entscheidung Einspruch eingelegt.

KOGENATE-Allergien
Gleich zwei Studien bescheinigten BAYERs Blutgerinnungspräparat KOGENATE und dem ebenfalls vom Leverkusener Multi entwickelten, seit geraumer Zeit aber von BEHRING vertriebenem Mittel HEXILATE NEXGEN eine mangelhafte Wirkung. Neue, vorher nicht behandelte Bluter-Patienten reagieren auf diese beiden Gentech-Mittel der zweiten Generation öfter allergisch als auf Blutprodukte der dritten Generation, so der Befund. Für den Bluter-Weltverband „World Federation of Hemophilia“ legt dieses Ergebnis nahe, die Pharmazeutika Menschen mit frisch diagnostizierter Hämophilie lieber nicht zu verschreiben. Die Organisation forderte daher die US-Gesundheitsbehörde FDA auf, die Daten umgehend zu überprüfen. Das europäische FDA-Pendant EMA wies indes BAYER und BEHRING an, auf dem Beipackzettel auf das erhöhte Risiko von Immun-Reaktionen hinzuweisen. Zudem kündigte die Behörde eine Überprüfung der in der Fachzeitschrift Blood veröffentlichten Expertisen an.

Neues KOGENATE
In den 1980er Jahren starben Tausende Hämophile an HIV-verseuchten Blutpräparaten BAYERs, weil das Unternehmen die Pharmazeutika aus Kostengründen keiner Hitze-Behandlung unterzogen hatte, obwohl das verarbeitete Blut auch von Risiko-Gruppen stammte. Ende des Jahrzehnts brachte der Leverkusener Multi dann mit KOGENATE ein Produkt heraus, bei dem gentechnisch manipulierte Zellen das Plasma vervielfältigen, weshalb der Bedarf an Spenderblut drastisch sank. Und nun hat der Konzern für die KOGENATE-Version BAY 81-8973 die Vermarktungsgenehmigung erhalten, die gar keine menschlichen Blut-Bestandteile mehr enthält. Mit Risiken behaftet ist die Arznei dennoch, denn rund ein Drittel der Patienten mit Blutgerinnungsstörungen bildet Antikörper gegen die Mittel heraus und reagiert allergisch auf sie (s. o.). Darüber hinaus will der Leverkusener Multi noch in diesem Jahr den Zulassungsantrag für eine KOGENATE-Variante stellen, bei der sich nur die Darreichungsform ändert. Das Präparat hält sich länger im Körper, weshalb eine Infusion pro Woche reicht.

Engere Kooperation mit VENTANA
Der Leverkusener Multi weitet die Zusammenarbeit mit VENTANA auf dem Gebiet der Krebsforschung aus. Die ROCHE-Tochter soll für BAYER künftig Tests entwickeln, mit denen der Pharma-Riese kontrollieren kann, ob und wie die von ihm entwickelten Antikörper auf Tumor-Zellen wirken.

WASSER, BODEN & LUFT

PCB unter Tage
Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie (SWB 1/14). Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Risiko dar. So schlummern in alten Bergwerksstollen bis zu 10.000 Tonnen PCB. Unter Tage war die Substanz als derjenige Bestandteil von Hydraulik-Ölen in Verwendung, der für die schwere Entflammbarkeit sorgte. Von den 1985 in der Bundesrepublik verkauften 72.000 Tonnen landete mehr als ein Sechstel im Bergbau. „Wir sind mit dem Zeug umgegangen, als wäre es Milch“, zitiert der Spiegel einen Bergmann. Dementsprechend leiden viele seiner KollegInnen heute an den Spätfolgen und zeigen Vergiftungssymptome wie Haut-, Nieren- und Leberschäden. Als gefährlichen Sondermüll behandelten die Konzerne die Giftbrühe damals nicht. Die RAG beispielsweise vermag für gerade einmal zwei Prozent der zwischen 1979 und 1984 in den Saarbergwerken genutzten Öle Entsorgungsnachweise vorzuweisen. Die Altlasten lagern in Fässern und anderen Behältern, die nicht selten Leckagen aufweisen. Im Erdreich und in den Abwässern der Zechen finden sich ebenfalls PCB-Spuren. Damit nicht genug, könnten die Polychlorierten Biphenyle schon bald ans Tageslicht gelangen. Die RAG will sich nämlich das kostspielige Abpumpen des Grubenwassers sparen und hat deshalb bereits einige Maschinen abgestellt. Deshalb droht das Wasser die Stollen zu fluten, das PCB auszuspülen und ins Grundwasser, in Flüsse und Bäche weiterzuleiten. „Da tickt eine ökologische Zeitbombe“, so Steffen Potel vom BUND. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat jetzt erst einmal ein Gutachten über die Gefahren in Auftrag gegeben und die RAG angewiesen, keine weiteren Schächte unter Wasser zu setzen, bis das Ergebnis der Studie vorliegt.

Altlast in Krefeld
In Krefeld schlummert unter der 1980 errichteten Siedlung an der Mauritzstraße eine Altlast. In Stichproben-Untersuchungen wiesen GutachterInnen unter anderem Arsen, Blei, Chrom und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs) nach. Wegen der hohen Konzentration riet ein Immunologe einem Anwohner sogar, seinen Keller nicht ohne Schutzmaske zu betreten. Der Grund und Boden, auf dem die Häuser entstanden, gehörte der BAYER-Immobiliengesellschaft. Vor Baubeginn hatte sie die Vertiefungen des Areals mit Material aus der nahe gelegenen städtischen Mülldeponie aufgeschüttet, die nicht zuletzt der Chemie-Multi nutzte. „Auch BAYER hat dort abgekippt. Ich habe es als Kind selbst gesehen“, erinnert sich Heike Hoffmann, die Vorsitzende des Bürgervereins Uerdingen. Nach Erschließung des Geländes parzellierte die Konzern-Tochter es und verkaufte nach und nach die einzelnen Grundstücke. Allzu schnell wuchsen die Häuser jedoch nicht. So kam es 1979 und dann noch einmal 1985 zu Unterbrechungen der Arbeiten. „Rita Thiele von den Grünen hat damals für einen Baustopp gesorgt. Wegen der Altlasten im Boden. Dann gab es eine Unbedenklichkeitsbescheinigung von der Stadt und von BAYER“, so der ebenfalls auf verseuchtem Grund und Boden lebende BAYER-Pensioniär Volkmar Sander. Um das Erdreich genauer zu untersuchen, finanziert das Land Nordrhein-Westfalen jetzt den größten Teil einer umfangreichen, 140.000 Euro teuren Studie – den Leverkusener Multi nimmt es dazu nicht in Haftung. Unterdessen melden sich bei den AnwohnerInnen schon Immobilien-SpekulantInnen, die ihre Chance wittern. „Ich habe gehört, dass Sie auf einem Drecksberg sitzen“ – mit diesen Worten wollte ein windiger Geschäftsmann dem ehemaligen BAYER-Werker Eduard Jansen schon sein Haus für den Schnäppchen-Preis von 60.000 Euro abkaufen.

Glyphosat in der Umwelt
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat kommt hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz. Aber auch die Laborfrüchte des Leverkusener Multis verfügen über eingebaute Resistenzen gegen die Substanz. Zudem enthalten BAYERs Ackergifte GLYPHOS und USTINEX G den Stoff. US-amerikanische WissenschaftlerInnen haben jetzt in einer großen Studie untersucht, inwieweit Glyphosat die Umwelt belastet. Das Ergebnis ist alarmierend: In zahlreichen Boden- und Wasserproben wiesen die ForscherInnen die Agro-Chemikalie nach.

GIFTIG, ÄTZEND, EXPLOSIV

BAYER braucht mehr Bisphenol
Das in BAYERs Bitterfelder Chemie-„Park“ ansässige japanische Unternehmen HI-BIS GmbH will die Bisphenol-Produktion verdoppeln und hat deshalb eine neue Fertigungsanlage errichtet. Es kommt damit der steigenden Nachfrage von Seiten des Leverkusener Multis nach, der nicht nur einen 10-Prozent-Anteil an HI-BIS hält, sondern auch als alleiniger Abnehmer der Chemikalie fungiert. Er benötigt sie als Vorprodukt für seinen Kunststoff APEC, der vornehmlich in der Medizin-, Licht- und Elektrotechnik und bei Haushaltsgeräten Verwendung findet. Problematisch ist der Einsatz von Bisphenol, wenn die menschliche Haut in Kontakt mit der Chemikalie kommt, wie das etwa bei Verpackungen für medizinische Geräte der Fall ist. Die Substanz ähnelt in ihrem chemischen Aufbau nämlich Hormonen, was den menschlichen Stoffwechsel durcheinanderbringen und zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie zu Herz- und Lebererkrankungen führen kann.

Schärfere Bisphenol-Grenzwerte
Die „Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit“ (EFSA) hat das Gesundheitsrisiko neu untersucht, das von der auch von BAYER verwendeten und in Umlauf gebrachten Industrie-Chemikalie Bisphenol A (s. o.) ausgeht. Sie ermittelte mögliche Beeinträchtigungen der Funktionen von Leber, Nieren sowie Brustdrüsen und empfahl eine Absenkung der noch tolerierbaren täglichen Aufnahmemenge von 50 Mikrogramm um den Faktor 10 auf fünf Mikrogramm. Weil Hinweise auf weitere Gesundheitsgefährdungen durch den Stoff vorliegen, will sie diesen Grenzwert als vorläufigen verstanden wissen. Nach Ansicht des Leverkusener Multi hingegen sind „keine schädlichen Wirkungen nachgewiesen“ bzw. besteht „lediglich ein geringes Gesundheitsrisiko“. „Obwohl es gar keinen Beweis für eine toxische Wirkung“ gebe, hätte die EFSA ihre Entscheidung „in einer äußerst konservativen Herangehensweise“ und „ausschließlich aus Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes“ getroffen, moniert der Multi. Die Aussagekraft der Niedrigdosen-Studien, auf welche sich die Behörde bei ihrem Votum stützte, zweifelt der Konzern an. „Niedrigdosis-Effekte sind unter Toxikologen heftig umstritten“, befindet er.

PRODUKTION & SICHERHEIT

Neues Brandschutz-Konzept
Metall-Alkyle wie Triethylalumninium (TEA) oder Trimethylaluminium (TMA) entzünden sich bei Kontakt mit Luft oder Wasser sofort. Tritt der Ernstfall ein, kann deshalb nur Trockenlöschpulver oder Sand zum Einsatz kommen, was die Arbeit der Feuerwehr sehr erschwert. Bei BAYER liegt der letzte große Knall etwas mehr als fünf Jahre zurück. In dem Bergkamener Werk kam es am 5.9.09 zu einer großen Explosion und zwei kleineren Folge-Detonationen. Ausgelöst hatte die Kettenreaktion eine defekte Pumpe, die Metallalkyl-Reste aus einem Container absaugen sollte. Vier Beschäftigte erlitten damals einen Schock und mussten sich einer ärztlichen Behandlung unterziehen. Dass ihnen nicht mehr passiert ist, rechneten Sachverständige später einem „unheimlichen Glück“ zu. Nun will der Leverkusener Multi mehr Sicherheitsvorkehrungen in puncto „Metall-Alkyle“ treffen. Er hat für diese Stoffe, die als Katalysatoren oder zur Beschichtung von Kunststoffe dienen, ein neues Brandschutz-Konzept entwickelt. Um Leckagen zu vermeiden, empfiehlt der Verfasser der Handreichung, der BAYER-Ingenieur Armin Heyn, unter anderem die Lagerung in doppelwandigen Tanks aus Carbon-Stahl. Überdies hält er bei Teilen der Rohrleitungen ständige Schweißnaht-Überprüfungen für unabdingbar. Darüber hinaus sollten die Pipelines über vor Rost schützende Edelstahl-Halter verfügen. Auch dürften nur hermetisch dichte Pumpen zum Einsatz kommen. Zur Gewährleistung des Brandschutzes rät das Konzept-Papier dazu, die Tanks auf Betonsockel zu stellen, was im Falle eines Falles vor einer Unterfeuerung schützt. Zudem schlägt es die Errichtung von Brandschutzwänden zwischen den einzelnen Metallakyl-Behältnissen und eine Raumluft-Überwachung vor.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Brand in Knapsack
Am 21.10.14 kam es in einer Pestizid-Anlage von BAYER zu einem Brand. Der Stoff Methylphosphin trat aus und entzündete sich sofort. Über Kunststoff-Leitungen und Ummantelungen verbreitete sich das Feuer. Eine übelriechende Rauchwolke zog über die nahegelegenen Wohngebiete. Die Feuerwehr schloss eine Gefahr für die Bevölkerung trotzdem umgehend aus, was die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisierte. „Man kann nach einem solchen Vorfall nicht einfach Entwarnung geben. Niemand kennt die genaue Zusammensetzung der Brandgase, der Oxidationsprodukte und den Anteil an nicht verbranntem Methylphosphin. Von daher lassen sich langfristige Gesundheitsschäden der Anwohner nicht mit Sicherheit ausschließen“, erklärte die Coordination.

Natronlauge tritt aus
Am 21.12.14 entwichen aus einer Rohrleitungsanlage des Dormagener BAYER-Werk rund drei Kubikmeter einer 32-prozentigen Natronlauge. Als Ursache für den Austritt der stark ätzend wirkenden Substanz gibt der Leverkusener Multi eine defekte Dichtung an.

Kohlenmonoxid tritt aus
Im Antwerpener BAYER-Werk zerbarst am 16.9.14 ein Teil der Dichtung eines Wärmetauschers. Aus dem Leck treten mit den heißen Prozessgas-Strömen auch rund 150 Kilogramm Kohlenmonoxid aus. Der Leverkusener Multi musste die Anlage mit Stickstoff spülen, um das Entweichen noch größerer Stoffmengen zu verhindern.

2014: Sechs Transport-Unfälle
Für das Jahr 2014 verzeichnet BAYERs Geschäftsbericht sechs Transport-Unfälle. Am 6. Januar geriet in Brasilien ein LKW in einen Unfall und verlor 1.300 Kilogramm MDI-Kunststoff. Am 27.3. entweicht aus einem vom Brunsbütteler Werk kommenden Tankwagen der Kunststoff TDI. Am 13.5 trat in den USA aus einem Laster nach einem Zusammenstoß mit einem PKW Container-Heizflüssigkeit aus. Am 31. Juli starb in den USA ein LKW-Fahrer, als sein Fahrzeug von der Straße abkam und gegen einen Baum prallte. Dabei schleuderte die komplette Ladung Makrolon in einen Graben. Am 6.8. rann in den USA aus einem Transport-Fahrzeug Salzsäure, was eine mehrstündige Straßen-Sperrung nach sich zog. Und am 23.8 kam es in Indien zu einem Unfall, in dessen Folge 8.500 Kilo Polyol ins Freie geriet, das mit Sand und Absorptionsmitteln gebunden werden musste.

2014: Acht Lade-Unfälle
Für das Jahr 2014 verzeichnet BAYERs Geschäftsbericht acht Unfälle, die sich beim Be-, Ent- oder Umladen von Stoffen ereigneten. Am 10.4 liefen in einem US-amerikanischen Werk des Leverkusener Multis aus einem noch unter Druck stehenden Versorgungsschlauch 100 Liter einer Flüssigkeit aus. Am 6.6. trat in Pittsburgh bei der Einlagerung von Propylenoxid eine Leckage auf, aus der die krebserregende und das Erbgut schädigende Flüssigkeit entwich. Am 26.6 ereignete sich am südafrikanischen Standort Nigel beim Umfüllen einer Chemikalie eine Explosion geringeren Grades, eine sogenannten Verpuffung. Am 28.8. kippte in Australien auf einem Container-Ladedock ein Fass mit dem Kunststoff-Produkt Desmodur um und schlug leck; 250 Liter des Stoffes rannen heraus. Am 18.9. wurde im Hafen von Marseille ein Polyol-Container beschädigt, 24 Tonnen der Substanz drangen nach draußen. Am 7.10 gelangten beim Entladen eines Bisphenol-Containers ein bis zwei Kubikmeter der Chemikalie ins Freie. Am 21.11. riss in einer US-amerikanischen Niederlassung der Entlade-Schlauch eines Kunststoff-Behältnisses, woraufhin 190 Liter hinausflossen. Am 15.12. ereignete sich auf dem Gelände einer US-Fabrik des Leverkusener Multis ein Zwischenfall. Beim Umladen des Kunststoffes TDA kam es an einer Pumpendichtung zu einem Defekt, und 150 Liter des Produktes strömten aus.

STANDORTE & PRODUKTION

Mehr Jobs, weniger Steuern?
Wuppertal, Standort von BAYERs Pharma-Produktion, erwägt, die Unternehmen mit Steuer-Anreizen zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu bewegen. Das Konzeptpapier „Wuppertal 2025“ sieht vor, den Gewerbesteuer-Satz von 490 auf 475 Prozentpunkte zu senken, falls die Firmen es schaffen, 5.000 neue Jobs einzurichten. Die „Industrie- und Handelskammer“ (IHK) zeigt sich allerdings nur wenig begeistert von der Idee. Ihrer Ansicht nach müsste vielmehr die Stadt in Vorleistung treten. „Sie sollte ein elementares Interesse daran haben, im Wettbewerb der Kommunen untereinander eine gute Position einzunehmen, was den Standort betrifft – und ohne Konditionen günstige Rahmenbedingungen anbieten“, so IHK-Geschäftsführer Uwe Mensch.

Mehr Salzsäure aus Wuppertal
BAYER erweitert am Standort Wuppertal eine Anlage, welche die bei der Kunststoff-Produktion anfallende Salzsäure aufbereitet, zwischenlagert und transportfertig macht.

Leerstand in Brunsbüttel
Die vielen Verkäufe von Teilgesellschaften haben den Flächenbedarf des Leverkusener Multis beträchtlich schrumpfen lassen. Um die Areale trotzdem auszunutzen,

[HV Bericht] STICHWORT BAYER 03/2014

CBG Redaktion

HV: BAYER auf Rückzug

Verkehrte Welt

Schlechter hätte die diesjährige Hauptversammlung für BAYER nicht laufen können. Der Leverkusener Multi musste auf Geheiß des Kölner Verwaltungsgerichts die „Bannmeile“ um die Messehalle herum aufheben, so dass die Demonstrantinnen den AktionärInnen wieder näherkommen konnten. Damit nicht genug, sprachen dann im Saal selber mit 26 Konzern-KritikerInnen auch noch so viele Gegen-RednerInnen wie niemals zuvor und degradierten die Kapital-VertreterInnen damit zu einer kleinen radikalen Minderheit. Entsprechend missgelaunt präsentierte sich das Unternehmen. Von den ausländischen SprecherInnen erbat sich der nur Wirtschaftsenglisch verstehende Global Player Rede-Beiträge in deutscher Sprache und schaltete ihnen bei Zuwiderhandlungen einfach das Mikrofon ab.

Von Jan Pehrke

Die fleißigen Hände von BAYER hatten schon am Tag vor der Hauptversammlung damit begonnen, die Kölner Messehalle weiträumig mit einem Kordon von Schutzgittern abzuschirmen. Um sich die Konzern-KritikerInnen vom Leib zu halten, hatte der Leverkusener Multi nämlich wie im Vorjahr von der Messe-Gesellschaft den Vorplatz gleich mitgemietet, weshalb er meinte, das Hausrecht beanspruchen zu können und dabei in der Kölner Polizei einen freundlichen Helfer fand. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ging dagegen per einstweiliger Verfügung gerichtlich vor und bekam Recht zugesprochen. „Die Antragsteller können die Gewährleistung der angemeldeten Kundgebung seitens des Antraggegners beanspruchen, denn diese fällt – entgegen der vom Antragsgegner vertretenen Auffassung – unter die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Absatz 1 GG“, urteilte das Kölner Verwaltungsgericht. „Orte der allgemeinen Kommunikation“ haben politischen Aktionen zugänglich zu bleiben, urteilten die RichterInnen mit Bezug auf das so genannte FRAPORT-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das 2011 die Abschottung des Frankfurter Flughafens für unrechtmäßig erklärt hatte.
So mussten dann die fleißigen Hände ihr Tagwerk wieder abtragen und den Platz der „allgemeinen Kommunikation“ öffnen. Und die fand am 29. April reichlich statt. Eine bunte Schar von ca. 150 Personen hatte sich schon am frühen Morgen vor den Messehallen eingefunden. Geschädigte der BAYER-Spirale MIRENA zogen mit einem furchterregend großen Exemplar des Pessars vor den Eingang. Eine Gruppe von Frauen, denen die Kontrazeptiva des Konzerns zugesetzt hatten, trugen rote T-Shirts mit ihren Krankengeschichten. „Erfolgsbilanz ‚Die Pille’: Ricarda (23) Lungenembolie“, konnten die AktionärInnen darauf etwa lesen. Auch Leidtragende des Schwangerschaftstests DUOGYNON kamen wieder nach Köln. Zu ihnen gesellten sich darüber hinaus noch GREENPEACE-AnhängerInnen, GegnerInnen der Kohlenmonoxid-Pipeline, ImkerInnen, die Kölner Lichtbrigade und natürlich Mitglieder der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN mit all ihren Transparenten und Flugblättern.
Und im Saal selber setzte sich die konzern-kritische Kommunikation beinahe übergangslos fort. „Mit Marc Tüngler und Joachim Kregel hatten nur zwei Aktionärsvertreter Gelegenheit, die Leistung des Vorstands aus Sicht der Anteilseigner zu kommentieren. Die Noten fielen hervorragend aus, aber schon nach 20 Minuten ging es nur noch um weniger angenehme Dinge als die Steigerung des Aktienkurses, eine höhere Dividende und gute Aussichten für den BAYER-Konzern“, hieß es in dem „BAYER-Kritiker geben Ton an“ überschriebenen Hauptversammlungsartikel des Leverkusener Anzeigers. Sage und schreibe 26 Gegen-RednerInnen meldeten sich nach Tüngler und Kregel zu Wort – so viel wie noch nie. Kein Weg war ihnen dafür zu beschwerlich, bis aus Australien und Indien kamen sie in die Kölner Messehalle.
Die Kontrazeptiva-Geschädigte Marion Larat reiste aus dem französischen Bordeaux an. In ihrem Heimatland just zur „Frau des Jahres“ gekürt, weil sie mit ihrer Klage gegen BAYER und der Gründung der Selbsthilfegruppe AVEP die von MELIANE (Wirkstoffe: Gestoden und Ethinylestradiol) und anderen Verhütungsmitteln ausgehende Gefahr einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hat, konfrontierte sie den Leverkusener Multi zum ersten Mal direkt mit ihrem Schicksal. „Ich bin hier, stehe Ihnen gegenüber, halbseitig gelähmt, mit einer Sprachstörung und als Epileptikerin als Folge eines Schlaganfalls, der mich vor 8 Jahren niedergestreckt hat. Zum Glück habe ich überlebt und ich bin hierher gekommen, um Ihnen von meinem Leiden und meiner Wut zu erzählen“, so begann ihre von Ricarda Popert in Deutsch vorgetragene Rede. Dann berichtete sie von dem Vorfall, der sie – 18-jährig und frisch verliebt – aus ihrem bisherigen Leben riss und sie zu einer Schwerbehinderten machte, die keinen Beruf mehr auszuüben vermag und auf eine klägliche staatliche Unterstützung von 700 Euro im Monat angewiesen ist. „Also sagen Sie mir, Herr Dr. Dekkers, wie viel verdienen Sie im Monat? Ihre Verurteilung würde Ihren Nachfolger ermutigen, nicht mehr mit kriminellen Strategien zu arbeiten“, wandte sie sich direkt an den BAYER-Chef. Aber Marion Larat sprach auch über ihre erfolgreichen Bemühungen, dem Pharma-Riesen bei der Vermarktung der Pillen der 3. Und 4. Generation, die ein viel höheres Risiko-Profil aufweisen als ältere Verhütungsmittel, das Handwerk zu legen. Der Gang vor Gericht und die Kampagne von AVEP hat nämlich nicht nur zu vielen Publikationen über MELIANE & Co. geführt, sondern auch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA auf den Plan gerufen und die französischen Krankenkassen zu einer Streichung der Kostenübernahme veranlasst – mit schmerzlichen Folgen für das Unternehmen. „Sehr geehrte Aktionäre, ich bin stolz, Ihnen sagen zu können, dass wir Leben gerettet haben und zwar auf Kosten Ihrer Profite!“ konstatierte Larat, die noch zwei Tage vor der Hauptversammlung wieder einen epileptischen Anfall bekommen hatte. Am Schluss ihres Vortrags forderte sie die Aktien-HalterInnen auf, dem Konzern für seine Politik das Vertrauen zu entziehen und stattdessen für die Gegenanträge der Coordination zu stimmen. „Während einer Sekunde, stellen Sie sich vor, dass ich Ihre Tochter bin“, mit diesem Appell versuchte die Französin sie zu „Nein“-Stimmen zu bewegen. In seiner Antwort schaffte es Marijn Dekkers dann nicht einmal, sich zu der sonst üblichen routinierten Betroffenheitsgeste durchzuringen. Er schaltete stattdessen übergangslos in den Ignoranz-Modus. „Gesundheitsbehörden, externe und unabhängige Experten und BAYER-Wissenschaftler haben die verfügbaren wissenschaftlichen Daten der Gesundheitsbehörden sorgfältig bewertet. Demnach sind Drospirinon-haltige Produkte sicher und zuverlässig. Sie haben ein positives Nutzen/Risiko-Profil bei indikationsgemäßer Verwendung“, hielt er fest.
Das neueste Produkt aus der Sparte „Frauengesundheit“, das 2013 vom US-amerikanischen Pharma-Unternehmen CONCEPTUS erworbene Sterilisationspräparat ESSURE, stand an diesem Tag dank Michelle Garcia, die mit einer weiteren Geschädigten extra aus den USA angereist war, ebenfalls auf der Tagesordnung. Die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen, dass es die Eileiter verschließt, kann nämlich erhebliche Gesundheitsprobleme verursachen. Und diese brachten BAYER schon im Vorfeld der Hauptversammlung in die Schlagzeilen, weil sich in den USA die Verbraucherschützerin Erin Brockovich, bekannt geworden durch den ihr gewidmeten Hollywood-Film mit Julia Roberts in der Hauptrolle, der Sache angenommen hat. Sie unterstützt die Kampagne der Geschädigten und redete der BAYER-Chefetage vorab ins Gewissen: „Meine Botschaft an den Vorstand und die Aktionäre lautet: Hören Sie den Frauen aufmerksam zu, weil Sie von ihnen erfahren können, was mit diesem Produkt schief läuft. Dies ist eine Gelegenheit für das Unternehmen, eine richtige Entscheidung zur treffen und das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen.“
Michelle Garcia hatte dann wirklich einiges zu erzählen. „Ich bin ein ESSURE-Opfer, eine ESSURE-Überlebende und spreche hier für Tausende“, erklärte sie und konfrontierte die AktionärInnen mit ihrer eigenen Krankengeschichte. Bei ihr war die Spirale abgebrochen, und ein spitzes Ende hatte eine Eileiter-Wand durchstoßen, was zu einer inneren Blutung führte. „Ich könnte tot sein, ich sollte tot sein“, konstatierte Garcia trocken. Anschließend führte sie ähnliche Fälle an und zählte eine ganze Liste von Nebenwirkungen auf, die von Beckenboden-Schmerz bis zu chronischen Entzündungen reichte. Deshalb fand Garcia klare Worte: „Ich stehe hier vor ihnen mit einer einfachen, aber starken Botschaft: ESSURE ist gefährlich, und ESSURE gehört nicht auf den Markt.“ Aber Marijn Dekkers wollte darauf nicht hören und reagierte nach Plan. Nach der Betroffenheitsgeste – „Lassen Sie mich zunächst feststellen, dass wir großes Mitgefühl für Patienten haben, die unsere Produkte anwenden und von ernstlichen gesundheitlichen Beschwerden berichten, unabhängig von der Ursache dieser Beschwerden“ – folgte die Heraushebung des positiven Nutzen/Risiko-Profils des Mittels und die schnöde Feststellung, es sei eben nicht jedes Verhütungsmittel für jede Frau geeignet.
Aber es ging noch ignoranter. Obwohl sich die BAYER-Aktien zu 72 Prozent in ausländischem Besitz befinden, und der Konzern sich nicht nur mit Leit-Maximen wie „Responsible Care“ gerne international gibt, um sich als „Global Player“ auszuweisen, wollte er auf seinem AktionärInnen-Meeting keine in englischer Sprache gehaltene Wort-Meldung dulden, weil „auf einer deutschen Hauptversammlung deutsch gesprochen wird“. So durfte die Australierin Jennifer Lloyd nicht über das BAYER-Präparat TRASYLOL sprechen. Als sie ansetzte zu schildern, wie ihr Vater 1978 durch das in einem Melbourner Krankenhaus verabreichte und damals offiziell noch gar nicht zugelassene Medikament drei Herzinfarkte erlitt und schließlich starb, schaltete der Aufsichtsratsvorsitzende ihr einfach das Mikrofon ab. Jennifer Lloyd geriet außer sich. Sie schrie in Richtung Vorstand, aber es erfolgte keine Reaktion. Deshalb stieg sie vom Rednerpult herab und rannte vor die Bühne, auf der Wenning und Dekkers umringt von ihren Vorstands- und AufsichtsratskollegInnen thronten. Jetzt konnte die junge Frau ihnen das, was sie angetrieben hatte, den strapaziösen Flug auf sich zu nehmen, direkt ins Gesicht sagen: dass TRASYLOL ihren Vater getötet hat. Lange schaute die Security sich das nicht an. Sie rückte der Frau immer näher, aber das Eingreifen der Coordination verhindert Schlimmeres. Und schließlich gelang es sogar, Lloyd doch noch zu ermöglichen, ihr Anliegen vorzutragen. Die ursprünglich als nächste Rednerin vorgesehene Anne Isakowitsch von der Initiative SOME OF US, die sich eigentlich dem Bienensterben widmen wollte, lud Lloyd zu sich auf das Redner-Pult und stellte sich als Übersetzerin in den Dienst der Australierin. „Konzern-Arroganz“ pur nannte der CBGler Axel Köhler-Schnura das Gebaren BAYERs in seinem Beitrag später, und der Spiegel befand: „Eigentlich könnte die BAYER AG, die sonst gern mit dem Motto ‚Science for a better life’ wirbt, derartiger Kritik gegenüber toleranter sein.“
Aber die RednerInnen-Liste mit denjenigen, welche die verheerenden Folgen der „Science for a better life“ am eigenen Leib erfahren haben und damit so etwas wie eine verkörperte Konzern-Kritik darstellen, war noch länger. Auch zum hormonellen Schwangerschaftstest DUOGYNON/PRIMODOS und der Spirale MIRENA musste sich der Vorstand erschütternde Krankenberichte anhören. An CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes war es dann, die ganze (Profit-)Logik darzulegen, die solche Risiken und Nebenwirkungen systematisch produziert. Er begann seine „Bittere Pillen“-Suada mit den Blutprodukten, die mit HIV-Erregern infiziert waren, weil der Konzern sich aus Kostengründen Tests und Sterilisationsverfahren ersparte. Dann rief Mimkes den Skandal um den Cholesterin-Senker LIPOBAY in Erinnerung, dessen Überlegenheit gegenüber Konkurrenz-Produkten der Multi mit einer so hohen Cerivastatin-Dosis demonstrieren wollte, dass die Nebenwirkungen die Wirkungen in den Schatten stellten – Resultat: über 100 Tote bis zum Verbot. Und schließlich kam der Diplom-Physiker auf XARELTO, den neuen Gerinnungshemmer aus dem Hause BAYER, zu sprechen. Obwohl er sich in Tests den herkömmlichen Mitteln gegenüber nicht überlegen zeigte und ÄrztInnen-Organisationen wegen seines Gefährdungspotenzials von dem Produkt abraten, presst das Unternehmen die Arznei mit einem gigantischen Marketing-Aufwand in den Markt. Zu 133 Meldungen über Todesfälle und 1.400 über schwere Nebenwirkungen beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ hat das allein im letzten Jahr geführt. „Wir befürchten, dass XARELTO (...) der nächste Pharma-GAU von BAYER wird“, schloss der CBGler deshalb seine Ausführungen.
Damit war das Kapitel „Pharma“ des „Schwarzbuchs BAYER“ aber noch nicht geschlossen. Auch zu den Arznei-Patenten, Tierversuchen und den Medikamenten-Tests in Armutsregionen gab es Reden. Und die weiteren Einträge wie „Bienensterben“, „Kohlenmonoxid-Leitung“, „Gentechnik“, „Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg“ und „klimaschädliche Energie-Versorgung“ kamen den AktionärInnen ebenfalls zu Gehör. Bis zum Abend dauerte die „Vorlesung“, nicht einmal kleine Verschnaufspausen mit zahlen-bewehrten Erfolgsgeschichten aus dem „Geschäftsbericht 2013“ waren ihnen vergönnt. Während sich die „Kritischen“ in früheren Jahren wie Fremdkörper inmitten von Kapital-LaudatorInnen fühlten, hatten sie nun ein Heimspiel. Der Gen-Gigant überließ ihnen kampflos das Feld. Vor der Halle hatte er die BAYER-Fahnen eingeholt, damit sie nicht den passenden Hintergrund für Fotos von den Protestaktionen bilden können, und drinnen hatte er den Konzern-KritikerInnen einen beträchtlichen Teil des Saals freigeräumt.
Am Ende des Tages gelang es nicht einmal der Abstimmung so ganz, die verkehrte Welt wieder gerade zu rücken. Die Ergebnisse lagen zwar für die ersten drei Tagesordnungspunkte „Gewinn-Verwendung“, „Entlastung des Vorstands“ und „Entlastung des Aufsichtsrats“ immer noch bei über 96 Prozent, aber auch hier fanden Erosionsprozesse statt. So wurden bei TOP 1 rund 1,2 Millionen Stimmen für den CBG-Gegenantrag, beim TOP 2 ca. 8,9 Millionen und beim TOP 3 sogar über 10 Millionen gezählt, mehr als doppelt so viele wie bei der letzten HV. Die meiste Zustimmung erlangte dabei ein Antrag, der sich gegen die Wahl des Gentechnik-Strippenziehers Ernst-Ludwig Winnacker in den Aufsichtsrat wendete. Fast 12 Millionen oder 3,09 Prozent votierten dagegen.
Und sogar bei seiner eigenen Berichterstattung über die Hauptversammlung musste der Leverkusener Multi die Realität anerkennen und sich mit den Gegen-Reden beschäftigen – andere gab es ja schlicht kaum noch. Nur dass in dieser Version der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers dann alle Fragen der KritikerInnen zur vollsten Zufriedenheit beantworten konnte. Spannend bleibt jetzt, wie der Konzern das alles verdaut und welche Schlussfolgerungen er daraus für die nächste HV zieht.

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[HV Reden] STICHWORT BAYER 02/2014

CBG Redaktion

Viele Fragen und keine Antworten

Konzernkritik x 26

Die HV-Gesamtschau: 26 Gegen-RednerInnen traten am 29. April 2014 vor die AktionärInnen. Sie brachten Themen wie Pharma-Patente, Arznei-Nebenwirkungen, Medikamenten-Tests, Tierversuche, Bienensterben, gefährliche Chemikalien, Gentechnik, die Kohlenmonoxid-Pipeline, Klimasünden und die Konzern-Vergangenheit auf die Tagesordnung und setzten BAYER mit ihren Fragen gehörig unter Druck. Entsprechend schwer tat sich der Konzern mit den Antworten.

Von Jan Pehrke

Der Unternehmensteil, welcher bei BAYER am meisten zur goldenen Geschäftsbilanz beiträgt, ist gleichzeitig auch derjenige, welcher die größte Schadensbilanz aufweist: Der Pharma-Bereich. Und dass dazwischen ein Zusammenhang besteht, machten auch bei der diesjährigen Hauptversammlung wieder zahlreiche GegenrednerInnen deutlich. Zusätzlich zu den Pillen-Geschädigten, die von weither nach Köln angereist waren, kamen auch viele ihrer deutschen Leidensgenossinnen nach Köln. So traten Felicitas Rohrer und Kathrin Weigele gleich in Begleitung von sechs Mitstreiterinnen von der Initiative RISIKO-PILLE ans Rednerpult, um vor den AktionärInnen eine wahre „Chronique scandaleuse“ der Verhütungsmittel der dritten und vierten Generation auszubreiten.

Bittere Pillen
Diese begann den beiden Frauen zufolge schon mit kritischen Stimmen zur Markteinführung im Jahr 2000, setzte sich dann mit unzähligen warnenden Studien und den ersten Klagen fort und ist heute mit 28 Toten allein in der Bundesrepublik, unzähligen Prozessen und hohen Schadensersatz-Zahlungen noch längst nicht beendet. Aber all das prallte an BAYER-Chef Marijn Dekkers ab. „Ich möchte auch in diesem Jahr betonen: Wir stehen hinter unseren oralen Kontrazeptiva“, entgegnete der Vorstandsvorsitzende Rohrer und Weigele.
Aber nicht nur orale Kontrazeptiva, auch andere Verhütungsmittel des Leverkusener Multis haben es in sich. Von den Risiken und Nebenwirkungen der Hormon-Spirale MIRENA legte eine Geschädigte aus Berlin Zeugnis ab: „Die meisten klagen über Haarausfall, Akne, Zysten, Gewichtszunahme, Libido-Verlust, Depression und Panikattacken.
Gemeinsam ist vielen dieser MIRENA-Betroffenen, dass sie jahrelang unter vielen Nebenwirkungen gelitten und einen regelrechten Ärzte-Marathon hinter sich gebracht haben. Dabei hieß die Ursache ihrer Beschwerden ganz einfach: MIRENA. Herr Dr. Dekkers, was sagen Sie diesen Frauen? Dass sie einfach Pech hatten?“ Er sagte ihnen etwas anderes, aber ebenso wenig Sachdienliches. „In Zusammenarbeit mit den Behörden werden die wissenschaftlichen Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit von MIRENA fortlaufend kontrolliert und bewertet. Danach gibt es keinen Zweifel am positiven Nutzen/Risiko-Profil dieses Produktes“, so der Niederländer. Und dann bemerkte er noch achselzuckend, es sei eben nicht jedes Mittel für jede Frau geeignet.
Definitiv für gar keine Frau geeignet war der hormonelle Schwangerschaftstest DUOGYNON bzw. PRIMODOS. Das Produkt der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Todgeburten geführt. Darüber hinaus kamen bis zum Vermarktungsstopp in den 1970er Jahren unzählige Kinder mit schweren Missbildungen zur Welt. „Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, ihr Kind mit von PRIMODOS verursachten Schmerzen und Jahre andauernden Krankheiten aufwachsen zu sehen“, fragte deshalb die Engländerin Valerie Williams die AktionärInnen in ihrer Rede, deren Übersetzung Peter Noquet vortrug. Für das Leid, welches das Unternehmen ihrem Sohn und ihr zugefügt hat, verlangte die Rentnerin eine Entschuldigung. Zudem erhob sie Anspruch auf Schmerzensgeld.
Andre Sommer formulierte ebenfalls Forderungen. „Stellen Sie sich endlich Gesprächen. Lassen Sie uns das Thema endlich beenden!“, appellierte er an den Vorstand. Der Lehrer, der sich als PRIMODOS-Spätfolge noch im letzten Jahr einer Magen-Operation unterziehen musste, prozessierte sogar schon gegen BAYER. Aber das Landgericht Berlin hatte seine Klage auf Herausgabe von PRIMODOS-Dokumenten abgewiesen. „Verjährt“ lautete das Urteil von 2012, das Sommer nicht akzeptieren kann. „Glauben Sie, dass meine Grunderkrankung für mich jemals verjährt?“, wollte er von den Managern wissen und erinnerte diese noch einmal an die Richter-Worte: Es gibt einen Unterschied zwischen Recht und Moral. Ein Weltkonzern wie BAYER sollte den Dialog suchen, da kann ich Sie nur ermahnen!“
Für diesen Dialog setzte sich auch Peter Noquet ein, den das Schicksal von Valerie Williams dazu bewogen hatte, noch eine eigene Rede zum Thema „Schwangerschaftstests“ zu halten. Er erinnerte Marijn Dekkers an den Firmen-Slogan „Responsible Care“ und fragte Vorstand und Aufsichtsrat, ob darin nicht auch eine Verpflichtung läge, den Geschädigten zu helfen, wenn sich ein Medikament als gefährlich erwiesen hätte. Margret-Rose Pyka vermochte ebenfalls nicht mehr länger tatenlos mit ansehen, wie BAYER Valerie Williams und andere Betroffene Jahr für Jahr erneut abkanzelt und schritt deshalb zum Mikrofon. Sie bezeichnete es als verantwortungslos, trotz früher Warnhinweise lange an den gesundheitsgefährdenden Arzneien festgehalten zu haben und alle Informationen zu den Hormon-Präparaten unter Verschluss zu halten. „Wann bitten Sie um Verzeihung, dass Sie das Vertrauen, das Ihre Firma so groß gemacht hat, missbrauchen“, fragte Sie Marijn Dekkers zum Abschluss. Doch zu einer solchen Geste war der Holländer nicht bereit. Er drückte nur kurz sein Bedauern über das persönliche Schicksal der Betroffenen aus, um dann ungerührt die Textbausteine zur Entlastung des Schwangerschaftstests aneinanderzureihen.
All die auf der Hauptversammlung inkriminierten Medikamente von DUOGYNON bis YASMIN haben vor ihrer Zulassung Tierversuche durchlaufen. Für Silke Bitz von ÄRZTE GEGEN TIERVERSUCHE ließ das nur eine Schlussfolgerung zu: „Wie ein neues Medikament beim Menschen wirkt, lässt sich also auf der Grundlage von Tierversuchen nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen.“ Als konkretes Beispiel erwähnte sie BAYERs Cholesterin-Senker LIPOBAY, auf dessen fatale Nebenwirkung „Muskelzerfall“ es am „Tiermodell“ keinerlei Hinweise gegeben hatte. Nicht nur aus moralischen, sondern auch aus wissenschaftlichen Gründen plädierte die Diplom-Biologin deshalb für Alternativen wie Forschungen mit menschlichen Zellsystemen, Biochips oder Computer-Simulationen. Davon wollte der BAYER-Chef allerdings nichts wissen. „Zum Nachweis der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln und anderen chemischen Verbindungen sind Tierversuche nach wie vor wissenschaftlich notwendig“, meinte er, um dann zu konzedieren: „Das schließt die intensive Suche nach anderen Methoden natürlich nicht aus.“ Ergebnisse hat dieses Bemühen, das der Konzern sich seit Jahre zugutehält, allerdings noch nicht gezeitigt. Im Geschäftsjahr 2013 lag die Zahl der Tierversuche des Multis unverändert hoch bei rund 170.000.
Bei der Entwicklung von Medikamenten kommt nach den Tierversuchen die Erprobung am Menschen. Und auch hier geht das Unternehmen wenig zimperlich vor. Mit Vorliebe verlegt er die Arznei-Tests nämlich in ärmere Länder wie Indien. Dort locken ein großes Reservoir an armen und deshalb auf Geld angewiesenen ProbandInnen, unschlagbare Preise und ein löchriges Kontrollsystem. Die Folgen führte die indische Journalistin Ruhi Kandhari der Hauptversammlung vor Augen: Zwischen 2007 und 2012 starben 2.374 Menschen für die Pharma-Industrie, davon allein 146 für BAYERs neuen Gerinnungshemmer XARELTO. Das wären alles alte und kranke Hochrisiko-Patienten gewesen, gab Dekkers Kandhari wider besseren Wissens zur Antwort, ein Zusammenhang mit dem Präparat bestehe nicht, denn: „Untersuchungen am Menschen werden bei BAYER nach strengen wissenschaftlichen und ethischen Grundsätzen durchgeführt. Das gilt weltweit für alle Länder.“ Zu diesen Grundsätzen gehörte es für den Pharma-Riesen offenbar auch, ExpertInnen bei der Abfassung von XARELTO-Gutachten die Hand zu führen. Nach dem von Kandhari zitierten Bericht einer Untersuchungskommission waren es nämlich „fast identische Kopien“. Aber Dekkers stritt die „Schreibhilfe“ einfach ab: „Unser Unternehmen hat keinen Einfluss auf die Auswahl dieser Experten oder deren Einschätzungen.“
Mit BAYERs Pharmageschäftspraxis in Indien beschäftigte sich auch Philipp Frisch von ÄRZTE OHNE GRENZEN. Weil der Global Player dort für eine Therapie mit seinem Krebs-Präparat NEXAVAR monatlich 4.200 Euro berechnen wollte, hob ein indisches Gericht das Patent auf und erlaubte einer anderen Firma, eine preisgünstige Nachahmer-Version des Mittels herzustellen. Der Konzern ging juristisch gegen die Entscheidung vor, und im Rahmen dieses Rechtsstreits rechtfertigte der Ober-BAYER die Preis-Politik des Unternehmens. „Wir haben dieses Produkt nicht für den indischen Markt entwickelt (...) Wir haben es für westliche Patienten entwickelt, die es sich auch leisten können“, sagte er. Frisch kritisierte diese Äußerung scharf: „Dekkers‘ Zitat fasst alles zusammen, was heute im globalen Gesundheitsbereich falsch läuft: Medikamente nur für Reiche, Forschung soll durch Monopolversprechen und Patente angereizt werden.“ Der BAYER-Chef jedoch rechtfertigte seine Aussage. Die Entwicklung von Krebs-Medikamenten sei nun mal leider sehr teuer, führte er aus und erläuterte: „Dabei ist es offensichtlich, dass wir dieses Geld in den reicheren westlichen Ländern verdienen müssen, die gut entwickelte Krankenversicherungssysteme haben.“ Und gut entwickelte Gesetze zum „Schutz des geistigen Eigentums“, welche die Monopol-Gewinne garantieren. „Wenn aber der Patentschutz in Frage gestellt wird, kann das Geschäftsmodell nicht mehr funktionieren“, meinte Dekkers deshalb. Wenn jedoch dieses Geschäftsmodell funktioniert, dafür aber die Versorgung ärmerer Länder mit Medikamenten in Frage steht, wie es zur Zeit der Fall ist, dann helfen dem Holländer zufolge nur milde Gaben in Form von speziellen Arznei-Zugangsprogrammen.

Sterben wie die Bienen
Großen Raum auf der Hauptversammlung nahm auch das Thema „Bienensterben“ ein. Gleich vier RednerInnen widmeten sich dieser Nebenwirkung der BAYER-Pestizide PONCHO und GAUCHO aus der Gruppe der Neonicotinoide. „Es gibt keine Zukunft ohne Bienen“, hielt Anne Isakowitsch von der Initiative SumOfUs fest und erläuterte den Grund: „Jeder dritte Bissen Essen, den wir zu uns nehmen, hängt von der Arbeit von Bienen ab. Das weltweite Bienensterben gefährdet unser Überleben und das unserer Kinder.“ Eigentlich müsste ein Konzern, der sich zur Nachhaltigkeit bekennt und wirtschaftliches Wachstum mit ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung in Einklang bringen will, diese Entwicklung stoppen“, meinte die Aktivistin, was BAYER aber nicht tue. „Im Fall der bienentötenden Pestizide scheint Profit ganz klar wichtiger zu sein als diese Prinzipien“, konstatierte Isakowitsch, die nicht nur redete, sondern auch handelte. Sie übergab dem Vorstand eine Petition mit 600.000 Unterschriften zum Vermarktungsstopp von PONCHO & Co. GREENPEACE verband ebenfalls Wort und Tat. Hatte die Umwelt-Organisation Mitte April noch vor der Konzern-Zentrale gegen die Ackergifte des Multis protestiert und ein riesiges Transparent vom Vordach heruntergelassen, auf dem die Bienen selber fordern: „Stop killing us“, so erläuterte Dirk Zimmermann den AktionärInnen noch einmal genau die Motive für die Aktion. Die Initiative hatte nämlich jüngst eine Untersuchung über die Agro-Chemikalien durchgeführt und damit dem Belastungsmaterial noch weiteren Stoff hinzufügt. „Wir haben festgestellt, dass Pollen, der Bienen und ihrer Brut direkt als Nahrung dient, zum Teil mit bedenklichen Pestizid-Cocktails belastet war“, so Zimmermann.
BAYER hingegen gibt als Erklärung für das Massensterben stets die Varroa-Milbe und unprofessionelles Verhalten der BienenzüchterInnen an. Deshalb fragte Roger Dammé von der Europäischen ImkerInnen-Vereinigung BEE LIFE den Vorstand: „Wenn Imker und Bienenkrankheiten die Hauptschuldigen am Bienensterben sein sollen: Wie bitte erklären Sie sich dann den gleichzeitigen Rückgang von Schmetterlingen und anderen bestäubenden Insekten?“ Darüber hinaus wies Dammé auf Forschungen des „EU-Referenzlabors zur Bienengesundheit“ hin, die ebenfalls Parasiten-Befall als alleinige Ursache ausschlossen. Mit den mahnenden Worten: „Die Gesundheit der Honigbienen und anderer Insekten ist das Thermometer einer nachhaltigen Landwirtschaft. Im Moment steht das Thermometer auf Fieber.
Die aktuelle Ausrichtung des BAYER-Konzerns ist ein Teil des Problems“ beendete er seine Ausführungen.
Sogar die EU hat den Agro-Riesen als einen Teil des Problems ausgemacht und im Dezember 2013 die Ausbringung der Neonicotinoide auf bestimmten Kulturen für zunächst zwei Jahre untersagt. Aber BAYER zeigte sich weiter uneinsichtig. In Tateinheit mit SYNGENTA ging der Global Player gerichtlich gegen die Entscheidung vor. Wie Zimmermann, Isakowitsch und Dammé erboste diese Reaktion auch Christoph Koch vom deutschen „Berufs- und Erwerbsimkerbundes“ maßlos. „Was wollen Sie damit bezwecken?“ fragte er Dekkers & Co. und warnte: „Das wird ein Nachspiel geben von einer Dimension, wie es der Konzern in Fragen des Bienenschutzes noch nicht erlebt hat!“ Doch der Vorstandsvorsitzende legitimierte das Vorgehen gegenüber den kritischen AktionärInnen. Weil der Leverkusener Multi durch das vorübergehende Verbot die Rechtssicherheit von Pestizid-Zulassungen zur Disposition gestellt sah, habe er den Rechtsweg bestritten, so Dekkers. Und auch in der Sache zeigte er sich uneinsichtig. Alle möglichen Ursachen nannte der BAYER-Chef für das Bienensterben, die durch die Varroa-Milbe ausgelösten Gesundheitsstörungen, Umwelt- und Klima-Einflüsse und die Struktur-Veränderungen in der Landwirtschaft, nur eine nicht: die Neonicotinoide. „Die praktische Erfahrung sowie die wissenschaftliche Daten-Lage zeigen, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die Entwicklung von Bienenvölkern haben, wenn die Produkte verantwortungsvoll und vorschriftsmäßig eingesetzt werden“, antwortete er den Gegen-RednerInnen.

Diese Produkte und die Genpflanzen im Angebot haben BAYER CROPSCIENCE zu einem der weltgrößten Agro-Unternehmen aufsteigen lassen. Konkurrenz herrscht in dem Segment kaum. BAYER, MONSANTO, SYNGENTA, DUPONT und DOW kommen sich nicht groß ins Gehege und verfolgen eine gemeinsame Politik, wie Olivia Tawiah darlegte. „Das Ziel dieses Oligopols ist ganz eindeutig, den Markt unter sich aufzuteilen, Preise und politische Rahmenbedingungen zu diktieren und letztlich die Ernährungsgrundlagen der Menschheit zu kontrollieren“, stellte die in der „Transition Town“-Bewegung aktive Frau fest und machte die Patente als zentrales Mittel zu diesem Zweck aus. Nicht weniger als 206 hält der Leverkusener Multi auf Mais, Weizen, Reis, Gerste, Baumwolle, Soja und sogar auf genmanipulierte Bäume, informierte die Düsseldorferin und wunderte sich: „Patente haben für mich immer etwas zu tun gehabt mit Erfindungen, die Menschen mit ihrer Phantasie und ihrem Wissen entwickelt haben und sind eng verknüpft mit dem Begriff der Originalität.
Patente auf Lebewesen jeglicher Art, die die Natur hervorbringt, gehören nach meinem Empfinden nicht dazu.
Die Natur ist lange vor BAYER und allen anderen Chemie-Konzernen entstanden.“ Noch mehr wunderte sie, dass es trotz all dieser Patente beim Global Player mit gegen Glufosinat und Glyphosat resistenten sowie mit dem Bacillus thuringiensis bestückten Pflanzen nur zwei Gentech-Varianten gibt, die noch dazu massive Risiken und Nebenwirkungen aufweisen. „Wegen der Gefahren für Mensch und Umwelt müssten Glufosinat und Glyphosat nach Ansicht von Umweltschützern sofort vom Markt genommen werden.
Darüber hinaus sind beide Techniken wegen der zunehmenden Resistenzbildung allenfalls noch ein paar Jahre wirksam und daher kaum zukunftstauglich“, ließ Tawiah wissen. Da gab sich auch Marijn Dekkers ratlos: „Schaderreger haben stets das Potenzial zu Resistenz-Bildung gegen Pflanzenschutzmittel (...) Es ist eine evolutionäre Eigenschaft der Lebewesen und dient ihrer Arterhaltung.“

CO & Co.
Unabdingbar für BAYERs Arterhaltung ist für ihn die Kohlenmonoxid-Pipeline, deren Gefahren-Potenzial gleich mehrere Redner aufbrachte. Als würden die bisher auf den Hauptversammlungen geäußerten Vorbehalte gegen die von Krefeld nach Dormagen verlaufende Giftgas-Leitung noch nicht ausreichen, trug Dieter Donner von der Initiative STOPP-CO-PIPELINE neue Argumente vor. Er setzte die Aktien-HalterInnen von dem Gutachten des „Bielefelder Instituts für Umweltanalyse“ in Kenntnis, wonach es eine - sogar um 60 Prozent kostengünstigere – technische Alternative zum Röhrenverbund gibt. Desweiteren informierte er über eklatante Mängel bei der vom Global Player schon lange betriebenen CO-Pipeline zwischen Leverkusen und Dormagen, die der Bezirksregierung 2007 bei ihrer Baugenehmigung für die neue Verbindung als „Referenz-Leitung“ diente. „Rostige Schwindsucht“ hat diese laut Donner befallen. An einigen Stellen hat die Korrosion die Rohrwände schon fast bis zur Hälfte durchdrungen, bekundete er.
Der Kinderarzt im Ruhestand Gottfried Arnold, der unter seinen KollegInnen 460 Unterschriften gegen das BAYER-Projekt gesammelt hat, problematisierte vor allem die mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen. So beanstandete er die unzureichenden Vorrichtungen zur Erkennung von Lecks und wies auf die Nicht-Existenz eines mit allen AkteurInnen abgestimmten Alarm- und Gefahrenabwehrplanes hin. Zudem führte der Mediziner plastisch vor Augen, wie wenig die Feuerwehr im Falle eines GAUs ausrichten könnte, da das Kohlenmonoxid seine giftige Wirkung in Sekundenschnelle entfaltet und es überdies gar keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten gibt. Gerade einmal zwei Plätze in einer Sauerstoff-Überdruckkammer mit 24-Stunden-Dienst hält die Universität Düsseldorf laut Arnold für ganz Nordrhein-Westfalen bereit.
Rainer Kalbe von STOPP-CO-PIPELINE schließlich sah der Rohrleitung durch die neue Kunststoff-Anlage in Dormagen die Geschäftsgrundlage entzogen. Da die Produktionsstätte CO für die Fertigung benötigt, gibt es am Standort nämlich gar keinen Überschuss mehr, der nach Krefeld geleitet werden müsste, womit BAYER das Projekt einst begründet hatte. Ein Grund mehr für Kalbe, die Pipeline auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen: „Denn da gehört sie auch hin und nicht in die Vorgärten.“ Eine starre Fixierung auf Profit-Maximierung warf der Aktivist dem Unternehmen vor und prophezeite: „So wird der Konzern keine Zukunft haben.“ Er müsse vielmehr endlich einsehen, dass er mit den Menschen leben müsse und nicht gegen sie, mahnte Kalbe.
Dazu machte der Pharma-Riese allerdings keine Anstalten. Marijn Dekkers ignorierte alle Einwände gegen die Giftgas-Leitung. Auch wenn in Dormagen kein zusätzliches Kohlenmonoxid mehr anfalle und der Standort Krefeld/Uerdingen überdies selber CO erzeuge, bleibe das Röhren-Werk unverzichtbar, so der Ober-BAYER. Nur auf diese Weise könne nämlich die Niederlassung am Niederrhein in die CO-Verbundstruktur einbezogen werden, was allein die Versorgungssicherheit garantiere, erklärte der Vorstandsvorsitzende. Dieses nicht berücksichtigt zu haben, warf er auch dem von Dieter Donner zitierten Gutachten vor. Es hatte für Dekkers jedoch noch weitere Mängel; den größten Kritikpunkt stellten dabei die Umstände seines Entstehens dar. „Schon bei der Ankündigung, dass es durch das Umweltministerium in Auftrag gegeben wird, hatte BAYER deutlich gemacht, dass das Unternehmen es nicht für erforderlich hält“, ließ der Niederländer den Saal wissen. Und Risiken gingen von der Pipeline schon mal gar keine aus: „Wir haben ein Sicherheitskonzept entwickelt, das Maßstäbe setzt“. Das Rost ansetzende Sicherheitskonzept der zwischen Leverkusen und Dormagen schon betriebenen Kohlenmonoxid-Leitung verteidigte er ebenfalls. Der Korrosionsschutz sei gewährleistet, alles werde ständig kontrolliert und Leckagen oder andere Störungen wären seit der Inbetriebnahme im Jahr 2002 nicht aufgetreten, vermeldete Marijn Dekkers. Zur Beglaubigung berief er sich auf den TÜV. Dass dieser bei Untersuchungen jedoch schon auf „gravierende externe Materialverluste“ gestoßen war, verschwieg der BAYER-Boss dezent.
Einen weiteren gefährlichen Stoff setzte Helmut Röscheisen, der Generalsekretär des DEUTSCHEN NATURSCHUTZRINGS, auf die Tagesordnung: PCB. Die polychlorierten Biphenyle können das Nerven-, Immun- und Hormonsystem schädigen und Krebs erzeugen – und sie können das eine ganze Weile tun. Da PCB ein Abkömmling der Chlorchemie und entsprechend stabil sind, halten sie sich sehr lange in der Umwelt. Aus diesem Grund sorgt die Substanz trotz des bereits 1989 erfolgten Verbotes immer noch für Gesundheitsgefährdungen. BAYER hat daran nach Meinung von Helmut Röscheisen einen großen Anteil. Der Leverkusener Multi gehörte neben MONSANTO nämlich zu den Hauptproduzenten dieser Chemikalie. Allein 20.000 Tonnen PCB für Fugenverdichtungsmassen hat er nach Angabe des Naturschützers produziert, und diese gasen – verbaut in Schulen, Universitäten und Kindergärten – fleißig aus. Darum stellte er dem Vorstand nur eine einfache Frage: „Ist die BAYER AG bereit, für eine Inventarisierung und Beseitigung der PCB-Belastungen im Baubereich finanzielle Mittel bereitzustellen?“
Dazu war der Konzern nicht bereit. „Die Sanierung belasteter Gebäude liegt nicht in unserer Verantwortung“, antwortete Marijn Dekkers Helmut Röscheisen. Mit der Einstellung der Produktion schon vor dem gesetzlichen PCB-Verbot in Deutschland im Jahr 1989 sei der Multi „seiner Verantwortung für die Sicherheit von Mensch und Umwelt gerecht geworden“, vermeinte der große Vorsitzende.
Auch Verantwortung für das Klima zeigt das Unternehmen nach Ansicht des BAYER-Chefs, obwohl die nackten Zahlen dem widersprechen, wie der Verfasser dieses Textes in seiner Rede skizzierte. So hat der Agro-Riese 2013 mehr klima-schädigendes Kohlendioxid ausgestoßen als 2012. Auf sage und schreibe 8,36 Millionen Tonnen beläuft sich der Wert, was vor allem dem hohen Kohle-Anteil am Energie-Mix geschuldet ist. Während dieser sich auf fast ein Drittel beläuft, kommen die Erneuerbaren Energien nicht über 0,7 Prozent hinaus. Auf die konkrete Frage Jan Pehrkes, ob der Konzern daran denke, die Kohle-Verstromung zu reduzieren, antwortete der Vorstandsvorsitzende ausweichend: „Generell sind wir daran interessiert, den Energie-Verbrauch so gering wie möglich zu halten und idealerweise zu senken, sowohl aus ökologischen als auch aus ökonomischen Gründen.“
Und in puncto „Erneuerbaren Energien“ generalisierte er ebenfalls. „Generell ist es unser Ziel, den Anteil regenerierbarer Energie an unserer Strom-Versorgung langfristig zu erhöhen. Ob und in welchem Ausmaß uns das gelingt, ist allerdings abhängig von der Verfügbarkeit dieser Energien und der Entwicklung unseres Energiebedarfs“, so Dekkers.
Während Pehrke und die anderen Gegen-RednerInnen dem Leverkusener Multi die Schadensbilanz für 2013 vorlegten, ging CBG-Vorstand Axel Köhler-Schnura im Gedenkjahr 2014 weit zurück in die Vergangenheit, um am Beispiel von BAYERs Wirken im Ersten Weltkrieg die Kontinuität der Kapital-Verbrechen deutlich zu machen. So bejubelte der damalige Generaldirektor Carl Duisberg Köhler-Schnura zufolge den Waffengang, weil dieser die Geschäfte antrieb. Mit den Worten: „Sähen Sie jetzt einmal, (...) wie wir fast nichts mehr als Kriegslieferungen ausführen (...), so würden Sie Ihre helle Freude haben“, zitierte er Duisberg. Das über Deutschland verhängte Embargo verhinderte Einfuhren aus dem Ausland und verhalf dem Chemie-Multi so zu einer privilegierten Stellung. Auch zu billigen Arbeitskräfte kam der Konzern ab 1916. Er legte schon im Ersten Weltkrieg das Fundament für das erst im Zweiten Weltkrieg in aller Brutalität exekutierte ZwangsarbeiterInnen-System und ließ 60.000 BelgierInnen nach Deutschland verbringen. Wegen solcher „Standort-Vorteile“ setzte BAYER alles daran, den Krieg zu forcieren. Und er trug wesentlich mit dazu bei, ihm die bis dahin schrecklichste Waffe zu liefern: das Kampfgas. „Weshalb entzieht sich BAYER der Auseinandersetzung mit seiner Verantwortung in diesem Zusammenhang?“, fragte Kohler-Schnura deshalb. Aber er stieß beim Vorstand nur auf taube Ohren. Dekkers bekundete zunächst, BAYER habe Duisbergs Rolle im Ersten Weltkrieg umfassend aufgearbeitet, um dann übelsten Geschichtsrevisionismus zu treiben und eine Ehrenrettung des ehemaligen Generaldirektors vorzunehmen. „Die historischen Verdienste Carl Duisbergs sind weithin anerkannt. Er ließ Wohnungen für die Arbeiter bauen, verringerte deren wöchentliche Arbeitszeit, er führte soziale Versicherungssysteme ein und setzte sich für den Umweltschutz ein, lange bevor es gesetzliche Regelungen dazu gab“, dozierte er.

Damit erreichte die BAYER-Ignoranz an diesem Tag ihren traurigen Höhepunkt. Er werden wohl noch mehr AktivistInnen und Gegen-RednerInnen nötig sein, damit der Global Player eines Besseren belehrt wird. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN arbeitet bereits daran.

Xarelto

CBG Redaktion

28. Mai 2014

neuer Arzneimittelreport

Xarelto: hohe Kosten, mehr Nebenwirkungen

Die Barmer Ersatzkasse veröffentlichte heute den neuen Arzneimittelreport. Die Autor/innen beschäftigen sich darin ausführlich mit dem neuen Gerinnungshemmer Xarelto von BAYER, der zum Schutz vor einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall eingesetzt wird.

Seit Jahrzehnten gibt es für diesen Zweck bewährte Präparate wie Marcumar. Unbestritten ist, dass Xarelto (Wirkstoff Rivaroxaban) die Anwendung für die Patienten erleichtert, weil bestimmte Untersuchungen nicht mehr nötig sind. Doch es birgt auch Risiken. Denn im Gegensatz zu den bisherigen Präparaten fehlt bisher noch ein Gegenmittel, um unerwünschte Blutungen zu stillen. Eine mitunter tödliche Gefahr. Denn tatsächlich werden zunehmend Probleme mit Xarelto gemeldet: das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte registrierte 2013 insgesamt 133 Meldungen über „tödliche Verläufe“ und 1400 Meldungen über schwere Nebenwirkungen. Obwohl ein Kausalzusammenhang noch nicht bestätigt werden könne, habe man es mit einem problematischen Arzneimittel zu tun, so Studienautor Gerd Glaeske.

Kosten für die Krankenkassen verdreifacht
Doch Bayer hat mit einem intensiven Marketing dafür gesorgt, dass die Verordnungsfreudigkeit der Mediziner nicht etwa sinkt. Im Gegenteil: Laut Glaeske stiegen die Ausgaben für Xarelto in Deutschland von 93 Millionen Euro in 2012 auf 282 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Das entspricht einer Verdreifachung. Abgesehen von den möglichen Problemen für die Patienten hat diese Entwicklung auch Folgen für die Krankenkassen. Denn Xarelto ist mehr als zehn Mal teurer als die herkömmlichen Wirkstoffe. Obwohl auf das Bayer-Produkt bisher nur 18 Prozent aller Verordnungen entfallen, entstehen hier bereits 63 Prozent aller Kosten in diesem Arzneimittelsegment. Zum Vergleich: Marcumar hat bei Verordnungen einen Anteil von 75 Prozent, bei den Kosten aber nur einen von 13 Prozent.
Wäre das Bayer-Präparat erst nach 2011 auf den Markt gekommen, dann hätte es dank einer Gesetzesänderung eine umfangreiche Kosten-Nutzen-Bewertung des Medikamentes gegeben, bei der auch das Risiko eine Rolle gespielt hätte. Eigentlich war geplant, diese Bewertung schrittweise auf alle Medikamente auszudehnen, die bereits auf dem Markt sind. Doch das wurde von der großen Koalition gestoppt.
Das erschien zunächst wie eine pragmatische Lösung, schließlich ist diese Bewertung extrem aufwendig und klageanfällig. Doch das Beispiel Xarelto zeigt, dass der Verzicht zu Lasten der Patientensicherheit und der Krankenversicherungen gehen kann. Die Koalition sollte daher ihre Entscheidung überdenken und einen gangbaren Weg suchen, um die Patienten zu schützen und die Ausgaben der Krankenkassen zu stabilisieren.

Vergleich Rivaroxaban und Dabigatran
Die beiden Wirkstoffe Rivaroxaban und Dabigatran haben in den Jahren 2012 und 2013 offenbar die Hauptrolle unter den nOAK gespielt. Apixaban als Vertreter, der als letzter auf den Markt gekommen war, konnte diesen Vorsprung in der Marktbedeutung noch nicht aufholen. Obwohl Apixaban als einziger Wirkstoff die AMNOG-Bewertung durchlief und einen Zusatznutzen belegen konnte, wurde die Zulassungserweiterung zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei NVAF erst Ende 2012 erteilt. Daher muss Apixaban hier unberücksichtigt bleiben.
Weder für Rivaroxaban (Xarelto) noch für Dabigatran (Pradaxa) sind Vorteile hinsichtlich der Wirksamkeit oder des Sicherheitsprofils nachgewiesen. Rivaroxaban (Xarelto) war mehrfach negativ in der Fach- und Laienpresse aufgefallen und steht möglicherweise im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Leberschäden und Todesfälle. Für keinen der beiden Wirkstoffe fi ndet sich eine Präferenz, weder in nationalen noch internationalen Leitlinien. Pradaxa erhielt die Zulassungserweiterung zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei NVAF ein gutes halbes Jahr früher als Xarelto. Trotzdem erzielte Xarelto schon 2012 einen deutlich besseren Ab- und Umsatz als Pradaxa und konnte diesen 2013 noch extrem steigern.

Fazit des Reports
Die Verordnungsdaten zeigen eindrucksvoll, dass neue Arzneimittel von deutschen Vertragsärzten ziemlich rasch und leider auch kritiklos angenommen werden. Die Akzeptanz eines neuen Arzneimittels scheint sich entsprechend der Marketingstrategie des Anbieters zu entwickeln, ohne den tatsächlichen Innovationswert in Frage zu stellen. Eine medikamentöse Therapie nach dem Motto „neu kann nur besser sein“ kann sich aber als ziemlich risikoreich für die Patienten entpuppen. Viele hochgelobte angebliche Arzneimittelinnovationen sind in der Vergangenheit vom Markt genommen worden, nachdem sie vielen Menschen das Leben gekostet haben (prominenteste Beispiele sind sicherlich Lipobay und Vioxx). Die nOAK, allen voran der im AMNOG-Prozess geprüfte Wirkstoff Apixaban, scheinen aber eine neue und nützliche Möglichkeit zur Behandlung von Patienten mit NVAF anzubieten. Solange aber bei Rivaroxaban und Dabigatran das Sicherheitsprofi l und das Nutzen-Schaden-Verhältnis nicht abschließend geklärt worden sind, sollten diese Wirkstoffe auch nur bei Patientinnen und Patienten eingesetzt werden, für die Vitamin-K-Antagonisten keine Option darstellen. Ein so breiter Einsatz, wie er sich momentan in Deutschland darstellt, ist durch die gegenwärtige Evidenz für die neuen Präparate nicht gerechtfertigt, er dient sicherlich vorrangig dem Umsatz der Pharmaindustrie und nicht der Sicherheit und der Gesundheit der Versicherten.

weitere Infos zu Xarelto

Wolfgang Plischke

CBG Redaktion

Presse Information vom 30. April 2014

Verabschiedung von BAYER-Vorstandsmitglied Wolfgang Plischke

„Management geht notfalls über Leichen“

Auf der gestrigen Hauptversammlung der BAYER AG wurde das Vorstandsmitglied Wolfgang Plischke mit warmen Worten verabschiedet. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren erinnert zu diesem Anlass an zwei Stationen aus Plischkes Karriere:

Im Jahr 1996 entschuldigte sich die japanische BAYER-Tochterfirma Bayer Yakuhin bei den Opfern HIV-verseuchter Blutpräparate. Wörtlich hieß es in der damaligen Erklärung des Konzerns: Wir „fühlen uns für die Schäden der HIV-infizierten Bluterkranken tief verantwortlich” und wir „entschuldigen uns von Herzen, den Opfern sowohl physisch wie psychisch großen Schaden zugefügt zu haben.” Zudem wurde eine Entschädigungslösung vereinbart, die weit über den Regelungen in Europa oder den USA lag. Geschäftsführer von Bayer Yakuhin zu diesem Zeitpunkt war Wolfgang Plischke.

Gegenüber europäischen oder amerikanischen Opfern hat BAYER eine Entschuldigung jedoch stets abgelehnt. Hierzu Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Wir kooperieren eng mit infizierten Blutern und wissen daher, dass für viele von ihnen eine Entschuldigung von großer Bedeutung ist. Es würde von menschlicher Größe zeugen, wenn Wolfgang Plischke seinen heutigen Abschied nützen würde, für die Betroffenen hierzulande ähnliche Worte zu finden wie damals in Japan.“

Nach seiner Station in Japan wurde Plischke Leiter der US-amerikanischen Pharma-Sparte von BAYER. In den USA lagen BAYER ab 1999 zahlreiche Berichte über schwere Nebenwirkungen von Lipobay vor. Insbesondere bewirkte die Einnahme des Cholesterin-Senkers einen Muskelzerfall (sog. Rhabdomyolyse), die zu Nierenversagen führen kann. BAYER verkaufte zu diesem Zeitpunkt Lipobay mit einer Konzentration von 0,3 mg pro Tablette. Obwohl die Nebenwirkungen schon mit dieser relativ niedrigen Konzentration weit gravierender waren als bei Konkurrenz-Präparaten, wurde in den USA im Jahr 2000 Lipobay mit einer Konzentration von 0,8 mg auf den Markt gebracht.

Sogar Wissenschaftler von BAYER warnten das Management vor diesem Schritt. Interne Papiere, die von US-Gerichten später veröffentlicht wurden, zeigen, dass der Geschäftsleitung unter Wolfgang Plischke die Warnungen im Detail bekannt waren. Sie setzte sich jedoch bewusst darüber hinweg. Die Mehrzahl der Todesfälle erfolgte durch Tabletten mit der Konzentration von 0,8 mg. Im August 2001 schließlich wurde Lipobay vom Markt genommen. BAYER leistete Vergleichs-Zahlungen von über einer Milliarde Euro.

Philipp Mimkes ergänzt: „Die Zahlungen machen die Toten nicht wieder lebendig. Insofern ist Lipobay eines der vielen Beispiele einer Vermarktung von Pharmazeutika, die notfalls über Leichen geht. Einer der Protagonisten dieses Prinzips heißt Wolfgang Plischke.“
In zwei Jahren soll Plischke in den Aufsichtsrat von BAYER aufgenommen werden.

[Tierversuche] Hauptversammlung 2014

CBG Redaktion

Zur Hauptversammlung von BAYER, 29. April 2014

Mein Name ist Silke Bitz, ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin der bundesweiten Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche. Unsere Ärztevereinigung setzt sich seit Jahrzehnten für eine tierversuchsfreie Medizin ein. Sie ist ein Zusammenschluss aus 1.500 Ärzten, Tierärzten, Naturwissenschaftlern und Psychologen. Unsere Kompetenz liegt daher in der wissenschaftlich fundierten Argumentation für eine moderne, humane Forschung und Wissenschaft, die nur ohne Tierversuche erreicht werden kann, da diese den medizinischen Fortschritt aufhalten.
Im Jahr 2012 mussten in den Laboren von BAYER 147.315 Mäuse, Ratten, Hunde, Katzen und andere Tiere ihr Leben für eine fragwürdige Forschung lassen. Damit werden in Deutschland rund fünf Prozent der bundesweit jährlich 3,1 Millionen Tiere in den Laboren von BAYER zu Tode geforscht. Hinzu kommen 23.282 Tiere, die für BAYER eigenen Angaben zufolge in externen Auftragslaboren sterben. Dabei hat BAYER wiederholt mit umstrittenen Tierversuchslaboren wie Professional Laboratory and Research Services (PLRS) und Huntingdon Life Sciences (HLS), die für tierquälerische Methoden bekannt sind, kooperiert.

Ich frage Sie: Wie viele Tiere mussten 2013 für Bayer leiden und sterben?
Mit welchen Auftragslaboren arbeitet BAYER aktuell zusammen?

Den Menschen wird suggeriert, die Pharmariesen würden ihre Produkte auf den Markt bringen, um uns Menschen von Krankheiten zu heilen. Tatsächlich jedoch ist das vorrangige Interesse das Einfahren großer Gewinne in möglichst kurzer Zeit. Dabei schrecken die Konzerne auch vor skrupellosen PR-Maßnahmen nicht zurück. So wird den Verbrauchern in Zeitschriften wie beispielsweise der Apotheken Umschau ein scheinbar gut recherchierter, mit Aussagen von Wissenschaftlern untermauerter Bericht über die angeblich positive Wirkung eines Phantasie-Medikaments präsentiert. Von ZDF Frontal 21 versteckt gefilmte Aufnahmen von Verhandlungsgesprächen zwischen Presse- und Pharmavertretern brachten diese schockierenden Machenschaften ins Licht der Öffentlichkeit. Sie zeigen auf, wie Pharmavertreter systematisch Ärzte, Politiker und die Medien kaufen und die Verzweiflung von Hilfe suchenden Patienten gnadenlos ausnutzen. Trotz Kenntnis über schwere Nebenwirkungen werden mit allen Mitteln Medikamente auf den Markt gebracht und so lange wie möglich dort gehalten.

Wie in der Branche üblich, verschweigt auch BAYER gern schädliche Nebenwirkungen seiner Pharmaprodukte. So kam es beim als Schwangerschaftstest eingesetzten Hormonpräparat Duogynon des Berliner Unternehmens Schering, das heute zu BAYER gehört, verstärkt zu Fehlgeburten und schweren Missbildungen von Kindern. Aus internen Dokumenten geht hervor, dass dem Unternehmen die fatalen Nebenwirkungen bereits seit 1967 bekannt waren. Das Bundesgesundheitsministerium sprach erst 1978 eine offizielle Warnung aus, das Medikament wurde bis 1980 verkauft.

Beim Gerinnungshemmer Xarelto von der Firma BAYER registrierte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im vergangenen Jahr rund 1400 Meldungen über schwere Nebenwirkungen wie Blutungen oder Leberschäden sowie 133 Todesfälle. BAYER hatte in den eingereichten Dokumenten mindestens zwei Todesfälle verschwiegen. Tierversuche haben auch in diesem Fall nicht zur Sicherheit des Präparats beigetragen.

Wie ein neues Medikament beim Menschen wirkt, lässt sich also auf der Grundlage von Tierversuchen nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen. Dass man sich trotz dieser Unsicherheit auf Tierversuche verlässt, hat fatale Folgen. Allein in Deutschland sterben einer Studie der Medizinischen Hochschule Hannover zufolge jährlich 58.000 Menschen an den Folgen von Arzneimittelnebenwirkungen. Und immer wieder werden Medikamente, die aufgrund von Tierversuchen als sicher befunden wurden, wegen schwerer, oft sogar tödlicher Nebenwirkungen vom Markt genommen oder erreichen die Apotheken gar nicht erst.

Untersuchungen der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) ergaben, dass 92 Prozent der potenziellen Medikamente, die sich im Tierversuch als wirksam und sicher erwiesen haben, nicht durch die klinische Prüfung kommen – beim Menschen zeigt sich entweder gar keine oder aber eine unerwünschte Wirkung. Das „Tiermodell“ bietet damit also keine objektive Sicherheit, sondern kann lediglich als Glücksspiel betrachtet werden, das im schlimmsten Fall nicht nur für die Tiere tödlich endet, sondern auch für Menschen.

Wie alle Medikamente, wurde auch der LIPOBAY-Wirkstoff Cerivastatin vor seiner Marktzulassung ausführlich getestet. In einer Reihe von Tierversuchen wurde zunächst die Cholesterin-Spiegel senkende Wirkung untersucht. An Ratten, Mäusen und Hunden wurde die Verstoffwechslung und Ausscheidung der Substanz im Körper getestet. Die Mäuse erhielten dazu radioaktiv markiertes Cerivastatin und in bestimmten Zeitabständen wurden Urin-, Blut-, Galle- und Leberproben entnommen. Das Blut wurde aus dem Venengeflecht hinter dem Auge oder durch Ausbluten durch einen Schnitt in die Halsschlagader gewonnen. Für die Entnahme von Leberproben wurden die Tiere betäubt oder getötet. Um die Galle zu gewinnen, wurden Katheter in die Gallengänge einoperiert. Weitere Studien führte BAYER mit frisch gewonnener Galle von Hunden und Ratten durch.

Dann folgten umfangreiche Tierversuche zum Nachweis der Unbedenklichkeit : Hierfür bekamen Affen, Hunde, Minischweine, Ratten und Mäuse die Substanz in verschiedenen Dosierungen über eine direkt in den Magen führende Schlundsonde verabreicht. An Ratten und Kaninchen wurde der Einfluss auf die Fruchtbarkeit und auf die Embryo-Entwicklung während der Schwangerschaft und mögliche Folgeschäden nach der Geburt untersucht. Ratten und Mäuse erhielten das Medikament vor oder während der Schwangerschaft. Einige Zeit später wurden sie getötet, um eventuelle Schäden am Erbgut zu untersuchen. Zur Untersuchung krebserregender Eigenschaften erhielten Ratten und Mäuse die Substanz, um sie später zu Untersuchungszwecken zu töten.

In den Tierversuchen hatten sich zwar einige Nebenwirkungen gezeigt, doch waren diese anders als die, die sich später beim Menschen einstellten. Die Patienten litten an Rhabdomyolyse, einem tödlich verlaufenden Muskelzerfall. Bei einigen Tierarten waren nur leichte Muskelschäden und auch nur bei hohen Dosierungen aufgetreten, stattdessen waren bei ihnen Magenblutungen und Augenschäden zu verzeichnen. Die Auswirkungen des Medikaments auf den Menschen konnten im Tierversuch also nicht erkannt werden.

Lipobay kam 1997 auf den Markt. Bereits 1998 wurde in Deutschland der erste Todesfall gemeldet, kurze Zeit später folgten weitere. Erst 2001 wurde das Medikament vom Markt genommen.

Im Gegensatz zum Tierversuch liefert die Forschung mit menschlichen Zellsystemen, Biochips und Computersimulationen für den Menschen relevante Ergebnisse. Dem Profit des Konzerns BAYER würde ein Verbot von Tierversuchen keinen Abbruch tun, da tierversuchsfreie Methoden nicht nur zuverlässiger, sondern auch schneller und kostengünstiger sind als Tierversuche.

Ich frage Sie: Den Tod von wie vielen Tieren und Menschen will BAYER noch verschulden?

Welchen Anteil hat die tierversuchsfreie Forschung in den Laboren von BAYER?

Wann wird BAYER seinen politischen Einfluss dahingehend nutzen, eine moderne, tierversuchsfreie Forschung zu etablieren, um damit Menschen bestmöglich vor schädlichen Chemikalien und Medikamentenskandalen zu schützen und Tieren einen qualvollen Tod zu ersparen?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Das Pharma-Kartell – Wie wir als Patienten betrogen werden, ZDF Frontal 21, Sendung vom 09.12.2008
Vertuschte Nebenwirkungen? Opfer klagen, ZDF Frontal 21, Sendung vom 3.7.2012
Schnurrer J.U, Frölich J.C. (2003): Zur Häufigkeit und Vermeidbarkeit von tödlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Der Internist, 44: 889-895
U.S. Food and Drug Administration Report (2004): Innovation or Stagnation - Challenge and Opportunity on the Critical Path to New Medical Products, S.8
Drug Metabolism and Disposition 1998, 26, 640-652
American Journal of Cardiology 1998, 82 (4B), 11J-17J

Güldenstr. 44a, 38110 Braunschweig, Tel.: 0531-60944791,
info@aerzte-gegen-tierversuche.de

[Ticker] STICHWORT BAYER 01/2014 – Ticker

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG bei Pipeline-Anhörung
Der Leverkusener Multi hatte während der Verlegung der zwischen Krefeld und Dormagen verlaufenden Kohlenmonoxid-Pipeline zahlreiche „Plananpassungen“ vorgenommen. Deshalb ordnete die Bezirksregierung Düsseldorf ein erneutes Genehmigungsverfahren mit BürgerInnen-Beteiligung an. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gehörte zu den 24.000 EinwänderInnen gegen das Projekt und nahm deshalb am 5. November 2013 in der Essener Gruga-Halle auch am Erörterungstermin teil. Schon vor Beginn der Veranstaltung protestierte die CBG mit ihrem Sensenmann gegen die Giftgas-Leitung. In der Anhörung selber drang sie darauf, im Rahmen der Prüfung des BAYER-Antrags auch den jüngsten Kohlenmonoxid-Unfall, der sich Ende September 2013 im Brunsbütteler Werk des Konzerns ereignet hatte (siehe UNFÄLLE & KATASTROPHEN), zu untersuchen. Die Bezirksregierung lehnte das allerdings ab. Und bezeichnenderweise scheute sie sich nicht, als Verfahrensachverständigen mit Christian Engel genau denselben TÜV-Gutachter zu verpflichten, der für den Global Player schon drei Entlastungsexpertisen in Sachen „Pipeline“ angefertigt hatte. Die CBG forderte seine Ablösung. „Ein Gutachter, der mehrfach im Auftrag von BAYER die Sicherheit der Pipeline beschworen hat, ist eindeutig befangen. Die Bezirksregierung muss für ein solch wichtiges Verfahren dringend einen unabhängigen Sachverständigen auswählen!“, hieß es in der entsprechenden Pressemitteilung.

Grüne wollen Sammelklagen
In den USA können Geschädigte von Industrie-Produkten gemeinsam vor Gericht ziehen und in Sammelklagen Entschädigungen erstreiten. Milliarden Dollar haben den Leverkusener Multi die GAUs um den Cholesterin-Senker LIPOBAY, die Verhütungsmittel der YASMIN-Reihe und den sich plötzlich wundersam überall verbreitenden „LL601“-Genreis deshalb schon gekostet. Aus diesem Grund versuchen die Brüsseler LobbyistInnen des Konzerns auch die Einführung eines solchen Rechtsinstituts auf europäischer Ebene zu verhindern – bisher mit Erfolg. Und hierzulande droht dem Unternehmen vorerst ebenfalls keine Gefahr. Bündnis 90/Die Grünen brachten Anfang Juni 2013 den „Entwurf eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahrens“ in den Bundestag ein, erreichten für den Vorschlag allerdings nicht die erforderliche Mehrheit.

Preis für Holzgifte-AktivistInnen
BAYERs Tochter-Firma DESOWAG hat bis Mitte der 1980er Jahre das „Holzschutzmittel” XYLADECOR produziert, das rund 200.000 Menschen vergiftete. Erst als die Geschädigten gegen den Konzern und andere Hersteller vor Gericht zogen und damit das bislang größte Umwelt-Strafverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik initiierten, trennte sich der Leverkusener Multi von der DESOWAG. Zu den Klägern zählten damals auch Helga und Volker Zapke, die in ihrer Eigenschaft als Gründer der INTERESSENSGEMEINSCHAFT HOLZSCHUTZMITTEL-GESCHÄDIGTER viel mit der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kooperiert haben. Jetzt erfuhr das Ehepaar eine späte Ehrung für ihr Engagement. Es wurde mit dem „Bundespreis Verbraucherschutz 2013“ ausgezeichnet. Die Coordination gratuliert!

MELIANE-Geschädigte schreibt Buch
Das BAYER-Verhütungsmittel MELIANE (Wirkstoffe: Gestoden und Ethinylestradiol) hatte bei der Französin Marion Larat 2006 einen Gehirnschlag ausgelöst. Neun Operationen musste die Frau seither über sich ergehen lassen; immer wieder erleidet sie epileptische Anfälle. Ende 2012 hat die junge Frau einen Schadensersatz-Prozess gegen den Pharma-Riesen angestrengt, der ein großes Medien-Echo ausgelöst hat. Larat hat nicht nur Dutzende von Briefen und Anrufen erhalten, sondern auch Nachahmer gefunden. 80 Klagen haben die Gerichte bis Mitte Februar registriert, darunter mehr als die Hälfte gegen BAYER. Nun hat die Französin ein Buch über ihre Leidenszeit geschrieben. „Die Pille ist bitter“ lautet der Titel.

NGOs treffen sich mit BAYER & Co.
Das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) hatte Anfang 2012 eine Kampagne gestartet, die BAYER, BASF und SYNGENTA zum Verkaufsstopp hochgefährlicher Pestizide aufforderte. Im Rahmen der Aktion bat die Organisation die Konzerne auch um ein Gespräch über dieses Thema. Im Juni 2013 kam es zu einem Treffen. Auf Seiten der Initiativen nahmen neben AktivistInnen von PAN noch VertreterInnen der BerufsimkerInnen, vom ÖKOLOGISCHEN ÄRZTEBUND, von TERRE DES HOMMES, vom Umweltinstitut München und vom WWF teil. Auf Seiten der Firmen waren Emissäre aller drei Agro-Riesen dabei; BAYER schickte den „Public & Governmental Affairs“-Manager Dr. Michael Schneider. Vorab verabredeten die TeilnehmerInnen, nicht grundsätzlich über die Vor- und Nachteile von Pestiziden zu sprechen und ebenfalls nicht über bestimmte gesundheitsgefährdende Produkte. Stattdessen erörterte die Runde Kriterien zur Definition besonders gefährlicher Ackergifte und Optionen für einen schrittweisen Ausstieg aus diesem Segment. Dabei traten einige Differenzen zu Tage. PAN wollte die von einem bestimmten Wirkstoff ausgehende Gefahr zur Grundlage der Beurteilung machen, BAYER & Co. lehnten das jedoch ab. Sie wiesen eine Klassifizierung auf Basis von Inhaltsstoffen zurück, da die LandwirtInnen diese nur in verdünnter Form ausbringen. Auch den Gefahren-Ansatz akzeptierten die Manager nicht. Sie plädierten stattdessen für das Prinzip der Risikoabschätzung, nach dem sich auch die staatlichen Behörden richteten. „Eine Verständigung zwischen den Vertretern der Unternehmen und der NGOs auf Maßnahmen für die Beendigung der Vermarktung von Pestizid-Wirkstoffen, die von PAN als hochgefährlich eingestuft werden, konnte deshalb nicht erreicht werden“, vermerkt das öffentlich zugängliche Protokoll. Die Initativen begrüßten jedoch die Entscheidung der beteiligten Unternehmen, alle Agro-Chemikalien der beiden höchsten Toxizitätsklassen vom Markt genommen zu haben. Der Leverkusener Multi tat sich damit allerdings sehr schwer. Schon im Jahr 2000 hatte er diesen Schritt auf der Hauptversammlung angekündigt, lange Jahre aber keine Taten folgen lassen.

Proteste gegen Saatgut-Messe
Ende Oktober 2013 fand in Amsterdam die Saatgut-Messe „CropWorld“ statt. Ungestört konnten BAYER, MONSANTO & Co. sich in ihrer Welt der Laborfrüchte allerdings nicht aufhalten. 150 DemonstrantInnen bevölkerten diese zusätzlich und machten den Multis mit Losungen wie „Reclaim the Seeds“ ihre Aufwartung. Auch ein Kooperationspartner der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) war vor Ort und mischte sich mit einem „Gegen BAYER“-Transparent unter die ProtestlerInnen.

ZDF zeigt Bluter-Film
In den 1990er Jahren starben Tausende Bluter an HIV-verseuchten Blutprodukten von BAYER, weil der Pillen-Riese sein Präparat KOGENATE aus Kostengründen keiner sterilisierenden Hitze-Behandlung unterzogen hatte. Im Oktober 2013 widmete sich der ZDF-Fernsehfilm „Blutgeld“ noch einmal dem Thema. Sein Produzent Michael Souvignier hatte vorher schon ein Werk über den Contergan-Skandal auf den Weg gebracht und im Anschluss daran eine Klage von dem Hersteller GRÜNENTHAL erhalten. Darum war er diesmal vorsichtiger. „Da befürchte ich schon allein deshalb juristisch nichts, weil wir bei aller gründlichen Recherche mit Anonymisierungen arbeiten“, sagte Souvignier der Faz. So bleibt der Leverkusener Multi in „Blutgeld“ ungenannt. An der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) war es deshalb, in begleitenden Presse-Veröffentlichungen auf die Verursacher des Pharma-GAUs hinzuweisen. Zudem machte die Coordination auf die erbärmliche soziale Lage der Überlebenden aufmerksam, welche der bis heute nur unzureichend gelösten Frage des Schadensersatzes geschuldet ist, und forderte den Global Player auf, mehr Verantwortung zu übernehmen. Darüber hinaus hat die CBG in Kooperation mit der Internet-Plattform change.org in den Bundestag eine Petition für angemessene Entschädigungen der Bluter eingebracht.

Kritik an Uni-Vertrag
Dr. Peter Tinnemann imprägniert an der Berliner Charité Medizin-StudentInnen gegen den Einfluss der Pharma-Industrie und besucht im Rahmen seiner Seminare mit den angehenden DoktorInnen auch Veranstaltungen von Pharma-ReferentInnen. „Weder die Studierenden noch die Ärzte noch die Patienten erkennen die Gefährdung“, meint Tinnemann. Und auch die Kooperation von BAYER mit der Universität Köln auf dem Gebiet der Arznei-Entwicklungen (Ticker berichtete mehrfach) kritisiert er scharf: „Wenn aber diese Verträge nicht öffentlich sind, wie kann man dann auch nur einem Wissenschaftler an der Uni Köln trauen?“

„Public Eye Award“ für BAYER?
Die Global Player halten jeweils zu Beginn des neuen Jahres in Davos ihr Klassentreffen ab. Die Schweizer Initiativen ERKLÄRUNG VON BERN und PRO NATURE nutzen die Gelegenheit, um als Spielverderber aufzutreten und dem Unternehmen mit den fragwürdigsten Geschäftspraktiken den „Public Eye Award“ zu verleihen. BAYER zählt dabei wieder einmal zu den heißesten Anwärtern für die „Auszeichnung“. Dieses Mal führten die Risiken und Nebenwirkungen seiner Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide, die mitverantwortlich für ein massenhaftes Bienensterben zeichnen, zu der zweifelhaften Ehre. Der „Europäische Imkerverband“ nominierte den Leverkusener Multi gemeinsam mit BASF und SYNGENTA für den Negativ-Preis.

Jahrestagung 2013
2013 widmete sich die Jahrestagung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) aus gegebenem Anlass dem Thema „150 Jahre BAYER – Ausbeutung, Umweltzerstörung, Kriegstreiberei“. Der Historiker Stephan Stracke vom VEREIN ZUR ERFORSCHUNG DER SOZIALEN BEWEGUNGEN IM WUPPERTAL“ beschäftigte sich mit der Rolle, die der ehemalige BAYER-Generaldirektor Carl Duisburg als Giftgas-Pionier und Rohstoff-Beschaffer im Ersten Weltkrieg gespielt hat. CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes schlug das dunkelste Kapitel der Unternehmenshistorie auf und gab einen Abriss über die von BAYER mitgegründeten IG FARBEN, die nicht nur entscheidend an den Kriegsvorbereitungen der Nazis mitwirkte, sondern in Auschwitz auch ein firmen-eigenes KZ unterhielt und insgesamt etwa 300.000 ZwangsarbeiterInnen „vernutzte“. Professor Jürgen Rochlitz, Chemiker und ehemaliger Bundesabgeordneter der Grünen, stellte die ökologische Kehrseite von „150 Jahre BAYER“ dar. Er legte dabei den Schwerpunkt auf die Polychlorierten Biphenylen (PCB), eine ganz besonders gefährliche Ausgeburt der Chlorchemie, deren bis 1983 erlaubte Verwendung in öffentlichen Gebäuden heute noch milliarden-hohe Sanierungskosten verursacht. An CBG-Vorstand Axel Köhler-Schnura war es dann, die Quintessenz aus den Vorträgen zu ziehen und die Grundzüge der BAYER-Geschichte herauszuarbeiten, als deren zentralen Movens er das Profit-Prinzip identifizierte. Abermals ergab sich eine lebhafte Diskussion, nach der sich die wieder einmal zahlreichen BesucherInnen angeregt auf die Heimreise machten.

KAPITAL & ARBEIT

Wenning mächtigster Aufsichtsrat
Die „Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz“ (DSW) bestimmte BAYERs Aufsichtsratschef Werner Wenning gemeinsam mit Ulrich Lehner zum mächtigsten Mann der Deutschland AG. Wenning sitzt nämlich auch dem E.ON-Aufsichtsrat vor und gehört den Kontroll-Gremien von SIEMENS und HENKEL an.

ManagerInnen-Gehälter ohne Grenzen
Unter den Beschäftigten der DAX-Konzerne gibt es nach einer Studie der „Hans Böckler Stiftung“ enorme Einkommensunterschiede. Bei BAYER lagen die Bezüge der Vorstände 2011 um das 40-fache über den Durchschnittsentgelten der Belegschaft. 2005 gaben sie sich mit dem Faktor 33 noch etwas bescheidener. Und an dieser großen Spreizung dürfte sich beim Leverkusener Multi so schnell auch nichts ändern. Im Jahr 2009 hatte eine Vertreterin des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE die Vorstandsriege auf der Hauptversammlung gefragt, ob sie bereit wäre, sich mit einem Gehalt zu begnügen, das „nur“ 20 Mal so hoch läge wie das der NormalverdienerInnen des Pharma-Riesen. Sie erhielt eine schnöde Abfuhr. BAYERs damaliger Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Schneider sprach sich vehement gegen solche „statistischen Grenzen“ aus.

Stellen-Streichungen bei JENAPHARM
Der Umsatz von BAYERs Vertriebsgesellschaft JENAPHARM, die unter anderem Kontrazeptiva, Potenzmittel und Haut-Arzneien unter die Leute bringt, sank 2012 im Vergleich zum Vorjahr hauptsächlich wegen der verschärften Konkurrenz von Nachahmer-Präparaten auf dem Verhütungsmittel-Markt um 16,7 Millionen auf 140,7 Millionen Euro. Die Geschäftsleitung reagierte darauf mit Arbeitsplatzvernichtung. Sie gab den Bereich „Logistik“ an die Leverkusener Zentrale ab und führt das Gebäude-Management nicht länger in Eigenregie durch.

Subventionierte Rationalisierung
Im Rahmen des seit 2010 laufenden Effizienz-Programms, das 4.500 Arbeitsplätze zur Disposition stellt, ergriff der Leverkusener Multi auch in den USA Maßnahmen. In New Jersey kündigte er an, seine drei über den Bundesstaat verstreut liegenden Pharma-Standorte zusammenlegen zu wollen und drohte damit, den Distrikt New York als neuen Standort zu wählen. Die LandespolitikerInnen gingen auf die Erpressung ein und zahlten dem Leverkusener Multi eine Halte-Prämie. Sie subventionierten den Bau des neuen Hauptquartiers in Hanover mit über 36 Millionen Dollar. So macht das Rationalisieren Spaß.

ERSTE & DRITTE WELT

Entwicklungshilfe für BAYER
Die bundesdeutsche Entwicklungshilfe-Politik setzt auf Kooperationen mit der Privatwirtschaft. So hat das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) mit BAYER, BASF, SYNGENTA und ca. 30 weiteren Konzernen die „German Food Partnership“ (GFP) gegründet (SWB 4/13). Staatliche Mittel fließen unter anderem in das Projekt „Better Rice Initiative in Asia“ (BRIA), das den Leverkusener Multi bei der Vermarktung von hybridem, also nicht zur Wiederaussaat geeigneten Reis auf den Philippinen unterstützt. Für Familienbetriebe lohnt sich eine solche Investition oft nicht, weshalb das RICE WATCH AND ACTION NETWORK das Vorhaben auch kritisiert, aber den Agro-Riesen schert das wenig. Eine „Grüne Revolution wird man nicht mit Kleinbauern machen“, sagt der Konzern-Manager Hans-Joachim Wegfahrt: „Wir brauchen eine Konsolidierung“. Und am eigentlichen Sinn der Übung lässt er ebenfalls keinen Zweifel. „Unser Business ist nun mal der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln und Saatgut“, so Wegfahrt, das Ganze sei „keine Charity-Veranstaltung“.

BAYER will mehr
Der Leverkusener Multi bekommt viel Entwicklungshilfe, um seine Produkte auch in ärmeren Ländern vermarkten zu können (s. o.). Dem Konzern reicht das aber noch nicht. Auf dem von ihm in Neu-Delhi veranstalteten „Rice Future Forum“, an dem unter anderem VertreterInnen der „Bill & Melinda Gates Foundation“, der bundeseigenen Entwicklungshilfe-Agentur „Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ), des „International Rice Research Institutes“ und des Lebensmittel-Unternehmens KELLOGG teilnahmen, forderte er deshalb mehr Subventionen ein. So mahnte Hartmut van Lengerich vom Unternehmensbereich „Global Strategy für Getreide, Reis und Ölsaaten“ dort „die Unterstützung von „Public-Private-Partnerschaften zur Erforschung, Entwicklung, Vermarktung und Förderung neuer Lösungen“ an.

„Entwicklungshelfer“ BAYER
Mit freundlicher Unterstützung der „Bill & Melinda Gates Foundation“ und der bundeseigenen Entwicklungshilfe-Agentur „Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) plant der Leverkusener Multi, sich in Bangladesh als „Entwicklungshelfer“ zu betätigen. „BAYER CROPSCIENCE und die GIZ werden in Bangladesh zusammenarbeiten, um die Aufnahme von Eisen und Zink, sowie gegebenenfalls von Kalzium, Folsäure, Vitamin A und Vitamin B6 mit der Nahrung zu verbessern“, erklärte der Agro-Riese. Entsprechende „Einsatzstoffe“ und eine Schulung der FarmerInnen in „nährstoff-sensitiven landwirtschaftlichen Praktiken“ sollen’s richten. Es handelt sich also wieder einmal um kaum mehr als eine Produkteinführungskampagne für neue Waren, die sich die Bangladesher Bauern und Bäuerinnen wegen des hohen Abgabe-Preises kaum werden leisten können. Und damit das alles nicht ans Licht der Öffentlichkeit tritt, nimmt an der konzertierten Aktion mit MCCANN HEALTH auch „ein weltweit agierender Kommunikationsspezialist für Awareness-Kampagnen“ teil.

KONZERN & VERGANGENHEIT

Duisbergs Strafregister
BAYERs langjähriger Generaldirektor Carl Duisberg war im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas sowie die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen und hatte später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörder-Konzerns IG FARBEN. Und die Erbarmungslosigkeit, mit der er im Geschäftsleben auf Profit-Jagd ging, zeigte sich auch im Alltag. „Das Strafregister Duisbergs ist nicht lang, aber erheblich“, urteilt der von BAYER mit einer Biographie des Firmen-Lenkers beauftragte Historiker Werner Plumpe. Vor allem Autounfälle mit tödlichem Ausgang füllen die Akten, da Duisberg seinen Chauffeur unablässig zu einem Fahren mit erhöhter Geschwindigkeit anhielt, ohne auf andere VerkehrsteilnehmerInnen Rücksicht zu nehmen.

IG FARBEN & HEUTE

Uni vergibt Hörlein-Preis
Zahlreichen BAYER-Managern, die schwere Schuld auf sich geladen haben, wird heute noch ein ehrendes Gedenken bewahrt. Nach dem ehemaligen Generaldirektor Carl Duisberg, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörder-Konzerns IG FARBEN hatte, haben viele Städte Straßen und Schulen getauft. Der Leverkusen Multi selber hat eine Auszeichnung im Medizin-Bereich nach Kurt Hansen benannt, der bereits 1931 in die NSDAP eingetreten war, und bei den IG FARBEN den Posten des Leiters der kriegswichtigen „Zentralstelle für Rohstoffbeschaffung“ inne hatte. Und die „Gesellschaft der Freunde und Förderer der Universität Düsseldorf“ vergibt alle fünf Jahre einen „Heinrich-Hörlein-Preis“, womit sie ihre Wertschätzung für einen Kriegsverbrecher ausdrückt. Hörlein beaufsichtigte als Leiter des Wuppertaler BAYER-Werks nämlich die Entwicklung der Giftgase Tabun, Sarin und Soman. Zudem saß er im Aufsichtsrat der „Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ (DEGESCH), die das Zyklon B für die Gaskammern lieferte, und war Wehrwirtschaftsführer.

POLITIK & EINFLUSS

TTIP: BAYER & Co. verhandeln mit
Bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen der EU mit den USA diktieren BAYER & Co. den PolitikerInnen die Agenda. Allein von Anfang 2012 bis April 2013 fanden 130 Treffen der VerhandlerInnen mit Konzern-VertreterInnen oder Unternehmensverbänden statt. Selbstverständlich verschafften sich auch die Organisationen, denen BAYER angehört wie der „Verband der chemischen Industrie“, „Business Europe“, der „Bundesverband der deutschen Industrie“ und der „Transatlantic Business Dialogue“, ausreichend Gehör. Unter anderem fordern diese und andere Lobby-Organisationen, die strengeren europäischen Vorgaben bei den Pestizid-Grenzwerten, der Zulassung neuer Medikamente und bei der Gentechnik als „Handelshemmnisse“ einzustufen und abzuwickeln.

Extrem-Lobbyismus in China
Die chinesische Regierung strich die Chemikalie TDI von der Liste hochgefährlicher Chemikalien. „Vorausgegangen war dieser Änderung ein intensives Lobbying von BAYER MATERIALSCIENCE“, so der Text des im Intranet des Konzerns veröffentlichten Bekennerschreibens. Als einen „Meilenstein für die gesamte Polyurethan-Industrie“ feierte das Unternehmen dort den Coup, weil er die Kosten für Transport und Lagerung der Stoffe senkt und die Arbeitsschutz-Anforderungen reduziert. Wenig später hielt es der Global Player dann aber doch für angebrachter, die Spuren zu verwischen, und ersetzte den Begriff „Lobbying“ durch „Informationsaustausch“.

ALEC schreibt Gesetze
Das „American Legislative Exchange Council“ (ALEC) ist eine von den Global Playern gesponserte JuristInnen-Vereinigung. Sie fungiert als Bindeglied zwischen der Wirtschaft und den Republikanern und fertigt für diese Gesetzes-Entwürfe an. Der Leverkusener Multi gehört der Organisation seit 1992 an, „um unsere Unternehmenspositionen in den politischen Meinungsbildungsprozess einzubringen“, wie Konzern-Sprecher Günter Forneck sagt, und ist in wichtigen Gremien vertreten (Ticker 2/12). Nach einer vom CENTER FOR MEDIA AND DEMOCRACY veröffentlichten Untersuchung hat ALEC von Januar bis August 2013 fast 1.000 „Unternehmenspositionen“ von BAYER & Co. in den Gesetzgebungsprozess eingebracht. Unter anderem standen die Beschneidung von Gewerkschaftsrechten, Lohnreduzierungen, Absenkungen von Arbeitsstandards, und die Erschwerung der Strafverfolgung von Konzernen auf der ALEC-Agenda.

Keine Kennzeichnung in Washington
Im US-Bundesstaat Washington scheiterte Anfang November 2013 ein BürgerInnen-Begehren zur Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln, die Gentech-Ausgangsstoffe enthalten, knapp mit 45 zu 55 Prozent der Stimmen. Das Geld, das BAYER und andere Konzerne in eine Gegen-Kampagne investiert hatten, zahlte sich damit aus. Allein der Leverkusener Multi brachte fast 600.000 Dollar auf. Insgesamt war den Unternehmen ihre Aktion 17 Millionen Dollar wert. Zuvor hatten sie mit ihren großen finanziellen Mitteln schon eine entsprechende Transparenz-Initiative in Kalifornien scheitern lassen.

BAYER für offenere Gentech-Worte
Der BAYER-Manager Mathias Kremer hat auf einer Tagung der Kölner „Industrie- und Handelskammer“ eine offenere Diskussion in Sachen „Gentechnik“ eingefordert und das Festhalten an starren Glaubensgrundsätzen beanstandet. KritikerInnen der Risikotechnologie denunzierte Kremer, der bei BAYER CROPSCIENCE den Bereich „Strategie“ leitet, auf der Tagung als rückwärtsgewandte RomantikerInnen, welche die traditionelle Landwirtschaft nostalgisch verklärten und nur ein „Ventil für Unbehagen in einer immer komplexeren Welt“ suchten.

VFA umgarnt NGOs
Der von BAYER gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ unternimmt Anstrengungen, ein „Deutsches Netzwerk gegen vernachlässigte tropische Armutskrankheiten“ zu gründen und dabei auch Initiativen einzubinden. Die BUKO PHARMA-KAMPAGNE hat sich gegen ein solches Vorhaben ausgesprochen. „Der Industrie-Verband VFA möchte nun offenbar Punkte in der deutschen Öffentlichkeit gewinnen und vom positiven Image zivilgesellschaftlicher Gruppen profitieren (...) Außerdem erscheint das Ganze als ein Versuch, kritische Stimmen einzubinden und mehr Einfluss auf die Debatte zu bekommen“, hält die Organisation fest. Viel Substanz hat der Ansatz von BAYER & Co. ihrer Meinung nach auch nicht. Allein mit Arzneimittel-Spenden und vereinzelten Hilfsprogrammen sei es nicht getan, so der BUKO. Er verwies stattdessen auf die Eckpunkte zu einem Gesamtkonzept, das verschiedene im Bereich der Entwicklungspolitik arbeitende Gruppen gemeinsam erstellt haben. Darin fordern diese unter anderem neue Rahmenbedingungen für die Arzneimittel-Forschung mit einer Abkehr von den starren Patent-Regelungen, mit uneingeschränktem Zugang zu Test-Resultaten, öffentlicher Finanzierung und mit einem Verzicht darauf, die Entwicklungskosten komplett einzupreisen, weil das die Medikamente für die meisten Menschen in der südlichen Hemisphäre unerschwinglich macht.

Duin bei BAYER
Schon zum dritten Mal in diesem Jahr schaute der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin beim Chemie-Multi vorbei; Auftritte beim „Verband der chemischen Industrie“ kommen noch erschwerend dazu. Im Oktober 2013 nahm der SPD-Politiker an der vom Unternehmensverband „ChemCologne“ veranstalteten Podiumsdiskussion zum Thema „Chemie-Standort NRW – wohin geht die Reise“ teil, die in BAYERs Kommunikationszentrum BayKom stattfand.

Löhrmann beim VCI
Der „Verband der chemischen Industrie“ veranstaltet sogar ganze LehrerInnen-Kongresse, um BAYER & Co. Schule machen zu lassen. Und die PolitikerInnen geben dazu auch noch ihren Segen. So sprach die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Sylvia Löhrmann von den Grünen Anfang Dezember 2013 zu Beginn der Veranstaltung der NRW-Sektion des VCI ein Grußwort.

PROPAGANDA & MEDIEN

YASMIN: BAYER schreibt ÄrztInnen
BAYERs Kontrazeptiva aus der YASMIN-Familie haben allein in den USA bereits 190 Todesopfer gefordert. Dazu kommen noch zahllose Geschädigte in aller Welt. In der Schweiz hat das Schicksal von Céline Pfleger, die nach der Einnahme der BAYER-Pillen eine Lungenembolie erlitt und nun schwerbehindert ist, besondere Aufmerksamkeit erregt. Diese stieg mit der Urteilsverkündung in dem Schadensersatz-Prozess, den die Familie der jungen Frau gegen den Pharma-Riesen angestrengt hat, noch einmal zusätzlich an. Daraufhin hat der Leverkusener Multi an schweizer GynäkologInnen sowie Kinder- und JugendärztInnen flächendeckend Briefe verschickt, um Schadensbegrenzung zu betreiben. „Das Nutzen/Risiko-Profil moderner, niedrig dosierter, kombinierter hormoneller Verhütungspräparate wie YASMIN ist auf Basis der Bewertung aller vorliegenden wissenschaftlichen Daten bei verschreibungsgemäßer Anwendung positiv“, schreibt der Global Player darin wider besseren Wissens. Kein Wort findet er dagegen zu dem erhöhten Risiko, das vielen Studien zufolge gerade von Pillen der jüngeren Generation wie YASMIN ausgeht. So recht verfangen wollte die PR-Maßnahme allerdings nicht. So hat etwa eine von der Zeitung Tagesanzeiger befragte Medizinerin das Schreiben „als Rechtfertigung von BAYER wahrgenommen“, für die sie „wenig Interesse“ habe.

Zehn Milliarden Vertriebskosten
Seit Jahren wachsen BAYERs Vertriebskosten an. 2012 legten sie im Vergleich zu 2011 um 11,5 Prozent auf fast zehn Milliarden Euro zu. „Der Anstieg ist im Wesentlichen auf höhere Vertriebskosten bei HEALTHCARE zurückzuführen, die vor allem aus der Vermarktung unserer neuen Produkte resultierten“, heißt es im Geschäftsbericht. Vor allem schlagen hier die Aufwendungen des Leverkusener Multis für seinen Gerinnungshemmer XARELTO zu Buche. Aber die Investitionen zahlen sich aus. Obwohl das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) bis Ende August 2013 bereits 72 Meldungen über Todesfälle und 968 über schwere Nebenwirkungen vorliegen hatte und sowohl Fachmagazine wie auch die „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ von dem Mittel abraten, ziehen die Umsätze an. Im 3. Quartal 2013 steigerten sie sich gegenüber dem 3. Quartal 2012 um 220 Prozent auf 259 Millionen Euro.

BAYER wenig auskunftsfreudig
Das Fachblatt PRmagazin hat die Auskunftsfreudigkeit der Presse-Abteilungen der Pharma-Riesen getestet. Es schickte den Unternehmen Fragen zu den aktuellen Vorgängen in China. Dort überprüfen die Behörden 60 Konzerne wg. Korruptionsverdachts, weshalb BAYER-Chef Marijn Dekkers nicht ganz wohl in seiner Haut ist: „Ich werde meine Hand nicht ins Feuer legen.“ Die ÖffentlichkeitsarbeiterInnen des Konzerns waren zwar schnell erreichbar, aber nachdem sie das Auskunftsbegehr zu den Vorgängen im Reich der Mitte per Mail erhalten hatten, tat sich nichts mehr. „Nach dem Erstkontakt herrscht Schweigen im Walde“, resümierte die Zeitschrift. Für Qualität und Umfang der Informationen blieben da nur noch null Punkte übrig.

Greenwashing mit der UNEP
Im Rahmen seiner Greenwashing-Aktivitäten kooperiert der Leverkusener Multi auch mit der UNEP, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen. Bei seinem neuesten PR-Coup schlägt der Konzern sogar drei Fliegen mit einer Klappe. Er kann sich nicht nur als Umweltengel, sondern auch als sozialer Wohltäter präsentieren und darüber hinaus noch politische Verbindungen knüpfen. Seine koreanischen „UmweltbotschaftlerInnen“ entwickelten nämlich ein Umweltspiel, von dem BAYER dann in Zusammenarbeit mit der Umweltbehörde der Stadt Seoul 1.200 Exemplare an Wohlfahrtseinrichtungen für Kinder verteilte.

Lange Nacht der Industrie
Der Leverkusener Multi sieht sich bei all seinen großen Projekten wie etwa Kunststoff-Anlagen oder der Kohlenmonoxid-Pipeline mit massivem Widerstand konfrontiert. Anderen Konzernen geht es bei ihren Vorhaben ähnlich. Deshalb haben die Konzerne beschlossen, mehr für ihr Image zu tun. Zu diesen PR-Kampagnen gehört auch die „Lange Nacht der Industrie“, in der die Unternehmen Führungen veranstalten und die BesucherInnen vom segenreichen Trachten der Firmen zu überzeugen versuchen. Als williger Helfer des durchsichtigen Manövers gab sich in diesem Jahr die Rheinische Post her. Sie widmete der Veranstaltung eine eigene Beilage und stellte sich BAYER als Lautsprecher zur Verfügung. So pries die Zeitung die Wohltaten der Pestizide und bescheinigte dem Leverkusener Chemie-„Park“ einen sorgsamen Umgang mit den Risiken und Nebenwirkungen der Produktion: „Dabei hat Sicherheit oberste Priorität.“

BAYER sponsert „Heart Walk“
Gute Verbindungen zu medizinischen Vereinigungen und PatientInnen-Verbänden spielen für den Leverkusener Multi eine wichtige Rolle bei der Vermarktung seiner Arzneien. Deshalb gibt er viel Geld für die Unterstützung dieser Organisationen aus. So hat die „American Heart Association“ (AHA) bisher schon eine Million Dollar vom Pharma-Riesen erhalten. Und beim diesjährigen „Heart Walk“, dem zentralen Fundraising-Vehikel der AHA, trat der Global Player als Hauptsponsor auf.

BAYER sponsert „Weltverhütungstag“
„Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson über seine Vorstellung von „Entwicklungshilfe“. Zur großen Befriedigung des Leverkusener Multis erfreut sich diese Ansicht sogar heute noch großer Beliebtheit, denn sie ermöglicht den Verhütungsmitteln des Konzerns gute Absatzchancen in den ärmeren Ländern. Darum gehörte er auch 2013 wieder zu den Sponsoren des „Weltverhütungstages“, der sich nach eigenem Bekunden „auf eine Vision für eine Welt, in der jede Schwangerschaft gewollt ist, konzentriert“, in Wahrheit jedoch auf Bevölkerungskontrolle aus ist.

BAYER sponsert ACSH
Das „American Council on Science and Health“ (ACSH) beschreibt sich selbst als eine unabhängige Organisation, die sich in umwelt- und gesundheitspolitische Debatten einschaltet, um unqualifizierten und unwissenschaftlichen Beiträgen entgegenzuwirken. Diese „Aufklärungsarbeit“ führte sie dazu, sowohl dem Fracking als auch bestimmten Pestiziden und der von BAYER massenhaft hergestellten Chemikalie Bisphenol A Unbedenklichkeitsbescheinigungen auszustellen. Wie weit es mit der Unabhängigkeit des ACSH bestellt ist, enthüllten jetzt jedoch der Zeitschrift Mother Jones zugespielte Dokumente. Von COCA-COLA über MONSANTO und PROCTER AND GAMBLE bis zu CHEVRON unterstützte das Who’s Who der Multis das Council. BAYER steuerte im zweiten Halbjahr 2012 30.000 Dollar zum Etat bei.

Neuer Spendenshop für „Die Arche“
BAYERs BEPANTHEN-Kinderförderung lässt seit einiger Zeit von der Universität Bielefeld für gutes Geld Pseudo-Studien erstellen, die kaum wissenschaftlichen Kriterien entsprechen. 2013 widmete sich die Untersuchung der Hochschule dem Thema „Gewalt“ und kam zu dem Ergebnis, dass 25 Prozent der Kinder von ihren Eltern geschlagen werden. Da die Kinderförderung zur Förderung des sozialen Images des Multis seit längerem das Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“ unterstützt, das dem evangelikalen Verband „Deutsche Evangelische Allianz“ angehört, beraumte sie dort ein Konflikt-Training an. Im Rahmen dieser Veranstaltung entstanden auch Bilder, die der Konzern jetzt in einem extra eingerichteten Online-Spendenshop zu Gunsten der Arche verkauft.

TIERE & ARZNEIEN

Weniger Antibiotika, mehr BAYTRIL
Der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Massenzucht fördert die massenhafte Entwicklung resistenter Erreger. In den menschlichen Organismus gelangt, können diese Krankheiten auslösen, gegen die Antibiotika dann nicht mehr wirken. 2012 sank zwar die Gesamtmenge der verabreichten Mittel gegenüber dem Vorjahr um 87 auf 1.619 Tonnen, der Anteil der Fluorchinolone, zu denen BAYERs BAYTRIL zählt, nahm jedoch um zwei auf zehn Tonnen zu. Und dazwischen besteht ein Zusammenhang, denn Fluorchinolone sind im Gegensatz zu den Alt-Stoffen auch in kleineren Dosen hochwirksam. Als Substanz, die in der Humanmedizin den Status eines Reserve-Antibiotikums inne hat und nur bei der Behandlung schwererer Fälle zum Einsatz kommt, hat sich sein Gebrauch in der Veterinärmedizin nämlich noch nicht abgenutzt. Deshalb weist der Rückgang der Zahlen mitnichten auf einen zurückhaltenderen Umgang mit den Medikamenten hin. Zudem erhöhen die Fluorchinole durch die Praxis des „Dual Use“ – das Apotheken-Pendant zu BAYTRIL heißt CIPROBAY – die Gefahr noch, die von nicht mehr behandelbaren Infektionen ausgeht.

TIERE & VERSUCHE

Weniger Tierversuche
Im Geschäftsjahr 2012 sank die Zahl der Tierversuche bei BAYER um 12 Prozent von 168.825 auf 147.315. Auch in den Laboren der Auftragsforschungsstätten starben nicht mehr so viele Ratten, Mäuse & Co. Der Leverkusener Multi vermochte allerdings nicht abschließend zu sagen, ob diese Reduzierung wirklich dem Willen geschuldet war, den Kreaturen Qualen zu ersparen, oder einfach nur dadurch zu Stande kam, dass er weniger Test-Projekte durchführte.

DRUGS & PILLS

YASMIN & Co.: alarmierende Zahlen
Die französische Arzneimittelbehörde ANSM hat alarmierende Zahlen über die Risiken und Nebenwirkungen von Verhütungsmitteln vorgelegt. Demnach verursachen die Kontrazeptiva jedes Jahr seit 2000 über 2.500 Thromboembolien, wovon jeweils 20 einen tödlichen Verlauf nehmen. Den größten Anteil daran haben mit 1.751 Embolien und 14 Sterbefällen Pillen der dritten und vierten Generation wie BAYERs Produkte aus der YASMIN-Familie. Die für die französischen Grünen im Europa-Parlament sitzende Michèle Rivasi geht sogar von noch mehr Toten aus und spricht von der „Spitze des Eisbergs eines kommenden Skandals in Europa“. Die sozialistische Gesundheitsministerin Marisol Touraine setzt sich deshalb für strengere Verschreibungsrichtlinien ein. Unterdessen haben die VerbraucherInnen schon Vorsorge getroffen: Der Absatz von YASMIN & Co. sank von Dezember 2012 bis August 2013 im Vergleich zu dem von Dezember 2011 bis August 2012 um 36,6 Prozent.

Tod durch ESSURE?
Seit der Leverkusener Multi 2013 das US-amerikanische Pharma-Unternehmen CONCEPTUS aufgekauft hat, führt er in seinem Sortiment mit ESSURE auch ein ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation. Setzen MedizinerInnen der Frau die kleine Spirale ein, wofür keine Vollnarkose nötig ist, so sorgen Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes, dass es die Eileiter verschließt. Allerdings gehen von dem Mittel beträchtliche Gesundheitsgefahren aus. Im Oktober 2013 erhielt die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sogar einen Bericht über einen mutmaßlich von ESSURE ausgelösten Todesfall. Insgesamt gingen bei der FDA seit 2004 über 850 Meldungen über schwere Nebenwirkungen ein. Blutungen, Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien gehörten dazu, manche Frauen mussten sich sogar die Gebärmutter entfernen lassen. In den USA will deshalb die durch einen Hollywood-Film bekannt gewordene Aktivistin Erin Brockovich, die 1993 den Multi PACIFIC GAS AND ELECTRIC wegen Grundwasser-Verschmutzung verklagte, nun gegen BAYER vor Gericht ziehen. Eine Kampagne gegen das Präparat hat sie schon im Oktober 2013 gestartet. „Wenn so viele über Nebenwirkungen berichten, nehmen Sie es vom Markt!“, appellierte sie in Sachen „ESSURE“ an den Pharma-Riesen: „Es funktioniert nicht. Die Frauen wurden in die Irre geführt. Sie fühlen sich betrogen.“

FDA zweifelt an LEMTRADA
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat 2013 den Wirkstoff Alemtuzumab für die Indikation „Multiple Sklerose“ zugelassen. SANOFI und der an den Umsätzen beteiligte BAYER-Konzern zogen die Arznei daraufhin als Mittel zur Behandlung einer Leukämie-Art zurück, weil das neue Anwendungsgebiet mehr Profite verspricht (SWB 1/14). Das US-amerikanische EMA-Pendant FDA hat dem unter dem Namen LEMTRADA vermarkteten Präparat dagegen noch keine Genehmigung erteilt. Einen entsprechenden Antrag wies die Behörde im September 2012 zurück. Sie stieg durch das präsentierte Zahlenmaterial nicht durch und forderte SANOFI und BAYER deshalb auf, die Daten verständlicher aufzubereiten. Und im November 2013 meldete ein BeraterInnen-Gremium der Einrichtung ernsthafte Bedenken an. „Die Gabe von Alemtuzumab ist mit ernsthaften Risiken verbunden, welche den Nutzen übersteigen könnten“, hielt es fest. Unter anderem warnten die Wissenschaftlerinnen vor Autoimmun-Krankheiten wie ITP, Nierenschäden, Krebs, Infektionen, Schilddrüsen-Beschwerden und Infusionsnebenwirkungen wie Bluthochdruck, Kopf- oder Brustschmerzen. Und hierzulande meldet das industrie-unabhängige Fachmagazin arznei-telegramm Bedenken an. Nicht nur die vielen unerwünschten Arznei-Effekte, sondern auch die fehlenden Studien zu den Langzeitwirkungen und -nebenwirkungen machen die Publikation skeptisch. „Wir sehen eine Indikation für das extrem teure Alemtuzumab derzeit nur im Einzelfall als letzte Reserve“, lautet ihr Resümee.

EMA zweifelt nicht an YASMIN
Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat eine Risiko-Bewertung von Verhütungsmitteln vorgenommen und dabei keine großen Unterschiede zwischen den Pillen der 1., 2. und 3. Generation feststellen können. Dieses Votum widerspricht sämtlichen neueren Studien, welche die von Kontrazeptiva der 3. Generation wie etwa BAYERs YASMIN ausgehenden Gefahren deutlich höher einschätzen als diejenigen, mit denen Käuferinnen älterer Präparate rechnen müssen. Das industrie-unabhängige arznei-telegramm kritisiert die Entscheidung deshalb scharf und hält fest: „Aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes halten wir es für überfällig, endlich die risikoärmeren Kombinationen als Mittel der ersten Wahl einzustufen und die riskanteren Kontrazeptiva als Mittel der Reserve.“

XARELTO unter Beobachtung
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat BAYERs neuen Gerinnungshemmer XARELTO unter verstärkte Beobachtung gestellt. Eine Post-Zulassungsstudie überprüft das Sicherheitsprofil der Arznei, zu der dem „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) bis Ende August 2013 bereits 72 Meldungen über Todesfälle und 968 über schwere Nebenwirkungen vorlagen.

EYLEA unter Beobachtung
Auch BAYERs Gentech-Augenpräparat EYLEA stellt die Europäische Arzneimittelagentur EMA unter verstärkte Beobachtung. Sie überprüft das zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zur Blindheit führen kann – zugelassene Mittel genauer, da es sich bei seiner Wirk-Substanz Aflibercept um einen neuen Inhaltsstoff handelt, über den bisher noch kaum Informationen vorliegen.

„Fett weg“-Spritze kommt
BAYER beabsichtigt, verstärkt von der steigenden Nachfrage nach Lifestyle-Präparaten zu profitieren. So entwickelte der Leverkusener Multi gemeinsam mit dem Unternehmen KYTHERA eine Substanz, die – unter die Haut gespritzt – kleinere Fettpolster am Kinn auflösen soll. Im September 2013 hat der Konzern nun eine EU-weite Zulassung für die Substanz beantragt, mit der er einen Jahresumsatz von 250 Millionen Euro machen will. Der Pharmazeut Gerd Glaeske warnt indessen vor der Neuentwicklung. Er befürchtet, die zerstörten Fettzellen könnten im Körper umherwandern, zusammenklumpen und Gefäß-Verschlüsse oder Schlaganfälle verursachen. Zudem prophezeit er Hautschäden an den behandelten Stellen.

US-Zulassung für ADEMPAS
BAYER hat in den USA die Zulassung für ein Mittel zur Behandlung der beiden Lungenhochdruck-Krankheiten CTEPH und PAH erhalten. Die Arznei mit dem Wirkstoff Riociguat soll in der Lunge ein Enzym stimulieren, das für eine Erweiterung der Blutgefäße sorgt und so die Sauerstoff-Aufnahme verbessert. Der Leverkusener Multi erwartet von ADEMPAS einen Umsatz von 500 Millionen Euro im Jahr.

Pillen-Verkauf an MOBERG
Der Leverkusener Multi hat drei rezeptfreie Produkte aus seinem Sortiment an einen Mitbewerber verkauft. Das schwedische Pharma-Unternehmen MOBERG erwarb für 4,8 Millionen Dollar die Haut-Arznei DOMEBORO, das Schmerzmittel VANQUISH und das Eisen-Präparat FERGON.

VFA gegen Test-Transparenz
Die EU bereitet eine Verordnung vor, welche die Pharma-Hersteller zur Veröffentlichung von Arznei-Tests zwingt. Den Pillen-Riesen gehen die Pläne jedoch zu weit. „Nicht okay ist es in bestimmten Fällen, wenn die Europäische Arzneimittelbehörde EMA mehrere tausend Seiten an Rohdaten herausgibt“, sagt etwa Siegfried Throm vom „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“. Der Geschäftsführer der von BAYER gegründeten Organisation will nur Fachleuten umfassenden Einblick gewähren. „Es darf eben auch nicht sein, dass Gruppen mit wenig Sachverstand Daten interpretieren. Da kommen dann so Schlagzeilen heraus wie ‚Blutdrucksenker verursachen Krebs’ – das ist schief und lässt sich für die Konzerne nur schwerlich korrigieren“, so Throm.

Brustkrebs durch ADALAT & Co.
Schlagzeilen wie „‚Blutdrucksenker verursachen Krebs“ (s. o.) sind keinesfalls so schief, wie BAYER behauptet. Nach einer Untersuchung des „Fred Hutchinson Cancer Research Center“ steigern nämlich Kalzium-Antagonisten wie BAYERs Bluthochdruck-Mittel ADALAT und BAYMYCARD das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Das ergaben Interviews, die das Institut mit 2.851 weiblichen Personen im Alter von 55 bis 74 Jahren führte. Der Anteil der Frauen, die Kalzium-Antagonisten einnahmen, war in der Brustkrebs-Gruppe doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe.

Kooperation mit Broad Institute
Der Leverkusener Multi hat mit dem Broad Institute eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Krebs-Forschung vereinbart. Als Ziel der Kooperation mit der Forschungseinrichtung, an der WissenschaftlerInnen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und aus Harvard arbeiten, formulierte BAYER, binnen fünf Jahren drei neue Wirkstoffe entdecken zu wollen. Bei der Suche danach gewähren sich die Partner gegenseitig Zugriff auf ihre Technologie-Plattformen, Werkstoff-Bibliotheken und Daten.

Resistente Krebszellen
Die Pharma-Riesen haben in der Vergangenheit große Hoffnungen auf Mittel geschürt, die Krebs dauerhaft zu heilen vermögen. Vollmundig berichteten sie etwa davon, Ausschalter für Tumor-Zellen gefunden zu haben. Die Erwartungen haben sich jedoch nicht erfüllt. BAYERs NEXAVAR gelingt es beispielsweise bloß, die Lebenserwartung der PatientInnen um ein paar Wochen zu verlängern. Unter anderem liegt das daran, dass die Krebszellen sich auf die Arzneien einstellen und mutieren. Darum ändern einige Wissenschaftler wie Stuart Schreiber von dem mit dem Leverkusener Multi kooperierenden Broad Institute (s. o.) jetzt ihre Strategie und arbeiten an Therapien, bei denen mehrere Inhaltsstoffe gleichzeitig zum Einsatz kommen. Bescheidenheit haben sie ihre früheren Erfahrungen jedoch nicht gelehrt. So verkündet Schreiber: „Theoretisch sollten wir mit neuen Wirkstoff-Kombinationen Krebs zumindest dauerhaft in Schach halten können.“

Transparenz-Kodex verabschiedet
Der europäische Pharma-Verband EFPIA hat einen Transparenz-Kodex verabschiedet. Demnach verpflichten sich BAYER, SANOFI & Co., ihre Zuwendungen an MedizinerInnen, Krankenhäuser, Fachgesellschaften und andere Akteure des Gesundheitswesens offenzulegen. Allerdings haben sie dazu noch bis 2016 Zeit. Zudem steht sehr in Zweifel, ob der Leverkusener Multi bis dahin seine Position radikal ändert und wirklich umfassende Angaben macht. Gegenwärtig weigert er sich nämlich auf seinen Hauptversammlungen noch strikt, den mittlerweile fast zehn Milliarden Euro umfassenden Bilanz-Posten „Vertriebskosten“ genauer aufzuschlüsseln. Trotz beharrlicher Nachfragen erhält die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN keinerlei Informationen über die Ausgaben des Konzerns für Medikamenten-Proben, MedizinerInnen-Fortbildung, ÄrztInnen-Betreuung, Kongresse und Lobby-Verbände.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Null Problemo mit Glyphosat
Das Anti-Unkrautmittel Glyphosat kommt hauptsächlich in Kombination mit MONSANTO-Genpflanzen der „ROUND UP“-Baureihe zum Einsatz, aber auch in BAYER-Pestiziden wie GLYPHOS oder USTINEX. Zudem will der Multi es künftig gemeinsam mit der Gensoja-Sorte „FG 72“ sowie seinen genmanipulierten Baumwoll-Arten „GHB 614“, „GHB119“ und T304-40 vermarkten, die er alle drei zur Zeit noch in Freisetzungsversuchen testet. In jüngster Zeit haben mehrere Studien Spuren des Giftstoffes im menschlichen Organismus gefunden. So hat einer Untersuchung des BUND zufolge fast die Hälfte der europäischen GroßstadtbewohnerInnen Glyphosat im Körper. Für das Bundesinstitut für Risiko-Bewertung (BfR) ist das allerdings kein Grund zur Beunruhigung. Die „Werte liegen weit unterhalb eines gesundheitlich bedenklichen Bereichs“, urteilt das BfR. Die Behörde tritt sogar für laschere Grenzwerte ein. „Die neuen toxikologischen Daten würden es erlauben, den ADI-Wert für die akzeptable Tagesdosis von 0,3 Miligramm pro Kilogramm Körpergewicht auf 0,5 hochzusetzen“, so BfR-Sprecher Jürgen Thier-Kundke zur taz. Diese Einschätzungen wundern allerdings nicht weiter, denn das Amt war an der EU-Zulassung der Agro-Chemikalie beteiligt. Zudem haben einige BfR-WissenschaftlerInnen enge Kontakte zu BAYER & Co.

Gefährlicher Glyphosat-Zusatzstoff
MONSANTOs Anti-Unkrautmittel Glyphosat, das auch in BAYER-Pestiziden enthalten ist und zudem in Kombination mit Gen-Pflanzen des Leverkusener Multis angeboten wird, enthält in einigen Formulierungen auch den Zusatzstoff Tallowamin. Diese aus Aklylaminen bestehende Substanz, die für eine bessere Haftung des Herbizids an den gegen diesen Stoff resistenten Laborfrüchten sorgt, hat eine hochgiftige Wirkung. So starben bei einem Fütterungsversuch mit 1.000 mg am Tag 50 Prozent der untersuchten Tiere. Darum hat die schwarz-gelbe Koalition 2010 ein Verbot dieser Produkte veranlasst. „Wenn ein Antragsteller nachweisen kann, dass die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen auch mit Tallowaminen erfüllt sind“, wie CDU und FDP in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ festhalten, dann dürfen BAYER & Co. die Agro-Chemikalien allerdings weitervertreiben. Und im Rest der Welt treiben die Tallowamine ohnehin weiter völlig unbehelligt ihr Unwesen.

PFLANZEN & SAATEN

Subventionen für Eiweiß-Pflanzen
Im Jahr 2012 importierten die Massentier-HalterInnen ca. 4,5 Millionen Tonnen Futtermittel wie beispielsweise Soja. Bereits seit einiger Zeit aber arbeitet die bundesdeutsche Politik daran, den heimischen Markt für Pflanzen mit hohem Eiweiß-Gehalt zu stärken. So entwickelte sie 2011 eine Eiweißpflanzen-Strategie und fördert entsprechende Forschungsvorhaben von BAYER & Co. mit drei Millionen Euro. Einziger Vorteil der Subventionsorgie: Wenn es den Agro-Riesen gelingt, genug Erbsen oder Ackerbohnen aus deutschen Landen für den neuen Verwendungszweck zu einem angemessenen Preis zu kultivieren, dann müssen die ZüchterInnen den armen Kreaturen in ihren Ställen nicht mehr so viel südamerikanisches Gentech-Soja aus den Laboren von BAYER oder MONSANTO zum Fraß vorwerfen.

Neue Weizen-Lizenz
Der Leverkusener Multi baut sein Geschäft mit Weizen – der am häufigsten angebauten Kulturpflanze der Welt – weiter kontinuierlich aus. So erwarb er von PERFORMANCE PLANTS die Rechte an einer Technologie, die der Ackerfrucht helfen soll, Trockenheit zu trotzen. Für Baumwolle hatte der Leverkusener Multi entsprechende Lizenzen bereits 2009 und 2011 von dem US-amerikanischen Unternehmen erworben.

GENE & KLONE

EFSA winkt Gen-Baumwolle durch
Im Verfahren um eine Einfuhr-Genehmigung für BAYERs genmanipulierte Baumwoll-Sorte „T 304-40“ hatte die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA der Laborfrucht bescheinigt, so „sicher und nahrhaft“ wie konventionelle Arten zu sein. Die Initiative TESTBIOTECH teilt dieses Votum über die Pflanze nicht, die mit dem Gift-Gen des Bacillus thuringiensis (Bt) und einer Resistenz gegen den gesundheitsgefährdenden Herbizid-Wirkstoff Glufosinat bestückt ist. „Ein neuer Tiefpunkt“ in der Geschichte der EFSA-Risikobewertungen sei diese Beurteilung, so die Organisation, denn die EFSA hätte zwar das in den BAYER-Dokumenten beschriebene Studien-Design zu Verträglichkeitsprüfungen bemängelt, aber keine neuen Daten angefordert. Auch sei die Behörde den Schwankungen in der Absonderung der Bt-Mengen nicht weiter nachgegangen, moniert TESTBIOTECH. Ob sich die EU-Gremien in ihrer Entscheidung von diesen Einwänden beeinflussen lassen, dürfte sich binnen der nächsten 12 Monate zeigen.

EU winkt SMARTSTAX durch
Im November 2013 hat die EU MONSANTOs Genmais-Sorte SMARTSTAX die Import-Zulassung zur Verwendung in Futter- und Lebensmitteln erteilt. Die Laborfrucht ist mit sechs Bt-Toxinen gegen den Maiszünsler und andere Insekten sowie mit Resistenzen gegen zwei Pestizide ausgestattet. Bei einem der Ackergifte handelt es sich um BAYERs berühmt-berüchtigtes Glufosinat, dessen EU-Genehmigung wegen seiner Gefährlichkeit 2017 ausläuft. Doch nicht nur das stößt auf Kritik. Die Initiative TESTBIOTECH moniert fehlende Untersuchungen zu den chemischen Reaktionen zwischen den Bt-Toxinen und den Anti-Unkrautmitteln; auch lägen keine Nachweise zur Umweltverträglichkeit vor. „Der Import dieser Pflanzen hat keinerlei Vorteile für Landwirte, Verbraucher oder die Tiergesundheit in der EU. Im Gegenteil, es gibt berechtigte Zweifel an der Sicherheit dieser Pflanzen, die einen ganzen Gift-Cocktail enthalten“, konstatiert die Organisation.

Gen-Raps jetzt auch in Lebensmitteln
In Ölen und Futtermitteln dürfen sich BAYERs drei Genraps-Sorten Ms8, Rf3 und Ms8 x Rf3 mit Genehmigung der EU schon länger tummeln. Und jetzt erlaubte Brüssel auch die Verwendung der gentechnisch steril gemachten und gegen das gesundheitsgefährdende Spritzmittel Glufosinat immunisierten Laborfrüchte in Lebensmitteln. Die Initiative TESTBIOTECH spricht sich gegen eine solche Zulassung aus, weil die Antragsunterlagen nur unzureichende Informationen über die möglicherweise gesundheits- und umweltschädlichen Risiken und Nebenwirkungen des Raps gegeben hätten.

Gen-Raps ist überall
1996 erhielt BAYER die Erlaubnis, in der Europäischen Union Gen-Raps der Sorten Ms1 x Rf1, Ms1 x Rf2 und Topas zur Saatgut-Produktion auszusäen. Ein großflächiger Anbau fand jedoch bis 2007 – dem Jahr, bis zu dem die Genehmigung galt – nie statt. Trotzdem fanden sich auch nach Ablauf der Zulassung noch reichlich Spuren der Laborfrucht in konventionellem Raps. Darum kam die EU-Kommission dem Leverkusener Multi netterweise entgegen und ließ für fünf weitere Jahre Kontaminationen von bis zu 0,9 Prozent zu. 2012 schließlich verlängerte Brüssel diese Ausnahmeregelung noch einmal. Die EU begründete diese Entscheidung mit der „Biologie“ des BAYER-Raps’, die es ihm in Verbindung mit bestimmten Ernte-Praktiken leider ermöglicht, lange in der Natur zu überwintern. „Gentechnisch veränderter Raps außer Kontrolle“ nennt die Initiative TESTBIOTECH deshalb ihre Kurzstudie zum Thema, in dem Topas & Co. nur als ein Beispiel unter vielen firmieren.

BAYER kauft argentinische Soja-Firma
Auf der nördlichen Hemisphäre stößt der Expansionsdrang der Agro-Riesen mittlerweile an Grenzen (siehe auch SWB 1/14). Darum kaufen sie derzeit vor allem in Asien und Südamerika zu. So hat BAYER die argentinische Soja-Firma FN SEMILLAS erworben, deren Angebot sowohl gentechnisch verändertes als auch konventionelles Saatgut umfasst. Die Gen-Saaten der FN-Reihe verfügen dabei hauptsächlich über Resistenzen gegen die Pestizide LIGATE von DUPONT und MANCHA OJO von RANA. „Mit dieser Akquisition erhalten wir Zugang zu hochwertigem genetischen Material für die Entwicklung neuer Sorten und Pflanzen-Eigenschaften“, konstatiert BAYER CROPSCIENCEs Lateinamerika-Boss Marc Reichardt. Zudem ermöglicht sie dem Leverkusener Multi, in den lokalen Saatgut-Markt einzusteigen. Allerdings müssen die Kartell-Behörden dem Deal noch zustimmen.

Neue Antikörper-Kooperation
Der Leverkusener Multi hat mit SEATTLE GENETICS eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Antikörpern zur Krebs-Behandlung vereinbart. Er überweist dem US-amerikanischen Unternehmen 20 Millionen Dollar für weitere Forschungen und stellt ihm Erfolgsprämien von bis zu 500 Millionen Dollar in Aussicht.

Gentests von SYSMEX
Der Leverkusener Multi baut sein Geschäft mit Krebs-Therapien weiter aus. Zu diesem Zweck lässt er von SYSMEX INOSTICS spezielle DNA-Tests entwickeln, die während der Behandlung Aufschluss über den Verlauf der Krankheit geben. Einen Vertrag über ähnliche Diagnostika-Produkte hatte BAYER zuvor bereits mit dem Unternehmen QIAGEN geschlossen.

WASSER, BODEN & LUFT

Krefeld: Vorerst kein Gaskraftwerk
Ursprünglich wollte BAYER auf dem Gelände des Krefelder Chemie-„Parks“ gemeinsam mit dem Stadtwerke-Verbund TRIANEL ein Kohlekraftwerk errichten. Dies stieß jedoch wegen des dann zu erwartenden hohen Ausstoßes von klima-schädlichem Kohlendioxid auf so massive Kritik, dass die Partner von ihren Plänen abrückten und den Bau eines Gaskraftwerks ankündigten. Sie ließen sich allerdings ein Hintertürchen offen. So erklärte der Global Player: „Ob dieses Projekt wirtschaftlich umsetzbar ist, wird sich im Laufe der Projekt-Entwicklung zeigen.“ Und im Sommer 2013 sahen sich SkeptikerInnen bestätigt. Die beiden Unternehmen verschoben das Vorhaben um mindestens drei Jahre. Ihre endgültige Entscheidung machen der Pharma-Riese und TRIANEL von der Energie-Politik der Großen Koalition abhängig. Konkret fordern sie eine staatliche Subventionierung der Kraft-Wärme-Kopplung, eine Befreiung von der EEG-Umlage und ein „Strommarkt-Design, das Anreize für die Investition in konventionelle Kraftwerke setzt“. Untätig bleibt der Leverkusener Multi dennoch nicht. Er treibt jetzt eine „kleine Lösung“ voran, um die Strom-Versorgung sicherzustellen und modernisiert seine alten Kesselanlagen.

Keine nachwachsenen Rohstoffe
Die Ratingagentur OEKOM RESEARCH hat die Bemühungen von Unternehmen zur nachhaltigen Beschaffung nachwachsener Rohstoffe untersucht und auf einer Skala von 0 bis 100 bewertet. BAYER schnitt dabei mit null Punkten denkbar schlecht ab.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

Lösemittel mit weniger VOC
Lackrohstoffe enthalten Lösemittel, die flüchtige organische Verbindungen, so genannte VOC, freisetzen. Diese Gase können krebserregend und erbgut-verändernd wirken sowie die Fortpflanzungsfähigkeit einschränken. BAYER hat jetzt mit BAYHYDROL zwar einen Lack entwickelt, in dem sich nur noch zwei statt früher fünf Prozent VOC tummeln, das macht jedoch immer noch ca. 30 Gramm pro Liter aus.

CO & CO.

Klage gegen alte CO-Pipeline
Der Leverkusener Multi hat bereits eine Kohlenmonoxid-Pipeline in Betrieb. Seit 2002 darf er das Giftgas nämlich von Dormagen nach Leverkusen in einer zehn Kilometer langen Leitung transportieren. Und das alles unter noch prekäreren Sicherheitsbedingungen als bei dem jetzt zwischen Dormagen und Krefeld fertiggestellten, aber immer noch seiner Genehmigung harrenden Röhren-Werk. Die Bezirksregierung Köln hat BAYER damals nämlich einfach erlaubt, eine 1968 für den Transport von Kohlendioxid errichtete Verbindung umzuwidmen und für CO zu benutzen. Dem Global Player zufolge entspricht diese aber gleichwohl dem „Stand der Technik“. Gottfried Schweitzer allerdings zweifelt das an. Er forderte den Global Player auf, die Pipeline stillzulegen. Als das Unternehmen dem nicht nachkam, verklagte der Leverkusener den Pharma-Riesen, „weil er wissentlich über elf Jahre hinweg mit dem Betreiben der oben genannten Pipeline das Leben zehntausender Menschen gefährdet hat“, wie es in seinem Brief an die Staatsanwaltschaft heißt. Auch gegen die Bezirksregierung Köln als verantwortliche Genehmigungsbehörde zog Schweitzer vor Gericht.

CBG will Infos über alte Pipeline
Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat in Sachen „Alt-Pipeline“ (s. o.) Aktivitäten entfaltet. Sie verlangt genauere Informationen über die damalige Genehmigung und hat die Bezirksregierung Köln aufgefordert, der Coordination die entsprechenden Dokumente wie den Genehmigungsbescheid, Änderungsbescheide über die neue Nutzung des Röhrenwerks als Kohlenmonoxid-Leitung, TÜV-Gutachten und Stellungnahmen zum Arbeitsschutz zukommen zu lassen.

Neues Pipeline-Mahnmal
Die Stadt Hilden hat aus Protest gegen BAYERs von Krefeld nach Dormagen verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline in unmittelbarer Nähe der Trasse ein Mahnmal errichtet. Am 13. September 2013 enthüllte der Bürgermeister Horst Thiele (SPD) das Werk, für dessen Errichtung die Ratsfraktionen aller Parteien gestimmt hatten.

PLASTE & ELASTE

Mehr Kunststoff-Profite?
Im September 2013 hatte der Leverkusener Multi seinem Kunststoff-Bereich BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) Rationalisierungsmaßnahmen verordnet, weil dieser mit 9,5 Prozent Rendite unter dem Klassenziel von 18 Prozent geblieben war, und 700 Jobs zur Disposition gestellt (Ticker 4/13). Zwei Monate später sieht Sparten-Chef Patrick Thomas wieder bessere Möglichkeiten, die Vorgaben zu erreichen: „Wir sehen eine positive Preis-Entwicklung in der nächsten Zeit.“ Auch steige in Asien die Nachfrage, so der Manager. Trotzdem blickt die Abteilung weiter einer unsicheren Zukunft im Konzern-Verbund entgegen, zumal der Vorstand gerade Interesse an zwei teuren Arznei-Akquisitionen bekundet hat, die sich durch einen Verkauf von BMS leichter finanzieren ließen.

PRODUKTION & SICHERHEIT

Duisburg: Neues Sirenen-Warnsystem
Im Herbst 2013 hat die Stadt Duisburg ein neues Sirenen-Warnsystem in Betrieb genommen. Den Anlass dazu bot BAYER. Der Chemie-Multi nutzt im benachbarten Krefeld nämlich das gefährliche Giftgas Phosgen als Vorprodukt bei der Kunststoff-Herstellung. Deshalb forderte das UMWELTFORUM DUISBURG schon 2005 Katastrophenschutz-Maßnahmen von der Stadt ein, die sie mit erheblicher Verzögerung nun auch umsetzte. Der Leverkusener Multi beteiligte sich mit 75.000 Euro an den Kosten.

OSHA kontrolliert BAYER nicht mehr
Die US-Arbeitsschutzbehörde „Occupational Safety and Health Administration“ (OSHA) kontrolliert die BAYER-Produktionsstätten nicht mehr regelmäßig. Die Teilnahme am „Volontary Protection Program“ (VPR) erspart dem Leverkusener Multi die Inspektionen. Das CENTER FOR PUBLIC INTEGRITY kritisiert diese Ausnahme-Regelungen, in deren Genuss über 2.400 Unternehmen kommen, mit Verweis auf deren Sündenregister. So führt die Initiative etwa die „signifikante(n) Mängel der Sicherheitsabläufe“ an, welche die OSHA bei der Untersuchung der Explosion am US-amerikanischen BAYER-Standort Institute, die 2008 zwei Todesopfer gefordert hatte, feststellte. Daraufhin hatte die Behörde den Konzern vorübergehend aus dem VPR-Programm suspendiert, heute bescheinigt sie ihm jedoch „gute Führung“. Der Agro-Riese habe die Probleme gelöst und ein ernsthaftes Bemühen demonstriert, seine Beschäftigten zu schützen, betont der OSHA-Sprecher William A. Burke gegenüber dem CENTER FOR PUBLIC INTEGRITY.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

CO-Unfall in Brunsbüttel
Am 25. September 2013 kam es im Brunsbütteler BAYER-Werk zu einer Freisetzung von Kohlenmonoxid. Zwei Beschäftigte wurden bewusstlos aufgefunden, drei weitere atmeten das Giftgas ein. Nach Angaben der Polizei schwebten zwei Betroffene in Lebensgefahr, ein Arbeiter musste reanimiert werden. Nach telefonischer Auskunft des ermittelnden Polizeibeamten erfolgte die Hilfe im allerletzten Moment. Vom Leverkusener Multi gibt es bis zum heutigen Tag keinerlei Informationen zu den Hintergründen des Zwischenfalls. Da dieses „Umweltereignis“ nach Ansicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) für die Entscheidung über die Erlaubnis der Inbetriebnahme von BAYERs von Krefeld nach Dormagen verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline von Belang ist, schrieb sie gemeinsam mit dem Kinderarzt Dr. Gottfried Arnold einen Offenen Brief an die Bezirksregierung Düsseldorf. „Nach unserer Auffassung hat die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf, umfassend über den Vorgang informiert zu werden. Auch sollten die Ermittlungsergebnisse sowie die daraus gezogenen Konsequenzen in das laufende Genehmigungsverfahren mit aufgenommen werden. Wir möchten Sie daher bitten, die Staatsanwaltschaft Itzehoe um Amtshilfe zu bitten und die Öffentlichkeit entsprechend zu informieren“, hieß es darin unter anderem. Darüber hinaus hatte die CBG den Brunsbütteler Unfall auf die Tagesordnung des Pipeline-Erörterungstermins gesetzt (siehe AKTION & KRITIK).

Explosion in Mexiko
Am 23. Oktober 2013 kam es in einem nahe der mexikanischen Stadt Orizaba gelegenen BAYER-Werk zu einer schweren Explosion, bei der ein Beschäftigter starb. Ein weiterer Belegschaftsangehöriger erlitt gravierende Verbrennungen. Die Druckwelle hatte eine solche Heftigkeit, dass sie in einem Radius von einem halben Kilometer Schäden verursacht hat.

Lösemittel treten aus
Am 11. November 2013 kam es in Wuppertal nahe des Bahnhofs Steinbeck zu einem Chemie-Unfall. Aus einem Kesselwaggon von BAYER trat ein Lösemittel-Gemisch aus. Das machte einen Großeinsatz der Feuerwehr mitsamt Sperrung des Bahnverkehrs in Richtung Köln erforderlich.

STANDORTE & PRODUKTION

Neue ESSURE-Fabrik in Costa Rica
Trotz schwerwiegender Nebenwirkungen (siehe DRUGS & PILLS) laufen die Geschäfte mit dem Sterilisationsmittel ESSURE gut. Um die Nachfrage stillen zu können, baut BAYER in Costa Rica eine neue Produktionsstätte auf. Als Standort hat der Leverkusener Multi die Industriezone in Aurora de Heridia auserkoren.

Ausbau des Russland-Geschäfts
Während der Leverkusener Multi hierzulande Arbeitsplätze vernichtet, baut er anderswo seine Geschäfte aus. So will er in Russland expandieren und 800 neue Stellen einrichten, um dort seinen Umsatz bis 2017 um 80 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro zu steigern.

IMPERIUM & WELTMARKT

Indische Dreckschleuder verkauft
BAYERs Pestizid-Fabriken an den indischen Standorten Vapi und Ankleshwar gehören zu den größten Dreckschleudern des Konzerns. Lange Zeit sorgten sie quasi im Alleingang für einen Großteil des Jahresausstoßes an flüchtigen organischen Substanzen (VOC) und klimaschädigenden Substanzen jenseits von Kohlendioxid. Der Leverkusener Multi versprach auf Hauptversammlungen stets Sanierungen, zögerte diese aber immer hinaus. Erst 2012 tat sich in Vapi etwas. In Sachen „Ankleshwar“, wo sich 2010 wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen sogar eine Explosion mit einem Todesopfer ereignet hatte, versprach der Multi bis 2015 Maßnahmen. Das ist ihm jetzt jedoch offensichtlich zu mühsam. Der Konzern entschloss sich stattdessen, die Niederlassung zu verkaufen. Jetzt darf sie die Umweltbilanz von DECCAN FINE CHEMICALS belasten.

BAYER-Pharma verlässt Kolumbien
„Seit 100 Jahren hat BAYER an die Zukunft Kolumbiens geglaubt und in sie investiert. Das werden wir auch in Zukunft tun“, so feierte der Konzern-Manager Frank Dietrich im letzten Jahr den runden Geburtstag der Unternehmensniederlassung in dem Andenstaat, zum dem sogar der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers angereist war. 2013 sind die Worte Dietrichs nur noch Schall und Rauch. Aus Rentabilitätsgründen zieht der Leverkusener Multi seine gesamte Pharma-Produktion aus dem Land ab und verlegt sie nach Mexiko und Guatemala.

Zukäufe in Brasilien
Auf der nördlichen Hemisphäre stößt der Expansionsdrang der Agro-Riesen mittlerweile an Grenzen (siehe auch SWB 1/14). Darum verstärken sie sich derzeit vor allem in Asien und Südamerika. So hat BAYER in Argentinien die Soja-Firma FN SEMILLAS erworben (siehe auch GENE & KLONE). Auch in Brasilien akquirierte der Leverkusener Multi Saatgut-Unternehmen, um seine Sammlung mit Erbmaterial der Soja-Pflanze zu erweitern, welche als Grundstock für die Entwicklung neuer konventioneller und gentechnisch veränderter Sorten dient. Er kaufte dort 2013 die Unternehmen WEHRTEC und MELHORAMENTO AGROPASTORIL auf, bereits zwei Jahre vorher hatte der Agro-Riese SOYTECH übernommen. Überdies erweiterte der Konzern seine Zusammenarbeit mit dem Weizenzüchter BIOTRIGO.

BAYER verkauft BINOTAL
Der BAYER-Konzern hat das Antibiotikum BINOTAL aus seinem

[150 Jahre] STICHWORT BAYER 04/2013

CBG Redaktion

150 Jahre BAYER

Von Aspirin bis Zyklon B

Vor 150 Jahren wurde die Firma „Friedr. Bayer et comp.“ gegründet. Die Bayer AG stieg in der Folge zu einem der größten Chemie- und Pharmakonzerne der Welt auf. Für Profite ging das Unternehmen immer wieder über Leichen. Kanzlerin Merkel hielt dies nicht davon ab, bei der Jubiläumsfeier persönlich zu gratulieren.

Von Philipp Mimkes

Am 1. August 1863 gründeten der Kaufmann Friedrich Bayer und der Färber Friedrich Weskott in Wuppertal-Barmen die Firma „Friedr. Bayer et comp“. Mit zunächst drei Mitarbeitern wurden Farbstoffe für die boomende Textilindustrie produziert.
Erst kurz zuvor war in England die Gewinnung synthetischer Farbstoffe aus Teer entwickelt worden. Da die deutschen Länder keine ausländischen Patente anerkannten, schossen überall Teerfarbenfabriken aus dem Boden. Fast alle deutschen Chemieunternehmen - neben Bayer auch BASF, Hoechst und Agfa – haben daher ihren Ursprung in der Herstellung von Farbstoffen.
Rasch setzte ein Konzentrationsprozess ein, den nur wenige Firmen überlebten. Bayer baute schon nach wenigen Jahren eine größere Fabrik in Wuppertal-Elberfeld und wurde 1881 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Zum Ende des Jahrhunderts hatte die Firma bereits mehrere tausend Mitarbeiter; zwei Drittel aller Farbstoffe weltweit wurden nun von deutschen Firmen erzeugt.
Noch im 19. Jahrhundert eröffnete Bayer die ersten Auslands-Repräsentanzen, zunächst in Russland, Lateinamerika und den USA, später auch in China und Japan. Auch die ersten Pharmaprodukte, Pestizide und Photochemikalien wurden in das Portfolio aufgenommen.

Hustenmittel Heroin
1884 trat der 22-jährige Chemiker Carl Duisberg in die Bayer AG ein. Bis zu seinem Tod im Jahr 1935 sollte er die Geschicke der Firma und die der chemischen Industrie insgesamt maßgeblich bestimmen.
Duisberg baute zunächst ein leistungsfähiges Pharma-Forschungslabor auf. Eine der ersten Entwicklungen war das Schmerzmittel Aspirin, das 1899 auf den Markt kam. In seinen Festschriften feiert der Konzern das Präparat heute als „Jahrhundertpharmakon“ - vollkommen zu Recht. Doch Aspirin ist nur das eine neue Medikament, das Bayer zu einem der führenden Pharma-Anbieter machte. Das andere Wundermittel verschweigt die Unternehmensgeschichte wohlweislich, obwohl es zum wirtschaftlichen Aufstieg mindestens ebenso viel beitrug: Heroin. Das „Beruhigungsmittel bei Husten“ wurde ebenfalls ab 1899 angeboten.
Im Jahr 1900 startete Bayer für die beiden Präparate einen bis dahin nie da gewesenen Werbefeldzug. Auf dem ganzen Globus wurden Anzeigen geschaltet, Ärzte wurden erstmals flächendeckend mit Gratisproben versorgt, und Niederlassungen von Brasilien bis China brachten die Präparate bis in die entlegensten Gebiete. Heroin wurde für eine breite Palette von Krankheiten beworben, darunter Multiple Sklerose, Asthma, Magenkrebs, Epilepsie und Schizophrenie.
Als Wissenschaftler auf das Suchtpotential des Tausendsassas hinwiesen, forderte Carl Duisberg, die Querulanten „mundtot zu schlagen“. Und weiter: „Wir dürfen nicht dulden, dass in der Welt behauptet wird, wir hätten unvorsichtigerweise Präparate poussiert, die nicht sorgfältig probiert sind“. Der sensationelle Erfolg verschaffte Carl Duisberg am 1. Januar 1900 den Vorstandsposten bei Bayer.

Umweltprobleme im 19. Jahrhundert
Schon der Aufbau der Chemie-Industrie führte zu großen Umweltschäden. Bereits im 19. Jahrhundert sah sich die Firma mit ersten Protesten und Klagen konfrontiert. So legten 23 Barmener Anwohner Einspruch gegen die Konzessionen für Friedrich Bayer ein. Sie befürchteten „Schäden an Gesundheit und Vegetation“ durch die Produktion von Zinn- und Eisenbeize, Indigokarmin und Blaupulver. Im Sommer 1864 musste das erst im Jahr zuvor gegründete Unternehmen die ersten Entschädigungen leisten. Immer mehr Beschwerden kamen in der Nachbarschaft auf, die Höhe der Abfindungssummen nahm zu. Die Firmenleitung reagierte mit einem ersten Umzug des Werks nach Wuppertal-Elberfeld.
Dort gingen die Probleme jedoch weiter, besonders wegen der Entsorgung giftiger Produktionsabfälle. Fabrikrevisionen im Jahr 1872 zeigten, dass Bayer es mit den Konzessionsauflagen nicht sonderlich genau nahm, was erneut zu Geldstrafen und sogar einem Eingreifen des Elberfelder Bürgermeisters führte. Eine Auseinandersetzung um austretende Dämpfe beschäftigte sogar das Ministerium für Handel und Gewerbe in Berlin. Einen Höhepunkt erreichten die Proteste im Juni 1889, als sich 66 Anwohner mit einem Protestschreiben an die Königliche Regierung wandten. Der Historiker Ralf Henneking vermutet, dass das Unternehmen vor behördlichen Inspektionen gewarnt wurde, weswegen die Strafzahlungen zum Ende des Jahrhunderts hin zurückgingen.
Durch die Tallage der Wuppertaler Fabrik waren die Expansionsmöglichkeiten begrenzt, weswegen ab 1895 der Bau des Leverkusener Werks vorangetrieben wurde. Auch hier gab es zunächst Konflikte mit Nachbarn und Behörden. So reichten Anwohner Beschwerden gegen die Errichtung von Salz- und Schwefelsäureanlagen ein, da sie durch die Abgase Gefahren für ihre Gesundheit befürchteten. In drei weiteren Fällen kam der Einspruch von Seiten der Stadt Köln, die eine Schädigung für ihr Stadtgebiet befürchtete. Einige Nachbarn zogen ihre Einwendungen freiwillig zurück, wahrscheinlich nach diskreten Geldzahlungen. Für die Landbesitzer wurde es ohnehin lukrativer, von den deutlich gestiegenen Grundstückspreisen zu profitieren, so dass Bayer nach und nach eine Fläche von fünf Quadratkilometern aufkaufen konnte. 1912 wurde der Firmensitz schließlich ganz nach Leverkusen verlegt.

Wasserverschmutzung
Von Anfang an versuchte die Firma Bayer, die Ausgaben für die Reinhaltung von Luft und Wasser zu minimieren. So kam eine Untersuchung der preußischen Regierung aus dem Jahr 1876 zu dem Ergebnis, dass die Wupper im Raum Barmen-Elberfeld „meistens einem Tintenstrom“ gleiche. Der Umzug nach Leverkusen wurde auch vor dem Hintergrund betrieben, dass der Rhein deutlich größere Mengen chemischer Abwässer aufnehmen konnte.
Die ersten Genehmigungen für die Abwassereinleitung in den Rhein enthielten jedoch noch die Bedingung, dass das Wasser frei von schädlichen oder übelriechenden Beimengungen und möglichst rein sein müsse. Behördliche Untersuchungen bemängelten, dass die Abwässer stark sauer reagierten. Die Unternehmensleitung versprach daraufhin, eine Abwasserkommission zu bilden und eine Selbstkontrolle vorzunehmen.
Stattdessen wurde jedoch zunächst ein Gutachten beauftragt, mit dessen Erstellung Curt Weigelt, ein langjähriger Lobbyist der chemischen Industrie, betraut wurde. Weigelt bezeichnete die Verunreinigung des Rheins denn auch als „unvermeidlich“; eine vorwärtsstrebende Industrie müsse die Kosten für die Abwasserreinigung so niedrig wie möglich halten und könne ohne das staatliche Zugeständnis einer „größeren Opferstrecke“ nicht auskommen. Carl Duisberg bekräftigte, dass technische Maßnahmen zur Abwasserreinigung eine „Vergeudung von Nationalkapital“ seien. Duisberg trat für die „Freiheit der fließenden Welle“ ein und forderte eine unbeschränkte industrielle Nutzung des Rheins. Auf Grundlage des Gutachtens teilte die Unternehmensleitung dem zuständigen Landrat mit, dass die Auflagen nicht erfüllt werden könnten. Die Konzessionen blieben dennoch bestehen.
Teile der damaligen Genehmigung haben Auswirkungen bis in die Gegenwart: so entnimmt allein das Leverkusener Werk dem Boden jährlich rund 85 Millionen Kubikmeter Grundwasser - mehr als der Trinkwasserbedarf der benachbarten Millionenstadt Köln. Während die Städte Köln und Düsseldorf mit hohem Kostenaufwand Wasser aus Rhein-Uferfiltrat gewinnen müssen, nutzt Bayer das weit sauberere Grundwasser. Aufgrund der alten „Wasserrechte“ musste das Unternehmen bis vor wenigen Jahren hierfür nicht einmal Abgaben leisten, weswegen Investitionen in wassersparende Technologien weitgehend unterblieben.

Sprengstoff und Giftgas
Im 1. Weltkrieg griff die deutsche Chemie-Industrie erstmals in den Lauf der Weltgeschichte ein. Aufgrund der englischen Seeblockade versiegte der Nachschub von Chile-Salpeter, der für die Produktion von Sprengstoff unabdingbar war. Eine für den Herbst 1914 geplante Offensive musste abgeblasen werden.
Zur Entschärfung der Lage richtete die Oberste Heeresleitung eine Salpeter-Kommission ein. Ende 1914 gaben Carl Bosch von der BASF und Carl Duisberg den Militärs das sogenannte „Salpeter-Versprechen“ und sicherten die Bereitstellung großer Mengen Ammoniumnitrat zu. Im Gegenzug erhielten die Firmen langfristige Abnahmegarantien und Darlehen in Millionenhöhe. Schon im Frühjahr 1915 konnte die Salpeter-Produktion aufgenommen werden, die Industrie hatte dadurch nach eigenen Worten „den Krieg gerettet“. Allein für das Ammoniak- und Salpeterwerk in Leuna wurden Reichskredite in Höhe von 432 Millionen Mark gewährt. Diese wurden sogar zurückgezahlt – allerdings erst 1923 auf dem Höhepunkt der Hyperinflation.
Historisch wichtig ist auch die Rolle von Bayer bei der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Im Herbst 1916 beklagte Carl Duisberg den Mangel an Arbeitskräften und forderte mit dem Ausspruch „öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“ den Einsatz von Zwangsarbeitern. Das Reichsamt des Inneren griff den Vorschlag auf und ließ rund 60.000 Belgier deportieren. Das Vorhaben scheiterte zwar größtenteils, unter anderem wegen eines Streiks der Belgier. Die Deportation gilt jedoch als Blaupause für das ungleich mörderischere Zwangsarbeiter-Programm im 2. Weltkrieg. Duisberg plädierte bis zuletzt dafür, die Arbeitsmöglichkeiten und die Lebensmittel in Belgien zu rationieren, um die „Arbeitslust“ der Belgier in Deutschland zu steigern.
Zur selben Zeit entwickelte Bayer chemische Kampfstoffe. Carl Duisberg war bei den ersten Chlorgasversuchen auf dem Truppenübungsplatz in Köln-Wahn persönlich anwesend und pries den Chemie-Tod begeistert: „Die Gegner merken und wissen gar nicht, wenn Gelände damit bespritzt ist, in welcher Gefahr sie sich befinden und bleiben ruhig liegen, bis die Folgen eintreten.“ Kurz darauf erfolgte der erste Einsatz durch das deutsche Heer im belgischen Ypern. Unter Duisbergs Leitung wurden bei Bayer weitere Kampfstoffe entwickelt: das weit giftigere Phosgen („Grünkreuz“), das bis heute als Vorprodukt von Kunststoffen produziert wird, und später Senfgas. Duisberg forderte vehement den Einsatz der Kampfstoffe: „Die einzig richtige Stelle aber ist die Front, an der man so etwas heute probieren kann und auch für die Zukunft nicht sobald wieder Gelegenheit hat, so etwas auszuprobieren. ... Ich kann deshalb nur noch einmal dringend empfehlen, die Gelegenheit dieses Krieges nicht vorübergehen zu lassen“. Insgesamt geht die Forschung von 60.000 Toten des von Deutschland begonnen Gaskrieges aus.

IG Farben
Die Krönung des Lebenswerks von Carl Duisberg war die 1925 erfolgte Gründung der IG Farben, dem damals größten europäischen Konzern und – nach Standard Oil – zweitgrößten der Welt. Der Zusammenschluss umfasste Bayer, BASF, Hoechst und einige kleinere Firmen. Duisburg wurde erster Aufsichtsratsvorsitzender.
Spätestens ab 1930 leisteten die IG Farben direkte Spenden an die NSDAP. Im Sommer 1932 schloss der langjährige Assistent Duisbergs, Heinrich Gattineau, mit Hitler und Rudolf Heß den sogenannten „Benzinpakt“. Die IG sicherte dem auf Autarkie versessenen Hitler die unbegrenzte Lieferung von Treibstoffen zu. Im Gegenzug erhielt die Firma nach 1933 Absatzgarantien für synthetischen Treibstoff und Kautschuk („Buna“). Eine gigantische Fehlinvestition der IG Farben - die aufwendige Kohlehydrierung war auf dem Weltmarkt bis dahin nicht konkurrenzfähig – amortisierte sich dadurch im Nachhinein.
In den folgenden Jahren kollaborierte kein anderes Unternehmen so eng mit dem Dritten Reich wie die IG Farben. Der 1936 verordnete Vierjahresplan zur Umstellung auf eine Kriegswirtschaft basierte größtenteils auf Vorschlägen der Firma; in der neu geschaffenen Vierjahresplanbehörde wurden hauptsächlich Vertreter der IG beschäftigt. Das Unternehmen war denn auch eng in den Eroberungskrieg des Dritten Reichs eingebunden. Der Konzern folgte der Wehrmacht in die eroberten Länder Europas und übernahm meist innerhalb weniger Wochen die dortige Chemie-Industrie, Kohlegruben und Ölquellen.
Als Teil der IG Farben beteiligte sich Bayer während des Krieges an den grässlichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. So lieferte die Degesch, eine Tochterfirma von IG Farben und Degussa, das Zyklon B für die Gaskammern. Im Auftrag der IG wurden in Buchenwald und Auschwitz tödliche Experimente an Häftlingen durchgeführt, besonders mit Impfstoffen. Und die IG Farben ließen sich in Auschwitz eine riesige neue Fabrik von Sklavenarbeitern bauen. Im konzerneigenen Konzentrationslager Auschwitz-Monowitz kamen rund 30.000 Zwangsarbeiter ums Leben. Den Aufbau des benachbarten Vernichtungslagers Birkenau unterstützte die Firma finanziell und logistisch.
Wie eng der Austausch von Firma und KZ-Leitung war, belegt ein Zitat von Otto Ambros, Vorstandsmitglied des Technischen Ausschusses der IG Farben: „Unsere neue Freundschaft mit der SS wirkt sich sehr segensreich aus. Anlässlich eines Abendessens, das uns die Leitung des KZ gab, haben wir weiterhin alle Maßnahmen festgelegt, welche die Einschaltung des KZ-Lagers zugunsten der Buna-Werke betreffen“. Zur Behandlung der Zwangsarbeiter ordnete IG-Vorstandsmitglied Christian Schneider an: „Oberster Grundsatz bleibt es, aus den Kriegsgefangenen soviel Arbeitsleistung herauszuholen, als nur irgend möglich. Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, dass sie bei denkbar sparsamstem Aufwand die größtmögliche Leistung vollbringen“. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Arbeitssklaven betrug denn auch nur neun Monate.
Ohne die IG Farben hätte Auschwitz zweifellos nicht seine unvergleichliche Bedeutung als größtes Todeslager der Geschichte erlangen können.

Entnazifizierung
1952 wurden die IG Farben auf Verfügung der Alliierten in ihre ursprünglichen Bestandteile zerlegt. Die Bayer AG erhielt die Werke am Niederrhein und ein Stammkapital in Höhe von 388 Millionen Mark.
Zuvor hatte sich in den Nürnberger Prozessen ein eigenes Verfahren mit den Verbrechen der chemischen Industrie beschäftigt. Die zunächst sehr gründlichen Ermittlungen wurden jedoch wegen des aufkommenden Kalten Kriegs immer halbherziger geführt. Zudem hatten die IG Farben ab 1944 systematisch belastende Unterlagen vernichtet. Zwar werden im Urteil alle Verbrechen des Konzerns genannt: „a) die Rolle der I.G. bei dem Sklavenprogramm des Dritten Reiches, b) die Verwendung von Giftgas bei der Ausrottung von Konzentrationslagerinsassen, c) die Lieferung von giftigen Chemikalien der I. G. für verbrecherische medizinische Versuche an versklavten Personen, d) die unmenschliche Handlungsweise der Angeklagten in Zusammenhang mit dem Werk Auschwitz der I.G.“.
Dennoch wurden die Manager lediglich zu Haftstrafen von maximal acht Jahren verurteilt. Schon 1951 waren alle wieder auf freien Fuß und konnten ihre Karriere fortsetzen. So wurde Fritz ter Mer, der den Aufbau des Werks Auschwitz mitorganisiert hatte, nach seiner Haft Aufsichtsratsvorsitzender der Bayer AG. Für die Arbeitssklaven brachte ter Meer auch im Nachhinein wenig Mitgefühl auf: ihnen sei „kein besonderes Leid zugefügt worden, da man sie ohnedies getötet hätte“. Bayer benannte später sogar eine Studienstiftung in „Fritz-ter-Meer-Stiftung“.
Auch heute noch regt sich beim Konzern kein Unrechtsbewusstsein. So bezeichnet die von Bayer herausgegebene Festschrift Meilensteine die „Verstrickung“ der IG Farben im Dritten Reich schlicht als „Folge einer Zwangslage, in der die meisten nicht anders gehandelt hätten und gehandelt haben.“

Wiederaufstieg der großen drei
Bayer, BASF und Hoechst wurden zwar formal aufgespalten, stimmten aber ihre Geschäfte über Jahrzehnte hinweg eng aufeinander ab. So glückte in vielen Bereichen die Rückkehr an die Weltspitze. Der Leverkusener Konzern behauptete sich vor allem in den Segmenten Pestizide, Kunststoffe und Pharma und jüngst auch im Bereich Saatgut/Gentechnik (siehe „Chemie satt“, jW vom 8. Juli 2013). Der Verkauf von Basis-Chemikalien, Fotoprodukten und Farbstoffen hingegen wurde in den letzten zwei Jahrzehnten aufgegeben. Der Umsatz von Bayer stieg kontinuierlich auf heute 40 Milliarden Euro an.
Bis heute hat der Konzern zahlreiche hochproblematische Produkte im Sortiment. So schätzt die Weltgesundheitsorganisation die Zahl der jährlichen Pestizidvergiftungen auf bis zu 20 Millionen, rund 200.000 Fälle verlaufen tödlich. Für einen großen Teil der Vergiftungen sind Bayer-Produkte verantwortlich; mit einem Weltmarktanteil von rund 20% ist die Firma der zweitgrößte Pestizidhersteller der Welt. Obwohl das Unternehmen einräumt, dass „der sachgerechte Umgang mit Pflanzenschutzmitteln unter bestimmten Bedingungen in einigen Ländern der Dritten Welt nicht immer gewährleistet ist“, verkauft Bayer weiterhin hochgiftige Wirkstoffe, vor allem in Entwicklungsländern.
Historisch gesehen stammen die meisten Agrogifte aus der Giftgas-Forschung. Dr. Gerhard Schrader, der während des Dritten Reichs in den Wuppertaler Bayer-Laboren Kampfgase wie Sarin und Tabun entwickelt hatte, sattelte nach dem Krieg um und übernahm die Leitung der Pestizidabteilung. Ganz an den Nagel gehängt wurde die Herstellung von Giftgas jedoch nicht: während des Vietnam-Kriegs produzierte die von Bayer und Monsanto gegründete Firma Mobay das berüchtigte Entlaubungsmittel „Agent Orange“.
Und auch im Pharmabereich ging der Konzern immer wieder über Leichen. So wurde in den 80er Jahren etwa die Hälfte aller Bluter weltweit mit HIV oder Hepatitis C infiziert, ein Großteil durch Produkte des Weltmarktführers Bayer. Bestehende Inaktivierungsverfahren setzte der Konzern aus Kostengründen jahrelang nicht ein. Nach dem Verbot unbehandelter Blutprodukte in den USA und Europa wurden die übriggebliebenen Chargen nach Lateinamerika und Asien exportiert. Tausende Bluter bezahlten mit ihrem Leben.
Jüngere Pharma-Skandale verbinden sich mit dem Cholesterinsenker Lipobay, der trotz interner Warnungen auf den Markt gedrückt wurde und der den Konzern über eine Milliarde Entschädigungszahlungen kostete, sowie mit Antibabypillen der Yasmin-Gruppe. Die Einnahme der Pillen geht mit einem deutlich erhöhten Thrombose- und Schlaganfall-Risiko einher, mehrere hundert Frauen. Allein in den USA musste Bayer über eine Milliarde Dollar an Geschädigte und Hinterbliebene zahlen.

Historie weißgewaschen
Zum 150-jährigen Bestehen organisiert die Firma Bayer zahlreiche Festveranstaltungen mit prominenten Gästen. Ein eigens gebautes Luftschiff wirbt in allen fünf Kontinenten für den Konzern. Auch eine Ausstellung wurde von Leverkusen aus um die Welt geschickt.
Die Kehrseiten der Firmengeschichte werden in den zahlreichen Festschriften jedoch ausgeklammert. In der jüngsten Hauptversammlung wiesen Kritische Aktionäre zwar darauf hin, dass Bayer für Verbrechen wie Zwangsarbeit, Giftgas-Einsatz und Pestizidvergiftungen mitverantwortlich sei. Der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers bezeichnete den Hinweis jedoch als „schlichtweg abenteuerlich“. Das Unternehmen habe sich immer für Umweltschutz und zumutbare Arbeitszeiten eingesetzt, über die Geschichte werde „offen und transparent“ informiert.
Angela Merkel, die es sich bei der großen Geburtstagsfeier vor zwei Wochen in den Kölner Messehallen nicht nehmen ließ, persönlich zu gratulieren, schlug in dieselbe Kerbe: Bayer sei ein „wichtiges Standbein der deutschen Industrie“ und blicke auf eine „sehr beeindruckende Geschichte“ zurück. Kritische Fragen kamen in der Laudatio erwartungsgemäß nicht zur Sprache. Ein Offener Brief, in dem die Kanzlerin aufgefordert wurde, sich an der Weißwaschung der Firmenhistorie nicht zu beteiligen, blieb ohne Antwort.

[150 Jahre] STICHWORT BAYER 03/2013

CBG Redaktion

BAYERs Geschichtsschreibung

Brandstifter als Biedermänner

Zu ihrem 150jährigen Jubiläum legt die BAYER AG eine in neun Abschnitte gegliederte kurze „Unternehmensgeschichte“ vor, die das Bild eines innovativen, humanen und verantwortungsbewussten Unternehmens zeichnet. Das Gegenteil ist wahr. Die Vergangenheit des Leverkusener Multis strotzt vor Verbrechen – Mord, Totschlag und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeschlossen. Im Folgenden zeigt Stichwort BAYER an Beispielen, die sich an den Kapiteln der Konzern-Historie orientieren, wie die Nachfahren der Brandstifter diese zu Biedermännern machen.

Die Gründerjahre (1863-1881)
Der Aufstieg der deutschen chemischen Industrie in den Gründerjahren gehört zu den ganz großen kapitalistischen Erfolgsstories des deutschen Imperialismus. Die „Unternehmensgeschichte“ schweigt dazu schamhaft.
Nach der Erfindung der synthetischen Farbstoffe schießen kleine Klitschen, in denen Farben zusammengerührt werden, wie Pilze aus dem Boden. Nur wenige überleben. Doch diese wachsen explosionsartig. Bereits Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts erzeugen deutsche Firmen weltweit 50 Prozent aller Farbstoffe. Die BAYER AG ist neben BASF und HOECHST eines der drei sehr großen Unternehmen, gefolgt von drei kleineren (AGFA, CASELLA, KALLE), die den Weltmarkt der synthetischen Farbstoffe beherrschen. 1913 beträgt ihr Anteil 90 Prozent.
Die deutsche chemische Industrie war genuiner Bestandteil der rasanten Entwicklung des deutschen Kapitalismus. Ihr aggressives Drängen auf den Weltmarkt, die Entwicklung immer neuer chemischer Stoffe, die schnelle Ausweitung der Produktpalette, das rasche Wachsen des eingesetzten Kapitals machten die chemische Industrie und damit auch die junge BAYER AG zu einem politischen Faktor von nationaler und internationaler Bedeutung. Bereits 1881 hatten sich die Strukturen herausgebildet, die bis 1914 dazu führten, dass ohne die chemische Industrie keine Entscheidung von nationaler Bedeutung getroffen wurde.

1881–1914
1883/84 tritt Carl Duisberg als 22-Jähriger in die BAYER AG ein. Er wird die Geschicke der Firma, der chemischen Industrie und ganz Deutschlands bis 1935 maßgeblich bestimmen.
Zunächst baut Duisberg ein leistungsfähiges Pharma-Forschungslabor auf. Aus diesem Labor stammt das ASPIRIN, das 1899 auf den Markt kommt. Die „Unternehmensgeschichte“ nennt es liebevoll „Jahrhundertpharmakon“. Zu Recht. Doch ASPIRIN ist nur das eine neue Medikament, das BAYER in den folgenden Jahren zu einer der führenden Pharma-Firmen macht. Das andere Wundermittel verschweigt die „Unternehmensgeschichte“, obwohl es zum wirtschaftlichen Aufstieg des Konzerns in den folgenden zwei Jahrzehnten ebenso viel, wenn nicht noch mehr beiträgt als ASPIRIN. Es ist das Heroin, das BAYER ebenfalls ab 1899 vertreibt und weltweit als „Beruhigungsmittel bei Husten“ bewirbt. Der sensationelle Erfolg verschafft Duisberg am 1. Januar 1900 den Vorstandsposten.
Dass es Jahre dauerte, bis öffentlich auch nur diskutiert wurde, dass Heroin süchtig macht, war zum einem historisch bedingten anderen Umgang mit Drogen geschuldet, zum anderen aber kämpfte die BAYER AG mit allen juristischen und politischen Mitteln für die freie Verbreitung ihres Pharma-Blockbusters. Erst Mitte der 20er Jahre gab der Pillen-Produzent den Kampf um „Heroin für alle“ auf. Nirgendwo gibt es Statistiken über die weltweiten Opfer des BAYER-Heroins.

1914–1925
„Der Erste Weltkrieg unterbricht eine glänzende Entwicklung.“ Dieser Satz ist eine der größeren Lügen der „Unternehmensgeschichte“. Die Verluste auf den internationalen Märkten wurden mehr als kompensiert durch das Sprengstoff- und Giftgasgeschäft. Und das kam so zustande: Nach dem völkerrechtswidrigen Schlieffenplan sollte Frankreich nach wenigen Monaten besiegt sein. Doch das Blitzkriegskonzept war nicht nur verbrecherisch, sondern auch militärisch untauglich. Abgeschnitten vom chilenischen Salpeter, drohte nun die Sprengstoff-Herstellung zusammenzubrechen. Das Deutsche Reich hätte den Krieg bereits 1915 beenden müssen. Doch jetzt half die chemische Industrie. Sie gab das „Salpeter-Versprechen“. Das Verfahren, wie man aus Ammoniak Salpetersäure herstellt, war bekannt. Es musste nur innerhalb kürzester Zeit großtechnisch umgesetzt werden. Und das war teuer – für das Deutsche Reich! Die chemische Industrie forderte Abnahme und Preisgarantien sowie ein Staatsdarlehen von 35 Millionen Reichsmark. Später ließ man sich das Ammoniak- und Salpeterwerk Leuna mit Reichskrediten von insgesamt 432 Millionen Mark bezahlen. Die zahlte man bürgerpflichtbewusst sogar zurück – allerdings 1923 auf dem Höhepunkt der Hyperinflation.
Der zweite große Beitrag von BAYER zum Ersten Weltkrieg war das Giftgas. Phosgen, Diphosgen, Lost, Chlor u. a. wurden in großen Mengen produziert und unter Anleitung der Wissenschaftler vom deutschen Militär eingesetzt. Der Gaskrieg kostete Hunderttausende Leben oder Gesundheit; auch deutsche Soldaten, denn selbstredend reagierte die Entente und verwandte ebenfalls Chemie-Waffen. Der Krieg bescherte der chemischen Industrie enorme Profite und einen bis dahin nie dagewesenen politischen Einfluss.

1925–1945
1925 schließt sich nahezu die gesamte chemische Industrie zur IG FARBEN zusammen und verwirklicht damit Duisbergs langgehegten Plan. Der Konzern wird als verbrecherische Organisation schließlich 1945 von den Alliierten aufgelöst. Dieser Tatsache muss auch die „Unternehmensgeschichte“ Rechnung tragen. Sie verschweigt jedoch die aktive Rolle, welche die IG FARBEN bei der Unterstützung der Faschisten, bei der Vorbereitung des Krieges und in diesem selber gespielt haben. Die gemeinsamen Interessen betrafen diesmal nicht nur Sprengstoffe, sondern auch die synthetische Benzin-Herstellung (Benzinpakt) und die Produktion von Reifen aus synthetischem Kautschuk. Die zu diesem Zweck neu errichteten Buna- und Hydrierwerke stehen heute noch.
Die Verstrickung der IG FARBEN in die Verbrechen der Faschisten war allumfassend. Nur ein Beispiel, eines der widerlichsten. Parallel zum Vernichtungslager Auschwitz wurde ein IG-Werk errichtet – natürlich von Häftlingen. In der Bauphase beschwerte sich der Oberbauleiter der IG FARBEN am 31. 10. 1943 in seinem Wochenbericht: „Eine Sorge, die von Woche zu Woche brennender wird, bildet die ständig abnehmende Arbeitsmoral auf der Baustelle (…) Bedauerlich hierbei ist, dass die Gestapo bei der Behandlung von Fragen der Arbeitsbummelei nicht so prompt arbeitet, wie dies von uns gewünscht wird. So werden z. B. Reklamationen bei der Gestapo wegen Behandlung von uns gemeldeter Arbeitsbummelanten mit dem einfachen Hinweis beantwortet, dass sich die Gestapo nicht drängeln ließe. Diese Tatsache allein zeigt, dass man dort noch nicht erkannt hat, worum es geht. Bezüglich der Behandlung der Häftlinge habe ich zwar stets dagegen opponiert, dass Häftlinge auf der Baustelle erschossen oder halbtot geschlagen werden. Ich stehe jedoch auf dem Standpunkt, dass eine Züchtigung in gemäßigten Formen unbedingt notwendig ist …“
ZynikerInnen könnten fragen, ob die Behandlung mit Zyklon B, das die IG-Tochter DEGESCH zur massenhaften Juden-Vernichtung nach Auschwitz lieferte, eine solche Züchtigung in gemäßigten Formen war. Immerhin geschah sie hinter verschlossenen Türen, und die zarten Augen der ArierInnen wurde durch keine blutige Erschießung belastet.

1945–1951
Zunächst war das Entsetzen bei den West-Alliierten groß, als diese 1945 die Archive der IG FARBEN sichteten, in denen das verbrecherische Wesen des Konzerns in allen Details offenbar wurde. Der Wille, den Multi zu zerschlagen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, war vor allem bei einer starken Fraktion der US-amerikanischen Militärverwaltung vorhanden. Es ist ein bemerkenswertes Detail, dass der offizielle Bericht der US-amerikanischen Militärregierung der USA für Deutschland der BAYER AG ein eigenes Kapitel widmete – als einziger der IG-Töchter. Dort heißt es unter anderem: „BAYER war an der Unterstützung und Umsetzung der Politik und der Ideologie des NS-Staates aktiv beteiligt. Die folgenden, wenn auch unvollständigen Beispiele zeigen, dass man sich dort schon früh und in der Folgezeit nachhaltig für die NS-Ideologie einsetzte.“
Als den IG-Managern 1947/48 der Prozess gemacht wurde, hatten sich andere Überlegungen durchgesetzt. Im Kalten Krieg wurde die Chemie-Industrie benötigt. Entsprechend milde fielen die Urteile aus. Auch von einer echten Zerschlagung des Konzerns war keine Rede mehr. Er wurde in drei Gesellschaften (BAYER, BASF, HOECHST) aufgeteilt, die nur wenige Jahre später jede für sich allein den Umsatz der IG FARBEN übertrafen. So waren Anfang der 50er Jahre alle Manager wieder auf freiem Fuß und zum überwiegenden Teil auch wieder in Amt und Würden.

1951–1974
Von Wiederaufbau konnte kaum die Rede sein. 90 Prozent der Fertigungsanlagen waren unmittelbar nach dem Krieg intakt, da anscheinend weder die Alliierten noch die Nazis Interesse an ihrer Zerstörung hatten. Die US-AmerikanerInnen konnten die Spezialkenntnisse der deutschen chemischen Industrie sehr gut gebrauchen. Unter anderem über den BAYER-Forscher Gerhard Schrader, der die chemischen Kampfstoffe der zweiten Generation, Tabun und Sarin, für die IG FARBEN entwickelt hatte, schöpfte die US-Armee Wissen ab. Schrader lebte zeitweise in den USA und kehrte in den 50er Jahren zu BAYER zurück. 1957 meldete er ein Patent für ein Insektizid an, dessen chemische Formel weitgehend identisch war mit dem von der US-Armee später in Vietnam versprühten Entlaubungsmittel „Agent Orange“. Zufall? Kaum, aber zu beweisen ist nichts. Es ist aber Tatsache, dass BAYER Vorprodukte für „Agent Orange“ über eine französische Firma in die USA lieferte. Das Herbizid erfüllte seine Aufgabe nur zu gut. Tausende wurden direkt getötet, noch immer sind viele Landstriche Vietnams verwüstet, das Erbgut von Hunderttausenden wurde geschädigt. Mit den Folgen kämpft Vietnam bis heute.

1974–1988
Über den obigen Zeitabschnitt heißt es in der Unternehmensgeschichte: „1988 besteht das Unternehmen 125 Jahre. Der Konzern-Umsatz beträgt in diesem Jahr rund 40 Milliarden DM und weltweit werden mehr als 165.000 Menschen beschäftigt. Im gleichen Jahr wird die BAYER AG als erstes deutsches Unternehmen an der Börse in Tokio notiert.“
Man meint die stolz geschwellte Brust zu sehen. Der Aufstieg zum Global Player war endgültig vollzogen.

1988–1995
Die Übernahme der chemischen Industrieanlagen der DDR bedeutete auch für BAYER ein Sondergeschäft, das man gerne mitnahm. Die Menschen in der DDR kostete es zu hunderttausenden Lohn und Brot.
In dieser Zeit wurden die Risiko-Medikamente der Pillen-Abteilung immer mehr zum Kerngeschäft. Neu entwickelte Medikamente – wir erinnern uns an den LIPOBAY-Skandal – wurden schlecht erprobt auf den Markt gebracht. An den Wirkungen (und Nebenwirkungen) sterben Menschen. Prozesse und Strafzahlungen kosten den Konzern Milliarden. Trotzdem ist das Geschäft mit diesen Pharmazeutika bis heute so lohnend, dass auch unter dem neuen Chef Marijn Dekkers bewusst an der todbringenden Strategie festgehalten wird, wie der Umgang mit den Lungenembolien verursachenden Verhütungsmitteln aus der YASMIN-Familie zeigt.

1995ff
Die beiden letzten Jahrzehnte sind entgegen den Behauptungen der „Unternehmensgeschichte“ geprägt von der Zurückdrängung der Rechte, die sich die Belegschaft über Jahrzehnte erkämpft hat. Arbeitshetze, Lohndrückerei, Auflösung von sozialen Strukturen, Entsolidarisierung durch Leih- und Fremdarbeit bestimmen den Arbeitsalltag. Dafür wurden die alten Betriebsstrukturen zerschlagen und zuletzt erstmals in der Firmengeschichte ein Externer auf den Vorstandsposten berufen. Im Ergebnis wurde die Arbeitsproduktivität Jahr für Jahr enorm gesteigert – auf Kosten der Beschäftigten.

Fazit
Nach dem Ende des Faschismus schrieb Bertolt Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“. Er meinte den Kapitalismus, dessen genuines Kind der Faschismus ist. „Fruchtbar“ ist bis heute auch BAYER.
Von Paul Kranefeld

[Gegenantrag] Hauptversammlung 2013

CBG Redaktion

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hat heute Gegenanträge zu gefährlichen Pharmaprodukten zur BAYER-Hauptversammlung am 26. April in Köln eingereicht. Die Gegenanträge werden auch auf der website des Konzerns veröffentlicht.

Gegenantrag zu TOP 2: Der Vorstand wird nicht entlastet

Der BAYER-Konzern ist für eine Vielzahl von ökologischen und sozialen Problemen verantwortlich. Der Vorstand trägt hierfür die Verantwortung, weswegen ihm die Entlastung zu verweigern ist. Es folgt eine Auswahl aktueller Problemfälle.

Kennzeichnung Gentechnik
BAYER beteiligte sich mit einer Spende in Höhe von 2 Mio. Dollar an einer Kampag-ne amerikanischer Chemie-Unternehmen, mit der eine Initiative zur Deklaration gen-technisch veränderter Lebensmittel gestoppt wurde. Die im Bundesstaat Kalifornien eingebrachte Proposition 37, die eine Kennzeichnungspflicht nach europäischem Vorbild forderte, wurde parallel zur Präsidentschaftswahl am 6. November zur Ab-stimmung gebracht. Die Unternehmen investierten über 40 Millionen Dollar in ihre Werbekampagne - rund zehnmal so viel wie die Befürworter der Initiative.
Dies ist ein klassisches Beispiel für doppelte Standards: in Europa ist die Deklaration von gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen selbstverständlich. In den USA hinge-gen soll eine solche Kennzeichnung mit fadenscheinigen Argumenten verhindert werden. Die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern werden dadurch mit Füßen getreten.

Exorbitantes Marketing
Fast zehn Milliarden Euro gab BAYER im vergangenen Geschäftsjahr für Werbung und Vertrieb aus, mehr als ein Viertel des gesamten Umsatzes. Für Forschung und Entwicklung hingegen wurden lediglich drei Milliarden Euro aufgewendet.
Unter die Vertriebskosten fällt der gesamte Graubereich des Pharma-Marketings: Medikamentenproben, Ärzte-Fortbildungen, Pharmareferenten, Spenden an medizi-nische Fachgesellschaften, Unterstützung von Selbsthilfegruppen, Ausgaben für Lobbyverbände etc.
Trotz dieser gigantischen Summen werden die Aktionäre im Geschäftsbericht mit gerade einmal acht Zeilen abgespeist (siehe Seite 213). Eine aussagekräftige Auf-schlüsselung wurde von BAYER – trotz wiederholter Nachfrage der Coordination ge-gen BAYER-Gefahren - nicht veröffentlicht. Riesige Summen lassen sich auf diese Weise bequem verstecken und einer Kontrolle durch die Aktionäre oder die Öffent-lichkeit entziehen.
Im Geschäftsbericht gibt der Konzern an, die Steigerung der Kosten für Vertrieb und Werbung um über zehn Prozent gehe vornehmlich auf die Einführung neuer Medi-kamente wie Xarelto zurück. Einmal mehr zeigt sich, dass die hohen Medikamenten-preisen nicht durch Forschungskosten, sondern durch das exorbitante Marketing verursacht werden.

Tödliche Pharma-Studien in Indien
Nach Angaben der indischen Regierung sterben jährlich hunderte Probanden bei der Durchführung von Klinischen Studien. Eine Aufstellung des Drugs Controller General of India (DCGI) für 2011 zeigt, dass allein bei Pharma-Tests von Novartis 57 Test-personen starben. Auf der Liste folgen BAYER und Pfizer mit je 20 Todesfällen. Be-reits im Zeitraum von 2007 bis 2010 waren bei Tests von BAYER 138 Inderinnen und Inder ums Leben gekommen, allein vier Personen starben an Nebenwirkungen des umstrittenen Gerinnungshemmers Xarelto. BAYER zahlte den Hinterbliebenen Entschädigungen von lediglich 5.250 Dollar.
Firmen wie Novartis, BAYER und Pfizer setzen das Leben indischer Probanden wis-sentlich aufs Spiel. Recherchen vor Ort zeigen immer wieder, dass die Studienteil-nehmer nicht über die Gefahren der getesteten Medikamente informiert werden – häufig wissen sie nicht einmal, dass sie an einer Studie teilnehmen. Es ist daher heuchlerisch, wenn die Pharmaunternehmen behaupten, in Indien dieselben Stan-dards anzulegen wie in Europa.
Der Grund für die Verlagerung der Tests nach Indien ist - neben den niedrigeren Kosten - vor allem die geringe behördliche Aufsicht. Eine vom indischen Parlament beauftragte Untersuchungskommission stellte jüngst gravierende Mängel bei der Arzneimittel-Aufsichtsbehörde CDSCO fest: „Über Jahrzehnte hinweg hat sie vor allem den Interessen der Pharma-Industrie gedient und darüber die Interessen der Verbraucher vernachlässigt“, resümiert der Bericht. So hat sich die CDSCO in Zulas-sungsverfahren für Medikamente auf Gutachten von Experten verlassen, denen die Medikamenten-Hersteller die Hand geführt haben. Als ein Beispiel nennt die Unter-suchung Xarelto von BAYER mit dem Wirkstoff Rivaroxaban: „Die drei Expertisen für Rivaroxaban (BAYER), eine Arznei zur Blutverflüssigung, sind fast identische Ko-pien.“ Die Gesundheit der Probanden wird wissentlich aufs Spiel gesetzt.
Vor wenigen Wochen wurde BAYER in China zu einer Entschädigung von rund 50.000 Euro an eine Teilnehmerin einer Xarelto-Studie verurteilt. Die Klägerin hatte die Tests nur knapp überlebt.

Gegenantrag zu TOP 3: Der Aufsichtsrat wird nicht entlastet

Der Aufsichtsrat kommt seiner Kontrollfunktion ungenügend nach und soll da-her nicht entlastet werden. Es folgen Beispiele einer verantwortungslosen Konzernpolitik, die vom Aufsichtsrat mitgetragen wird:

Fehlbildungen durch Duogynon
Wegen Kosten in fünfstelliger Höhe müssen die Opfer des hormonalen Schwanger-schafts-Tests Duogynon darauf verzichten, den Prozess gegen die Firma BAYER fortzuführen. BAYER konnte sich nur wegen angeblicher Verjährung aus der Affäre ziehen. Selbst der zuständige Richter am Berliner Landgericht, Dr. Holger Matthies-sen, hatte das Unternehmen mit den Worten "Ein Weltkonzern wie BAYER sollte den Dialog suchen, da kann ich sie nur ermahnen!“ aufgefordert, auf die Betroffenen zuzugehen.
Der Fall Duogynon ist in seiner Dimension nur mit dem Contergan-Skandal ver-gleichbar. Wie bei Contergan wurden mit dem Medikament trotz aller Hinweise auf drohende Fehlbildungen jahrelang Profite gemacht.
Mitarbeiter von Schering hatten frühzeitig vor den Risiken von Duogynon gewarnt. So schrieb ein für Schering arbeitender Wissenschaftler im November 1967 an die Fir-menleitung: „Die offenkundige Korrelation zwischen der Zunahme von Missbildungen und dem Verkauf des Schwangerschaftstests erscheint ziemlich alarmierend.“ 1969 forderte die britische Behörde Committee on Safety of Drugs von Schering die Her-ausgabe der Duogynon-Labordaten. Nach Auswertung der Unterlagen wurde auf den Schachteln eine Warnung angebracht, wonach das Präparat wegen des Risikos von Fehlbildungen nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden dürfe. Sche-ring strich daraufhin in Großbritannien die Indikation Schwangerschaftstest, nicht jedoch in Deutschland.
Im Raum steht auch der Vorwurf, dass Schering Anfang der 80er Jahre Wissen-schaftler bestochen hat, damit diese die Unbedenklichkeit von Duogynon bestätigen. Bayer hat dies weder vor Gericht wirksam bestritten noch öffentlich entkräftet. Im jüngsten Prozess war hierzu ein ehemaliger Schering-Mitarbeiter als Zeuge benannt worden.

Gefährliche Antibaby-Pillen
Seit Jahren fordern die Opfer von Antibabypillen wie Yasmin und Yaz ein Verbot aller Pillen mit erhöhtem Risikopotential. BAYER weigert sich beharrlich, auf die Forde-rung einzugehen, obwohl zahlreiche Studien die Gefährlichkeit der Präparate bele-gen.
Im Widerspruch dazu vereinbarte der Konzern mit rund 4.800 Anspruchsstellerinnen in den USA Vergleiche über eine Summe von einer Milliarde US-Dollar. Hinzu kom-men 13.600 Frauen, mit denen noch kein Vergleich geschlossen wurde. Geschädig-te Frauen in europäischen Ländern hingegen gehen bislang vollkommen leer aus.
In der Bilanz 2012 musste BAYER Sonderaufwendungen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro für weitere Rechtsstreitigkeiten zurückstellen. Die Summe übersteigt damit den Versicherungsschutz.
Wegen der erhöhten Gefahren werden die Kosten für Yaz und Yasmin in Frankreich künftig nicht mehr erstattet. Die französische Regierung will hierdurch den Absatz der Präparate eindämmen. Außerdem überprüft die europäische Arzneimittelbehör-de EMA auf Antrag von Frankreich die Zulassung der Pillen.
Alle Präparate mit dem Hormon Drospirenon müssen umgehend vom Markt genom-men werden. Eine weitere Zulassung ist nicht zu rechtfertigen. Mit einem freiwilligen Einlenken von BAYER ist jedoch nicht zu rechnen, so lange die Entschädigungen nicht die Gewinne durch den Verkauf übersteigen – eine zynische Rechnung!

Tierversuche
Rund 6 Prozent aller Tierversuche in Deutschland gehen auf das Konto von BAYER. Der Konzern „verbrauchte“ im vergangenen Jahr 147.000 Tiere, hinzu kamen 23.000 Tiere bei externen Auftragsinstituten. BAYER hat wiederholt mit umstrittenen Testla-boren wie Professional Laboratory and Research Services (PLRS) und Huntingdon Life Sciences (HLS) kooperiert, die für tierquälerische Methoden bekannt sind.
Das Beispiel des BAYER-Präparats Lipobay zeigt, dass schwerwiegende Nebenwir-kungen durch Tier-Experimente nicht vorhersehbar sind. BAYER hatte dem Präparat nach zahlreichen Tierversuchen eine “ausgezeichneten Gesamtverträglichkeit” attes-tiert. Dennoch verursachte Lipobay bei über 100 Patienten einen schweren Muskel-zerfall mit Todesfolge.
Tierversuche sind nicht nur gegenüber Tieren, sondern auch gegenüber Menschen unverantwortlich. Sie dienen nicht der Sicherheit von Patienten, sondern in erster Linie der rechtlichen Absicherung der Pharma-Hersteller. Tierbasierte Verfahren sind wissenschaftlich überholt und ethisch nicht länger vertretbar. BAYER ist daher aufge-fordert, seine Pharma-Forschung auf tierversuchsfreie Verfahren umzustellen. Durch Computersimulationen, Tests an Zellkulturen und mit Hilfe von Biochips lässt sich die Verstoffwechslung neuer Wirkstoffe im menschlichen Körper besser darstellen als durch Tierversuche.

Um Mitteilung der Gegenanträge sowie der Begründung darf ich gemäß §§ 125, 126 AktG bitten.

Tierversuche

CBG Redaktion

Presse Information vom 5. April 2013

Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.
Ärzte gegen Tierversuche e.V.

Tierversuchfreie Test-Verfahren gefordert

Jährlich mindestens 170.000 Tierversuche allein bei BAYER / „Ergebnisse nicht auf den Menschen übertragbar“

Anlässlich der Jahreshauptversammlung der BAYER AG am 26. April fordern die Vereine Ärzte gegen Tierversuche und Coordination gegen BAYER-Gefahren den Chemie- und Pharmakonzern auf, seine Forschung auf tierversuchsfreie Verfahren umzustellen. Dies sei nicht nur ethisch geboten, sondern diene auch dem Interesse von Patient/innen und Verbraucher/innen. Die Verbände veröffentlichten zudem eine ausführliche Analyse der von BAYER durchgeführten Tierversuche.

Silke Bitz von den Ärzten gegen Tierversuche: „Wir fordern von BAYER und allen anderen Pharmaunternehmen den Umstieg auf rein tierversuchfreie Verfahren. Durch Computersimulationen, Tests an Zellkulturen und mit Hilfe von Biochips lässt sich die Verstoffwechslung neuer Wirkstoffe im menschlichen Körper detailliert darstellen. Solche Forschungsmethoden sind ethisch vertretbar und liefern im Gegensatz zum Tierversuch für den Menschen relevante Ergebnisse.“

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren ergänzt: „Tierversuche sind nicht nur gegenüber Tieren, sondern auch gegenüber Menschen unverantwortlich. Sie dienen nicht der Sicherheit von Patienten, sondern in erster Linie der rechtlichen Absicherung der Pharma-Hersteller. Tierbasierte Verfahren sind wissenschaftlich überholt und ethisch nicht länger vertretbar.“ Mimkes fordert die Überarbeitung der entsprechenden Vorschriften, da rund 14 Prozent aller Tierversuche in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben sind.

Insgesamt werden in Deutschland jährlich rund 2,9 Millionen Wirbeltiere für Versuchszwecke verwendet, wovon fast 6 Prozent auf das Konto von BAYER gehen. Der Konzern „verbrauchte“ im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben über 147.000 Tiere, hinzu kamen mehr als 23.000 Tiere bei externen Auftragsinstituten. BAYER hat wiederholt mit umstrittenen Testlaboren wie Professional Laboratory and Research Services (PLRS) und Huntingdon Life Sciences (HLS), die für tierquälerische Methoden bekannt sind, kooperiert.

Untersuchungen der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) ergaben, dass 92 Prozent der potenziellen Medikamente, die sich im Tierversuch als wirksam und sicher erwiesen, nicht durch die klinische Prüfung kommen, da sie beim Menschen keine oder eine unerwünschte Wirkung zeigen. Dass man sich trotz dieser Unsicherheit auf Tierversuche verlässt, hat fatale Folgen: allein in Deutschland sterben jährlich 58.000 Menschen an den Folgen von Arzneimittelnebenwirkungen.

„Das Beispiel des BAYER-Präparats Lipobay zeigt, dass schwerwiegende Nebenwirkungen durch Tier-Experimente nicht vorhersehbar sind. Trotz der von dem Leverkusener Konzern nach zahlreichen Tierversuchen vorhergesagten “ausgezeichneten Gesamtverträglichkeit” kam es bei mindestens 100 Patient/innen zu einer Rhabdomyolyse, also einem schweren Muskelzerfall, mit Todesfolge“, erläutert Mimkes. Zuvor hatten Ratten, Mäuse, Kaninchen, Hunde, Schweine und Affen das Präparat über eine Schlundsonde, intravenös oder als Futter-Beimischung einnehmen müssen. In den Versuchen hatten sich zwar einige Nebenwirkungen eingestellt, doch waren diese anders als die später beim Menschen beobachteten Schäden. Bei einigen Tierarten waren bei sehr hohen Dosierungen leichte Muskelschäden aufgetreten, nicht aber die tödlich verlaufende Rhabdomyolyse. Stattdessen erlitten einige Tiere Magenblutungen und Augenschäden.

Da die meisten menschlichen Krankheiten bei Tieren nicht vorkommen, werden die Symptome auf künstliche Weise in so genannten „Tiermodellen“ nachgeahmt. Um zum Beispiel Parkinson auszulösen, wird bei Affen und anderen Tieren ein Nervengift in das Gehirn injiziert, das Hirnzellen zerstört. Einen Schlaganfall versucht man durch das Einführen eines Fadens in eine Hirn-Arterie von Mäusen zu simulieren. Ein „menschlicher“ Herzinfarkt wird bei Hunden durch das Zuziehen einer von außen bedienbaren Schlinge um ein Herzkranzgefäß nachgeahmt. Die am Tier künstlich herbeigeführten Symptome haben jedoch nichts mit den menschlichen Krankheiten gemein. Wichtige Aspekte der Krankheitsentstehung wie Ernährung, Lebensgewohnheiten, der Einfluss von Suchtmitteln, schädlichen Umwelteinflüssen, Stress sowie psychische und soziale Faktoren werden gänzlich außer Acht gelassen. Ergebnisse aus Studien mit Tieren sind daher irreführend und tragen nichts zum Verständnis über menschliche Krankheiten oder gar deren Heilung bei.

„Da Tierversuche ungeeignet sind für eine effektive Arzneimittelentwicklung, täte BAYER schon im eigenen Interesse gut daran, sich von dieser überholten Methode zu verabschieden und bei der modernen, tierversuchsfreien Pharmaforschung die Nase vorn zu haben“, erklärt Silke Bitz abschließend.

Artikel „Tierversuche bei BAYER“