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[Leiharbeit] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

Die Namenlosen: Leiharbeit bei BAYER

Der Journalist Markus Breitscheidel hat sich in Wallraff-Manier inkognito beim Leverkusener Multi verdingt und war als Leiharbeiter in der Pillen-Produktion „ganz unten“. Der Film „Leiharbeit undercover“ und das Buch „Arm durch Arbeit“ dokumentieren die erschreckenden Ergebnisse seiner verdeckten Ermittlungen.

Von Jan Pehrke

„Wir unterstützen Menschen und Unternehmen in Veränderungsprozessen. Unser Anspruch ist es, sie auf dem Weg in eine neue berufliche Zukunft kompetent zu begleiten“, heißt es auf der Internet-Seite von JOB@CTIVE, BAYERs nicht nur für den Konzern selber tätigen Agentur für „Personaldienstleistungen“. Der Journalist Markus Breitscheidel vertraute sich auf seiner einjährigen Expedition durch den bundesdeutschen Niedriglohnsektor diesem Begleitschutz an. Er meldete sich auf eine Anzeige, mit der JOBACTIVE ProduktionshelferInnen „für einen renommierten Kunden in Berlin“ suchte. Der „renommierte Kunde“ war der Leverkusener Multi. Es handelte sich bei dem Job in der Berliner Antibabypillen-Produktion von BAYER SCHERING zwar nur um Leiharbeit, bzw. um eine Tätigkeit „im Rahmen der Arbeitnehmer-Überlassung“, aber JOB@CTIVE lockte mit einer Festanstellung. „Nutzen Sie Ihre Chance, in unseren Kunden-Unternehmen auf sich aufmerksam zu machen und von ihren Leistungen zu überzeugen“, zitiert Breitscheidel in seinem Buch „Arm durch Arbeit“ aus dem Stellenangebot.
Als Gegenwert für diese Leistung bot JOB@CTIVE 6,24 Euro brutto an. Der zwischen dem „Bundesverband Zeitarbeit“ und dem DGB geschlossene Tarifvertrag sieht eigentlich ein Minimum von 7,38 Euro vor, aber auf eine entsprechende Nachfrage bekam Breitscheidel nur zu hören: „Oh, nein. Wir sind hier im ehemaligen Ostteil der Stadt, und somit gilt der Osttarif“. Dieser Hungerlohn war selbst seinem Vorgesetzten peinlich. Ihm seien jedoch die Hände gebunden, klagte er gegenüber Breitscheidel, seit der Übernahme von SCHERING versuche BAYER die Kosten in der Produktion so massiv zu drücken, dass sein Budget für Neueinstellungen keine tarifliche Bezahlung mehr zulasse. Der Journalist unterschrieb trotzdem. Bis zu seinem Arbeitsantritt dauerte es allerdings noch eine Weile. Anders als bei Festangestellten übernahm BAYER den Gesundheitscheck nämlich nicht selbst, sondern machte einen Termin beim TÜV - und der hatte vorerst keinen frei. Für die Wartezeit gab es dann weder von der Arbeitsagentur Geld, denn dort hatte sich der Leiharbeiter in spe schon abgemeldet, noch vom Chemie-Multi. Da half alles nichts. „Wenn Sie den Vertrag richtig lesen, werden Sie je nach Auftragslage beschäftigt und auch vergütet. Zunächst dachten wir für Sie bereits ab heute einen Auftraggeber zu finden, dass hat sich nun mal auf die nächste Woche verschoben“, erklärte ein JOB@CTIVE-Vermittler und spendete Trost: „Machen Sie sich keine Sorgen. Das arbeiten Sie doch locker wieder rein. Ein paar Sonderschichten, und schon ist die Sache vergessen.“

Am Band
Sieben Tage später war es dann soweit. Der Novize erhielt zunächst einmal seine Arbeitskleidung, weiße Hosen und hellgrüne Kittel. Diese machte ihn sogleich als Leiharbeiter kenntlich, denn während die Festangestellten ein BAYER-Logo und ihren Namen auf der Brust tragen, bleibt der Platz bei Breitscheidel und seinen KollegInnen leer. „Die Namenlosen“ heißen sie deshalb im Firmen-Jargon. Aus der Kleiderkammer ging es anschließend durch die Sicherheitsschleuse. Bis zu einer dreiviertel Stunde dauerte die Prozedur - als Arbeitszeit rechnet der Pharma-Riese sie bei Externen wie Breitscheidel allerdings nicht an. Auch für den Kaffee zahlen die ZeitarbeiterInnen mehr als die Stammbelegschaft, 90 statt 20 Cent. Nicht nur beim Lohn allein zeigt sich also der Unterschied.
Gleich ist bloß die Arbeit. Im Vier-Schichten-System fährt der Multi in Berlin die Produktion seines Bestsellers, der Antibabypille YAZ. Markus Breitscheidel musste die Hormonpräparate in verschiedenen Positionen am Fließband „eintüten“, Beipackzettel, Medikamentenschachteln sowie Kartons zuführen und dabei für einen reibungslosen Ablauf sorgen. „Denn wenn hier wirklich nur eine einzige Pille verloren geht, ist die Hölle los“, warnte ihn sein Chef. Das immense Arbeitstempo machte das für den Undercover-Arbeiter zu einem schwierigen Unterfangen. Zu Anfang hatte er seinen Arbeitskittel schon nach einer Stunde durchgeschwitzt und Schmerzen im Rücken und in den Beinen. Trotzdem erhöhte BAYER im Laufe seiner Leiharbeiter-Zeit noch einmal die Frequenz. 30 Paletten YAZ pro Schicht statt 25 lautete plötzlich die Ansage. Und nach den 7,5 Stunden Maloche kam Breitscheidel auch nicht zur Ruhe, weil der ständige Wechsel zwischen Früh-, Spät- und Nachtschicht seinen Biorhythmus gehörig durcheinander wirbelte.
Am Band hat sich das Verhältnis von LeiharbeiterInnen zu Festangestellten mittlerweile umgekehrt. Waren die „Namenlosen“ zunächst nur bei Produktionsengpässen im Betrieb - wie es auch im Sinne der ErfinderInnen war - , so bilden sie mittlerweile die Mehrheit. Möglich gemacht hat dies die „Hartz-Reform“ des „Arbeitnehmer-Überlassungsgesetzes“, welche die Befristung der Leiharbeit aufhob. Da die prekär Beschäftigten nun nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sind, können sie auch die von JOB@CTIVE in Aussicht gestellte Chance nicht nutzen, „in unseren Kunden-Unternehmen auf sich aufmerksam zu machen“ und auf diese Weise einen festen Vertrag zu ergattern. Gerade mal einem ist dieses Kunststück laut Breitscheidel gelungen - und das auch nur über Beziehungen. Diese Mannschaftsstärke der ZeitarbeiterInnen ist selbst der Führungsetage nicht so ganz geheuer. Als sich einmal hoher Besuch aus Leverkusen ansagte, mussten Breitscheidel und seine LeidensgenossInnen schnell verschwinden. Dabei ist unter den „überlassenen ArbeitnehmerInnen“ so mancher alter Bekannter. „Ich habe es in den letzten Jahren häufig erlebt, dass eingearbeitete Kollegen gehen mussten und nach kurzer Zeit als Leiharbeiter an den Arbeitsplatz zurückkamen“, erzählt Breitscheidels Vorarbeiter von seinen Erfahrungen mit dem Strukturwandel im Berliner Werk, dem 950 feste Stellen zum Opfer fielen.

Kafkaeske Lohnpolitik
Die neuen alten Kollegen verloren durch diesen Drehtür-Effekt mehr als die Hälfte ihres früheren Entgelts. Bekamen sie früher 17,50 Euro brutto pro Stunde plus Schicht- und Feiertagszulagen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, so müssen sie sich nunmehr mit höchstens 7,38 Euro begnügen und auf sämtliche Zulagen verzichten. Die nach unten hin offene Lohnskala bietet aber noch Abgründigeres, denn selbst unter den Ungleichen gibt es noch Ungleichere. Je nachdem, mit welchem Personaldienstleister BAYER Verträge abgeschlossen hat, variieren die Niedriglöhne von 5,20 Euro bis 7,38 Euro. Und „Ganz unten“ befinden sich diejenigen, die jeden Tag bis eine Viertelstunde nach Schichtbeginn warten, um eventuell einzuspringen, und unverrichteter Dinge wieder heimfahren, wenn kein Bedarf nach ihrer Arbeitskraft besteht. „Das ist extrem traurig“, sagt Boris Loew von der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE im SWB-Interview über das Los dieser TagelöhnerInnen. Sie gehören jedoch nicht zu den Einzigen bei BAYER, die ohne Lohn-Aufstockung von Staats wegen nicht über die Runden kommen.
Dafür sorgt in besonderer Weise die „Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen“ (CBZP). Sie tauchte passend zur Novelle des „Arbeitnehmer-Überlassungsgesetzes“ auf der politischen Bildfläche auf und schloss mit den Zeitarbeitgebern unterirdische Tarifverträge ab. Die Organisation verweist auf eine Mitgliederzahl von 280.000. Daran - und damit auch an ihrer unabhängigen Finanzierung - sind aber einige Zweifel angebracht. „Ich wüsste keinen, der da Mitglied ist“, so Boris Loew. Ob es sich bei der CBZP überhaupt um eine richtige Gewerkschaft handelt, klärt in der Hauptstadt nach einer Klage von VER.DI und Berliner Senat gerade ein Arbeitsgericht. Einstweilen trägt sie bei BAYER SCHERING aber noch zu dem bei, was Breitscheidel in seinem Buch „kafkaeske Tarifverhältnisse“ nennt und den Grundsatz „Gleiche Arbeit, gleicher Lohn“ desavouiert, obwohl im Antibabypillen-Betrieb Profitverhältnisse wie aus Tausendundeiner Nacht herrschen. Eine Milliarde Euro Umsatz machte der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2007 mit YAZ & Co..

Und die Gewerkschaften?
„Aber ihr habt doch einen Betriebsrat, der müsste das doch eigentlich verhindern!“, entgegnet Breitscheidel dem Kollegen, der ihm BAYERs prekarisierende Personalpolitik beschrieben hatte. „Wir Kleinen an der Basis können auf den nicht bauen“, bekommt er zur Antwort. In der Tat tut sich die Gewerkschaft schwer mit den ZeitarbeiterInnen - und sie hat es auch schwer. Die „überlassenen ArbeiternehmerInnen“ gehören nämlich rechtlich nicht zu BAYER SCHERING. Der für sie zuständige Arbeitgeber ist die jeweilige Zeitarbeitsfirma. Beim Leverkusener Multi dürfen die „Namenlosen“ weder an Betriebsversammlungen teilnehmen noch streiken. Auch über die bestehenden Mitbestimmungs- und Mitwirkungsregelungen können die Gewerkschaften den Status der ca. 730.000 LeiharbeiterInnen in der Bundesrepublik, die in der Industrie mittlerweile auf einen Anteil von 10 bis 12 Prozent an der Gesamtbelegschaft kommen, kaum verändern. „Das gilt besonders dann“, konstatiert der DGB in seiner Erklärung zu „Betriebsräte und Leiharbeit“, „wenn große Unternehmen eigene Leiharbeitsfirmen gründen, um etwa befristete oder entlassene ArbeitnehmerInnen zu oft wesentlich schlechteren Konditionen wieder einzustellen“ - wenn sie also dem Modell BAYER folgen.
Es gibt jedoch auch Entsolidarisierungstendenzen innerhalb der Gewerkschaften. So heißt es in dem DGB-Statement etwa: „Dabei setzt ein Teil der Arbeitnehmervertretungen auf den mäßigen Einsatz von Leiharbeit als ‚Personalpuffer‘, um so die Beschäftigung der Stammbelegschaft zu stabilisieren“. Diese Konzentration auf die Kernbelegschaften zuungunsten prekär Beschäftigter ist nicht nur beim Thema „Leiharbeit“ zu beobachten und scheint selbst in den Interview-Aussagen Loews durch. So echauffiert sich der IG-BCE-Sekretär zwar über die Praktiken beim Leverkusener Multi und tobt: „Verantwortung wird ausgegliedert“ oder: „Reine Erpressung findet mal wieder statt“, gleichzeitig erklärt er jedoch die Chemie-Gewerkschaft im Falle der LeiharbeiterInnen für nicht zuständig. „Wir werden von unseren Mitgliedern bezahlt“, stellt Loew fest. Er sieht allerdings Anzeichen eines Bewusstseinswandels, weil die Einzelgewerkschaften ihre abwartende Haltung gegenüber den Auswärtigen ablegten. Davon zeugt auch die Äußerung des IG-BCE-Vorsitzenden Hubertus Schmoldt in der Faz: „Was wir derzeit erleben, ist, dass die Möglichkeit von Leiharbeit benutzt wird, um feste Beschäftigungsverhältnisse zu umgehen. Und das ist nicht der Sinn der Leiharbeit“. Nicht zuletzt deshalb gibt sich Boris Loew trotz des steinigen Weges, der noch vor den Gewerkschaften liege, zuversichtlich: „Ich denke schon, dass sich da etwas ändern wird“.

BAYER dementiert
BAYER hingegen sieht keine Notwendigkeit für Veränderungen. Wo selbst der mit den Erfahrungen Breitscheidels konfrontierte Hardcore-Hartzler Wolfgang Clement vor den Geistern, die er gerufen hatte, erschrak: „Also wenn es so ist, wie es hier dargestellt ist, ist es völlig unakzeptabel“, da sah der Pharma-Riese alles im grünen Bereich. „Diese Vergütung ist arbeitsmarktüblich und entspricht dem Tarifvertrag des Bundesverbandes Zeitarbeit, Tarif Ost, der für Berlin insgesamt angewendet wird“, behauptete der Konzern in seiner Stellungnahme zu einer „Hart aber fair“-Sendung, in der Breitscheidel zu Gast war. Der Global Player stritt schlichtweg ab, reguläre Arbeitskräfte durch ZeitarbeiterInnen zu ersetzen. Angeblich greift er nur bei „konjunkturellen Spitzen“ auf die „Namenlosen“ zurück. Nicht mehr als 650 will das Unternehmen zur Zeit beschäftigen, in Berlin 210, davon ca. 80 in der Produktion. Ihr Verdienst bewegt sich laut BAYER zwischen 1.050 und 8.000 Euro. Tatsächlich hat der Multi einige Luxus-LeiharbeiterInnen in seinen Reihen, weil er zu allem Unglück auch noch hoch qualifizierte Arbeit - beispielsweise in der Forschung & Entwicklung - ausleiht und dafür in den USA mit dem Personaldienstleister MEDSEARCH zusammenarbeitet, aber auf 8.000 Euro monatlich kommt nur ein äußerst kleiner Teil der so Beschäftigten.

IG Metall klagt
So ganz spurlos ist jedoch die Diskussion über Breitscheidels Recherchen nicht an BAYER vorbeigegangen. Bis auf Weiteres gilt nun: Gleicher Kaffeepreis für ungleich Beschäftigte! Der Leverkusener Multi verlangt den Namenlosen jetzt nicht mehr 90 Cent für eine Tasse ab, während Festangestellte nur 20 Cent zahlen müssen. Bis zu „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ dürfte es aber noch lange dauern, auch wenn die IG METALL dem Konzern Beine machen will. Die Gewerkschaft verklagte den Pillen-Produzenten gemeinsam mit Markus Breitscheidel wegen der Bezahlung mit 6,42 Euro pro Stunde. „Das ist ein klarer Verstoß gegen den Tarifvertrag“, sagte Breitscheidel zur Begründung. Aber nicht nur bei den Leih-, sondern auch bei den Emissären von Fremdfirmen besteht womöglich juristischer Handlungsbedarf. Nach Beobachtungen der KOLLEGEN UND KOLLEGINNEN FÜR EINE DURCHSCHAUBARE BETRIEBSRATSARBEIT, einer alternativen Gewerkschaftsgruppe bei BAYER, haben diese Beschäftigten nämlich genau denselben Status im Betrieb wie Feste und LeiharbeiterInnen, obwohl die Fremdfirmen gar keine Lizenz zur Arbeitnehmer-Überlassung haben.
Allein auf rechtlichem Wege jedoch lässt sich die Lage der Prekären nicht grundlegend verbessern. Deshalb wird die namenlose industrielle Reservearmee wohl noch einige Zeit das bleiben, was Breitscheidel „das Phantom der neuen Arbeitswelt“ nennt.

[Finanzkrise] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

BAYER & die Bankenkrise

„Wir müssen jetzt die Bremsen lösen“

„Es zeichnet sich die schlimmste Rezession seit einem Vierteljahrhundert ab“, konstatierten BAYERs Aufsichtsratschef Manfred Schneider und seine 46 Manager-Kollegen vom „European Roundtable of Industrialists“ auf einem Treffen in Istanbul. Deshalb erklärten sich die Konzernlenker zwar bereit, staatliche Notfallmedizin zur Stützung des Bankensektors und Nachfrage-Stimulation zu schlucken, aber auf keinen Fall wollen sie ewig am Tropf der Politik hängen. Auch BAYER-Chef Werner Wenning warnt vor Überregulation. Er plädiert mit Friedrich Merz dafür, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben und gerade jetzt mehr Kapitalismus zu wagen. „Es wäre deutlich besser, jetzt jene Bremsen zu lösen, die Wachstum behindern“, meinte Wenning in einem Faz-Interview.

Von Jan Pehrke

„Finanzkrise? Nicht mit uns!“, hieß es beim Leverkusener Multi lange. „BAYER im 2. Quartal weiter erfolgreich“, vermeldete der Aktionärsbrief vom Juni 2008. Auch das 3. Quartal ließ kaum Wünsche offen. „BAYER glänzt in unsicheren Zeiten“ und „BAYER ist gut gepolstert“ lauteten die Überschriften in den Zeitungen. Selbst als der Konkurrenz BASF am 20. November die vorübergehende Stillegung von 80 Kunststoff-Anlagen annoncierte, reagierte der Chemie-Multi noch gelassen. Es laufe im entsprechenden Unternehmensteil bereits seit längerem ein Rationalisierungsprogramm, und im Übrigen sei man vorbereitet, falls es weiteren Änderungsbedarf gebe. Den gab es dann allerdings schon fünf Tage später. Am 25. November kündigte der Global Player an, die Polycarbonat-Fertigung um ein Viertel zu reduzieren und dazu an zehn Standorten Werke „vorübergehend aus dem Betrieb zu nehmen“.
Damit war die Finanzkrise endgültig in BAYERs Realwirtschaft angekommen. Sie nahm den Umweg über die Auto-Industrie, die im Normalfall ca. 18 Prozent des Konzern-Kunststoffes abnimmt, nun aber aufgrund ihrer Absatzprobleme kaum noch etwas orderte. Auch die von der platzenden Immobilienblase getroffene Bau-Branche, sonst für 14 Prozent der Umsätze gut, füllte die Auftragsbücher nicht mehr. Hatte das Geschäft mit Plaste & Elaste schon das ganze Jahr über an den gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten zu leiden, so brach es jetzt endgültig ein. Den Beschäftigten, denen das letzte, 300 Millionen Euro schwere Sparprogramm noch in den Knochen steckt, dürfe nun weitere Unbill drohen, um so mehr, als der Vorstandsvorsitzende Werner Wenning in einem Faz-Interview bereits vor der Produktionsdrosselung gedroht hatte: „Darüber hinaus prüfen wir ständig, wo wir effizienter und besser werden können“. Der Chef der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE, Hubertus Schmoldt, hat BAYER & Co. jedenfalls schon einmal gewarnt: Sollten sie die gegenwärtige Situation zu Sozial- und Tarifabbau nutzen, so müssten sie sich auf knallharte Konflikte mit der Gewerkschaft einstellen.
Ansonsten gibt sich BAYER weiterhin krisenfest. Mit dem Pharma- und Agrarbereich seien 70 Prozent der Aktivitäten kaum konjunkturabhängig, konstatiert Wenning. Krank werden die Leute immer, und landwirtschaftliche Produkte, für deren unbeschwertes Gedeihen das Unternehmen mit seinen Pestiziden zu sorgen vermeint, brauchen die Menschen auch ständig, macht sich der Multi Mut. Ungeachtet dessen trifft die Rezession den Leverkusener Multi nicht nur im Kunststoff-Segment. So haben die Pensionskassen durch die Kursstürze an den Börsen so große Einbußen erlitten, dass Werner Wenning in seiner Rede zum Geschäftsverlauf im 3. Quartal schon den Norbert Blüm geben musste. „Die zusätzliche betriebliche Altersversorgung für unsere Mitarbeiter ist sicher. Denn spekulatives Verhalten gehört nicht zur Anlagestrategie“, so der Große Vorsitzende.
Zudem bekommt der Pharma-Riese die Kreditklemme zu spüren und kann nicht mehr unbeschwert auf Einkaufstour gehen. Während der „Verband der Chemischen Industrie“ die Branche noch mit ausreichend Liquidität ausgestattet sieht, sagte Wenning der Faz: „In der Größenordnung von zehn Milliarden Euro dürfte eine Akquisition für die meisten derzeit nicht mehr finanzierbar sein“. Die Geldhäuser versuchen sogar, die Konditionen von schon gewährten Krediten nachzuverhandeln, und die Risikoprämien bei den Kreditausfall-Versicherungen steigen. Auch das Begeben von Unternehmensanleihen kommt den Konzernen teurer zu stehen. Zeigten sich die KäuferInnen der BAYER-Anleihe vor zwei Jahren noch mit einer Verzinsung zufrieden, die nur 0,62 Prozent über derjenigen von Bundesanleihen lag, so müsste der Agro-Riese heute schon 1,91 Prozent zusätzlich bieten. Und eine neue Anleihe wäre wohl nicht unter Zinsen von fünf Prozent loszuschlagen. Zudem steigen die Konditionen der Kreditausfall-Versicherungen.
Nicht zuletzt wegen dieser trüben Aussichten lobte Wenning das von der Großen Koalition geschnürte Rettungspaket für die Banken und die anderen Maßnahmen. „Die Bundesregierung hat schnell und positiv reagiert. Wir halten die jüngsten Stabilisierungsmaßnahmen für ebenso wichtig wie notwendig und hilfreich“, stellte er auf der letzten Bilanzpressekonferenz fest. Er hätte sich da allerdings auch gleich selber loben können, denn BAYER-Aufsichtsrat Paul Achleitner, im Hauptberuf Finanzchef der ALLIANZ, saß bei den Beratungen mit am Tisch. Andererseits hatte Wenning auch einiges dafür getan, dass es überhaupt so weit kam. Als Aufsichtsratsmitglied und Vorsitzender des Beraterkreises der DEUTSCHEN BANK hatte der BAYER-Boss nämlich einen guten Einblick in das globale Finanzwesen. Aber eine Verletzung der Aufsichtspflicht wollte er sich von der Zeitschrift Capital nicht nachsagen lassen. Auf die Frage: „War Ihnen angesichts der gigantischen Deals nie unbehaglich zumute?“, antwortete er bloß ausweichend: „Sofern Investoren einen nachhaltigen Ansatz verfolgen, ist nichts dagegen einzuwenden“.
Stattdessen wäscht Wenning seine Hände in Unschuld und unterscheidet zwischen der bösen Finanzwirtschaft und der guten Realwirtschaft. „Wir von der Industrie haben uns da wenig vorzuwerfen“, tönte er im Spiegel. Tatsächlich gibt es Unterschiede zwischen der Finanz- und der Realwirtschaft, moralischer Art sind diese jedoch nicht. Hedge-Fonds, die für ihre AnlegerInnen das Maximale in minimaler Zeit herausholen müssen, üben über ihre Aktienpakete viel Druck auf die Konzerne aus. Da die Multis teilweise selber gar nicht mehr so genau wissen, welche Investoren Anteile von ihnen halten oder diese in Zukunft zu halten gedenken, haben BAYER und andere Dax-Unternehmen im August die Gunst der Stunde genutzt und in einem Brief an Peer Steinbrück strengere Kapitalmarkt-Regelungen angemahnt. Als Nachbesserungen zum „Risikobegrenzungsgesetz“ forderten die Finanzvorstände unter anderem umfassendere Offenlegungspflichten, mehr Klarheit über die wirklichen Besitzverhältnisse und allgemein mehr Transparenz ein.
Der Spiegel kaufte Wenning die Zwei-Welten-Theorie allerdings nicht so ganz ab und hakte nach: Aber gibt es nicht eine gemeinsame Ursache für die Krise: das übertriebene Streben der Manager nach Profit?“ Der Konzern-Lenker hielt das nicht bloß für zu kurz gegriffen, er gab sich überdies als „Gier ist geil“-Anhänger zu erkennen: „Vielleicht ist ein wenig ‚gesunde‘ Gier sogar ganz nützlich und natürlich. Das treibt uns an und bringt uns weiter“. Zu Selbstkritik sieht Werner Wenning also keinen Anlass. Der Kapitalismus steckt für ihn nicht in der Krise; er bietet sich vielmehr als Heilmittel an. „Mehr Kapitalismus wagen“, das steht nicht nur für Friedrich Merz statt keynsianistischen Konjunkturprogrammen nun auf der Agenda. „Es wäre deutlich besser, jetzt jene Bremsen zu lösen, die Wachstum behindern“, meinte der Ober-BAYER in der Faz.
Als eine solcher Bremsen erachtet er die von der EU geplanten strengen Auflagen für den Emissionshandel. Waren die Lizenzen zum Kohlendioxid-Ausstoß bislang so großzügig bemessen, dass die Schornsteine des Chemie-Multis weiterhin nach Lust und Laune qualmen konnten und der Konzern keine Verschmutzungsrechte kaufen musste, so plant Brüssel seit längerem Änderungen. Das behagt dem Manager gar nicht. Darum ist es seiner Meinung nach jetzt der richtige Zeitpunkt, um „eine investitionshemmende Ausgestaltung des Emissionshandels zu vermeiden“.
Der „European Round Table of Industrialists“ (ERT), dem neben BAYERs Aufsichtsratchef Manfred Schneider noch 46 weitere Top-Manager angehören, tritt indessen für Zinssenkungen und Investionen in die Infrastruktur ein, damit „die schlimmste Rezession seit einem Vierteljahrhundert“ so glimpflich wie möglich verläuft. Das Heft aus der Hand nehmen lassen will sich die Organisation allerdings ebenso wenig wie Wenning - eindringlich warnt der ERT vor einer „Überregulierung in der Industrie“.
Und die Politik arbeitet die Wunschliste der Global Player fleißig ab. Die Bundesregierung bemüht sich mit aller Kraft, beim Emissionshandel Ausnahmeregelungen für die bundesrepublikanische Industrie herauszuschlagen und dürfte damit aller Voraussicht nach Erfolg haben. Ihr Konjunkturpaket enthält derweil weitere Geschenke. So plant die Große Koalition etwa, die Abschreibemöglichkeiten auszuweiten und den Konzernen so Zinsgewinne zu bescheren. Für den Sachverständigenrat sind das indessen nur milde Gaben. Er will unter anderem das ohnehin schon beispiellose Füllhorn „Unternehmensteuerreform“, das den Unternehmen Abgaben in Höhe von ca. zehn Milliarden Euro ersparte, noch ein bisschen mehr füllen. Die WirtschaftswissenschaftlerInnen plädierten dafür, die mit der letzten „Reform“ eingeführte Zinsschranke wieder hochzuziehen und es BAYER & Co. wieder zu gestatten, ihre Zinszahlungen steuermindernd vom Umsatz abzuziehen. Den Fiskus würde diese kleine Aufmerksamkeit ungefähr 25 Milliarden Euro kosten.
So kümmern sich alle liebevoll um den bedauernswert maladen Kapitalismus und versuchen, ihn wieder aufzupäppeln. Auf die Idee, ihn selbst als Krankheit zu betrachten, der immer mehr Opfer fordert, kommt so recht niemand. Schuld an dem Desaster haben wahlweise die US-amerikanische Wirtschaftskultur, die nichts von „sozialer Marktwirtschaft“ wissen wolle, der Neoliberalismus, oder der „irreale“ Finanzsektor, der den real existierenden Unternehmen übel mitspiele, aber nie das Ding an sich.
Dabei hat die gegenwärtige Krise im Herzen des Kapitalismus, der Produktion, ihren Ausgang genommen, und zwar nicht erst vor ein paar Monaten. Nach Ansicht des Publizisten Robert Kurz gibt es mindestens seit den frühen 80er Jahren eine „schwindende(n) Basis der realen Verwertung“ und damit einhergehend eine wachsende Basis der „fiktiven“ Verwertung auf den Finanzmärkten. Die technologische Entwicklung ermöglichte zwar enorme Produktivitätsfortschritte, aber mit den im Zuge dieses Prozesses entlassenen ArbeiterInnen verabschiedeten sich BAYER & Co. auch von ihren Mehrwert-ProduzentInnen. Maschinen können die Konzerne nicht ausbeuten, und so nahm die Wertsubstanz der einzelnen Waren ab. Das verteuerte wiederum die Herstellungskosten, weshalb sich die Unternehmen immer stärker verschulden mussten. Der Leverkusener Multi steckt momentan mit 13,7 Milliarden Euro in den Miesen. Parallel dazu sanken die Eigenkapital-Quoten, gefördert vom Staat, der die Kreditaufnahme steuerlich begünstigte. Bei BAYER liegt die Zahl aktuell bei 32,7 Prozent, wobei das schon optimistisch gerechnet ist, denn es handelt sich lediglich um „bilanzielles Eigenkapital“.
Aber nicht nur auf der betriebswirtschaftlichen Ebene, sondern auch auf der gesamtwirtschaftlichen war diese Tendenz zu beobachten. Kurz bezeichnet diese als „eine globale Defizit-Konjunktur“, die einen „pazifischen Defizitkreislauf“ in Gang setzte. Die USA lebte auf Pump, China hielt das Land durch den Kauf von Staatsanleihen über Wasser und finanzierte sich so einen Absatzmarkt, der für ein Wirtschaftswunder sorgte. Dieses sich nach dem Platzen der Immobilienblase als „fiktiv“ erweisende Wirtschaftswunder in Asien hatte wesentlich dazu beigetragen, dem von sinkenden Profitraten bedrohten Kapital neue Verwertungsmöglichkeiten zu schaffen. Deshalb fürchtete Werner Wenning sich sehr vor einem Rückgang des dortigen Wirtschaftswachstums, das zuletzt 12 Prozent betragen hatte. „Aber ich bin zuversichtlich, dass die chinesische Regierung alles daransetzen wird, ihre Infrastruktur-Maßnahmen mit Nachdruck fortzusetzen“, gab er sich in der Faz hoffnungsfroh und hat die Kunde aus Peking von dem 500 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket vermutlich mit Erleichterung aufgenommen.
So hat sich also die „gute Realwirtschaft“ die böse „fiktionale Finanzwirtschaft“ durch die der kapitalistischen Produktionsweise innewohnenden Widersprüche selbst eingebrockt. Das Kapital musste ins Casino gehen, um seinen fürs Reale zu groß gewordenen Profithunger zu befriedigen. Auch in Zukunft dürfte es seinen Appetit nicht zügeln. Deshalb verlangt die Wirtschaft nach einem Krisen-Management, das sie als Krisengewinnler dastehen lässt. Was in den 80er Jahren der Neoliberalismus durch den massiven Abbau sozialer Rechte leistete, soll auch dieses Mal wieder zu Lasten der abhängig Beschäftigten gehen. Dies funktioniert allerdings nur, wenn die Menschen ihre Interessen mit denen von BAYER & Co. gleichsetzen und ihr Wohlergehen vom Wohlergehen der Konzerne abhängig machen. Diesen Verblendungszusammenhang gilt es zu zerreißen, wie es der französische Philosoph Alain Badiou vorgemacht hat. In der Zeitung Le Monde schrieb er: „Man hat diese Wochen oft von der ‚Realwirtschaft‘ (der Produktion der Güter) gesprochen. Man hat ihr die irreale Ökonomie (die Spekulation), von der das Übel ausginge, gegenübergestellt, da ihre Vertreter ‚unverantwortlich‘, ‚irrational‘, ‚Raubtiere‘ geworden seien. Diese Unterscheidung ist absurd. Der Finanzkapitalismus ist seit fünf Jahrhunderten ein wichtiger Teil des Kapitalismus im Allgemeinen. Was die Eigentümer und Manager dieses Systems angeht, so sind sie allein für Profite ‚verantwortlich‘. Ihre ‚Rationalität‘ ist an den Gewinnen messbar, und Raubtiere sind sie nicht einfach, sondern müssen sie sein. Es gibt folglich im Warenlager der kapitalistischen Produktion nichts ‚Realeres‘ als auf ihrer Handelsetage oder in ihrer Spekulationsabteilung. Die Rückkehr zum Realen kann nicht in der Bewegung, die von der schlechten ‚irrationalen‘ Spekulation zur gesunden Produktion führt, bestehen. Es ist die Rückkehr zum unmittelbaren und reflektierten Leben all derer, die diese Welt bewohnen“.

[Pestizide] STICHWORT BAYER 01/2009

CBG Redaktion

Neue EU-Pestizidverordnung

Aus für BAYER-Gifte

Die EU mistet den Giftschrank von BAYER & Co. aus. Nach der neuen Pestizid-Verordnung aus Brüssel müssen - höchstwahrscheinlich - Glufosinat und andere Agrochemie-Wirkstoffe des Leverkusener Multis vom Markt verschwinden, weil sie die menschliche Gesundheit schädigen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte solche Maßnahmen im Sinne des Verbraucherschutzes lange gefordert. Allerdings haben die LobbyistInnen der Unternehmen nicht nur Besseres verhindert, sie drohen auch weiteres Ungemach an. „Wenn es an die Umsetzungsphase geht, wollen wir dabei helfen, sicherzustellen, dass der beschrittene Weg auf Fakten statt auf Angst beruht“, so Friedhelm Schmider von der „European Crop Protection Association“ (ECPA).

Von Jan Pehrke

„Die neue Verordnung spiegelt die große Bedeutung wider, die die Europäische Kommission dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt beimisst“, mit diesen Worten kommentierte die EU-Kommission die Annahme der neue Zulassungsregeln für Pestizide durch das Europäische Parlament. Die abgesegnete Richtlinie schließt künftig alle Agrochemikalien von der Genehmigung aus, die Krebs erregen, die Erbanlagen schädigen und/oder das Fortpflanzungsvermögen beeinträchtigen. Auch bienenschädlich dürfen die Substanzen in Zukunft nicht mehr sein. 23 Wirkstoffe landeten auf der vorläufigen schwarzen Liste, darunter befinden sich sechs Inhaltsstoffe von BAYER-Produkten: Glufosinat, Carbendazim, Mancozeb, Tebuconazole, Bifenthrin und Thiacloprid. Für die Art und Weise der Anwendung hat die EU ihre Vorschriften ebenfalls verschärft. So erlaubt sie das Versprühen aus der Luft nur noch unter strengen Auflagen und hat um Gewässer Bannmeilen gelegt.

Kehrtwende
Damit hat die Europäische Union eine Kehrtwende in der Pestizidpolitik eingeläutet. Hielt sie sich bisher an die Relativitätstheorie „Die Dosis macht das Gift“, so haben die PolitikerInnen diese jetzt relativiert und die menschliche Gesundheit zum absoluten Maß aller Zulassungsdinge erklärt. Entsprechend lautstark beklagt der „Industrie-Verband Agrar“ (IVA) den „Abschied von Paracelsius“. Und während die BASF von „unverantwortlicher Agrarromantik“ spricht, warnt die ECPA angesichts des drohenden Aus für ganze 23 der 507 in Europa zugelassenen Ackergifte vor einer Gefährdung der Nahrungsmittelsicherheit und empfindlich höheren Preisen. Der „Verband der britischen Fruchterzeuger“ entwirft in seinem worst case scenario sogar schon eine Katastrophe vom Format der irischen Hungersnot von 1845.

Extrem-Lobbyismus
„Mit Händen und Füßen gegen jegliche Änderung bei der EU-Pestizidzulassung“ hat sich die Chemische Industrie nach den Worten der grünen EU-Parlamentarierin Hiltrud Breyer deshalb gesträubt; ihre konservative Kollegin Erna Hennicot-Schoepges spricht von heftigen Auseinandersetzungen und „überaus starkem Lobbyismus“. Mit über 300 Änderungsanträgen - meistens made in Germany - hatte sich das Straßburger Parlament zu befassen - und änderte auch fleißig. So kippte das Gremium das Vorhaben, den Pestizid-Einsatz in der EU bis 2017 um die Hälfte zu senken. Es gewährte zudem längere Auslaufphasen und ließ viele Sonderregelungen zu. Angeblich unverzichtbare Ultragifte können mit einer 5-jährige Schonfrist rechnen, die wohl bis 2016 währen wird, da die Mitgliedsstaaten bis 2011 Zeit haben, die Richtlinie in nationales Recht zu überführen. Die CBG hat dies in einer Presseerklärung scharf kritisiert. „Pestizide wie Glufosinat, deren Gefährlichkeit für Anwender und Verbraucher erwiesen ist, müssen sofort vom Markt genommen werden. Das Verbot des Wirkstoffs muss zudem Konsequenzen für die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen haben. Es darf in der EU keine weiteren Anbau- oder Import-Genehmigungen für glufosinat-resistentes Saatgut geben!“, heißt es darin.

Ungebrochenen Zugang zum Giftschrank erlaubt zudem noch eine weitere Bestimmung. Sollten die Landwirte den Plagegeistern mit erlaubten Mitteln nicht mehr Herr werden, bieten ihnen so genannte Lückenindikationen die Möglichkeit, zu härterem Stoff zu greifen. „Davon werden vor allem der Obst- und Gemüseanbau profitieren“, weiß der IVA. Auch an die neu geschaffenen drei europäischen Großzonen, in denen jeweils andere Zulassungsbedingungen gelten, knüpft er große Erwartungen. Die Grenzländer können die Genehmigungen nämlich einfach übernehmen, weshalb der Lobbyclub sich Hoffnungen auf die Durchsetzungskraft der niedrigsten Standards machen darf. Darüber hinaus eröffnet den Konzernen das Gebot, die inkriminierten Agrochemikalien möglichst schnell zu ersetzen, die Chance, kürzere Zulassungsverfahren zugesprochen zu bekommen.

Feinarbeit folgt
Noch nicht einmal die Schwarze Liste, zu deren Länge BAYER-Stoffe so einiges beigetragen haben, ist für den Leverkusener Multi amtlich. „Es gibt noch keine Liste der Stoffe, die verboten werden sollen. Wir können daher noch gar nicht einschätzen, welche konkreten Folgen die Neuregelung für uns haben wird“, erklärte BAYER-CROPSCIENCE-Sprecher Utz Klages. Große konkrete Folgen hätte vor allem der Bann von Glufosinat, denn auf diesem Wirkstoff, der Missbildungen bei Föten, Verhaltensstörungen und Gehirnschädigungen hervorruft, hat der Leverkusener Multi die „Zukunftstechnologie“ seiner Genpflanzen-Baureihe LIBERTY aufgebaut. So hofft BAYER nun auf die Fortsetzung der „politischen Landschaftspflege“, die im Vorfeld der EU-Entscheidung extensiv betrieben wurde, bei der Implementierung der Verordnung. Die Interessensvertretungen bereiten sich schon darauf vor. „Wenn es an die Umsetzungsphase geht, wollen wir dabei helfen, sicherzustellen, dass der beschrittene Weg auf Fakten statt auf Angst beruht“, bietet der Ex-BASFler Friedhelm Schmider von der ECPA an. Sein IVA-Kollege Volker Koch-Achelpöhler setzt ebenfalls auf die „Feinarbeit zur Verordnung“: „Sonst werden Forschung und Entwicklung in der Industrie schwer beeinträchtigt“. Aber ganz egal, wieviel Lobby-Feinarbeit noch folgen mag, der Anfang zu einer auch von der CBG immer wieder eingeforderten Pestizid-Politik, welche die Gesundheit der Menschen in den Mittelpunkt stellt, ist gemacht.

[Interview] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

Interview mit Maya Nye (USA)

„Wir sind seit 1947 Versuchskaninchen der Chemie-Industrie“

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisiert seit Jahren die Risiken des BAYER-Werks im amerikanischen Institute. Am 28. August kam es dort erneut zu einem schweren Störfall, dem zwei Arbeiter zum Opfer fielen. Wir sprachen mit Maya Nye, Sprecherin der Initiative PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC, die seit den Achtziger Jahren für eine Verbesserung der Sicherheitslage kämpft.

Frage: Frau Nye, können Sie uns bitte einen Überblick zu den Sicherheitsproblemen in Institute geben?
Antwort: Die größte Gefahr, die von dem hiesigen BAYER-Werk ausgeht, ist die Lagerung großer Mengen Methyl Isocyanat (MIC), zwei bis zwanzig Mal so viel wie die Menge, die 1984 in Bhopal ausgetreten ist. Die Fabrik wechselte in den vergangenen Jahrzehnten mehrmals den Besitzer, was es schwierig macht, an alle wichtigen Informationen zu gelangen. Seit der Übernahme des Werks durch BAYER im Jahr 2001, war die Explosion im August der schwerwiegendste Unfall. Der Störfall führte unmittelbar zu zwei Todesfällen. Wir befürchten, dass es als Spätfolgen Erkrankungen oder sogar Todesfälle geben wird.

Wie ist die Geschichte der PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC?
PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC ist eine Bürgerinitiative zum Schutz der Anwohner im Kanawha Tal in West Virginia. In der Umgebung befinden sich zahlreiche Chemie-Anlagen. Die Gruppe wurde nach der Katastrophe von Bhopal gegründet, da die selbe Chemikalie, die Tausende von Inder getötet und vergiftet hat, auch hier in der Nachbarschaft produziert und gelagert wird. Das Werk, das heute zu BAYER gehört, war damals Teil von UNION CARBIDE, dem Betreiber der Fabrik in Bhopal.
Die Gruppe hat sehr viel bewirkt. Wir haben bei der Ausarbeitung von Katastrophenplänen und Fluchtwegen im Fall eines Störfalls mitgewirkt, uns an der Solidaritätsarbeit für die Opfer in Bhopal beteiligt, haben beim Aufbau des National Institute of Chemical Studies mitgewirkt (das NICS berät Kommunen mit Chemieanlagen in Sicherheitsfragen), haben jahrelang im Sicherheits-Komitee der umliegenden Städte mitgearbeitet, etc. Die Beziehung zwischen den Chemie-Fabriken und den umliegenden Gemeinden hat sich dadurch grundlegend geändert.

BAYER behauptet, die Fabrik würde den höchsten Sicherheits-Standards entsprechen. Wir beobachten aber seit langem, dass das Unternehmen an der Sicherheit spart. Wie ist die Situation in Institute?
Es sieht so aus, als ob die Fabrik unterbesetzt ist. Genaue Informationen sind schwierig zu bekommen, da die Unternehmen seit dem 11. September viel mehr Informationen als früher geheim halten dürfen.

Kooperieren Sie mit den Mitarbeitern?
Nicht in dem Ausmaß, wie wir gerne möchten. Die Arbeiter sind anders als früher kaum noch gewerkschaftlich organisiert. Wenn sie öffentlich Kritik äußern, besitzen sie keinerlei Schutz und gefährden ihre Existenz.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN überwacht BAYER nun seit 30 Jahren. BAYER diffamiert uns als „radikal“ oder „unseriös“. Sind Sie ähnlichen Anfeindungen ausgesetzt?
BAYER muss glauben, dass wir ultraradikal sind: der letzte Informationsabend des Unternehmens wurde von drei bewaffneten Sicherheitskräften bewacht! Zum Glück sind die meisten Vertreter der umliegenden Gemeinden sehr verärgert aufgrund der mangelhaften Informationspolitik nach dem jüngsten Störfall – hierdurch wird unsere „Radikalität“ etwas relativiert.
Allgemein gilt, dass die Firma überhaupt nicht mag, wenn sie kritisiert wird, besonders wenn dies öffentlich geschieht. Die BAYER-Vertreter drohen dann mit Abwanderung und dem Verlust von Arbeitsplätzen, um Streit zwischen Arbeitern und den Kritikern zu schüren. Leider wirkt diese Drohung, weil es keine anderen Arbeitsplätze in der Gegend gibt, und das nutzen sie natürlich aus.

Nach Unfällen in Chemie-Fabriken werden in der Regel keine Langzeit-Untersuchungen durchgeführt. Folgeschäden von Arbeitern und Anwohnern werden nicht ermittelt, und im Fall einer Erkrankung ist es fast unmöglich, einen kausalen Zusammenhang nachzuweisen. Ist dies auch in Institute der Fall?
Dies ist einer unserer wichtigsten Vorwürfe. Unsere Gemeinde ist seit 1947 eine Art Versuchskaninchen der Chemie-Industrie. Die Tatsache, dass die Produktion von Chemikalien ohne Kenntnis der langfristigen Risiken erlaubt wird, ist eine Ungerechtigkeit, für die es nur wenige Parallelen gibt.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass BAYER der Öffentlichkeit nach Störfällen Informationen vorenthält oder sogar Desinformation betreibt. Wie ist das Auftreten von BAYER im Bundesstaat West Virginia?
Sie beschreiben das Bild sehr gut. Von BAYER gibt es selbst nach einem Unfall kaum brauchbare Informationen. Aktuell hat sich die Werksleitung zwar entschuldigt, aber beim nächsten Mal fängt alles wieder von vorne an. Was den Schutz der Anwohner angeht sind sie wirklich skrupellos.

Werden die Geschädigten denn angemessen entschädigt?
Kurz gesagt, nein. Zunächst einmal gibt es sowieso keine angemessene Kompensation für die beiden Arbeiter, die kürzlich ums Leben gekommen sind. Unberücksichtigt bleiben aber auch die langfristigen Schäden, da diese gar nicht untersucht werden. Wenn wir all diese Schäden nachweisen könnten, finge die Firma wohl bankrott.

Wie ist denn die Stimmung in den umliegenden Orten?
Die Nachbarschaft ist aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der ungenügenden Kommunikation unzufrieden. Dies sagen sogar ehemalige Chemie-Arbeiter und Vertreter der lokalen Behörden. Natürlich gibt es auch immer „Loyalisten“, die keinerlei Kritik an der Chemieindustrie dulden.

Wie ist die Rolle der Medien? Wir haben oft erlebt, dass BAYER auf die Medien Druck ausübt, wenn diese offene Kritik äußern.
Ich bin sicher, dass BAYER auch in jüngster Zeit versucht hat, Druck auf die Medien auszuüben. Allerdings hat der eklatante Mangel an Informationen nach dem letzten Störfall auch die Feuerwehr und die staatlichen Behörden verärgert, weshalb sich die negative Berichterstattung nicht stoppen ließ. Das bedeutet aber nicht, dass die PR-Maschine von BAYER nicht auf Hochtouren laufen und die nächsten Medien-Manipulationen vorbereiten würde. So gab es jüngst ein Treffen der von BAYER gegründeten Anwohner-Kommission, ohne dass deren Mitglieder bei der Vorbereitung in irgendeiner Weise involviert gewesen wären. Die Veranstaltung war dann ein als Treffen von Anwohnern maskiertes Medien-Spektakel, eine bessere Pressekonferenz. Traurig daran ist, dass viele Leute BAYER glauben und die gebrochenen Versprechen vergessen werden.

Was sollte getan werden, um eine öffentliche Kontrolle der Chemieindustrie durchzusetzen?
Solange wir als Gesellschaft akzeptieren, dass unsere Gesundheit, die Umwelt und überhaupt unser Wohlergehen von Geschäftsinteressen dominiert wird, können wir meiner Meinung nach keine wirkungsvolle Kontrolle aufbauen, die uns vor den Giftstoffen in unserer Umwelt schützt.

Wir haben die Sicherheits-Situation in Institute in der vergangenen BAYER-Hauptversammlung diskutiert – vier Monate vor dem schweren Störfall vom August. Hilft Ihnen die Zusammenarbeit mit der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN?
Wir sind für diese Unterstützung sehr dankbar. Sie ist wirklich dringend notwendig.

Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus? Welche Unterstützung von außerhalb können Sie gebrauchen?
Generell sehen wir es als unsere wichtigste Aufgabe an, die umliegenden Gemeinden über die Risiken aufzuklären, so dass sie selbst aktiv werden können. Aktuell planen wir, unabhängige wissenschaftliche Studien in Auftrag zu geben, um den Zusammenhang von Erkrankungen in der Nachbarschaft der Werke und dem Ausstoß giftiger Chemikalien nachzuweisen. Auch wollen wir die Schaffung gesunder und nachhaltiger Arbeitsplätze unterstützen.
Gruppen von außerhalb können uns helfen, indem sie den Druck auf BAYER aufrecht erhalten. Auch Ideen, wie Alternativen zu diesen dreckigen Arbeitsplätzen geschaffen werden können, sind nützlich. Geld benötigen wir natürlich ebenfalls J. Vielleicht sollten wir einfach der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beitreten….

Maya Nye ist Musikerin und lebt in Charleston, West Virginia
Fragen: Philipp Mimkes und Axel Köhler-Schnura

alle Informationen zum BAYER-Werk Institute

[Lipobay] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

In Sachen „LIPOBAY“: Ex-Angestellte verklagt BAYER

Nach zahlreichen Meldungen über Todesfälle musste BAYER am 8. August 2001 den Cholesterinsenker LIPOBAY vom Markt nehmen. Wie gefährlich das Mittel ist, wusste der Leverkusener Pharma-Riese allerdings lange vorher. Darum verklagte eine ehemalige Angestellte den Konzern jetzt.

Von Jan Pehrke

Am 30. September 1998 standen bei einem BAYER-Meeting die Verkaufszahlen des Cholesterinsenkers LIPOBAY auf der Tagesordnung. Der damalige Pharma-Chef David Ebsworth zeigte sich enttäuscht über die Umsätze und schwor seine Mannschaft auf eine neue Werbe-Philosophie ein. „Andere Unternehmen greifen zu einer aggressiven Werbestrategie, gemäß der Devise: ‚Wir wissen nicht, wo die rechtliche Grenze ist, bis wir auf sie gestoßen sind'. Man muss das nicht gutheißen, aber es ist die Regel des Marktes und deshalb haben wir als Unternehmen ihr zu folgen. Die Zone ist grauer, als wir bislang wahrhaben wollen“, sprach der Manager.

Fortan betrieb der Global Player in Sachen „LIPOBAY“ die Ausweitung der Grauzone und ging dabei buchstäblich über Leichen. Der Konzern verharmloste die Risiken des Medikamentes, fälschte die Daten der klinischen Tests und kaufte MedizinerInnen. Die Marketing-Expertin Susan Blankett* erlebte das alles hautnah mit. Immer wieder versuchte sie, das gefährliche Spiel zu unterbinden, aber mit den Konzern-Bossen war nicht zu reden. Im April dieses Jahres entschloss sich Blankett schließlich, auszupacken und damit zum „whistleblower“ zu werden. Sie strengte gegen den Leverkusener Multi einen Prozess an. Die Klageschrift umfasst über 170 Punkte und bietet einen erschreckenden Einblick das Herz der Finsternis eines Pillen-Riesen.

Wer bislang vielleicht geglaubt hatte, ein Pharma-Hersteller müsste - wenn schon nicht aus Sorge um die PatientInnen, dann doch wenigstens um das eigene Ansehen - ein Interesse daran haben, das sicherstmögliche Medikament anzubieten, sieht sich nach der Lektüre des über 50-seitigen Dokumentes von seiner Gutgläubigkeit kuriert. Nach der Brandrede von Ebsworth bildete der Global Player für LIPOBAY ein Team aus den verschlagensten Marketing-Profis. Es stellte unter der Überschrift „The Science for Success“ fragwürdige Daten zusammen, wählte für die „Risiken und Nebenwirkungen“ die kleinste Schrift und nahm dafür eine Verwarnung seitens der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA billigend in Kauf. Bis die Institution reagieren würde, hätte man schon längst eine andere Kampagne in den Startlöchern, so das Kalkül, das auch aufging.

Anfang 1999 tauchten dann erste Meldungen über Muskelzerfall bei LIPOBAY-PatientInnen auf. Wegen dieser so genannten Rhabdomyolyse, die zu akutem Nierenversagen führen kann, musste BAYER das Mittel im August 2001 schließlich vom Markt nehmen. Hätte der Leverkusener Multi bereits nach dem Bekanntwerden der ersten Fälle gehandelt, wären über hundert Menschen am Leben geblieben. Aber den Konzern interessierte zu diesem Zeitpunkt nur, ob von den Konkurrenzpräparaten eine ähnliche Gefahr ausgeht. Susan Blankett erhielt den Auftrag, bei der FDA die entsprechenden Informationen einzuholen. Aus freien Stücken erkundigte sie sich auch nach den LIPOBAY-Nebenwirkungen und erfuhr Besorgniserregendes. Der hauseigene Cholesterinsenker sorgte für weit mehr Gegen-Anzeigen als vergleichbare Arzneien, was kein Wunder war, überstieg die Statin-Dosis von 0,3 Milligramm damals doch die der anderen Medikamente um einiges.

Kombinationswirkungen
Blankett mahnte deshalb in ihrem Bericht neue Untersuchungen an. Diese vermied BAYER jedoch tunlichst. „Was wir nicht wissen, brauchen wir der FDA auch nicht zu erzählen“ - an diese Maxime hielten sich die Pharma-ManagerInnen Blankett zufolge immer in solchen Fällen und strichen die entsprechende Text-Passage, um vor den juristischen Folgen ihrer Unterlassungssünde gewappnet zu sein. Auf die im Report erwähnten LIPOBAY-kritischen Artikel reagierten die Bosse ebenfalls nicht. Eine wenig später im AMERICAN JOURNAL OF CARDIOLOGY veröffentlichte Untersuchung über Rhabdomyolyse als Kombinationsnebenwirkung von LIPOBAY und Gemfibrozil-haltigen Arzneien rief hingegen eine Reaktion hervor: BAYER kaufte sich als „Opinion Leader“ geltende Professoren und schrieb in deren Namen einen alle Bedenken zerstreuenden Leserbrief an die Fachzeitschrift. Dann folgte eine Presseerklärung, in der der Pillen-Riese LIPOBAY und Fibrate wie Gemfibrozil wider besseren Wissens als das ideale Paar pries.
Schließlich wurde dem Konzern die Sache jedoch zu heiß. Er beschloss, sich abzusichern und die MedizinerInnen in einem Schreiben auf die möglichen Gemfibrozil-Komplikationen hinzuweisen. Nur lesen sollten es möglichst wenige. Also suchte der Multi die Adressaten sorgfältig aus. Zudem schickte er den Brief nicht wie geplant Anfang Dezember 1999 ab, sondern erst am 17., in der Hoffnung, er würde im allgemeinen Feiertagstrubel untergehen. Rückfragen der ÄrztInnen beantwortete BAYER erst gar nicht. Blankett zufolge galt das Schweigegebot: „Less said the better“. Eine ausdrückliche Warnung, den Cholesterinsenker nicht gemeinsam mit Gemfibrozilen zu verschreiben, erfolgte erst zwei Jahre später unmittelbar vor dem LIPOBAY-Aus. BAYER testete nämlich gerade selber eine Kombination von LIPOBAY mit dem von ABBOTT hergestellten Fibrat TRICOR und konnte deshalb keine schlechte Presse gebrauchen.

Viel hilft viel
Aber nicht nur für Gemfibrozil-PatientInnen stellte das BAYER-Statin eine Gefahr dar, auch Nierenkranke setzte es einer Bedrohung aus. Nichtsdestotrotz erhöhte das Unternehmen die ohnehin schon kräftige Dosis und pushte im August 2000 eine 0,8mg-Version auf den Markt. Mit einer Erfolgsquote von 84 Prozent bei den Kranken warb der Konzern, obwohl die ÄrztInnen-Information nur Werte von 53 bis 79 Prozent auswies und selbst hinter diesen Zahlen ein Fragezeichen steht, denn der Cholesterinspiegel einiger Test-TeilnehmerInnen war praktischerweise schon vor der LIPOBAY-Gabe im grünen Bereich.

Nach offizieller Maßgabe sollten die MedizinerInnen ihren PatientInnen zunächst die 0,4-Version verschreiben und erst nach eine Weile auf die 0,8er umstellen. Aber die Pharma-VertreterInnen hüteten sich davor, den ÄrztInnen ausdrücklich von einem Einstieg mit der höheren Dosis abzuraten. „Den Doktoren steht immer frei, das zu tun, was sie wollen“, hieß es in der Marketing-Abteilung. Der Leverkusener Multi hoffte nämlich auf das „Viel hilft viel“ und wollte LIPOBAY durch die Verdoppelung der Cerivastatin-Konzentration einen uneinholbaren Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen. Dass die stärkere Formulierung das Rhabdomyolyse-Risiko noch einmal beträchtlich erhöhte, nahm das Management dabei billigend in Kauf. Als ein Mitarbeiter bei einer Besprechung Sicherheitsbedenken geltend machte, erklärte BAYERs heutiger Forschungsvorstand Wolfgang Plischke das Meeting kurzerhand für beendet und verließ fluchtartig den Raum. Erst eine bevorstehende Risiko-Analyse der FDA veranlasste den Konzern dazu, das Praxis-Wissen über die Nebenwirkungen von LIPOBAY abzufragen. Obwohl das Ergebnis niederschmetternd war, folgte keine Aufklärungskampagne. Der Pharma-Riese spielte weiter auf Zeit und gab lieber weitere ÄrztInnen-Befragungen in Auftrag. Nur Roger Celesk von der Abteilung für Arzneimittelsicherheit wagte es bei einem Meeting in seinen einleitenden Worten, die in den USA bezeichnenderweise „field force“ genannten Außendienst-MitarbeiterInnen über die Sicherheitslage in Kenntnis zu setzen, weshalb er seine vorbereitete Rede nicht mehr halten durfte.
So erhielten die Pharma-VertreterInnen weiterhin geschönte Statistiken und Diagramme, BAYER-intern als „homemade bread“ - selbstgebackenes Brot - bezeichnet. „Ich habe noch nie einen Datensatz gesehen, der mir nicht gefallen hätte“, brüstete sich der Marketing-Direktor Eric Pauwels bei dieser Gelegenheit. Susan Blanketts Proteste blieben dagegen wirkungslos. Das gehe sie nichts an, sie solle sich da raushalten, bekam sie nur zu hören.

Geld hilft noch mehr
Parallel zu den Lieferungen perfekter LIPOBAY-Daten aus der BAYER-Versuchsküche entfalteten die Pillen-DreherInnen diverse Marketing-Aktivitäten. So verpflichtete der Konzern MedizinerInnen für Beobachtungsstudien mit dem Cholesterinsenker. Vordergründig ging es um die Wirksamkeit von LIPOBAY, in Wirklichkeit dienten die Tests, die den MedizinerInnen jeweils 750 Dollar einbrachten, nur dem Zweck, neue KundInnen für das Präparat aus Leverkusen zu gewinnen. „Ändern die ÄrztInnen bei den TeilnehmerInnen ihr Verschreibungsverhalten?“, diese Frage trieb den Pharma-Riesen bei dem Unterfangen um, und die AußendienstmitarbeiterInnen hatten sie zu beantworten: Die „Field Force“ war angehalten, der Zentrale genauestens über die „Konversion“ von Doktoren Bericht zu erstatten.

Darüber hinaus verschenkte der Multi Probepackungen en masse und initiierte Panels. 3.900 MedizinerInnen folgten dabei dem Lockruf des Geldes, um für eine Abendgage von 1.000 Dollar Vorträge über das Medikament zu hören. Diese wurden gehalten von den LIPOBAY-Verschreibungsweltmeistern unter ihren Kollegen. Ca. drei Millionen Dollar jährlich ließ BAYER sich diesen offiziell „Marktuntersuchung“ genannten Spaß kosten. Zur Produkteinführung des Cholesterinsenkers mit der 0,8mg-Wirkstoffkonzentration richtete BAYER dann Ende 2000 für 600 MedizinerInnen eine große Sause bzw. ein Symposion aus. Darüber hinaus fand der Global Player für ein Jahressalär von 100.000 Dollar in Antonio Gotto auch noch einen willigen Mediziner zur LIPOBAY-Lobpreisung auf allen Kanälen.

Der Rückruf
Aber dann brach das Kartenhaus doch zusammen. Keine noch so gut frisierte Statistik und keine noch so ausgefeilte Marketing-Strategie konnte über eine längere Zeit die Todesopfer vergessen machen, die das Medikament forderte. Im August 2001 musste BAYER das Mittel schließlich vom Markt nehmen - geschlagene zweieinhalb Jahre nach den ersten Meldungen über schwerwiegende Nebenwirkungen. Über 100 Sterbefälle und eine Vielzahl von teils lebensgefährlichen Gesundheitsstörungen - das war am Ende die LIPOBAY-Bilanz. Gelernt hat der Konzern aus dem Pharma-GAU nicht, obwohl dieser ihn auch ökonomisch schwer traf. So hat das Unternehmen jüngst bis zuletzt an seiner zur Blutstillung bei OPs eingesetzten Arznei TRASYLOL festgehalten, obwohl allein in der Bundesrepublik jährlich 300 PatientInnen daran starben und viele Studien seit langem die Gefährlichkeit des Präparates nachgewiesen hatten (SWB 4/07). Aber nicht nur der Leverkusener Multi handelt so; es ist „Business as usual“ in der Pharma-Branche. Nachdem die website pharmalot einen Artikel über Susan Blanketts Fall veröffentlicht hatte, meldete sich ein User im Forum: „Ich arbeite seit vielen Jahrzehnten in dieser Industrie. Was ich in der LIPOBAY-Klage lese, ist die übliche Praxis“.

*Name von der Redaktion geändert

[30 Jahre] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

Yes we can!

30 Jahre Coordination gegen BAYER-Gefahren

Einem mächtigen multinationalen Konzern die Stirn bieten? Die Coordination gegen BAYER-Gefahren tut dies seit 30 Jahren. Mit Erfolg. Gegen die Einschüchterungsversuche der Konzernmacht setzt sie ihr ihr entschlossendes „Yes we can!“
Von Gründungsmitglied Axel Köhler-Schnura

Alles begann mit zwei Großunfällen im Wuppertaler BAYER-Werk im Mai und im Juni 1978. Im Rahmen der auf diese Beinahe-Katastrophen folgenden AnwohnerInnen-Proteste gründete sich eine BürgerInneninitiative. Arbeitete diese Gruppe zunächst nur lokal in Wuppertal, so vernetzte sie sich bereits 1979 mit Menschen und Organisationen an anderen BAYER-Standorten. Und ab 1980 auch international. Die „Wuppertaler Bürgerinitiative gegen BAYER-Umweltgefährdung“ entwickelte sich zur „Coordination gegen BAYER-Gefahren“ (CBG). Das weltumspannende Selbsthilfe-Netzwerk der CBG war geboren - trotz ähnlicher Versuche andernorts einzigartig bis heute.

> Erstmals stellte sich eine Gruppe von Menschen einem Konzern über alle Problemfelder hinweg entgegen; üblicherweise beschränkt sich Konzernkritik auf ein einzelne Themen. Die CBG aber bezieht von Abwasser über Nanotechnologie und Tarifbedingungen bis Zyklon B alles gleichermaßen ein, egal ob es sich um ökologische, politische, soziale, technologische oder noch andere Probleme handelt.

> Ebenso erstmals hatte eine zu einem multinationalen Konzern arbeitende Gruppe sich konsequent international vernetzt; üblicherweise arbeiten die Organisationen regional oder national begrenzt. Zwar gibt es eine Vielzahl international arbeitender „Dachverbände“, international aktive Netzwerke sind selbst heute noch ausgesprochen selten. Die CBG arbeitet über alle Ländergrenzen hinweg, unabhängig von Sprache und staatlicher Verfassung.

> Erstmals begann eine Gruppe, sich kontinuierlich und auch historisch systematisch mit einem multinationalen Unternehmen auseinanderzusetzen; üblicherweise wird zwar immer wieder Kritik an den Konzernen geübt, auch an BAYER, aber diese bricht immer wieder ab und es sind auch immer wieder andere Gruppen und Personen, die Kritik üben. Die CBG arbeitet seit 30 Jahren kontinuierlich, bezieht so systematisch wie möglich sämtliche weltweit auftauchende Kritik in ihre Arbeit ein und stellt sie zudem möglichst umfassend in den historischen Kontext beginnend mit der Gründung des BAYER-Konzerns im Jahr 1863.

> Erstmals versuchte eine konzernkritisch arbeitende Gruppe bzw. ein Netzwerk konsequent und umfassend die innerbetrieblichen Interessen mit den außerbetrieblichen zu verbinden; üblicherweise geschieht dies nicht, weil sich die Belegschaften und die AnwohnerInnen bzw. andere Interessengruppen wie Tier- und Umweltschützer, Patienten-Selbsthilfegruppen etc. fremd gegenüberstehen und vom Kapital und seinen Medien auseinanderdividiert werden. Die CBG hat dies von Anfang an zu überwinden versucht und die betrieblichen und außerbetrieblichen Interessen der Menschen zusammengeführt.

Die Entstehung der Wuppertaler BürgerInneninitiative und später dann des eigentlichen Netzwerkes der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) fiel in eine politisch sehr aktive Zeit. Zwar waren die großen Revolten der sechziger Jahre in USA, Japan und Europa vorüber, aber nicht zuletzt in deren Schatten hatte sich in der westlichen Welt ein mehr oder weniger großer antikapitalistischer Grundkonsens etabliert. In vielen Ländern führte er zu einem politischen Linksruck, gar zu Revolutionen oder sozialistischen/kommunistischen Regierungen, aber auch in den Hauptländern des Kapitalismus zum Erstarken linker antikapitalistischer Positionen. Parallel dazu traten die ökologischen Probleme verstärkt auf die politische Bühne und es entwickelte sich eine starke Ökologiebewegung.

Vor diesem Hintergrund war es nur konsequent, dass ein Netzwerk wie die Coordination gegen BAYER-Gefahren entstand. Ein konzernkritisches Netzwerk, das am Beispiel eines der großen multinationalen Konzerne konkrete Probleme mit allgemeinen politischen Forderungen und Handlungsansätzen verbindet, das Probleme, egal ob sozial, ökologisch, politisch oder sonst wie geartet, übergreifend dem polit-ökonomischen Problem kapitalistischer Konzernmacht und der Profitwirtschaft zuordnet. Allerdings ist erstaunlich, dass ein solches Netzwerk nur im Fall der CBG dauerhaft erfolgreich Bestand hat, dass es international nur wenige andere Versuche gab und dass diese nur kurze Zeit überdauerten. Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass in der CBG sich bereits sehr früh eine Reihe grundlegender Prinzipien herausbildeten und diese gründlich verankert wurden. Dazu gehören:

> Solidarität
Über allem steht das Prinzip der Solidarität. Gegen die Macht des BAYER-Konzerns setzt die Coordination gegen BAYER-Gefahren die Solidarität der Menschen. Dabei wird weder nach Hautfarbe, nach Religion noch nach Weltanschauung gefragt. Über alle Länder- und weltanschaulichen Grenzen hinweg wird praktische und aktive Solidarität mit allen geübt, die - direkt oder indirekt - durch BAYER Schaden an Besitz, Leib und Leben nehmen, an der Entfaltung ihres Lebens gehindert werden oder in ihren Rechten beeinträchtigt sind. Nicht das Trennende, sondern das Verbindende, die gemeinsame Betroffenheit durch die Macht bzw. den Machtmissbrauch des BAYER-Konzerns, steht im Vordergrund. Das erfordert Toleranz, nicht jede Gruppe, nicht jeder Netzwerkpartner hat gleiche Sichtweisen, dennoch gibt es ein solidarisches Miteinander. Das bereits schließt übrigens auch jedweden Rassismus aus.

> Gegen Rechtsradikale und faschistische Ideologien
Zu diesem Prinzip gehört untrennbar, dass Solidarität und Toleranz ihre Grenze finden bei rechtsradikalen und faschistischen Kräften. Nicht nur, weil diese rassistisch ausgerichtet sind, sondern weil sie eine verbrecherische Ideologie vertreten. Zudem war der BAYER-Konzern maßgeblich mit verantwortlich an Installation und Durchführung des Terror-Regimes des Hitler-Faschismus. Entsprechend werden faschistische, rechtsradikale Kräfte nicht nur aus dem Netzwerk ausgegrenzt, sondern die CBG kritisiert diese Ideologie auch aktiv.

> Netzwerk
Als andere den Begriff „Netzwerk“, der erst seit Beginn der 90er Jahre in aller Munde ist, noch nicht einmal kannten, machte sich die CBG bereits daran, ein solches zu errichten. Kein kleines lokales oder regionales, nein gleich ein mächtiges internationales. Wichtig dabei ist, dass die CBG selbst nicht ein Netzwerk ist, sondern dass sie Bestandteil eines - wenn auch entscheidend von ihr aufgebauten und geschaffenen - Netzwerkes ist. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) ist Gleiche unter Gleichen. Sie handelt ebenso wie alle anderen im Netzwerk kooperierenden Partner eigenverantwortlich und in eigenem Namen. Alle Gruppen und Personen im Netzwerk, auch die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), entscheiden über ihre Aktivitäten, über die Zusammenarbeit mit anderen wie auch über den Charakter, das Ausmaß und den Zeitraum der Kooperation selbst und unabhängig. Zugleich findet innerhalb des Netzwerkes eine rege und sehr umfassende nationale und internationale Kommunikation statt. Auch wächst das Netzwerk, es wird von allen gemeinsam kontinuierlich quantitativ und qualitativ ausgebaut.

> Koordinationsaufgabe
Die CBG selbst versteht sich als koordinierende Kraft im Netzwerk. Freiwillig, aber durchaus auch neben bzw. mit anderen Netzwerkpartnern, übernimmt sie den Austausch im Rahmen des Netzwerkes, die Kontinuität der Aktivitäten und den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kooperation zu fördern und zu entwickeln. Darüber hinaus entwickelt die CBG aber auch zahlreiche eigenständige BAYER- und konzernkritische Aktivitäten und Kampagnen.

> Benennung der kapitalistischen Ursachen
Von Anfang an war die CBG radikal im Sinne dieses Wortes: Sie blieb nicht an der Oberfläche der Probleme stehen, sondern drang zu den Wurzeln durch. Das genau bedeutet nämlich radikal. Im Fall von BAYER - wie auch bei den meisten anderen Problemen - ist die Wurzel im Diktat des Profits zu finden. Der sich aus der kapitalistischen Verfasstheit ergebende Zwang zum Profit ist die tiefere Ursache für soziale, ökologische und politische Probleme - bei BAYER und anderswo. Verantwortlich für das Profit-Prinzip sind die hinter BAYER stehenden großen Kapitalgeber, die Großaktionäre, die Kapitalisten halt. Sie verlangen Dividende, die ökologischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen und Konsequenzen sind ihnen egal. Diese Benennung der Ursachen hat einen wichtigen Nebeneffekt: Bei aller Verschiedenheit der Themen wird das zu Grunde liegende gemeinsam Problem für die auf verschiedenen - ökologischen, sozialen und politischen - Feldern aktiven Gruppen und Personen deutlich und eint sie dadurch.

> Vision
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) verfügt aber auch über eine Vision. Es ist die Vision von einer umweltgerechten und menschenfreundlichen Produktion bei BAYER (und überall). Möglich wird dies nur über die Abschaffung des Profitprinzips und die Schaffung einer auf Solidarität ausgerichteten Organisation des Konzerns (und der gesamten Gesellschaft). BAYER steht dann zum Wohle der Menschheit und der Umwelt selbstverständlich unter gesellschaftlicher Kontrolle und folgt Prinzipien des Friedens, des Umweltschutzes, der Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit.

> Öffentlichkeit
Die Herstellung maximaler Öffentlichkeit ist für die CBG von zentraler Bedeutung. Es war schon zu Zeiten der Wuppertaler BürgerInneninitiative klar, dass die Konfrontation mit einem Konzern nur unbeschadet und erfolgreich Bestand hat, wenn sie auf breite öffentliche Unterstützung baut. „Alleine bist Du verloren, gemeinsam sind wir stark!“ - diese uralte Erfahrung aller Bewegungen gegen Unterdrückung und Ausbeutung macht sich die CBG immer wieder neu zu eigen. Unermüdlich baut die CBG diese Öffentlichkeit aus. Dazu gehört übrigens auch, dass den Verlockungen von vertraulichen Dialogen, von Vieraugen-, Kamin- und anderen Gesprächen mit dem Konzern nicht nachgegeben wird. Alle Auseinandersetzungen, Diskussionen und Gespräche müssen grundsätzlich öffentlich stattfinden.

> Konsequent
Klar ist für die CBG auch, dass die Auseinandersetzungen mit dem Konzern konsequent geführt werden müssen, sollen sie von der breiten Öffentlichkeit verstanden und getragen werden. Taktieren und falsche Kompromissbereitschaft erübrigen sich, direkte Aktionen, das unumwundene Benennen der Zusammenhänge sind zwingend. Die Verantwortlichen - nämlich nicht „der Konzern“, sondern die verantwortlichen Manager und die verantwortlichen Großaktionäre - müssen beim Namen genannt werden. Entsprechend nutzt die CBG regelmäßig die AktionärInnenhauptversammlungen des BAYER-Konzerns als Tribüne der Auseinandersetzung und legt dort Jahr für Jahr eine Bilanz der sozialen, ökologischen, technologischen, politischen und anderen Folgen der Profitgier der AktionärInnen und des Managements ab.

> Unabhängigkeit
Wichtig ist, dass die CBG sich stets nur auf die eigenen Kräfte verlässt. Sie leistet nur, was sie selbst schaffen und finanzieren kann. Weitestgehende Ehrenamtlichkeit ist ebenso selbstverständlich wie höchstmögliche Qualität der Arbeit und maximale Effizienz. Inhaltliche Unabhängigkeit gibt nicht nur Spielraum, sondern auch Selbstvertrauen. Es gibt keine finanziellen Abhängigkeiten von irgendwelchen Fördertöpfen (die bleiben der CBG aufgrund ihrer als Radikalität interpretierten konsequenten konzernkritischen Haltung sowieso verschlossen), sondern entscheidend sind die vielen tausend 5-Euro-Spenden, die „GarantInnen“, die mit größeren Spenden helfen und die vielen Fördermitglieder, die mit regelmäßigen Förderbeiträgen die Arbeit sichern.

> Beispielcharakter
Und schließlich ist es ein Prinzip der Coordination gegen BAYER-.Gefahren (CBG), dass sie sich zwar auf BAYER konzentriert, aber ihre Arbeit zugleich lediglich als Beispiel versteht. Die CBG unterstützt aktiv und umfangreich konzernkritische Arbeit ganz allgemein. Zwar ist BAYER ein großer Chemiehersteller, aber als solcher steht er nicht nur stellvertretend für die gesamte chemische Industrie, sondern für die gesamte Konzern-Riege in aller Welt. Auch wenn sich die Konzerne in der Tat untereinander feindlich gegenüberstehen, so funktionieren sie doch nach dem gleichen Prinzip, dem Profit-Prinzip, und gleichen sich entsprechend. Ein Problem mit und bei BAYER lässt sich also nicht nur auf andere Konzerne der gleichen Branche übertragen, sondern auch auf jeden beliebigen anderen Konzern.

Auch wenn die verschiedenen im Rahmen der CBG kooperierenden Gruppen und Personen - immerhin heute 85.000 weltweit - eigenständig und eigenverantwortlich handeln, haben sie durch die Zusammenarbeit im Rahmen des Netzwerkes doch einige entscheidende Vorteile:

> Schneller KnowHow-/Wissenstransfer
Die Gruppen im Netzwerk profitieren von den Erfahrungen der jeweils anderen. Betroffene, die anfangen sich mit dem Konzern auseinanderzusetzen, müssen sich nicht immer wieder neu mühsam Wissen und Erfahrungen aneignen, sie können auf den Erkenntnissen anderer aufbauen, die sich ebenfalls mit BAYER auseinandersetzen oder aber in der Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Und das vor allem sehr schnell und unkompliziert.

> Größere Wirkung
Der Widerstand und die Kritik erhalten durch die Bündelungen und Kooperationen im Rahmen des Netzwerkes größere Wirkung, weil nicht nur verschiedene AkteurInnen mit gleichen Themen gemeinsam handeln können, sondern weil die CBG ihrerseits die Kritik aufgreift und in geeigneter Weise die Konzernzentrale in Leverkusen/Deutschland damit konfrontiert.

> Größere Öffentlichkeit
Kritik und Widerstand erlangen eine deutlich breitere Öffentlichkeit. Hing vorher die öffentliche Resonanz einzig von der Kraft der jeweiligen Akteure ab, blieben vorher die Probleme in Ländern der Dritten Welt oder an abgelegenen Standorten sogar gänzlich unbeachtet, so sorgt jetzt die Zusammenarbeit im Netzwerk für weltumspannende Beachtung in der interessierten Öffentlichkeit und in der internationalen Medienlandschaft.

Die Entstehung eines solch konsequent konzernkritischen Netzwerkes blieb nicht ohne Reaktion von BAYER. Und wenn man BAYER sagt, meint man die Macht, die Politik, die gesellschaftlichen Eliten. Denn der Konzern, die hinter dem Konzern stehenden Großaktionäre und das Management, sind in vielfacher persönlicher und institutioneller Weise mit wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Macht verwoben. National und international. Die Reaktion auf die Gründung und das Wirken der CBG kam prompt und mit großer Gewalt. Und sie hält bis heute an. Dabei lassen sich mehrere wesentliche Methoden nennen:

> Antikommunismus
Bereits seit dem Tag, da sich die Wuppertaler Bürgerinitiative im August 1978 nicht bereit fand zu „vertraulichen Gesprächen“ mit BAYER, war für die Verantwortlichen im Konzern klar, dass es keine „freundliche Übernahme“ wie bei zahllosen anderen Organisationen und KritikerInnen gegen würde. Die BAYER-Öffentlichkeitsarbeit holte die schärfste Waffe aus dem Arsenal: Antikommunismus. Spätestens seit Thomas Mann wissen wir: „Die Grundtorheit des Jahrhunderts ist der Antikommunismus.“ Und seit Albert Schweitzer: „Kaum sagt man ein kluges Wort, schon ist man Kommunist.“ Und tatsächlich, noch immer ist der Antikommunismus ein Totschlagargument, das von der sachlichen Auseinandersetzung auf eine diffuse unsachliche Ebene ablenkt, das mit Argumenten nicht ausgeräumt werden kann und das maximal diffamiert. Um die antikommunistische Argumentation zu erhärten, ließ BAYER sogar einmal Werkschutzleute mit DKP-Fahnen aufmarschieren. So sollte der Eindruck erweckt werden, die CBG sei fest in DKP-Hand. Tatsächlich jedoch sind Kommunisten in der CBG ausgesprochen rar (der Autor dieses Beitrags ist eines der wenigen DKP-Mitglieder).

> Diffamierungen
Der Antikommunismus wird ergänzt durch eine endlose Palette von Diffamierungen. BAYER-Kritik kann noch so qualifiziert sein, die kritischen Fachleute können Doktoren- und Professorentitel haben, so viel sie wollen, stets ist alles, was sie sagen „unsubstanziiert“ und „unqualifiziert“; „falsch“, „unbegründet“ und „unsachlich“ ist es sowieso. Den Gipfel der Diffamierung bildet die nachgewiesenermaßen von einem BAYER-Werkschutz-Mann lancierte Meldung in einer Kölner Zeitung: „Coordination gegen BAYER-Gefahren plant Sprengstoffanschläge auf Chemie-Transporte.“

> Spaltung
Immer wieder versucht der Konzern zu spalten. In „gute“ Kritiker, mit denen man „sachlich“ und „vernünftig“ reden könne, und solchen, die „kommunistisch gesteuert“ seien, denen es lediglich um „Diffamierung und Krawall“ gehe, die „Argumenten nicht zugänglich“ seien. Um solche Spaltungen zu realisieren, lädt der Konzern gern zu (vertraulichen) „Kamingesprächen“ ein, spendet reichlich und unterhält große Förderprogramme für alles Mögliche. Darunter zynischerweise auch Projekte zur Bekämpfung der Armut oder zum Schutz der Umwelt. So gelang es dem Konzern beispielsweise auch einmal, einen Kampfstoff-Kritiker der „Wissenschaftler für den Frieden" als Chef-Genetiker einzukaufen.

> Mittelentzug
Bereits 1983 wurde aktenkundig wie systematisch dafür gesorgt wurde, das konsequenter BAYER-Kritik die finanziellen und organisatorischen Mittel entzogen werden sollen. Der Polizeipräsident von Wuppertal wirkte in ungesetzlicher Weise auf das Amtsgericht Solingen ein, um die Vereinszulassung und jede „Förderung zu unterbinden“. Dieses historisch wertvolle Dokument gelangte durch eine einstweilige Verfügung der CBG in unseren Besitz und wurde so öffentlich. Doch es nützte nichts, bis zum heutigen Tag wird der Coordination gegen BAYER-Gefahren die Gemeinnützigkeit verweigert. Und viele andere verweigern die sonst für Umweltschutz, Entwicklungspolitik etc. übliche Förderung gleich mit: Von der grünen Partei („Wenn Ihr Euch mit BAYER anlegt, seid Ihr selber schuld“) bis zu kirchlichen Fonds („der Kirchenkreis Leverkusen legt sein Veto ein“).

> Anzeigen-Entzug
Um die Berichterstattung über die CBG zu unterbinden, setzt der Konzern immer wieder kurzerhand die Pressefreiheit außer Kraft. Kaum wird bekannt, dass es eine Berichterstattung geben wird (und es wird meistens bekannt, denn kaum ein Journalist wagt es, ohne Einholung einer Stellungnahme beim Konzerns zu berichten), schaltet der Konzern die Chefredaktionen ein und verlangt ultimativ die Streichung des entsprechenden Beitrags. Bei Rundfunk- und Fernseh-Medien selbst noch bei laufender Sendung. Monitor strahlte mit versteckter Kamera gefilmt die Schulung von BAYER-Öffentlichkeitsverantwortlichen aus allen Werken der Welt aus. Dort hieß es: „Wenn Ihr ein Problem mit ungenehmer Berichterstattung habt, meldet es zu uns, zum Headquarter, wir werden es abstellen.“ Wer dennoch berichtet, muss mit Bestrafung rechnen, mit Anzeigenentzug und Schlimmerem. Selbst STERN und SPIEGEL mussten auf viele Werbemillionen von BAYER verzichten, „damit die Jungs in Hamburg mal lernen, wer hier das Sagen hat!“ (BAYER-Öffentlichkeitschef Springer).

> Prozesse
Natürlich nutzt der Konzern auch die Macht seiner Rechtsabteilung und zugekaufte Legionen von Star-AnwältInnen. Die längste Prozess-Serie gegen einen Kritiker dauert nun schon 40 Jahre und hat dem betreffenden widerborstigen Düsseldorfer nicht nur sein Vermögen gekostet, sondern auch die Gesundheit. Bereits zu Beginn der Prozessfolter wurde ein BAYER-Strategie-Papier bekannt, in dem klipp und klar zu lesen steht, dass der Prozess für den Konzern „juristisch nicht zu gewinnen“ sei und deshalb auf „physiklischen Sieg“, also Prozess bis zum Tod des Gegners, gesetzt werden müsse. Die CBG hat in einer endlosen Zahl von Fällen miterleben müssen, wie Menschen, Organisationen und selbst Regierungen vor BAYER in die Knie gegangen sind, obwohl sie nach allen Regeln des gesunden Menschenverstands und auch nach dem Verständnis angesehener JuristInnen alles Recht der Welt auf ihrer Seite hatten.

> Bespitzelung
Nicht nur der Werkschutz bespitzelt die KritikerInnen umfangreich, auch Verfassungsschutz und Geheimdienste sind am Werk. In einem der Prozesse rühmte sich ein BAYER-Anwalt in einer Stellungnahme zu einem von der CBG vorgelegten BAYER-internen Spitzel-Protokoll, dass der Konzern „natürlich seine Gegner überwacht und sich über jeden Schritt Information beschafft“. Immer wieder gibt es Hinweise, dass die Kommunikation von Mitgliedern der CBG kontrolliert wird und dass ihre Reisen überwacht werden. Einmal wurde der Autor von einem Zivilfahrzeug gestoppt und um eine Geldbuße erleichtert: „Wir haben den Auftrag, Sie zu überwachen und waren hinter Ihnen, als Sie vorhin das Stopp-Schild überfahren haben.“

> Bedrohung
Doch auch Bedrohung und Gewalt wird angewandt. Werkschützer gingen schon handgreiflich gegen Transparente und Flugblätter vor, schlugen auch auf öffentlichem Gelände zu, wenn grade keiner schaute und versuchten Kritiker mit dem Wagen über den Haufen zu fahren. Inwieweit unter der Tür durchgeschobene Morddrohungen in BAYER-Büros verfasst wurden, ließ sich bis heute nicht nachweisen. Ebenso wurden die Einbrüche in die CBG-Geschäftsstelle und die Anwaltsbüros der CBG nie geklärt. Die Herkunft von Zetteln mit Morddrohungen hinter dem Scheibenwischer, auch am Wagen des Autors, konnten natürlich ebenfalls nie ihrer Anonymität entrissen werden.

Das Umfeld der CBG hat sich im Laufe ihrer Existenz immer wieder entscheidend gewandelt. Waren in den Anfangszeiten Rolle und Bedeutung des Profits und der Konzerne gesellschaftlich breit verankert, so hat sich das durch die Sozialdemokratisierung der politischen Linken, durch die gleichzeitige kontinuierliche Entwicklung der Sozialdemokratie selbst nach rechts, durch die damit einhergehende Anbiederung der Gewerkschaften an das Kapital und durch die vom Kapital aufgrund dieser Entwicklungen erfolgreich betriebene weltweite neoliberale Wende (bis hin zum Ruin der Sowjetunion und der europäischen sozialistischen RGW-Staaten) dramatisch verändert. Begriffe wie „Profit“ und „Kapitalismus“ waren - obwohl grundlegende wirtschaftswissenschaftliche Kategorien - plötzlich der „Jargon von Ewiggestrigen“. Damit wurde nicht nur die Existenzsicherung der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) schwierig, der Konzernwiderstand insgesamt erlitt große Niederlagen. Reihenweise gingen konzernkritische ebenso wie linkspolitische Gruppen und Organisationen zu Grunde. Es wurde für die CBG sehr schwer in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern das Netzwerk auszubauen und auf breite Solidarität gegründete Aktivitäten durchzuführen.

Erst Mitte der 90er Jahre wurde breiten Bevölkerungsteilen und auch in größeren Teilen der politischen Bewegungen diese von den Herrschenden suggerierte Selbstzensur bewusst. Der Blick auf die gesellschaftlichen, die politischen und wirtschaftlichen Realitäten wurde wieder klarer. Befördert übrigens vom Kapital selbst, das in seinem Profit-Höhenflug die Dinge unverhohlen beim zutreffenden Namen nannte und die Verhältnisse zurecht rückte: Der Kapitalismus wurde Kapitalismus und der Profit wurde Profit genannt. Dennoch war der weltweite breite antikapitalistische Widerstand zusammen mit den sozialistischen Ländern zusammengebrochen, die Bundeswehr hatte ungehindert den Auftrag bekommen, „Rohstoffe und Märkte für die deutsche Wirtschaft zu sichern“, die USA und andere Großmächte brachen fürchterliche Kriege vom Zaun, auch Deutschland zog erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges wieder in den Krieg, die sozialen Systeme wurden mehr und mehr zerschlagen, die Errungenschaften der Arbeiterbewegung wie der 8-Stundentag wurden rückgängig gemacht usw. usf..

Erst im neuen Jahrtausend kam neu formierter Widerstand wieder zur Wirkung. Die weltumspannende Sozialforumsbewegung schreckte die Herrschenden aus ihrer selbstgefälligen Ruhe, mächtige Streikwellen rollten durch die Länder, selbst Deutschland blieb nicht davon verschont, in einigen Ländern Lateinamerikas und Asiens wurde der Sozialismus wieder neu auf die Tagesordnung gesetzt und im antikommunistischen Deutschland kann sich eine Partei wieder „Die Linke“ nennen, Marx und das kommunistische Manifest zitieren und trotzdem zweistellige Wahlergebnisse einfahren.

In all diesen 30 Jahren, um die es in diesem kurzen Schnelldurchgang geht, hat die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) erfolgreich gearbeitet. Sie ist nicht zu Grunde gegangen, sie hat nicht an Wirksamkeit und Bedeutung verloren, es ist BAYER nicht gelungen, sie zu ruinieren, sie hat nicht ihren Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Nein, das alles hat sie nicht. Im Gegenteil, sie ist unbeirrt ihren Prinzipien treu geblieben, hat konsequent ihr Kerngeschäft, die BAYER-Kritik, betrieben und hat sowohl das internationale Netzwerk als auch die Zahl der Mitglieder und SpenderInnen deutlich ausgebaut.

Und jetzt schlägt die weltweite Finanzkrise zu. Das kapitalistische Hochprofit-Gebäude, errichtet von Konzernen und Banken im Auftrag von mächtigen Kapitalbesitzern, von denen die nach dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin FORBES ermittelten 1.125 Reichsten mit 4,4 Billionen US Dollar soviel besitzen wie die 145 ärmeren Länder der Erde mit zusammen einem Drittel der Weltbevölkerung (2,1 Milliarden Menschen). Was diese Weltkatastrophe bringen wird, ist derzeit unklar. Mit Sicherheit steht fest: Nichts Gutes für die Menschen und die Umwelt. Bereits heute muss eine Milliarde Menschen hungern, immerhin 1/6 der Menschheit.

Werden Globalisierung und Finanzkrise die Coordination gegen BAYER-Gefahren in die Knie zwingen? Tatsache ist, dass ebenso wie die Realeinkommen der Bevölkerung die Einnahmen der CBG gesunken sind. Sie liegen nominal auf dem Niveau von 1993. Doch Mut macht, dass die Zahl der Mitglieder und SpenderInnen ungebrochen wächst (auch wenn zugleich die Summe der Beiträge und Spenden sinkt). Das zeigt, dass der Rückhalt der CBG, die Unterstützung für das Netzwerk, die Zustimmung zur konzernkritischen Arbeit auf wachsende öffentliche Unterstützung stößt. Und das gibt Gewissheit, dass die Coordination gegen BAYER-Gefahren ihre Arbeit auch weiterhin erfolgreich wird machen können. Nötig ist sie sowieso, denn Klimakatastrophe und Finanzkrise machen die Verantwortung der Konzerne klar wie nie zuvor. Was wiederum deutlich macht, dass das Profitsystem und die Macht des großen Kapitals gebrochen werden müssen. Die CBG wird sicher auch weiterhin ihren Beitrag am Beispiel des BAYER-Konzerns dazu leisten. Yes wie can!*

[Phosgen] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

China, Dormagen, Brunsbüttel, Krefeld

Erweiterung der Phosgen-Produktion

Anfang Oktober kündigte der BAYER-Konzern an, die Herstellung der Kunststoffe Polyurethan und Polycarbonat auszuweiten. Hiermit verbunden wäre eine drastische Erhöhung der Produktion von Phosgen, einem tödlichen Atemgift. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert BAYER auf, phosgenfreie Verfahren zur Serienreife zu bringen, um die Risiken für Anwohner und Belegschaft zu verringern.

von Philipp Mimkes

Der BAYER-Konzern kündigte Anfang Oktober an, in den Werken Dormagen und Brunsbüttel die Herstellung von Toluylendiisocyanat (TDI) stark auszuweiten. Im Werk Krefeld-Uerdingen will das Unternehmen zusätzlich die Produktion von Polycarbonat vergrößern. In Shanghai/China entsteht derweil eine komplett neue TDI-Anlage.
In Dormagen soll die TDI-Produktion auf jährlich 300.000 Tonnen verfünffacht werden, im Werk Brunsbüttel sollen statt 160.000 bis zu 400.000 Tonnen hergestellt werden. Beide Erweiterungen hat BAYER noch nicht bei den Behörden beantragt. Anders sieht es bei der TDI-Anlage in Shanghai aus, die auf eine Jahreskapazität von 250.000 Tonnen ausgelegt ist und sich bereits im Bau befindet.
Allerdings brach im November die Nachfrage nach Kunststoffen weltweit ein. BAYER reagierte mit der Ankündigung, die Investition in Brunsbüttel zu überprüfen. Momentan ist nicht abzusehen, welche Projekte die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise überstehen werden oder erst später realisiert werden.

Giftgasproduktion wächst
TDI ist ein Vorprodukt von Polyurethan, das u.a. in Schaumstoffen, Dämm-Materialien und Lacken verwendet wird. Polycarbonate werden bei der Herstellung transparenter Kunststoffe eingesetzt, u.a. für CDs und Wasserflaschen.
In der TDI- und Polycarbonat-Herstellung werden jährlich Zehntausende Tonnen Phosgen verwendet. Phosgen gehörte im 1. Weltkrieg unter dem Namen „Grünkreuz“ zur ersten Generation tödlicher Giftgase. Durch die geplanten Erweiterungen würde der Einsatz von Produktion entsprechend steigen. Die Phosgenproduktion gehört nach Atomkraftwerken zu den risikoreichsten Industrie-Anlagen in Deutschland.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und der BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ (BUND) forderten den Konzern daher in einer Stellungnahme auf, phosgenfreie Verfahren zur Produktion von Kunststoffen zu entwickeln. Nur so ließe sich die Gefährdung der Anwohner und der Belegschaft verringern. Technisch wäre es möglich, Polyurethan auch ohne Phosgen herzustellen, BAYER hat entsprechende Verfahren jedoch nicht zur Produktionsreife entwickelt bzw. hat die notwendigen Patente nicht erworben. Im Fall von Polycarbonat werden phosgenfreie Anlagen sogar schon eingesetzt. Dennoch will BAYER in beiden Fällen weiter auf Phosgen setzen - bei einer Lebensdauer der Anlagen von bis zu 35 Jahren würde diese gefährliche Produktionsweise dadurch jahrzehntelang festgeschrieben.

Gefahr für Mitarbeiter
TDI ist giftig, stark ätzend und kann zu Lungenödemen und asthmatischen Erkrankungen führen. Ein ehemaliger BAYER-Arbeiter, der jahrelang TDI-Dämpfen ausgesetzt war und schwere Gesundheitsschäden erlitt, reichte Anfang Oktober Klage gegen BAYER ein.
Hinzu kommen die Störfall-Risiken: Im Jahr 1997 platzte in der Dormagener Polyurethan-Produktion ein Reaktor, zwölf Tonnen krebserregender Chemikalien spritzten bis über die Werksgrenze. Noch schlimmer betroffen waren die TDI-Anlagen im amerikanischen Baytown: 2004 und 2006 gab es schwere Explosionen, bei denen tonnenweise gefährliche Chemikalien austraten. 22 Arbeiter wurden verletzt, die Produktion musste monatelang eingestellt werden (siehe STICHWORT BAYER 4/2006). Die Wucht der Detonationen hätte durchaus auch Phosgenleitungen zerstören können.
Wie gefährlich die Phosgenproduktion für die Anwohner von Chemiewerken ist, zeigt eine worst case-Analyse des TÜV aus dem Jahr 1978: “Innerhalb der ersten zehn Sekunden nach dem Unfall würde jedes Lebewesen im Umkreis von einhundert Metern augenblicklich getötet. Da sich aber die Phosgen-Wolke sehr schnell über das Werksgelände hinaus ausbreiten würde, hätte der Gas-Ausbruch auch für weite Teile der Bevölkerung tödliche Folgen: Innerhalb einer halben Stunde wäre in einem Areal von 1,7 Quadratkilometern jeder Mensch einer Dosis ausgesetzt, die bei jedem Zweiten zum Tode führt. Das sind bei einer mittleren Bevölkerungsdichte wie zum Beispiel im Raum Köln über 2100 Personen. In der zweiten, sogenannten B-Zone, einem Gebiet von 6,75 Quadratkilometern wären die Bewohner (ca. 17.000 Personen) einer Dosisbelastung ausgesetzt, die zumindest im Einzelfall bereits zum Tode eines Menschen geführt hat. Die Folgen für die Betroffenen in der Region: anfänglich Hustenreiz, Brennen der Augen, Kopfschmerzen, Erbrechen, nach einigen Stunden dann Lungenödem” (zitiert nach: “Seveso ist überall - die tödlichen Risiken der Chemie” von Egmont R. Koch und Fritz Vahrenholt).

regelmäßige Produktionsausweitung
Die Kunststoff-Produktion im Krefelder BAYER-Werk wurde schon mehrfach erweitert, zuletzt im Jahr 2002 als die Herstellung von Polycarbonat und Polyurethan um 100.000 bzw. 24.000 Tonnen erhöht wurde. Allein mit dieser – verglichen mit den nun geplanten Erweiterungen kleinen – Produktionsausweitung ging eine Vergrößerung des Phosgen-Herstellung um rund 60.000 Tonnen pro Jahr einher. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit fand seinerzeit nicht statt. BUND und COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hatten erfolglos nach dem Stand der Sicherheitstechnik, Notfallplänen und den Gefahren bei Flugzeugabstürzen gefragt. Vertreter von BAYER räumten gegenüber der Presse zwar ein, dass „Phosgen bei der Produktion von TDI eingesetzt wird, aber in sehr kleinen Mengen“ und zudem „just in time“ und „ausschließlich zum sofortigen Verbrauch“ erzeugt werde. Diese Darstellung ist jedoch verharmlosend: auf Nachfrage bekannte der Konzern, dass in Krefeld die Menge an „freiem“ Phosgen in Leitungen und Vorratsbehältern bei 34 Tonnen liege. Im worst case, einem Bruch phosgengefüllter Leitungen oder einem Flugzeugabsturz, wäre dies eine tödliche Bedrohung.
CBG und BUND fordern daher aktuell, dass es für die geplanten Erweiterungen keine Genehmigung „auf dem kleinen Dienstweg“ geben dürfe. Angelika Horster, BUND-Chemieexpertin: „Die Anwohner haben ein Recht auf Informationen, welcher Gefahr sie im Falle eines Störfalles ausgesetzt sind und wie sie sich vor dem Giftgas schützen können. Vor einer möglichen Erweiterung der Produktion muss daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden.“ Dabei müsse auch untersucht werden, ob Phosgen überhaupt zum Einsatz kommen dürfe. Die Umweltverträglichkeitsrichtlinie der EU schreibt vor, dass auch bei Erweiterungen risikoreicher Anlagen ungefährlichere Alternativen, in diesem Fall phosgenfreie Verfahren, geprüft werden müssen.

Proteste in Taiwan
Ende der 90er Jahre wollte BAYER schon einmal in Fernost eine TDI-Anlage bauen. Die Regierung von Taiwan wollte das Projekt ohne lästige Sicherheits-Prüfungen durchwinken und gewährte großzügige Subventionen. Der Fall wurde jedoch zum Politikum, als örtliche Bürgerinitiativen mit Unterstützung der CBG auf die Risiken von TDI und Phosgen hinwiesen und ein reguläres Genehmigungsverfahren forderten. Nach monatelangen Protesten mit Tausenden von Demonstranten forderten die regionalen Behörden BAYER auf, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen und phosgenfreie Verfahren zu prüfen. Der Konzern blies das Projekt daraufhin ab.
Kurz darauf gab BAYER den Bau eines neuen Werks in China bekannt. Die Fabrik bei Shanghai soll langfristig mit einer Jahresproduktion von 900.000 Tonnen Kunststoff den höchsten Ausstoß aller BAYER-Werke haben. Bereits 2006 wurde eine Polycarbonat-Anlage in Betrieb genommen, Ende Oktober kam eine Anlage für MDI dazu (MDI ist ein weiteres Vorprodukt von Polyurethan).
Renitente Lokalpolitiker und lästige Proteste von Anwohnern sind in China nicht zu erwarten. Im staatlichen Organ CHINA DAILY erschien gar eine Lobeshymne auf das „soziale Gewissen“ des Konzerns. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass der Text von der BAYER-Öffentlichkeitsarbeit übernommen wurde. Ein Leserbrief der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, der auf die Risiken der BAYER-Produktion hinwies, wurde weder abgedruckt noch beantwortet.

BAYER droht
Der BAYER-Konzern nutzt die geplanten Erweiterungen auch, um Druck auf die Politik auszuüben: Die Investitionen hingen von den „Rahmenbedingungen“ ab, so BAYER-Sprecher Frank Rothbarth. Damit gemeint sind die umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline quer durch NRW sowie der Bau des Kohlekraftwerks im BAYER-Werk Uerdingen, das allein 4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr erzeugen würde. Andernfalls drohe der Verlust von Arbeitsplätzen – eine schäbige Drohung angesichts der Tatsache, dass BAYER im Kunststoff-Sektor im vergangenen Jahr trotz eines Rekordgewinns von über einer Milliarde Euro rund 1.500 Stellen wegrationalisiert hat.
Unabhängig davon, ob die aktuelle Wirtschaftskrise die Erweiterung der Anlagen verzögern wird, muss der Druck auf BAYER erhöht werden, aus der Phosgen-Chemie auszusteigen und zumindest mittelfristig risikoärmere Verfahren einzusetzen. Die CBG hat im Umfeld der Werke Dormagen und Brunsbüttel Flugblätter verteilt, in denen auf die Risiken der Phosgen-Chemie hingewiesen wird. Die Grünen in Dormagen brachten auf Initiative der CBG einen Antrag in den Stadtrat ein, in der die Genehmigung der Produktionsausweitung auf Phosgenbasis abgelehnt wird. Auch in der kommenden BAYER-Hauptversammlung und in der staatlichen KOMMISSION FÜR ANLAGENSICHERHEIT wird das Thema auf Initiative der CBG diskutiert werden.

[Ticker] STICHWORT BAYER 04/2008 – Ticker

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Wieder Streik in Rosia
Seit Anfang 2007 wehren sich die Beschäftigten des Pharma-Werkes von BAYER im italienischen Rosia mit Streiks gegen die drohende Schließung der Niederlassung. Im September 2008 organisierte die Belegschaft wieder Arbeitsniederlegungen und eine Kundgebung,

BAYER-Beschäftiger will Bail-out
Ein BAYER-Beschäftigter hat in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, den das Belegschaftsinfo in seiner 192. Ausgabe veröffentlicht hat, einen Schutzschirm für sich gefordert. „Ich arbeite in einem globalisierten Unternehmen“, schreibt er, „und in den letzten Jahren hat das Management leider dafür gesorgt, dass die Arbeitsplätze immer weniger wurden. Auch ist die Sicherheit der Arbeitsplätze durch immer aufgeweichtere Regelungen massiv gefährdet. Es geht sogar so weit, dass Mitarbeiter schuldlos in betriebseigene Leiharbeitsverhältnisse gedrängt werden“. Wegen dieser prekäre Lage fürchtet der Schreiber, seinen Pflichten als Steuerzahler bald nicht mehr nachkommen zu können und erbittet deshalb von der Kanzlerin ein monatliches Sicherheitspaket in Höhe von 4.000 bis 5.000 Euro.

Initiative erinnert an IG-FARBEN-Verbrechen
Im Rahmen der Reihe „Verbrechen der Wirtschaft“ hat die KULTURVEREINIGUNG LEVERKUSEN e. V. mit einer Gedenkkundgebung an die Opfer des von BAYER mitgegründeten IG-FARBEN-Konzerns erinnert. Mit Transparenten wie „Sie förderten die Nazis - Sie profitierten von den Nazis“ fanden sich die TeilnehmerInnen dafür am 14. November 2008 vor dem Tor 1 des BAYER-Chemieparks ein. Ansprachen hielten unter anderem Ulrich Sandner von der VEREINIGUNG DER VERFOLGTEN DES NAZI-REGIMES und Axel Köhler-Schnura von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. Eigentlich sollte den Worten noch eine Tat folgen. Die Kulturinitiative plante ursprünglich, am Eingang zum Werk eine Gedenkplatte in den Boden einzulassen, die Stadt untersagte das allerdings.

Offener Brief an die Uni Köln
DIE COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat die Uniklinik Köln gemeinsam mit den KRITISCHEN MEDIZINSTUDIERENDEN AN DER UNI KÖLN, MEDICO INTERNATIONAL und anderen Gruppen in einem Offenen Brief aufgefordert, Angaben zu dem mit BAYER geschlossenen Kooperationsvertrag zu machen. „Verzichtet die Uniklinik auf die negative Publikationsfreiheit - also darauf, auch fehlgeschlagene Experimente publik zu machen? Müssen Studien vor ihrer Veröffentlichung der BAYER AG vorgelegt werden? Wie wird sichergestellt, dass Konzeption und Auswertung pharmakologischer Studien nicht allein durch ökonomische Interessen beeinflusst werden? Wie ist die Frage der Rechte an Arznei-Entwicklungen geregelt?“ - diese Fragen stellten die Initiativen dem Universitätsklinikum unter anderem. Eine Antwort blieb bis heute aus.

GREENPEACE gegen Kohlekraftwerk
„Kohlekraft verheizt das Klima“ - diesen Slogan versinnbildlichte GREENPEACE am 26. November in Krefeld mit einem brennenden CO2-Zeichen und protestierte so gegen das im BAYER-Chemiepark geplante Kohlekraftwerk, das jährlich 4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen soll.

Institute: DemokratInnen wachen auf
Das BAYER-Werk im US-amerikanischen Institute produziert vor allem Beinah-Katastrophen. Beim letzten Unfall am 28. August kamen zwei Arbeiter ums Leben (SWB 3/08). Die von der Fertigungsstätte ausgehenden Gefahren haben nun auch einen Denkprozess innerhalb der Demokratischen Partei des Bundesstaats West Virginnia eingeleitet. Zumindest der Jugendverband unterstützt den traditionell industrie-freundlichen Kurs der Demokraten nicht mehr bedingungslos. Er gehörte vielmehr zu den Unterzeichnern des von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN initiierten Offenen Briefes, der eine Verbesserung der Anlagensicherheit forderte.

Bluewashing in Südafrika mit Schmutzflecken
Als „Bluewashing“ kritisieren die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und andere Initiativen die Strategie der Konzerne, sich durch Kooperationen mit den Vereinten Nationen ein gutes Image zu verschaffen. BAYER tut dies hauptsächlich durch die Zusammenarbeit mit UNEP, dem Umweltprogramm der UN. Im Rahmen dieser konzertierten Aktion ernennt der Leverkusener Multi in aller Welt „Umweltbotschafter“, die vor Ort für die gute grüne Sache werben sollen. So auch in Südafrika. Aber aus diesem Land sendet BAYER leider selber seit langem schlechte Umweltbotschaften in Form von chrom-verseuchtem Grundwasser. Die ganze Umgebung des mittlerweile zu BAYERs Chemie-Abspaltung LANXESS gehörenden Werkes in Durban ist belastet, und die Sanierungsmaßnahmen ziehen und ziehen sich. Darum plant eine örtliche Umweltgruppe, den südafrikanischen Umweltbotschafter einzubestellen und das Umwelt-Image des Konzerns auf undiplomatische Weise mit der Wirklichkeit zu konfrontieren.

Endosulfan-Verbot gefordert
BAYER gehört weltweit zu den größten Produzenten des ultragiftigen Pestizides Endosulfan. Auf den Philippinen machte es zuletzt im Sommer Schlagzeilen. Bei dem Fährunglück am 21. Juni starben nämlich nicht nur 800 Menschen, es drohten auch 10 Tonnen Endosulfan ins Meer zu geraten. Die Regierung hatte die Anwendung des Organophosphates zwar generell untersagt, schuf aber gleichzeitig Schlupflöcher. Diese abzuschaffen, verlangten im Juli 50 Initiativen bei einer Protestkundgebung vor dem Landwirtschaftsministerium. „Die Regierung muss Endosulfan verbieten und die Ausnahmeregelungen aufheben, um Mensch, Tier und Umwelt vor der Bedrohung durch Endosulfan zu schützen“, forderte Romy Quijano vom PESTICIDE ACTION NETWORK PHILIPPINES, der ein langjähriger Kooperationspartner der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ist.

Jahrestagung 2008
Aus Anlass ihres 30jährigen Bestehens machte sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auf ihrer diesjährigen Jahrestagung selbst zum Thema. „30 Jahre Konzernkritik - Bilanz & Perspektive“ stand auf der Agenda. Axel Köhler-Schnura gab zu Beginn einen allgemeinen Überblick über die Geschichte der Konzernkritik von den ersten Streiks und Demonstrationen im 19. Jahrhundert über die Arbeiterräte der Novemberrevolution und die Niederlage von 1933 bis zur Sozialpartnerschaftsideologie heutigen Tags. Was Konzernkritik konkret heißt, entwickelte der CBG-Vorständler in seinem zweiten Vortrag am praktischen Beispiel der Coordination. Gegründet nach einem Störfall im Wuppertaler BAYER-Werk, sprengte die CBG bald die lokalen Grenzen und nahm den Chemie-Multi in all seinen Verästelungen in den Blick, was Köhler-Schnura zufolge nur durch den Aufbau eines internationalen Netzwerks gelingen konnte. Nach der Mittagspause ging es in die Gegenwart: CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes stellte die aktuellen Kampagen gegen BAYERs Bienen- und Klimakiller sowie gegen die Erweiterung der Phosgen-Produktion und den Bau einer Kohlenmonoxid-Leitung vor. Anschließend öffnete sich die Tagung anderen Ansätzen der Konzernkritik. Markus Dufner vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE und Thomas Eberhardt-Köster von ATTAC stellten die Arbeitsweisen ihrer Gruppen vor. In der abschließenden Podiumsrunde mit Dufner, Eberhardt-Köster und Köhler-Schnura ging es dann um das Trennende und das Verbindende, wobei das Verbindende überwog. Alle Diskutanten betonten die Notwendigkeit einer stärkeren Kooperation, gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise, die sich an diesem Tag natürlich immer wieder auf die Tagesordnung drängte. So klang schließlich die Jubiläumsjahrestagung aus, die dem feierlichen Anlass gemäß zu den bestbesuchtesten der letzten Jahren gehörte. Einen Besucher riss es sogar zu einem Dankesschreiben hin. „Ich möchte mich nochmals bedanken für die Veranstaltung am Samstag. Es war sehr interessant für mich und außergewöhnlich offen“, schrieb er der CBG.

Offener Brief wg. Phosgen
BAYER will in Krefeld, Brunsbüttel und Dormagen die Produktion von Polycarbonat, Methyldiisocyanat (MDI) und Toluylendiisocyanat (TDI) erweitern (siehe SWB 4/08). Während andere Unternehmen Polycarbonate schon ohne Phosgen herstellen, setzt der Leverkusener Multi weiterhin das im Ersten Weltkrieg zu trauriger Berühmtheit gelangte Giftgas ein, heutzutage immer noch die gefährlichste Industrie-Chemikalie. Aber nicht nur aus diesem Grund, auch weil bei den geplanten Ausbau-Aktivitäten keine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit vorgesehen ist, kritisiert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) das Vorhaben. Für das Engagement gegen die Erhöhung der Kapazitäten in Krefeld fand die Coordination im BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ e. V. (BUND) einen Bündnispartner. Im Oktober schrieben die beiden Initiativen gemeinsam einen Offenen Brief an den Stadtrat von Krefeld, der auf die Gefahren des noch nicht offiziellen und nicht zuletzt auch durch die aktuelle Wirtschaftskrise gefährdeten BAYER-Projektes aufmerksam macht.

CBG schreibt China Daily
Die Zeitung China Daily betätigte sich als williger Greenwashing-Helfer BAYERs und druckte unter der Überschrift „Umweltschutz ist ein Highlight BAYERs“ einen komplett auf PR-Unterlagen des Konzerns beruhenden Artikel über dessen „segensreiche“ Umweltaktivitäten. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) schrieb einen Leserbrief mit einer Gegendarstellung. Sie zitierte aus dem „Schwarzbuch BAYER“ und zählte als Umweltsünden des Leverkusener Multis unter anderem die Verwendung von Phosgen in der Kunststoff-Produktion, das Hintertreiben einer ökologisch sinnvollen Klimapolitik, das Setzen auf Kohlekraftwerke und die Herstellung schädlicher Chemikalien wie Bisphenol A auf. Das wollte das Presseorgan seinen LeserInnen offenbar nicht zumuten: Eine Veröffentlichung unterblieb bis heute.

Köhler gegen Saatgut-Oligopol
Die Agromultis dominieren den weltweiten Saatgut-Handel nach Belieben. Die 10 größten Anbieter, unter denen BAYER 2006 die siebte Position einnahm, kommen zusammen auf einen Marktanteil von über 60 Prozent. Dies ist selbst dem wirtschaftsfreundlichsten Bundespräsidenten zuviel. Auf dem Bauerntag mahnte Horst Köhler: „Und schließlich sollten wir in diesem Zusammenhang auch ein besonderes Augenmerk auf die möglichen Folgen richten, die sich aus einer marktbeherrschenden Stellung einzelner Saatgutunternehmen ergeben können“.

Bisphenol-Anfrage
Die von BAYER massenhaft hergestellte und vor allem in Mineralwasser- und Babyflaschen sowie Konservendosen Verwendung findende Chemikalie Bisphenol A (BPA) kann einer neuen Studie zufolge Diabetes oder Herz/Kreislauf-Erkrankungen befördern (siehe GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV). Die grüne EU-Parlamentarierin Hiltrud Breyer nahm die Veröffentlichung zum Anlass, eine Anfrage an die Brüsseler Kommission zu richten, die 2007 eine von der EU-Lebensmittelbehörde EFSA vorgeschlagene Erhöhung der Grenzwerte um das Fünffache genehmigt hatte. „Hält die Kommission es für verantwortlich, angesichts der sensiblen Präsenz von BPA in Nahrungsmittelkontakt-Materialien, insbesondere Babyflaschen (...) den Grenzwert hochzusetzen, auch wenn Studien vorhanden sind, die gemäß klassischer Toxikologie zu bestehenden oder gar niedrigeren Grenzwerten führen sollten?“, wollte Breyer unter anderem wissen. „Mehrere der durchgeführten Studien, insbesondere diejenigen zur Verabreichung niedrigerer Dosen werden entweder nicht gemäß der GLP (gute Laborpraxis, Anm. SWB) durchgeführt oder ergeben keine statistisch signifikanten Wirkungen“, bekam sie zur Antwort. Zur möglichen Industrie-Abhängigkeit der VerfasserInnen der Untersuchung, welche die EFSA bei ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hatte, hüllte sich die Kommission dezent in Schweigen.

FDA wg. Bisphenol kritisiert
In den USA hat es die Bisphenol-Lobby von BAYER & Co. bisher geschafft, Maßnahmen gegen die hormon-ähnlich wirkende Substanz zu verhindern, die unter anderem in Lebensmittelverpackungen Verwendung findet. Obwohl die Chemikalie in Verdacht steht, die Entwicklung des Gehirns, Stoffwechselprozesse und die Fortpflanzungsfähigkeit zu beeinträchtigen, Chemotherapien zu erschweren und Diabetes oder Herz/Kreislauf-Erkrankungen zu befördern, sieht die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA keinen Anlass zum Handeln. „Die Bisphenol-Exposition durch Lebensmittelverpackungen stellt für die Bevölkerung, einschließlich Kindern und Säuglingen, kein akutes Gesundheitsrisiko dar“, meint die FDA. Dieser Ansicht hat jetzt ein wissenschaftliches Panel widersprochen. In einem Report werfen die ForscherInnen der Behörde vor, neueste Erkenntnisse zu ignorieren und „eine trügerische Sicherheit“ zu verbreiten. Der Bericht werfe wichtige Fragen auf, konzedierte die FDA, ohne sich allerdings gezwungen zu sehen, ihre Einschätzung zu ändern.

REACH: BUND macht Druck
Das REACH genannte Chemikaliengesetz der EU schreibt BAYER & Co. vor, ihre Stoffe auf gesundheitsgefährdende Wirkungen hin zu untersuchen. Über die Umsetzung der von BAYER & Co. erfolgreich aufgeweichten Verordnung wacht die Chemikalien-Agentur ECHA in Helsinki. Bisher hat sich dort jedoch wenig getan. Damit gefährliche Chemie endlich vom Markt verschwindet, hat der BUND die ECHA jetzt aufgefordert, eine Liste mit potenziell schädlichen Substanzen zu erstellen, die ein Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. „Nur eine Zulassungspflicht und die öffentliche Bekanntmachung dieser gefährlichen Chemikalien können die Industrie dazu bewegen, mehr Gelder in die Entwicklung sicherer Alternativen zu stecken“, so die BUND-Chemie-Expertin Patricia Cameron.

Zockte die Beistandskasse?
Die BAYER-Beistandskasse hatte beim Sterbegeld, das bislang durchschnittlich ca. 6.000 Euro betrug, Kürzungen von bis zu 2.000 Euro vorgenommen, was zu großen Protesten führte (Ticker 3/08). Der Vorstandsvorsitzende Lutz Cardinal von Widdern begründete den Schritt mit zurückgehenden Beiträgen aufgrund der überalterten Mitgliederstruktur und der Notwendigkeit zu einer verstärkten Risikovorsorge. In einem an den Leverkusener Anzeiger adressierten Leserbrief fand sich jedoch eine andere Erklärung für den Geldmangel der Kasse. „Der Versuch des Vorstandsvorsitzenden von Widdern, noch vor der Mitgliedsversammlung deutlich zu machen, wie verantwortungsvoll der Vorstand mit den Geldern der Mitglieder umgehe, zeigt, dass dieser Vorstand nicht bereit ist zuzugeben, dass er rund 80 Millionen Euro bei Spekulationsgeschäften mit den Mitgliederbeiträgen verloren hat“, heißt es dort.

KAPITAL & ARBEIT

Prekarisierung bei BayJob
BAYER hat seinen Pool für „bedarfsgerechte Einsätze“, in dem Rationalisierungsopfer Springer-Dienste verrichten müssen, in „BayJob“ umbenannt und ihn nicht nur damit noch mehr in McJob-Nähe gerückt. Der Leverkusener Multi hat die betroffenen Belegschaftsangehörigen nämlich gezwungen, einen Zusatz zu ihrem Arbeitsvertrag zu unterschreiben, in dem sie sich damit einverstanden erklären, alle zumutbaren Angebote inklusive Leiharbeit anzunehmen und auch Zeiten ohne Beschäftigung zu akzeptieren. Zudem sieht der Konzern das Parken der Arbeitskräfte bei „BayJob“ nicht als Versetzung an, weshalb er die Zustimmung des Betriebsrates nicht einzuholen braucht. Diese Frage wollte die BELEGSCHAFTSLISTE, eine alternative Gewerkschaftsgruppe im Wuppertaler BAYER-Werk, erst juristisch klären lassen, ehe sie der Gesamtbetriebsratsvereinbarung ihr Ja-Wort gibt, aber das war mit der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE nicht zu machen. Die Gewerkschaft drohte: „Sollte der GBR (Gesamtbetriebsrat, Anm. Ticker) keine Beauftragung bekommen, könnte es in Zukunft auch zu betriebsbedingten Kündigungen kommen“ und erzwang so ein positives Votum, wie das Belegschaftsinfo vom November 2008 berichtet.

BAYER will „Commitment“
Im dritten Quartal 2008 stieg der Umsatz der Gesundheitssparte des Konzerns gegenüber dem Vorjahr um 6,1 Prozent. Nichtsdestotrotz macht BAYER SCHERING Rationalisierungsbedarf aus und startete das Projekt „Commitment“. „Obwohl das Projekt offiziell weder Restrukturierungs-, Kostensenkungs- noch Personalabbaukonzept sein soll, wurde doch zumindest in einigen Abteilungsversammlungen deutlich, dass restrukturiert werden wird, Kosten reduziert werden und Personalabbau nicht ausgeschlossen ist“, heißt es in der Mai-Ausgabe des von der BASIS INITIATIVE SOLIDARITÄT herausgegebenen BAYER-SCHERING Info. BAYER begründet die Maßnahmen unter anderem mit dem TRASYLOL-Stopp, dem Patentstreit um die Pille YAZ, dem Ausfall eines KOGENATE-Zwischenhändlers und erhöhten Anforderungen der Behörden. Die Basis Initiative lässt das nicht gelten. „Ginge es tatsächlich um Beseitigung von Patentproblemen, müsste man die Patentabteilung stärken oder die Dokumentation optimieren. Probleme der Arzneimittelsicherheit und höheren Behördenanforderungen könnte man mit dem Ausbau von Drug Safety und Regulatory und guter Archivierung und Recherche begegnen. Aber gerade die letztgenannten Bereiche gehen in Wuppertal am Stock“.

Sparprogramm wg. Finanzkrise
Anfang November 2008 nahm das BAYER-SCHERING-Vorstandsmitglied Andreas Busch die Finanzkrise zum Anlass, ein Sparprogramm zu verhängen. In einem Rundbrief ordnete er einen Einstellungsstopp, eine Verlängerung der weihnachtlichen Werksferien, eine Absage der Weihnachtsfeiern und andere Maßnahmen an. Nach massiver Kritik von Seiten des Personals ruderte er zurück und bezeichnete sein Schreiben als bloßen Entwurf. Eine von Buschs Direktiven konnte der Wuppertaler Betriebsrat schon einmal verhindern: Er stimmte dem Produktionsstillstand vom 19.12. bis zum 6.1. nicht zu.

Schließung in Wolfenbüttel
Der Leverkusener Multi gibt den Standort Wolfenbüttel auf und gliedert die dortige Pestizid-Produktion aus. Der Agro-Riese hat das Werk an das Unternehmen LEHNKERING verkauft, das nun als Dienstleister in Sachen „Ackergifte“ für den Konzern tätig wird und dazu auch die zuletzt auf eine Stärke von 140 zusammengeschrumpfte BAYER-Belegschaft übernimmt. Die giftigen Altlasten des Agro-Riesen wollte LEHNKERING allerdings nicht haben, die musste der Global Player noch selber entsorgen (siehe WASSER, BODEN & LUFT).

Tarifparteien vereinbaren Ethik-Kodex
Von der BAYER-Familie ist nicht mehr viel zu spüren. Immer rücksichtloser verfolgt der Leverkusener Multi seine Profitinteressen auf Kosten der Belegschaft. Die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE sieht darin jedoch keinen Anlass, die Politik der Sozialpartnerschaft in Frage zu stellen. Sie setzt ihren Schmusekurs unbeeindruckt fort und hat jüngst gemeinsam mit dem „Bundesarbeitgeberverband Chemie“ ein Glaubensbekenntnis zur „sozialen Marktwirtschaft“ abgegeben, zu dem auch Bundespräsident Horst Köhler seinen Segen gab. „Unternehmerischer Erfolg, der von nachhaltig handelnden und wettbewerbsfähigen Unternehmen erzielt wird, ist Bedingung für Innovationen, Investitionen und Arbeitsplätze“, heißt es in den „Leitlinien für verantwortliches Handeln in der sozialen Marktwirtschaft“, die ansonsten nur schwammige Bekenntnisse zu sozialem und ökologischem Wirtschaften liefern.

Schmoldt gegen höhere Spitzensteuer
Die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich hat den DGB veranlasst, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes zu fordern. Der Vorsitzende der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE und BAYER-Aufsichtsrat Hubertus Schmoldt hält davon gar nichts. Gerechtigkeit sei nicht allein vom Spitzensteuersatz abhängig, auch nicht, wenn er bei 60 Prozent läge, so Schmoldt laut Faz.

Kostspielige Altersteilzeit
Die Altersteilzeit-Regelung, wie sie vor allem größere Konzerne wie BAYER praktizieren, kommt den Staat teuer zu stehen. Gehaltszuschüsse und der Verzicht auf einen Teil der Sozialabgaben kosten die SteuerzahlerInnen jährlich 2, 4 Milliarden Euro.

Kostspielige Vorstandsgehälter
Die Vorstände von DAX-Unternehmen konnten von 1987 bis 2007 eine Gehaltserhöhung von sage und schreibe 650 Prozent verzeichnen. Erhielten die Manager von BAYER & Co. vor zwanzig Jahren durchschnittlich 445.000 Euro, so stecken sie mittlerweile 3,3 Millionen ein. Die GeschäftsführerInnen nicht an der Börse notierter Unternehmen kamen im gleichen Zeitraum dagegen „nur“ auf eine Einkommenssteigerung von 132.000 auf 268.000 Euro.

Beistandskasse: Datenschutz-Verstoß?
Auf der tumultösen letzten Mitgliederversammlung der BAYER-Beistandskasse (Ticker 3/08) fanden keine geheimen Wahlen statt, vielmehr war jede Stimmkarte einer Person zuordbar. Besonders KritikerInnen der Geschäftspolitik der Beistandskasse ist das nicht ganz geheuer. Die nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte Bettina Gayk sieht durch diese Wahlordnung zwar keine Gesetze verletzt, sie kündigte aber an, im Falle von Beschwerden tätig zu werden und den Vorstand zu einer Stellungnahme aufzufordern.

ERSTE & DRITTE WELT

Welthandelsrunde gescheitert
Die Industrieländer subventionieren ihren Landwirtschaftssektor mit immensen Summen, was auf den Märkten von „Dritte-Welt“-Staaten zu einem Verdrängungswettbewerb führt, den die einheimischen FarmerInnen verlieren. Darum haben Indien und China bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) einen besseren Schutz ihrer Bauern und Bäuerinnen eingefordert. Wenn die Importe eine bestimmte Quote übersteigen, wollten sie Schutzzölle erheben dürfen. Dies aber lehnten vor allem die USA ab, weshalb die Gespräche Ende Juli 2008 scheiterten. „Bei dem Kraftakt einer allgemeinen Liberalisierung des Welthandels (...) scheint die Globalisierung der Wirtschaft vorerst an ihre Grenzen zu stoßen“, lamentiert die Faz. Und auch BAYER dürfte das bedauern, profitiert der Konzern doch stark von den globalen Agrarmärkten mit ihrer durchindustrialisierten Struktur.

BAYER sponsort Demographie-Konferenz
BAYER gehörte wieder einmal zu den Sponsoren der seit sieben Jahren stattfindenden Konferenz „Internationaler Dialog Bevölkerung und Nachhaltige Entwicklung“, an der unter anderem Entwicklungshilfe-Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul teilnahm. Damit erkaufte sich der Multi auch das Rederecht. „Unsere Expertise in der Frauengesundheit verpflichtet uns dazu, Familienplanung in Entwicklungsländern zu einem festen Bestandteil unseres gesellschaftlichen Engagements zu machen“, sprach BAYER SCHERING PHARMAs Forschungsvorstand Andreas Busch. Wenn „gesellschaftliches Engagement“ sich bloß immer so auszahlen würde: Allein mit seinen Verhütungsmitteln machte der Konzern im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von einer Milliarde Euro. Zudem sorgt dieses „Engagement“ dafür, dass die Armen sich nicht zu stark vermehren - auch eine Art von Klassenkampf.

POLITIK & EINFLUSS

BAYER im Klimarat NRW
Die nordrhein-westfälische Landesregierung betreibt ihre Umweltpolitik mit freundlicher Unterstützung von BAYER & Co. So rief sie etwa als Nebenregierung den mit vielen Konzern-VertreterInnen bestückten „Dialog Wirtschaft und Umwelt NRW“ ins Leben. Damit nicht genug, gründete Rüttgers Club nun auch noch einen Energie- und Klimarat. Selbstverständlich ist der Leverkusener Multi hier wieder mit von der Partie. Klaus Schäfer, Geschäftsführer der 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA GmbH, sitzt in dem Gremium, während Abgesandte von Umweltverbänden fehlen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) protestierte lautstark gegen die Berufung. „Die Landesregierung hat einmal mehr den Bock zum Gärtner gemacht. Ausgerechnet ein Unternehmen, das den Bau klimafeindlicher Kohlekraftwerke vorantreibt und das gegen verbindliche Regeln zum Klimaschutz agitiert, soll die Energiepolitik des Landes mitbestimmen“, kritisierte die CBG in einer Presseerklärung.

Emissionshandelsschluss
Vor einigen Jahren hat die EU den Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten eingeführt. Er sieht vor, BAYER & Co. CO2-Emissionen nur in einem bestimmten Volumen zu gestatten. Alles, was über ein bestimmtes Limit hinausgeht, sollte den Konzernen teuer zu stehen kommen, weil sie dafür Verschmutzungsrechte kaufen müssten. Dazu ist es jedoch dank umfangreicher Lobby-Aktivitäten immer noch nicht gekommen. Für die neueste Variante ihrer Obstruktionspolitik instrumentalisierten die Multis die Wirtschaftskrise und malten einmal mehr das Schreckgespenst von Arbeitsplatz-Vernichtungen an die Wand. Angela Merkel verfiel sogleich in Schockstarre und handelte beim Brüsseler EU-Gipfel kostenlose Verschmutzungsrechte für die bundesdeutschen Chemie- und Stahlunternehmen, die besonders viel CO2 emittieren (BAYER insgesamt ca. 7,5 Millionen Tonnen), aus. Zudem dürfen die Multis ihre Klimaschutz-Anstrengungen auch in Drittweltländer outsourcen. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte unter der Überschrift „Artenschutz für Luftverschmutzer“: „Der Emissionshandel sollte das Instrument sein, das die Mechanismen des Marktes nutzt, um den Klimawandel abzumildern. Mit dem Bonus für besonders schädliche Branchen auch in Deutschland, mit dem Nachlass für Kohlekraftwerke in Osteuropa noch weit über das Jahr 2013 hinaus ist das Modell entwertet“.

BAYER & Co. schreiben Steinbrück
Die großen Konzerne wissen oftmals selber nicht mehr ganz genau, wer nun eigentlich ihre Großaktionäre sind, da der Finanzmarkt neben den schnöden Aktien zahlreiche neue, undurchsichtige Produkte entwickelt hat. Noch bevor der VW-Kurs durch Hedge Fonds, die sich mit geliehenen Anteilsscheinen verspekuliert hatten, auf eine Achterbahn-Fahrt geriet, forderten die Finanzvorstände von BAYER und anderen DAX-Unternehmen Peer Steinbrück in einem Brief zu Regulierungsmaßnahmen auf. Die Konzerne forderten umfassendere Offenlegungspflichten, wünschten sich mehr Klarheit über die wirklichen Besitzverhältnisse und mahnten allgemein mehr Transparenz auf den Aktienmärkten an.

Plumpe Chef des HistorikerInnen-Verbandes
Die GeschichtswissenschaftlerInnen haben mit Werner Plumpe erstmals einen Unternehmenshistoriker an die Spitze ihres Verbandes gewählt. Und was für einen! Plumpe hat beste Beziehungen zu BAYER und betätigt sich gerne als Weißwäscher der etwas unappetitlichen Firmenhistorie, wie Otto Köhler in SWB 1/08 darlegte. Dabei scheut der frischgebackene Verbandschef auch nicht vor Manipulationen zurück. Wenn der ehemalige IG-Chef Carl Krauch in einem Brief schreibt: „Auf meinen Antrag und auf Weisung des Herrn Reichsmarschalls“ habe der Reichsführer SS unter dem 26. Februar angeordnet, dass der Aufbau des Werkes in Auschwitz „durch die Gefangenen aus dem Konzentrationslager in jedem nur möglichem Umfange zu unterstützen sei“, so lässt Plumpe einfach das „Auf meinen Antrag und“ weg. Prompt kann er dann schreiben: „„Wie weit etwa der Einsatz von Zwangs- und Sklavenarbeit eigeninitiativ veranlasst wurde, ist selbst im Fall des IG-Werkes in Monowitz umstritten“. Deshalb versteht der plumpe Geschichtsfälscher auch gar nicht, warum sich die IG-Oberen bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen auf der Anklagebank wiederfanden. Dies habe Plumpe zufolge nur „eine eigentümliche Allianz aus Marxisten und Liberalen, aus Sozialdemokraten und Vertretern der Frankfurter Schule“ zustandegebracht. Zur Belohnung für diese Geschichtsklitterei durfte sich der Historiker letztes Jahr im BAYER-Kommunikationszentrum über „Carl Duisberg und das moderne Unternehmen“ verbreiten.

Umweltstaatssekretär besucht BAYER
Am 3. November 2008 war wieder großer Grünwaschtag bei BAYER. Der Leverkusener Multi lud zum „Opening Day BAYER Young Environmental Envoy 2008“ und bot zur Bestallung seiner neuen „Umweltbotschafter“ Berliner Prominenz auf. Der Umweltstaatssekretär Matthias Machnig schüttete einen Vortrag zu den umweltpolitischen Schwerpunkten der Bundesregierung in den Waschgang.

SPD: mit Schmoldt gegen Linkspartei
Dem Vorsitzenden der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE und BAYER-Aufsichtsrat Hubertus Schmoldt kommt der Rechtsruck in der SPD nach dem Sturz Kurt Becks sehr gelegen, pflegt er doch seit langem freundschaftliche Beziehungen zu Frank-Walter Steinmeier. Darum ließ er sich gerne dazu einspannen, auch für freundschaftlichere Beziehungen zwischen der SPD und den Gewerkschaften im Allgemeinen zu sorgen und die Agenda-Wogen wieder zu glätten. Bei einem Treffen zwischen führenden SozialdemokratInnen und GewerkschaftlerInnen einigte man sich nach einem Bericht der Rheinischen Post auf eine weitgehende Kooperation. Sogar als Wadenbeißer an der Leine von Müntefering & Co. wollen sich die KollegInnen betätigen und in der Öffentlichkeit verstärkt auf die Linkspartei losgehen.

Krach im Konvent
BAYERs Aufsichtsratschef Manfred Schneider betätigt sich zusätzlich zu seinem Leverkusener Job nicht bloß noch als Aufseher bei ALLIANZ, LINDE, DAIMLER, RWE und TUI, er gehört auch dem „Konvent für Deutschland“ an. Dort befindet er sich in der zweifelhaften Gesellschaft von Otto Graf Lambsdorff, Roman Herzog, Wolfgang Clement und Klaus von Dohnanyi und kämpft gegen den vermeintlichen Reformstau an. Aber jetzt haben sich die hohen Herren in der Wolle. Der Unternehmenshistoriker Manfred Pohl und Wolfgang Clement wollen den Aktionsradius des exklusiven Clubs ausweiten, ihren neoliberalen Senf auch zu Themen wie „Migration“, „Bildung“ und „Erziehung“ geben und eine aggressivere Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Das war aber mit Herzog, Schneider & Co. nicht zu machen, weshalb es zu einem Split kam.

BAYER & Co. zahlen 18 Prozent weniger
In keinem anderen Erdteil sanken die Unternehmenssteuern in den letzten neun Jahren so stark wie in Europa. Besonders in der Bundesrepublik mussten die Konzerne immer weniger Abgaben zahlen. Die Nominalsätze fielen von 1999 bis 2008 von 52,3 Prozent auf 29,5 Prozent. Daran hatte BAYERs inzwischen verstorbener Ex-Steuerchef Heribert Zitzelsberger, der unter Rot/Grün Staatssekretär im Finanzministerium wurde, einen maßgeblichen Anteil. „Wir haben mit Herrn Zitzelsberger unseren besten Mann entsandt“, kommentierte der damalige Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider den Wechsel einst. Aber Zitzelsberger hat würdige Nachfolger gefunden. So sorgte die Anfang des Jahres in Kraft getretene Unternehmenssteuerreform der großen Koalition für ein um 18 Prozent auf ca. 19 Milliarden Euro eingebrochenes Körperschaftssteuer-Aufkommen.

VCI will Steuererleichterungen
Der „Verband der Chemischen Industrie“ mahnt Steuererleichterungen für die Forschungsaufwändungen von BAYER & Co. an und flankiert seine Forderung mit Abwanderungsdrohungen. Beim Bundesforschungsministerium hat das schon gewirkt. Das Haus hat die Idee nach den Worten des VCI-Vorsitzenden Alfred Oberholz positiv aufgenommen, nur Peer Steinbrück stellt sich noch quer. „Im Finanzministerium gibt es natürlich Bedenken“, so Oberholz. Auch BAYERs Forschungsvorstand Wolfgang Plitschke hatte unlängst mehr staatliche Unterstützung für die Labor-Aktivitäten der Industrie gefordert (SWB 3/08).

BAYER & Co. wollen EU-Patentrecht
Bisher hat jedes europäische Land sein eigenes Patentrecht, was den Weg von einer Labor-Entwicklung zu einer Markteinführung zu einem langen Marsch machen kann. Deshalb haben BAYER & Co. die PolitikerInnen aufgefordert, die Anstrengungen für ein EU-weites Gemeinschaftspatentrecht zu verstärken.

Wennings Versorgungsproblem
Konzern-Chef Werner Wenning sieht an den BAYER-Standorten schon ab 2012 die Lichter ausgehen. „Wenn wir die jetzige Politik so beibehalten, werden wir in Deutschland nach Meinung führender Energie-Experten ab 2012 ein ernstes Versorgungsproblem haben“, warnt der Vorstandsvorsitzende. Er fordert deshalb nicht nur mehr Kohlekraftwerke und die Verlängerung von AKW-Laufzeiten, sondern tritt sogar für den Neubau von Kernkraftwerken ein. Dabei geht es Wenning nur um die Kosten, denn der mit viel Risiken und Nebenwirkungen in Kohlekraftwerken und AKWs erzeugte Strom ist schlicht billiger als der ökologisch korrekt produzierte.

PROPAGANDA & MEDIEN

Kodex wirkungslos
Mit großem Tamtam haben BAYER & Co. im Jahr 2004 eine „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.“ ins Leben gerufen. Die Pharma-Riesen verpflichteten sich dazu, Pillen nur noch „zutreffend zu bewerben“, MedizinerInnen nicht länger „in unlauterer Weise“ zu beeinflussen und ihnen nur noch milde Gaben zukommen zu lassen. Fortbildungsveranstaltungen wollten die Unternehmen den Lustreisen-Charakter nehmen und ihr Verhalten allgemein an hohen ethischen Standards ausrichten. Der Realitätsprüfung halten diese schönen Worte allerdings nicht stand. Nach Ansicht der „Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“ hat es der Kodex bisher nicht vermocht, „unlauteren Werbepraktiken der Arzneimittelindustrie und versuchten Einflussnahmen auf das Verordnungsverhalten von Ärzten in gewünschter Weise entgegenzuwirken“.

Krisenmanagement in Institute
Am 28. August 2008 hatte sich im Instituter BAYER-Werk eine Explosion ereignet, der zwei Beschäftigte zum Opfer fielen (siehe SWB 3/08). Die Ereignisse haben die AnwohnerInnen so in Aufruhr versetzt, dass der Leverkusener Multi sich veranlasst sah, zwei PR-Agenturen mit dem Krisenmanagement zu beauftragen. So organisierten die Kommunikationsprofis eine BürgerInnen-Versammlung und versuchten die Initiative PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC einzubinden. Von Erfolg war diese Strategie bisher allerdings nicht gekrönt. Pünktlich zum anberaumten Meeting erschien der von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN initiierte Offene Brief mit der Fundamentalkritik an der Risikovorsorge des Konzerns, den viele ortsansässige Gruppen mit unterschrieben hatten, und die PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC mochten sich auch nicht mit den „MediatorInnen“ an einen Tisch setzen.

BAYER sponsort Fluss-Reiniger
Der Leverkusener Multi verunreinigt durch seine Einleitungen Flüsse in aller Welt massiv. Trotzdem gerierte er sich an seinem Standort Pittsburgh als Umweltengel und sponsorte eine Initiative, die sich vorgenommen hatte, die Gewässer Allegheny und Ohio von Unrat zu säubern.

BISPHENOL-Kampagne gestartet
In den USA hat es die Bisphenol-Lobby von BAYER & Co. bisher geschafft, Maßnahmen gegen die vor allem in Lebensmittelverpackungen Verwendung findende Substanz zu verhindern, obwohl die Chemikalie in Verdacht steht, die Entwicklung des Gehirns, Stoffwechselprozesse und die Fortpflanzungsfähigkeit zu beeinträchtigen, Chemotherapien zu erschweren sowie Diabetes oder Herz/Kreislauf-Erkrankungen zu befördern. Nachdem Kanada jedoch den Vertrieb von bisphenol-haltigen Babyflaschen verboten hatte, startete auch in Kalifornien eine entsprechende Gesetzes-Initiative. BAYER & Co. antworteten mit einer Desinformationskampagne. In Zeitungsannoncen warnten die Unternehmen davor, dass im Falle eines Bisphenol-Banns „viele Alltagsgegenstände aus dem Handel verschwinden würden“.Wissenschaftsnacht für Kinder
Mitte Juni 2008 veranstaltete BAYER eine Wissenschaftsnacht für Kinder. „Anschaulich und auf spielerische Art“ vermittelten WissenschaftlerInnen den lieben Kleinen den Segen der Chemie. Dabei ging es zu wie in einer Märchenstunde: Die guten Pestizide sicherten nach den Erzählungen der BAYER-ForscherInnen die Ernährung der Menschen und befreiten Haustiere von bösen Flöhen und anderen Peinigern.

Hilfe zur BAYER-Hilfe
Den Leverkusener Multi kommt seine Spendentätigkeit jetzt noch billiger, denn das im letzten Jahr verabschiedete Gesetz zur Stärkung bürgerschaftlichen Engagements lockt mit erheblichen Steuernachlässen. Also hat der Konzern für sein Engagement im Bildungsbereich flugs die 10 Millionen Euro schwere Stiftung „BAYER Science & Education Foundation“ gegründet, die Schulen fördert. Dabei bilden die naturwissenschaftlichen Bereiche einen Schwerpunkt, „denn ein Land, das wie Deutschland über keine reichen Bodenschätze verfügt, ist in seiner wirtschaftlichen Entwicklung vordringlich auf die geistige Kreativität angewiesen“, so BAYERs Oberkommunikator Michael Schade zur nicht gerade uneigennützigen Motivation der Bildungsoffensive des Unternehmens, die bei ihrer zweiten Förderrunde 42 Schulen mit einer Summe von insgesamt 500.000 Euro beglückte.

BAYERs Sozialpolitik I
Während der Konzern intern immer unsozialer wird, Arbeitsplätze vernichtet und Arbeitsbedingungen verschärft, macht seine PR-Abteilung seit einiger Zeit verstärkt auf „sozial“ und hat die Kinderarmut entdeckt. „Jedes sechste Kind in Deutschland gilt als arm und lebt in einer Familie, die auf Sozialhilfe angewiesen ist - Tendenz steigend. Daher hat BAYER in diesem Jahr die BEPANTHEN-Kinderförderung ins Leben gerufen“. Mit 40.000 Euro jährlich will diese Ferienfreizeiten der Initiative „Arche“ unterstützen und so ein bisschen Mutter Teresa spielen.

BAYERs Sozialpolitik II
BAYER hat nicht nur milde Gaben für sozial Benachteiligte übrig. „Das Unternehmen engagiert sich auch inhaltlich“, vermeldet die Presseabteilung. Der Leverkusener Multi will gemeinsam mit ErziehungswissenschaftlerInnen der Universität Bielefeld die Kinderarmut erforschen und hat die „BEPANTHEN Kinderarmutsstudie“ in Auftrag gegeben. Vielleicht sollte der Konzern zu diesem Behufe eher mit WirtschaftswissenschaftlerInnen zusammenarbeiten und eine Reichtumsstudie ordern. Diese würde nämlich leicht herausfinden, wo das Geld geblieben ist, das armen Familien fehlt: Zum Beispiel bei den BAYER-ManagerInnen, deren Gehälter in den letzten 20 Jahren um 650 Prozent gestiegen sind (siehe KAPITAL & ARBEIT)!

TIERE & VERSUCHE
Im Jahr 2007 starben in den Laboren von BAYER 157.000 Tiere. 90 Prozent davon waren Ratten und Mäuse, der Rest Hunde, Katzen und Affen. Von Alternativ-Methoden wie der Erprobung von Wirkstoffen an Zellkulturen hält die Gesundheitsabteilung des Leverkusener Multis nichts: „Die Abläufe sind tatsächlich anders als in einzelnen Zellkulturen im Labor“. Und ansonsten verweist der Konzern scheinheilig auf die Politik. „Wir sind gesetzlich verpflichtet, die Medikamente im Tierversuch zu testen“, verlautet aus der Berliner Zentrale von BAYER SCHERING.

DRUGS & PILLS

Neue Testosteron-Studie
Mit aller Macht pocht der Leverkusener Multi auf Gleichberechtigung und will Wechseljahre auch für Männer. Der Konzern meint nämlich mit Testosteron-Präparaten wie TESTOGEL die passenden Medikamente zur Behandlung im Angebot zu haben. Fehlen nur noch ein paar Studien, die Testosteron-Mangel nebst Stimmungsschwankungen und Libido-Einbußen diagnostizieren, die heilsamen Effekte von TESTOGEL nachweisen und - wider besseren Wissens - Nebenwirkungen wie Krebs ausschließen. Aber auch diese akquiriert der Pharma-Riese im Handumdrehen. Zum Beispiel bei Dr. Pierre-Marc Bouloux. Und dieser willige Wissenschaftler brillierte sogar mit Sollübererfüllung: Selbst bei Testosteronwerten im unterem Normbereich empfiehlt Bouloux noch den Griff zum BAYER-Gel.

KINZAL beugt Infarkten nicht vor
BAYERs Blutdrucksenker KINZAL (Wirkstoff: Telmisartan) schützt nicht vor Herzinfarkten. Das ergab eine Studie der in Ontario gelegenen McMaster University unter Leitung von Salim Yusuf. Während im Untersuchungszeitraum 8,7 Prozent der Telmisartan-PatientInnen einen Herzinfarkt erlitten, waren aus der Plazebo-Gruppe 9,2 Prozent betroffen. Dieses Ergebnis reichte nach Meinung der WissenschaftlerInnen nicht aus, um KINZAL und den anderen Telmisartan-Medikamenten einen prophylaktischen Effekt zuzuschreiben.

Neuzulassung für LEUKINE
Ende Januar 2008 musste BAYER die nur in den USA angebotene flüssige Darreichungsform seines Krebs-Medikamentes LEUKINE vom Markt nehmen, weil der darin enthaltene Stoff Ethylendiamintetraacetat (EDTA) Ohnmachtsanfälle ausgelöst hatte. Für eine Formulierung ohne EDTA erlangte der Leverkusener Multi im Mai die Wiederzulassung.

Teures ASPIRIN
Kaum ein Produkt hat sich nach der Euro-Umstellung so verteuert wie ASPIRIN. Zwar erhöhten sich auch die Preise für Bier, Hautcreme, Waschmittel, Kino, Autos, Bekleidung oder Obst, aber nur BAYERs Tausendsassa kostet mittlerweile in Euro mehr als einst in DM. Von 6,85 DM im Jahr 2001 ging es bis 2008 auf 7,69 Euro herauf.

Nutzloses ASPIRIN
Seit Jahren bewirbt BAYER ASPIRIN als Mittel, das Herz/Kreislauf-Erkrankungen vorbeugt, und hat auch Erfolg damit. So empfehlen mittlerweile medizinische Behandlungsrichtlinien in vielen Ländern, Risiko-PatientInnen wie DiabetikerInnen das regelmäßige Schlucken des „Tausendsassas“ nahezulegen. Unberechtigerweise, wie jetzt eine im British Medical Journal veröffentlichte Studie des Professors Jill Belch von der „University of Dundee“ nachwies. Bei keinem der 1.300 von ihm untersuchten Zuckerkranken, die bisher noch keinen Herzinfarkt erlitten hatten, konnte die Arznei einen präventiven Effekt entfalten. „Wir müssen über seinen Einsatz in der primären Präventionen neu nachdenken“, lautet deshalb das Fazit Belchs auch angesichts der ASPIRIN-Nebenwirkungen wie Magenbluten. Und sein Kollege Peter Sever vom „Imperial College London pflichtet ihm bei. „Das bestätigt unseren Verdacht, dass ASPIRIN weite Verbreitung findet, ohne seinen Nutzen nachgewiesen zu haben“, so Sever.

Zulassung für QLAIRA
BAYER hat die europa-weite Zulassung für das Verhütungsmittel QLAIRA erhalten, dessen Wirksubstanzen die beiden Hormonen Estradiol und Dienogest sind.

Schlechte Noten für YASMINELLE
In dem Internet-Portal Ratgeber Pille können sich Frauen über ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Verhütungsmitteln austauschen. BAYERs Kontrazeptivum YASMINELLE kommt dabei ziemlich schlecht weg.
Die Nutzerinnen klagen unter anderem über Gewichtszunahme, Gemütsschwankungen, verstärkten Haarwuchs, Zwischenblutungen, Bauch-, Kopf- und Brustschmerzen, Übelkeit, Ausfluss und Schweißausbrüche.

BAYER testet Lungen-Arznei
Der Leverkusener Multi will mit RIOCIGUAT ein neues Medikament zur Behandlung des Lungenhochdrucks auf den Markt bringen. Derzeit durchläuft die gefäßerweiternde Arznei die dritte und letzte Testphase.

Pillen-Preise: plus 6,7 Prozent
Und ewig steigen die Pillen-Preise: In diesem Jahr haben sie um 6,7 Prozent zugelegt. Besonders die Kosten für neue Medikamente belasten die Etats der Krankenkassen, weil AOK & Co. für diese mit BAYER und den anderen Herstellern keine Rabatte aushandeln dürfen. Mittlerweile zahlen die BundesbürgerInnen für Arzneien rund ein Drittel mehr als ihre EU-NachbarInnen. Da verlor selbst Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Contenance. „Wenn die Ausgaben weiter so steigen, muss die pharmazeutische Industrie wissen, dass sie mit überhöhten Preisen auf Dauer nicht die medizinische Versorgung leisten kann“, wetterte die SPD-Politikerin und warnte BAYER & Co.: „Wir beobachten die Entwicklung. Höchst unfaire Preise kann kein Gesundheitssystem überstehen. Daher werden wir uns im Notfall nicht scheuen, gegen unfaire Preise Maßnahmen zu ergreifen“.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

BAYER-Beschäftigte vergiftet
Nach einer nur dreimonatigen Arbeit als Handelsvertreterin für Pestizide zog sich eine BAYER-Beschäftigte schon eine Vergiftung zu, die sie zu einem Krankenhaus-Aufenthalt zwang. Der Leverkusener Multi hielt das offenbar für Berufsrisiko. Er kümmerte sich nicht weiter um die Frau und behielt auch noch einen Teil ihres Lohnes ein.

Italien verbietet PONCHO
BAYERs Saatgutbehandlungsmittel PONCHO mit dem Wirkstoff Clothianidin hat im Frühjahr 2008 zu einem großen Bienensterben geführt. 11.500 Bienenvölker von 700 ImkerInnen rund um die südbadischen Maisfelder waren betroffen. Nach einigem Hin und Her entschloss sich das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ deshalb, das Mittel vom Markt zu nehmen. Aber Ende Juli 2008 war es wieder da: Die Behörde gab grünes Licht für PONCHO-Raps. Italien dagegen zeigte mehr Konsequenz. Im September erließ das Land ein Verbot für Clothianidin, Imidacloprid (Wirkstoff von BAYERs GAUCHO) und zwei weitere Substanzen, geltend für Mais-, Raps und Sonnenblumen-Kulturen.

Pestizide in Gewürzen
GREENPEACE hat Gewürze wie Paprika, Pfeffer und Petersilie nach Pestizid-Rückständen untersucht und in 82 Prozent der 30 Proben Agrogift-Spuren nachgewiesen. Auch Wirkstoffe, die in BAYER-Produkten enthalten sind, waren mit von der Partie. Unter anderem stießen die WissenschaftlerInnen auf Chlorpyrifos, Endosulfan, Imidacloprid, Methomyl, das hierzulande längst verbotene Methamidophos und Permethrin.

Profitable Nahrungsmittelkrise
BAYER profitiert weiterhin von der Nahrungsmittelkrise. „Landwirte in allen Anbauregionen weltweit haben im ersten Halbjahr 2008 aufgrund der gestiegenen Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse vermehrt in hochwertiges Saatgut und innovative Pflanzenschutztechnologien investiert“, berichtete BAYER-CROPSCIENCE-Chef Friedrich Berschauer auf der Jahrespressekonferenz im September 2008 und vermeldete eine Umsatz-Steigerung von 13 Prozent auf 3,8 Milliarden Euro.

MOVENTO zugelassen
BAYER hat in den USA die Zulassung für das Insektizid MOVENTO mit dem Wirkstoff Spirotetramat erhalten. Es soll unter anderem gegen Blattläuse und weiße Fliegen wirken, angeblich aber Nutzinsekten wie Marienkäfer nicht vergiften.

PFLANZEN & SAATEN
BAYER hat in Singapur ein Reis-Forschungszentrum eröffnet. Die WissenschaftlerInnen wollen dort hybride, also sterile, nicht zur Wiederaussaat bestimmte Sorten züchten, die angeblich besondere Widerstandskräfte aufweisen und für bessere Ernten sorgen.

GENE & KLONE

Indien: Tests mit Bt-Reis
Im Jahr 2004 hatte BAYER noch das Versprechen abgegeben, keine Tests mit gentechnisch veränderten Pflanzen in Indien durchzuführen. Dieses hat der Leverkusener Multi jetzt gebrochen. Er beantragte erfolgreich Feldversuche mit 28 Reis-Linien, denen GentechnikerInnen den für Insekten tödlichen Bacillus thuringiensis eingebaut haben.

Tod durch CAMPATH
Bisher durften MedizinerInnen das von BAYER und GENZYME gemeinsam entwickelte Gentech-Medikament CAMPATH bei der chronisch-lymphatischen Leukämie nur einsetzen, wenn die PatientInnen bereits mit anderen Arzneien vorbehandelt waren oder eine Therapie mit Fludarabin nicht den gewünschten Erfolg erbracht hatte. Im letzten Jahr hat der Pharmariese eine Zulassung auch für den Ersteinsatz in Kombination mit Fludarabin und Rituximab beantragt. Diese dürfte er allerdings nicht bekommen, denn die entsprechenden Klinischen Tests haben sechs Menschen das Leben gekostet. Sie starben an Hirnhautentzündung, an der Legionärskrankheit, durch den Epstein-Barr-Virus oder an anderen Infektionen.

RECOTHROM-Zulassung beantragt
BAYER hat bei der EU eine Zulassung für die zur Blutstillung bei Operationen bestimmte Arznei RECOTHROM beantragt. Das von ZYMOGENETICS entwickelte und vom Leverkusener Multi für den europäischen Markt einlizenzierte Präparat besteht aus dem mittels Gentechnik nachgebautem gerinnungshemmenden Enzym Thrombin und ist in den USA bereits seit Anfang 2008 erhältlich. In der Wirkungsweise unterscheidet es sich erheblich von dem ebenfalls zur Blutstillung bei OPs eingesetzten TRASYLOL, das BAYER wegen seiner lebensgefährlichen Nebenwirkungen nicht mehr vertreiben darf.

Deal mit MAXYGEN
Der Leverkusener Multi hat vom US-amerikanischen Biotech-Unternehmen MAXYGEN die Rechte an einem in der Entwicklung befindlichen Blutgerinnungspräparat erworben. Der Konzern stellt mit KOGENATE zwar selber ein solches Produkt her, aber bei 15 Prozent der Bluter bleibt es wirkungslos, weil ihr Organismus Abwehrstoffe gegen den Gerinnungshemmer ausbildet. Das MAXYGEN-Präparat hingegen soll gegen solche Antikörper gewappnet sein. Zudem hat BAYER sich durch den Deal den Zugriff eine Gentechnik-Forschungsplattform gesichert, die Ansatzpunkte für neue Medikamente bietet.

BAYERs Gen-Baumwolle genehmigt
Dass BAYERs Gentech-Baumwolle der Marke „LLCotton25“ einen höheren Anteil des Giftes Gossypol hat als konventionelle Pflanzen und einen niedrigeren an Vitamin E, stört die Europäische Union offenbar ebenso wenig wie die von dem Produkt ausgehende Gefahr für die Artenvielfalt. Im Oktober 2008 erlaubte die Brüsseler Kommission dem Konzern die Einfuhr der Baumwolle in die EU.

WASSER, BODEN & LUFT

BAYER-Altlasten im Grundwasser
In Wuppertal haben BAYER und die Stadt zwischen 1930 und 1950 einen ehemaligen Steinbruch an der Industriestraße als Müll-Deponie benutzt. 84.000 Kubikmeter Abfall kamen so zusammen, der das Grundwasser bis heute verunreinigt. Daran hat auch die 1990 vorgenommene Teil-Abdichtung nichts geändert. Deshalb steht nun eine Komplettsanierung an. Dichtungsbahnen aus Kunststoff sollen verhindern, dass Regenwasser in die Grube sickert und die Giftstoffe weiter in das Grundwasser spült. 850.000 Euro kostet das Ganze, das der Leverkusener Multi nicht alleine zahlen muss: Die Stadt Wuppertal und das Land Nordrhein-Westfalen beteiligen sich. Eine ebensolche Kraftanstrengung war vor Jahren in Leverkusen nötig, um die Dhünnaue-Deponie abzudichten.

Keine Kohlekraft nach Schwaben
Die Stadtwerke Schwäbisch Hall wollen sich aus Klimaschutzgründen nicht länger an dem Kohlekraftwerk beteiligen, das im Krefelder Chemiepark von BAYER geplant ist und 4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen soll. Die Energieerzeuger bauen stattdessen ein Biokraftwerk und erwägen die Mitfinanzierung eines Gaskraftwerks.

Altlasten in Wolfenbüttel
BAYER hat den Standort Wolfenbüttel aufgegeben (siehe KAPITAL & ARBEIT), aber Erinnerungsstücke hinterlassen. Als ArbeiterInnen den Labortrakt abrissen, stießen sie auf eine Altlast des Konzerns: 1.000 Kubikmeter pestizid-haltiges Erdreich! Der Wolfenbütteler BAYER-Betriebsleiter Christoph Sender konnte sich natürlich überhaupt nicht erklären, wie die Ackergifte in den Boden gelangen konnten, erklärte sich aber großzügigerweise bereit, für den Abtransport zu sorgen.

Keine weitere CO2-Senkung bis 2020
BAYER produziert jährlich 3,9 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Dazu kommen noch die 3,6 Millionen Tonnen des klima-schädigenden Gases, die bei der Produktion der zugekauften Energie anfallen. Reduzieren will der Leverkusener Multi den CO2-Ausstoß bis auf Weiteres nicht. „Die absoluten Treibhausgas-Emissionen werden bis 2020 auf dem aktuellen Niveau verbleiben“, kündigte Forschungsvorstand Wolfgang Plischke bei der Vorstellung des jüngsten Nachhaltigkeitsberichtes des Unternehmens an.

Kohlekraft: ein Viertel für BAYER
Obwohl noch mehr als unklar ist, ob die Stadt Krefeld dem Bau eines Kohlekraftwerks auf dem Gelände des BAYER-Chemieparks zustimmt, hat Konzernchef Werner Wenning in einem Interview mit Euro am Sonntag schon einmal den Umfang der avisierten Energie-Lieferungen beziffert. Ein Viertel der Leistung von 800 Megawatt will der Multi abnehmen.

GIFTIG, ÄTZEND, EXPLOSIV

Bezirksregierung bessert nach
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte BAYERs Pipeline-Projekt im Dezember 2007 das Allgemeinwohl abgesprochen. Deshalb erlaubte es zwar den Weiterbau, nicht aber die Inbetriebnahme der zwischen den Standorten Krefeld und Dormagen geplanten Kohlenmonoxid-Leitung. Die Bezirksregierung musste jetzt den Bedenken der RichterInnen in einem Planergänzungsverfahren Rechnung tragen. Im Oktober 2008 legte sie die Nachbesserungen vor, welche die Sache jedoch kaum besser machen (siehe auch SWB 4/08). Die BeamtInnen können nämlich auch jetzt nicht plausibel erklären, warum der Leverkusener Multi nicht einfach vor Ort eine Anlage zur CO-Erzeugung baut und flüchten sich in Falschaussagen. So behaupten die BürokratInnen einfach, es falle in Krefeld nicht genug Kohlendioxid für eine solche Fertigung an, obwohl der Konzern dort laut Schadstoffregister 1,15 Millionen Tonnen des Stoffes produziert. Wohl nicht zuletzt wegen solcher Schnitzer hält die Bezirksregierung die neun Gutachten, auf die sie sich bei den angemahnten Nachbesserungen gestützt hatte, unter Verschluss. Die Forderung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN nach Veröffentlichung der Expertisen lehnte die Behörde ohne Begründung ab.

Pfusch am Pipeline-Bau
BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline, welche die Standorte Dormagen und Krefeld verbinden soll, ist noch nicht einmal ganz fertig, da füllt die Mängelliste schon 23 Seiten. Die Initiative „Baustopp der BAYER-Pipeline“ dokumentierte „Pfusch am Bau“ wie Rohre, die trotz Arbeitsunterbrechung nicht abgedeckt waren, fehlerhafte Schweißarbeiten, rostige Leitungen und unsachgemäß angebrachte Gas-Melder. Der Leverkusener Multi erkennt die Beweiskraft der vorgelegten Fotos erwartungsgemäß nicht an. Es handle sich dabei nur um „Momentaufnahmen“, welche die Pipeline-GegnerInnen überdies „laienhaft“ interpretiert hätten, so BAYER.

Holländische Pipeline-Verhältnisse
In Holland sind die Sicherheitsvorschriften für Kohlenmonoxid-Pipelines viel strenger als in der Bundesrepublik. Während die von BAYER zwischen Dormagen und Krefeld verlegte Leitung bis auf drei Meter an Häuser herankommt, schreiben die Niederlande zu Wohnbebauung einen Abstand von 55 Meter vor und zu Kindergärten, Schulen und Altersheimen sogar einen von 175 Metern.

Kritik am Pipeline-Gefahrenplan
Der Duisburger Physik-Professor Michael Schreckenberg hat Kritik an dem Gefahrenabwehrplan geübt, der im Falle eines Unfalls an BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline zur Anwendung kommen soll. „Es gibt viele Ungereimtheiten“, so Schreckenberg. Der Hochschullehrer hält die Alarmierungszeiten von 15 Minuten für zu lang und rechnet im Fall eines Gasaustrittes mit einem Fluchtverkehr, der den Feuerwehren den Weg zum Unfallort versperren könnte. Auch die eigenen vier Wände sieht er nicht als Schutzraum an, wenn Häuser über Umluft-Anlagen verfügen, die das Kohlenmonoxid von draußen hereinholen.
Volkskrankheiten durch Bisphenol?
BAYER zählt zu den größten Herstellern der Chemikalie Bisphenol A, die in Alltagsgegenständen wie Mineralwasser- und Babyflaschen sowie Konservendosen enthalten ist. Die Substanz wirkt hormon-ähnlich und stört so die Entwicklung des Gehirns, Stoffwechselprozesse und die Fortpflanzungsfähigkeit. Eine Forschergruppe um David Melzer von der Peninsula Medical School in Barrack hat diesen „Risiken und Nebenwirkungen“ jetzt weitere hinzugefügt. Die WissenschaftlerInnen wiesen im Urin von DiabetikerInnen und Herzkranken überdurchschnittlich hohe Bisphenol-Werte nach. Die beiden Forscher Frederick vom Saal und John Peterson Myers übten daraufhin Kritik an den US-amerikanischen und europäischen Zulassungsbehörden, die anders als die kanadischen (SWB 2/08) noch immer keine Veranlassung für strengere Auflagen sehen. Dass die Ämter nicht reagieren, habe mit einer aggressiven Desinformationskampagne der Industrie zu tun, schreiben vom Saal und Myers in dem Fachjournal Jama (Bd. 300, S. 1353).

AGROSPRIT & PROFIT

Agrosprit verteuert Lebensmittel
BAYER profitiert direkt und indirekt vom Agrosprit-Boom. Einerseits betreibt der Leverkusener Multi in Tateinheit mit DAIMLER das Jatropha-Pflanzen-Projekt, andererseits bietet er maßgeschneidertes, besonders viel Tankfüllung produzierendes Saatgut an. In welchem Ausmaß der Agro-Kraftstoff die Nahrungsmittel verteuert, hat jetzt ein Bericht der Weltbank offen gelegt. Dem Institut zufolge hat die Nachfrage nach „Treibstoff-Pflanzen“ bei Lebensmitteln für einen Preisauftrieb in Höhe von 75 Prozent gesorgt.

STANDORTE & PRODUKTION

Mehr Kunststoffe aus China
In Shanghai hat eine neue BAYER-Anlage zur Herstellung des Kunststoffes MDI die Produktion aufgenommen, die auf eine Jahres-Kapazität von 350.000 Tonnen kommt. Zudem ging eine Fertigungsstätte für Polyurethan-Rohstoffe, die in der Wasserlack-Industrie Verwendung finden, in Betrieb. Damit nicht genug, begannen die Bauarbeiten für ein TDI-Werk, das der Leverkusener Multi im Jahr 2010 einweihen will.

Leuchtreklame am Hochhaus
BAYER reißt sein altes Verwaltungszentrum nicht ab, sondern nutzt es als Leuchtreklame. Der Leverkusener Multi bringt an den Außenwänden 5,6 Millionen Leuchtdioden an, die das Gebäude zu einem der größten Werbeträger der Welt machen - und zu einem der energie-intensivsten. Der Stromverbrauch liegt bei 1.800 Kilowattstunden pro Tag, und lediglich zehn Prozent dieses Bedarfes decken die auf dem Dach installierten Solarzellen.

ÖKONOMIE & PROFIT

Japanische Börse ohne BAYER
Im letzten Jahr hat der Leverkusener Multi sich von der US-Börse zurückgezogen. Nun verabschiedete sich der Konzern auch vom japanischen Aktien-Markt. Das geringe Handelsvolumen habe die mit dem Listing verbundenen Kosten nicht mehr gerechtfertigt, sagte BAYER-Finanzvorstand Klaus Kühn zur Begründung und verwies im Übrigen auf den globalisierten Handel mit den Anteilsscheinen, der eine Präsenz an allen Weltbörsen überflüssig mache.

Höhere Kosten, höhere Preise
Der Leverkusener Multi gibt die höheren Rohstoff- und Energiekosten, die allein im Kunststoffbereich 230 Millionen Euro ausmachen, zum großen Teil an seine Kunden weiter. „Das wird bis in den zweistelligen Bereich gehen“, kündigte BAYER-Chef Werner Wenning an.

BAYER Nr. 10
Mit einem Umsatz von 32 Milliarden Euro und 106.000 Beschäftigten nimmt BAYER in der Rangliste der größten bundesdeutschen Unternehmen den zehnten Platz ein.

BAYER im Stoxx 50
BAYER hat Aufnahme in den Stoxx 50 gefunden, einen Index, der die fünfzig kapitalträchtigsten Unternehmen aus dem europäischen Raum aufführt. Der Platz, der dem Leverkusener Multi mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Aktien kaufenden Fondsgesellschaften garantiert, wurde durch die im Zuge der Wirtschaftskrise rapide an Wert verlierenden Finanztitel HBOS, LLOYD‘s und FORTIS frei.

IMPERIUM & WELTMARKT

Fibig neuer SCHERING-Chef
Der frühere PFIZER-Manager Andreas Fibig ist neuer Vorstandsvorsitzender von BAYER SCHERING. Sein Vorgänger Arthur Higgins bleibt Chef der Gesundheitssparte, zu der neben BAYER SCHERING noch die Diabetis- und Veterinärabteilung sowie der Bereich mit frei verkäuflichen Arzneien gehört.

Deutsch-brasilianischer Wirtschaftstag
Brasilien zählt zu den zehn größten Absatzmärkten BAYERs - gerade erst gab der Konzern Investitionen von 100 Millionen Euro in dem südamerikanischen Land bekannt. Darum durfte er auch bei den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen nicht fehlen, die vom 24. bis zum 26. August in Köln stattfanden.

Deal mit MAXYGEN
Der Leverkusener Multi hat vom US-amerikanischen Biotech-Unternehmen MAXYGEN die Rechte an einem in der Entwicklung befindlichen Blutgerinnungspräparat erworben (siehe auch GENE & KLONE).

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Mehr Unfälle, mehr Sirenen
In Nordrhein-Westfalen ereigneten sich in diesem Jahr zahlreiche Chemie-Unfälle. Auch bei BAYER kam es zu einigen Störfällen. In Wuppertal wurde Ammoniak freigesetzt, in Bergkamen gelangte Thionylchlorid ins Freie und in Leverkusen drang aus einer undichten Leitung Chlor. Diese Störfälle haben das Bewusstsein für die Gefährlichkeit industrieller Anlagen geschärft und die Politik zum Handeln gezwungen. Es blieb allerdings bei einem symbolischen. Der Krisengipfel der nordrhein-westfälischen Landesregierung beschloss lediglich, mehr Sirenen aufzustellen, um die Bevölkerung besser warnen zu können, wenn es mal wieder einen großen Knall gegeben hat. Prophylaktische Maßnahmen wie eine strengere Aufsicht oder schärfere Auflagen für die Anlagen-Betreiber standen nicht auf der Tagesordnung.

RECHT & UNBILLIG

Anklage wg. Medicaid-Sozialbetruges
Der US-Bundesstaat Kansas hat Anklage gegen BAYER und andere Pillen-Riesen erhoben. Der Staatsanwalt Steve Six wirft Big Pharma vor, Medicaid, das staatliche Medikamenten-Hilfsprogramm für Bedürftige, durch überhöhte Arznei-Preisangaben betrogen zu haben. „Wir glauben, dass Kansas durch die betrügerischen Kalkulationen dieser Pharma-Unternehmen Millionen Dollar verloren hat“, sagte Six der Presse.

BAYER besticht
Der Leverkusener Multi hat in den USA elf Firmen, die medizinische Geräte vertreiben, mit insgesamt 2,8 Millionen Dollar bestochen, damit sie nur noch Blutzucker-Messgeräte aus dem Hause BAYER vertreiben. Doch der Schwindel flog auf - und wurde teuer. Der Konzern musste für die Bestechung eine Strafe von 97,5 Millionen Dollar zahlen und fügte seinem ellenlangen Sündenregister damit ein weiteres Kapitel zu.

Keine Steuerrückzahlung für BAYER
Der Leverkusener Multi vermeinte, für seine immer wieder durch Störfälle auffallende Niederlassung im US-amerikanischen Institute 457.000 Dollar zu viel Steuern gezahlt zu haben, und zog vor Gericht. Zunächst bekam der Konzern Recht zugesprochen, verlor jedoch in letzter Instanz. Die RichterInnen räumten zwar durchaus Berechnungsfehler ein, führten diese aber auf BAYERs mangelhafte Steuererklärung zurück und lehnten das Rückzahlungsbegehr ab. Der Landkreispräsident Kent Carper zeigte sich erleichtert über das Urteil. Wenn große Unternehmen mit großen Ressourcen sich nachträglich ihrer Steuerverpflichtungen entledigen könnten, müsste der normale Steuerzahler nämlich seiner Ansicht nach entsprechend mehr zahlen.

Institute: BAYER muss zahlen
Schon bevor BAYER 2001 das Werk im US-amerikanischen Institut erwarb, wo sich am 28. August eine schwere Explosion ereignete, wurde die Produktionsstätte wegen seiner Sicherheitsrisiken aktenkundig. Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA stellte so schwerwiegende Mängel wie überhöhte Emissionen, fehlerhafte Emissionsberichte sowie Verstöße gegen Vorschriften im Umgang mit gefährlichen Stoffen fest und forderte den Leverkusener Multi als Rechtsnachfolger zu einer Strafzahlung in Höhe von einer Million Dollar auf.

Ex-Beschäftigte verklagt BAYER
Nach zahlreichen Meldungen über Todesfälle musste BAYER am 8. August 2001 den Cholesterinsenker LIPOBAY vom Markt nehmen. Wie gefährlich das Mittel ist, wusste der Leverkusener Pharma-Riese allerdings schon lange vorher. Trotzdem vermarktete er das Medikament weiter. Darum betätigte sich jetzt eine ehemalige Angestellte als Whistleblowerin und verklagte den Konzern (siehe auch SWB 4/08).

1.200 Klagen wg. Genreis
Im Jahr 2006 fand sich genmanipulierter Reis von BAYER massenhaft in herkömmlicher Supermarkt-Ware wieder und löste damit einen der größten Gen-Gaus der letzten Zeit aus. Den Schaden, den die gegen das Herbizid LIBERTY resistente Sorte verursacht hatte, bezifferte GREENPEACE auf 1,2 Milliarden Dollar. Die Lebenmittel-Rückrufe schlugen dabei mit 253 Millionen zu Buche, die Exportverluste für die US-amerikanischen Reis-FarmerInnen in der Saison 2006/07 mit 254 Millionen und die für 2007/08 ca. mit 445 Millionen. Die LandwirtInnen zogen deshalb massenhaft vor Gericht. Auf 1.200 ist die Zahl der KlägerInnen mittlerweile angewachsen.

BAYER-Beschäftigter klagt
Den BAYER-Beschäftigten Rickey J. Carman machte die Arbeit krank, weshalb er den Leverkusener Multi verklagt hat. Carmans Aufgabe war es, am Standort Natrium im US-amerikanischen Marshall County für den Abtransport bestimmte Tanks mit dem Kunststoff-Zwischenprodukt Toluylendiisocyanat (TDI) zu befüllen oder die gelieferte flüssige Chemikalie aus den Behältern abzupumpen. Immer kam er dabei mit der Substanz in Berührung, denn es leckte gehörig aus den Leitungen, so dass sich permanent ein Chemie-Nebel verbreitete. Da TDI das zentrale Nervensystem angreifen kann, blieb das nicht ohne Folgen. Der Arbeiter bekam eine Depression und litt zudem unter Übelkeit, Kopfschmerzen und Gedächtnisverlust. Das alles hätte dem US-Amerikaner erspart bleiben können, wenn BAYER die TDI-Produktion in Natrium aufrechterhalten hätte, statt den Stoff aus Kostengründen per Zug, LKW oder Pipeline anliefern zu lassen. Aber der Konzern verzichtete wie im Fall „Kohlenmonoxid“ auf eine Fertigung im Werk selbst.

Noch eine TRASYLOL-Klage
Im November 2007 musste BAYER das zur Blutstillung bei Operationen eingesetzte Medikament TRASYLOL vom Markt nehmen (SWB 4/07). Die Nebenwirkungen reichten von Nierenversagen über Schlaganfälle bis hin zu Herzinfarkten. Peter Sawicki vom „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ zufolge starben an der BAYER-Arznei allein in der Bundesrepublik jährlich 300 Menschen; weltweit geht die Zahl der Toten in die Zehntausende. Ca. 100 Klagen auf Schadensersatz sind den Justizbehörden bislang eingegangen. Im Oktober 2008 kamen noch zwei dazu. Die US-AmerikanerInnen Gary Harms und Linda Kopsie verlangen zwei Millionen Dollar Schmerzensgeld vom Leverkusener Multi. Linda Kopsie macht den Konzern für den Tod ihres an Nierenversagen gestorbenen Mannes verantwortlich, und Harms fordert eine finanzielle Entschädigung für sein Nierenleiden ein.

Irreführende ASPIRIN-Werbung
BAYER hat in den USA eine Kombination seines „Tausendsassas“ ASPIRIN mit dem hauptsächlich als Nahrungsergänzungsmittel verwendeten Phytosterol auf den Markt geworfen und bewirbt den Mix als „best of both worlds“: gleichzeitig cholesterinsenkend und einem Herzinfarkt vorbeugend. Die US-Gesundheitsbe

[Wasser Wacken] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

Bauern oder BAYER – wem gehört das Grundwasser?

Nächste Runde im Wasserstreit von Wacken

Der kleine Ort Wacken im schleswig-holsteinischen Landkreis Steinburg (Kreisstadt Itzehoe) ist heute eher durch das jährliche Heavy-Metal-Festival und natürlich den dazu gedrehten Dokumentarspielfilm „Full Metal Village” bekannt. Der seit mittlerweile 30 Jahren schwelende Streit um das Wasserwerk in Wacken und die Entschlossenheit einiger Betroffener, sich gegen eine Allianz aus Wirtschaftsinteressen, Verwaltungsapparat und willfährigen Gutachtern zur Wehr zu setzen, verdient aber mindestens dieselbe Wahrnehmung und Anerkennung (siehe SWB 1/06).

Von Thomas Kleineidam

Es ist inzwischen eingetreten, was schon 2005 abzusehen war: Dem Betreiber des Wackener Wasserwerks wurde die wasserrechtliche Bewilligung erteilt, aus den Brunnenfassungen Wacken und Pöschendorf auf die Dauer von 30 Jahren bis zu fünf Millionen Kubikmeter Grundwasser zu fördern1. Diese jährliche Fördermenge ist nach den Erfahrungen der vom Wasserwerksbetrieb geschädigten Landwirte und Hausbesitzer aber viel zu hoch.
Das Wasserwerk in der Gemeinde Wacken wurde im April 1977 in Betrieb genommen, um das Industriegebiet Brunsbüttel an der Elbe und hier vor allem den so genannten BAYER Industriepark2 mit hochwertigem und billigem Brauchwasser zu versorgen. Bereits im Sommer 1979 machten sich die Auswirkungen der Grundwasserentnahme bemerkbar. Die Pumpen in Haus- und Weidebrunnen zogen nur noch Luft, weil der Grundwasserspiegel so stark abgesunken war. Kleine Quellen versiegten und zehn Jahre zuvor verlegte Rohrdränagen blieben trocken. Die Trinkwasserversorgung brach teilweise zusammen und schleunigst wurden die Häuser ans Wasserwerk angeschlossen. Ab 1986 fielen an Gebäuden in mehreren Ortsteilen von Wacken Schäden in Form von Rissen auf.
Ein Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Wasserwerks und der Verursachung von Schäden durch die Absenkung des Grundwassers haben die Wasserwerksbetreiber von Anfang an abgestritten. Viele Betroffene wehrten sich, stellten Entschädigungsanträge und Anträge auf Reduzierung der Fördermengen. Den meisten blieb im Laufe der Jahre die finanzielle “Luft” weg, sie scheuten die hohen und abschreckenden Gerichts- und Gutachterkosten, ließen sich von Drohungen einschüchtern oder konnten einfach nervlich die Verteidigung ihrer Interessen nicht mehr durchstehen.
Einer aber kämpft seit Anfang an, unterstützt von seiner Familie und wenigen Mitstreitern, um eine angemessene Kompensation der Schäden auf seinen Flächen und an seinem Hof sowie um eine Reduzierung der Fördermengen: Landwirt Hans Möller. Die Geschichte des Streits um das Wackener Grundwasser ist zum Teil der Lebensgeschichte der Familie Möller geworden.
Im Jahr 2004 lief die auf 30 Jahre erteilte Bewilligung zur Grundwasserentnahme ab. Daher hatte der Zweckverband Wasserwerk Wacken im Dezember 2003 den Antrag auf Neubewilligung der Grundwasserentnahme in Höhe von 6,2 Millionen Kubikmeter pro Jahr gestellt, davon sollten vier Millionen Kubikmeter aus den Wackener Brunnenfassungen kommen.
Im Erörterungsverfahren 2005 wurden 195 Einwendungen vorgebracht, davon 15 von Trägern öffentlicher Belange und acht Einzeleinwendungen von direkt Betroffenen. Gegenstand waren meist die Absenkung oberflächennahen Grundwassers und die daraus folgenden Gebäude- und Bodenschäden, die durch den Betrieb des Wasserwerks verursacht wurden. Das zuständige Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein (LANU) brauchte zwei Jahre, um die Einwendungen zu prüfen und zu einem Ergebnis zu kommen.
Die Bewilligung vom Juli 2007 liegt mit fünf Millionen Kubikmeter pro Jahr niedriger als die beantragten 6,2 Millionen Kubikmeter. Sie enthält Nebenbestimmungen, von denen einige als Teilerfolg gewertet werden können, wie etwa die Auflage, Bodensackungen und Gebäudeschäden zu untersuchen und in Kontrollmessstellen bestimmte Grundwasserstände nicht zu unterschreiten.
In den Erläuterungen zum Bewilligungsbescheid wird bestätigt, „ ... dass das ... geförderte Grundwasser zwar zu Trinkwasser aufbereitet wird, jedoch zu einem hohen Prozentsatz als Brauchwasser an die Industrie verkauft wird”3. Auch die von den Einwendern nachgewiesene mangelhafte Qualität der Umweltverträglichkeitsstudie und ihrer Rechenspiele wird amtlich bestätigt: „Darüber hinaus wird der Gesamtheit der hypothetischen Grundwasserneubildungsrate die Grundwasserentnahmemenge gegenüber gestellt und vorgerechnet, dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Grundwasserneubildungsmenge für die Entnahme genutzt wird. Dieses ist irreführend.”
Sogar die Absenkung des oberflächennahen Grundwassers und die wichtige Rolle Hans Möllers für die Untersuchungen wird von Amts wegen bestätigt: „Im hydrogeologischen Gutachten wird darauf hingewiesen, dass auf Grund der geringen Datendichte ein Flurabstandsplan für die Gesamtheit des Einzugsgebiets des Wasserwerks nicht erstellt werden kann. ... In Teilbereichen ... ist dieses jedoch möglich, nicht zuletzt, weil hier auf Initiative des Einwenders H. Möller ... ein engständiges oberflächennahes Grundwassermessstellennetz betrieben wird. Das Phänomen der sinkenden Wasserstände ist ... am Beispiel der Messstellenstandorte 24 und 25 dargestellt. ... Diese Wasserstandstrends können nicht auf die Flurbereinigung in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zurückgeführt werden, weil sich die Absenkungen sonst schon früher bemerkbar gemacht hätten. Außerdem reichen die Absenkungen unter Vorflutniveau. ... Der Abwärtstrend ist zweifelsfrei in mehreren Messstellen belegt. Er beträgt im Einzelfall bis zu 1,5 Meter. ... Es kommt hier also zu einer zusätzlichen Absenkung, die ihre Ursache nur in der Grundwasserförderung haben kann.”
Wer allerdings glaubte, nach solchen Erkenntnissen würde die Grundwasserentnahme eingeschränkt, wurde schnell enttäuscht. Die auf den ersten Blick positiv scheinenden Nebenbestimmungen erweisen sich bei näherer Betrachtung als unzureichend. So liegen die Grundwasserstände, die nicht unterschritten werden dürfen, bis zu fünf Meter unter denjenigen, die noch vor Beginn des Wasserwerksbetriebs vorherrschten, also viel zu tief, um Nachteile aus der Grundwasserförderung verhindern zu können. Auch die vorgeschriebenen Untersuchungen dienen nicht dazu, das tatsächliche Ausmaß aller Schäden zu erfassen. So heißt es im Bewilligungsbescheid klipp und klar: „Ziel dieses Bewilligungsverfahrens ist nicht, über etwaige Schäden, die aus dem vergangenen Vorhaben” – gemeint ist die Grundwasserförderung bis 2007 – „herrühren, zu befinden. Um zukünftige Schäden feststellen zu können, muss die derzeitige Ist-Situation dokumentiert werden” 3.
Im Prinzip heißt das nichts anderes, als dass die Betroffenen sich mit den bisher eingetretenen Schäden abzufinden und sie als „Ist-Situation” zum Zeitpunkt der Neubewilligung hinzunehmen haben. Dabei wird unterstellt, es sei möglich, bisher eingetretene und eventuelle zukünftige Schäden eindeutig auseinanderzuhalten. Das ist praktisch ausgeschlossen, weil die bisher eingetretenen Schäden niemals systematisch dokumentiert wurden. Diese technokratische Sichtweise mit der Festlegung eines Datums, an dem bestehende „Altschäden” von neu eintretenden Schäden getrennt werden sollen, hat mit den realen Vorgängen außerhalb der Amtsstuben nichts zu tun.
Das größte Problem ist aber die bewilligte Fördermenge. Alleine in den Wackener Brunnenfassungen dürfen drei Millionen der genehmigten fünf Millionen Kubikmeter gefördert werden. Nach den Erfahrungen von Hans Möller können dort aber nur 1,4 bis maximal zwei Millionen Kubikmeter entnommen werden, ohne die Böden, die Landwirtschaft auf diesen Flächen und Gebäude im Ort zu schädigen.
Folgerichtig haben Möller und andere Betroffene Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid eingelegt. Die amtliche Antwort kam am 19. Dezember 2007: Darin wird der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Im Bescheid an Hans Möller steht, „eine nachteilige Betroffenheit der Widerspruchsführer ist nicht zutreffend, da über die Nebenbestimmungen eine nachteilige Veränderung des Natursystems ... verhindert wird”4. So einfach geht das. Wenn die Behörde Auflagen zur Dokumentation möglicher zukünftiger Schäden macht, dann gibt es von vornherein gar keine Schäden.
Am 21. Januar 2008 hat Hans Möller zusammen mit sechs anderen Betroffenen Klage gegen das LANU und dessen Bewilligung beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Als die Grundwasserentnahme in Wacken 1974 bewilligt wurde, hatten Betreiber und Bewilligungsbehörden an vieles gedacht. Aber dass es Betroffene geben werde, die sich seitdem gegen Schäden durch den Wasserwerksbetrieb ebenso wehren wie gegen die Verschwendung ihres guten Grundwassers durch Brunsbüttels Industrie – das haben sie wohl nicht erwartet. 30 Jahre geht das jetzt und ein Ende ist nicht abzusehen.

ANMERKUNGEN

1LANU: Bewilligung, Aktenzeichen 45-5201.11/61-107 vom 9. Juli 2007 (Wasserrechtlicher Bewilligungsbescheid auf den Antrag des Zweckverbandes Wasserwerk Wacken vom 15. Dezember 2003).
2http://www.brunsbuettel.bayer.de
3LANU: Bewilligungsverfahren Wasserwerk Wacken, Erläuterungen zum Bewilligungsbescheid, 20. Juni 2007.
4LANU: Bewilligung des Rechts zur Grundwasserentnahme durch das Wasserwerk Wacken, Widerspruch von Herrn Hans Möller vom 13. August 2007, Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2007.

Der vorstehende Artikel wurde entnommen aus der Zeitschrift Waterkant, ISSN 1611-1583, Heft 2 / 2008, Seite 24-25, im 24. Jahrgang Zeitschrift für Umwelt + Mensch + Arbeit in der Nordseeregion, herausgegeben vom Förderverein Waterkant (in Gründung), ehemaliges Mitteilungsblatt der AKTIONSKONFERENZ NORDSEE e. V. (AKN), Nachdruck mit Erlaubnis des Autors und der Redaktion.

[Mitbestimmung] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

BAYERs Sozialpolitik

„Stimmt die Chemie? Mitbestimmung und Sozialpolitik in der Geschichte des BAYER-Konzerns“ ist der Titel eines dickleibigen Buches, das Manfred Demmer sich genauer angesehen hat.

Die Herausgeber sind Wissenschaftler des „Institut für soziale Bewegungen“ an der Ruhr-Universität Bochum, mit dessen Direktor Klaus Tenfelde an der Spitze, der auch den einleitenden Beitrag über Mitbestimmung und Unternehmenskultur in der Chemieindustrie verfasst hat. Deutlich wird daraus, dass „Mitbestimmung“ den Industriebossen überhaupt nicht schmeckte, durch den Druck der Arbeiterbewegung entstand und heute „nicht nur ‚im Gerede’, sondern ernsthaft gefährdet ist - „jedenfalls in der Wirtschaft, während das Personalvertretungsrecht der Arbeiter, Angestellten und Beamten von Bund, Ländern und Kommunen eher hinter vorgehaltener Hand kritisiert, mancherorts aber auch bereits eingeschränkt wird. Recht besehen, war das immer so. Als in den Jahrzehnten des Kaiserreichs und vor allem mit dem Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst vom Dezember 1916 betriebliche Arbeitervertreter, später dann auch Arbeitnehmer-Vertretungen in den Aufsichtsräten großer Unternehmen, gesetzlich verordnet wurden, haben sich die Arbeitgeber stets energisch dagegen gewehrt. Das gilt auch für die zweite Nachkriegszeit, als die Mitbestimmung mit gewissen Varianten in mehreren gewichtigen Schritten ihre heutige Gestalt annahm.“ (S.26)

BAYER in der IG-FARBEN-Ära
Im Anschluss an diesen ins Thema einstimmenden Aufsatz schreibt der Historiker Paul Erker über „Die BAYER-AG. Entwicklungsphasen eines Chemiekonzerns im Überblick.“ Auf den Seiten 42 bis 45 geht es unter dem Untertitel um „Kooperation, Fusion und relative Autonomie: BAYER in der IG-FARBEN-Ära (1920 bis 1952)“. Dabei ergeben sich dann doch schon einige Fragen. Die durchgängige Darstellung der ökonomischen und wissenschaftlichen Entwicklung bei BAYER erscheint positiv (was durch vielfältige informative Grafiken untermauert wird), wird allerdings nur selten mit Blick auf die damals herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen beleuchtet. So heißt es z.B. angesichts der „BAYER-Kultur“ eines „Primats der Organisation und der Forschung“: „Gleichzeitig jedoch musste BAYER die rüstungs- und kriegwirtschaftliche Ausrichtung des IG FARBEN mitmachen“. Mitmachen? Wer zwang BAYER dazu? Und gab es nicht gerade auch bei BAYER ein großes Interesse, die Früchte zu ernten, die mit Wissen und im Handeln des IG FARBEN-Vorstands um den mit den deutschen Faschisten ausgekungelten Benzin-Deal gesät worden waren? Immerhin erfährt der/die LeserIn in neun Worten, dass diese Ausrichtung der Konzern-Politik „eine tiefe Verstrickung in die Verbrechen des NS-Regimes“ mit sich brachte. Gerne hätte man ja auch erfahren, worin die Ausrichtung und Verstrickung bestanden hat. Hier gibt es dazu jedenfalls keinen Hinweis – vielleicht an anderer Stelle des Buches?
Ab Seite 57 werden in einem Aufsatz „Carl Duisberg und die Anfänge der Sozialpolitik und Mitbestimmung“ behandelt. Unter der Überschrift: „Taktierender Wirtschaftsführer, fürsorglicher Patriarch oder überzeugter Sozialpolitiker?“ begibt sich der Historiker Jürgen Mittag auf eine Spurensuche. Dabei erfährt man interessante Details über Duisberg, der im und nach dem Ersten Weltkrieg zu „einem Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik“ wurde und der für diese „Anstrengungen ein zusätzliches Jahresgehalt von den Farbenfabriken (erhielt).“ (S.63)
Es finden sich auch Hinweise auf Duisbergs Position im Ersten Weltkrieg, in dem er sich vehement für eine Steigerung der militärischen Anstrengungen einsetzte. Er trieb „seine“ Arbeiter zur freiwilligen Meldung für den Kriegsdienst. Hier wäre es natürlich interessant gewesen zu erfahren, was Duisberg unternahm, um die Produktion in den Werken aufrechtzuerhalten. Doch dazu gibt es keinen Hinweis, z. B. auf den Einsatz von belgischen Zwangsarbeitern. Er, der in jenen Tagen eine „stark nationalistische Haltung“ an den Tag legte und dem enger Kontakt mit dem reaktionären Militär Ludendorff nachgesagt wurde, forderte immer wieder „den Kampf siegreich durchzuführen“.

Alles andere als Sozialisierung im Kopf
Dass dieser Wirtschaftsführer dann nach Kriegsende - als die kriegsmüden Massen nach gesellschaftlichen Veränderungen strebten - erkannt hatte, welche Gefahren dadurch entstehen könnten, zeigt seine Mitarbeit in der „Sozialisierungskommission“, wo er natürlich alles andere als „Sozialisierung“ im Kopf hatte. Später entwickelte er als Chef des „Reichsverbandes der Deutschen Industrie“ Pläne, die mithelfen sollten, die Verwertungsbedingungen für das Kapital zu verbessern. (Anmerkung: viele der sozialen Grausamkeiten heutiger „Sozialpolitiker“ könnten von Duisberg abgeschrieben worden sein). Angesprochen wird auch Duisbergs Verhältnis zu den Nazis, das angeblich von „ausgesprochener Kritik“ geprägt gewesen sei. Nach Meinung des Verfassers hat er sich zu Beginn der 20er Jahre zu einem „Vernunftrepublikaner“ gewandelt. Als Beweis wird die Unterstützung Duisbergs für Hindenburg bei der Reichspräsidentenwahl 1932 erwähnt. Dabei sei auch ein namhafter Geldbetrag der IG FARBEN gespendet worden. Dass damals vom „System Duisberg“ Finanzmittel an alle Parteien (außer der KPD) gingen, wird nicht thematisiert. Allerdings liest man dann: „Später zeigte er sich jedoch Plänen der Nationalsozialisten gegenüber aufgeschlossener. Noch im Juni 1933 betätigte er sich als Spendensammler Hitlers.“ (S.65)
Es folgen die betrieblichen „Wohlfahrtseinrichtungen“, die Duisbergs Ruf als sozialer Patron begründeten. In gewissem Maße trifft das Urteil von Ralf Stremmel (1) zu, der dazu feststellt: „Mittags Forschungsergebnis widerspricht immer noch kursierenden Pauschalurteilen über betriebliche Sozialpolitik. Ein wenig verwundert freilich, dass ein weiterer Motivstrang betrieblicher Sozialpolitik im Kaiserreich kaum erwähnt wird: Hatte BAYERs Sozialpolitik nicht auch überbetriebliche gesellschaftspolitische Ziele und Funktionen? Konkret: Ging es nicht auch darum, die Sozialdemokratie einzudämmen?“
Hinzufügen könnte man, dass viele dieser „Wohlfahrtseinrichtungen“ von Duisbergs Nachfolgern auf dem Altar der ungehemmten Profitjagd geopfert wurden – trotz der Proteste vieler BürgerInnen, die an die heutigen Konzernherrn appellieren, das „soziale Werk (!)“ Duisbergs nicht zu schänden. Auch das zeigt, dass das Wissen um die Sozialpolitik von Duisberg & Co. viele Lücken hat, die Veröffentlichungen wie diese wenigstens ein bisschen hätten schließen können.

Nicht ins Stadtarchiv geschaut?
Im Kapitel „Anfänge der Mitbestimmung: Gewerkschaften, betriebliche Sozialpolitik und Arbeitskonflikte in Leverkusen bis 1933/39“ behandelt Werner Plumpe (siehe auch SWB 1/08) die Auseinandersetzungen, welche die Arbeiterbewegung zur Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen führen musste. Im Hinblick auf die 1919 konstituierte Weimarer Republik, die viele Forderungen der Novemberrevolution aufsaugen musste, um revolutionäre Ansätze abzufangen, kommt Plumpe zu der Feststellung, dass es mit dem Betriebsrätegesetz von 1920 „zur Verankerung von Mitbestimmungsrechten in Betrieben (kam), deren Leitungen diese Mitbestimmung gerade nicht wünschten. Die Ablehnung der neuen Regeln durch die Unternehmer war flächendeckend, da man sich (sic!) von einem weit gefassten Mitspracherecht der Belegschaften bestenfalls Zeitverzögerungen und höhere Kosten erwartete, schlimmstenfalls aber eine Fernsteuerung der Betriebe durch betriebsfremde Gewerkschaften und revolutionäre Gruppen befürchtete.“
Die „legalen und legitimen Handlungsmöglichkeiten der Belegschaften, (schränkte das Gesetz), gemessen an den revolutionären Usancen der Jahre 1918 und 1919 drastisch ein.“(S. 91) In den Unterkapiteln – wo auf die Geschehnisse in Leverkusen eingegangen wird – finden sich mancherlei Hinweise, wie der „Generaldirektor“ im Interesse des Kapitals versuchte, die Entwicklung zu beeinflussen und damit letztendlich auch erfolgreich war. Bezüglich der Bewertungen einzelner Vorkommnisse wäre es hilfreich gewesen, wenn der Autor sich auch jener Quelle bedient hätte, die seit fast 30 Jahren im Leverkusener Stadtarchiv einzusehen ist. Rainer Balluff (Schulze) - langjähriger Vorsitzender der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. - hatte damals eine Diplomarbeit unter dem Titel „Die Geschichte der Arbeiterbewegung in Leverkusen in der Weimarer Republik“ vorgelegt, die eine unverzichtbare Quelle für jeden ist, der sich mit der Arbeiterbewegung bei BAYER und in Leverkusen befasst. Eine für 2005 von der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. vorgesehene Veröffentlichung scheiterte bisher aus mancherlei Gründen – jedoch ist sie weiterhin noch vorgesehen.

Entschädigung für Zwangsarbeit?
Valentina Maria Stefanski berichtet über den Einsatz von (polnischen) ZwangsarbeiterInnen bei BAYER. Im Großen und Ganzen gibt sie eine korrekte Beschreibung der Verhältnisse (wie schon in ihrem 2000 erschienenen Buch „Zwangsarbeit in Leverkusen – Polnische Jugendliche im IG- Farbenwerk“), unter denen die ArbeitssklavInnen als Ersatz für die im Krieg befindlichen deutschen Arbeiter den Profit der Farbenwerke erwirtschaften mussten. Dass dies auch heute noch als vollkommen legitim angesehen wird, wurde bei einer Veranstaltung zur ZwangsarbeiterInnen-Entschädigung in Leverkusen deutlich, wo ein Diskutant genau diese Sichtweise vehement verteidigte, um damit die Verpflichtung für eine Entschädigung durch den Konzern in Abrede zu stellen.
Die beiden BAYER-Archivare Hans Hermann Pogarell und Michael Pohlenz behandeln in ihrem Beitrag die „Betriebliche Sozialpolitik in der Nachkriegszeit: Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum hundertjährigen Firmenjubiläum 1963“. Ihren durchaus faktenreichen Streifzug durch die betrieblichen Sozialpolitik (von vielen als „Sozialklimbim“ bezeichnet, der von heutigen Konzerngewaltigen nach und nach abgeschafft wird) von der Improvisation und Mangelverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum systematischen Wiederaufbau der „Wohlfahrtseinrichtungen“ wird man trotzdem als wenig kritische Darstellung bewerten dürfen. Nebenbei wird hier auch eine fragwürdige Geschichtsdeutung sichtbar.

Wer kolportiert hier?
Die Sozialpolitik des Konzerns hatte nach Kriegsende besonders mit den Folgen des von den Nazis und dem sie fördernden Industrie- und Bankenkapital entfesselten Zweiten Weltkriegs zu tun. Um auf ihre Weise deutlich zu machen, wie die Situation war, haben die AutorInnen über die Luftangriffe berichtet. Da heißt es z. B.: „Die Trefferquote der Angriffe war häufig nicht sehr hoch…Allerdings trafen (am 26.Oktober 1944) nur 10 % der 576 Tonnen Bomben die Industrieanlage. Dafür wurden in der Stadt Leverkusen über 2.000 Häuser beschädigt, etwa 130 Menschen getötet und 750 verletzt…Offensichtlich wurde die Betriebsgemeinschaft Niederrhein jedoch nicht absichtlich geschont, wie vielfach geglaubt und bis heute gelegentlich kolportiert wird.“
Kolportiert? Haben denn die BAYER-Archivare nichts von den seit 1929 bestehenden Geschäftsbeziehungen (und Kartellabsprachen) mit der „Standard Oil of New Jersey“ gehört, die auch während des Zweiten Weltkriegs aufrechterhalten wurden? Und glauben die HistorikerInnen des Konzerns, der auch heute noch Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt, dass die damaligen Verantwortlichen tatenlos blieben, wenn Gefahr bestand, dass Bomber kurz vor Kriegsende ihre Werke in Schutt und Asche legen und somit ihre Geschäftsgrundlage zumindest schwer beschädigen könnten? Ihre Erklärung im Buch: „Allerdings spielte neben der mangelhaften Zielgenauigkeit alliierter Bomberpiloten auch die vergleichsweise geringe Intensität der Angriffsbemühungen aufgrund des geringen technischen Werts der Produkte für die Kriegsproduktion eine entscheidende Rolle.“(S.115)
Als vor Jahren Herr Pohlenz bei einer Tagung zum Kriegsende in Leverkusen die gleiche Äußerung zum Besten gab, traf er auf Widerspruch anwesender HistorikerInnen – u. a. auch vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf. Trotzdem kolportiert er seine Auffassung weiter.

„BAYER-Familie“?
Die Jahre vor und nach der Einführung des Betriebsverfassungsgesetzes (1952) untersucht Kirsten Petrak. Sie nennt als Grund für die „gute“ Umsetzung der Mitbestimmung bei BAYER, u. a. das Vertrauensverhältnis zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden Walter Hochapfel und dem Vorstandsvorsitzenden Ulrich Haberland. Allerdings fällt beim Lesen des Beitrags auf, dass es mancherlei Konflikte zu bewältigen gab, die - trotz der „guten Chemie“ zwischen den beiden - durch die Werksleitung ausgelöst wurden.
Der Darstellung von Ruth Rosenberger, seit den 1990er-Jahren seien die Handlungsspielräume der einzelnen Beschäftigten gewachsen und deren direkte Beziehungen zur Geschäftsleitung für die Ausgestaltung von Mitbestimmung bedeutsamer geworden, wird man angesichts aktueller Geschehnisse im Chemiepark (wie ja jetzt die in viele Einzelbetriebe aufgelöste „BAYER-Familie“ heißt, von deren ehemaligen Mitgliedern viele diesen „Park“ nur noch von außen ansehen dürfen ) ebenfalls kräftig hinterfragen müssen.
Am Schluß dieses wissenschaftlichen Teils des Buches untersucht Walther Müller-Jentsch aus soziologischer Sicht jene Entwicklungen, die sich nach dem großen Arbeitskampf von 1971 im Arbeitgeberverband der Chemieindustrie ergaben und die die Politik des Verbandes formten.
Neben den erwähnten WissenschaftlerInnen befassen sich in dem Buch auch „PraktikerInnen“ mit der Thematik. Der ehemalige IG Chemie-Gewerkschafter Karl Otto Czikowski (zugleich Mitherausgeber des Bandes) geht ausführlich und informativ den Wahlperioden, Wahlentscheidungen bei den BAYER-Betriebsratswahlen und ihren handelnden Personen nach. Dabei erfährt man längst Vergessenes, so wie jene Aktion der „staatstragenden Parteien“ SPD, CDU und FDP bei der Betriebsratswahl 1981. (S.207) Dort wurde mit einem Wahlaufruf dieser Parteien Politik in den Betrieb gebracht und Einfluss auf die Wahl genommen. Und lesenswert ist auch der Wahlaufruf der SPD von 1984, in dem die „Forderung nach aktiver Beschäftigungspolitik, nach Arbeitszeitverkürzungen im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit und nach einer Sicherung und Ausweitung der Mitbestimmung“ bekräftigt wird. Weiter heißt es da: „Wachsender Rationalisierungsdruck und die Auswirkungen neuer Technologien auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen machen die Arbeit der Betriebsräte wichtiger denn je.“ (S.209)

Oppositionelle Betriebsratsarbeit
Im Anschluss an diesen Beitrag und fast als Co-Beitrag zu werten, untersucht Stefan Moitra vom „Institut für soziale Bewegungen“ an der Ruhr-Uni in Bochum „Oppositionelle Betriebsratsarbeit bei BAYER: Zwischen parteipolitischer, persönlicher und struktureller Konfrontation.“ In seiner Einleitung macht der Autor sichtbar, dass dieses Thema in der „historischen Forschung“ kaum beachtet wurde. Beginnend mit dem Wiederaufbau des Betriebsrates nach Kriegsende 1945 untersucht Moitra auf fast dreißig Seiten die verschiedenen oppositionellen Betriebsratsgruppen, sowie die teilweise tief reichenden Konflikte innerhalb der Arbeiterbewegung . Dabei wird neben Hinweisen auf die Arbeit heutiger Betriebsratsgruppen wie die „Durchschaubaren“, die „Basisbetriebsräte“ oder die „Belegschaftsliste“ auch an die Herausdrängung der Kommunisten aus dem BAYER-Betriebsrat erinnert: „Als prominentester und langjährigster kommunistischer Arbeitervertreter lässt sich in dem Zusammenhang der Betriebsrat Georg Holdenried beispielhaft betrachten. 1905 geboren und bereits seit 1920 Gewerkschafts-, seit 1928 KPD-Mitglied, saß er unter den Nationalsozialisten mehr als sechs Jahre wegen ‚Vorbereitung zum Hochverrat’ in Haft. Seit 1945 war er Stadtverordneter in Leverkusen, seit 1949 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtages. Schon bei der Konstituierung eines ersten provisorischen Betriebsrates in den ersten Tagen nach Kriegsende gehörte er zum gewerkschaftlichen Kreis um Hochapfel. Bei Betriebsratswahlen erhielt er bei den Arbeitern bis in die 1950er Jahre hinein die größte Stimmenzahl hinter Walter Holzapfel, genoss also innerhalb des Betriebes trotz der von ihm vertretenen politische Richtung einiges Ansehen. In den Protokollen tritt er wenig konfrontativ auf, wenn er auch zum Teil grundsätzliche KPD-Positionen zu vertreten suchte, etwa die Forderung nach verstärktem Osthandel bzw. nach ‚Aufhebung der Exportbeschränkungen nach den Ostländern’.“ (S.223)

Kündigung wegen „Staatsgefährdung“
Die heutigen LeserInnen wundern sich dann bei der weiteren Schilderung, dass und wie in konzertierter Aktion von Betriebsleitung, Betriebsrat und Gewerkschaft dieser verdienstvolle Arbeiterfunktionär – der auch dem Vorstand der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. angehörte – „abgesägt“ wurde. In den damaligen Zeiten des Kalten Krieges wurde mit allen Methoden gegen missliebige BürgerInnen, die sich der Politik der Adenauer-Regierung widersetzten, vorgegangen. Und das waren beileibe nicht nur KommunistInnen. Da wurden zum Beispiel vom „Antikommunistischen Volksbund für Frieden und Freiheit, Betriebsgruppe der Farbenfabriken, BAYER-Werk Leverkusen“ Flugblätter verteilt, die zur „Wachsamkeit“ und zur „richtigen Wahl“ aufriefen.(S.222) Etwa fünfzig Jahre vorher war bei BAYER der „Reichsverband gegen die Sozialdemokratie“ aktiv geworden, wozu der Generaldirektor auch kräftig Geldmittel an den Verband beisteuerte.
Angesichts dieser Praxis des Konzerns wird man in der Annahme nicht fehl gehen, dass auch diese Hetzorganisation Geld vom Konzern bekam. In diesem vergifteten Klima wurde gegen Georg Holdenried der Vorwurf der „Staatsgefährdung“ erhoben. Sein „Verbrechen“: Er hatte GewerkschaftskollegInnen aus der DDR eingeladen. Dabei – und das war der Hauptvorwurf – habe er Adressen von BAYER-Betriebsratsmitgliedern weitergegeben. Dass die Adressen allgemein bekannt waren und dass der Konzern die Adressen an den Arbeitgeberverband weiterreichte – was spielte das für eine Rolle. Holdenried stand unter Anklage der „Staatsgefährdung“. Wie dünn die Anklage war, erwies sich beim Prozess gegen ihn. In einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom 14. September 1954 heißt es: „Der Staatsanwalt wie auch der Verteidiger beantragten Freispruch. Das Gericht erkannte im selben Sinne. In der Urteilsbegründung wurde betont, dass ein Verstoß gegen § 92 (Staatsgefährdung und Nachrichtensammlung) nicht festgestellt werden konnte“.(S.224)

„Ein unerhörter Willkürakt“
In einem „Offenen Brief an die BAYER-Belegschaft“, den Georg Holdenried schrieb, las man zum Freispruch, dass damit der Öffentlichkeit bestätigt wurde, „was viele meiner Kollegen bereits wussten. Meine fristlose Entlassung war ein unerhörter Willkürakt. Ein wohl vorbereiteter Schlag nicht nur gegen meine Person, Euer gewähltes Betriebsratsmitglied, sondern gegen den gesamten Betriebsrat, gegen die Gewerkschaft Chemie, gegen die in der Verfassung verbürgte Meinungsfreiheit, gegen die gesamte BAYER-Belegschaft. Die Direktion will ein abschreckendes Beispiel schaffen. Wird dieser Schlag von der Belegschaft ohne ernsthaften Widerstand hingenommen, so wird die Direktion ermuntert, genau wie im Dritten Reich, bald alle Betriebsabteilungen und Büros von allen „Kritikern“ zu säubern. Der Gesinnungsterror, der Herr-im-Hause-Standpunkt soll alleine bestimmend werden… Kolleginnen und Kollegen! Es gibt nur soviel Demokratie im Lande, wie es Demokratie im Betrieb gibt! Die Unternehmer scheffeln Riesengewinne. Unsere Lohn- und Gehaltserhöhungen sind längst zwingend notwendig Die Konzernherren wehren sich verzweifelt, einer Erhöhung zuzustimmen. Die Arbeitsleistung des Einzelnen ist enorm gesteigert worden. Von Mitbestimmungsrecht im Betrieb keine Spur. In ganz Westdeutschland werden große Lohnkämpfe durchgeführt und zeigen den wachsenden Widerstand der Arbeiterschaft. Auch der Widerstand gegen Adenauers EVG-Wiederaufrüstungspolitik zeigt sich im Volk immer deutlicher. Das Volk will Frieden und die Wiedervereinigung Deutschlands. In dieser Situation holt das Unternehmertum zum Schlage aus und möchte die mutigen Vertreter einer gerechten Sache mundtot machen.“ (S.225)

Kriegsverbrecher im Aufsichtsrat
Um das Bild der damaligen Zeit abzurunden, und weil dies leider in dem Buch fehlt, sei erwähnt, dass zur gleichen Zeit, in der die Repressalien gegen Holdenried (der auch nie rehabilitiert wurde) stattfanden, ein verurteilter Kriegsverbrecher im Aufsichtsrat von BAYER saß. Fritz ter Meer war seit Beginn der IG FARBEN Mitglied des Vorstands dieses Konzerns. Während des Zweiten Weltkriegs war er verantwortlich für den Aufbau des IG-FARBEN-Werks bei Auschwitz, in dem rund 25.000 ZwangsarbeiterInnen den Tod fanden. Im IG-FARBEN-Prozess wurde er am 30. Juli 1948 wegen Plünderung und Versklavung im Zusammenhang mit dem KZ Auschwitz III Monowitz zu sieben Jahren Haft verurteilt. Als er im Prozess befragt wurde, ob er die Versuche an Menschen im KZ Auschwitz für gerechtfertigt gehalten habe, antwortete er, diesen KZ-Häftlingen sei dadurch kein besonderes Leid zugefügt worden, da man sie ohnehin getötet hätte.
Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung im Jahr 1951 wurde er Mitglied im Aufsichtsrat bzw. Aufsichtsratsvorsitzender der Firma BAYER AG. Diese ehrt den ehemaligen Kriegsverbrecher nicht nur durch die Fritz-ter-Meer-Stiftung – heute BAYER-Studienstiftung –, die ChemiestudentInnen durch Stipendien fördert, sondern tat es bis vor kurzem noch an jedem Todestag durch eine pompöse Kranzniederlegung an seinem Grab in Krefeld-Uerdingen. Das Beispiel zeigt, dass der BAYER-Konzern seine Geschichte in der Nazi-Zeit durch weitere wissenschaftliche Untersuchungen aufarbeiten und jegliches Beschönigen und Verschweigen beenden muss.
Immerhin wird man dem Autor des gerade besprochenen Kapitels attestieren dürfen, dass er sich bemühte, die jahrzehntelange oppositionelle Betriebsratsarbeit bei BAYER im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu schildern und auch aktuelle Bezüge herzustellen. „Am Beispiel der KPD-Betriebsräte“ so stellt er abschließend fest, „lassen sich die Hoffnungen der Arbeiterbewegung nach Kriegsende nachvollziehen, die alten Richtungskämpfe zu überwinden und gemeinsame Ziele durchsetzen zu können, was jedoch angesichts des Kalten Krieges zum Scheitern verurteilt war (…) Die Auseinandersetzungen zwischen den an der Belegschaftsbasis orientierten Gewerkschaftern der 1970er Jahre und den Mehrheitsbetriebsräten bzw. der IG CKP (Chemie, Kohle, Pharmazie, Anm. SWB)-Verwaltungsstelle in Leverkusen waren Bestandteil des Kampfes um einen Richtungswechsel innerhalb der Chemiegewerkschaft, in dem sich ‚linke’ Traditionalisten und stärker pragmatisch gestimmte Gewerkschafter gegenüberstanden. Nicht nur in Leverkusen blieben die Vertreter einer traditionellen, konfrontativen Ausrichtung in der Opposition. Mit den „Durchschaubaren“ etablierte sich jedoch bei BAYER eine Gruppe, die es über einen langen Zeitraum vermocht hat, solchen weiter bestehenden oder auch – angesichts der internationalen Umstrukturierungen des BAYER-Konzerns – sich neu entwickelnden kritischen Auffassungen innerhalb der Belegschaft als Sprachrohr zu dienen.“ (S.243)
Werner Bischoff, Hauptvorstandsmitglied der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE und dort zuständig für Tarifpolitik, unternimmt in seinem Beitrag den Versuch „Tarifpolitische Probleme in der Chemieindustrie und ‚bei BAYER’“ zu schildern, wobei er auch auf die Historie zurückgreift. Aktive, an den Interessen der Belegschaft orientierte GewerkschaftInnen dürften hier zu manchen Punkte kritische Anmerkungen machen.
Die „Mitbestimmungs-‚kultur’ bei BAYER in der Praxis: Betriebliche Aus- und Fortbildung“ untersuchen Jörg Feldmann und Uwe Menzen. Wörtliches Fazit der beiden Betriebsräte: „Wenn auch beide Seiten grundsätzlich unterschiedliche Interessen vertreten, zeigt die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Aus- und Fortbildung doch, dass sowohl der Arbeitgeber wie Arbeitnehmer bemüht sind, die Qualifizierungsmöglichkeiten der Mitarbeiter zu fördern. Hier haben sich Formen der Zusammenarbeit herausgebildet, deren Beibehaltung auch in Zukunft eine praktikable Lösung kommender Probleme möglich machen wird.“ ( S.318)

Frauenerwerbsarbeit und Gleichstellungspolitik
Die Betriebsrätin Roswitha Süßelbeck behandelt in ihrem informativen Beitrag die „Frauenerwerbsarbeit und Gleichstellungspolitik bei BAYER im Überblick“. Direkt zu Beginn konfrontiert sie die LeserInnen mit der Haltung Carl Duisbergs, der 1898 schrieb: „Meiner persönlichen Ansicht nach hasse ich überhaupt alles chemisch-weibliche und wünsche, dass die Damen alles andere, nur nicht Chemie studieren, da sie hierzu schlecht geeignet sind.“
In der weiteren Darstellung finden sich Hinweise auf die schlechten Arbeitsbedingungen und langen Arbeitszeiten bei BAYER. Dabei wird auch ein sechswöchiger Streik im Jahr 1904 bei BAYER erwähnt, der „im Sande verlief.“ Die Direktion verlangte von allen ArbeiterInnen die Zusicherung ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer Arbeiterorganisation. Die, die sich weigerten, der Erpressung nachzugeben, flogen. Aber, so stellt die Autorin fest, „Schritt für Schritt wurden soziale Einrichtungen geschaffen, die auch den Familien der Arbeiter zugute kamen.“ Man wird, wie schon oben angedeutet, in diesem Zusammenhang das angebliche soziale Verhalten von Duisberg hinterfragen müssen. Das wird untermauert, bei der Darstellung des nach dem Streik entstandenen „Frauenvereins“, der seine Hauptaufgabe in der Unterstützung von Werksangehörigen sah, wobei die Entscheidungshoheit über „Bedürftigkeit“, wie Süßelbeck feststellt, „letztendlich beim Vorstand der Farbenfabriken“ lag. Auch das 1906 eröffnete Mädchenheim galt als soziale Tat, unterwarf aber dessen Bewohnerinnen Verhaltensregeln, die bei Zuwiderhandlung strenge Maßnahmen nach sich zogen.
In diesem Aufsatz wird auch detailliert die Entwicklung der Frauenarbeit bei BAYER (besonders in der Zeit des Ersten Weltkrieges geschildert: „Von 1914 bis 1917 stieg der Anteil der Frauen von rd. 600 auf rd. 2.200, das heißt von 9.4 % auf fast 25 %“ (S.322). Die Entlohnung war dabei sehr unterschiedlich. Bekam z. B. ein Handwerker im Oktober 1914 0,61 Mark Stundenlohn, so betrug der für Arbeiterinnen 0,31 Mark. Und im Juli 1919 war das Verhältnis noch schlechter: 2,57 Mark zu 1,02 Mark. (S.322) Die Autorin weist auch darauf hin, dass diese Lohndiskriminierung keineswegs eine Erscheinung des Krieges war, sondern in der Weimarer Republik fortgesetzt wurde - „mindestens bis in die 1950er Jahre“.

Kommunisten als erste dran
Nicht schlecht wäre es in diesem Zusammenhang gewesen, wenn die Autorin auch darauf verwiesen hätte, dass sich 1921 Leverkusener BAYER-Beschäftigte in Arbeitskämpfenfür eine Veränderung dieser Lohndifferenz einsetzten, wie auch für den Erhalt des im Gefolge der Novemberrevolution erkämpften Achtstundentages. Die Antwort der Direktion: Aussperrung von 8.300 ArbeiterInnen. Auch zwei Jahre später, im August 1923, standen die BAYER-KollegInnen wieder in einem Arbeitskampf, in dem sie angesichts der Inflation eine „Wirtschaftbeihilfe“ forderten. Antwort der BAYER-Bosse: Polizeieinsätze gegen Streikende. In einem Artikel der Bergischen Arbeiterstimme vom 31.1.1933 hieß es dazu: „Den vereinten Bemühungen der Staatsmacht, der Bürokratie des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund, Anm. SWB) und der Führer der christlichen Gewerkschaft gelang es am 4. Tag die Streikfront zu sprengen.“ Als sich angesichts solcher Erfahrungen die Arbeiter und Arbeiterinnen zu Recht wehrten, ließ die Unternehmerseite die „Unruhestifter“ aus dem Betrieb entfernen. Dass dabei kommunistische Kolleginnen als erste dran waren, erlebte die spätere langjährige Vorsitzende der Kulturvereinigung Leverkusen e.V., Cilly Müller. Sie wurde - nach sieben Jahren Betriebszugehörigkeit - wegen ihres Engagements entlassen. Zur Begründung wurde angegeben, sie sei für die Arbeit „ungeeignet“. Daraufhin sagte sie ihrem Meister: „Dann tut es mir aber leid, dass der Betrieb solange brauchte, um dies festzustellen!“
Doch auch Kollegin Süßelbeck liefert viele Beispiele dafür, wie mühsam sich der Prozess der Emanzipation von Männern und Frauen im Betrieb vollzog. „Langsam bewegte sich der Betriebsrat…“, schreibt sie. Und abschließend: „Mit vielen kleinen Schritten haben wir in den letzten Jahren schon viel erreicht. Aber wir sind auch ungeduldig. Wir wollen mit großen Schritten zum Ziel. Das gelingt nur, wenn die Unternehmensleitung, aber auch unsere Betriebsratskollegen, Gleichstellungspolitik ernst nehmen. Auch in schwierigen Zeiten muss Gleichstellungspolitik eine hohe Priorität haben“. (S.334)
Oliver Zühlke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, der von 1988 bis 1994 Jugend- und Auszubildendervertreter war, liefert anschließend eine „Momentaufnahme betrieblicher und gewerkschaftlicher Jugendarbeit in den 1980er und 90er Jahren“. In einem zweiten Betrag befasst sich der Mitherausgeber des Bandes, Karl-Otto-Czikowski (Gewerkschaftsmitglied seit 1980, seit 1983 bei BAYER im Zentralbereich Personalwesen „administrativ zuständig für die Betriebsräte im Unternehmen“) mit „Angestellten und Angestelltenvertretungen“.
Dabei wird die Diskrepanz zwischen der Zahl der beschäftigten Angestellten und den in der Gewerkschaft organisierten Kollegen deutlich. Nur knapp 21 Prozent waren im Jahre 2000 in der IG BCE organisiert. In der Tat: „Zeit also für eine neue Offensive!“ - Diese wird - so darf man mutmaßen - aber nur dann (und nicht nur für die Angestellten) erfolgreich sein, wenn sie den Interessen der KollegInnen gerecht wird und wenn die Offensive dazu dient, wieder mehr die Basis in die Entscheidungen über ihre Interessen einzubeziehen.

Kein nazifreier Raum
Im Beitrag der beiden Betriebsräte Dimitrios Labrianidis und Alessandro Sandri über die „Interessenvertretung der ausländischen Arbeitnehmer in der BAYER AG“ wird der mühevolle Weg sichtbar, zu einer Interessenvertretung, der schon 1972 rund 10 % der Gesamtbelegschaft ausmachenden BAYER-Werktätigen mit Migrationshintergrund zu kommen. Die mangelnde Präsenz dieses Belegschaftsteils im Betriebsrat habe, neben den Problemen einer damals unerfahrenen ersten Generation mit der Listenwahl, ihre Gründe auch „in der mangelnden Bereitschaft und Weitsichtigkeit der damaligen führenden und verantwortlichen Funktionäre“ gehabt. (S. 367) Bei der Betriebsratwahl im Mai 1972 wurde dann zwar der damals schon bekannte gewerkschaftliche Vertrauensmann Labrianidis in den Betriebsrat gewählt – „prozentual wären allerdings aufgrund der Anzahl der ausländischen Mitarbeiter bei der BAYER AG in Leverkusen fünf BR-Mandate möglich gewesen“. (S.367)
In der Darstellung von „Formen der Betreuung von ausländischen Kolleginnen und Kollegen durch den Betriebsrat“ wird die Vielfältigkeit dieser Arbeit sichtbar. Hier fehlen leider einige Ausführungen dazu, ob und in welcher Weise seitens der BetriebsrätInnen versucht wurde, der immer stärker werdenden Hetze gegen ausländische ArbeiterInnen zu begegnen - zumal ja BAYER kein „nazifreier Raum“ war und ist. Leverkusener Antifaschisten haben sich jedenfalls mit dieser Thematik befasst. Und auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wies schon 2002 darauf hin, dass in den letzten Jahren mehrfach Mitarbeiter des BAYER-Werks Leverkusen offen für rechtsextreme Ziele warben.
Da war z. B. Hans-Dieter Stermann, Sprecher der rechten „Leverkusener Offensive“ oder Dr. Hans-Ulrich Höfs, Abteilungsleiter bei BAYER in Leverkusen und Sprecher des Krefelder „Forum Freies Deutschland“, das regelmäßig in den Berichten des Verfassungsschutzes NRW auftaucht. Höfs gründete in Krefeld die Republikaner und gehörte zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs „Ja zu Deutschland - Ja zur NPD“. Zudem warb ein Mitarbeiter von BAYER CROPSCIENCE offen (sogar von seinem Arbeitsplatz aus) für die rechtsextreme Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo).

Kein Platz für die „Durchschaubaren“
Gegen solche und andere Entwicklungen luden am 5. Juni 2002 die „Kolleginnen und Kollegen für eine durchschaubare Betriebsratsarbeit“ zu einer Veranstaltung „Aktiv gegen rechts“ ins Gemeindehaus Carl Bosch-Straße ein, wo u. a. die Frage diskutiert werden sollte: „Was können wir gegen Rassismus und Neofaschismus unternehmen?“ Da der ursprünglich zugesagte Saal dann aber doch nicht benutzt werden konnte (wer mag wohl ein Interesse daran gehabt haben?), wurde die Veranstaltung bei der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. durchgeführt, wo dann auch Neonazis auftauchten. Angesichts aktueller Entwicklungen wie der verstärkten Aktivitäten von „Pro NRW“ wäre es schon wichtig gewesen, dass in dem Band über solche Probleme informiert worden wäre und dass die „Durchschaubaren“ darin auch einen angemessenen Platz gefunden hätten.
Weitere Beiträge von Rolf Nietzard/Paul Laux, beide langjährige Betriebsräte bzw. Vorsitzende, behandeln die „Betriebliche Kulturarbeit der Betriebsräte bei BAYER“. Das „BAYER-Europa-Forum“ (1994 in seiner heutigen Form entstanden) wird „Von den Anfängen hin zu einem funktionierenden europäischen sozialen Dialog im BAYER-Konzern“ durch die leitenden Betriebsräte Hans Joachim Müller und Thomas de Win dargestellt. Dabei werden auch Fragen an das bei der Gründung des Europa-Forums federführende Vorstandsmitglied der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE), Hubertus Schmoldt gestellt. Seine Aussage: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinteressen auch auf europäischer Ebene wirkungsvoll vertreten werden“ (S.387) wird man angesichts der Erfahrungen, welche die „ArbeitnehmerInnen“ in Leverkusen z. B. schon mit dem „sozialen Dialog“ vor Ort machen mussten, mehr als hinterfragen dürfen.
Zur dieser Thematik passt auch der Beitrag des führenden europäischen Chemiegewerkschafters Reinhard Reibsch, der den Europäischen Betriebsrat unter der Fragestellung „Papiertiger oder Exportschlager der Mitbestimmung?“ behandelt. Die Darstellung wirft viele Fragen auf, die von Kolleginnen und Kollegen, die gegen die ungehemmte Macht der Chemiekonzerne und den sich daraus ergebenden Gefahren kämpfen, untersucht werden müssten.
Thomas de Win lobt in einem weiteren Beitrag „Von BAYER zu Lanxess“ die Mitbestimmung als wesentlichen Baustein der Umstrukturierung des BAYER-Konzerns. Der Leiter des Bereichs „Human Resourses Strategie und Politik“ im Corporate Center der BAYER AG, Wolfgang Schenk, untersucht die Rolle der SprecherInnen-Ausschüsse der leitenden AngestelltInnen im BAYER-Konzern von 1971 bis 2007. Auch hier werden sicher angesichts seiner Feststellung, dass es BAYER vor mehr als 35 Jahren verstanden habe, „die Mitbestimmung seiner Führungskräfte zu einer Erfolgsgeschichte werden zu lassen“ (S. 427) einige Fragezeichen bei informierten LeserInnen auftauchen.
Abgeschlossen wird der Band durch einen Beitrag des Konzernbetriebsratsvorsitzenden (bis 2005) Erhard Gipperich mit dem Titel „Vom Alltag der Mitbestimmung in der Gegenwart: Ausschnitte aus dem Leben eines Betriebsratsvorsitzenden“ und ein Interview mit dem derzeitigen IG-BCE-Vorsitzenden Hubertus Schmoldt und dem Vorstandsvorsitzenden der BAYER AG, Werner Wenning. Hier malen Fragen und Antworten im Großen und Ganzen das Bild einer „Kultur der Sozialpartnerschaft“, wie Wenning es formuliert (S. 430). Und der Vergleich von Schmoldts und Wennings Aussagen macht - bei allen erkennbaren Unterschieden - deutlich, dass zwischen den beiden die Chemie stimmt. Ob das allerdings als positiv für die Beschäftigten zu bewerten ist, darf angesichts der meisten Beschlüsse der Entscheidungsträger im Konzern mehr als bezweifelt werden.
Trotz solcher und anderer kritischer Anmerkungen, ist dieses Buch - ausgestattet mit hochinteressanten Grafiken und Bildern - ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des BAYER-Konzerns und gehört deshalb in die Hände von Menschen, die sich mit dieser beschäftigen wollen.

(1) Ralf Stremmel: Rezension zu: Tenfelde, Klaus; Czikowsky, Karl-Otto; Mittag, Jürgen; Moitra, Stefan; Nietzard, Rolf (Hrsg.): Stimmt die Chemie? Mitbestimmung und Sozialpolitik in der Geschichte des BAYER-Konzerns. Essen 2007. In: H-Soz-u-Kult, 02.05.2008, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-086.

„Stimmt die Chemie?
Mitbestimmung und Sozialpolitik in der Geschichte des BAYER-Konzerns“,
2007 im Essener Klartext-Verlag erschienen, 472 Seiten