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Beiträge verschlagwortet als “SWB 02/2021”

[Agent Orange] In Sachen „Agent Orange“

CBG Redaktion

Klage gegen BAYER-Tochter MONSANTO

Ende Januar 2021 begann in Frankreich der Prozess gegen die BAYER-Tochter MONSANTO und dreizehn andere Firmen, die während des Vietnam-Krieges das Pestizid Agent Orange an die US-Armee geliefert hatten. Die Klägerin Tran To Nga verlangt von den Konzernen Schadensersatz für die gesundheitlichen Schäden, die sie durch den Einsatz des Mittels als Chemie-Waffe erlitten hat.

Von Jan Pehrke

„Sie versprühten so viel Agent Orange, dass man am Ende ganz nass war“, erinnert sich Tran To Nga an den Tag im Dezember 1966, an dem sie zum ersten Mal mit dem Herbizid in Berührung kam. Transportmaschinen des Typs Fairchild C-123 hatten sich im Tiefflug genähert und ein weißes Pulver herabrieseln lassen. „Das Puder verwandelte sich in eine klebrige Flüssigkeit, die meinen Körper umschloss. Ich musste husten und hatte das Gefühl zu ersticken“, so die 78-Jährige. Noch zwei weitere Male sollte sie im Verlauf des Vietnam-Krieges zu den Opfern solcher Einsätze zählen. Die Folgen spürt die Frau bis heute. Sie leidet unter der Blutkrankheit Alpha-Thalassämie, unter Chlorakne und einer Herzfehlbildung, die sie ihrer ersten Tochter weitervererbte. Schon nach 17 Monaten starb das Kind daran. Auch die anderen beiden Töchter Trans sind gezeichnet. Bei einer von ihnen diagnostizierten die ÄrztInnen wie bei ihrer Mutter Alpha-Thalassämie, bei der anderen Asthma.

Eine Entschädigung dafür hat Tran To Nga, die heute in Frankreich lebt, bisher so wenig erhalten wie die anderen vietnamesischen Geschädigten. Darum entschloss sie sich im Jahr 2014 zu einem Prozess gegen die Produzenten des Herbizids. Ursprünglich richtete sich die Klage gegen 26 Firmen, übrig blieben schließlich 14, darunter die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO (zur Rolle BAYERs im Vietnam-Krieg siehe S. 26 ff.). „Ich kämpfe nicht für mich selbst, sondern für meine Kinder und die Millionen von Opfern“, sagt Tran über ihre Motivation. Um das zu ermöglichen, hat sie eine Vergleichslösung bereits abgelehnt. Die Frau will einen Präzedenz-Fall schaffen und strebt deshalb eine eindeutige Verurteilung der Konzerne an.

Die AnwältInnen der Unternehmen setzten derweil auf eine biologische Lösung und spielten von Beginn an auf Zeit. Aber Ende Januar 2021 wurde dann nach sechs Jahren doch der erste Gerichtstermin anberaumt. Die WinkeladvokatInnen plädierten bei der Anhörung in Evry nahe Paris erwartungsgemäß auf „nicht schuldig“. Agent Orange sei „unter der alleinigen Verantwortung der amerikanischen Regierung für rein militärische Zwecke hergestellt worden“, erklärte der Leverkusener Multi laut FAZ, es sei die US-Administration gewesen, die „bestimmte, wann, wo und wie das Mittel vor sechs Jahrzehnten verwendet wurde“. Schon die Zuständigkeit des Gerichts zog BAYERs Rechtsvertreter Jean-Daniel Bretzner in Zweifel. Er bestritt diesem das Recht, über die Verteidigungspolitik eines souveränen ausländischen Staates in Kriegszeiten zu richten. „Das widerspricht grundsätzlich dem positiven Recht“, so Bretzner. „Sie können sagen, was sie wollen: Geben denn Kriminelle immer zu, dass sie Kriminelle sind“, sagt Tran To Nga zu solchen Einlassungen.

Und die Beweise für die aktive Rolle, die MONSANTO im „Herbicidal warfare“ spielte, liegen dann auch auf dem Tisch. Bereits seit 1950 befand sich das Unternehmen im regen Austausch mit der Chemiewaffen-Abteilung des Militärs über die Kriegsverwendungsfähigkeit des Wirkstoffs 2,4,5-T. Die entsprechende Akte ist 597 Seiten stark und zu großen Teilen immer noch als „geheim“ deklariert. Überdies wusste das Unternehmen schon früh um die Gefährlichkeit des Stoffes. Aber bei einem Treffen mit weiteren Herstellern des Produkts zur Erörterung der Gesundheitsgefahren übte MONSANTO Druck auf die VertreterInnen anderer Firmen aus, der Regierung der Vereinigten Staaten diese Risiken zu verheimlichen. „Ein kausaler Zusammenhang zwischen Agent Orange und chronischen Krankheiten beim Menschen konnte nicht nachgewiesen werden“, behauptete die Aktiengesellschaft stets in der Öffentlichkeit.

Nicht weniger als 46 Millionen Liter Agent Orange und dazu noch einmal 34 Millionen Liter anderer Pestizide gingen im Zuge der „Operation Hades“, die später unter dem Namen „Operation Ranch Hand“ firmierte, auf den südostasiatischen Staat nieder. Die Nachfrage des „U. S. Chemical Corps“ war so groß, dass die Firmen mit der Produktion gar nicht mehr nachkamen und bei der Fertigung Fehler machten. Sie verunreinigten das 2,4,5-T mit Dioxin. 400 Kilogramm dieser Verbindung gelangte auf diese Weise nach Vietnam. Zum Vergleich: Nach einer von Marie-Monique Robin in ihrem Buch „Mit Gift und Genen“ zitierten Studie reichen 80 Gramm der Substanz im Trinkwasser-Netz einer Stadt aus, um acht Millionen EinwohnerInnen zu töten. Durch diese Extra-Ladung Dioxin potenzierte sich die fatale Wirkung des Agent Orange noch, die ohnehin schon immens war. Die Konzentration der Inhaltsstoffe überstieg nämlich diejenige, die sich in dem für „zivile“ Zwecke genutzten Agent Orange findet, um das 50-Fache.
Die US-Armee nutzte den Stoff als Entlaubungsmittel, um die sich im Dschungel verborgen haltenden Vietcong besser vor die Zielfernrohre zu bekommen. Überdies diente er dem Kriegsziel, die Ernten des Gegners zu vernichten und so eine Nahrungsmittel-Krise auszulösen. Eine Fläche von 3,3 Millionen Hektar geriet ins Visier der Sprüh-Flugzeuge, was einem Viertel des Staates entspricht. Über 3.000 Dörfer flogen die PilotInnen an.

Mehr als 4,8 Millionen VietnamesInnen waren so den zu Chemiewaffen umgerüsteten Pestiziden ausgesetzt. Drei Millionen von ihnen leiden noch heute darunter. Krankheiten wie Leukämie, Lungen-, Brust- und Leberkrebs, Diabetes, Tuberkulose und chronische Kopfschmerzen lösten die Mittel aus. Über 100.000 Kinder kamen mit Fehlbildungen auf die Welt.

Auch viele GIs erlitten durch Agent Orange Gesundheitsstörungen und führten so MONSANTOs patriotischer Beteuerung, der Einsatz des Mittels sei erfolgt, „um das Leben der US-Soldaten und ihrer Verbündeter zu schützen und zu retten“, ad absurdum. Die Armee-Angehörigen zogen vor Gericht, um die Konzerne zur Rechenschaft zu ziehen. 180 Millionen Dollar musste MONSANTO ihnen 1984 gemeinsam mit anderen Chemie-Riesen im Rahmen eines Vergleichs zahlen und fast die Hälfte der Summe selbst aufbringen, da sein Agent Orange den höchsten Dioxingehalt aufwies.

VietnamesInnen haben dagegen überhaupt noch kein Geld von den Produzenten der Pestizide erhalten. Eine entsprechende Klage wies der Oberste Gerichtshof der USA im Jahr 2009 ab. „Der Krieg bleibt bis hin zum Umgang mit den Opfern asymmetrisch“, konstatiert die französische Zeitung Libération.
Das zeigte sich auch beim Prozess von Tran To Nga. Mit 30 hochbezahlten AnwältInnen in Diensten von BAYER & Co. müssen es ihre drei AnwältInnen, die ehrenamtlich arbeiten, aufnehmen. Aber die Frau wusste, worauf sie sich einlässt: „Kein Kampf ist leicht und schon gar nicht ein Kampf gegen so mächtige Kriminelle, die niemals bereit sind, ihre Verbrechen und ihre Missetaten anzuerkennen.“ Und dabei sieht die Geschädigte sogar noch über den Fall „Agent Orange“ hinaus. „W-ir wollen mit unserem Kampf in bescheidener Weise auch zu dem Kampf unseren Beitrag leisten, den viele Bürger auf der ganzen Welt heute gegen MONSANTO und die anderen Chemiefirmen führen, denn diese sind auch heute wieder für oft schwere Krankheiten verantwortlich, die auch schon viele Todesopfer gefordert haben, und die ausgelöst werden durch neue Pestizide, von denen Agent Orange ein Vorfahr war“, bekennt Tran To Nga. Zahlreiche Organisationen haben inzwischen den Unterstützungsaufruf für Tran To Nga unterzeichnet. Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zählt dazu. „Jetzt holt BAYER sowohl die eigene Vergangenheit als auch die MONSANTOs wieder ein. Der Konzern muss sich dem stellen und die Verantwortung dafür übernehmen“, forderte die Coordination in ihrer Presseerklärung zum Prozess-Auftakt. Das Urteil wird für den 10. Mai erwartet.

[Chemiewaffen made by BAYER] Seit dem Ersten Weltkrieg stets zu Diensten

CBG Redaktion

Auch der BAYER-Konzern beteiligte sich mit seinen Pestiziden am „Herbicidal warfare“ in Vietnam. Er konnte dabei aus einem Erfahrungsreservoir im Umgang mit chemischen Waffen schöpfen, das bis zum Ersten Weltkrieg zurückreichte.

Von Jan Pehrke

Die britischen Streitkräfte entwickelten 1940 die Strategie, Antiunkraut-Mittel und andere Pestizide als Chemiewaffen einzusetzen. Anfang der 1950er Jahre erprobten sie den „Herbicidal warfare“ dann im Kampf gegen die malaysische Befreiungsbewegung. Aber erst der Viet-nam-Krieg brachte das ganze zerstörerische Potenzial dieser militärischen Praxis zur Entfaltung. 80 Millionen Liter Ackergifte ließen die USA über das Land niedergehen. Die Armee entlaubte damit die Dschungel, um die sich dort verborgen haltenden Vietcong besser aufspüren zu können, und setzte die Mittel überdies zur Vernichtung der Ernten des Gegners ein.

Nicht nur die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO hatte dazu die passenden Produkte parat, sondern auch die Mutter-Gesellschaft selbst. Sie bestreitet zwar, das Pentagon direkt mit Agent Orange beliefert zu haben, indirekt fanden ihre Erzeugnisse aber doch den Weg in die Tanks der Fairchild-Transportflugzeuge. So produzierte der Leverkusener Multi in der fraglichen Zeit jährlich 700 bis 800 Tonnen des „Agent Orange“-Grundstoffes 2,4,5-T und verkaufte einen Teil davon an die französische Firma PROGIL. Diese wiederum verarbeitete es weiter und exportierte es nach Vietnam. Eine Aktennotiz der ebenfalls mit PROGIL Geschäftsbeziehungen unterhaltenden BOEHRINGER AG belegt dies: „BAYER und PROGIL haben auf dem 2,4,5-T-Sektor seit Jahren (Vietnam) zusammengearbeitet“. Der Global Player bestreitet diese Kooperation nicht, hält allerdings fest: „Über die weitere Verwendung des Wirkstoffes bei der PROGIL liegen keine Erkenntnisse vor.“ In einer früheren Äußerung zu diesem Thema räumt er hingegen durchaus die Möglichkeit ein, „dass Tochter-Unternehmen beziehungsweise Drittfirmen 2,4,5-T-haltige Pflanzenbehandlungsmittel auf den amerikanischen Markt brachten“.
Andere Agro-Chemikalien wie Agent Green, Zineb und Dalapon verkaufte das Unternehmen dem Militär ebenfalls. Teilweise legten die Substanzen dabei einen weiten Weg zurück. Einige von ihnen gelangten über Konzern-Niederlassungen in den damals autoritär regierten Staaten Spanien und Südafrika zur US-Tochter CHEMAGRO und von dort dann zu den Militärbasen. Die Zeitschrift International Defense Business konnte für das Jahr 1972 sogar genau den Wert von BAYERs Kriegsbeitrag beziffern: Rund eine Million Euro stellte die Aktiengesellschaft für die verschiedenen Chemikalien in Rechnung.

ExpertInnen des Unternehmens standen der US-Army gemeinsam mit ihren KollegInnen von HOECHST aber auch direkt vor Ort mit Rat und Tat zur Seite. Als medizinische HelferInnen getarnt, arbeiteten sie dem US-amerikanischen Planungsbüro für B- und C-Waffeneinsätze in Saigon zu. Die transatlantische Kooperation vermochte sich dabei sogar auf alte Verbindungen zu stützen: Die Abstimmung zwischen US-amerikanischen und bundesdeutschen Chemie-Firmen übernahm die GENERAL ANILINE AND FILM CORPORATION, eine ehemalige US-Tochter des von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzerns IG FARBEN.

Erster Weltkrieg
Zu diesem Zeitpunkt verfügte der Global Player bereits über einen Erfahrungsschatz auf dem Gebiet, der bis zum Ersten Weltkrieg zurückreichte. Schon in den ersten Wochen der Kämpfe erschienen der Armee-Führung die verwendeten Waffen nämlich nicht durchschlagskräftig genug. Die Oberste Heeresleitung suchte deshalb gemeinsam mit dem Chemiker Walther Nernst nach Möglichkeiten zur Erhöhung der Geschoss-Wirksamkeit. Als es an die praktische Umsetzung ging, kam der Leverkusener Multi ins Spiel. Und sein damaliger Generaldirektor Carl Duisberg verlor keine Zeit und drückte aufs Tempo, damit „die Chemie die ihr in der modernen Kriegsführung zukommende Rolle spielen“ kann. „Ich bin seit Ende Oktober 1914 zusammen mit Nernst, der (...) der Obersten Heeresleitung zugeteilt ist, auf dem Wahner Schießplatz tätig gewesen, chemische Reizgeschosse zu machen“, schrieb er in einem Brief. Bald danach konnte der Konzern liefern: Mit dem Reizstoff Dianisidin hatte BAYER die erste chemische Waffe für die deutschen Truppen entwickelt. Dabei handelte es sich noch nicht um ein Gift. Die Substanz wirkte „nur“ kurzzeitig auf die Schleimhäute ein. Die Armee wollte den Feind mit ihrer Hilfe überraschen und dann sofort unter Beschuss nehmen, um ihn aus gehaltenen Häusern, von Gehöften oder engeren Ortschaften zu vertreiben. Aber bei solchen begrenzten Wirkungen blieb es nicht. „Es ist uns jedoch auch die Frage vorgelegt worden, wie man es aufgrund unserer jetzt gemachten Erfahrungen anstellen müsste, wenn man eine vollkommene Vergiftung des Gegners auf chemischen Wege durchführen wollte“, berichtete Duisberg als führender Industrieller der „Beobachtungs- und Prüfungskommission für Sprengungs- und Schießversuche“ – und hatte auch bald eine Antwort parat: Blausäure.

Die Büchse der Pandora war also geöffnet, zumal sich Dianisidin an der Front nicht bewährte. Zum ersten Mal bei Neuve-Chapelle in der Nähe von Ypern der Sprengmunition beigemischt, bemerkten die französischen Soldaten die chemische Wirkung der 3.000 verfeuerten Granaten gar nicht.

„Versuche mit neuen Geschossen“ beschäftigten Duisberg im Herbst 1914 nach eigenem Bekunden täglich, und das „schon seit Wochen“. Besonders der sich abzeichnende Stellungskrieg, in dem die Kontrahenten sich aneinander festbissen, ohne dass eine Seite größere Geländegewinne erzielen konnte, trieb die Forschung an. Um die Patt-Situation zu beenden, galt es nämlich, „die große, schwierige Frage der Verpestung der Schützengräben mit chemischen Substanzen der Lösung näherzubringen“, wie der BAYER-Generaldirektor Gustav Krupp von Bohlen und Halbach mitteilte. Die Entwicklung solcher Kampfgase gelang dem Leverkusener Multi auch, und nicht nur das. „So habe ich unsere Fabrik zu Kriegslieferungen umorganisiert, mache Sprengstoffe aller Art, fülle Granaten und bin außerdem persönlich mit Nernst zusammen mit Versuchen beschäftigt, Spezialgeschosse anzufertigen“, vermeldete Carl Duisberg stolz. Eine dieser Entwicklungen pries er der Obersten Heeresleitung gegenüber so an: „Dieses Chlorkohlenoxyd ist das gemeinste Zeug, das ich kenne (...) Ich kann deshalb nur noch einmal dringend empfehlen, die Gelegenheit dieses Krieges nicht vorübergehen zu lassen, ohne auch die Hexa-Granate zu prüfen.“ Und sogar zur Namensgebung durfte der Konzern manchmal beitragen. „Lost“ hieß ein Senfgas zu Ehren des BAYER-Forschers Wilhelm Lommel und seines Kooperationspartners Wilhelm Steinkopf vom „Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie“.

Nur die Chlorgas-Wolke, die am 22. April 1915 in Ypern erstmals zum Einsatz kam und 800 bis 1.400 Menschenleben forderte, stammte nicht aus Leverkusen. Fritz Haber vom Kaiser-Wilhelm-Institut hat diese Waffe entwickelt, die zum Synonym für die Grausamkeit des Chemie-Krieges wurde (1). Sie durchlief ihre Testphase zwar in Köln-Wahn, und Duisberg versuchte auch, auf ihre Fertigung Einfluss zu nehmen, aber letztendlich betrachtete er das Chlor-Gebräu als Konkurrenz zu den eigenen Kreationen. Zynisch und hintersinnig schrieb er von den „‚chlorreichen Siegen’ von Ypern, denen aber leider weitere (...) nicht gefolgt sind“, um so Reklame für die Erzeugnisse aus seinem eigenen Chemiebaukasten zu machen. Und tatsächlich konnte die Wolke die BAYER-Hervorbringungen nicht vom Markt drängen. Die erprobte Leverkusener „Science for Death“ erwies sich letztendlich als überlegen.

Die Zeit des Faschismus
Auch die NationalsozialistInnen versorgte BAYER mit Waffen aus diesem Arsenal. „Angesichts des schweren Schadens, den der Konzern durch den internationalen Aufschrei über Entwicklung und Einsatz chemischer Waffen im Ersten Weltkrieg erlitten hatte, hätte man erwarten können, dass er sich von solchen Projekten ferngehalten hätte“, schreibt der Historiker Diarmuid Jeffreys in seinem Buch „Weltkonzern und Kriegskartell“. Aber der Leverkusener Multi kannte so wenig Skrupel wie die anderen Unternehmen, die damals unter dem Dach der IG FARBEN firmierten.

Einige der Kriegswerkzeuge fielen bei der Pestizid-Forschung als Abfall-Produkte an. So wollte der BAYER-Chemiker Gerhard Schrader neue Insektizide entwickeln und experimentierte dazu mit einer Kombination aus Phosphor-Verbindungen und Zyanid. Er vergiftete sich dabei jedoch selbst und war wochenlang ans Bett gefesselt. Spätere Versuche brachten noch stärkere Mittel hervor. Zur Ausbringung gegen Schadinsekten waren sie nicht geeignet. BAYER lotete deshalb andere Einsatz-Möglichkeiten aus und diente sie dem Heereswaffenamt für den „Chemical warfare“ an. Dieses zeigte sich interessiert, woraufhin Schrader das Nervengas Tabun zusammenbraute. 50.000 Reichsmark erhielten er und ein Kollege dafür von der Wehrmacht. Auf eine ähnliche Weise entstand Sarin. Und wieder floss der EntdeckerInnen-Stolz in die Namensgebung ein. In der Bezeichnung „Sarin“ für die farblose Flüssigkeit verewigten sich Gerhard Schrader, Otto Ambros und Gerhard Richter sowie ihr Kooperationspartner Hans-Jürgen von der Linde vom Heeresgasschutz-Laboratorium.

Die Chemiewaffen-Fertigung lief Ende 1936 an. Eine Tabun-Produktion im industriellen Maßstab baute die IG FARBEN Anfang 1940 in Dyhernfurth auf; das Geld dazu kam vom Oberkommando des Heeres. 12.000 Tonnen Tabun stellte das Werk dort über die Jahre her, zudem bis zu 400 Tonnen Sarin und zusätzlich noch Soman. Bei der Standort-Wahl spielte die Nähe zum KZ Groß-Rosen eine entscheidende Rolle, denn aus diesem wollten die IG-Bosse ZwangsarbeiterInnen rekrutieren. Den Gefangenen überließ Betriebsführer Otto Ambros, der im NS-Staat die Position des Wehrwirtschaftsführers für chemische Kampfstoffe innehatte, dann auch die gefährlichsten Arbeiten. Sie waren es, die das Gift in die Bomben und Granaten zu füllen hatten und dabei ihr Leben riskierten. Weit über 300 Unfälle ereigneten sich in Dyhernfurth, zehn mit Todesfolge. Aber nicht nur an diesem Ort nahe Breslau kreierte die IG FARBEN chemische Waffen. In Gendorf unterhielt sie eine weitere Anlage. Dort setzten die ChemikerInnen aus Thiodiglycol und Chlorwasserstoff Lost zusammen. Auch Sarin wollte das Unternehmen synthetisieren, konnte die Betriebsstätte in Falkenhagen aber nicht mehr rechtzeitig vor Ende des Krieges fertigstellen. Weitere Kampfstoffe lieferten dagegen unter anderem die Niederlassungen in Hüls, Ludwigshafen, Trostberg und Schkopau. Insgesamt standen den Waffenlagern der NS-Militärs 61.000 Tonnen Kampfstoffe zur Verfügung. Über 40 Prozent davon steuerte die IG bei: 25.000 Tonnen.

Und es blieb nicht dabei, den KZ-InsassInnen die riskantesten Tätigkeiten bei der Fabrikation der Nervengifte zuzuteilen, sie mussten überdies als Versuchskaninchen bei den Chemiewaffen-Tests herhalten. Die Prozeduren, mit denen die ForscherInnen genaueren Aufschluss über die Wirksamkeit und Anhaltspunkte zur Entwicklung von Gegenmitteln erhalten wollten, fanden beispielsweise in den Konzentrationslagern Natzweiler, Dachau, Neuengamme und Sachsenhausen statt. In Natzweiler leitete Prof. Dr. August Hirt die Experimente mit Lost. Beim Nürnberger ÄrztInnen-Prozess hat der ehemalige Häftling Ferdinand Holl die Tortur genau beschrieben. „Nach ungefähr zehn Stunden oder es kann auch etwas länger gewesen sein, da stellten sich Brandwunden ein, am ganzen Körper. Da, wo die Ausdünstungen von diesem Gas hinzukamen, war der Körper verbrannt. Blind wurden die Leute zum Teil. Das waren kolossale Schmerzen, so dass es kaum noch auszuhalten war, sich in der Nähe dieser Kranken aufzuhalten“, so zitiert Jo Angerer in seinem Buch „Chemische Waffen in Deutschland“ die ZeugInnen-Aussage. Die Bilanz am Ende allein bei diesem Test: acht Menschen starben. Aber für Hirt lohnte sich das Morden. Die NS-Schergen verliehen ihm für die „Kampfstoff-Versuche am lebenden Objekt“ das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern.
Zum Einsatz kamen die Chemie-Waffen letztlich nicht. Es war allerdings nicht Hitlers eigene Lost-Vergiftung im Ersten Weltkrieg auf einem Schlachtfeld bei Ypern, die zu dem Verzicht führten. Der Diktator hielt den „Chemical warfare“ durchaus für ein Mittel der Wahl. Am 30. Juni 1942 gab er den Befehl, bis zum Frühjahr 1943 alle Vorbereitungen für einen Kriegseinsatz von Lost & Co. abzuschließen. Aber eine Besprechung am 15. Mai 1943, an der auch Otto Ambros teilnahm, stimmte ihn um. Ambros glaubte fälschlicherweise, es sei den Alliierten ein Leichtes, selber Tabun herzustellen und sah – ebenfalls ein Irrtum, wie sich nachher herausstellen sollte – in dem Ausbleiben von US-amerikanischen Forschungspublikationen zu Nervengasen seit Beginn des Kriegs ein Indiz für geheime Entwicklungsarbeiten. Diese Fehleinschätzungen des IG-Managers trugen wesentlich dazu bei, Hitler und seine Gefolgsleute davon abzubringen, die Flugzeuge der Luftwaffe mit den Chemie-Bomben und -Granaten zu bestücken. Zudem fürchteten die Nazis, die Waffenlager wegen des Rohstoffmangels nicht in ausreichendem Maß mit den Kampfstoffen füllen zu können.

Nur eine chemische Massenvernichtungswaffe setzten die FaschistInnen großflächig ein: ZYKLON B. Zu den Hauptherstellern des ursprünglich zum Einsatz gegen Schadinsekten bestimmten Produkts gehörte die DEUTSCHE GESELLSCHAFT ZUR SCHÄDLINGSBEKÄMPFUNG (DEGESCH), eine 42,5-prozentige Tochter der IG FARBEN. Das in den Todesfabriken dringend benötigte Mordinstrument bescherte der DEGESCH satte Gewinne. So heißt es im Geschäftsbericht für 1943: „Den wesentlichen Anteil an der Umsatz-Steigerung hatte die Entwicklung des ZYKLON-Geschäfts. Die ZYKLON-Umsätze erreichten im Berichtsjahr die Rekordhöhe von RM 1.664.000 (...); der Umsatz hat sich somit gegenüber dem Vorjahre um 64 % erhöht.“

Nach 1945
Für diese Mittäterschaft am Holocaust, am Weltkrieg und anderen Verbrechen der Nazis verurteilten die RichterInnen bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen nur dreizehn IG-Beschäftigte, und keiner von ihnen musste seine Haftstrafe ganz absitzen. Gerhard Schrader blieb eine Vorladung ganz erspart. Die Alliierten unternahmen nichts, um die ForscherInnen mit den tödlichen Begabungen für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Sie versuchten vielmehr, von dem gefährlichen Wissen zu profitieren und Hitlers willige Helfer abzuschöpfen. Die Militärs zogen nach dem Krieg die ganze Wissenschafts-elite der Nazis auf Schloss Kransberg im Taunus zusammen. Die IG FARBEN stellte dabei das größte Kontingent. „Die chemischen Nervenkampfstoffe stießen bei den Engländern und Amerikanern auf größtes Interesse, Vergleichbares besaßen sie in ihren Arsenalen nicht. Schrader und Konsorten mussten deshalb in Kransberg bis in die kleinsten Details Aufzeichnungen über die Synthese ihrer Ultragifte anfertigen“, schreiben Egmont R. Koch und Michael Wech in ihrem Buch „Deckname Artischocke“ (siehe auch SWB 1/03). Gerhard Schrader war den US-ExpertInnen dabei sogar so wertvoll, dass sie ihn mit in die Vereinigten Staaten nahmen. In Diensten des „Chemical Corps“ der US-Streitkräfte konnte er seine Arbeit fortsetzen. In den 1950er Jahren kehrte Schrader dann in die Bundesrepublik – und zu BAYER – zurück. Er übernahm beim Leverkusener Multi die Pestizid-Abteilung, beschäftigte sich aber auch weiterhin mit kriegsverwendungsfähigen Erträgen aus der Ackergift-Forschung.

Recherchen von Günter Wallraff und Dr. Jörg Heimbrecht brachten dies im Jahr 1969 ans Licht. Heimbrecht nahm sich Schraders Buch „Die Entwicklung neuer insektizider Phosphorsäure-Ester“ vor und schaute sich einige der dort beschriebenen Stoffe genauer an. So vertiefte er sich etwa in die Struktur-Formel eines Phosphonsäure-Esters, den Schrader gemeinsam mit seinen beiden Kollegen Ernst Schegk und Hanshelmut Schlör 1957 in der Bundesrepublik und 1959 in den Vereinigten Staaten zum Patent angemeldet hatte. „Mir fiel auf, dass diese Verbindung als chemischer Kampfstoff in der ‚Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen’ von 18.7.1969 enthalten war“, lautete sein Befund. Das führte dann zu weiteren Entdeckungen. „Literatur-Recherchen in der Bibliothek des Chemischen Instituts der Uni Bonn ergaben, dass BAYER eine ganze Reihe von Substanzen in deutschen und amerikanischen Patenten hat patentieren lassen, die nach Definition der ‚Kriegswaffen-Liste’ zu den chemischen Kampfstoffen zählen. Bei weiteren Recherchen fiel mir auf, dass auch die US-Nervenkampfstoffe VE, VM, VS, VX und SM nach den o. g. Patenten von BAYER erfunden wurden“, hielt Heimbrecht fest.
Der Leverkusener Chemie-Multi kam deshalb nicht umhin, 1984 in seiner Hauszeitschrift BAYER intern einzuräumen, dass es „innerhalb dieses BAYER-Patentes (...) eine Übereinstimmung von Formeln mit einigen US-amerikanischen Kampfstoffen gibt“. Der Konzern bestritt jedoch, nach diesen Formeln selber Chemie-Waffen hergestellt oder das Recht dazu dem US-Militär gegen die Zahlung einer Lizenz-Gebühr abgetreten zu haben. Wie es dennoch zur Produktion von VX-Waffen kommen konnte, erklärte der damalige Unternehmenssprecher Jürgen von Einem mit einem Ausnahme-Passus im US-amerikanischen Patentrecht. Wenn ein übergeordnetes patriotisches Interesse bestehe, erlaube der Paragraf den zwangsweisen Zugriff auf das geistige Eigentum Dritter, ohne diese zu informieren und zu entschädigen, so von Einem. ExpertInnen ziehen das in Zweifel. Dem Münchner Patentanwalt Dr. Rolf Wilhelms zufolge existiert die entsprechende Regelung zwar, werde aber nur äußerst selten in Anspruch genommen und sehe außerdem sehr wohl eine finanzielle Kompensation etwa in Höhe der sonst üblichen Lizenz-Gebühren vor.

Günter Wallraff und Jörg Heimbrecht stützten sich bei ihrer Arbeit auf Informationen von Dr. Ehrenfried Petras. Der Mikrobiologe leitete in den 1960er Jahren ein Labor des „Instituts für Aero-Biologie“ im sauerländischen Grafschaft, welches er immer mehr für Kampfstoff-Forschungen missbraucht sah. Die Rüstungsanstrengungen der Bundeswehr im Kalten Krieg beunruhigten ihn so sehr, dass er sich entschloss, in die DDR überzusiedeln und die Pläne öffentlich zu machen. Sein Wissen über die illegalen Aktivitäten – die Bundesrepublik hatte sich 1954 beim Beitritt zur Westeuropäischen Union zu einem Verzicht auf die Herstellung biologischer und chemischer Waffen verpflichtet – legte Petras in der Broschüre „Bonn bereitet den Giftkrieg vor“ dar. Zudem gab er eine Erklärung zu dem Sachverhalt ab. Als „ein straff organisiertes System von Forschung, Testung und Produktionsvorbereitung“ bezeichnet Ehrenfried Petras das militärische Projekt darin. Dazu gehörte auch, alle Maßnahmen zu treffen, um im Verborgenen operieren zu können: „Zu Zwecken der Geheimhaltung und Tarnung hat das westdeutsche Bundesverteidigungsministerium von Anfang an bei der Wiederaufrüstung Wert darauf gelegt, seine militärische Forschung weitgehend in den bestehenden zivilen Forschungseinrichtungen der westdeutschen Chemie-Konzerne, Universitätsinstitute und anderen Forschungseinrichtungen durchführen zu lassen.“

Eine wichtige Rolle dabei kam BAYER zu. Der Konzern fungierte als Schaltzentrale, koordinierte die ganzen Abläufe und produzierte nicht zuletzt viele der Chemikalien. So lieferte das Unternehmen dem „Institut für Aero-Biologie“ etwa Zephirol für Tests zur Desinfektion von Kriegsschauplätzen. Das geschah jedoch auf Umwegen. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, gelangte der Stoff über Dr. Max von Clarmann, Leiter der bundesdeutschen Entgiftungszentrale vom Münchner Krankenhaus rechts der Isar, nach Grafschaft. Auch organische Phosphor-Verbindungen des Chemie-Riesen prüfte das Institut. Und das VX, mit dem es arbeitete, dürfte Gerhard Schrader in seinem Labor entwickelt haben.
Die – im wahrsten Sinne des Wortes – Feldversuche mit den verschiedenen Substanzen unternahm dann die Bundeswehr in ihrer Erprobungsstelle E 53 bei Munster. „Aufgrund dieser wissenschaftlichen Ergebnisse (...) ist die moderne chemische Industrie der westdeutschen Bundesrepublik (zum Beispiel die IG-FARBEN-Nachfolgeunternehmen BAYER AG, BASF und HOECHST) in der Lage, kurzfristig größere Mengen des von der Bundeswehr benötigten Kampfstoffes herzustellen und auszuliefern“, erläuterte Petras.

Zum „Institut für Aero-Biologie“, später unter den Bezeichnungen „Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Aerosol-Forschung“ und „Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin“ firmierend, unterhielt der Leverkusener Multi noch lange Zeit Verbindungen. „Ich glaube, wir haben gar keinen Grund, uns in irgendeiner Weise von den durch die Fraunhofer-Gesellschaft geförderten Projekten, die ja im Interesse unseres Staates sind, zu distanzieren“, zitiert Jo Angerer in seinem 1985 erschienenen Werk dazu BAYERs Hellmut Hoffmann.
Hoffmann ist ein Mann vom Fach. Der damalige Forschungsleiter der Pestizid-Abteilung hatte nach eigenem Bekunden an der Entwicklung von Lost und Sarin mitgearbeitet. In den Augen der Politik qualifizierte ihn das dafür, den verschiedenen Bundesregierungen in den 1980er Jahren bei den Verhandlungen zum Chemiewaffen-Übereinkommen der Vereinten Nationen als Berater zu dienen. Unter anderem arbeitete Hoffmann daran mit, Kriterien zur Bestimmung von Kampfstoff-Fertigungsstätten zu entwickeln. Das scheiterte allerdings, denn eindeutige Merkmale waren ihm zufolge nicht zu finden. „Die gibt es nicht. Wir hatten gewusst, wenn man das macht, dass man alle Anlagen genehmigungspflichtig machen muss für den Export.“ Und das konnte natürlich nicht im Interesse des Leverkusener Multis sein, der damals gutes Geld mit der Entwicklung solcher Fabriken für den ausländischen Markt verdiente.
So unterhielt er beispielsweise gute Geschäftsbeziehungen zum Iran. Der Staat begann in den 1980er Jahren mit Planungen zu einem großen Chemie-Komplex mit angeschlossener Pestizid-Produktion nahe der Stadt Ghaswin. An das Anwendungsgebiet „Landwirtschaft“ dürfte das Land in Zeiten des Ersten Golfkrieges, in denen der irakische Gegner auch Tabun, Sarin und Lost einsetzte, kaum gedacht haben. Trotzdem verkaufte das Unternehmen dem Land 1984 Lizenzen zur Fertigung von Azinphos-Methyl und Fenitrothion, einer chemiewaffen-fähigen Substanz aus der berühmt-berüchtigten Gruppe der Phosphorsäure-Ester. Die Aufsichtsbehörden genehmigten den Deal, rieten dem Konzern aber von weiteren Transaktionen im Zusammenhang mit Ghaswin ab. Der Chemie-Riese hielt sich allerdings nicht daran. Ab 1987 lieferte er eine Anlage zur Herstellung von Ackergiften in den Iran. Für alle Bauten vermochte der für die technische Koordination in Ghaswin zuständige LURCHI-Konzern Genehmigungen vorlegen, nur für die von BAYER nicht – aus gutem Grund. „‚Das Endprodukt‘ könnte ‚auch zur Bekämpfung von Warmblütern‘ eingesetzt werden und ‚damit als Kampfgas dienen‘“, zitierte der Spiegel aus einem Schreiben der Kölner Oberfinanzdirektion. Die Behörden leiteten in der Sache dann auch Ermittlungen ein. Im Zuge dessen führten FahnderInnen Ende 1989 Razzien in den Dormagener, Leverkusener und Monheimer Niederlassungen des Agro-Riesen durch und stellten drei Dutzend Ordner mit Konstruktionsplänen sicher. Der Staatsanwalt stellte das Verfahren später jedoch ein.

Gefahren bis heute
Und mehr als 100 Jahre nach der Entwicklung der ersten chemischen Kampfstoffe gehen von ihnen immer noch Gefahren aus. Sie ruhen nämlich unfriedlich auf den Meeresgründen von Ostsee und Nordsee. Mehr als 1,5 Millionen Tonnen von Munition, Bomben und Granaten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg lagern dort, was Mensch, Tier und Umwelt bedroht. Da die Metall-Umhüllung der Chemie-Waffen mittlerweile durchrostet, treten die Gifte nämlich aus. Aus dem Senfgas beispielsweise bilden sich Klumpen, die nicht selten FischerInnen ins Netz gehen – häufig mit fatalen Auswirkungen. Der Phosphor hingegen wird immer wieder an die Strände gespült. Dort verwechseln ihn Bade-UrlauberInnen wegen seiner Farbe und Form dann allzu oft mit Bernstein. Sie stecken die Stücke ein und ziehen sich zum Teil schwere Verbrennungen zu, weil sich der Phosphor, sobald er trocken ist, leicht entzünden kann.
Der Biologe Dr. Stefan Nehring bezifferte die Zahl der Sterbefälle Ende 2015 auf 418. Bei den meisten Toten handelt es sich dabei um Seeleute oder FischerInnen, die durch Detonationen von See-Minen oder den Direkt-Kontakt mit den Chemie-Giften umkamen. Darüber hinaus führt Nehring 720 Personen auf, die durch die Altlasten Gesundheitsschäden erlitten. Inzwischen haben viele Urlaubsorte Warnschilder aufgestellt. Zudem suchen MitarbeiterInnen von Kampfstoff-Bergungsfirmen die Strände an einigen Küsten-Streifen regelmäßig nach Phosphor ab. Aber das ist noch nicht alles. „Daneben gehen erhebliche Gefahren durch kontaminierte Fische aus“, hielt das Bundeslandwirtschaftsministerium bereits im Jahr 1992 fest. Die Chemie-Stoffe können nämlich über die Nahrungskette in den menschlichen Organismus gelangen und dort Krankheiten auslösen. „Wenn man alle Altlasten in einen Güterzug packte, würde er dreimal von Hamburg bis München reichen. Entsorgt kriegen die Räumdienste aber bislang vielleicht einen halben Waggon pro Jahr“, sagt der Meeres-Forscher Warner Brückmann.
In diesem Frühjahr steht das Thema auf der Tagesordnung des Bundestages. Den Anstoß dazu gaben die Grünen und die FDP, die in einem Antrag die Bergung der Altlasten gefordert hatten. Eine Kostenbeteiligung von BAYER bei der kostspieligen Operation sehen die Parteien nicht vor. Dafür tritt bisher nur die Coordination gegen BAYER-Gefahren ein. Es ist nämlich an der Zeit, dass der Konzern endlich einmal wenigstens etwas dafür zahlt, aus seinen Chemie-Laboren Waffen-Fabriken gemacht zu haben.

Anmerkung
(1) Als „Perversion der Wissenschaft“ bezeichnete Habers Frau Clara Immerwahr, die ebenfalls Chemikerin war, diese neue Waffe. Vergeblich hatte sie versucht, ihren Mann von seinem Tun abzubringen. Wenige Tage nach dem ersten Giftgas-Einsatz nahm sie sich das Leben. Haber aber, der 1911 schon gemeinsam mit Carl Bosch das kriegswichtige, sogenannte Haber/Bosch-Verfahren entwickelt hatte – es ermöglichte die synthetische Herstellung von Salpeter und machte das Deutsche Reich so von Importen unabhängig – ging seinen Weg unbeirrt weiter. 1917 gründete er den „Technischen Ausschuss für Schädlingsbekämpfung“, aus dem später die „Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ (DEGESCH) hervorging. Hier sollten Habers Mitarbeiter Ferdinand Flury und Albrecht Hase später das Zyklon B entwickeln, das die Nazis zur Ermordung der Juden einsetzten. Zu Zeiten der Weimarer Republik versuchte Haber überdies, aus Meerwasser Gold zu gewinnen, um dem Staat die Reparationszahlungen zu erleichtern. Ab 1925 saß der Wissenschaftler auch im Aufsichtsrat der IG FARBEN. 1933 aber musste er als Jude diesen Posten genauso aufgeben wie alle seine anderen. Er verließ das Land und starb 1934 in einem Baseler Hotel. An seiner Beerdigung nahmen zahlreiche IG-Direktoren teil.

[CUREVAC] Der CUREVAC-Deal

CBG Redaktion

BAYER steigt ins Impfstoff-Geschäft ein

Anfang Januar 2021 vereinbarte der BAYER-Konzern eine Kooperation mit dem deutschen Impfstoff-Entwickler CUREVAC. Damit ist er nun auch ein bedeutender Player auf dem Corona-Markt.

Von Jan Pehrke

„Ich bin sehr froh, dass ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, dass die BAYER AG mit diesen Lichtblick erzeugt hat, der mit diesem Impfstoff verbunden ist“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet Mitte Februar 2021 bei einem Besuch des Wuppertaler BAYER-Werks. Gerade auch, weil der Ruf der Branche nicht der beste ist, zeigte sich der christdemokratische Politiker erfreut über die Kooperation des Leverkusener Multis mit CUREVAC in Sachen „Covid-19-Impfstoff“: „Es hat sich in den letzten Jahren so eingebürgert, dass man immer auf die Pharma-Industrie schimpft.“ Laschet hingegen will sie hegen und pflegen. „Ich glaube, unser Ziel muss sein, dass Deutschland wieder der Spitzen-Standort für Pharma-Technologie wird“, meint der CDU-Vorsitzende. Schon aus Gründen der Versorgungssicherheit ist das für ihn von größter Wichtigkeit: „Wir sind froh für jedes Unternehmen, dass hier ist und dass nicht irgendwo in anderen Teilen der Welt so seine Produktion verlagert, dass wir im Ernstfall keinen Zugriff darauf haben.“

Am 7. Januar des Jahres hatte der Agro-Riese seine Zusammenarbeit mit CUREVAC bekanntgegeben. Bei der Durchführung der Klinischen Studien, dem Zulassungsprozedere, der späteren Überwachung der Sicherheit des Vakzins sowie bei der Organisation der Lieferkette für die benötigten Zusatzstoffe will er „sein Fachwissen und seine etablierte Infrastruktur“ einbringen, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Zudem hat die Aktien-Gesellschaft sich die Option gesichert, das Vakzin in Ländern außerhalb Europas selbst zu vermarkten.
Rund einen Monat später erweiterten die beiden Firmen ihre Verbindung noch einmal. Sie erstreckt sich nun auch auf den Produktionsprozess. Es brauchte für diesen Schritt allerdings einen Anstoß von außen. „In Gesprächen mit der Bundesregierung ist deutlich geworden, dass die Verfügbarkeit von Impfstoffen weiter erhöht werden muss“, erläuterte Pharma-Vorstand Stefan Oelrich. Dementsprechend positiv reagierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf die Meldung: „Wir freuen uns, dass mit CUREVAC und BAYER zwei deutsche Unternehmen diese Partnerschaft eingegangen sind und weiter vertiefen.“

Natürlich trieb BAYER nur die reine Menschlichkeit zu der Kollaboration. „Aus finanziellen Gründen tun wir das nicht. Wir sehen die große Notwendigkeit“, sagte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in einem Interview mit dem Nachrichtensender ntv. Der Moderator mochte an eine solche Selbstlosigkeit allerdings nicht so recht glauben. „Jetzt standen Sie ja lange mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat in der öffentlichen Kritik. Sind Sie eigentlich froh, dass Sie jetzt einmal mit einem Thema in Verbindung gebracht werden, was positiver belegt ist?“, fragte er. Da musste der Ober-BAYER dann ganz schön weit ausholen, um nicht zu antworten. „Unsere Vision ist die Gesundheit der Menschen, aber auch die gesunde Ernährung der Menschen sicherzustellen. Das sind beides ganz, ganz tolle Aufträge, die im Zentrum dessen stehen, was für die Menschen wichtig ist. Und insofern möchte ich da auch nicht differenzieren. Beide Themen sind wichtig, in beiden Bereichen sind wir als verantwortungsvolles Unternehmen ich glaube sehr, sehr gut unterwegs, um die Dinge zu tun, die wir auch im Dienste der Gesellschaft tun können, inklusive der Nachhaltigkeit. Und dazu gehört auch der Pflanzenschutz, und dazu gehört auch Glyphosat“, lavierte Baumann herum.

Verlängerte Werkbank
Die FAZ zeigte sich gleich gewillt, zum Image-Wandel des Global Players beizutragen. „Die Welt hofft jetzt auf Wuppertal“, meinte das Frankfurter Blatt ausgemacht zu haben. Das Handelsblatt hingegen reagierte weniger euphorisch auf den Deal, den PFIZER in ähnlicher Form mit BIONTECH abgeschlossen hatte. „Die Pharma-Branche erlebt eine bedenkliche Verschiebung der Macht. In der Corona-Krise werden etliche Pharma-Konzerne zur verlängerten Werkbank der Impfstoff-Pioniere – eine Entwicklung, die ‚Big Pharma’ und ihren Investoren zu denken geben sollte“, mahnte die Wirtschaftszeitung.

Auch CUREVAC-Gründer Ingmar Hoerr sieht BAYER & Co. in der Defensive. „Ich bin davon überzeugt, dass Covid einen völligen Paradigmen-Wechsel mit sich bringt, weg von der Big-Pharma-Industrie, wie sie bisher war“, sagte er in einem FAZ-Interview. „Die großen Pharma-Konzerne müssen immer ihre Märkte und Krankheiten im Auge behalten und die Technologien, die sie anbieten können“, so der Biologe.
Er hatte vor 20 Jahren mit der Forschung an einem neuen Impfstoff begonnen, der nicht mehr die ganze DNA eines Virus enthält, um den menschlichen Organismus zur Bildung von Antikörpern anzuregen, sondern nur noch die mRNA. Daher bildet sie den Erreger auch nicht mehr komplett nach, was die Gesundheitsgefahren reduzieren soll. „Kein Konzern hat einen so langen Atem, um eine Vision zu verfolgen, hält Hoerr fest. Der Wissenschaftler hat ursprünglich selber eine Position bei den Großen der Branche angestrebt, entschied sich dann aber um, weil er dort zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten für sich ausmachte. „Wenn ich meinem Abteilungsleiter aber gesagt hätte, ich habe hier etwas Spannendes auf RNA-Ebene entdeckt, hätte er wohl geantwortet: Ja, das ist schon spannend, aber wir kümmern uns erst mal um die Programme, die wir besprochen haben“, denkt der Forscher.

Werner Baumann antwortete auf die Frage, warum BAYER nicht selbst in die Impfstoff-Entwicklung eingestiegen ist: „Wir sind traditionell kein Impfstoff-Hersteller, und es gibt für die traditionelle Impfstoff-Herstellung einige sehr große, auch mit großer Expertise ausgestattete Wettbewerber. Und dann für uns in dieser Situation aus der Position eines in diesem Bereich bisher nicht tätigen Unternehmens diese Expertise aufzubauen, hätte überhaupt keinen Sinn gemacht.“ Tatsächlich verfügte der Leverkusener Multi einmal über diese Expertise. Im Jahr 2004 aber wickelte er das Geschäftsfeld „Infektionskrankheiten“ gemeinsam mit den Sektionen „Asthma“ und „Urologie“ ab. Der Konzern vollzog zu dieser Zeit einen Strategie-Wechsel. Er wollte sich fortan auf viel Gewinn versprechende „High priority“-Projekte wie etwa Krebs-Therapeutika konzentrieren und nicht länger ein umfassendes Arznei-Angebot bereitstellen.

Andere große Arznei-Unternehmen stellten die Arbeit an Impfstoffen ebenfalls ein. Mittel gegen Infektionskrankheiten zu entwickeln, die vielleicht alle zehn, fünfzehn Jahre mal ausbrechen, vielleicht aber auch nicht, bietet Big Pharma kaum Aussicht auf verlässliche Renditen. Darum gibt es heute nur noch vier große Anbieter auf dem Markt. Und von den bisher zugelassenen Vakzinen gegen Corona entstammt keines ihren Laboren. Hochschul-WissenschaftlerInnen oder kleine Start-Ups haben sie entwickelt, Die Pillen-Riesen kamen stets erst später dazu, wenn sich die Risiken als überschaubar erwiesen und sie kaum eigenes Geld zu investieren brauchten.

Das kam hauptsächlich von der öffentlichen Hand oder aus privaten Quellen. Bei CUREVAC ist der SAP-Gründer Dietmar Hopp der Hauptförderer. Er hält auch die Mehrheit der Aktien. Von der Bundesregierung erhielt die Tübinger Firma 251 Millionen Euro an Subventionen und BIONTECH sogar 375 Millionen. So ganz uneigennützig geschah das natürlich nicht. „Von den Firmen wurde im Gegenzug erwartet, dass sie einen angemessenen Anteil der Produktion eines zugelassenen COVID-19-Impfstoffes für die bedarfsgerechte Versorgung in Deutschland zugänglich machen“, konstatieren CDU und SPD in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Und CUREVAC konnte noch mehr Gelder akquirieren. Die von Deutschland mitgetragene internationale Impfstoff-Allianz CEPI, zu der außerdem noch Einrichtungen wie die Weltgesundheitsorganisation und die „Bill & Melinda Gates Foundation“ (BMGF) gehören, gab 34 Millionen Dollar und die BMGF allein noch einmal 46 Millionen Euro. Überdies unterstützt die Europäische Investitionsbank den Aufbau der Vakzin-Produktion mit einem Darlehen von 75 Millionen Euro.

Aber Merkel & Co. gingen noch weiter. Als Gerüchte um einen Börsengang der Firma in den USA sowie um das Bemühen Donald Trumps, CUREVAC in die USA zu locken, die Runde machten, stieg der Bund direkt bei der Tübinger Firma ein. Für 300 Millionen Euro erwarb er Mitte Juni 2020 23 Prozent der Anteile an dem Unternehmen; nach einer Kapital-Erhöhung schrumpfte die Beteiligung dann auf rund 17 Prozent. Es gelte, „elementare Schlüsselindustrien am Standort zu erhalten und zu stärken“ sowie die industrielle Souveränität Deutschlands zu wahren, erklärte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) damals zum Sinn der Übung.

Das Objekt der Begierde
Was da konkret die Begehrlichkeiten weckt, steckt noch in der Phase der klinischen Erprobung. Trotzdem hat die Europäische Union schon einen Liefer-Kontrakt mit CUREVAC abgeschlossen und dabei alle Risiken auf sich genommen. „Die Vertragsparteien erkennen an, dass die beschleunigten Entwicklungszeiten für die Durchführung der mit der EMA (Europäische Arzneimittel-Behörde, Anm. SWB) vereinbarten klinischen Prüfung und des Folge-Programms bedeuten, dass der Auftragnehmer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses APA (Advance Purchase Agreement = Kauf-Vereinbarung, Anm. SWB) unter keinen Umständen garantieren kann oder die Haftung dafür übernimmt, dass das Produkt letztendlich verfügbar sein oder die gewünschten Ergebnisse erzielen wird, d. h. eine ausreichende Wirksamkeit zur Verhinderung einer COVID-19-Infektion aufweist oder ohne akzeptable Nebenwirkungen ist“, heißt es in dem Dokument.

Die EU stellt CUREVAC also einen Blanko-Scheck aus. 225 Millionen Dosen des Impfstoffes CVnCoV zu einem Einzelpreis von zehn Euro hat sie vorab erworben. Darüber hinaus sicherte sich Brüssel eine Option auf 180 Millionen weitere Impf-Dosen von CUREVAC.

Deutschland erhält aus diesem Kontingent 54,1 Millionen Dosen. Zudem hat die Bundesregierung mit CUREVAC einen Vertrag über eine Option auf 20 Millionen weitere CVnCoV-Dosen abgeschlossen. „Das Mandat für die Impfstoff-Beschaffung auf EU-Ebene sieht vor, dass die teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten keine eigenen Abschlüsse einer Abnahme-Garantie für den Impfstoff mit demselben Hersteller einleiten. Art. 7 ESI-Agreement verbietet indes nicht den Abschluss von Absichtserklärungen“, erklärt die Große Koalition zu ihren kleinen Sonderwegen bei der Vorratsbeschaffung.

Die Nebenwirkungen
Die Resultate aus der Zulassungsstudie kündigt CUREVAC für die Mitte des 2. Quartals 2021 an. Im Moment befindet sich der Impfstoff noch in der letzten Phase der Erprobung. Wie die anderen Vakzine auch, durchläuft CVnCoV ein beschleunigtes Verfahren, bei dem zweiter und dritter Teil der Arznei-Prüfung zusammengelegt sind. Das birgt viele Gefahren, besonders weil es sich bei CVnCoV & Co. um Gentech-Produkte handelt, also um solche, die tief und unrückholbar in organische Prozesse eingreifen und überdies in diesem Bereich noch nie zur Anwendung kamen. Dementsprechend liegen noch keinerlei Erfahrungen zu ihren – möglicherweise auch langfristigeren – Risiken und Nebenwirkungen vor. Und die bisherigen klinischen Prüfungen können da nicht eben als vertrauensbildende Maßnahmen gelten. So musste etwa JOHNSON & JOHNSON im Oktober 2020 seine Studie mit Ad26.COV2.S nach einer „unerklärten Erkrankung“ eines Probanden für vier Wochen unterbrechen.

Besonders die Tests von ASTRAZENECA werfen viele Fragen auf. Eine größere Studie mit nur einer Dosis erbrachte keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis. Daraufhin führte der Konzern mehrere kleine Untersuchungen mit zwei Dosen durch, variierte aber den Abstand zwischen den Verabreichungen von sechs bis hin zu 23 Wochen. Zudem hat die Firma aus mehreren Untersuchungen ein „Best of“ kompiliert. Ein „heilloses Durcheinander“ nannte das der Pharmazeut Thomas Dingermann. Zwei dieser Erprobungsreihen akzeptierte die EMA dann auch nicht, und im März diesen Jahres meldete die zuständige US-amerikanische Behörde NIAID ebenfalls ernsthafte Zweifel ob der Belastbarkeit der Daten an. In der Praxis hatte das ernsthafte Konsequenzen: Es traten mit Thrombosen lebensgefährliche Nebenwirkungen auf, die in den Studien-Protokollen nicht vermerkt waren und zu einer zeitweiligen Aussetzung der Impfungen führte.

Zum CUREVAC-Präparat liegen bisher nur zur ersten Phase der Klinischen Erprobung Resultate vor. Da testete das Unternehmen die Verträglichkeit der Arznei an 250 ProbantInnen. An Nebenwirkungen registrierten die WissenschaftlerInnen 19 Fälle von Schwindel, 15 Fälle von Herzrasen, Nacken- oder Unterleibsschmerzen, 13 Fälle von Herzklopfen, Halsentzündung, Geschmacksstörungen oder Müdigkeit, sechs Fälle von Parästhesien, also Symptome wie Haut-Kribbeln, Jucken oder Schwellungsgefühle, sowie drei Fälle von Brustschmerzen und Durchblutungsstörungen. Reaktionen, die der Definition nach als schwere Nebenwirkungen einzustufen sind, verzeichneten die ForscherInnen nicht.
Aussagekräftigere Angaben zu den Risiken der mRNA-Impfstoffe erlauben die Daten, die das „Paul Ehrlich Institut“ (PEI) über die beiden bisher zugelassenen Substanzen Comirnaty von BIONTECH/PFIZER und COVID-19-Vaccine Moderna von MODERNA zusammengetragen hat. Im Zusammenhang mit den 5.378.703 Millionen Comirnaty-Impfungen gingen in dem Zeitraum vom 27. Dezember 2020 bis zum 26. Februar diesen Jahres 8.368 Meldungen über Nebenwirkungen ein. Bei den 168.189 MODERNA-Impfungen traten 484 Mal Komplikationen auf. Mit 1,6 bzw. 2,9 Fällen pro 1.000 Impfungen lagen die beiden mRNA-Vakzine damit unter dem Wert des Stoffes von ASTRAZENECA, der auf eine Zahl von 7,6 kommt.

Nebenwirkungen mit Todesfolge zählte das Institut bei Comirnaty 269, wobei es relativiert: „Der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und dem tödlichen Ereignis variierte zwischen einer Stunde und 34 Tagen nach der Impfung.“ In Verbindung mit dem MODERNA-Vakzin registrierte die Behörde lediglich einen Todesfall. Allergische Schock-Reaktionen, sogenannte Anaphylaxien, wie sie generell bei Impfstoffen gefürchtet sind, verzeichnete das PEI bei den mRNA-Präparaten bisher nicht. Es verwies aber auf Zahlen aus den USA, die bei Comirnaty 4,7 Anaphylaxien pro eine Million Impfdosen ausweisen und bei MODERNA 2,5. Insgesamt führt die Einrichtung bei Comirnaty 1.705 schwerwiegende Nebenwirkungen auf und bei der MODERNA-Substanz 107. Zu den häufigsten unerwünschten Reaktionen zählen bei den beiden Arzneien Kopfschmerzen, Fieber, Gliederschmerzen, grippe-ähnliche Symptome und Schmerzen an der Einstich-Stelle.
Überdies berichtet der Gen-ethische Informationsdienst von Erfahrungen mit mRNA-Vakzinen, die gegen HI- und Zika-Viren zum Einsatz kamen und Ödeme sowie multiple Entzündungsprozesse auslösten. Auch schlugen einige der durch den Impfstoff erzeugten Antikörper aus der Reihe und riefen schwere Lungenentzündungen hervor, indem sie Gedächtniszellen aktivierten, die ihren Ursprung früheren Infektionen verdanken. Zur Entstehung solcher Gedächtniszellen können die mRNA-Substanzen auch selber beitragen.

Ein großes Problem stellt ferner die Anforderung dar, die Stabilität der Stoffe zu gewährleisten. Schon die bei manchen Produkten nötige extreme Kühlung ist ein Indiz für den Aufwand, der dazu getrieben werden muss. Unterlagen der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA, die nach einem Hackerangriff an die Öffentlichkeit gelangten, wirken da nicht eben vertrauenserweckend. So war bei den zum Verkauf bestimmten Chargen des Impfstoffes von BIONTECH nur 55 Prozent der mRNA intakt; die bei den Zulassungsstudien verwendeten Substanzen kamen immerhin auf einen Anteil von etwa 78 Prozent. Das berichtete die Medizin-Journalistin Serena Tinari im British Medical Journal nach Sichtung des Materials. „Große Sorgen“ machte dieser Befund den EMA-BegutachterInnen den Dokumenten zufolge. Die Bedenken verschwanden dann aber relativ schnell wieder, als PFIZER zusicherte, das Qualitätsmanagement zu verbessern. Die neuen Vakzine bestanden dann wieder zu 70 bis 75 Prozent aus unversehrter mRNA, was der Amsterdamer Behörde schließlich für die Zulassung reichte. CUREVAC kennt diese Schwierigkeiten angeblich nicht. Stabilitätstests bezüglich der Temperatur, aber auch der Rüttelfestigkeit hätten sehr gute Ergebnisse gezeigt, bekundete das Unternehmen der FAZ zufolge.

Europe first
Wie die Komplikationen bei der Fertigung von Comirnaty zeigten, funktionierte PFIZER nicht einmal als verlängerte Werkbank reibungslos. Bei anderen Herstellern traten ähnliche Mängel auf. Und damit begann das Gerangel um das kostbare Gut. Die Sonntagsreden mit ihren Beteuerungen, die ärmeren Länder bei der Versorgung mit den Arzneien nicht zu vergessen, gerieten darüber schnell in Vergessenheit. Hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Mai 2020 noch beteuert, Brüssel arbeite daran, dass Vakzine „in jede Ecke der Welt zu einem fairen und erschwinglichen Preis verteilt werden“, so erklärte sie im März 2021: „Jetzt gibt es erstmal einen ziemlichen Druck in den Mitgliedsstaaten, selbst Impfstoff zu bekommen.“ „Impfstoff-Nationalismus“ hieß das Gebot der Stunde, und Export-Verbote standen zur Debatte.

Während sich einige Staaten wie z. B. Kanada bereits das Fünffache des Bedarfs gesichert haben, gingen zahlreiche Nationen leer aus. „Gerade einmal zehn Länder haben 75 Prozent aller COVID-19-Impfstoffe verabreicht. Gleichzeitig haben mehr als 130 Länder noch keine einzige Dosis erhalten“, kritisierte der UN-Generalsekretär António Guterres am 17. Februar in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dann auch. Ende März waren es noch 36 Staaten.

Es ist an China, die Armutsregionen mit Vakzinen zu versorgen. Das Reich der Mitte will seine Vakzine rund 150 Staaten zum Selbstkostenpreis liefern. Im Westen indes gibt es zur Zeit kaum frei verfügbare Substanzen. Für den größten Teil dessen, was in diesem Jahr noch die Fabriken von PFIZER & Co. verlässt, existieren bereits Kauf-Verträge. Dementsprechend hat die Impfstoff-Initiative COVAX, von der Weltgesundheitsorganisation, CEPI und der EU ins Leben gerufen, um für eine global gerechte Distribution des Impfstoffes zu sorgen, das Nachsehen. Gerade einmal 200 Millionen Dosen hat sie bislang für die mehr als 90 ärmeren Länder mit einer Gesamtbevölkerungszahl von rund vier Milliarden Menschen erwerben können. Und Schwellenländer fallen ganz durchs COVAX-Raster, obwohl sie wie Kolumbien an ihre Grenzen stoßen, wenn MODERNA etwa 30 Dollar pro Dosis verlangt. Nur ASTRAZENECA vermarktet sein Produkt in Pandemie-Zeiten zum Selbstkosten-Preis und tut über seine Kooperation mit dem Konzern SERUM INSTITUTE OF INDIA auch einiges für die gerechte Verteilung.

CUREVAC hingegen zeigt sich in dieser Beziehung deutlich zurückhaltender. Der Kontrakt, den die Firma mit der Europäischen Union geschlossen hat, erlaubt dieser zwar die Weitergabe von CVnCoV an bedürftige Staaten, aber Brüssel braucht dafür das Ja-Wort aus Tübingen. Auch wenn die EU-Kommission darum vorerst nicht anhalten wird – Ursula von der Leyen hat Spenden erst einmal ausgeschlossen – ist eine solche Zustimmungsklausel nach Einschätzung des FDP-Politikers Andrew Ullmann nicht ohne. Dadurch könne es zu gefährlichen Verzögerungen kommen, warnt er laut Tagesspiegel. Und bei dieser Kritik blieb es nicht. Im Dezember 2020 landete CUREVAC beim Impffairness-Test der Initiative ONE mit einem von fünfzehn möglichen Punkten auf dem letzten Platz. Die Nicht-Beteiligung an COVAX sowie die Weigerung, CVnCoV zu erschwinglichen Preisen anzubieten und sich auf politischer Ebene für Verteilungsgerechtigkeit einzusetzen, führten zu der schlechten Bewertung. Inzwischen hat die Aktien-Gesellschaft jedoch noch einmal punkten können. Zudem gibt es erste Gespräche mit COVAX.

Patente töten
Die Liefer-Probleme treten auf, weil die Herstellungskapazitäten nicht ausreichen. Auch CUREVAC hatte darunter zu leiden. „Es gab einen Riesenansturm auf die Ausrüstung“, klagte der Unternehmensleiter Hans-Werner Haas bei einer Anhörung im Europa-Parlament. Da es unter dem gegenwärtigen Produktions- und Preisregime offensichtlich nicht möglich ist, allen Menschen auf der Welt Zugang zu den Impfstoffen zu verschaffen, fordern die ärmeren Länder ein zeitweises Aussetzen der Patente, um so die Fertigung anzukurbeln. Einen entsprechenden Antrag haben Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation eingereicht. Der südafrikanische WTO-Bevollmächtigte Mustaqueem De Gama sieht in der temporären Aufhebung der Schutzrechte ein probates Mittel gegen den „Impf-Nationalismus“ der reicheren Staaten. „50 Prozent der bis zum 22. Februar injizierten 200 Millionen Impfdosen verabreichten die USA, Großbritannien und die EU“, so De Gama.

Die Initiative fand breite Unterstützung. Mehr als 100 Staaten stellten sich hinter Südafrika und Indien. Auch der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, und Winnie Byanyima vom AIDS-Programm der UN begrüßten den Vorstoß. „Wir sollten nicht wiederholen, was bei der AIDS-Krise in der Welt geschehen ist. Wir haben zehn Jahre verloren und Millionen HIV-Positive sind gestorben, weil wir auf Zugeständnisse der Pharma-Industrie gewartet haben“, erklärte sie. Susan Bergner, bei der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ für globale Gesundheitsfragen zuständig, spricht sich ebenfalls dafür aus: „Die Länder des globalen Südens müssen dringend Produktionskapazitäten für Impfstoffe aufbauen können. Da würde eine zeitweise Aussetzung der Patentrechte der Pharma-Konzerne helfen.“

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) teilt diese Auffassungen und ging am 23. Januar 2021 für die Freigabe der Patente auf die Straße. Überdies zählt sie mit zu den UnterzeichnerInnen des Aufrufs „Patente töten“, den die BUKO PHARMA-KAMPAGNE gemeinsam mit anderen Organisationen gestartet hat. „Das Patent-System hat die Wissensproduktion im medizinischen Bereich auf Gewinn-Maximierung und Kapitalerträge ausgerichtet und nicht auf die Erforschung und Entwicklung lebensrettender Medikamente und deren gerechte Verteilung“, heißt es darin. Dementsprechend entwickelt die Pharma-Industrie dem Appell zufolge hauptsächlich Arzneien, die viel Profit auf den rentablen Märkten der Wohlstandsländer abwerfen. „Den globalen Gesundheitsbedürfnissen wird sie dabei nicht gerecht. Und das Patent-System sorgt dafür, dass auch jene Medikamente hochpreisig gehalten werden, deren Entwicklung auf öffentlich finanzierter Forschung basiert“, kritisieren die Gruppen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erhielt in der Sache einen Offenen Brief, der die CDU-Politikerin dazu anhielt, sich für die Aufhebung des Schutzes des geistigen Eigentums an den Corona-Impfstoffen ein-zusetzen: „Angesichts einer globalen Gesundheitslage, in der Forschung und Entwicklung durch große Mengen öffentlicher Gelder finanziert wurden, ist es einfach unverschämt, dass diese wenigen Pharma-Unternehmen von ihren Patent-Monopolen profitieren, während die Welt leidet.“

CUREVAC bekam ebenfalls Post. Die BUKO PHARMA-KAMPAGNE, ONE, OXFAM und andere wandten sich an den Firmen-Leiter Franz-Werner Haas. „Wir sind der Überzeugung, dass diese massive öffentliche Unterstützung auch mit der Verpflichtung einhergeht, Menschen weltweit Zugang zu Covid-19-Impfstoff zu gewähren. Wir bitten Sie daher darzulegen, welche konkreten Maßnahmen Sie hinsichtlich der wichtigen Aspekte Transparenz, Bezahlbarkeit, Lizenzierung, Technologie-Transfer und garantiertem gerechten Zugang ergreifen werden, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden“, forderten die Absender ihn in dem Brief auf.

Tatsächlich sprach Haas sich in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung für eine befristete Aufhebung der Patente aus. Praktische Konsequenzen hatte das allerdings bisher nicht. Und den Leverkusener Multi dürfte der Pharma-Manager dafür kaum gewinnen können. Der Konzern lehnt eine solche Sonder-Regelung rigoros ab. „Eine Art Not-Impfstoffwirtschaft bringt überhaupt nichts“, so BAYER-Chef Werner Baumann. Dabei stößt er auf eine breite Unterstützung der Branche. „Es muss dabei bleiben, dass die Unternehmen Eigentümer ihrer Entwicklungen bleiben“, dekretiert Han Steutel, Präsident des von BAYER gegründeten „Verbandes der Forschenden Arzneimittel-Hersteller“ VFA. Auch dessen europäische und internationale Pendants, der EPFIA und der IFPMA, verwehren sich gegen eine solche Maßnahme. Und als die Universität Oxford im April letzten Jahres erklärte, den von ihr entwickelten Corona-Impfstoff jedem Unternehmen zur Verfügung stellen wollen, das ihn produzieren kann, intervenierte die „Bill & Melinda Gates Foundation“ erfolgreich. Schlussendlich schloss die Hochschule mit ASTRAZENECA einen Exklusiv-Vertrag ab.

Die Politik steht dabei hinter den Pillen-Riesen. „Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass Fragen des geistigen Eigentums ein echtes Hindernis auf den Zugang zu Covid-bezogenen Technologien darstellen“, erklärte die EU-Kommission. Und die Große Koalition hielt in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ fest: „Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass der Zugang zu einem zukünftigen Impfstoff gegen COVID-19 ein öffentliches Gut ist, die Zugangsproblematik allerdings nicht auf die Frage der Schutzrechte vereinfacht werden darf, sondern nur ein ganzheitlicher Ansatz erfolgversprechend ist.“ Darum trägt sie den WTO-Antrag Südafrikas und Indiens auch nicht mit und weiß sich darin mit den Staatsoberhäuptern der meisten Industrie-Staaten einig, weshalb die Chancen für eine Aussetzung der Schutzrechte nicht groß sind.

Also mal wieder blendende Zeiten für die Pillen-Konzerne. Sie können ihre Patente behalten und trotzdem Subventionen ohne Ende einstreichen, erhalten obendrein noch Abnahme-Garantien für Medikamente, die ihren Nutzen noch gar nicht erwiesen haben – so viel Planwirtschaft darf sein – und müssen für ihre Arzneien noch nicht einmal haften, wenn mit ihnen etwas schief geht. Und was bieten sie für ihre risiko-lose Profit-Vermehrung? Nichts. „Im Gegenzug sollte die Welt einfach darauf vertrauen, dass sie sich anständig verhalten“, wie die Organisation CORPORATE EUROPE WATCH bemerkt.

[Blindes Vertrauen] HV-Prozess: Gutachten macht Verfahrensfehler aus

CBG Redaktion

Im Jahr 2017 hatte der BAYER-Konzern auf seiner Hauptversammlung das Versammlungsrecht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN massiv beschnitten. Die Coordination klagte dagegen durch alle Instanzen – erfolglos. Darum griff sie im November 2020 zum letzten Mittel: Verfassungsbeschwerde. Und jetzt legte die CBG nach. Sie reichte ein Gutachten des Rechtsprofessors Dr. Remo Klinger ein, das ihre juristische Position stützt.

Von Marius Stelzmann

Die Auseinandersetzung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) mit BAYER und der Polizei um die Vorgänge bei der Hauptversammlung von 2017 ist mittlerweile vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gelandet. Im November letzten Jahres hatte die Coordination eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Und sie ließ es damit nicht gut sein: Anfang März 2021 stellte die CBG dem höchsten deutschen Gericht ein Gutachten von Professor Dr. Remo Klinger zu, das ihre Position untermauert.

Begonnen hatte der Rechtsstreit nach BAYERs AktionärInnen-Treffen vom 28. April 2017. Unmittelbar nach der HV hatte die CBG Klage wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht eingereicht, da der Konzern vor dem World Conference Center Bonn (WCCB) ein von einem mannshohen Zaun umgebenes Zelt mit Kontroll-Schleusen errichtet hatte, um sich den erwarteten Protest besser vom Leib halten zu können. Offizielle Begründung: Terror-Gefahr! Diese erfordere umfangreiche, im Gebäude selber nicht durchführbare Sicherheitschecks, erklärte BAYER – und die Polizei schluckte es.

Die Grundlagen dieser Sicherheitseinschätzung hat der Leverkusener Multi bis heute weder der Versammlungsbehörde noch später vor Gericht transparent gemacht. Er teilte lediglich die „relevanten Eckpunkte“ mit. Die Versammlungsbehörde schloss sich der Gefahrenprognose dennoch postwendend an und erteilte eine lange Liste mit Auflagen, die das Demonstrationsrecht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) erheblich beschnitten. Diese griff die unverschämten Anordnungen in Eil-Verfahren umgehend an und erstritt reihenweise juristische Siege: Schlicht unhaltbar waren beispielsweise Vorschriften, die vorsahen, dass Lautsprecherboxen nicht in Richtung der AktionärInnen zeigen durften. Eine einzige der Auflagen konnte die CBG allerdings nicht zu Fall bringen: Das Zelt blieb, und damit musste die Coordination ihren traditionellen Kundgebungsort direkt vor dem Eingang der Hauptversammlung aufgeben und mit einem Ort weit davon entfernt, ganz am Rand des weitläufigen „Platzes der Vereinten Nationen“, vorliebnehmen.

Auch die Feststellungsklagen der Coordination brachten keinen Erfolg. Die Gerichte zogen die damaligen Entscheidungen nicht in Zweifel. Darum will die CBG jetzt vor dem BVerfG klären lassen, ob die Behörden durch die unkritische Übernahme von Sicherheitskonzept und Gefahrenprognose BAYERs ihre Pflichten verletzt und damit einen Verfahrensfehler begangen haben. Zur Seite steht ihr dabei Professor Dr. Remo Klinger, der mit seinem juristischen Fachwissen schon vielen Initiativen half. Er unterstützte bereits die DEUTSCHE UMWELTHILFE in der Auseinandersetzung um die Einhaltung der Stickstoff-Grenzwerte in deutschen Städten und die damit verbundenen Dieselfahrverbote sowie die FRIDAYS FOR FUTURE mit einer Verfassungsbeschwerde wegen unzureichender Klimaschutz-Gesetze.
Remo Klinger stellt in dem Gutachten heraus, dass Entscheidungen über die Art der Ermittlungen, d. h. auch die Beantwortung der Frage, welche Informationsquellen herangezogen werden, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde liegen. Zwar kann die Behörde zur Ermittlung von Sachverhalten auf die Prozess-Beteiligten und sonstige Private zurückgreifen. Dies entbindet diese jedoch nicht von der Letztverantwortlichkeit der Sachverhaltsermittlung. Die Behörde kommt ihren Pflichten nur dann ausreichend nach, wenn sie die durch andere Quellen gewonnenen Erkenntnisse überprüft, andernfalls stellt deren Nutzung einen Aufklärungsfehler dar.

So heißt es im Gutachten: „Die Pflicht der Behörde zur eigenen Ermittlung wandelt sich daher vor allem im Grundrechtsschutz zu einer Pflicht zur nachvollziehenden Amtsermittlung.“ Denn die Versammlungsfreiheit ist im Grundgesetz besonders geschützt. Auch die Wahl des Ortes fällt unter das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, welches alle versammlungsbezogenen Verhaltensweisen schützt. Eine verfassungskonforme Abwägung, ob eine angemeldete Versammlung mit Interessen Dritter kollidiert, obliegt der staatlichen Verantwortung. Diese muss aber den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit wahren. Um eine Versammlung einschränken zu können, bedarf es einer eigenen Ermittlung. „Die Behörde bleibt danach selbst bei Nutzung der Informationen von Verfahrensbeteiligten verpflichtet, die Angaben inhaltlich auf ihre Plausibilität zu überprüfen und mit dem bisherigen Ermittlungsstand und Erfahrungen aus ähnlichen Verfahren abzugleichen“, hält Klinger mit Verweisen auf die juristische Fachliteratur fest.

Pflichtverletzung
Dieser Verpflichtung ist die Versammlungsbehörde in Bonn nicht nachgekommen. Diese hatte sich nur auf das bloße Wort BAYERs verlassen, um die CBG von ihrem Kundgebungsort zu verdrängen. Einsicht in das Sicherheitskonzept verlangte die Behörde nicht. Auch drang sie später im Prozess nicht darauf, das Dokument allen Verfahrensbeteiligten zugänglich zu machen.

Darüber hinaus hat die Behörde versammlungsrechtliche Informationen wie diejenigen, die sie von BAYER zur angeblichen Sicherheitslage erhielt, mit den Erfahrungen aus ähnlichen Vorgängen abzugleichen. Dies ist in diesem Fall schwerwiegend, da es sowohl vor als auch nach der BAYER-Hauptversammlung eine Reihe von Veranstaltungen ähnlicher Größe im WCCB gab, die ihre Sicherheitsschleusen nicht in ein externes, umzäuntes Zelt auf dem Vorplatz verlegten. Das Gutachten listet dazu einige Beispiele auf. Hierbei handelte es sich sowohl um politische Großveranstaltungen wie den Bundesparteitag der SPD im Januar 2018 oder den Europa-Parteitag der Linkspartei 2019 als auch um andere Zusammenkünfte. Selbst mehrere Hauptversammlungen zählten dazu. So verzichteten beispielsweise im Mai 2019 die DEUTSCHE POST AG und die LUFTHANSA AG auf ein externes Sicherheitszelt. Terrorgefahr? Hier offenbar kein Problem. Offensichtlich unproblematisch war es für die Lufthansa, ihre Sicherheitsschleusen bei der HV in dem extra dafür vorgesehenen Raum im WCCB aufzubauen. Auf Fotos, mit welchen der von der LUFTHANSA mit der Organisation des AktionärInnen-Treffs betraute Dienstleister sein Werk bewirbt, ist klar zu sehen, dass diese Räume allen Sicherheitsbedürfnissen gerecht wurden. Dies hatten von BAYER bestellte Sicherheitsleute bei dem gerichtlichen Begehungstermin des WCCB-Vorplatzes durch die CBG und BAYER explizit in Abrede gestellt. Durch die Errichtung der Sicherheitsschleusen in exakt jenem Raum, in dem die LUFTHANSA sie aufbaute, seien Fluchtwege im Brandfall versperrt. Grobe Fahrlässigkeit bei der LUFTHANSA also? Oder doch eher ein Sicherheitskonzept made by BAYER, das nur als Vorwand zur Abwehr von Konzern-Kritik diente ...
Die im Internet lediglich eine Google-Suche entfernten Informationen belegen: Die Recherchen der Behörde, falls überhaupt unternommen, wiesen gravierende Mängel auf. Von einer Prüfung, ob Möglichkeiten für effiziente Sicherheitskontrollen im Innern des Gebäudes in baulicher, technischer und räumlicher Hinsicht vorhanden waren, die es gestattet hätten, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht zu beeinträchtigen, kann keine Rede sein. Auch bei den BAYER-Hauptversammlungen der kommenden Jahre überprüften die Behörden das Sicherheitskonzept nicht erneut, sondern übernahmen den alten Sachstand einfach unbesehen.

Das Gutachten legt dar, dass eine Beweiswürdigung eine abgeschlossene, vollständige Sachverhaltsermittlung voraussetzt. Die Beweiswürdigung darf die Behörde nicht an Dritte delegieren. Es ist erforderlich, dass sie sich ein eigenes Urteil darüber bildet, ob nach den ermittelten Umständen ein Sachverhalt als erwiesen gilt.

Klarer Befund
Wenn die Behörde gegen die klar definierten Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung verstößt, liegt ein Verfahrensfehler vor. Der von der Behörde ergangene Bescheid wird damit rechtswidrig. Im Gutachten wird daher das Fazit gezogen: Eine ungeprüfte Übernahme des lediglich mündlich mitgeteilten Sicherheitskonzeptes der BAYER AG reicht nicht aus, um das Versammlungsrecht zu beschneiden. Die Behörde hätte die Hinweise der BAYER AG zwar heranziehen und verwerten dürfen. Eine nachvollziehende Beurteilung des Sicherheitskonzeptes wäre jedoch unabdingbar notwendig gewesen. Die von der Versammlungsbehörde vor Gericht bekundete „Kenntnis der relevanten Eckpunkte“ reicht nicht aus. Eine Gefahrenprognose von Amts wegen wird dadurch nicht ausreichend gestützt.
Für die Coordination ist dieses Resultat von größter Wichtigkeit, da die Gerichte bisher der Auffassung der Versammlungsbehörde und der von BAYER folgten oder aber die Frage ganz ausklammerten. Die RichterInnen prüften lediglich, ob eine Demonstration unter solchen Bedingungen weiterhin möglich und erfolgversprechend durchführbar war. Dass die CBG in der Not erfinderisch und protest-versiert genug war, um sich von den hindernden Auflagen nicht ins politische Aus manövrieren zu lassen, legten sie absurderweise zu ihren Lasten aus. Diese Auffassung berücksichtigt darüber hinaus nicht, dass die CBG auch die sehr viel schärferen Auflagen erst in Eilverfahren wegklagen musste. Auch das hat einiges Geld gekostet, das die Coordination nicht so einfach zur Verfügung hat und viele andere Initiativen gar nicht aufbringen können. Nicht zuletzt darum lässt die CBG nicht locker und geht bis vor das Bundesverfassungsgericht. Ihr ist es um grundlegende Fragen zu tun, welche den rechtlichen Rahmen von Konzern-Kritik im Allgemeinen betreffen und deshalb auch für andere politische Gruppen von Bedeutung ist.

Wenn nämlich Versammlungsbehörden die Erstellung von Gefahrenszenarien komplett Konzernen überlassen, die sich ihrer KritikerInnen entledigen wollen und keine eigenen Kontrollen durchführt, wird diese hoheitliche Aufgabe faktisch privatisiert. Dies öffnet einem Missbrauch durch große Player Tür und Tor.
Das Gutachten klärt auf rechtswissenschaftliche Weise die Fragen, die diesen politischen Auseinandersetzungen zugrundeliegen. Es zieht zu diesen Fragen das nüchterne, verfassungsrechtliche Fazit: Im Rahmen der Beweiswürdigung hätte die Behörde das Sicherheitskonzept inhaltlich auf seine Plausibilität überprüfen müssen, sie hätte dem Leverkusener  Chemie-Multi nicht „blind vertrauen“ dürfen.

[Ticker 02/21] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion

CBG beim Klima-Streik
Der BAYER-Konzern stößt Jahr für Jahr Millionen Tonnen Kohlendioxid aus und trägt so zum Klima-Wandel bei. Darum nahm die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wieder am Klima-Streik teil. Sie beteiligte sich am 19. März 2021 aus gegebenem Anlass dort an den Protesten, wo der Agro-Riese seinen Stammsitz hat: in Leverkusen. Zu einer Mahnwache vor dem Rathaus der Stadt hatte die Ortsgruppe von FRIDAYS FOR FUTURE aufgerufen. Insgesamt gab es an diesem Tag rund 1.000 Aktionen in insgesamt 68 Ländern.

CBG hat Agro-Industrie satt
Jedes Jahr im Januar ist Berlin der Schauplatz der „Wir haben Agro-Industrie satt“-Proteste. Dieses Mal fanden sie in hybrider Form statt. Es gab sowohl eine kleinere Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt als auch die „Aktion Fußabdruck“, die eine „Anwesenheit in Abwesenheit“ ermöglichte. Rund 10.000 Menschen stimmten mit ihren Füßen ab gegen Pestizide, Gentechnik, Monokulturen und Tier-Fabriken, um „die Agrar-Wende loszutreten“. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) beteiligte sich mit einem „Glyphosat-Stopp jetzt!“-Fußabdruck daran. Überdies schickte die Coordination eine vor dem Dormagener BAYER-Werk aufgezeichnete Rede zum Thema „Glyphosat“ in die Hauptstadt. Und trotz alledem ließ sie es sich nicht nehmen, am 16. Januar vor Ort präsent zu sein, wenn auch in reduzierter Mannschaftsstärke. Geschäftsführer Marius Stelzmann vertrat sie dort.

Machtlose Vereinsmitglieder
Der jüngste Beschluss der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zur Verteilung der Gelder aus der TV-Vermarktung benachteiligt die kleinen Vereine aus der 2. Liga gegenüber den Top-Teams aus der 1. Liga. Der Fußball-Funktionär Andreas Rettig sieht darin ein erneutes Zeichen dafür, wie sehr sich der Fußball kommerzialisiert und von seinen Fans entfremdet hat. Eine wichtige Rolle dabei spielte seiner Meinung nach die ehemalige „Werkself“ BAYER Leverkusen. Der Club war nämlich der erste, der die Rechte seiner Mitglieder beschnitt. „Besonders die 1999 erteilte Ausnahmegenehmigung für BAYER 04 Leverkusen von der sogenannten 50-plus-1-Regel (der Verein behält die Stimmrechtsmehrheit in der Gesellschafter-Versammlung einer neu gegründeten Tochter-Gesellschaft) war eine erste Abkehr vom Vereinsleben“, schreibt er in der Rheinischen Post. „Der Verein gehörte nun nicht mehr den Mitgliedern“, so Rettig.

Petition in Sachen „Patente“
BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe gentechnischer Methoden, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten (siehe PFLANZEN & SAATEN). Dadurch droht die Kontrolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hand der großen Konzerne zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert das Europäische Patentamt deshalb in einer Petition dazu auf, keine solchen Schutzrechte mehr zu erteilen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zählt zu den Unterstützern dieser Kampagne.

KAPITAL & ARBEIT

BAYER CROPSCIENCE schrumpft
Ende September 2020 hatte der Leverkusener Multi ein 1,5 Milliarden Euro schweres Spar-Paket angekündigt – noch nicht einmal zwei Jahre nach dem letzten – und dabei auch Verkäufe von Unternehmensteilen nicht ausgeschlossen. „Zudem prüfen wir die Möglichkeit, uns von nicht strategischen Geschäften oder Marken unterhalb der Divisionsebene zu trennen“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Im Februar 2021 wurde aus der Möglichkeit dann Realität: Der Agro-Riese gab bekannt, die Sparte „Environmental Science“ mit den Pestiziden für nicht-landwirtschaftliche Bereiche wie Forstwirtschaft, öffentliche Grünanlagen, Golfplätze und Gleis-Anlagen veräußern zu wollen. Im Rahmen einer Auktion gedenkt er die Einheit zu verscherbeln. Das Mindestgebot steht auch schon fest: Zwei Milliarden Euro. Wie viele Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens durch die Entscheidung verloren gehen, teilte das Management nicht mit.

ERSTE & DRITTE WELT

385 Millionen Pestizid-Vergiftungen
Die letzte Studie über akute Pestizid-Vergiftungen stammt aus dem Jahr 1990. Damals ermittelte die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Million Fälle pro Jahr. Im Herbst letzten Jahres erschien nun eine neue Forschungsarbeit, die mit einem noch einmal drastischeren Befund aufwartet. Die Untersuchung „The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning“ verzeichnet 385 Millionen Pestizid-Vergiftungen per anno. Am stärksten betroffen sind Entwicklungs- und Schwellenländer. Prozentual die meisten Fälle unter LandwirtInnen und LandarbeiterInnen gibt es in Süd- und Südost-Asien sowie in Ostafrika. Auch südamerikanische Staaten wie Kolumbien, Venezuela und Argentinien kommen auf beunruhigend hohe Raten. Die ForscherInnen führen mehrere Gründe für den steilen Anstieg der Zahlen an. Die WHO hat damals nur die schwereren Krankheitsverläufe registriert und konnte sich zudem nicht auf eine so breite Daten-Basis stützen wie die neue Studie. Vor allem aber nahm die Ackergift-Produktion zu. Um rund 80 Prozent erhöhte sich die Menge der von BAYER & Co. in Umlauf gebrachten Substanzen von 1990 bis 2017. Darunter litten ebenfalls wieder vor allem die Länder des globalen Südens. In Südamerika legte die Pestizid-Nutzung um 484 Prozent zu und in Asien um 97 Prozent, während sie in Europa um drei Prozent schrumpfte. Von einem „Problem, das nach einem sofortigen Handeln verlangt“, sprechen die AutorInnen angesichts der vielen Vergiftungen. Die tödlich verlaufenden Intoxikationen haben dagegen abgenommen. Sie reduzierten sich von jährlich 20.000 im Jahr 1990 auf nunmehr 10.000. Als Grund vermuten die WissenschaftlerInnen das Verschwinden einiger besonders gefährlicher Mittel vom Markt. Dies bedürfe allerdings noch einer genaueren Überprüfung, hielten sie fest.

POLITIK & EINFLUSS

Plausch mit der EU-Kommission
Im Dezember 2019 trafen sich VertreterInnen verschiedener EU-Generaldirektionen mit VertreterInnen des europäischen Pharma-Verbandes EFPIA sowie mit LobbyistInnen von BAYER, PFIZER, BOEHRINGER & Co. Die Mitglieder der Generaldirektionen „Steuern und Zoll“, „Industrie und Handel“ und „Gesundheit“ hielten die Konzern-EmissärInnen dabei nicht nur über laufende politische Projekte wie etwa die Verhandlungen zu der pan-afrikanischen Freihandelszone AfCFTA auf dem Laufenden, sondern warben auch proaktiv um Mitarbeit. So ermunterten die GeneraldirektorInnen die EFPIA, der Kommission doch bitte ihre Prioritäten in Sachen „AfCFTA“ zu übermitteln.

Die EU-Chemikalienstrategie
Mit immer mehr Chemikalien suchen BAYER & Co. die Welt heim. Zwischen 2000 und 2017 steigerten die Konzerne ihre Produktionskapazitäten von 1,2 auf 2,3 Milliarden Tonnen. Und für den Zeitraum bis 2030 sagt die UN noch einmal fast eine Verdoppelung des Verkaufs chemischer Substanzen voraus. Dabei hat der Output der Branche schon jetzt massive Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. Die Weltgesundheitsorganisation beziffert die Zahl der von Kunststoffen, Pestiziden und anderen Stoffen verursachten Todesfälle auf 1,6 Millionen jährlich. Aus diesen Gründen entschloss sich die Europäische Union zu handeln. „Wenn wir nichts unternehmen, wird sich die Gesamtzahl der Krebsfälle in der EU bis 2035 voraussichtlich verdoppeln“,mahnte die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Darum brachte Brüssel im Oktober 2020 eine Chemikalien-Strategie auf den Weg. Diese versteht sich als Teil des „Green Deals“ und beabsichtigt, „den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu erhöhen“. Im Rahmen dieser Strategie will die Europäische Union beispielsweise Maßnahmen zur Eindämmung von Gefahren ergreifen, die hormon-ähnlich wirkende Erzeugnisse – sogenannte endokrine Disruptoren – hervorrufen, zu denen unter anderem Pestizide wie BAYERs Glyphosat gehören. Bei schwer abbaubaren Stoffen sieht sie ebenfalls Handlungsbedarf. Zudem plant die EU, die Gefährdungen, die von den Kombinationswirkungen der Produkte ausgehen, zu minimieren und alle Waren zu verbieten, die krebserregende, erbgut- oder fortpflanzungsschädigende Substanzen enthalten. BAYER & Co. liefen Sturm gegen das Vorhaben und versuchen nun, Obstruktionspolitik gegen die Umsetzung zu betreiben (s. u.).

VCI will andere Chemie-Strategie
Die Ankündigungen der EU, eine Chemikalien-Strategie auf den Weg zu bringen, ließ bei BAYER & Co. die Alarm-Glocken läuten. Ihre LobbyistInnen in Brüssel arbeiteten rund um die Uhr, um das Schlimmste zu verhindern und konnten auch einige Erfolge verbuchen. So intervenierten die EU-Generaldirektionen „Industrie“ und „Gesundheit“ zugunsten der Konzerne und machten sich für schwächere Bestimmungen stark. Nach der Verabschiedung der Strategie im Oktober 2020 konzentrieren sich die Multis darauf, ihre Vorstellungen bei der konkreten Realisierung der Maßnahmen durchzusetzen. Mitte März 2021 etwa forderte der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) „mehr Augenmaß für die kommenden Reformen“. „Für die Chemie- und Pharmabranche und ihre Kunden in nachgeschalteten industriellen Wertschöpfungsketten wird die EU-Chemikalienstrategie massive Auswirkungen haben, wenn sie unverändert umgesetzt werden sollte“, warnte die Lobby-Organisation. Wieder einmal stieß sie sich an dem Gefahren-Ansatz der EU, der sich dem Vorsorge-Prinzip verpflichtet fühlt. Nach diesem Ansatz sind einige Stoffe an sich schädlich und nicht bloß ab einer bestimmten Schwelle, weshalb schon kleinste Mengen Krankheiten auslösen können. Im Gegensatz dazu kennt der Risiko-Ansatz keine absoluten Gefahren, sondern nur relative, von der Wirkstärke abhängige und deshalb durch Grenzwerte einhegbare. Darum bevorzugt die Industrie eine solche Regulierungsvariante. Dementsprechend behauptet der VCI in seiner Veröffentlichung, „dass auch Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften sicher gehandhabt werden können“ und wendet sich vehement gegen Verbote. Seine Hoffnungen setzt der Verband auf die Gespräche am Runden Tisch, die im Rahmen der Implementierung der neuen Chemie-Politik vorgesehen sind. „Die Einrichtung eines Runden Tisches aller Interessensgruppen begrüßen wir außerordentlich – vorausgesetzt, es kommt zu unvoreingenommenen Diskussionen, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup, der im Jahr 2019 von BAYER zum „Verband der Chemischen Industrie“ gewechselt war.

Ein bisschen weniger Glyphosat
Gegen einen Glyphosat-Stopp vor dem Auslaufen der EU-Zulassung Ende 2023 hatte die Große Koalition sich schon im September 2019 ausgesprochen. Sie gab sich mit einer Minderungsstrategie zufrieden. Für diese ließen sich die PolitikerInnen dann zu allem Übel auch noch Zeit bis kurz vor Toresschluss der Legislatur-Periode. Überdies fielen die Regelungen äußerst bescheiden aus. SPD und CDU verabschiedeten diese im Rahmen des Insektenschutz-Gesetzes, welches das Bundeskabinett im Februar 2021 auf den Weg brachte. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für Anwendungen im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fallen. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid erlaubt. Und die Länder dürften im Bundesrat noch zusätzliche Aufweichungen durchsetzen. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte weisen ebenfalls starke Mängel auf. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte das Paragrafen-Werk deshalb scharf. „Dieser Beschluss reicht nicht aus. Wir fordern einen sofortigen Glyphosat-Stopp, denn das Pestizid stellt eine immense Gesundheitsgefahr dar“, hieß es in ihrer Presseerklärung.

Druck auf Mexiko wg. Glyphosat
Wenn Länder ein Glyphosat-Verbot ankündigen, nutzt der BAYER-Konzern sofort seine politischen Kanäle, um solche Pläne zu verhindern. Das bekam nicht nur Thailand (Ticker 4/20), sondern auch Mexiko zu spüren, wie Recherchen des US-amerikanischen CENTER FOR BIOLOGICAL DIVERSITY (CBD) ergaben. So setzte die BAYER-Lobbyistin Stephanie Murphy in Washington alle Hebel in Bewegung, um die Verantwortlichen von der Notwendigkeit eines „politischen Engagements auf hoher Ebene“ zu überzeugen. Murphy, einst selbst in der US-Administration beschäftigt – sie arbeitete unter dem US-Handelsbeauftragten als „Director for Agricultural Affairs“ – kontaktierte dabei unter anderem Leslie Yang, die Direktorin für internationale Handels- und Umweltpolitik. Dieser schlug sie unter anderem vor, im Rahmen der Verhandlungen über das USMCA – den Nachfolger des Handelsabkommens NAFTA – Druck auf Mexiko auszuüben. Und die PolitikerInnen taten wie geheißen. Trumps Handelsbeauftragter Robert Lighthizer etwa warnte die damalige Wirtschaftsministerin des lateinamerikanischen Landes, Graciela Márquez Colín, vor der Gefährdung der „Stärke unserer bilateralen Beziehungen“ durch den Glyphosat-Bann und andere neue Agrar-Gesetze. Glücklicherweise blieb Mexiko im Gegensatz zu Thailand schlussendlich bei seiner Position. „Wenn man sich den Email-Austausch zwischen der US-Regierung und BAYER anschaut, sieht man, dass die US-Regierung mehr oder weniger alles tut, worum sie von BAYER gebeten wird. Das ist extrem beunruhigend“, resümiert Nathan Donley vom CBD. Der Leverkusener Multi ist sich hingegen keiner Schuld bewusst. „Wie viele Unternehmen und Organisationen, die in stark regulierten Bereichen tätig sind, stellen auch wir Informationen zur Verfügung und tragen zu wissenschaftlich fundierten Entscheidungsfindungen und regulatorischen Prozessen bei“, verlautete aus der Unternehmenszentrale.

BAYER-Gelder für Kapitol-Sturm
Der Leverkusener Multi und die TELEKOM-Gesellschaft T-MOBILE USA haben den Sturm auf das Washingtoner Kapitol, der am 6. Januar 2021 stattfand, durch Spenden an den „Verband der republikanischen Generalstaatsanwälte“ (RAGA) mitfinanziert, wie Recherchen der taz ergaben. 50.000 Dollar zahlte die BAYER-Tochter MONSANTO dem RAGA, dessen Unterorganisation „Rule of Law Defense Fund“ massiv zu Aktionen an dem Tag mobilisierte, im letzten Jahr. „Um 13 Uhr werden wir zum Kapitol ziehen (...) Wir hoffen, dass Patrioten wie Sie gemeinsam mit uns weiter kämpfen werden, um die Integrität unserer Wahlen zu schützen“, so lautete der Text ihrer Telefon-Kampagne. Schon im Wahlkampf hatte das „Political Action Comitee“ (PAC) des Leverkusener Multis mehrheitlich republikanische KandidatInnen gesponsert. Rund 186.000 Dollar ließ ihnen das „BAYERPAC“ zukommen. 24 der vom Konzern unterstützten PolitikerInnen der republikanischen Partei gehörten dann zu denjenigen 147 Abgeordneten, die am Tag der Belagerung des Parlamentsgebäudes durch den von Donald Trump aufgehetzten rechten Mob gegen die Anerkennung des Wahl-Sieges von Joe Biden votierten. „Nicht genug damit, dass BAYER seit Dekaden Unsummen in die Pflege der politischen Landschaft der USA investiert. Jetzt tragen die Schecks des Agro-Riesen auch noch mit dazu bei, Trumps Angriff auf demokratische Institutionen zu alimentieren, der bereits fünf Menschenleben gekostet hat. Partei-Spenden von Unternehmen müssen endlich verboten werden“, hieß es in der Presseerklärung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN dazu. Gegenüber der taz erklärte der Agro-Riese, nicht nur den „Verband der republikanischen Generalstaatsanwälte“, sondern auch sein demokratisches Pendant mit Geldern zu bedenken. Er wolle jetzt zunächst einmal die RAGA-interne Untersuchung zu den Vorgängen abwarten, um dann über eine weitere Förderung zu entscheiden. Und Spenden an diejenigen RepublikanerInnen, „die gegen die Zertifizierung der US-Präsidentschaftswahl gestimmt haben“, setze BAYER vorerst aus, verlautete aus der Unternehmenszentrale. Katja Kipping von der Partei „Die Linke“ kritisierte die Sponsoring-Praktiken: „Die Spenden von BAYER und TELEKOM an Trump-Unterstützer zeigen vor allem eins: Spenden aus der Wirtschaft haben keinen moralischen, sondern einen profit-orientierten Kompass. Sie dienen der Beeinflussung politischer Entscheidungen im Unternehmensinteresse. Dieses Erkaufen von Wohlwollen widerspricht grundsätzlich dem demokratischen Gedanken und ist abzulehnen.“ Auch der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, verurteilte das Vorgehen der beiden Konzerne. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), der Bundesvorstand der SPD und die Co-Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, wollten sich gegenüber der taz hingegen nicht zu dem Fall äußern.

Agrar-Subventionen für Bauer BAYER
Die EU bedenkt den Leverkusener Multi für seinen Grundbesitz und seine Pestizidsversuchsfelder seit geraumer Zeit mit Agrar-Subventionen. Im Jahr 2019 strich der Konzern stolze 144.585,27 Euro aus Brüssel ein.

Neue Spenden-Kriterien
Der BAYER-Konzern sponsert PolitikerInnen nur in den USA direkt, weil dort angeblich „Spenden an Kandidaten und Politiker Teil der politischen Kultur sind“. Wie die taz herausfand, erhalten sogar veritable Klima-LeugnerInnen wie die Republikaner Blaine Luetkemeyer, Kevin McCarthy und Joni Ernst Schecks vom Leverkusener Multi. Nach dieser image-schädigenden Enthüllung sah der Global Player Handlungsbedarf und formulierte neue Richtlinien, die nun „auch gesellschaftliche Herausforderungen reflektieren“. Bei den jetzigen Vergabe-Kriterien „spielen zum Beispiel die Haltung zum Klimawandel und der Schutz der Biodiversität eine wichtige Rolle“, wie es im Nachhaltigkeitsbericht heißt.

16 Millionen für Verbindungsbüros
In den Hauptstädten der Welt pflegt der BAYER-Konzern die jeweiligen politischen Landschaften von sogenannten Verbindungsbüros aus. 16 Millionen Euro investierte er 2020 in diese. Am meisten Geld verschlang mit 8,5 Millionen Euro die Operationsbasis in Washington, es folgten Brüssel mit 2,4 Millionen, Berlin mit zwei Millionen, Peking mit 1,6 Millionen, Brasilia mit einer Million und Moskau mit 300.000 Euro.

Lückenhaftes Lobbyregister
Im März 2020 hat die Bundesregierung die Einführung eines Lobbyregisters beschlossen. Die Transparenz-Regelungen lassen allerdings zu wünschen übrig. So fehlt etwa ein „legislativer Fußabdruck“. Die BAYER-LobbyistInnen vom Berliner Verbindungsbüro des Konzerns müssen deshalb nicht offenlegen, ob sie den PolitikerInnen beim Schreiben von Gesetzen unter die Arme gegriffen haben. Was die Einfluss-ArbeiterInnen in den Fachreferaten so treiben, wo die meisten Paragrafen-Werke entstehen, erfährt die Öffentlichkeit nämlich auch weiterhin nicht. Zudem können die Konzern-EmissärInnen Angaben zu ihrem finanziellen Aufwand verweigern. Informationen zu den konkreten Zielen ihres Antichambrierens brauchen sie ebenfalls nicht zu geben. Überdies verlangt die Große Koalition von ihnen nicht, alle ihre Treffen in das Register einzutragen. „Die Lobby-Netzwerke, die zentralen Elemente der Einflussnahme, bleiben so verborgen“, kritisierten die Wissenschaftler Ulrich Battis und Andreas Polk deshalb in der FAZ.

PROPAGANDA & MEDIEN

BAYERS Glyphosat-TV
Der BAYER-Konzern wollte nicht auf sich sitzen lassen, was das TV-Magazin W wie Wissen in einer Sendung so alles an Kritik zu Glyphosat zusammengetragen hatte, und betrieb Gegen-Aufklärung. Er produzierte ein „Faktencheck“-Video und lud es auf seinen You Tube-Kanal hoch. Sogar einen echten Landwirt bot der Leverkusener Multi auf, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Aus dessen Munde waren dann aber auch wieder nur die alten Gassenhauer wie „Die Dosis macht das Gift“ zu hören, die der Global Player schon oft zur Aufführung gebracht hatte. Zum Thema „Artensterben“ beließ BAYER es bei einem Achselzucken. So ein Acker ist halt kein Pony-Hof, befand das Unternehmen bzw.: „Eine Fläche, die zur Erzeugung von Lebensmitteln genutzt wird, kann nicht zugleich als Biotop dienen.“ Glyphosat-Verwehungen? Die kommen nicht vor und überhaupt: „Die Wissenschaft ist sich einig, dass Glyphosat bei sachgerechter Anwendung eines der sichersten Pflanzenschutzmittel ist, die es weltweit gibt.“ Noch Fragen?

Konzern-Vehikel swiss-food
BAYER und SYNGENTA betreiben in der Schweiz gemeinsam die Website swiss-food, die sich der Propaganda in Sachen „Glyphosat & Co.“ verschrieben hat bzw. „einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion rund um die Produktion unserer Nahrungsmittel und um Pestizide leisten“ will. Zu diesem Behufe arbeitet sich die Gegenaufklärung gleich an zwölf Mythen parallel ab. „Natürlich ist gesund – Chemie ist Gift“, „Pestizide sind schuld am Insektensterben“, „Dem Schweizer Wasser geht es schlecht“ – gegen das alles und noch viel mehr zieht swiss-food zu Felde.

TIERE & VERSUCHE

95.010 Tierversuche
Der BAYER-Konzern selbst oder von ihm beauftragte Unternehmen führten im Jahr 2020 95.010 Tierversuche durch und damit 22.985 weniger als 2019. 83,8 Prozent der „Test-Objekte“ waren Ratten und Mäuse, 3,3 Prozent Vögel, 1,6 Prozent Fische und 1,5 Prozent Frösche.

DRUGS & PILLS

Kein Zusatznutzen für VITRAKVI
BAYERs Arznei VITRAKVI kommt bei Krebs-Arten zum Einsatz, die durch ein Zusammenwachsen bestimmter Gene entstehen. Solche Tumor-Bildungen treten sehr selten auf. Darum reklamierte der Leverkusener Multi für das Mittel mit dem Wirkstoff Larotrectinib erfolgreich einen „Orphan Drug“-Status und erreichte eine Zulassung, obwohl nur 102 Personen an der Klinischen Prüfung teilgenommen hatten. Das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) zeigte sich von dem Medikament indes nicht überzeugt. Es vermochte keinen Zusatznutzen auszumachen. Die – noch laufenden – Studien könnten einen solchen Nachweis theoretisch erbringen. Diese vergleichen das Mittel jedoch nicht mit anderen, wie das IQWiG kritisierte. Der Pharma-Riese versucht das zu kompensieren, indem er Effekte von VITRAKVI auf das Gesamtüberleben der PatientInnen und die Tumor-Progression beschrieb, die er als „dramatisch“ bezeichnet. Dies ließ das Institut jedoch nicht gelten. Es stellte selbst Vergleichsstudien an und resümierte: „Im Endpunkt Gesamtüberleben sind die bisher beobachteten Unterschiede zwischen Larotrectinib und anderen Therapien bei keiner der Krebs-Erkrankungen so groß, dass sie nicht auch auf systematischer Verzerrung beruhen könnten.“ Zudem übte das IQWiG Kritik an BAYERs Auswertung der Untersuchungsdaten. „Ergebnisse wurden selektiv dargestellt“, befand das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“.

Beschleunigtes Finerenone-Verfahren
Die BAYER-Arznei Finerenone hemmt die übermäßige Ausschüttung von Mineralocorticoid-Hormonen, die zu Nieren- und Herz/Kreislauf-Problemen führen kann. In der Klinischen Prüfung sank dem Konzern zufolge das Risiko eines Nierenversagens bei PatientInnen, die Finerenone erhielten, um 18 Prozent im Vergleich zu denjenigen, die ein Placebo bekamen. Das Risiko für Herzinfarkte und andere kardiovaskuläre Ereignisse reduzierte sich um 14 Prozent. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sicherte dem Leverkusener Multi deshalb ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für das Medikament zu.

Beobachtungsstudien: Keine Bedenken
Erkenntnisse werfen die sogenannten Anwendungsbeobachtungen (AWB), die MedizinerInnen mit ihren PatientInnen zur Wirkung bestimmter Arzneien durchführen, kaum ab. Das ist auch gar nicht Sinn der Übung. Die Prozeduren – wie sie der BAYER-Konzern etwa jüngst zu seinen Blutprodukten KOVALTRY und JIVI in Auftrag gegeben hat – verfolgen nur den Zweck, die Kranken auf die getesteten Präparate umzustellen. Und dafür zahlen die Pharma-Riesen den ÄrztInnen viel Geld. „Fangprämien“ nannte ein ehemaliger Vorsitzender der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ diese Zuwendungen einst. Die Bundesregierung aber sieht das ganz anders – mit den Augen der Pillen-Produzenten nämlich – und will die Praxis deshalb auch nicht unterbinden. „Die AWB sind dazu bestimmt, Erkenntnisse bei der routinemäßigen Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel durch Ärztinnen und Ärzte bei Patientinnen und Patienten zu sammeln. Mit ihrer Hilfe können Erkenntnisse über zugelassene oder registrierte Arzneimittel gewonnen werden“, hieß es in der Antwort von Merkel & Co. auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen.

Schnellere Zulassungen in China
Im Rahmen des „Healthy China 2030“-Programms will die Pekinger Regierung die Entwicklung innovativer Medikamente fördern und schuf dafür auch Anreize. So verkürzt sich für neue Arzneien das Zulassungsprozedere. Auch Pharmazeutika zur Behandlung seltener Krankheiten erhalten Sonderkonditionen.

Preis-Druck in China
Die chinesische Regierung überprüft alljährlich die Arznei-Ausgaben und stellt im Zuge dessen auch die Liste mit denjenigen Medikamenten neu zusammen, für welche die staatliche Krankenkasse die Kosten übernimmt. Dabei führt sie harte Verhandlungen mit den Pillen-Riesen. Von einer „Rabatt-Schlacht“ spricht die Neue Zürcher Zeitung und der BAYER-Lobbyist Matthias Berninger etwas gefasster von „Preisdruck auf die Pharma-Industrie“.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat schädigt das Herz
Nach einer Studie von WissenschaftlerInnen der „Icahn School of Medicine“ und des „Ramazzini Instituts“ kann Glyphosat das Herz schädigen. Den ForscherInnen zufolge löste das Herbizid im Organismus von Ratten eine gesteigerte Produktion der Aminosäure Homocystein aus, die als Risiko-Faktor für Herz/Kreislauf-Erkrankungen gilt. Die Veröffentlichungen zu den Gesundheitsstörungen, die das Herbizid hervorruft, füllen inzwischen Bibliotheken. Eigentlich müsste es – schon um Tierversuche zu vermeiden, welche die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ablehnt – gar keine neuen Untersuchungen (s. u.) mehr geben.

Glyphosat schädigt den Darm
Das Pestizid Glyphosat schädigt die Mikroorganismen-Kulturen im Darm. Das fand ein internationales WissenschaftlerInnen-Team um Dr. Michael Antoniou vom Londoner „King’s College“ heraus und bestätigte damit frühere Studien (siehe Ticker 1/21). Nach Einschätzung Antonious ist das ein alarmierender Befund. „Wir wissen, dass unser Darm von tausenden verschiedenen Bakterien-Stämmen bewohnt wird und ein Gleichgewicht in ihrer Zusammensetzung (...) entscheidend für unsere Gesundheit ist. Also hat alles, was das Darm-Mikrobiom stört (...), das Potenzial, sich negativ auf unsere Gesundheit auszuwirken“, so der Forscher.

Glyphosat schädigt Bienen
Nach einer Untersuchung chinesischer WissenschaftlerInnen greift Glyphosat die Gesundheit von Bienen an. Wie das Team von der „Chinesischen Akademie für Agrar-Wissenschaften“ herausfand, beeinträchtigt das Herbizid die Gedächtnis-Leistung der Insekten. Auch leiden deren körperliche Fähigkeiten. Daher traten die ForscherInnen dafür ein, ein Frühwarnsystem einzurichten, das die ImkerInnen rechtzeitig vor dem Versprühen des Mittels informiert, damit diese ihre Bienenstöcke schützen können.

Glyphosat: Ungeprüft zugelassen
Ende 2017 verlängerte die EU die Glyphosat-Zulassung um fünf Jahre. Den Ausschlag dafür gab die Stimme des damaligen deutschen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt (CSU). Nach dieser Entscheidung stellten BAYER und die anderen Hersteller 30 Anträge auf neue Genehmigungen, da die alten nur bis zum 15. Dezember 2020 Gültigkeit besaßen. Die Behörden der einzelnen EU-Länder schafften es jedoch nur, vierzehn von ihnen rechtzeitig vor dem Verfall der Vermarktungslizenz zu bearbeiten. Damit war das Schicksal der anderen Glyphosat-Erzeugnisse aber keinesfalls besiegelt. „In diesen Fällen müssen die bestehenden Zulassungen gemäß Artikel 43 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 formal um ein weiteres Jahr bis zum 15. Dezember 2021 verlängert werden“, teilte das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit“ mit.

Weniger Glyphosat auf den Schienen
Die DEUTSCHE BAHN zählt zu den Großverbrauchern von Glyphosat. Nach Angaben des Unternehmens gehen rund 0,4 Prozent der jährlich in Deutschland insgesamt ausgebrachten Mengen auf die Gleisanlagen nieder. 2019 verkündete die Bahn allerdings einen Ausstiegsplan. Der Konzern erklärte, bis 2023 ganz auf das Mittel verzichten zu wollen. Und wirklich macht er Fortschritte. 2020 sank der Verbrauch im Vergleich zu 2018, wo er bei 57 Tonnen lag, schon um rund die Hälfte. Unter anderem ersetzt das Mähen den Einsatz der Chemikalie.

Glyphosat in Spaghetti
Die Zeitschrift Ökotest wies bei einer Untersuchung Glyphosat-Rückstände in Spaghetti nach. In 12 von 20 Sorten fanden sich Spuren des Herbizids.

„Glyphosate-residue-free“
In den USA findet das Lebensmittel-Label „ohne Glyphosat-Rückstände“, das die Organisation „Detox Project“ schuf, eine immer stärkere Verbreitung. Die Zahl der Produkte, die dieses Siegel tragen, beläuft sich mittlerweile auf 70, und deren Absatz nahm 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent zu.

PFLANZEN & SAATEN

Patente auf konventionelle Pflanzen
„Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren“ schließt das „Europäische Patent-Abkommen“ von der Patentierbarkeit aus. Trotzdem reklamieren die Konzerne immer wieder Schutzrechte für Gewächse, die mittels althergebrachter Methoden entstanden. Fünf solcher Anträge stellte der Leverkusener Multi allein im Jahr 2020. Das förderte eine Untersuchung des Netzwerkes KEINE PATENTE AUF SAATGUT zutage. „Es gibt bereits zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie rechtliche Schlupflöcher dazu benutzt wurden, um Patente auf Gerste und Bier, auf Melonen oder auch auf Salat aus konventioneller Züchtung zu erteilen“, konstatiert die Organisation. Sie wirft den Unternehmen vor, zufällige genetische Veränderungen als patentierbare Erfindungen auszugeben und die Grenze zwischen konventionellen und gentechnischen Verfahren systematisch zu verwischen. Die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO tat das etwa bei einer Paprika-Sorte, die bestimmten Krankheiten trotzt – ein Ergebnis von Kreuzung und Selektion, basierend auf der Analyse von DNA-Sequenzen. Die Initiative warnt vor den Konsequenzen dieser Entwicklung: „Im Ergebnis erlangen eine Handvoll internationaler Konzerne immer mehr Kontrolle über die Produktion unserer Lebensmittel.“ Darum fordert KEIN PATENTE AUF SAATGUT die Politik auf, das Treiben von BAYER & Co. zu unterbinden. „Die Bundesregierung hat nur noch wenige Monate Zeit, um hier im Sinne des Koalitionsvertrages für mehr rechtliche Klarheit zu sorgen“, erklärte das Netzwerk-Mitglied Georg Janßen von der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT bei der Übergabe der Patent-Studie an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) am 11. März 2021 in Berlin.

EPA widerruft Melonen-Patent
Im Jahr 2011 erteilte das Europäische Patentamt (EPA) der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO ein Patent auf eine Melone, obwohl bei der Züchtung keine gentechnischen Methoden zum Einsatz kamen. Die „neue“ Eigenschaft, eine Resistenz gegen bestimmte Krankheitserreger, war eine alte: indische Sorten verfügten über sie. Das Unternehmen hatte sie nur mittels Selektion und Kreuzungen marktreif gemacht. Darum erhob damals ein breites Bündnis aus solchen Initiativen wie KEIN PATENT AUF LEBEN und GREENPEACE und Aktivistinnen wie Vandana Shiva Einspruch gegen die Entscheidung. Die EPA gab diesem statt, aber MONSANTO ging dagegen vor. Im März 2021 bestätigte nun aber die Beschwerdekammer des Patentamtes den Widerruf des Patents endgültig. Allerdings macht es für den Entzug der Schutzrechte nur formale Gründe geltend. Das US-Unternehmen hätte „das relevante biologische Material“ bei der Antragstellung der Öffentlichkeit zugänglich machen oder eine Probe bei einer anerkannten Institution hinterlegen müssen, so die JuristInnen. Darum fällte die EPA kein Grundsatz-Urteil. Entsprechend skeptisch bleiben die Patent-GegnerInnen. „Das Patent basiert auf konventioneller Züchtung und beansprucht Pflanzen-Sorten. Beides darf laut europäischer Patent-Gesetze nicht patentiert werden. Die Erteilung des Patents war ein klarer Rechtsbruch, doch das spielte bei der Entscheidung des EPA keine Rolle“, kritisiert Ruth Tippe vom Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT.

Kooperation mit ABACUSBIO
Der BAYER-Konzern hat mit dem Unternehmen ABUCUSBIO eine Kooperation auf dem Gebiet der Pflanzenzucht vereinbart. Die neuseeländische Firma will mit den von ihr zusammengetragenden Daten nicht nur „zur genetischen Verbesserung“ der Produkte des Leverkusener Multis beitragen, sondern auch deren „wirtschaftliches Potenzial beeinflussen“.

GENE & KLONE

Neue Import-Zulassung
Die EU-Kommission hat im Januar 2021 acht Import-Genehmigungen für Genpflanzen erteilt. Sechs davon galten BAYER-Produkten. Drei Mais-Sorten und ein Soja-Konstrukt des Leverkusener Multis erhielten erstmals Zulassungen. Die Mais-Arten MON 88017 und MON 89034 durften in die Verlängerung gehen. Die Initiative TESTBIOTECH kritisierte die Entscheidungen scharf. Nach Ansicht des „Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie“ nahm es die EU nämlich mit der Begutachtung nicht allzu genau. Als Beispiel nannte es das Verfahren zum Mais MON 87427 x MON 87460 x MON 89034 x MIR 162 x NK 603. Diese Laborfrucht kann laut Konzern dank der Gentechnik auch Trockenheitsperioden gut überstehen, was TESTBIOTEST zufolge aber erst noch zu beweisen wäre. „Wie eine detaillierte Prüfung der Antragsunterlagen zeigt, wurde der Mais nie unter den entsprechenden Bedingungen getestet. In den Freisetzungsversuchen wurden die Felder stattdessen bei Bedarf bewässert. Zudem wurden beim Anbau der Pflanzen nur rund 900 Gramm Glyphosat pro Hektar eingesetzt und nicht über drei Kilogramm, wie es in der Praxis die Regel ist“, konstatiert die Organisation.

EU-Parlament sagt „Nein“
Im Dezember 2020 weigerte sich das EU-Parlament mit großer Mehrheit, Einfuhr-Genehmigungen für fünf Genpflanzen zu erteilen. Vier Anträge hatte BAYER eingereicht, einer stammte von SYNGENTA. Bei den Laborfrüchten des Leverkusener Multis handelte es sich um eine Soja-Art und drei Mais-Sorten, die mit bis zu vier Giften des Boden-Bakteriums „Bacillus thuringiensis“ bestückt sind, um Schadinsekten abzuwehren. Und diese haben es in sich. Die Bt-Toxine interagieren nämlich mit den Enzymen der Gewächse, in welche die GenwerkerInnen sie eingebaut haben, und potenzieren so ihre Giftigkeit. Bis zu 20 Mal höher als im natürlichen Zustand kann diese sein. Das belegen alte Dokumente des jetzt zu BAYER gehörenden Unternehmens MONSANTO, welche die Initiative TESTBIOTECH aufgespürt hat (siehe Ticker 1/21).

WASSER, BODEN & LUFT

3,58 Millionen Tonnen CO2
Im Geschäftsjahr 2020 stieß der BAYER-Konzern 3,58 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus. Gegenüber 2019 sank der Wert um 180.000 Tonnen, was jedoch mitnichten auf erste Erfolge einer etwaigen Minderungsstrategie verweist. „Dieser Rückgang ist überwiegend auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen“, hält das Unternehmen in seinem Nachhaltigkeitsbericht fest. Für den größten Teil der Emissionen sorgt nach wie vor die Agrar-Sparte. Dabei ist Glyphosat der größte Klima-Killer, denn die Gewinnung seines Vorproduktes Phosphor aus Phosphorit am US-Standort Soda Springs frisst enorm viel Energie. So deutlich drückt der Agro-Riese das allerdings nicht aus. Im neuen Nachhaltigkeitsbericht heißt es lediglich verklausuliert: „Besonders energieintensiv ist unsere Rohstoffgewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science – daher entfällt der größte Anteil unserer Treibhausgas-Emissionen auf diese Division.“

Schlechter Energie-Mix
17.836 Terrajoule Strom erzeugte der BAYER-Konzern im Geschäftsjahr 2020 selbst. Dabei setzt er zum überwiegenden Teil auf fossile Energieträger. Von den im Geschäftsjahr 2020 produzierten 17.836 Terrajoule entfielen 10.911 Terrajoule auf Erdgas und 566 Terrajoule auf Kohle, wobei der Kohle-Anteil gegenüber 2019 immerhin von 13,5 Prozent auf rund drei Prozent sank. Von den 18.022 Terrajoule zugekauften Stroms entstammten nur sechs Prozent aus erneuerbaren Energie-Quellen. Den Rest des Bedarfs deckten Gas, Kohle oder Kernkraft. Der Leverkusener Multi gelobt aber Besserung. „U. a. in den USA, in Mexiko und Spanien haben wir im Berichtsjahr Lieferverträge für Strom aus erneuerbaren Energien abgeschlossen“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht. Bis 2030 will der Global Player hier auf eine Quote von 100 Prozent kommen.

Ein bisschen Emissionshandel
„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren. Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So bekamen die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum braucht der Leverkusener Agro-Riese kaum Emssionshandel zu betreiben. Mit lediglich fünf Anlagen, die für noch nicht einmal zehn Prozent seines jährlichen CO2-Ausstoßes von 3, 58 Millionen Tonnen sorgen, war er im Geschäftsjahr 2020 dabei.

CO2-Kompensation statt -Reduktion
Eigentlich gibt es nur einen Weg, den Klimawandel einzudämmen: die Reduktion des Stromverbrauchs und den Umstieg auf erneuerbare Energie-Träger. BAYER & Co. ist aber noch etwas anderes eingefallen. Sie wollen ihre CO2-Emissionen nicht nur reduzieren, sondern auch kompensieren, also das, was ihre Produktionsanlagen so absondern, an anderer Stelle wieder ausgleichen, sprich: neutralisieren. Der Leverkusener Multi hat sich vorgenommen, diese Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 zu erreichen, und zwar nur zu 42 Prozent durch eine Senkung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase. Den Rest sollen andere Maßnahmen erbringen wie z. B. Investitionen in Projekte zur Wiederaufforstung. Um 200.000 Tonnen CO2 hat der Global Player seine Klima-Bilanz auf diese Weise im Geschäftsjahr 2020 schon aufhübschen können. Bis der Effekt sich allerdings auch anderswo als nur auf dem Papier einstellt und die Bäumchen, die BAYER pflanzt, sich wirklich positiv auf das Klima auswirken, dürften jedoch noch so einige Jahrzehnte ins Land ziehen. Und Menschen, die in der Nähe der Dreckschleudern leben müssen und dadurch ihre Gesundheit ruinieren, nützen Wälder in Uruguay, Brasilien oder China herzlich wenig. Zu allem Übel plant der Agro-Riese auch noch, sein berühmt-berüchtigtes Glyphosat mit in die Rechnung einzubeziehen. Er verkauft das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid nämlich als klimaschonend, weil es den LandwirtInnen das – angeblich Kohlendioxid freisetzende – Pflügen erspart.

Weniger ODS und VOC
Im Geschäftsjahr 2020 haben die BAYER-Werke weniger ozon-abbauende Stoffe (ODS) und flüchtige organische Substanzen (VOC) ausgestoßen als 2019. Der Wert für die ODS sank von 12,3 auf 4,3 Tonnen und derjenige für die VOC von 1.410 auf 690 Tonnen. Bisher sorgten immer die Uralt-Dreckschleudern des Konzerns im indischen Vapi für den Großteil des Ausstoßes. Der Leverkusener Multi doktert zwar schon seit über 15 Jahren an den Anlagen herum, aber neuerliche Sanierungsmaßnahmen scheinen jetzt endlich zu greifen. „Maßgeblich für die Reduktion beider Kennzahlen ist der Anschluss der Lagertanks für Lösemittel an die Abluft-Reinigungsanlage am Standort Vapi, Indien“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns.

Weniger Emissionen in die Luft
Nach BAYER-Angaben führte die COVID-19-Pandemie an einigen Standorten zur Drosselung der Produktion. Infolgedessen reduzierten sich auch die Schadstoff-Mengen, die der Konzern in die Luft emittierte. Der Ausstoß von Kohlenmonoxid ging 2020 gegenüber dem Vorjahr von 2.070 Tonnen auf 1.160 Tonnen zurück und derjenige von Stickoxiden von 4.250 auf 4.160 Tonnen. Auch die Schwefeloxid-Mengen verringerten sich. Sie sanken von 2.430 auf 1.320 Tonnen. Nur mehr Feinstaub fiel im Geschäftsjahr 2020 trotz Corona an. Von 1.960 auf 2.290 Tonnen stieg der Wert.

Enormer Wasser-Verbrauch
Obwohl die Industrie-Produktion in Folge der Corona-Pandemie sank und auch die Fertigungsstätten des BAYER-Konzerns weniger ausgelastet waren, ging sein Wasser-Einsatz im Geschäftsjahr 2020 kaum zurück. Er belief sich auf 57 Millionen Kubikmeter (2019: 59 Millionen Kubikmeter). Zu allem Übel erstreckt sich der enorme Durst des Agro-Riesen auch auf Gebiete, die unter Wasser-Knappheit leiden. Drei Millionen Kubikmeter verbrauchte er in diesen Regionen.

25 Millionen Liter Abwässer
Analog zum etwas gesunkenen Wasser-Bedarf gingen auch BAYERs Abwasser-Einleitungen im Geschäftsjahr 2020 etwas zurück. Sie reduzierten sich von 26 auf 25 Millionen Kubikmeter.

Mehr Schadstoff-Einleitungen
Wegen der Corona-Pandemie liefen viele Produktionsstätten BAYERs nicht auf Hochtouren. Trotzdem gingen die Schadstoff-Einleitungen in die Gewässer 2020 nicht generell zurück, was dem Konzern zufolge spezielle Gründe hatte. Die von 420 auf 480 Tonnen gestiegenen Werte für Stickstoff erklärt er mit einem Störfall auf dem Gelände des Werkes in Kansas City und die größere Menge an organisch gebundenem Kohlenstoff, die in den Flüssen landete, führt er auf die Einführung einer verbesserten Abwasser-Analytik am brasilianischen Standort Camaçari zurück. Nur die Zahlen für Phosphor und Anorganische Salze sanken, von 510 auf 380 Tonnen bzw. 167.000 auf 151.000 Tonnen, während diejenigen für Schwermetalle mit 2,6 Tonnen gleich blieben.

Mehr Abfall
Im Geschäftsjahr 2020 produzierte BAYER mehr Abfall als 2019. Von 872.000 auf 943.000 Tonnen stieg die Menge. „Das ist im Wesentlichen auf den Saatgut-Produktionsstandort Maria Eugenia Rojas, Argentinien, zurückzuführen, an dem große Mengen an pflanzlichen Nebenprodukten als nicht gefährlicher Abfall zur landwirtschaftlichen Nutzung und Kompostierung entsorgt wurden“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht zur Erklärung. Das Aufkommen an gefährlichem Abfall reduzierte sich dagegen „durch den Abschluss von Bau- und Sanierungstätigkeiten am Standort Vapi, Indien“.

Schmutzige Glyphosat-Produktion
Im US-Bundesstaat Louisiana stößt keine Produktionsstätte mehr chemische Stoffe aus als BAYERs Glyphosat-Fabrik in Luling. Schon seit Jahren behauptet sie diesen Spitzenplatz. 2019 setzte sie nach Angaben der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA rund 8.300 Tonnen an Kobalt, Kupfer, Nickel, Ammonium, Methanol, Formaldehyd, Phosphor und anderen Substanzen frei. Aber auch die Anlage in Soda Springs, wo der Leverkusener Multi das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor herstellt, ist eine veritable Dreckschleuder. Auf 2.670 Tonnen Cobalt & Co. kommt der Standort.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

BAYER-Gefahren
Der BAYER-Konzern geht mit zahlreichen gefährlichen Stoffen um. Den Standort Leverkusen betreffend führt der Chemie„park“-Betreiber CURRENTA in einer Broschüre einige Beispiele für risiko-reiche Substanzen auf, die der Agro-Riese einsetzt. Ammoniak, Chlor und Methanol etwa können laut CURRENTA schon „in sehr geringer Menge beim Einatmen, Verschlucken oder Aufnahme über die Haut zum Tode führen“. Das Ammoniak ist überdies in der Lage, mit Luft explosive Gemische zu bilden und das Chlor, Brände zu verursachen oder zu verstärken. Das Methanol findet sich – gemeinsam mit Aceton – darüber hinaus noch in der Rubrik „leicht bzw. extrem entzündbar“ wieder.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

92 Anlagensicherheitsereignisse
Unter „Anlagensicherheitsereignissen“ versteht der BAYER-Konzern „den Austritt von chemischen Substanzen oder Energien oberhalb definierter Schwellenwerte aus ihrer ersten Umhüllung wie Rohr-Leitungen, Pumpen, Tanks oder Fässern“. 92 solcher noch nicht als Störfälle zu bezeichnenden Stoff-Freisetzungen registrierte der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020.

Phosphor-Austritt in Soda Springs
Am 28.11.2020 kam es bei der Herstellung des Glyphosat-Vorproduktes Phosphor zu einem Störfall. Ein Lagertank-Ventil öffnete sich wegen eines Defektes in der Automatik, wodurch phosphor-haltiger Schlamm austrat und sich an der Luft entzündete.

Natriumhydroxid-Austritt in Luling
Am 17. Oktober 2020 ereignete sich bei der Glyphosat-Produktion am US-Standort Luling ein Störfall. Durch ein defektes Ventil an einer Rohrleitung kam es zu einem Austritt von Natriumhydroxid.

ÖKONOMIE & PROFIT

Desaströse Geschäftszahlen
Auf der Bilanz-Pressekonferenz am 25. Februar 2021 legte der BAYER-Konzern desaströse Zahlen für das Geschäftsjahr 2020 vor. Er verbuchte einen Verlust von rund 10,5 Milliarden Euro. Der Umsatz bewegte sich mit 41 Milliarden Euro zwar ungefähr auf dem Niveau von 2019, aber das Unternehmen musste wegen der vielen Schadensersatz-Prozesse „Sonderaufwendungen“ verbuchen. „Diese standen insbesondere in Verbindung mit Rückstellungen für die getroffenen Vereinbarungen in Bezug auf die Rechtskomplexe Glyphosat, Dicamba, PCB und ESSURE“. „Lange Zeit haben die Nebenwirkungen der BAYER-Erzeugnisse keinen Einfluss auf die Geschäftsbilanz gehabt. Das ist jetzt anders“, konstatierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in ihrer Presseerklärung.

ASKBIO: Die zweitgrößte Übernahme
Im Oktober 2020 hatte BAYER die US-amerikanische Gentherapie-Firma ASKLEPIOS BIOPHARMACEUTICAL (ASKBIO) erworben. Zwei Milliarden Euro zahlte der Konzern sofort, weitere zwei Milliarden stellte er bei erfolgreichen Arznei-Kreationen in Aussicht. In der Rangliste der größten Akquisitionen von deutschen Unternehmen belegte der Leverkusener Multi damit den zweiten Platz. Nur SIEMENS kaufte im vorigen Jahr für noch mehr Geld ein.

STANDORTE & PRODUKTION

Mehr Pillen aus Peking
Der BAYER-Konzern baut seine Anlagen zur Herstellung von Arzneien am chinesischen Standort Peking aus. Mit einer Investition in Höhe von 50 Millionen Euro will er die jährliche Produktionskapazität um 40 Prozent erhöhen.

RECHT & UNBILLIG

Erster Glyphosat-Kläger gewinnt
Der erste Entschädigungsprozess in Sachen „Glyphosat“ hat sein offizielles Ende gefunden. Der Leverkusener Multi erklärte, das Urteil des Berufungsgerichts in San Francisco nicht anzufechten, das der BAYER-Tochter MONSANTO eine erhebliche Schuld an der Krebserkrankung des Klägers Dewayne Johnson zugesprochen hatte. Aber einsichtig zeigt sich der Global Player trotzdem nicht. „BAYER hat großes Mitgefühl mit Herrn Johnson und allen Menschen, die an Krebs leiden, ist aber weiterhin der Meinung, dass das Urteil nicht durch wissenschaftliche Beweise oder das Gesetz gestützt ist.“ Der Rückzug hat lediglich strategische Gründe. Das Unternehmen rechnet sich nämlich in dem zweiten Glyphosat-Verfahren, das Edwin Hardeman angestrengt hatte, mehr Chancen aus. Hier hatte nämlich die von Donald Trump auf Linie gebrachte US-amerikanische Umweltbehörde EPA zu Gunsten BAYERs interveniert und das Herbizid vom Krebsverdacht freigesprochen. Gemeinsam mit dem Justizministerium machte es vom Rechtsinstitut des „Amicus Curiae“ Gebrauch, das es Unbeteiligten erlaubt, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, hieß es in dem Schreiben.

Glyphosat-Kläger versterben
Im Jahr 2015 hatten die ersten Glyphosat-Geschädigten Schadensersatz-Klagen eingereicht. Aber ein abschließendes Urteil liegt erst zu einer vor (s. o.). Unterdessen sterben immer mehr Betroffene an Krebs, ohne von BAYER Zahlungen erhalten zu haben. So erlag Carolina Garces am 8. März 2021 ihrer Krankheit.

Einigung im Fall „Calderon“
Bereits im Juni 2020 wollte BAYER eine Vergleichslösung für die rund 125.000 Glyphosat-Geschädigten präsentieren, die gegen den Konzern Klage eingereicht hatten. Aber der Agro-Riese konnte bisher nichts vorlegen, was den zuständigen Richter Vince Chhabria überzeugt hätte. Darum drohte dieser im November 2020 an, die von ihm für die Zeit der Mediationsgespräche gestoppten Prozesse wieder anlaufen zu lassen: „Ich bin nicht daran interessiert, den Zeitplan für die Entscheidung dieser Fälle so lang zu strecken“, bekundete er. Und Chhabria hielt Wort. Er lehnte das Begehr des Leverkusener Multis ab, die Streitsache „Jaime Alvarez Calderon“ zusammen mit all den anderen auf die lange Bank zu schieben und ließ die Justiz-Maschine wieder anlaufen. Calderon hatte 33 Jahre auf Weingütern arbeitet und dabei immer wieder Umgang mit Glyphosat. 2014 bekam er Lymphdrüsen-Krebs, dem er im Dezember 2019 erlag. Seine Hinterbliebenen führten die juristische Auseinandersetzung jedoch weiter. Ihnen machte BAYER jetzt ein Vergleichsangebot, um es nicht zu einem schlagzeilen-trächtigen Prozess kommen zu lassen.

Immer noch kein Vergleich
Die juristischen Auseinandersetzung um Schadensersatz in Sachen „Glyphosat“ gegen die BAYER-Tochter MONSANTO ziehen sich nun bereits seit sechs Jahren hin. Nach den ersten drei Verfahren schlug der zuständige Richter Vince Chhabria Vergleichsverhandlungen vor und verhängte gleichzeitig ein Prozess-Moratorium. Im Juni 2020 präsentierte der Leverkusener Multi dann seinen Vorschlag für den Umgang mit den rund 125.000 Klagen. Er bot Zahlungen von bis zu acht Milliarden Euro für die Erkrankten an. Für zukünftige Fälle – mit denen zu rechnen ist, da der Konzern aus Profit-Gründen partout nicht auf den Verkauf von Glyphosat-Vermarktung verzichten mag – reservierte er eine Milliarde Dollar. Über die Rechtmäßigkeit dieser Ansprüche sollte nach seinen Vorstellungen allerdings kein Gericht befinden, sondern ein „unabhängiges Wissenschaftsgremium (Class Science Panel)“. Diesem wollte das Unternehmen die Entscheidung darüber überlassen, ob das von der Aktien-Gesellschaft unter dem Namen ROUNDUP vermarktete Pestizid wirklich Lymphdrüsen-Krebs verursachen kann. „Dadurch wird diese Entscheidung anstelle von Jury-Verfahren wieder in die Hände sachkundiger Wissenschaftler gegeben“, so der Global Player. In den rund vier Jahren, die das mindestens dauert, hätten sich die Betroffenen in Geduld zu üben: „Mitglieder der Gruppe möglicher künftiger Kläger dürfen ihre Ansprüche bis zur Entscheidung des Wissenschaftsgremiums nicht weiter geltend machen und keinen Schadensersatz fordern.“ Chhabria lehnte eine solche Lösung jedoch ab. Vor allem akzeptierte er nicht, zukünftigen Glyphosat-Geschädigten den Rechtsweg zu verbauen. Der Jurist stellte infrage, „ob es verfassungsgemäß (oder generell gesetzmäßig) wäre, die Entscheidung der Kausalitätsfrage (d. h. ob – und wenn ja, ab welcher Dosis – ROUNDUP in der Lage ist, Krebs zu verursachen) über Richter und Jurys hinweg an ein Gremium von Wissenschaftlern zu delegieren“. Also musste BAYER wieder in Klausur. Den zweiten Anlauf unternahm der Agro-Riese dann Anfang Februar 2021. Darin stockte er den Fonds für die noch zu erwartenden Glyphosat-Klagen um eine Milliarde Dollar auf und schränkte gleichzeitig die Kompetenzen des Class Science Panel etwas ein. Aber auf Zustimmung traf der Konzern damit trotzdem nicht. Er hatte die Vereinbarung nämlich nur mit ein paar Großkanzleien getroffen, die nicht ganz aus freien Stücken handelten – 170 Millionen Dollar hatten sie vom Konzern als Entscheidungshilfe erhalten. Zahlreiche andere Anwaltsbüros und JuristInnen-Vereinigungen erhoben hingegen Einspruch gegen den neuen Vorschlag. Nach Meinung der „National Trial Lawyers“ erschwert er unzähligen Menschen den Zugang zur Justiz und schafft überdies einen unheilvollen Präzedenz-Fall für künftige Prozesse: „Diese Art von Vergleich würde anderen Unternehmen, die sich der Haftung und den Konsequenzen für ihr Verhalten entziehen wollen, eine unhaltbare Vorlage liefern.“ BAYER lässt den Geschädigten nun zwar die Wahl, ob sie die vorgeschlagenen Summen akzeptieren oder aber ihre Klage aufrechterhalten, aber in den zukünftigen Prozessen sind statt Strafzahlungen nur noch Entschädigungen vorgesehen, was viele RechtsanwältInnen kritisieren. Zudem stießen sich viele JuristInnen an dem Plan des Leverkusener Multis, durch die Etablierung des Class Science Panel neue Verfahren erst einmal für vier Jahre zu blocken. Wegen all dieser Kritik verzögert sich die Causa weiter. Die AnwältInnen des Global Players baten sich mehr Zeit aus, um alles nochmals zu überarbeiten. Vince Chhabria gab dem auch statt und setzte den 12. Mai als neuen Termin an.

NBFA-Klage geht zu Gericht
Nicht alle in den USA anhängigen Glyphosat-Verfahren haben eine Schadensersatz-Forderung zum Inhalt. So will die NATIONAL BLACK FARMERS ASSOCIATION (NBFA) ein Urteil erzwingen, dass den BAYER-Konzern daran hindert, „seine glyphosat-haltigen Produkte in einer Weise zu vermarkten, welche die Mitglieder der NBFA in unzumutbarer Weise gefährdet“. Aber die Klage hängt. Der für alle juristischen Vorgänge in Sachen „Glyphosat“ zuständige Richter Vince Chhabria hat nämlich im Sommer 2019 Vergleichsverhandlungen angeregt und bis zum Finden einer Lösung ein Prozess-Moratorium verhängt. Der NBFA dauerte das alles jedoch zu lange. Darum erbat sie von den BAYER-AnwältInnen die Zustimmung dafür, ihre Klage aus dem Paket zu lösen und vor Gericht zu bringen. Das lehnten diese jedoch ab. Darum wandte die Organisation sich an den „U.S. District Court for the Northern District of California“, der dann auch erste Termine festsetzte.

Glyphosat-Klage in Australien
Auch in Australien beschäftigen die Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat nun die Gerichte. Eine Gruppe um den Landwirt John Fenton, der das Herbizid für seine Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung verantwortlich macht, reichte im Februar 2021 eine Sammelklage ein.

Umweltstrafe wg. Glyphosat
„Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hochproblematischer Stoff“, sagt die Umwelt-Aktivistin Hannah Connor von der US-amerikanischen Organisation „Center for Biological Diversity“. Und tatsächlich sorgt das Herbizid sogar schon vor seinen eigentlichen Geburt für so einige Verwerfungen. Der Abbau des Sediment-Gesteins Phosphorit, das BAYER zur Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor benötigt, belastet Mensch, Tier und Umwelt nämlich massiv. Unter anderem setzt die Förderung der Mineral-Gemenge in den Tagebau-Minen vor den Toren der Phosphor-Fertigungsstätte am US-amerikanischen Standort Soda Springs giftige Stoffe wie Selen, Arsen, Uran, Radium und Radom frei. Besonders die Indigenen, die in der Nähe der Minen leben, leiden stark unter den gesundheitsschädlichen Wirkungen der Substanzen. Darum haben sie gemeinsam mit der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA gegen BAYERs Minen-Gesellschaft P4 PRODUCTIONS geklagt und einen Erfolg erzielen können. Das Unternehmen verpflichtete sich, rund um die Ballard-Mine eine Fläche von über 200 Hektar zu sanieren. Unter anderem muss es Trinkwasser-Barrieren bauen und Feuchtgebiete zur Wasser-Reinigung anlegen. Zudem erklärte sich P4 PRODUCTIONS bereit, mehrere hunderttausend Dollar an Entschädigungen zu zahlen und mit einer Bürgschaft über 89 Millionen Dollar dafür zu garantieren, dass das Geld für die Maßnahmen auch ausreicht. Bereits in den Jahren 2011 und 2015 hatte die Minen-Gesellschaft Umweltverbrechen begangen, die hohe Strafen nach sich zogen.

Viele Klagen zum MONSANTO-Deal
Zahlreiche GroßaktionärInnen gehen gegen BAYER juristisch vor, weil der Konzern ihrer Meinung nach bei der Prüfung der MONSANTO-Übernahme möglichen Prozessen von GLYPHOSAT-Geschädigten nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte, was in der Folge für einen Kurs-Absturz sorgte. In Deutschland zogen die beiden Kanzleien Tilp und Hausfeld für ihre MandantInnen vor Gericht. „MONSANTO hat immer so getan, als gäbe es kein Prozess-Risiko, weil die Behauptungen, Glyphosat sei krebserregend, haltlos seien“, so der Hausfeld-Jurist Wolf von Bernuth: „Tatsächlich gab es sehr wohl erhebliche Prozess-Risiken. Das durfte BAYER bei Bekanntgabe der Übernahme-Absicht nicht verschweigen“. In den USA haben die Investment-Gesellschaft HAUSSMANN TRUST sowie die beiden Pensionsfonds „City of Grand Rapids Police & Fire Retirement System“ und „City of Grand Rapids General Retirement System“ Klagen eingereicht. Und Anwaltsbüros suchen per Annonce nach AktienhalterInnen, die Ansprüche geltend machen wollen.

Laues Lieferketten-Gesetz
Die Lieferketten BAYERS erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi seine Arznei-Grundstoffe zu einem guten Teil aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei zunächst davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne ausüben und setzte auf Freiwilligkeit. Sie hob den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe und machte sich daran, erst einmal ein Lagebild zu erstellen. Dazu startete die Große Koalition eine Umfrage unter den Betrieben und bat um Informationen darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollte sie dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Nur ein Bruchteil der angeschriebenen Firmen antwortete überhaupt, und von diesen genügte bei den globalen Einkaufstouren kaum eines den sozialen und ökologischen Anforderungen. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Und den bereitete die Politik dann auch vor, was die Industrie-VertreterInnen in Panik versetzte. „Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmen verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, was sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“, echauffierte sich etwa der damalige Präsident der „Bundesvereinigung der Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), Ingo Kramer. In der Folge taten die LobbyistInnen alles, um das Schlimmste zu verhindern. Sie mahnten eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnten eine Haftungsregelung vehement ab. Schlussendlich konnten sie sich damit durchsetzen. Im jetzigen Gesetzes-Entwurf fehlt beides. Dem Leverkusener Multi dürfte es daher erspart bleiben, mit einer Klage von solchen InderInnen oder ChinesInnen konfrontiert zu werden, die in den Hot Spots der globalen Pharma-Produktion leben und unter den gesundheitlichen Folgen leiden. Dazu liegen nämlich zu viele Zwischenhändler zwischen BAYER und den Arznei-Produzenten vor Ort. Zudem müssten die Betroffenen in Deutschland noch eine Nichtregierungsorganisation finden, die in ihrem Namen vor Gericht zieht und so eine „Prozess-Standschaft“ wahrnimmt. Das ist BAYER & Co. aber noch zu viel. Die Konzerne sehen in dieser „Prozess-Standschaft“ ein Instrument dafür, eine zivilrechtliche Haftung „durch die Hintertür“ einzuführen. „Hier muss der Text geschärft werden. Juristische Winkelzüge dürfen nicht dazu genutzt werden, um die Unternehmen doch einer weltweiten Klage-Industrie auszusetzen“, verlangt der „Verband der Chemischen Industrie“.

EU-Lieferkettengesetz
Auch die EU plant ein Lieferketten-Gesetz (s. o.). Ihre Vorstellungen gehen dabei weit über das deutsche Paragrafen-Werk hinaus. So will die Europäische Union den Anwendungsbereich nicht nur auf die direkten Zulieferer beschränken, Haftungsregelungen einführen und auch kleinere Firmen in die Regelung einbeziehen. „Wir denken nicht nur über Geldbußen für Verstöße gegen die Auflagen nach, sondern auch über strafrechtliche Konsequenzen“, so EU-Justizkommissar Didier Reynders. BAYER & Co. scheint er mit diesen Vorschlägen allerdings nicht überzeugt zu haben. „Die Industrie bleibe zurückhaltend, räumt er ein“, konstatiert die FAZ. Für den Sommer kündigt die EU-Kommission einen Gesetzes-Entwurf an. Das dürfte die Konzerne zu einigen Lobby-Aktivitäten animieren.

Simpson lässt nicht locker
In ihrer Zeit als BAYER-Beschäftigte bekam Laurie Simpson einen umfassenden Einblick in die Praxis des Leverkusener Multis, die Risiken seiner Arzneien zu verschweigen und die Mittel ohne Rücksicht auf Verluste mit Hilfe zum Teil illegaler Marketing-Methoden zu vertreiben. Sie kritisierte dieses Vorgehen intern und musste dafür berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Darum machte sie die Fälle öffentlich und begann im Jahr 2008 drei Prozesse gegen den Pharma-Riesen zu führen, die bis heute andauern. In dem Verfahren um das bei OPs zum Einsatz kommende Blutstill-Präparat TRASYLOL lastet Simpson dem Konzern an, der medizinischen Öffentlichkeit und den PatientInnen das gesundheitsgefährdende Potenzial des Medikaments verheimlicht zu haben, das er zwischenzeitlich vom Markt zurückziehen musste. Zudem beschuldigt sie das Unternehmen, den Verkauf des Pharmazeutikums mit illegalen Methoden wie dem Einräumen von Rabatten und der Gewährung anderer Vergünstigungen befeuert zu haben. Darüber hinaus bezichtigt die Frau den Global Player, den Gebrauch von TRASYLOL auch bei Operationen wie beispielsweise Leber-Transplantationen empfohlen zu haben, obwohl für die Indikationen gar keine Zulassungen vorlagen. Ähnliche Praktiken wirft Laurie Simpson dem Leverkusener Multi im Umgang mit dem Cholesterin-Senker LIPOBAY vor, das er nach über 100 Todesfällen im Zusammenhang mit der Arznei nicht mehr vertreiben durfte. Zudem brachte sie die Strategie der Aktiengesellschaft, den Absatz seines Antibiotikums AVELOX durch Geldzahlungen und andere Zuwendungen an MedizinerInnen zu fördern, vor Gericht.

FORSCHUNG & LEHRE

Viele Forschungssubventionen
Im Geschäftsjahr 2020 erhielt BAYER vom bundesdeutschen Staat dreizehn Millionen Euro an Forschungssubventionen und damit eine Million mehr als 2019.