Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Veröffentliche Beiträge in “SWB 01/2025”

Ticker 1/25

CBG Redaktion

Ticker Beilage zu  Stichwort Bayer 1/25

AKTION & KRITIK

Bhopal mahnt

Am 3. Dezember 1984 ereignete sich die Chemie-Katastrophe von Bhopal. In einer Pestizid-Fabrik des US-Unternehmens UNION CARBIDE explodierte ein mit Methylisocyanat gefüllter Tank. Allein in den ersten drei Tagen nach der Detonation starben 2.500 bis 3.000 Menschen; den Spätfolgen erlagen rund 20.000. Und noch heute bedrohen die damals freigesetzten Chemikalien die AnwohnerInnen, denn eine Sanierung des Geländes fand nie statt. Zum 40. Jahrestag erschienen viele Presseberichte. Aber sie behandelten das Unglück allesamt als ein singuläres Ereignis ohne Vor- und Nachgeschichte. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hingegen hielt am 3. Dezember 2024 eine Mahnwache ab, um auf die permanente Gefahr aufmerksam zu machen, die durch die Chemie-Produktion droht. Aus gegebenem Anlass tat sie das in Leverkusen, denn im dortigen Chem„park“ der CURRENTA flog am 27. Juli 2021 ebenfalls ein Tank in die Luft, was sieben Menschen das Leben kostete. 

Es gibt jedoch direkte Bezüge von Bhopal zu BAYER. Der Konzern hatte im Jahr 2001 nämlich vom neuen UNION-CARBIDE-Besitzer DOW CHEMICAL das in Institute, West Virginia stehende Schwester-Werk von Bhopal übernommen. Über diese MIC-Produktionsstätte hatte es immer geheißen, der Herstellungsprozess laufe ganz anders ab als in Indien, aber es gab offenbar doch noch genug Familien-Ähnlichkeiten, wie sich am 28. August 2008 erweisen sollte. Da ging eine Anlage zur Fertigung des Ackergifts Methomyl hoch. Zwei Beschäftigte starben, acht erlitten Verletzungen. Von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“ sprachen AugenzeugInnen.

Die CBG-Jahrestagung 2024

Am 12. Oktober fand die Jahrestagung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) statt. Zum Thema „BAYER und die Bauern-Frage – Profite, Proteste und Perspektiven“ referierten Aktive aus den verschiedenen Feldern der konzernkritischen Bewegung. Jan Pehrke von der CBG sprach zu der Rolle, die BAYER im globalen Agro-Business spielt.  Tina Marie Jahn vom INKOTA-Netzwerk steuerte einen Vortrag zur Agrarökologie bei und Bernd Schmitz von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) durchleuchtete kenntnisreich die Hintergründe der Bauernproteste, die im vergangenen Jahr ganz Europa durchzogen. 

Immer wieder wurde an dem Tag nicht nur von Pehrke Bezug auf die Agrar-Riesen im Allgemeinen und den Leverkusener Multi im Besonderen genommen, die die LandwirtInnen zu finanzieller Not verdammen, den globalen Süden ausplündern und ohne Rücksicht auf Mensch und Natur den kurzfristigen Maximalprofit aus allem herauszuholen suchen. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann resümierte dann am Ende auch: „Diese Konzerne müssen unter demokratische Kontrolle gestellt werden, und daran arbeiten wir mit langem Atem!“

CBG beim Klimastreik

Über drei Millionen Tonnen CO2-Äquivalente hat der BAYER-Konzern 2023 in die Luft gefeuert. Der Methan-Ausstoß, den die Internationale Energieagentur für fast ein Drittel des globalen Temperatur-Anstiegs verantwortlich macht, ist seit 2019 sogar von 2.000 auf 3.000 Tonnen gestiegen. Darum beteiligte sich die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) auch am 20. September 2024 wieder am Klimastreik. Aus gegebenem Anlass ging sie am Leverkusener Stammsitz des Agro-Riesen mit auf die Straße und nahm an der Kundgebung teil, die die Ortgruppe der PARENTS FOR FUTURE organisiert hatte. 

CBG schreibt der FAZ

In der FAZ erschien Mitte September ein Artikel, der Leverkusen als Boomtown beschreibt. BAYER & Co. üben dem Autor Michael Theil zufolge eine solche Anziehungskraft aus, dass sich die Stadt an die „Spitze der gründungsstärksten Regionen“ setzte. Der exorbitant niedrige Gewerbesteuer-Satz als Ergebnis des Unterbietungswettbewerbs, den sich Leverkusen mit Monheim und Langenfeld lieferte, tat dann ein Übriges. „Auch im vergangenen Jahr habe die Stadt hohe Einnahmen über Gewerbesteuern erzielt“, gibt Theil die Worte von Bürgermeister Uwe Richrath (SPD) wieder. 

Nur ist ihm eines irgendwie durchgerutscht: Die Kommune hat im August eine Haushaltssperre verhängt. Deshalb hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN diese Information in einem Leserbrief nachgereicht: „Der Autor beschreibt Leverkusen als boomende Stadt, deren starke Chemie-Industrie eine Sog-Wirkung entfalte und für neue Industrie-Ansiedlungen sorge. Er zitiert dazu auch den Bürgermeister Uwe Richrath, der auf die hohen Gewerbesteuer-Einnahmen im letzten Jahr verweist. Dabei hat die Kommune erst im letzten Monat eine Haushaltssperre verhängt. Die Kommune finanziert nur noch das, wozu sie gesetzlich verpflichtet ist. Alles Übrige, beispielsweise Ausgaben für Kultur, Sport oder Karneval, kommt auf den Prüfstand. Und verantwortlich dafür ist gerade die Chemie-Industrie, wie die Stadt selbst einräumt. ‚Aus Sicht der Stadtspitze sind die geringer ausgefallenen Gewerbesteuer-Einnahmen im Wesentlichen auf die Belastungen für die chemische Industrie zurückzuführen‘, heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung. Diese „Belastungen“ lassen im Fall von BAYER zwar immer noch eine Gewinn-Prognose von zehn Milliarden Euro für das laufende Jahr zu und bei COVESTRO eine von bis zu 1,4 Milliarden Euro, aber für die Stammsitz-Stadt bleibt davon aus unerfindlichen Gründen kaum etwas übrig, obwohl diese die Multis mit unschlagbar niedrigen Gewerbesteuer-Hebesätzen gnädig stimmen wollte. Und dann haben die Konzerne auch noch die Chuzpe, sich über mangelnde Investitionen der öffentlichen Hand in die Infrastruktur zu beklagen!“

CBG beteiligt sich an SLAPP-Umfrage

Immer wieder versuchen Unternehmen und mächtige Einzelpersonen, KritikerInnen mundtot zu machen, indem sie juristische Auseinandersetzungen entfachen und den Streitwert immens hoch ansetzen. Zuletzt sah sich das UMWELTINSTITUT MÜNCHEN mit einer solchen Einschüchterungsklage – auch SLAPP-Klage genannt – konfrontiert. Die Initiative musste sich wegen übler Nachrede vor Gericht verantworten, weil sie die Risiken und Nebenwirkungen des massiven Pestizid-Einsatzes im Südtiroler Apfelanbau-Gebiet aufgezeigt hatte. 

Um die Systematik hinter solchen Operationen freizulegen, hat das UMWELTINSTITUT nun gemeinsam mit der Otto Brenner Stiftung, der Gesellschaft für Freiheitsrechte, und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di eine Studie zu dem Thema in Auftrag gegeben. Dazu gab auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN Input. Sie musste sich in der Vergangenheit nämlich einer Verleumdungsklage von Seiten BAYERs erwehren. 1987 zerrte der Leverkusener Multi die CBG wegen einer Passage in einem Aufruf vor Gericht, in dem es geheißen hatte: „In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt BAYER demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairness. Missliebige Kritiker werden bespitzelt und unter Druck gesetzt, rechte und willfährige Politiker werden unterstützt und finanziert“. Dafür forderte der Konzern unter Strafandrohung „von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten bzw. einer Geldstrafe von bis zu DM 500.000“ eine Unterlassungserklärung.

Die Sache ging bis vor das Bundesverfassungsgericht und endete 1992 schließlich mit einem Freispruch. Die VerfassungsrichterInnen – unter ihnen der spätere Bundespräsident Roman Herzog – hoben die früheren RichterInnen-Sprüche auf, da diese „auf einer grundsätzlichen Verkennung der Grundrechte auf Meinungsäußerung und Pressefreiheit“ basierten. Der Spiegel maß dem Urteil damals eine große Bedeutung zu. „Es wird Folgen haben, weit über den BAYER-Fall hinaus“, schrieb das Blatt. Und in der Tat hat es für nachfolgende juristische Auseinandersetzungen um die Freiheit des Wortes eine große Bedeutung gewonnen. Die Kosten des Verfahrens hätten die Coordination jedoch fast in den Ruin getrieben, was ja auch Sinn der Übung war. Aber zum Glück fanden sich viele UnterstützerInnen, die der CBG halfen, sich des Angriffs zu erwehren.

CBG wandert zu Studienzwecken

Eine Geographie-Studentin aus Leverkusen untersuchte für ihre Bachelor-Arbeit, wie Menschen den Carl-Duisberg-Park gleich neben der BAYER-Zentrale wahrnehmen. Dabei wandte sie sich auch an die AktivistInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), in der Erwartung, dass diese eine ganz eigene Perspektive auf die Grünanlage des Global Players haben, die seit 1931 nach seinem ehemaligen Generaldirektor Carl Duisberg benannt ist. 

Und darin täuschte sie sich nicht. Die CBGlerInnen konnten die grüne Lunge nur im Zusammenhang mit den Umweltsünden sehen, die der Konzern seit seiner Entstehung begeht. 

Ähnlich wie der Agro-Riese heute einen Teil seiner Kohlendioxid-Emissionen mit der Unterstützung von Wiederaufforstungsprojekten verrechnet, wollte er bereits damals die Verseuchung von Wasser, Boden und Luft durch das Unternehmen mit ein bisschen künstlich geschaffener Natur ausgleichen – und so ganz nebenbei setzte sich Carl Duisburg selbst noch ein Denkmal. Im Zentrum des Parks, den die Stadt Leverkusen den TouristInnen mit den Worten „ein spannender Kontrast zum direkt benachbarten Chempark“ zur Erkundung empfiehlt, steht ein im wilhelminischen Kitsch-Stil gehaltenes monumentales Grabmal für ihn und seine Gattin. Auch sonst ließ der Manager sich nicht lumpen. Ein paar Grünflächen, Bäume und vielleicht ein See – all das reichte ihm nicht: Es musste gleich ein japanischer Garten her, der mit reichlich Exotischem auftrumpft.

Eine aristokratische Grundhaltung spricht aus alldem, im Gegensatz etwa zum Düsseldorfer Volksgarten, der nicht umsonst so heißt und nicht nur etwas zum Bestaunen ist, sondern auch zum Nutzen mit seinen vielfältigen Angeboten für Jung und Alt wie etwa Kinderzoo, Minigolf, Schachfelder, Grillanlagen, Gastronomie und Spielplätzen.

CBG bei „Musik am Park“

Vom 30. August bis zum 1. September 2024 hatte die Leverkusener Karl-Liebknecht-Schule zu dem Festival „Musik am Park“ eingeladen. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) war an allen drei Tagen mit einem Stand vertreten. Wer Interesse hatte, konnte sich im Gespräch über die Coordination informieren und entsprechendes Material mitnehmen.  Das Musikprogramm hatte mit fünf Bands für jeden Geschmack etwas zu bieten, und so ist es für die VeranstalterInnen schon jetzt klar, dass es auch im kommenden Jahr wieder ein Festival „Musik am Park“ geben wird.

Kritik an Treffen mit BAYER & Co.

Im Februar 2024 trafen sich auf Initiative des Europäischen Chemieverbandes CEFIC rund 60 Industrie-VertreterInnen mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Am symbolträchtigen Ort des Antwerpener BASF-Werkes schworen die ManagerInnen die Christdemokratin hinter verschlossenen Türen auf eine Kehrtwende der EU-Politik ein. „Industrial Deal“ statt „Green Deal“ hieß die Devise. 

Europäische Umweltgruppen und andere Initiativen hatten die Zusammenkunft im Vorfeld scharf kritisiert. Da Belgien zu der Zeit die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, schrieben die AktivistInnen einen Offenen Brief an den belgischen Ministerpräsidenten Alexander De Croo. „Wir fordern Sie und alle anderen anwesenden Politiker auf, der Industrie, die für ihre schädlichen Produkte und Praktiken sowie für ihre Lobbyarbeit gegen Maßnahmen für eine Stärkung der Gesundheit der Menschen, für widerstandsfähige Ökosysteme und eine echte CO2-Reduzierung bekannt ist, keinen solch privilegierten Zugang zu gewähren“, hieß es darin. 

Stattdessen verlangten die Organisationen von den MandatsträgerInnen, „dem Schutz der Bürger und der Umwelt, die unter der Verschmutzung durch Chemikalien, Pestizide und fossile Brennstoffe leiden, Vorrang einzuräumen und sich für eine ehrgeizige Umsetzung der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit, der Strategie „Vom Bauernhof bis zum Teller“ sowie für Maßnahmen einzusetzen, die sicherstellen, dass sich die großen Umweltverschmutzer nicht länger der Verantwortung für die Klimakrise entziehen können“. Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gehörte zu den Unterzeichnern des Schreibens.

Sozialcourage interviewt die CBG

In den 1950er und 1960er Jahren hat BAYER Psychopharmaka und andere Medikamente an Heimkindern testen lassen, ohne dass Einverständnis-Erklärungen zu den Erprobungen vorlagen. An den Folgen leiden die ehemaligen Versuchskaninchen teilweise bis heute. Darum fordern sie vom Leverkusener Multi eine Entschuldigung und Entschädigungszahlungen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) begleitet ihren Kampf um Anerkennung seit Jahren. Darauf wurde jetzt auch das Caritas-Magazin Sozialcourage aufmerksam. Es interviewte CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann zum Thema „Arznei-Versuche“.

DUOGYNON-Gutachten beauftragt

Ein hormoneller Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das unter den Namen DUOGYNON und PRIMODOS vertriebene Medizin-Produkt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. 

Geschädigte oder deren Eltern fordern den Leverkusener Multi seit Jahren auf, dafür die Verantwortung zu übernehmen, bislang allerdings vergeblich. „BAYER schließt DUOGYNON als Ursache für Missbildungen aus“, erklärt der Global Player immer wieder. Die Bundesregierungen jedweder Couleur sahen lange ebenfalls keinen Handlungsbedarf, obwohl der im ehemaligen Bundesgesundheitsamt zuständige Referatsleiter Klaus-Wolf von Eickstedt früher in Diensten SCHERINGs stand und in alter Verbundenheit alles dafür tat, das Mittel auf dem Markt zu halten. 

Eine Anfang der 2020er Jahre vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei dem Historiker Dr. Niklas Lenhard-Schramm in Auftrag gegebene Expertise mochte da kein Behörden-Versagen erkennen; sie stellte der Einrichtung einen Persilschein aus. Die Geschädigten kritisierten das Werk scharf, weil Lenhard-Schramm keine juristische Bewertung des Sachverhalts leistete. 

Diese Meinung teilt Spahn-Nachfolger Karl Lauterbach (SPD). Er lässt den Marburger Rechtswissenschaftler Wolfgang Voit nun ein Rechtsgutachten zu der Causa erstellen. Allerdings hat er ihm so einige Vorgaben gemacht, die das Feststellen von Amtspflichtsverletzungen verhindern könnten. Von einem „Vertuschungsversuch“ spricht der Anwalt der Betroffenen deshalb. 

Offener Brief in Sachen „PFAS“

Unter den Oberbegriff „PFAS“ fallen rund 12.000 verschiedene Substanzen mit einer äußerst stabilen Struktur. Sie halten Hitze ebenso stand wie den Effekten von aggressiven Stoffen und sind quasi unkaputtbar. Das verschafft ihnen zahlreiche Einsatz-Möglichkeiten. Von Antibeschlagmitteln bis zu Zahnseide reicht die Liste der Anwendungen. Bei BAYER finden sich die Erzeugnisse hauptsächlich in Pestiziden wieder. 

Gerade aber die Eigenschaften, die BAYER & Co. an den PFAS so schätzen, ihre Vielseitigkeit und ihre stabile chemische Struktur, bereiten auch die meisten Probleme. Der menschliche Organismus kriegt die Substanzen kaum klein, und auch in der Umwelt halten sie sich lange. Wie Asbest und PCB gelten sie deshalb als Ewigkeitschemikalien. Die US-amerikanische Umweltbehörde „Environmental Protection Agency“ (EPA) stuft PFAS schon in geringsten Mengen als extrem gefährlich ein: „Die EPA hält jeden PFAS-Gehalt für potenziell toxikologisch signifikant.“ 

Darum liegt der EU ein von Deutschland, Norwegen, den Niederlanden, Dänemark und Schweden eingereichter Vorschlag zu umfassenden Anwendungsbeschränkungen vor. Gegen diesen machen die Konzerne allerdings mit aller Kraft mobil. Darum appellierten zahlreiche Umweltgruppen und andere Initiativen in einem Offenen Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nicht vor der Industrie-Lobby einzuknicken: „Gemeinsam mit allen unterzeichnenden Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen bitten wir Sie, eine ungestörte Fortsetzung der Evaluierung des sehr weitgehenden PFAS-Beschränkungsvorschlags in unveränderter Form zu unterstützen, damit eine deutliche und zeitnahe Reduzierung der PFAS-Emissionen erreicht werden kann.“ Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gehört zu den UnterzeichnerInnen des Schreibens, das der BUND und das Europäische Umweltbüro (EBB) initiiert haben.

In Sachen „doppelte Standards“

Diverse Rechtsvorschriften der Europäischen Union untersagen die Vermarktung von Produkten, die Mensch, Tier und Umwelt gefährden wie z. B. bestimmte Pestizide, Plastikspielzeuge und Einweg-Bestecke, -Teller oder -Behälter aus Kunststoff. Diese Bestimmungen gelten allerdings nur für das In-Verkehr-bringen innerhalb der der EU. Exporte bleiben erlaubt. Gegen diese doppelten Standards wendete sich – initiiert von GREENPEACE – ein breites Bündnis, dem auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) angehörte. Als „nicht hinnehmbar“ bezeichneten es die Gruppen, derart mit zweierlei Maß zu messen.  Sie forderten Brüssel dagegen zu einer einheitlichen Rechtspraxis auf.

Erklärung zum Mercosur-Deal

Im Vorfeld des Gipfels der Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay in Montevideo, bei dem eine politische Einigung mit der EU über einen umfassenden Handelsvertrag zu erwarten stand – und dann auch zustande kam (siehe Nord & Süd) –, veröffentlichten 495 Initiativen aus Europa und Lateinamerika eine Erklärung. Darin appellierten die Gruppen, unter ihnen die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, noch einmal eindringlich an die Verantwortlichen, ihre Verpflichtungen zum Schutz von Klima, Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit ernst zu nehmen und das Abkommen abzulehnen. Unter anderem heißt es in dem Dokument: „Die Stärkung der gegenseitigen Beziehungen, die zweifellos notwendig ist, erfordert Solidarität, Gerechtigkeit, Kooperation, Nachhaltigkeit und Demokratie – nicht die Vertiefung der Handelsasymmetrien.“ 

Das Europäische Parlament und eine qualifizierte Mehrheit der EU-Länder müssen dem Kontrakt noch zustimmen. Das Bündnis wird im Verlaufe des Jahres hart daran arbeiten, dass sie das nicht tun.

Druck auf Biodiversitätsabgabe

Auf der Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen im kolumbianischen Cali kam keine Einigung über die Einrichtung eines Fonds zustande, in den BAYER & Co. einzahlen müssen, wenn sie den Artenreichtum des Globalen Südens zur Entwicklung profitträchtiger Arzneien, Kulturpflanzen oder anderer Produkte nutzen (siehe auch POLITIK & EINFLUSS). Der Leverkusener Multi braucht nun z. B. für die Vermarktung einer Soja-Art auf der Basis eines Patentes, das ihm den Zugriff auf hunderte Gen-Varianten von wilden und kultivierten Soja-Pflanzen aus Australien und Asien sichert (siehe auch RECHT & UNBILLIG), kein Geld zu entrichten. Dank des Lobby-Einflusses der Industrie bleibt das „benefit sharing“ freiwillig. 

Dem Vernehmen nach will Bundesumweltministerin Steffi Lemke da ein wenig nachhelfen. „Überlegungen dazu, wie Beteiligungen und Beiträge deutscher Unternehmen gefördert werden können, laufen“, verlautet aus dem Ministerium. Die Initiative CAMPAIGN FOR NATURE schlägt dazu vor, dass die Bundesregierung eine Liste mit den nach den Cali-Kriterien zahlungspflichtigen Firmen erstellt und diese dann in die Pflicht nimmt, sich ihrer Verantwortung zu stellen. 

Lea Reitmeier vom Londoner „Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment” tritt indessen dafür ein, von nicht zahlungswilligen Konzernen einen Nachweis darüber zu verlangen, bei ihren Produktionsprozessen nicht auf genetische Ressourcen oder biologische Daten zurückgegriffen zu haben. Auch könnten die Kriterien für nachhaltige Investments die Bereitschaft zu Cali-Abgaben umfassen, so Reitmeier.

Museumsreife Rhein-Verschmutzung

Der bekannte Künstler Hans Haacke machte 1972 das Krefelder Museum „Haus Lange“ zu einem Laboratorium, das die Verunreinigung des Rheins durch BAYER und andere Umweltsünder untersucht. 

Auf einem meterlangen Diagramm listete Haacke damals die kommunalen und industriellen Umweltverschmutzer von Bonn bis Kleve auf. Und an Rhein-Kilometer 766,3 findet sich der Eintrag zu den „FARBEN-FABRIKEN BAYER, Krefeld, Uerdingen“. Zur Art des Abfalls ist in der Aufstellung vermerkt: „industriell (chem.)“, zur Menge pro Tag: „450.000 Kubikmeter“, zur Technik der Abwasser-Behandlung: „mechanisch, Säure-Verschiffung“ und schließlich zum Zustand des Rheins unterhalb der Einleitung: „übermäßig verunreinigt“. Gegenüber an der Stirn-Seite des Raumes hatte der Künstler die Fotografie „Rhein-Ufer in der Nähe einer Verlade-Vorrichtung der Farben-Fabrik BAYER AG“ in einem großen Format platziert. Sie zeigt Steine, die durch Pigment-Rückstände aus der Farben-Produktion mit einer roten Schicht überzogen sind.

Im Jahr 2020 rekonstruierte das Mönchengladbacher Museum Abteiberg diese Schau (siehe SWB 4/20). Und nun zeigt auch die Frankfurter „Schirn Kunsthalle“ im Rahmen ihrer Hans Haacke gewidmeten Retrospektive Teile davon. Sie präsentiert die von Haacke selbst konstruierte „Rheinwasser-Aufbereitungsanlage“.

KAPITAL & ARBEIT

Lieferketten: 1.345 Verstöße

Das Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz schreibt BAYER & Co. vor, Verstößen gegen Menschenrechte, Arbeitsrechte und Umweltschutz-Anforderungen innerhalb ihres weltumspannenden Produktionsnetzwerkes nachzugehen und das in einem Bericht zu dokumentieren. 

Derjenige vom Leverkusener Multi für das Jahr 2023 lehrt das Grauen. Nicht weniger als 1.345 Meldungen über Verfehlungen aus Zuliefer-Betrieben erhielt der Konzern. Sie reichen von Kinderarbeit und Behinderung gewerkschaftlicher Tätigkeit über gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen und andere Arbeitsschutz-Verletzungen bis hin zum Vorenthalten eines gerechten Lohnes und zu Diskriminierung am Arbeitsplatz. Kein anderes deutsches Unternehmen kommt auf solch eine hohe Zahl. Anlass zur Klage gab allerdings nicht nur die Situation bei den Geschäftspartnern. 64 Beschwerden über die Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren betrafen BAYER selbst. Konsequenzen hat der Global Player vorerst jedoch nicht zu befürchten. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach den Konzernen auf dem Arbeitgebertag im Oktober 2024 nämlich, das Paragraphen-Werk wieder abzuschaffen: „Das haben wir ja gesagt, das kommt weg.“ Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck drückte sich noch unmissverständlicher aus. Die Politik wäre in Sachen „Lieferketten“ „völlig falsch abgebogen“, sie müsse jetzt „die Kettensäge ansetzen und das ganze Ding wegbolzen“, so der grüne Kanzlerkandidat. 

Zunächst hat das „Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle“ aber einstweilen „nur“ die Berichtspflichten aufgehoben, bis 2027 die erste Stufe der Lieferketten-Richtlinie der EU in Kraft tritt. „Die zuvor für 2023 erstellten Dokumentationen erhalten damit rückwirkend den Rang einer Generalprobe“, stellt das Handelsblatt erleichtert fest. Nach Informationen der Zeitung kam es bisher zu über 50 Bußgeld-Verfahren wegen möglicher Verstöße gegen das Lieferketten-Gesetz. Mit der Verhängung einer Strafe endete noch keines – es blieb bei Verwarnungen. 

Nord & Süd

Einigung bei MERCOSUR-Deal

Anfang Dezember 2024 schlossen die EU und die MERCOSUR-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay die Neuverhandlungen über einen Handelsvertrag ab. Allerdings müssen das Europäische Parlament und eine qualifizierte Mehrheit der EU-Länder noch zustimmen, was keine ausgemachte Sache ist. Als Plan B existieren bei der EU-Kommission Überlegungen, den demokratischen Prozess durch ein Splitting des Abkommens in einen zustimmungspflichtigen und einen nicht-zustimmungspflichtigen Teil zu umgehen. 

Einstweilen wurde jedoch die politische Einigung gefeiert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem „historischen Meilenstein“. Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) zeigte sich ebenfalls erfreut. „Das Abkommen setzt einen dringend notwendigen Wachstumsimpuls für die deutsche und europäische Wirtschaft und ist eine sehr gute Nachricht für unsere Unternehmen. Mit dem Handelsabkommen fallen für sie hohe Handelsbeschränkungen weg. Allein auf europäischer Seite sparen sie rund vier Milliarden Euro jährlich an Zöllen ein“, erklärte die Lobby-Organisation. 

„Endlich ein positives Signal“, erklärte derweil der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI), zählen seine Mitgliedsfirmen doch zu den Hauptprofiteuren des Handelsvertrages. Die von den Mercosur-Ländern vorgesehene Abschaffung der Import-Zölle für mehr als 90 Prozent aller Waren verschafft ihnen bessere Absatz-Möglichkeiten, denn bisher beliefen sich die Sätze für Chemikalien auf bis zu 18 Prozent und für Pharmazeutika und Pestizide auf bis zu 14 Prozent. Der BAYER-Konzern darf sich zudem auch von den Vergünstigungen, die Brüssel im Gegenzug gewährt – der EU-Forschungsdienst rechnet mit einer Steigerung des Anteils der Mercosur-Staaten an den Lebensmittel-Importen der Europäischen Union von derzeit 17 auf 25 Prozent – so einiges versprechen. Es ist nämlich ein höherer Genpflanzen- und Pestizid-Absatz zu erwarten, wenn insbesondere das brasilianische und das argentinische Agro-Business besseren Geschäften auf dem alten Kontinent entgegensieht. 

Die Monokulturen dürften sich dadurch noch weiter in die Regenwälder reinfressen und zu Vertreibungen von Indigenen führen. Zudem verstärkt die Übereinkunft die bestehenden Ungleichgewichte im Handel zwischen Lateinamerika und Europa, weil sie die Rolle der Staaten des Kontinents als Lieferanten billiger Rohstoffe ohne großen Wertschöpfungsanteil verfestigt und die wegfallenden Handelsbarrieren für veredelte Güter aus Europa es den MERCOSUR-Industrien noch schwerer machen, die Rückstände aufzuholen.

POLITIK & EINFLUSS

Extrem-Lobbyismus in Cali

Die Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen im kolumbianischen Cali endete Anfang November 2024 ohne konkrete Ergebnisse. Es kam keine Einigung über die finanzielle Unterstützung der ärmeren Länder bei Naturschutz-Maßnahmen zustande. Auch die Einrichtung eines Fonds, in den BAYER & Co. einzahlen müssen, wenn sie den Artenreichtum des Globalen Südens zur Entwicklung profitträchtiger Arzneien, Kulturpflanzen oder anderer Produkte nutzen, scheiterte. BAYER braucht nun z. B. für die Vermarktung einer Soja-Art auf der Basis eines Patentes, das dem Leverkusener Multi den Zugriff den Zugriff auf hunderte Gen-Varianten von wilden und kultivierten Soja-Pflanzen aus Australien und Asien sichert (siehe auch RECHT & UNBILLIG), kein Geld zu entrichten. Dank des Lobby-Einflusses der Industrie bleibt das „benefit sharing“ freiwillig.

Für die Erträge, die solche Gewächse abwerfen, Zwangsabgaben zu erheben, würde zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise führen, gab die bei BAYER für die Verwertung genetischer Ressourcen zuständige Jasmina Muminovic zu bedenken. „Es ist die Wertschöpfungskette, die Sie mitberücksichtigen müssen“, sagte sie der Financial Times: „Es endet nicht damit, dass wir Saatgut produzieren und verkaufen. Jemand kauft das Saatgut und zahlt mehr.“ 

Der internationale Agrarindustrie-Verband CropLife sah durch die Regelung gleich die Nahrungsmittelsicherheit gefährdet. Darüber hinaus würde eine finanzielle Belastung der Branche deren Innovationskraft schwächen, behauptete die Lobby-Organisation. Überdies warnte sie unisono mit dem internationalen Pharma-Verband IFPMA vor einem unübersichtlichen Patchwork von Regularien. Damit nicht genug, beschworen VertreterInnen europäischer Unternehmen die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung herauf, weil die Vereinigten Staaten das Biodiversitätsabkommen nicht unterschrieben hätten und die US-amerikanische Firmen deshalb von Zahlungen ausgenommen wären. 

„Der BAYER-Konzern hat vor allem durch seine Pestizide einen erheblichen Anteil am Artensterben. Zudem plündert er als Biopirat auch noch den Planeten aus, um aus der Natur Profit zu schlagen. Ihn dafür nicht zu Kasse zu bitten, ist ein unverzeihliches Versäumnis“, mit diesen Worten reagierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auf das Scheitern der Konferenz. 

Lobbykarussell

Lars Lindemann, seines Zeichens nicht nur ehemaliger FDP-Bundestagsabgeordneter und Apothekenberichterstatter, sondern auch Jurist und Hauptgeschäftsführer des „Spitzenverbands Fachärzte Deutschland“ (dort nicht zuletzt Türöffner für den Online-Apotheker DocMorris), hat offensichtlich eine Vorliebe für berufliche Abwechslung. 

Darum wechselte er zum 1. November 2024 zum Pharmagiganten BAYER. Beim Leverkusener Multi wird er als „Global Principal Public Affairs Pharma“ die internationale „Öffentlichkeitsarbeit“ der Pillen-Sparte leiten. Das trifft sich gut, immerhin war er insgesamt sieben Jahre lang nicht nur Bundestagsabgeordneter, sondern auch Mitglied des Gesundheitsausschusses, während die Anwaltskanzlei, in der er arbeitete, sich auf Mandanten aus der Gesundheitsbranche spezialisiert hatte. Ein Interessenskonflikt, der so groß ist, dass er sogar den Jungen Liberalen kritikwürdig erschien. Lindemanns Kontakte dürften für seine künftige Beschäftigung im Dienst des Chemie-Multis nichtsdestotrotz ausgesprochen nützlich sein.

PROPAGANDA & MEDIEN

Neuer Spionage-Skandal

Im Jahr 2019 flog der Skandal um die sogenannten MONSANTO-Listen auf. Der US-amerikanische Agrar-Riese hatte – noch bis kurz vor der Übernahme durch BAYER – von der PR-Agentur Fleishman-Hillard Freund und Feind bespitzeln und die Ziel-Personen in Kategorien wie „Verbündeter“, „möglicher Verbündeter“, „zu erziehen“ und „beobachten“ einordnen lassen. Der Leverkusener Multi entschuldigte sich dafür und distanzierte sich von derartigen Methoden. Sein oberster Öffentlichkeitsarbeiter Matthias Berninger bekundete: „Das ist nicht die Art, wie BAYER den Dialog mit unterschiedlichen Interessengruppen und der Gesellschaft suchen würde.“ 

Offenbar aber doch, wie jetzt Recherchen eines Medien-Verbundes enthüllten. So gehört der Global Player zu den Kunden der PR-Agentur V-Fluence. Zu den Angeboten des 2002 von MONSANTOs ehemaligem Kommunikationschef Jay Byrne mitgegründeten Unternehmens gehört unter anderem das Portal „Bonus Eventus“, das interessierten Kreisen den Zugang zu über 3.000 Namen von PolitikerInnen, AktivistInnen, KritikerInnen, WissenschaftlerInnen und Initiativen aus aller Welt bietet. Die Zeitung Le Monde, die damals mit dafür gesorgt hatte, dass die MONSANTO-Listen an die Öffentlichkeit gelangten und auch an der Aufdeckung der neuen Machenschaften beteiligt war, nannte die Dossiers umfassender und detailreicher als die von Fleishman-Hillard.

Seinen Nutzen stellte „Bonus Eventus“ etwa im Winter 2019 unter Beweis. Da informierte der Newsletter über eine Konferenz des „World Food Preservation Center“ in Nairobi, auf der auch „wissenschaftsfeindliche Kritiker der konventionellen Landwirtschaft“ auftreten sollten, und sogleich lief das Netzwerk heiß. Der Manager Jimmy Kiberu aus BAYERs Niederlassung in Kenia schlug umgehend ein Treffen zur Planung von Gegenstrategien vor. Und am Ende griffen diese. Die Konferenz fand nicht statt, weil die Afrikanische Entwicklungsbank ihre Förderzusage zurückgezogen hatte. 

Aber auch sonst erweist sich V-Fluence als nützlich für die Konzerne. So organisierte die Firma etwa eine Zusammenkunft von BAYER- und SYNGENTA-RepräsentantInnen sowie anderen Branchen-VertreterInnen mit US-amerikanischen Handelsbeauftragten, „um die Pestizid-Handelspolitik für das Jahr 2018 zu erörtern“. 

Der Agro-Riese will jedoch von all dem nichts wissen. Er streitet Geschäftsbeziehungen zu V-FLUENCE ab.

BAYER geht gegen Studie vor

Jahrzehntelang gab es nur vage Angaben zur Zahl der akuten Pestizid-Vergiftungen, die sich jährlich ereignen. Die letzte Studie dazu stammte aus dem Jahr 1990. Darum ging ein fünfköpfiges AutorInnen-Team um den Mathematiker Wolfgang Bödeker und den Toxikologen Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) der Frage noch einmal nach. Es machte sich an die Mammutaufgabe, 157 Untersuchungen und die Datenbank der Weltgesundheitsorganisation auszuwerten. 2020 erschien das Ergebnis dann unter dem Titel „The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning“ in der Fachzeitschrift BMC Public Health. Der Befund der Arbeit war alarmierend. Sie zählte 385 Millionen Pestizid-Vergiftungen von LandwirtInnen und LandarbeiterInnen per anno. Am stärksten betroffen sind Entwicklungs- und Schwellenländer. Die meisten Fälle traten in Süd- und Südost-Asien sowie in Ostafrika auf. Auch südamerikanische Staaten wie Kolumbien, Venezuela und Argentinien kommen auf beunruhigend hohe Raten. 

Die VerfasserInnen schufen mit ihrer Veröffentlichung eine neue Fakten-Basis, was einen großen Einfluss auf die Diskussion über die Gefahren von Agro-Chemikalien hatte. Das passte BAYER & Co. natürlich gar nicht. Sie intervenierten bei BMC Public Health. In einem Brief, zu deren UnterzeichnerInnen zwei BAYER-Beschäftigte und ein Mitarbeiter des Lobby-Verbandes CropLife gehörten, zweifelten sie die Resultate von Bödeker & Co. an. Die Zeitschrift reagierte prompt und nahm den Text von ihrer Webseite.

Konkret entzündete sich der Disput am Umgang mit den Zahlen. Nicht alle Studien zu gesundheitsschädlichen Pestizid-Effekten erstrecken sich über einen bestimmten Zeithorizont. Die Forscher-Innen berücksichtigten sie trotzdem, um eine bessere Daten-Grundlage zu haben, und werteten alle Angaben zu Vergiftungen als jährliche Vergiftungen. Das vermerkten sie auch deutlich, was die GutachterInnen nicht daran hinderte, die Untersuchung zur Veröffentlichung freizugeben. „Wir nehmen solche Untersuchungen trotzdem rein, weil wir aus Studien wissen, dass Pestizid-Vergiftungen mehrfach vorkommen in einer Saison, in einem Jahr“, erklärte Bödeker gegenüber der taz. Im Übrigen hätte eine Nichtberücksichtigung dieser Arbeiten das Endergebnis lediglich geringfügig – um 0,6 Prozent – verändert, erläuterte er. 

Eigentlich müssen schwerwiegende Mängel wie etwa Rechenfehler oder inkorrekte Experimente vorliegen, damit eine Redaktion einen Text ganz zurückzieht, solche Schnitzer gab es jedoch nicht. Deshalb bezeichnen die AutorInnen das Verhalten von BMC Public Health als „inakzeptabel“. Auch der Ökotoxikologe Carsten Brühl nennt die Reaktion des Blattes „fragwürdig“. „Der normale Vorgang wäre, dass jemand anders die Daten der Autoren analysiert und dann in einem weiteren Artikel als Antwort andere Daten publiziert. Das haben die Kritiker aber nicht getan“, so der Wissenschaftler von der Universität Kaiserslautern-Landau. Darum vermutet er „eine Einflussnahme“ von BAYER & Co. 

Interessierte Kreise feierten indessen das Verschwinden der Untersuchung. Das Portal Top Agrar sprach von „Fakenews“ und der „Industrieverband Agrar“ von einem „Schauermärchen ohne Substanz“. Bödeker und sein Team arbeiten nun an einer überarbeiteten Fassung. Am Resultat dürfte sich jedoch kaum etwas Gravierendes ändern.

The Smile Effect

„Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge kann ein Lächeln nachweislich die Stimmung und das Wohlbefinden positiv beeinflussen. Diese Erkenntnis macht sich BAYER auf überraschende und innovative Weise mithilfe der GOOGLE-AI-Technologie TensorFlow zunutze“, vermeldet das Marketing-Fachblatt Horizont. Der Leverkusener Multi setzt die „Lächel-Technologie“ ein, um seine Johanniskraut-Arznei LAIF zur Behandlung milder Depressionen bei jüngeren Menschen zu bewerben. Das GOOGLE-Tool erkennt über KI das Lächeln einer Person und gewährt ihr nur bei diesem bestimmten Gesichtsausdruck Zugang zu Rabatten und speziellen Produkt-Informationen. „Neue Initiative für seelische Gesundheit: The Smile Effect: Dein Lächeln als Türöffner zum Glück“, verspricht der Pharma-Riese in seiner Kampagne. Sie hat vor allem ihm selbst Freude bereitet. „Die Bekanntheit der Dachmarke LAIF stieg um 27 Prozentpunkte“, hält GOOGLE fest und vermeldet weiter: „Die Nutzung der LAIF-Produkte stieg in der Zielgruppe um 60 Prozent.“

DRUGS & PILLS

Deal mit CYTOKINETICS

Einst galt Deutschland als Apotheke der Welt. Das ist aber schon lange her. Heute konzentrieren sich die Pharma-Konzerne auf wenige, besonders lukrative Indikationsgebiete. Bei BAYER blieben nur noch „Krebs“, „Herz/Kreislauf-Erkrankungen“, „Neurologie“, „seltene Krankheiten“ und „Immunologie“ übrig. Das Segment „Herz/Kreislauf-Erkrankungen“ stärkt der Leverkusener Multi jetzt durch einen Deal mit CYTOKINETICS. Er hat mit dem US-amerikanischen Biotech-Unternehmen einen Vertrag zur exklusiven Vermarktung des Herzmittels Aficamten in Japan abgeschlossen. 

Das Präparat ist zur Behandlung einer zumeist genetisch bedingten Herzmuskel-Erkrankung vorgesehen, der obstruktiven und nicht obstruktiven hypertrophen Kardiomyopatie (HCM). CYTOKINETICS hat einen Zulassungsantrag bei der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA gestellt und will das in Kürze auch bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA tun. 

Viel zu viele CIPROBAY-Verordnungen

Das Webportal Telepolis berichtete Ende November, dass jede vierte Antibiotika-Therapie mit BAYERs CIPROBAY oder anderen Produkten dieser Medikamenten-Gruppe entweder falsch oder nicht gezielt genug durchgeführt werde. Dabei beruft es sich unter anderem auf eine Studie des Uniklinikums Freiburg. Der Grund: Mit dem Einsatz sogenannter „Breitband-Antibiotika“, die eine große Zahl an potenziellen Erregern bekämpfen können, und – falls die Behandlung nicht wirkt – der Gabe weiterer Antibiotika sparen sich die MedizinerInnen deutlich teurere Laboruntersuchung der Erreger durch Abstriche an den infizierten Stellen. 

Dem Uniklinikum Freiburg zufolge hat etwa ein Drittel der untersuchten PatientInnen ein Antibiotikum verschrieben bekommen, teilweise auch zur reinen Prävention. Von diesen Präparaten war ein Viertel nicht für eine adäquate Behandlung geeignet. Bei der Hälfte der Verschreibungen wäre zudem die Wahl eines spezifischeren Mittels möglich gewesen.

Daraus ergibt sich eine ganze Reihe von Problemen. Die nur wenig zielgenaue massenhafte Anwendung dieser Arzneien gefährdet nicht nur den Heilungserfolg, sie trägt auch zur Ausbildung von Resistenzen bei, weil sich die Erreger an CIPROBAY & Co. gewöhnen.

Die Zahl von resistenten Keimen, denen mit den marktgängigen Antibiotika nicht mehr beizukommen ist, wächst dann auch kontinuierlich, während die Forschungsanstrengungen der Industrie erlahmen. Sie kann mit diesen Pharmazeutika nämlich nicht allzu viel Profit machen, weil sie nur über einen kurzen Zeitraum hinweg verordnet werden dürfen. BAYER stellte deshalb 2005 die Suche nach neuen Antibiotika ein. „Ein Gelübde an den Kapitalmarkt“ nannte die Börsen-Zeitung damals die Entscheidung. Der ehemalige BAYER-Chef Marijn Dekkers hat die Problematik einmal so umrissen: „Wir müssen Geld verdienen mit unseren Produkten. Das führt dazu, dass nicht alle Medikamente entwickelt werden, die wir brauchen“. Und um die Lücken im Apotheken-Regal zu füllen, forderte er staatliche Subventionen ein: Die Regierungen sollten die Pharma-Industrie wie in der Militärindustrie Auftragsforschung machen lassen.“

Arznei-Preise steigen weiter

Was immer die Politik auch unternimmt, um die Kosten der Krankenkassen für Medikamente zu senken, scheitert. Immer wieder finden BAYER & Co. Mittel und Wege, sich ein komfortables Auskommen zu sichern. So auch im Jahr 2023. Gegenüber 2022 stiegen die Zahlungen der gesetzlichen Krankenversicherungen für Arzneimittel um 1,1 Milliarden auf 54 Milliarden Euro. 53 Prozent der Summe entfallen dabei auf patent-geschützte Präparate, obwohl diese nur einen kleinen Teil der Versorgung ausmachen. „Dort sind wir den Erpressungen der Pharma-Industrie ausgeliefert, die praktisch jeden Preis verlangen kann“, klagt Jens Baas von der „Techniker Krankenkasse“. So beliefen sich etwa die Kosten für eine Jahrestherapie mit BAYERs Lungenhochdruck-Präparat Adempas (Wirkstoff: Riociguat) auf mehr als 18.000 Euro.

Lobbydruck auf den Blutdruck

Die „Europäische Gesellschaft für Kardiologie“ (ESC) hat eine neue Leitlinie zur Therapie von Bluthochdruck vorgelegt. Jetzt gilt ihr schon ein Wert zwischen 120/70 und 139/89 als erhöht – und pharmakologisch behandlungsbedürftig. Das industrie-unabhängige arzneimittel-telegramm kritisiert das als eine „Umdeutung von Normalem zum Pathologischem“ und macht Lobby-Druck der Pharma-Riesen für die ESC-Entscheidung mitverantwortlich. Nicht umsonst brauchen die Leitlinien-AutorInnen für die Auflistung möglicher Interessenskonflikte wegen ihrer Beziehungen zu den Arznei-Konzernen stolze 67 Seiten. Der Name „BAYER“ taucht darin 43 Mal auf.

Mehr KINZAL-Nebenwirkungen

Der BAYER-Konzern muss die Liste der Nebenwirkungen seines Bluthochdruck-Medikaments KINZAL verlängern. Das Mittel kann wie andere zur Gruppe der Angiotensin-Blocker gehörende Präparate kolik-artige Bauchkrämpfe – in der Fachsprache intestiale Angioödeme genannt – verursachen. Das stellte ein Ausschuss der Europäischen Arzneimittelbehörde im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens fest.

MAGNEVIST i.V. bleibt verboten

BAYERs Röntgen-Kontrastmittel haben es in sich. Bei ihren Inhaltsstoffen handelt es sich nämlich um Abkömmlinge des Schwermetalls Gadolinium. Die Substanzen können sich im Gehirn und im Gewebe ablagern und schwere Krankheiten verursachen. Zu den in der Fachliteratur beschriebenen Risiken und Nebenwirkungen gehören Herzrhythmus-Störungen, Muskel-Zuckungen, Blutdruck-Schwankungen und Leberschäden. Viele Präparate, bei denen der Wirkstoff in einer leichter auflösbaren Form vorliegt, verloren schon 2018 ihre Zulassung, so auch BAYERs intravenös zu verabreichendes MAGNEVIST. Anfang 2024 bestätigten die Behörden diese Entscheidung noch einmal.

AGRO & CHEMIE

Weniger Glyphosat in Deutschland

2023 ging der Glyphosat-Absatz in Deutschland um 40 Prozent zurück. Kauften die LandwirtInnen 2022 noch 3.915 Tonnen, so waren es im letzten Jahr nur 2.349 Tonnen. Dabei brauchen jedoch nicht unbedingt etwaige Vorbehalte dem Herbizid gegenüber den Ausschlag gegeben zu haben. Der Deutsche Raiffeisenverband nannte auch die unklare Rechtslage – im Herbst 2023 stand bei der EU die Entscheidung über die Zulassungsverlängerung noch aus – als Grund für die Kaufzurückhaltung. Überdies liefen die Geschäfte mit den Pestiziden insgesamt nicht mehr so gut. Das Volumen sank um 19 Prozent auf 75.804 Tonnen.

Fehlende Ursprungszeugnisse

BAYERs Export von Pestiziden aus Deutschland, die innerhalb der EU keine Zulassung (mehr) haben, stockt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium, das in solchen Fällen für die von manchen Ziel-Ländern verlangten Ursprungszeugnisse zuständig ist, stellte diese dem Agro-Riesen bisher nicht aus. „Einigen Angaben zufolge arbeitet das Chemie-Unternehmen bereits seit Herbst letzten Jahres mit der Bundesregierung an einer Lösung, ‚bisher leider ohne Ergebnis‘“ meldete Top Agrar im November 2024. „In gut informierten Kreisen spricht man von ‚Behördenwillkür‘ und einem faktischen Export-Verbot, so das Portal weiter. Ursprünglich wollte die Ampelkoalition auch ein richtiges Export-Verbot auf den Weg bringen, aber die FDP blockierte. Der Leverkusener Multi packt nun den Hammer aus und droht mit Produktionsverlagerungen inklusive Arbeitsplatzvernichtung.

GENE & KLONE

EU verlängert Zulassungen

Im Oktober 2024 hat die EU die Import-Zulassungen für zwei gentechnisch veränderte Mais-Sorten von BAYER verlängert. Sie winkte die beiden Laborfrüchte „MON89034 x 1507 x MON88017 x 59122“ und „MON89034 x 1507 x NK603“ durch.

WASSER, BODEN & LUFT

Langenfelder Rat vs. BAYER 04

Der Trainingscampus von BAYER 04 Leverkusen muss dem Ausbau der Autobahn A1 weichen. Bereits seit Längerem sucht der Club deshalb einen neuen Standort. Ein Gelände in Langenfeld schied dabei eigentlich schon aus, weil es in einem 22 Hektar großen Wasserschutzgebiet liegt, ist jetzt aber wieder eine Option. 

Die Stadt zeigt sich darüber alles andere als begeistert, denn sie sorgt sich um die Trinkwasser-Versorgung. „Die gesamte Anlage – immerhin 13 Fußball-Plätze plus Internat plus sämtliche Anlagen, die zur Sache dazugehören, Parkplätze und Parkhäuser – alles steht direkt neben unseren Brunnen und fließt sofort unseren Brunnen zu“, mahnt etwa Bürgermeister Frank Schneider (CDU). Rudolf Gärtner vom Verbandswasserwerk Langenfeld-Monheim äußerte vor allem wegen der Risiken und Nebenwirkungen der Rasenpflege mit Dünger und Pestiziden Bedenken. 

Im September 2024 hat sich nun auch der Langenfelder Rat – einstimmig – gegen das Projekt ausgesprochen und eine Resolution verabschiedet. „Der Rat der Stadt Langenfeld als Träger der Daseinsfürsorge in Bezug auf die Trinkwasser-Versorgung der Langenfelder Bevölkerung lehnt die Planungen des BAYER 04-Campus-Vorhabens am hochsensiblen Standort Laacher Hof in der WSZ [Wasserschutzzone] IIIA in direkter Nähe zur WSZ II und nahe dem Trinkwasser-Brunnen des Verbandswasserwerkes Langenfeld-Monheim ab“, heißt es darin unter anderem.

Das letzte Wort in der Sache hat die Bezirksregierung Düsseldorf als Genehmigungsbehörde.

BAYERs Herz für Bäume

Die UN-Klimakonferenz in Baku war für viele eine Enttäuschung, nur die Großkonzerne dürften einigermaßen zufrieden aus dem Treffen herausgehen, denn es gab keine neuen Auflagen zur Verminderung des Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes. Zudem ist es nicht nur gelungen, den Punkt „Biodiversität“ aus dem Abschlussdokument zu streichen, nein, die TeilnehmerInnen beschlossen auch die Einführung eines Systems, das Staaten erlaubt, ihre CO2-Emissionen mit der Unterstützung von Klimaschutz-Maßnahmen wie z. B. Aufforstungsprojekten zu verrechnen. 

Bisher war dieser Ablasshandel nur Unternehmen gestattet. So etablierten BAYER & Co. zusammen mit dem Davoser Weltwirtschaftsforum, Lobbyorganisationen und der „International Emissions Trading Associaton“ einen eigenen Standard, der Waldschutz vorsah und den Multis die Möglichkeit geben sollte, sich durch Engagement bei Wiederaufforstungsprojekten eine weiße Weste für die eigenen Umweltsünden zu kaufen. Seit 2006 läuft das nun schon, beim Leverkusener Multi unter anderem über VERRA als Dienstleister. Im letzten Jahr will er laut Nachhaltigkeitsbericht 600.000 Tonnen CO2 kompensiert haben. 

In der Praxis schaut es anders aus: Allein die Wiederaufforstung von Waldflächen garantiert noch lange nicht, dass dieses auch real im Kampf gegen den Klimawandel hilft: Die Menge an CO2, die durch die Wälder aufgenommen wird, ist nämlich erst einmal eine theoretische, keine praktische. So ermittelte etwa die ZEIT im Jahr 2023, dass es sich bei rund 89 Millionen Tonnen CO2, die angeblich auf diese Weise eingespart würden, de facto um Fehlbuchungen handelt. Teils stehen die Wälder nicht mehr, teils hat das Unternehmen VERRA einfach die Zahlen ein bisschen aufgerundet, um besser dazustehen. Die wirklichen CO2-Einsparungen sind viel niedriger. Das bestätigte abermals eine im November im Fachmagazin Nature Communications veröffentlichte Studie. Sie kommt zu dem Resultat, dass die Waldprojekte nur ein Viertel der veranschlagten Emissionen ausglichen. Die von einem Team rund um Benedict Probst vom Max-Planck-Institut durchgeführte Untersuchung verglich 65 wissenschaftliche Arbeiten, die wiederum 2.346 CO2-Ausgleichsprojekte mit insgesamt fast einer Milliarde Tonnen CO2 auf dem Kompensationskonto analysiert haben. Probst und sein Team schauten sich das alles genauer an und kamen bloß auf 160 Millionen Tonnen. 

So ineffizient kann mensch dem Klimawandel natürlich auch begegnen – nur helfen wird das niemandem außer BAYER & Co.

STANDORTE & PRODUKTION

Berlin: Eröffnung des Co.Labs

Der BAYER-Konzern baut überall dort, wo er Zell- und Gentherapien entwickelt, Labor-Zentren für Start-ups auf, sogenannte Co.Labs. Diesen will er nach eigenem Bekunden „einen direkten Zugang zu den Experten von BAYER“ bieten. 

Tatsächlich geht es dem Leverkusener Multi aber eher darum, sich selbst einen Zugang zu den jungen Unternehmen zu verschaffen, um deren Wissen billig abzuschöpfen und daraus lukrative Pharma-Projekte zu machen. Ende November 2024 eröffnete der Pillen-Riese sein Co.Lab in Berlin und begrüßte MYOPAX, eine auf Stammzell- und Genscheren-Techniken spezialisierte Firma, als ersten Mieter. „Ergänzend zum künftigen Berliner Zentrum für Gen- und Zelltherapien ist das BAYER Co.Lab Berlin eine Startrampe für Start-ups und Unternehmer“, so der BAYER-Manager Jürgen Eckhardt. 

Bei der Einweihung ließ sich auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sehen. „Mit der Eröffnung des Co.Labs sind wir bei unserem Vorhaben eines ‚Boston an der Spree‘ und einer noch besseren Gesundheitsversorgung einen großen Schritt vorangekommen“, sagte er. Um dieses Ziel zu erreichen,  subventioniert nicht nur die Stadt Berlin, sondern auch der Bund BAYER kräftig. Allein die Ampelkoalition stellte dem Global Player 44 Millionen Euro für sein neues Medizin-Zentrum zur Verfügung.

Von Grünflächen zu Parkplätzen

Leverkusen strotzt nicht gerade vor Sportplätzen. Zwei der großen bestehenden Plätze, die Trainingsplätze von Bayer 04 und des Sportclubs Leverkusen stehen nun zur Disposition. Der Grund: Bayer 04 möchte neue Parkplätze. 

Bisher wäre das nicht möglich gewesen: Flächen, die wie der Sportpark als „Freiraum“ und „regionaler Grünzug“ klassifiziert sind, dürfen nicht als Parkplätze in Beschlag genommen werden. Allerdings ändert sich das gerade. Die Bezirksregierung hat nämlich einen neuen Regionalplan vorgelegt, in dem sie eine „Anregung aus der Öffentlichkeit“, wie es nebulös heißt, teilweise berücksichtigte. Damit wäre nun grundsätzlich der Bau neuer Parkplätze möglich. Jetzt können nur noch kurzfristig Einwände von sogenannten „Trägern öffentlicher Belange“, also etwa von Verbänden, Firmen, Städten – und neben diesen sogar auch von BürgerInnen – den Bau der Parkplätze verhindern. Das Problem: Bisher hat es kaum jemand mitbekommen. Eine gesetzlich vorgeschriebene Ankündigung der Änderung wurde in einem Amtsblatt versteckt. Nicht einmal die Presse war informiert. Der Leverkusener Anzeiger etwa erklärt, keine Pressemitteilung von den zuständigen Behörden erhalten zu haben – und das trotz anderslautender Aussagen eines Behördensprechers. Die Bezirksregierung selbst bekundet: „Transparenz und Nachvollziehbarkeit ihrer Entscheidungen sind der Bezirksregierung Köln sehr wichtig.“ Das klingt auf dem Papier zwar schön, aber in der Praxis scheint mensch das nicht gar so ernst zu nehmen. 

IMPERIUM & WELTMARKT

ADNOC schluckt COVESTRO

Lange Zeit stand der BAYER-Konzern auf den vier Säulen Agrar, Pharma, Kunststoff und Chemie. Kurz nach der Jahrtausendwende änderte sich das: „Konzentration auf das Kerngeschäft“ hieß nun die Maxime. 2004 stieß der Leverkusener Multi die Chemie-Sparte ab, die fortan unter LANXESS firmierte. Rund zehn Jahre später trennte er sich von seinem Kunststoff-Segment, das ab 2015 unter dem Namen COVESTRO selbstständig agierte. Nun ist es damit wieder vorbei: Der sich im Eigentum der Vereinigten Arabischen Emirate befindende Öl-Riese ADNOC schluckte COVESTRO. Auf ähnliche Weise sind schon viele ehemalige Unternehmensteile des Global Players verschwunden.

PROFIT & ÖKONOMIE

Schlechte Quartalszahlen

BAYERs Bericht für das dritte Quartal 2024 bestätigte den negativen Jahrestrend. Wie schon im 2. Quartal verzeichnete der Leverkusener Multi bei einem nur minimal gestiegenen Umsatz drastische Gewinn-Einbußen. Das bereinigte Ergebnis ging gegenüber dem Vorjahres-Zeitraum um 25,8 Prozent auf 1,25 Milliarden Euro zurück. Im Agrar-Bereich führte der Global Player das unter anderem auf einen Rückgang der Anbauflächen in Lateinamerika infolge des Klimawandels bzw. „Wetterkapriolen“ zurück. Auch „schwache Marktpreis-Entwicklungen“ sowie Preisdruck bei Nachahmer-Produkten trugen dem Unternehmen zufolge dazu bei. Wegen der schlechten Aussichten musste es nach einer „Werthaltigkeitsprüfung“ sogar den Vermögenswert der Sparte um 3,78 Milliarden Euro nach unten korrigieren.

Das Segment mit den rezeptpflichtigen Arzneien litt hauptsächlich unter negativen Währungseinflüssen und das mit den freiverkäuflichen Mitteln unter einem „verhalteneren Start in die Erkältungssaison in Nordamerika“ sowie einem rückläufigen Konsumverhalten in China. 

Als Konsequenz aus all dem reduzierte der Agro-Riese die Gewinn-Prognose von 10,7 bis 11,3 Milliarden auf 10,4 bis 10,7 Milliarden und kündigte das Übliche an: Arbeitsplatzvernichtung bzw. „beschleunigte Kosten- und Effizienzmaßnahmen“. Dabei hatte er schon vorher kräftig aufs Gaspedal gedrückt. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum schrumpfte die Belegschaft um 6,6 Prozent von 100.873 auf 94.245 Beschäftigte. 

Monheim: Trouble in Paradise

Im Jahr 2012 hat die Stadt Monheim einen Unterbietungswettbewerb in Sachen „Unternehmenssteuern“ eröffnet. Sie senkte den Gewerbesteuer-Hebesatz auf 300 Prozentpunkte. Weniger verlangte keine Kommune in Nordrhein-Westfalen. 

Das ließen sich die Konzerne im Allgemeinen und BAYER im Besonderen nicht zweimal sagen. Der Multi verlegte seine Patent-Abteilung von Leverkusen nach Monheim und 2017 die CROP-SCIENCE BETEILIGUNGSGESELLSCHAFT. Für Monheim zahlte sich dies zunächst aus. Die Stadt entschuldete sich und zeigte sich großzügig. Sie strich die KITA-Gebühren, ermöglichte einen kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr, leistete sich Kunst im öffentlichen Raum sowie ein großes Kulturprogramm und schob diverse Bau-Projekte an. Jetzt aber gibt es Ärger im Steuer-Paradies. Das Gewerbesteuer-Aufkommen sinkt, und der Schuldenstand erhöht sich. „Mir ist keine Stadt bekannt, die in so kurzer Zeit derartig auf- und auch wieder abgestiegen ist“, sagt Jens Ammann vom „Bund der Steuerzahler“. 

Ihm zufolge wird Monheim bald die mit Abstand höchste Pro-Kopf-Verschuldung von allen Städten in Nordrhein-Westfalen aufweisen. Die Stadt Leverkusen empörte sich einst – wie viele anderen Anrainer – über die neue Steuer-Oase in unmittelbarer Nähe, denn viele ihrer Unternehmen verabschiedeten sich dorthin. Aber zum Schluss gab sie sich geschlagen und reduzierte die Hebesätze ebenfalls. Das ließ sich BAYER wiederum nicht zweimal sagen. Der Global Player siedelte einige Teil-Gesellschaften wieder am Stammsitz an. Und nun herrschen dort ähnlich schlechte Zustände wie in Monheim. Anfang August musste der Oberbürgermeister Uwe Richrath eine Haushaltssperre verhängen (siehe Ticker 4/24).

RECHT & UNBILLIG

TEVRA vs. BAYER

In den Vereinigten Staaten läuft ein Verfahren, das die Firma Tevra Brands gegen den BAYER-Konzern angestrengt hat. Dabei geht es um Vorgänge in dessen – inzwischen verkaufter – Veterinärsparte. Der Betrieb aus Omaha wirft dem Global Player vor, GroßhändlerInnen mit Vergünstigungen dazu verleitet zu haben, bestimmte Tevra-Produkte nicht in ihr Sortiment aufzunehmen. Das Unternehmen hatte Nachahmer-Versionen der vom Leverkusener Multi entwickelten Anti-Zecken-Mittel ADVANTAGE und ADVANTIX herausgebracht, fand dafür jedoch trotz eines weit niedrigeren Preises keinen Vertrieb. Anfang August 2024 wies ein Gericht in San Jose die Klage ab. TEVRA kann das Urteil jedoch noch anfechten. 

Biopirat BAYER

Mit Vehemenz betreiben die Konzerne die privatwirtschaftliche Aneignung des natürlichen Reichtums der Erde. So hat sich die heutige BAYER-Tochter MONSANTO im Jahr 2014 hunderte Gen-Varianten von wilden und kultivierten Soja-Pflanzen aus Australien und Asien patentieren lassen, um diese zur Entwicklung von Ackerfrüchten zu nutzen, die angeblich dem Klimawandel besser trotzen können. Das Bündnis NO PATENTS ON SEEDS! hatte dagegen eine Beschwerde eingereicht. Zur Begründung verwies es dabei auf das europäische Patentrecht, das Schutzrechte auf in der Natur vorkommende oder mit konventionellen Methoden gezüchtete Gewächse untersagt. 

Aber das Europäische Patentamt lehnte den Einspruch Ende Oktober 2024 trotzdem ab. „Diese Entscheidung ist im Hinblick auf die Pflanzenzucht und den Klimawandel alarmierend. Der Zugang zu dringend benötigter biologischer Vielfalt wird erheblich behindert. Die Nutzung von natürlicherweise vorkommenden Gen-Varianten zur Auswahl von Pflanzen ist ein Standard-Verfahren und keine Erfindung“, hielt Carla Hoinkes von PUBLIC EYE fest. Und Johanna Eckhardt von KEINE PATENTE AUF SAATGUT kritisierte: „Dieses Patent ist Biopiraterie im großen Maßstab. BAYER bzw. MONSANTO versuchen, die Kontrolle über die genetische Vielfalt zu erlangen, die benötigt wird, um unsere Ernährung zu sichern.“

NGOs klagen in Sachen „Glyphosat“

Unmittelbar nach der Glyphosat-Zulassungsverlängerung im Herbst 2023 hatten das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) EUROPE und andere Initiativen bei der EU-Kommission eine Überprüfung der Entscheidung beantragt. Von der Leyen & Co. hielten jedoch an der Genehmigung fest. Darum ziehen die Gruppen nun vor den Europäischen Gerichtshof. „Die EU-Kommission und ihre wissenschaftlichen Agenturen haben wiederholt kritische Studien, die schädliche Wirkungen von Glyphosat dokumentieren, unbegründet ausgeschlossen oder deren Ergebnisse systematisch heruntergespielt“, heißt es zur Begründung. 

Als konkretes Beispiel führen die Organisationen neben ignorierten Krebs-Gefahren auch nicht beachtete Hinweise auf Neurotoxizität auf. „Dokumente zeigen, dass renommierte WissenschaftlerInnen die EU-Behörden vor einem Zusammenhang zwischen Glyphosat und neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder Autismus sowie vor kognitiven Defiziten bei Kindern warnten. Diese Risiken wurden im Zulassungsverfahren nicht widerlegt, da die Behörden Studien, die diese Risiken identifizierten, unberücksichtigt ließen“, kritisieren die KlägerInnen. 

63.000 Glyphosat-Klagen

Laut BAYERs Geschäftsbericht für das dritte Quartal 2024 stieg die Zahl der Glyphosat-Klagen noch einmal an. Sie beläuft sich nun auf 63.000. Bis Ende September musste der Konzern für Entschädigungszahlungen 189 Millionen Euro aufwenden. „Wie angekündigt, wollen wir das Thema in den nächsten zwei Jahren eindämmen“, versicherte Anderson den AktionärInnen. Dabei verwies er auf erste Erfolge, in den Vereinigten Staaten mit immensem Lobby-Aufwand ein Gesetz zu lancieren, das Glyphosat Immunität gewährt. Darüber hinaus beabsichtigt die Aktiengesellschaft, in der Sache zum zweiten Mal den Versuch zu unternehmen, den Obersten Gerichtshof der USA anzurufen und ein Machtwort in ihrem Sinne sprechen zu lassen. Zudem plant das Unternehmen der Wirtschaftspresse zufolge, aus der Monsanto Company eine Art Bad Bank für die Glyphosat-Risiken zu machen und aus ihr alle Vermögenswerte wie etwa Patente abzuziehen, so dass nur eine – endliche – Summe an Rückstellungen für die Prozesse übrig bleibt. 

Die Frage, ob die Trump-Wahl dem „Rechtskomplex“ dienlich sein könne, bejahte BAYER-Chef Bill Anderson bei der Vorstellung der Quartalszahlen. „Ich bin mir nicht sicher, ob das einen direkten Einfluss auf die laufenden Verfahren hat“, sagte er, aber die US-amerikanischen Wähler hätten ein deutliches Votum bezüglich der Wirtschaft im Allgemeinen und der Inflation im Besonderen abgegeben, was ihn optimistisch stimme. Glyphosat sorgt in seinen Augen nämlich für gute Ernten und arbeitet ergo der Inflation im Nahrungsmittel-Sektor entgegen, was auch immer mehr Politikern aufgehe. „Darum denken wir, dass das Umfeld dem Fortschritt förderlich ist. Und wir erwarten, diesen Fortschritt 2025 zu sehen“, resümierte er. 

CDU vor Gericht

Der der CDU nahestehende Lobbyverband „Wirtschaftsrat“ gründete sich 1963, und zwar als formal und finanziell unabhängiger Verein. Der Grund dafür ist naheliegend: Auf diese Weise fällt er nicht unter das Parteiengesetz mit seinen Transparenzregeln und kann sich weitestgehend ungestört der Lobbyarbeit widmen. Nichtsdestotrotz hat der „Wirtschaftsrat der CDU e. V.“ einen kooptierten Sitz im Parteivorstand. Und wo von Lobby-Organisationen die Rede ist, ist natürlich auch BAYER nicht weit. Der Leverkusener Multi gehört zu den finanziellen Unterstützern des Vereins. Der ehemalige BAYER-Manager Wolfgang Große Entrup saß sogar lange selbst im Wirtschaftsrat, mittlerweile ist er Geschäftsführer des „Verbandes der Chemischen Industrie“

Ein von der Initiative LobbyControl beauftragtes Rechtsgutachten jedenfalls sieht in der engen Verflechtung des Wirtschaftsrats mit der Parteiführung eine Reihe von Verstößen gegen das Parteiengesetz und sogar gegen die Satzung der CDU. Darum reichte der Christdemokrat Luke Neite im Herbst 2023 eine Klage gegen den CDU-Vorstand ein, die am Nikolaustag 2024 endlich vor Gericht landete. Vorher hatten sich partei-interne Gremien mit der Sache befasst, an ihr aber wie zu erwarten nichts Anstößiges gefunden. 

LobbyControl hatte den Rechtsstreit nicht nur finanziert, sondern auch eng begleitet. Die Organisation initiierte einen Online-Appell, dem sich 30.000 Menschen anschlossen, und war am Verhandlungstag mit Plakaten und Transparenten vor Ort, um auf die Machenschaften des Parteivorstandes hinzuweisen. 

Das alles half aber vor Gericht nicht: Das Landgericht Berlin schmetterte die Klage mit der rein formalen Begründung ab, ein einfaches CDU-Mitglied könne nicht gegen den Vorstand klagen – dafür brauche es mindestens einen Delegierten auf einem Bundesparteitag. Inhaltlich äußerte sich das Gericht leider nicht weiter zur Angelegenheit. 

LobbyControl will das Urteil aus Kostengründen nicht anfechten. Stattdessen macht der Verband sich nun auf die Suche nach einem oder einer Delegierten für einen neuen Anlauf. „Das erscheint schwierig, weil sich eine solche Person damit Karriere-Chancen innerhalb der Partei verbauen könnte. Aber es ist nicht unmöglich – und uns haben bereits entsprechende vorsichtige Signale erreicht. Wir bleiben also verhaltend optimistisch, dass der Rechtsweg noch nicht abgeschlossen ist“, erklärten die AktivistInnen. In erster Linie setzen sie aber auf öffentlichen Druck. Bereits 2022 war es bei der FDP durch eben diesen gelungen, die Lobbyvereinigung „Liberaler Mittelstand“ aus dem Bundesvorstand der FDP zu entfernen. Es gibt also noch Hoffnung. 

Teilinsolvenz in Texas?

Der BAYER-Konzern beabsichtigt, zum zweiten Mal den Versuch zu unternehmen, den Obersten Gerichtshof der USA – den Supreme Court – in Sachen „Glyphosat“ anzurufen, um ein Machtwort in ihrem Sinne zu erwirken. Darüber hinaus werden beim Leverkusener Multi dem Manager Magazin zufolge Pläne konkreter, sich den hohen Zahlungen an Glyphosat-Geschädigte durch das Anmelden einer Teil-Insolvenz zu entziehen, wie es das Wirtschaftsrecht im Bundesstaat Texas erlaubt. 

Als „Texas Two-Step“ firmiert das in Unternehmenskreisen. Bei dieser Operation würde der Global Player aus der MONSANTO Company eine Art Bad Bank machen, indem er aus ihr alle Vermögenswerte wie etwa Patente abzieht, so dass nur eine – endliche – Summe an Rückstellungen für die Prozesse übrig bleibt. 

„Wir müssen die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir die Risiken abtrennen können“, mit diesen Worten zitiert die Zeitschrift einen BAYER-Manager. Ihr zufolge hat sich bereits der Aufsichtsrat mit dem Thema beschäftigt. Bei der Vorstellung der Zahlen für das 3. Quartal 2024 am 12. November lehnte es der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson ab, sich näher zu der Frage zu äußern. 

SPORT & MEDAILLEN

SC BAYER 05 umbenannt

Der Sportclub BAYER 05 Uerdingen trägt ab 2025 einen neuen Namen. Künftig nennt er sich „Sportclub Krefeld 05“. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die bei BAYER bereits vor einiger Zeit begann: Das Ende der Förderung des Breitensports. Schritt für Schritt stellt der Konzern die Zahlungen ein und untersagt die Nutzung des BAYER-Kreuzes und -Namens durch die Vereine, die sich früher zumeist aus den Belegschaften des Unternehmens zusammensetzten. Der Sportclub selbst trägt diesen Namen nun seit 119 Jahren, das scheint den Chemiemulti aber nicht zu rühren. Andererseits verwundert das nicht, wenn mensch sich überlegt, wie wenig sich der Global Player um große Teile seiner eigenen Historie schert. Vor allem die nicht zu knappen unrühmlichen Perioden ignoriert er gerne. Der Sportclub selbst jedenfalls schätzt ein, dass die Umbenennung nun Kosten in Höhe eines sechsstelligen Betrages verursachen wird. 

Berufskrankheit Parkinson

CBG Redaktion

BAYER & Co. in der Pflicht

Seit dem Frühjahr 2024 ist „Parkinson durch Pestizide“ offiziell als Berufskrankheit bei Bauern und Bäuerinnen anerkannt. Die landwirtschaftliche Sozialversicherung rechnet mit zahlreichen Fällen und entsprechend hohen Kosten. Dafür sollen aber nicht BAYER & Co. als Hersteller der Ackergifte aufkommen, sondern die LandwirtInnen selbst. Die Berufsgenossenschaft erhöht deshalb ihre Beiträge saftig. Dagegen formt sich jedoch Protest.

Von Jan Pehrke

„Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat eine wissenschaftliche Empfehlung für eine neue Berufskrankheit ‚Parkinson-Syndrom durch Pestizide‘ beschlossen (…) Betroffen sind voraussichtlich vor allem landwirtschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer, deren mitarbeitende Familienangehörige sowie Beschäftigte in der Landwirtschaft“, verkündete das Arbeitsministerium von Hubertus Heil am 20. März 2024. Auf mehr als 60 Seiten trug der ÄSVB die wissenschaftlichen Gründe für die Entscheidung zusammen, die überfällig war. 

Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) hat aktuell 8.000 Parkinson-PatientInnen unter ihren Mitgliedern. Für die Zukunft rechnet sie mit einer noch weit höheren Fallzahl und entsprechenden Kosten. Diese will sie auf ihre Mitglieder umlegen. Deshalb hebt die zur SVLFG gehörende Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft die Beiträge um 20 Prozent an, davon entfallen rund zwölf Prozent auf den neuen Ausgabeposten „Parkinson“. 

Zu Recht empören sich die LandwirtInnen darüber. „Parkinson als Berufskrankheit anzuerkennen, ist richtig. Die Kosten dafür aber auf alle Bäuerinnen und Bauern umzulegen, ist unfair (…) Hier muss das Verursacher-Prinzip gelten und [müssen] die Hersteller der Pflanzenschutzmittel oder die Zulassungsbehörden zur Kasse gebeten werden!“, fordert etwa die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Auch der „Bundesverband deutscher Milchvieh-Halter“ und der Neuland-Verein lehnen es ab, die finanzielle Last der Solidargemeinschaft der Versicherten aufzubürden. Einige LandwirtInnen machen sogar schon konkrete Vorschläge und verlangen von den Agro-Riesen die Einrichtung eines Fonds. „[D]ie haben ja auch mit Spritzmittel-Verkauf Geld verdient“, so der bayerische Bauer Hans Leis gegenüber dem TV-Magazin quer. 500 Euro kostet ihn die neue Regelung im Jahr.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) verlangt ebenfalls eine finanzielle Beteiligung von BAYER & Co. Das Thema „Parkinson durch Pestizide“ brachte die CBG bereits 1999 in die Öffentlichkeit. Das Stichwort BAYER berichtete damals über MedizinerInnen, die eher zufällig auf diese Krankheitsursache stießen. Sie untersuchten Jugendliche, die nach Einnahme der Droge MPPP Parkinson-Symptome herausbildeten, und stießen auf eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dem chemischen Aufbau des Opioids und dem der Ackergifte. Das säte Zweifel an der bis dahin vorherrschenden Hypothese, dass das Nervenleiden erblich bedingt sei. Eine Zwillingsstudie mit 20.000 TeilnehmerInnen widerlegte diese Annahme dann endgültig, denn die Krankheit trat fast nie paarweise auf. 

Wie MPTP, das bei unsachgemäßer MPPP-Herstellung entsteht, wirken viele Pestizide neurotoxisch und schädigen die Nervenzellen im Gehirn, die Dopamin produzieren. Das Fehlen dieses Neurotransmitters führt dann zu den Parkinson-Symptomen Zittern, Krämpfe und Gliedersteifheit. 

Zu den Gefährdeten zählen dabei längst nicht nur LandwirtInnen. Das machte die Umwelt-Epidemologin Beate Ritz von der University of California in Los Angeles (UCLA) in einem Interview mit Schrot & Korn deutlich. Und Ritz muss es wissen: Sie hat unlängst an einer großen Studie über den Zusammenhang zwischen dem Nervenleiden und Pestiziden mitgearbeitet, die nicht weniger als 68 Agro-Chemikalien mit der Nebenwirkung „Parkinson“ ausgemacht hat. „Wenn man im Umkreis von 500 Metern von gespritzten Feldern wohnt, hat man im Schnitt ein 50 bis 100 Prozent höheres Risiko, an Parkinson zu erkranken. Und je nach Windrichtung besteht ein Risiko auch jenseits der 500 Meter“, sagte Ritz der Zeitschrift. Das ist aber noch nicht alles. Auch ein weniger direkter Kontakt mit den Substanzen vermag, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, den Ausbruch der Krankheit zu begünstigen.

Nicht umsonst hatten deshalb im letzten Jahr die MedizinerInnen Dr. Bastiaan Bloem und Dr. Tjitske Boonstra gerade wegen der von Glyphosat ausgehenden Parkinson-Gefahr davor gewarnt, die Zulassung des Herbizids nochmals zu verlängern. Dazu verwiesen sie in dem Fachjournal The Lancet Planetary Health nicht nur auf die direkten nervenschädigenden Effekte des Pestizids, sondern auch auf die indirekten durch eine Einwirkung auf die Mikroorganismen im Darm. „Solche mikrobiellen Veränderungen könnten eine Kaskade von neurodegenerativen Prozessen in Gang setzen“, halten die beiden fest. Den Pestizid-Zulassungsverfahren der EU werfen sie vor, derartigen Mechanismen nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken und dabei zu versagen, die Neurotoxizität eines Mittels richtig einzuschätzen. Fast flehentlich wendeten sich Bloem und Boonstra an die Verantwortlichen: „Eindringlich appellieren wir an die Regierungen und Politiker der Europäischen Union, gegen die Verlängerung der Marktzulassung von Glyphosat um weitere zehn Jahre zu stimmen.“

Die „Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) kommt zum gleichen Befund wie die beiden niederländischen WissenschaftlerInnen. „Für viele Pestizide ist ein direkter toxischer Effekt auf das Nervensystem nachgewiesen. So auch für Glyphosat, welches zu Veränderungen der Neurotransmitter- (Überträgerstoff-)Konzentrationen im Nervensystem und zu einem zellschädigenden Milieu beiträgt. Parkinson-Erkrankungen werden sowohl nach akuter (…) wie auch nach chronischer (…) Glyphosat-Exposition beobachtet“, konstatiert die DGN. 

Andere Länder reagierten bereits viel früher auf diese Alarmzeichen als Deutschland. Frankreich erkannte „Parkinson durch Pestizide“ schon im Jahr 2012 als Berufskrankheit für LandwirtInnen an, Italien 2019. Hierzulande aber gelang es immer nur einzelnen Bauern und Bäuerinnen, und das oft nur in Verfahren gegen die Berufsgenossenschaft, eine Anerkennung ihres Leidens als Berufskrankheit durchzusetzen. 

In anderen Sparten sind die Ackergifte indessen durchaus schon häufiger aktenkundig geworden. Die Statistik der „Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ weist für das Jahr 2023 413 anerkannte Berufskrankheiten durch chemische Einwirkungen von Lösungsmitteln, Pestiziden und sonstigen chemischen Stoffen aus. In 4.343 Fällen wurde ein entsprechender Antrag nicht bewilligt. Diese immense Ablehnungsquote verwundert nicht weiter, denn in den Entscheidungsgremien der Berufsgenossenschaften sitzen auch UnternehmensvertreterInnen.

Diese haben weder ein Interesse an hohen Fall-Zahlen noch an der Identifizierung neuer Berufskrankheiten. Darum zeigt sich der „Industrieverband Agrar“ (IVA) in Sachen „Parkinson“ uneinsichtig. „Die Entstehung von Parkinson ist komplex und in der Medizin nicht vollständig geklärt“, behauptete er gegenüber dem TV-Magazin quer. Die vorliegenden Studien würden zwar „statistische Zusammenhänge abbilden (Korrelation), aber die Ursache nicht erklären (Kausalität)“, so der Lobby-Verband von BAYER & Co. 

Solches medizin-statistisches Fachwis-sen schütteln die InfluencerInnen natürlich nicht selbst aus dem Ärmel. Dieses liefert dem Industrieverband das „Bundesinstitut für Risikobewertung“ (BfR) zu, das ihm schon bei der Glyphosat-Beurteilung treu zu Diensten stand. Unschwer ist die jüngste Stellungnahme des BfR zu „Pflanzenschutzmittel und Parkinson“ als Quelle für die Textbausteine des IVA-Statements zu erkennen. „Die Entstehung des Morbus Parkinson (im Folgenden als ‚Parkinson‘ bezeichnet) ist ein komplexer Prozess, der noch nicht vollständig verstanden ist“, befindet das Bundesinstitut da. Und zu einer Studie über die Erkrankung vieler Weinbauern und -bäuerinnen an Parkinson heißt es: „Hierbei ist zu betonen, dass diese Beobachtung bisher auf Korrelationen beruht.“ Kausalitäten will das BfR praktischerweise nur bei bereits verbotenen Produkten wie etwa Paraquat erkennen.

Auch dem Deutsche Bauernverband (DBV) liefert es damit nützliche Argumente dafür, weiterhin in Treue fest zu Glyphosat & Co. zu stehen. Kontraproduktiv nennt die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT deshalb „die Haltung des Bauernverbandes, das Risiko wieder kleiner zu reden, um … ja, was eigentlich? Die Chemieindustrie zu schützen? Oder gesellschaftlicher Kritik am Einsatz von Pestiziden nicht Nahrung von neuer Seite zu verschaffen?“. 

Die IG BAU, die rund 800.000 abhängig Beschäftigte aus den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gartenbau und Floristik vertritt, begrüßte die Entscheidung hingegen. „Es ist gut und richtig, dass Parkinson, ausgelöst durch den Umgang mit Pestiziden, nun endlich als Berufskrankheit anerkannt wird. Damit wird eine langjährige Gewerkschaftsforderung umgesetzt“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende Harald Schaum. Und sein Kollege Jörg Heinel mahnte: „Präventiv muss mehr denn je auf Anwenderschutz geachtet werden, wie Schutzanzug, Schutzhandschuhe, Augen- sowie Gesichtsschutz und Atemschutz“. Das ist für ihn jedoch auch keine Lösung: „Viel besser wäre aber, auf Pestizide komplett zu verzichten.“

Die „Wir haben Agroindustrie satt“-Proteste, die jeden Januar traditionell als Gegenprogramm zur Grünen Woche stattfinden, räumen dem Skandalon „Parkinson durch Pestizide“ diesen Mal einigen Platz ein, wofür sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ziemlich ins Zeug gelegt hat. So gibt es auf dem Fest der Agrarwende einen Workshop dazu, und auch der Aufruf zur Demonstration am 18.1. greift das Thema auf. Er stellt die rhetorische Frage: „Wer profitiert hier eigentlich?“ und führt unter den profitablen Missständen neben Klimakrise, Verlust der Artenvielfalt und Höfesterben auch das pestizid-induzierte Parkinson-Leiden auf. Dementsprechend verlangt er: „Verursacherprinzip anwenden: Kosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden müssen die Pestizid-Konzerne tragen.“ Die CBG wird diese Forderung an dem Tag direkt adressieren und vor dem Sitz des „Industrieverbandes Agrar“ Stellung beziehen. ⎜

BAYERs Giftspuren

CBG Redaktion

Corporate Europe Observatory legt Schwarzbuch vor

Das Corporate Europe Observatory (CEO) veröffentlichte im September diesen Jahres unter dem Titel „BAYER`s TOXIC TRAILS – market power, monopolies and the global lobbying of an agrochemical giant” einen 32 Seiten langen Bericht über den Agro-Riesen, der es in sich hat. 

Von Max Meurer

„In diesem Bericht untersuchen wir die toxischen Spuren, die BAYER während seiner langen Geschichte hinterlassen hat, und seine Pläne, sich in einer unsicheren Zukunft über Wasser zu halten – vom Glyphosathandel und neuen GMOs zur Behauptung, sein Agrarmodell sei ‚climate smart‘. Der modus operandi des Konzerns besteht darin, sich verschiedenen politischen Regimen anzunähern oder vorsichtig politischen Druck aufzubauen, um seine Produkte und seinen Monopolstatus durchzusetzen, wobei auf Marktmacht, Größe, finanzielle Assets und Lobbying als Werkzeuge zurückgegriffen wird“, so beginnt der Bericht des konzernkritischen Corporate Europe Observatory (CEO). Die 1997 gegründete NGO mit Sitz in Brüssel klärt über die kleinen und großen Schweinereien der europäischen Monopole auf. Da liegt auch der Blick auf BAYER nahe. 

BAYERs Landschaftspflege

Der BAYER-Konzern steckte 2023 sieben bis acht Millionen Euro in die Lobbyarbeit auf EU-Ebene. Mehr Geld gaben nur die IT-Unternehmen META und APPLE aus. Und dabei  ist noch zu bedenken, dass diese Zahlen auf den Angaben der Firmen selbst beruhen und überdies auf einem „Minimum“ basieren. Die realen Geldwerte sind also vermutlich noch deutlich höher.

Ein weiteres Beispiel für die Unzuverlässigkeit der genannten Zahlen stellt aber auch die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO dar, die in der Vergangenheit etwa einen 14,5 Millionen Euro schweren Vertrag mit der Lobbyfirma Fleishman-Hillard abgeschlossen hatte, der nicht im EU-Transparenzregister auftauchte. Und MONSANTO hatte allen Grund, diesen zu verschweigen. Fleishman-Hillard bespitzelte für das Unternehmen nämlich über tausend AktivistInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen und WissenschaftlerInnen und bewertete ihre Nähe zum Agro-Riesen mit Noten von „0“ bis „5“. Eine spezielle Liste zum umstrittenen Herbizid Glyphosat, die im Zuge der Ende 2017 anstehenden Entscheidung der EU über die Verlängerung der Zulassung entstand, führte 74 Personen auf und teilte diese in Kategorien wie „Verbündeter“, „möglicher Verbündeter“, „zu erziehen“ und „beobachten“ ein. Wohlmeinende fütterte FLEISHMAN HILLARD dann mit Propaganda-Material bis hin zu vorfabrizierten Twitter-Meldungen. Damit nicht genug, kaufte MONSANTO auch noch WissenschaftlerInnen ein, die bloß ihren Namen unter Entlastungsstudien setzen mussten, pflegte enge Beziehungen zu PrüferInnen und PolitikerInnen und betrieb eine strategische Manipulation und Einschüchterung der Presse, wie der Report unter Berufung auf die – ebenfalls von MONSANTO ausspionierte – investigative Journalistin Carey Gillam festhält.

Zu diesem toxischen Umgang mit der Presse gesellt sich dann der mindestens genauso fragwürdige Umgang mit der Toxizität der eigenen Produkte: So hat BAYER beispielsweise im Juni 2021 100.000 US-Dollar an das „Genetic Literacy Project“ für seine Bemühungen gezahlt, in den USA „übertriebene legislative Eingriffe ins genetic engineering“ in den USA zu verhindern.

Innerhalb der EU findet sich BAYER regelmäßig unter den Top 5 derjenigen Unternehmen wieder, die das meiste Geld in die Lobbyarbeit pumpen. Die Pflege der politischen Landschaft läuft dabei natürlich nicht nur direkt und indirekt über das Gespräch mit Abgeordneten, sondern auch über Industrieverbände, „Öffentlichkeitsarbeit“ und viele weitere Wege. Exemplarisch für die Bemühungen des Großkonzerns, Gesetzesvorhaben zu beeinflussen, ist etwa sein Versuch, am „Green New Deal“ der EU rumzudoktern. Zu diesem Zweck trafen sich seine LobbyistInnen sechsmal mit dem einst für den Green Deal zuständigen EU-Kommissar Frans Timmermans, viermal mit Phil Hogan und Valdis Dombrovskis (ehemals Generaldirektion Handel), dreimal mit Janusz Wojciechowski (ehemals Generaldirektion Agrar) und vielen weiteren Verantwortlichen, um Änderungen zu verlangen. 

Die Kiste mit dem Glyphosat

Ein besonders kontroverses Vorhaben des BAYER-Konzerns bildet einen weiteren Fokus des Berichts: Die EU-weite Glyphosat-Zulassungsverlängerung im letzten Jahr. Die Genehmigung lief ursprünglich im Dezember 2022 aus, aber das Herbizid durfte noch bis Dezember 2023 noch einmal eine Ehrenrunde drehen. Die PolitikerInnen vor allem Deutschlands schmissen sich für den Agrarriesen immer wieder massiv in die Bresche. Das war auch notwendig, denn, wie „BAYER’s Toxic Trails“ über die vorletzte Verlängerungsentscheidung im Jahr 2018 festhält: „Zu diesem Zeitpunkt wurde die Verlängerung beschlossen, obwohl eine Mehrheit im Europäischen Parlament gegen sie war und nur eine knappe Mehrheit im EU-Rat, angeführt vom deutschen CDU-Landwirtschaftsminister, für die Glyphosatzulassungsverlängerung stimmte, und zwar gegen den Beschluss der Regierungskoalition, sich zu enthalten.“ 

Auch im Fall von Glyphosat erweisen sich also die Lobbybemühungen BAYERs und seiner Tochtergesellschaft MONSANTO als ausgesprochen wirkungsvoll, denn die öffentlichen Diskussionen über das Mittel sind von Ablehnung und Kritik geprägt. Das hat Gründe: Allein in den USA gab es schon 170.000 Klagen auf Entschädigung. Die meisten der Betroffenen leiden am Non-Hodgkin-Lymphom – einer bestimmten Form des Lymphdrüsen-Krebses. Darauf reagierte MONSANTO wie gewohnt: Der Konzern startete eine Kampagne gegen die „International Agency for Research on Cancer“ (IARC) der Weltgesundheitsorganisation, die Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hatte. Zudem unternahm er es, inkriminierende Krebsstudien als unglaubwürdig darzustellen und dazu, so der damalige MONSANTO-Manager Samuel Murphy wörtlich: „internationale KrebsforscherInnen, die es für wahrscheinlich hielten, dass Glyphosat-Herbizide für Menschen karzinogen sein könnten, zu diskreditieren und stattdessen die Gegenbotschaft der Sicherheit von Glyphosat zu verbreiten“.

Trotz dieser Vorfälle, trotz diverser wissenschaftlicher Belege für die krebserregende Wirkung von Glyphosat wurde die EU-Zulassungsverlängerung im Herbst 2023 schließlich durchgedrückt. Das Pestizid-Aktionsnetzwerk (PAN) fasste die Entscheidung wie folgt zusammen: Die Wiederzulassung sei „eine Verletzung des EU-Pestizidgesetzes, das festhält, dass Gesundheit und Umwelt absoluten Vorrang haben. Im Falle von grundsätzlichen Zweifeln muss das Vorsorge-Prinzip Anwendung finden.“ PAN und weitere NGOs stellten daraufhin den Antrag, das Votum zu überprüfen. Das lehnte die EU-Kommission jedoch ab. Deshalb ziehen die Organisationen nun vor den Europäischen Gerichtshof. 

Lobbying als Teilhabe?

Eine weiterer ausführlicher Teil des Berichts widmet sich den Lobby-Bemühungen von BAYER in den USA, wo das Unternehmen zuletzt durch hohe Wahlkampfspenden an Donald Trump von sich reden machte. BAYER-Chef Bill Anderson sieht darin kein Problem, ganz im Gegenteil. So schreibt er im Vorwort des konzerneigenen „BAYER Political Advocacy Transparency Report“: „Politische Einflussnahme oder Lobbying bedeutet, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen und die Politik mitzugestalten, indem die Interessen einer Person oder einer Organisation gegenüber PolitikerInnen und Institutionen, die regulatorische Rahmenbedingungen und Gesetze schaffen, die den Kernbereich ihrer Aktivitäten und Geschäfte berühren, kommuniziert werden. Findet dies in einer ethischen und verantwortungsvollen Weise statt, dann ist Lobbying ein wichtiger und legitimer Teil des politischen Prozesses, der Interessen ausbalanciert.“ So kann mensch es auch formulieren, wobei der „ethische“ und „verantwortungsvolle“ Teil bei BAYER offensichtlich öfter mal über die Planke gehen muss. 

Mit der Transparenz verhält es sich ähnlich, die hat in der Praxis nämlich Hinterzimmer-Absprachen zu weichen. Mit Informationen darüber, wie ein Meinungsfindungsprozess ausgewogen sein soll, wenn auf der einen Seite milliardenschwere Großkonzerne und auf der anderen Privatpersonen und NGOs stehen, hält sich Anderson sehr bewusst zurück. Eine mit BAYER vergleichbare Lobby haben darüber hinaus weder die LandwirtInnen in Südamerika, die der Großkonzern mit seinen Lizenz-Verträgen für Gen-Pflanzen geknebelt hält, noch die Geschädigten der Agro-Chemikalien made in Leverkusen. 

Weltweiter Giftexport

Eine ganze Reihe von BAYER-Pestiziden ist ob ihrer gesundheitsschädlichen Wirkung in der EU zwar verboten, wird jedoch von BAYER trotzdem in alle Welt exportiert. So gelangten den Organisationen PUBLIC EYE und UNEARTH zufolge 2018 2.500 Tonnen solcher Mittel in die Länder des Globalen Südens. Der Grund: In diesen Staaten ist der Umgang mit den Risiken noch deutlich laxer als in der EU, wodurch der Konzern auf dem Rücken von Betroffenen Extraprofite erwirtschaften kann. Diese Gelegenheit lässt sich der Agroriese natürlich nicht entgehen. 

In den betroffenen Ländern bemüht er sich dabei um einen besonders engen Draht zu den Machthabern. Zum ultrarechten brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro pflegte der Chemiemulti darum sehr herzliche Beziehungen. Und das nicht ohne Grund: So war es doch Bolsonaro, der mit seinen Deregulierungskampagnen die Bahn für viele BAYER-Gifte freimachte. Das ließ sich der Agroriese auch einiges kosten: so flossen nach offiziellen Angaben rund 1,5 Millionen Euro in die brasilianischen Lobbykassen (die Dunkelziffer dürfte auch hier deutlich höher liegen). Darüber hinaus sponserte das Unternehmen Thinktanks wie das „Instituto Pensar Agro“, über das sich die Türen zur Politikelite des Landes öffnen lassen. 60 Treffen von BAYER-VertreterInnen mit der brasilianischen Regierung fanden laut dem CEO-Report allein zwischen 2019 und 2022 statt. Und das ist kein Wunder: Brasilien ist auch ein extrem wichtiger Abnehmer von Glyphosat und glyphosat-resistenten Gen-Pflanzen. Der Fuß in der Tür zahlt sich für den Global Player also aus. 

Und in Brüssel lobbyierte er erfolgreich für die Beibehaltung der doppelten Standards und brachte das anvisierte Export-Verbot erst einmal zu Fall. Auch Versuche der EU, die Gift-Dosen auf den Äckern der Mitgliedsländer zu verringern, torpedierte er in Tateinheit mit anderen Agro-Riesen und den entsprechenden Unternehmensverbänden. Die Europäische Union knickte ein und gab das Ziel, den Pestizid-Verbrauch bis zum Jahr 2030 auf die Hälfte zu senken, auf.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Lektüre des BAYER-Schwerpunktreports des Corporate Europe Observatory, zu dem auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ein bisschen was beigesteuert hat, lohnt! Neben den Punkten, die wir in diesem Artikel behandelt haben, gibt es darin auch zahlreiche Infos über die Rolle der von BAYER mitgegründeten I.G. FARBEN zur Zeit des Hitlerfaschismus, Details und Zahlen zur Verstrickung von BAYER in weltweiten Lobby-Strukturen und hunderte Querverweise zu weiteren großen und kleinen Machenschaften des Chemieriesen – dringende Leseempfehlung also für alle AktivistInnen! ⎜

Die CBG-Jahrestagung

CBG Redaktion

BAYER und die Bauern-Frage

Am 12. Oktober fand in Düsseldorf die Jahrestagung der Coordination gegen Bayer-Gefahren statt. Zum Thema „BAYER und die Bauern-Frage  – Profite, Proteste und Perspektiven“ referierten Aktive aus den verschiedenen Feldern der konzernkritischen Bewegung und regten damit lange Diskussionen an.

Von Max Meurer

Um 10 Uhr eröffnete das langjährige CBG-Mitglied Sibylle Arians die Jahrestagung. Sie übernahm die Moderation und führte in das Thema ein. Dabei bezog sie sich kenntnisreich auf die Ursprünge der Coordination, die als Bürgerinitiative in den 70er Jahren ihren Anfang nahm. Mittlerweile kann die CBG, wie Arians hervorhob, stolz darauf sein, dass der BAYER-Konzern der einzige Multi ist, über den es aus den sozialen Bewegungen heraus ein seit Jahrzehnten lückenlos geführtes Archiv gibt. Auch die jährlichen Aktivitäten kritischer AktionärInnen, die Präsenz auf Demonstrationen der Umweltbewegung und die breite Vernetzung der Coordination stellte die Moderatorin heraus und schloss mit dem Aufruf, sich an den zahlreichen Aktionsformen breit zu beteiligen – denn diese seien heute so wichtig wie eh und je. 

Die Proteste

Den ersten Vortrag hielt dann Bernd Schmitz, seines Zeichens stellvertretender Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zum Thema „Essen ist politisch“. Die AbL entstand 1980 als Interessensvertretung vor allem kleiner und mittlerer Höfe, die sich im Programm des „Deutschen Bauernverbandes“ nicht repräsentiert sahen, da dieser vor allem die Interessen der industriellen Landwirtschaft und der Großbetriebe vertritt. Schmitz selbst führte, wie er berichtete, längere Zeit einen konventionell geführten Milchwirtschaftsbetrieb, bis er auf die Gentechnik im Futter für seine Kühe stieß. „Das war ein politisierender Moment“, so Schmitz, der von da ab begann, seinen Hof auf Bioproduktion umzustellen. 

Er referierte im Folgenden allerdings vor allem über die Bauernproteste, die seit 2023 in ganz Europa auftraten. Die große Unzufriedenheit, so Schmitz, die die Bauern und BäuerInnen massenhaft auf die Straßen trieb, habe verschiedene Ursachen: Einerseits das – als Folge des Klimawandels – ausgesprochen schlechte Wetter für Ackerbau und Viehzucht, das die Erträge der Landwirtschaft stark beeinträchtigte, andererseits aber auch die Maßnahmen der Ampel-Koalition, die die Landwirtschaft mindestens genauso in Not brachten. So wurde eine neue Steuer auf landwirtschaftliche Kraftfahrzeuge eingeführt, die erst nach massiver Kritik kleinlaut wieder zurückgenommen wurde. Gleichzeitig wurden die vormaligen Steuervergünstigen für Agrardiesel einkassiert. Leidtragende dieser Maßnahmen waren vor allem die kleineren LandwirtInnen. 

Ebenfalls zum Kontext gehöre die Spaltung im Deutschen Bauernverband, aus der „Land schafft Verbindung“ (LSV) entstand. Diese stünden mitunter auch für diejenigen LandwirtInnen, so Schmitz, die auf selbstorganisierte Protestkultur statt auf Absprachen mit der Industrie und der CDU/CSU setzten. So hatte LSV, im Gegensatz zum Bauernverband, auch von Beginn an zu den Protesten mobilisiert, bis selbiger versuchte, die Proteste des LSV durch den Aufruf zur zentralen Demo am 18.12. wieder einzufangen. Der LSV ist jedoch nicht unumstritten: Viele werfen ihm vor, Positionen und Mitgliedern der AfD sehr viel Platz einzuräumen. Schmitz berichtete darum auch über die Kontroversen rund um den Umgang mit dem LSV, dem er selbst eher kritisch gegenübersteht. 

Blickt mensch auf die Lage der Bauern und BäuerInnen, so ist der Unmut sehr nachvollziehbar, denn auch in der Landwirtschaft greift die Zentralisation der Produktion um sich. Schmitz berichtet etwa, dass es 1995 noch 555.065 Höfe gegeben habe. Diese Zahl ist heute auf weniger als die Hälfte (262.776) gefallen, während die Fläche pro Betrieb stieg. Die Höfe sind also auf größtmögliche Produktivität angewiesen, wenn sie in der verschärften Konkurrenz untereinander als Zulieferer bestehen wollen. Auch die neue Agrarpolitik der EU spielt vor allem Großkonzernen in die Karten, während die Subventionen für die Landwirtschaft 2024 merklich niedriger waren als noch 2021. Lagen sie damals (von Seiten der Bundesrepublik) noch bei 3,2 Mrd. Euro, fielen sie 2024 auf 2,4 Mrd. Wozu die langfristige Entwicklung führt, erläuterte der Referent: Der Anteil der  Wertschöpfungskette, den die Bauern und Bäuerinnen bekommen, sinkt, und immer mehr Investoren sichern sich Ackerland und treiben so die Preise hoch.

Auch für Schmitz selbst hatte das alles Folgen. Frustriert schilderte er seine Einkommenssituation. Vor Jahren habe er noch doppelt so viel für seine konventionell erzeugte Milch bekommen wie jetzt für seine Öko-Milch. Allein die Umstellung auf Bio-Produktion, so Schmitz, ist bereits immens teuer und erfordert nicht selten die Bereitschaft zu großen Gewinneinbußen, so dass sie für viele LandwirtInnen keine wirkliche Alternative darstellt. Für ihn war sie nach eigenen Aussagen nur möglich, weil er vorher lange Zeit konventionelle Landwirtschaft betrieben hatte. Die Selbstorganisation in Konzepten von Solidarischer Landwirtschaft, die Netzwerke zwischen ErzeugerInnen und VerbraucherInnen unter Ausschluss von ALDI & Co. aufbaut, hilft einigen LandwirtInnen über die Runden zu kommen, doch allzu verbreitet ist diese Alternative noch nicht, bedauerte Schmitz. 

Aktivität entfalten

Nach einer musikalischen Einlage von Lars Ulla Krajewski stellte Marius Stelzmann, Geschäftsführer der Coordination, die CBG-Highlights des Jahres vor. Ein beeindruckender Videoclip dokumentierte hier die Aktionen bei BAYERs AktionärInnen-Versammlung. Es zeigte AktivistInnen aus unterschiedlichen Kontexten, die das Wort gegen die menschen- und umweltfeindliche, profitorientierte Praxis des Leverkusener Multis ergreifen. Mithilfe einer Signal-Gruppe und der besseren Bewerbung des Termins auf der Website soll die Beteiligung an den Protesten in Zukunft noch erhöht werden. 

Im Anschluss war Tina Marie Jahn von INKOTA an der Reihe. Die Geografin widmete sich der Agrarökologie. Jahn, die an der TU Dresden forscht und Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ ist, arbeitete die Unterschiede zwischen der Agrarökologie und anderen Formen von Landwirtschaft heraus wie z. B. die Fokussierung auf Nachhaltigkeit und Biodiversität. Bei der Agrarökologie handelt es sich allerdings um mehr als nur eine neue Spielart der biologischen Landwirtschaft: Sie will ganzheitlich und unter Zusammenwirken aller Beteiligten Alternativen zur konventionellen Landwirtschaft vor allem in armen, weil ausgebeuteten Ländern anbieten. Dabei gehe es, so Jahn, nicht zuletzt um „Self-Empowerment der von Armut Betroffenen“. Die Agrarökologie versteht sich deshalb durchaus als eine soziale Bewegung, andererseits aber auch als eine wissenschaftliche Strömung, die auf interdisziplinäres Arbeiten setzt  – und natürlich als landwirtschaftliche Praxis. Dabei profitiere sie der Geografin zufolge als „Bottom-up“-Ansatz vor allem vom lokalen Wissen der Bevölkerung, der geholfen werden soll, lokale Lösungen zu finden.  Als Problem der Agrarökologie benannte Jahn die Gefahr eines „Greenwashings“ durch ein Kapern des Begriffs von Seiten der Industrie, ohne ihn wirklich mit Inhalt zu füllen.

Die BAYER-Propaganda

Besonders bemerkenswert waren im Referat die Entgegnungen auf Zitate von Matthias Berninger, seines Zeichens Leiter der Abteilung „Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit“ bei der BAYER AG, ein waschechter Greenwashing-Experte also. Berninger, der nach seinem Ausscheiden aus der parlamentarischen Arbeit für die Grünen konsequenterweise direkt zum Süßwaren-Hersteller MARS und von da zu BAYER wechselte, warnt bereits seit Jahren vor den angeblichen Gefahren der „Ideologie der Agrarökologie“. So verweist er beispielsweise auf Sri Lanka, wo „zuerst die Agrikultur, dann die Wirtschaft und schließlich die Regierung kollabiert“ sei. Grund dafür sei in erster Linie das Verbot von Pestiziden und Düngern gewesen. Für BAYER führte er ins Feld, dass die Heuschreckenplage in Ostafrika ohne Ackergifte nicht erfolgreich bekämpft hätte werden können. 

Unter Verweis auf die Projekte, die INKOTA in zahlreichen afrikanischen Ländern begleitet, entlarvte Jahn die Aussagen des Agrochemie-Propagandisten als das, was sie letztlich sind: Lügen auf dem Rücken der unterdrückten Völker Afrikas und Südasiens. In Sri Lanka, so führte Jahn aus, hätte das Ziel niemals sein dürfen, die Landwirtschaft von heute auf morgen auf Bioökologie umzustellen. Dieser Prozesse nehme längere Zeit in Anspruch, ansonsten wäre ein solches Vorhaben zum Scheitern verurteilt.

Berninger ignoriert darüber hinaus die wirtschaftlich sehr angespannte Lage des in seiner Geschichte von Neokolonialismus, reaktionären Putschversuchen, Militärregimen und Umweltkatastrophen heimgesuchten Staats, der nun endlich unter Führung einer souveränen, linken Regierung eigene Entscheidungen trifft. Die Verbalattacken Berningers gegen Sri Lanka sind vor diesem Hintergrund ausgesprochen schwer nachvollziehbar und wirken eher wie ein Schuss ins eigene Bein. 

Zum Schluss brachte Tina Marie Jahn das Anliegen der Agrarökologie noch einmal auf den Punkt. „Es geht darum, dass wir eine sozial gerechte Lösung finden, unser Ernährungssystem zu reformieren und dabei die BäuerInnen in den Mittelpunkt zu stellen.“ In der anschließenden Diskussion wurde nicht zuletzt der Einfluss zahlreicher, angeblich wohltätiger Stiftungen wie der „Bill and Melinda Gates Foundation“ problematisiert, die den Globalen Süden in Tateinheit mit BAYER & Co Top down auf das westliche agro-industrielle Modell einschwören wollen. 

BAYER und die Bauernfrage

Bei dessen Etablierung hat BAYER eine bedeutende Rolle gespielt, wie Jan Pehrke von der CBG an dem Tag darlegte. Bereits 1892 formulierte der Konzern das Ziel, „der Landwirtschaft mit Forschungsergebnissen aus der Chemie zu helfen“. Das hinderte freilich das von seinem eigenen Altruismus begeisterte Unternehmen nicht daran, im Ersten Weltkrieg bereits auch an Kriegswaffen zu forschen, doch das nur am Rande. Bereits 1920 richtete es eine eigene Landwirtschaftsabteilung ein, 1924 eröffnete BAYER in Leverkusen das „Biologische Institut der Pflanzenschutz-Versuchsabteilung“. 

Heute wie damals sucht der Konzern natürlich den direkten Draht zu den Politik-Strukturen. Constantin Heereman von Zuydtwyck war eben nicht nur ein führender CDU-Politiker, Präsident des Bauernverbands und sieben Jahre lang Abgeordneter im Bundestag, sondern auch Mitglied des Aufsichtsrats der BAYER AG. Er symbolisierte so die enge Verknüpfung von Monopol und Staat im Kapitalismus imperialistischen Stadiums und nahm die Aufgabe wahr, die Bauernverbandsmitglieder im Interesse der GroßlandwirtInnen und Großunternehmen stillzustellen. Und wenn es dann doch einmal gärte, fand Heereman – wie alle seine NachfolgerInnen auch – Mittel und Wege, die Empörung auf system-verträgliche Bahnen zu lenken. 

Für Pehrke stellt BAYER die eine Seite des Agrosystems dar, die den LandwirtInnen das Leben zur Hölle macht. Mangels Konkurrenz kann der Global Player ihnen die Preise für Pestizide und Saatgut genauso aufzwingen, wie es auf der anderen Seite ALDI & Co. tun. Trotzdem geriert sich der Konzern als großer Freund der Bauern und Bäuerinnen. Zu den Bauernprotesten fiel Cropscience-Chef Rodrigo Santos sogar folgender mutiger Satz ein: „Landwirte wollen für ihren Beitrag zur Gesellschaft anerkannt werden. Wir alle können ihre Arbeit unterstützen, ob wir nun direkt mit ihnen zusammenarbeiten, Gesetze schreiben oder ihre Produkte konsumieren“. Das fällt dann in eine Reihe mit der Selbstdarstellung, der BAYER-Konzern sorge sich vor allem um die Ernährung der Weltbevölkerung. Dreist? Sicherlich. Ehrlich? Auf keinen Fall.

Der CBG-Vorstand zog eine negative Bilanz der Bauernproteste. Sie stellten das agro-industrielle Modell, das unter anderem BAYER symbolisiert, nicht in Frage. Dieses ist sogar durch die Schwächung der Umweltschutz-Auflagen auf nationaler und internationaler Ebene noch stabilisiert worden. „Auf die Politik ist also nicht zu hoffen“, resümierte er: „Es wird bei Gelegenheiten wie der nächsten ‚Wir haben Agro-Industrie satt‘-Demo in Berlin wieder viel Druck von Umweltverbänden, der bäuerlichen Landwirtschaft und von Verbraucherschutz-Organisationen erfordern, um doch noch etwas zu bewegen.

Wie geht’s weiter? 

Zum Abschluss des Tages ergriff nochmal Marius Stelzmann das Wort und wies auf die schwierige Lage von Organisationen wie der CBG in den aktuellen Kriegs- und Krisenzeiten hin. Er stellte dabei heraus: „Damit wir weiterhin eine Antwort finden können auf die Konzernpolitik von BAYER, müssen wir uns auch finanziell absichern.“ Er bedankte sich dabei bei den jahrelangen SpenderInnen und bat auch weiterhin um die Unterstützung konzernkritischer Organisationen wie der CBG. Dafür brauche es aber neben Geld vor allem Aktive, die bereit sind, diesen Kampf mit der Organisation zu führen. „Wenn ihr Leute kennt, von denen ihr denkt, dass die an unserem Kampf Interesse haben könnten, sprecht sie an auf die CBG!“, appellierte er darum an die BesucherInnen. Denn das Ziel sei allein mit einer gelungenen Aktion oder einer gewonnenen Klage noch nicht erreicht. „Diese Konzerne müssen unter demokratische Kontrolle gestellt werden, und daran arbeiten wir mit langem Atem!“ hielt Stelzmann zum Abschluss fest. ⎜

BAYER wählt Trump

CBG Redaktion

Über 120.000 Dollar an Wahlkampf-Spenden

Die Spenden des BAYER-Konzerns bei der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl flossen mehrheitlich dem republikanischen Lager zu. Der Leverkusener Multi erhofft sich von einer Regierung unter Donald Trump bessere Geschäfte, weniger Umweltauflagen und mehr Rechtsschutz in Sachen „Glyphosat“.

Von Jan Pehrke

Mit rund 60 Prozent seines Budgets unterstützte BAYER bei der US-Wahl Trump & Co. 122.000 Dollar gingen an republikanische KandidatInnen, PolitikerInnen von den Demokraten mussten sich mit 77.000 Dollar begnügen. 

Auch in Sachen „Unternehmenssteuern“ spricht aus Sicht BAYERs wenig für die Demokraten. Während diese im Wahlkampf bekanntgaben, den Satz von 21 auf 28 Prozent erhöhen wollen, kündigten die Republikaner eine Absenkung auf 15 Prozent an. 

Umweltpolitisch erwartet der Agro-Riese ebenfalls von den Republikanern mehr bzw. weniger. Der von Trump als neuer Leiter der US-Umweltbehörde EPA bestimmte Lee Zeldin scheint dafür genau der richtige Mann zu sein. „Am ersten Tag und in den ersten 100 Tagen haben wir die Möglichkeit, Vorschriften abzubauen, die die Unternehmen in Schwierigkeiten bringen“, sagte er kurz nach seiner Nominierung. Zu seinem Arbeitsprogramm gehört unter anderem, „die Vorherrschaft der USA im Energiebereich wiederherzustellen“ und „unsere Auto-Industrie wiederzubeleben“. Als Kongress-Abgeordneter stimmte er dafür, der Environment Protection Agency den Etat zu kürzen und sah besonders deren Klimaschutz-Maßnahmen kritisch. Folgerichtig befürwortete er den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutz-Abkommen. Nur beim Umgang mit der Ewigkeitschemikalie PFAS (siehe S. 20 ff.) sah auch Zeldin Handlungsbedarf.

Die Frage, ob die Trump-Wahl dem Konzern dabei helfen könnte, den Fall „Glyphosat“ mit den 63.000 noch anhängigen Entschädigungsklagen zu den Akten zu legen, bejahte BAYER-Chef Bill Anderson bei der letzten Bilanzpressekonferenz im November (siehe auch „O-Ton BAYER“) in einem etwas mäandernden Exkurs. „Ich bin mir nicht sicher, ob das einen direkten Einfluss auf die laufenden Verfahren hat“, hob er an, stellte dann wirtschaftlichen Themen wie die Inflation im Allgemeinen und die Lebensmittel-Inflation im Besonderen als wahlentscheidend dar und brachte da irgendwie auch Glyphosat unter. Das Herbizid wirke als Inflationsbremse, weil es die Ernten schütze und so Verknappungen auf dem Nahrungsmittel-Sektor verhindere, behauptete er. Das haben nach seiner Wahrnehmung jetzt auch immer mehr PolitikerInnen eingesehen. Und so schloss Anderson seine Ausführungen zu Trump mit dem Satz: „Darum denken wir, dass das Umfeld dem Fortschritt förderlich ist. Und wir erwarten, diesen Fortschritt 2025 zu sehen.“

Nicht nur BAYER schüttete mehr Geld für die Republikaner aus als für die Demokraten. BASF, BOEHRINGER, COVESTRO, FRESENIUS, HEIDELBERG MATERIALS und andere deutsche Unternehmen taten es dem Leverkusener Multi gleich. Auch US-Konzerne präferierten überwiegend Trump & Co. Besonders viel spendete TESLA-Gründer Elon Musk mit 118 Millionen Dollar. Aber die Investition lohnte sich. Donald Trump richtete für ihn das „Department of Government Efficiency” ein. Sein Arbeitsauftrag lautet, „die Regierungsbürokratie zu zerlegen“, und der Superreiche stellte dann auch gleich eine Schocktherapie für das „System“ in Aussicht. 

Die Leitung des Departments teilt der AfD-Fan sich mit seinem Milliardärskollegen Vivek Ramaswamy. Dieser machte sein Geld mit der Arznei-Firma ROIVANT SCIENCES, die auch schon mit BAYER ins Geschäft kam. Die Pillen-Riesen erhoffen sich von ihm, den von Trump als Gesundheitsminister vorgesehenen Robert F. Kennedy Jr. im Zaum halten zu können, der ein Gegner von Big Pharma und Anhänger alternativer Heilmethoden ist. Im Zuge seiner „Make America Healthy Again“-Kampagne versprach RFK Jr. nichts weniger, als dass „alle Menschen vor schädlichen Chemikalien, Schadstoffen, Pestiziden, pharmazeutischen Produkten und Lebensmittel-Zusätzen geschützt werden“. Darüber hinaus kritisiert er die Arbeit der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA massiv und will die Medikamenten-Werbung verbieten. BAYER & Co. dürften also so einiges Lobby-Geld locker machen, um den Senat dazu zu bewegen, gegen die Ernennung von Kennedy Jr. zum „Secretary of the Department of Health and Human Services“ zu stimmen.

Die Wall Street erlangte ebenfalls wichtige Positionen in der künftigen US-Regierung. Scott Bessent, der Besitzer des Hedgefonds KEY SQUARE CAPITAL, übernimmt das Finanzministerium und Howard Lutnick, Chef des Hedgefonds CANTOR FITZGERALD, das Handelsministerium. Als Vize-Präsident fungiert überdies der von dem millionen-schweren ultrarechten Tech-Mogul Peter Thiel – „Ich glaube nicht mehr, dass Freiheit mit Demokratie vereinbar ist“ – aufgebaute J. D. Vance. Zudem plant Trump dem Webportal politico zufolge, das Verteidigungsministerium mit VertreterInnen von Rüstungsfirmen wie PALANTIR und ANDURIL zu besetzen. 

Somit steht die Verwandlung der USA in eine rechtspopulistische Plutokratie bevor. Nicht umsonst verzeichnete der „Bloomberg Billionaire Index“ am Tag des Wahlsiegs von Donald Trump den höchsten Ausschlag in seiner Geschichte: Das Vermögen der zehn reichsten Superreichen vermehrte sich über Nacht um ca. 64 Milliarden Dollar.  ⎜ 

BAYERs Ewigkeitschemikalien

Marius Stelzmann

Giftig, ätzend & explosiv

PFAS – die neue Gefahr

Asbest, DDT, PCBs – so die Namen einiger Stoffe, die bis in die Gegenwart hinein für Angst und Schrecken sorgen, obwohl BAYER & Co. sie längst nicht mehr in Umlauf bringen dürfen. Die Substanzen gehören nämlich zu den Ewigkeitschemikalien, die sich – wenn überhaupt – nur äußerst langsam abbauen. Jetzt drängen neue Ultragifte auf diese schwarze Liste: die PFAS. Und natürlich hat auch der Leverkusener Multi solche per- und polyfluorierten Alkylverbindungen im Angebot: Er zählt zu den zwölf weltgrößten Produzenten dieser Erzeugnisse.

Von Jan Pehrke
PFAS – noch kommt dieses Wort den meisten nur schwer über die Lippen, und das, wofür diese vier Buchstaben stehen: per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, noch schwerer. Aber es wird. Vor allem der Hollywood-Film „Vergiftete Wahrheit“, der die juristische Auseinandersetzung eines PFAS-Geschädigten mit einem Chemie-Konzern in den Mittelpunkt stellt, gab da Nachhilfe. Immer mehr Menschen wissen inzwischen, worum es sich bei diesen Substanzen handelt. Und wer bisher dachte, dass die Ultragifte Asbest, DDT und PCB keine Nachfolger mehr finden würden, weil BAYER & Co. für die Folgen bezahlt und ihre Lektion gelernt hätten, der oder die wurde eines Besseren belehrt. Mit den PFAS bekommen die alten Ewigkeitschemikalien Zuwachs. Auch die per- und polyfluorierten Alkylverbindungen gehören nämlich zu den Stoffen, die ihre schädliche Wirkung extrem lange entfalten und sich in der Umwelt sogar noch anreichern, weil es extrem stabile und darum nur schwer abbaubare Chemikalien sind.
Unter den Oberbegriff „PFAS“ fallen rund 12.000 verschiedene Erzeugnisse, die ein Charakteristikum teilen: Bei ihnen haben die WerkschemikerInnen die Wasserstoff-Atome ganz oder teilweise durch Fluor-Atome ersetzt. Diese sogenannte Fluorinierung dient zum einen dazu, die Effektivität zu steigern, bei Arzneien etwa für eine gute Bioverfügbarkeit zu sorgen, damit der Körper das Medikament gut aufnehmen kann. Zum anderen macht der Prozess die Substanzen stabiler. Sie halten Hitze ebenso stand wie den Effekten von aggressiven Chemikalien und sind quasi unkaputtbar. Die elektro-negativen Eigenschaften des Fluor-Atoms verschaffen den PFAS überdies eine wasser-, fett- und schmutzabweisende Wirkung. Damit nicht genug, weisen die Stoffe noch viele weitere Qualitäten auf.
Das verschafft ihnen zahlreiche Einsatz-Möglichkeiten, als wahre Tausendsassas gelten sie. Die Jahres-Produktion beläuft sich auf rund 320.000 Tonnen. Von Antibeschlagmitteln bis zu Zahnseide reicht die Liste der Anwendungen (siehe Kasten 1). In Outdoor-Kleidung halten sie den Regen ab. Auch in Lederwaren und Teppichen kommen sie zur Imprägnation zum Einsatz. In Antihaft-Beschichtungen von Bratpfannen und anderen Koch-Utensilien wirken die Stoffe, und in Pestiziden erfüllen die Substanzen die gegenteilige Funktion: Sie sorgen dafür, dass die Ackergifte einen besseren Halt auf den Pflanzen finden. Zudem optimieren sie – wie auch in Feuerlösch-Schaum – den Sprühvorgang. Dank ihnen verteilen sich die Mittel nämlich besser auf den Ziel-Objekten.

BAYER unter den Big 12
Deshalb tummeln sich PFAS in zahlreichen Wirkstoffen, die sich auch in BAYER-Pestiziden finden. Dazu gehören unter anderem Flufenacet, Bifenthrin, Diflufenican, Difluthrin, Flubendiamide und Isoxaflutole (siehe Kasten 2). Im Pharma-Sektor setzt der Leverkusener Multi ebenfalls auf die Substanzen, etwa in Arznei-Verpackungen. Überdies nutzt der Konzern Methanone und weitere PFAS als Zwischenprodukte in diversen Herstellungsprozessen (siehe Kasten 3). Der niederländischen Nichtregierungsorganisation CHEMSEC zufolge gehört BAYER damit zu den zwölf größten PFAS-Produzenten auf der Welt.
Gerade aber die Eigenschaften, die BAYER & Co. an den PFAS so schätzen, ihre Vielseitigkeit und ihre stabile chemische Struktur, bereiten auch die meisten Probleme. Der menschliche Organismus kriegt die Substanzen kaum klein, und auch in der Umwelt halten sie sich lange. Die US-amerikanische Umweltbehörde „Environmental Protection Agency“ (EPA) stuft die Stoffe nicht zuletzt deshalb schon in geringsten Mengen als extrem gefährlich ein: „Die EPA hält jeden PFAS-Gehalt für potenziell toxikologisch signifikant.“
Studien bestätigten diesen Befund. „Unsere Daten zeigen einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen PFAS im Blut und schädlichen Blutfetten, die mit einem kardiovaskulären Risiko assoziiert sind“, sagt die niederländische Neuroepidemologin Monique Breteler vom Bonner „Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen“. Aber nicht nur Herz/Kreislauf-Erkrankungen können die Tausendsassas befördern. Ihre Nebenwirkungen gehen weit darüber hinaus. So haben sie das Potenzial, Krebs, Diabetes und Fruchtbarkeitsstörungen auszulösen. Darüber hinaus vermögen sie die Leber zu schädigen sowie die Schilddrüsen-Funktionen und das Immunsystem zu schwächen (siehe Kasten 4).

PFAS sind überall
Diese Gefahren beunruhigen umso mehr, als sich PFAS wegen der breiten Palette ihrer Anwendungen fast überall in der Umwelt finden. Die Gewässer und die Böden weisen zum Teil große Belastungen auf. Besonders hoch sind die PFAS-Konzentrationen im Rhein. Als Eintragsquelle Nr. 1 firmiert der Chem„park“ Leverkusen. Die ehemalige BAYER-Tochter LANXESS stellte dort bis zum Frühjahr 2024 PFAS-Chemikalien her, deren Produktionsrückstände die Kläranlage des Chem„park“-Betreibers CURRENTA nicht in ausreichendem Maß aus den Abwasser-Strömen herausfiltern konnte. Der Großeinsatz der Feuerwehr bei der großen Explosion im Entsorgungszentrum am 27. Juli 2021, die sieben Menschenleben forderte, steigerte das Aufkommen der Substanzen in dem Fluss dann noch einmal. Rund zwei Kilogramm PFAS enthielt das Lösch- und Ereigniswasser nach Angaben des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums. Das alles macht Leverkusen zu einem der rund 300 PFAS-Hotspots in Deutschland.
Die Last trägt jedoch hauptsächlich Holland, denn dahin strömen die Giftfrachten. Sie treiben flussabwärts bis in die Nordsee. Die Flut spült die Chemikalien jedoch teilweise wieder an Land. Besonders in den Meeresschäumen halten sie sich. Darum warnte das niederländische Gesundheitsministerium im Sommer davor, Kinder und Hunde darin spielen zu lassen. Alarm schlagen auch die Wasserwerke des Landes, denn sie gewinnen Trinkwasser aus dem Rhein. „Wir sehen in unserem Trinkwasser PFAS-Chemikalien, die aus Leverkusen stammen“, hält etwa Gerald Stroomberg vom Verein der Fluss-Wasserwerke fest: „Diese Ewigkeitschemikalien verschwinden nicht einfach wieder, sondern bleiben lange bei uns.“ Im September 2024 schrieben die holländischen Trinkwasser-Versorger deshalb einen Brandbrief an die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke und appellierten an sie, Grenzwerte für PFAS-Einleitungen in den Rhein zu erlassen. „Unsere Trinkwasser-Quelle für fünf Millionen Menschen in den Niederlanden verdient das höchstmögliche Schutz-Niveau“, hieß es darin.
Auch viele Böden sind verseucht. Einen großen Eintragsweg stellen Klärschlämme dar, die in der Landwirtschaft als Dünger zum Einsatz kommen. „Grundsätzlich sind PFAS in geringen Konzentrationen überall in Böden nachweisbar“, so das Umweltbundesamt in seiner Veröffentlichung „PFAS – gekommen, um zu bleiben“. Im Staub, in der Luft und im Regenwasser wurden WissenschaftlerInnen ebenfalls schon fündig. Die beiden ForscherInnen Klaus Günther Steinhäuser und Ingo Valentin resümieren in dem Magazin Umwelt & Gesundheit: „Die vielfältigen Emissionen und die großräumige Verteilung der Einträge führen zu einer ubiquitären Belastung der Umwelt.“ Und damit auch zu einer Belastung der menschlichen Gesundheit. So antwortete etwa die PFAS-Geschädigte Carla Bartlett in ihrem Prozess gegen die Chemie-Firma DUPONT auf die Frage des Richters nach der Entstehung ihrer Krebs-Krankheit lapidar mit dem Satz: „Ich habe Wasser getrunken“.

Erste Restriktionen
Aber so langsam tut sich ein bisschen was. In den USA stellte die Biden-Administration im Oktober 2021 einen „Plan zur Bekämpfung der PFAS-Verschmutzung“ mit einem ganzen Maßnahmen-Katalog vor. Ende 2022 hat die US-amerikanische Umweltbehörde EPA dann zwölf PFAS-Chemikalien in Pestiziden verboten. Einige Bundesstaaten gehen noch viel weiter. Maine hat bereits einen konkreten Ausstiegsplan für alle nicht unbedingt nötigen PFAS-Anwendungen erarbeitet, der 2026 greift. Ab diesem Jahr sind die Ewigkeitschemikalien in Koch-Utensilien, Textilien, Kosmetika und Produkten für Kinder nicht mehr erlaubt. Dann kommen sukzessive immer mehr Erzeugnisse hinzu, bis 2032 alle PFAS aus Dingen des täglichen Gebrauchs verschwunden sind. Minnesota, Vermont, Connecticut und Colorado haben ähnliche Regelungen getroffen. Entsprechende Pläne haben Kalifornien, New York und andere Bundesstaaten.
Im April diesen Jahres hat die US-Regierung landesweite Trinkwasser-Richtlinien festgesetzt, die Grenzwerte für fünf gängige PFAS-Klassen vorsehen, um „100 Millionen Menschen vor PFAS zu schützen“. Zudem beschloss sie Limits für Umweltbelastungen durch die Stoffe. Damit wollen Biden & Co. Einträge in Trinkwasser-Quellen minimieren. Den Kommunen stellen sie darüber hinaus 21 Milliarden Dollar aus dem Infrastruktur-Fonds zur Verfügung, damit sie bessere Möglichkeiten haben, die Gifte aus den Wasserleitungen fernzuhalten. Auch an die PFAS, die durch Industrie-Emissionen in die Umwelt gelangen, wollen die Demokraten ran. Ihre PFAS-Roadmap dürfte nach dem Wahlsieg Donald Trumps allerdings in einer Sackgasse enden.
Die Europäische Union hat die Gruppe der PFOS verboten, weil sie unter die Stockholm-Konvention der besonders gefährlichen Substanzen fallen, die POPs (Persistant Organic Pollutans). Zudem erließ sie Restriktionen für sechs weitere PFAS-Klassen. BAYER & Co. wussten sich jedoch zu helfen. Der Beratungsfirma VALUESTREAM zufolge „kam es zu Fällen sog. ‚bedauernswerter Substitutionen‘ – dabei wurde direkt nach der Regulierung eines Stoffes ein anderer Stoff am Markt eingeführt, der über die gleichen Eigenschaften verfügt und genauso schädlich für Mensch und Natur ist“.
Darüber hinaus schrieb die EU Höchstgrenzen für PFAS-Rückstände in Lebensmitteln und Kosmetik-Artikeln vor und plant, Ewigkeitschemikalien in Verpackungen und Feuerlöschschaum zu untersagen. Im September 2024 erließ Brüssel zudem Beschränkungen für den PFAS-Stoff Unecafluorhexansäure – allerdings mit großzügigen Ausnahmeregelungen z. B. für die Verwendung in Halbleitern, Batterien oder für mit „grünem“ Wasserstoff betriebene Brennstoff-Zellen.
Die EU-Trinkwasser-Richtlinie von Ende 2020 enthält ebenfalls Bestimmungen zu PFAS. 2023 setzte sie die Ampel-Regierung in nationales Recht um. So gilt ab 2026 ein Grenzwert von 100 Nanogramm pro Liter für die summierten Konzentrationen von 20 PFAS und ab 2028 einer von 20 Nanogramm für vier besonders harte Fälle. Das stellt die Wasserwerke allerdings vor Probleme, denn sie sind nicht dafür gerüstet, diese Limits einzuhalten. Dazu müssen die Versorger viel Geld in Technik investieren und beispielsweise Aktivkohle-Filter installieren. Martin Weyand vom „Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft“ besteht deshalb auf dem Verursacher-Prinzip und fordert eine Beteiligung der Industrie an den Kosten. „Es kann nicht sein, dass die Bürger für diese Aufbereitungsanlagen zahlen müssen“, so Weyand.
Aber auch eine große Lösung steht EU-weit an, eingebracht von Deutschland, Norwegen, den Niederlanden, Dänemark und Schweden: übergreifende PFAS-Restriktionen, die alle Stoff-Gruppen und Anwendungen umfassen. Nur Pestizide, Biozide und Arzneimittel sind ausgenommen, weil diese Substanzen nicht unter die REACH-Verordnung zur Regulierung von Chemikalien fallen.

BAYER & Co. auf 180
Den Unternehmen laufen Sturm gegen dieses Ansinnen. „Ein pauschales Verbot der gesamten PFAS-Stoffgruppe ohne eine differenzierte stoff- und anwendungsspezifische Bewertung ist nicht angemessen“, meint der „Verband der chemischen Industrie“. Auch der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) sieht die „breite PFAS-Beschränkung mit Sorge“. Der „Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau“ und der „Verband der Elektro- und Digitalindustrie“ sprechen sich ebenfalls dagegen aus. In den Augen der beiden Präsidenten Karl Haeusgen und Gunter Kegel haben die Ewigkeitschemikalien zwar „in einigen Fällen“ durchaus eine gesundheitsschädigende Wirkung auf Mensch und Tier, „[a]ber die Antwort auf dieses Problem kann und darf nicht ein Generalverbot einer ganzen Stoffgruppe sein, will man das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Und es wäre auch nicht zielführend, ein solches Generalverbot mit zahlreichen Ausnahmen zu flankieren“, schreiben sie in der FAZ. Natürlich schließen sich BAYER und BASF da an. Ein mögliches Verbot dürfe nicht die Verwendung von PFAS in Schlüsselsektoren verhindern, so die beiden Chemie-Multis gegenüber der Tagesschau.
BAYER & Co. drohen mit Abwanderung und sehen einmal mehr das Abendland bzw. den „Wirtschaftsstandort Europa“ untergehen. Ein Bann hätte „fatale Auswirkungen auf die Industrie-Produktion in allen Branchen, auf die Arbeitsplatz-Sicherheit, die Planungssicherheit der Unternehmen, zukünftige Innovationen sowie auf fast alle Hochtechnologie-Anwendungen“, konstatiert Nora Schmidt-Kesseler, die Hauptgeschäftsführerin der Nordost-Chemieverbände.
Und dann hat die Industrie sich noch etwas ganz Schlaues ausgedacht. Weil sich die PFAS – ihrer Allgegenwart geschuldet – auch in Windrädern, Brennstoffzellen-Membranen und Lithiumionen-Batterien finden, betont sie deren Bedeutung für die Klima-Politik. Als „Schlüsselkomponenten für die Herstellung von grünem Wasserstoff, Batterien für Elektrofahrzeuge und Solarzellen, die alle zu sauberer Energie und zur Reduzierung von Emissionen beitragen“, bezeichnet der Chemie-Multi CHEMOURS die PFAS in einem Artikel, für den er sich beim Webportal Euractiv Platz erkaufte. „Die Regulierungsbehörden müssen die wesentliche Rolle der chemischen Industrie für die künftigen Innovationen anerkennen, die zur Realisierung einer neuen green economy erforderlich sind“, fordert der CHEMOURS-Manager Gerardo Familiar. „Ohne die Fluor-Chemie gibt es keinen Green Deal“, lautet das Resümee des mit dem Warnhinweis „promoted content“ versehenen Textes. Der BDI teilt Familiars Ansicht selbstverständlich. Ein Verbot hätte zur Folge, „dass wir bei zentralen technologischen Themen der europäischen Transformation zur Klimaneutralität in nicht erwünschte Zielkonflikte geraten“, warnt die Lobby-Organisation. Nette Aussichten eröffnen uns da diejenigen, die durch ihren immensen CO2-Ausstoß selbst einen gehörigen Anteil an der Erderwärmung haben: entweder giftfrei in die Klima-Katastrophe oder außen „Prima Klima“ und innen ganz viel PFAS.
Im August 2024 schrieben rund 500 Unternehmen einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie verlangten von der Politik, statt ganze Stoffgruppen zu verbieten oder deren Gebrauch stark einzuschränken, Einzelfall-Prüfungen auf der Basis eines risiko-basierten Ansatzes durchzuführen. Diesen spielen BAYER & Co. immer gegen den gefahren-orientieren Ansatz aus, wenn mal wieder ein Stoff wegen seines Gefährdungspotenzials in die Schlagzeilen gerät und Diskussionen über Maßnahmen beginnen. Gefährlichkeit ist nämlich eine objektive Eigenschaft einer Substanz, weshalb sie auch nach eindeutigen Schutz-Vorkehrungen wie einem Verbot verlangt. Risiko ist hingegen ein relativer Begriff. Es steht in Abhängigkeit zu anderen Faktoren wie etwa der Wirkungsschwelle – „die Dosis macht das Gift“. Darum brauchen die Hersteller für einen nach einem solchen Kriterium begutachteten Stoff keine so starken Konsequenzen zu fürchten; in der Regel tun es da Grenzwerte.
Aufs Briefeschreiben beschränkte sich die politische Landschaftspflege der Konzerne jedoch nicht. Sie bearbeiteten die Bundestagsabgeordneten auch direkt. Das deutsche Lobby-Register weist entsprechende Bemühungen von 3M, BASF, BAYER, CHEMOURS, DAIKIN CHEMICAL, DUPONT, EXXON MOBILE, GORE, HONEYWELL, MERCK und SOLVAY aus. BAYER selbst setzte sich dabei schwerpunktmäßig für PFAS im Pharma-Bereich ein. „Angesichts des geplanten EU-Verbots von PFAS fordert BAYER die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass PFAS in der Arzneimittelproduktion weiterhin erlaubt bleibt. Dies ist notwendig, um die Arzneimittelproduktion in Europa und die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu sichern“, heißt es in dem Register-Eintrag.
Aber nicht nur BAYERs Berliner Verbindungsbüro entfaltete Aktivitäten, auch der Brüsseler Ableger legte sich kräftig ins Zeug. Daneben heuerte der Agro-Riese zur Einfluss-Arbeit bei der Europäischen Union noch die PR-Agentur EUTOP – „Ihr Partner für Governmental Relations“ – an. Zusätzlichen Beistand liefern am EU-Sitz der „Bundesverband der deutschen Industrie“, der „Verband der Chemischen Industrie“ und vor allem dessen europäisches Pendant CEFIC. Die Organisation verfügt über einen Jahres-Etat von zehn Millionen Euro und ist damit der Top-Lobbyist am Platze. Das reichte dicke, um eine PFAS-Spezialeinheit zu gründen, die „FluoroProducts and PFAS for Europe“ (FPP4EU), der BAYER und 13 weiter Hersteller angehören. FPP4EU fordert nichts weniger als eine „zeitlich unbegrenzte Ausnahmeregelung für PFAS, die in der Industrie verwendet werden“ und mahnte die EU, bei ihrem Regulierungsvorschlag, „primäre und sekundäre finanzielle Auswirkungen“ mitzubedenken. „[D]as Streben nach einem wettbewerbsfähigen, widerstandsfähigen und nachhaltigen Europa“ dürfe dabei nicht auf der Strecke bleiben, mahnten BAYER & Co. Dafür nahmen sie sich VertreterInnen der EU-Kommission auch gleich zwei Mal persönlich zur Brust, wie das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) herausfand. Und in den USA hat der Chemie-Verband „American Chemistry Council“, der auch den Leverkusener Multi zu seinen Mitgliedern zählt, eine Klage gegen die neue, Grenzwerte für PFAS vorsehende Trinkwasser-Richtlinie eingereicht.

Gefahren waren bekannt
Dabei wusste die Industrie früh um die Gefahren. Während in medizinischen Fachblättern erst Ende der 1990er Jahre erste Artikel über die Gesundheitsgefährdung durch PFAS erschienen, waren die Chemie-Multis schon Jahrzehnte früher im Bilde. Ein DUPONT-Wissenschaftler bezeichnete PFAS bereits 1970 als „hochgiftig, wenn sie inhaliert werden“. „Der Teufel, den sie kannten“ ist deshalb passenderweise die Studie überschrieben, die interne Firmen-Dokumente durchforstete. So sagte dann auch der Anwalt Robert Bilott, der die Vorlage für die Hauptfigur in dem Film „Vergiftete Wahrheit“ war: „Es waren die Dokumente aus den Unternehmen selbst, (…) die mir die Augen geöffnet haben. Und der Grund, warum wir diesen Bauern vertreten haben und warum wir bis heute solche Fälle betreuen, ist das üble Verhalten der Konzerne.“
Trotzdem wiegeln die Unternehmen ab. Der BAYER-Konzern etwa steht weiter in Treue fest zu seinem Pestizid Flufenacet, obwohl bei der Zersetzung – wie auch bei Fluopyram – der PFAS-Stoff Trifluoressigsäure (TFA) als Metabolit entsteht. „[D]ass es keine Hinweise auf ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt gibt“, antwortete der Global Player auf eine Anfrage der taz. Der Wirkstoff werde „in Europa seit über 25 Jahren sicher verwendet“ und überhaupt seien alle seine Produkte „sicher für Mensch und Umwelt, wenn sie entsprechend der Anwendungshinweise verwendet werden“, hält er fest. Dabei hat der Leverkusener Multi das Pestizid-Abbauprodukt bei der obligatorischen EU-Einstufung gemäß der Chemikalien-Verordnung REACH selbst als „vermutlich reproduktionstoxisch beim Menschen“ bezeichnet.
Und TFA ist nicht irgendein PFAS, sondern das PFAS. „Derzeit sind die TFA-Konzentrationen um Größenordnungen höher als die von anderen PFAS – und um Größenordnungen höher als die von anderen Pestiziden und Pestizid-Metaboliten“, konstatieren Hans Peter H. Arp und seine MitautorInnen in der Studie „The Global Threat from the irreversible Accumulation of Trifluoroacetic Acid (TFA)“.
In fast jedem Gewässer findet sich diese Ewigkeitschemikalie. Und die Initiative GLOBAL 2000 wies in zehn von 19 Mineralwässern Spuren von Trifluoressigsäure nach, was auf Grundwasser-Verunreinigungen hindeutet.
Nicht umsonst hat das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ deshalb im Oktober 2024 die Zulassung von Flufenacet widerrufen. Und zwei Monate später schlug die EU-Kommission ein Verbot vor.

Die Politik beugt sich
Im Großen aber beugt sich die Politik wieder mal vor den Konzernen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht sich lediglich für einen differenzierten Umgang mit den Ultragiften aus: „Bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregelung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologie-Entwicklung hemmt.“ Umweltministerin Steffi Lemke bezeichnet die Fülle der PFAS-Hotspots in Deutschland mit 300 stark kontaminierten Arealen zwar als „erschreckend“, plädiert aber ebenfalls bloß für Einschränkungen. „PFAS sollen überall dort ersetzt werden, wo dies bereits heute oder in absehbarer Zeit möglich ist“, verlautet aus ihrem Ministerium. „Wir brauchen eine starke Chemiebranche, die für ihre Weiterentwicklung zu nachhaltiger Chemie Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen bekommen muss“, meint Lemke. Sie kündigt dazu sogar einen eigenen Beitrag an: „Außerdem wollen wir Anreizsysteme für kluge und innovative Alternativen schaffen, um damit neue Märkte für die chemische Industrie zu erschließen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz nahm BAYER & Co. derweil auf ihrer Verbandstagung alle Befürchtungen. „[A]uch bei PFAS setzen wir uns für eine praktikable und ausgewogene Regulierung für Sie ein. Darauf können Sie sich auch für die Zukunft verlassen. In den Brüsseler Dschungeln ist es ja wichtig, dass man einen klaren Kompass hat“, sagte er am 12. September auf dem „Chemie & Pharma Summit 2024“.
Aber die Brüsseler Dschungel lichten sich, nicht zuletzt dank der Kettensägen made in Germany. Für PFAS ist da jetzt gut durchkommen. Am 20. November haben Deutschland, Norwegen, die Niederlande, Dänemark und Schweden Hand angelegt und ihren eigenen strengen Regulierungsvorschlag einer Revision unterzogen. Die offiziellen Eingaben von BAYER & Co. als Reaktion auf die erste Fassung bewirkten den Meinungsumschwung. „Die zusätzlichen Informationen, die im Rahmen der Konsultation 2023 vorgelegt wurden, führen auch dazu, dass geprüft wird, ob andere Beschränkungsoptionen als ein Verbot das Ziel erreichen, die PFAS-Emissionen während ihres gesamten Lebenszyklus‘ deutlich zu reduzieren“, halten die Länder in Tateinheit mit der Europäischen Chemikalien-Agentur ECHA fest. Das gelte besonders für solche Verwendungen und Sektoren, „für die Informationen vorgelegt wurden, die zeigen, dass die sozioökonomischen Auswirkungen eines Verbots unproportional hoch sind“, heißt es in der Stellungnahme. Das Arbeitsplatz-Argument hat also offensichtlich wieder einmal verfangen.
Das ganze Jahr 2025 geht nun erst einmal für die Überarbeitung des Regulierungsvorschlags drauf. Anschließend durchläuft er wieder ein Konsultationsverfahren. Erst dann irgendwann will die Chemikalien-Agentur mit einer Empfehlung für den Umgang mit den PFAS um die Ecke kommen. Und die Verantwortung für den ganzen Prozess teilen sich Industrie-Kommissar Stéphane Séjourné und Umweltkommissarin Jessika Roswall, die eine große Gemeinsamkeit haben: Beide haben sich bisher nicht groß mit Umweltfragen befasst.

Großer Widerstand
Ohne Druck von außen wird sich daher kaum etwas bewegen. Und diesen Druck gibt es. Seit der Landwirt Wilbur Tennant mit Hilfe von Robert Bilott erfolgreich gegen DUPONT vor Gericht zog, weil sein in der Nähe der Chemie-Fabrik weidendes Vieh verendete, häufen sich die juristischen Auseinandersetzungen. BASF beispielsweise sieht sich mit über 4.000 Klagen konfrontiert und musste bereits über 300 Millionen Euro für Vergleiche aufbringen. 3M zahlte schon 10,3 Milliarden Dollar und DUPONT, CHEMOURS und CORTEVA jeweils über eine Milliarde.
Auch gehen immer mehr Menschen gegen die PFAS-Belastungen auf die Straße. So fanden sich Ende Mai 2024 im französischen „Tal der Chemie“ nahe Lyon über 500 AktivistInnen zusammen, um einen Produktionsstopp zu fordern. In Belgien, den Niederlanden, den USA, Schweden, Dänemark und Italien kam es ebenfalls schon zu Protesten.
Im November 2023 schrieb die INVESTOR INITIATIVE ON HAZARDOUS CHEMICALS Briefe an die 50 größten Produzenten von PFAS und anderen gefährlichen Chemikalien, darunter die deutschen Unternehmen BASF, BAYER, COVESTRO, EVONIK und LANXESS. Darin forderte die Organisation die Multis unter anderem auf, einen detaillierten Ausstiegsplan zu entwickeln. Und Anfang Dezember 2024 appellierten zahlreiche WissenschaftlerInnen, Umweltgruppen und andere Initiativen in einem Offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nicht vor der Industrie-Lobby einzuknicken und den vorliegenden Regulierungsvorschlag zu verwässern: „Gemeinsam mit allen unterzeichnenden Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen bitten wir Sie, eine ungestörte Fortsetzung der Evaluierung des sehr weitgehenden PFAS-Beschränkungsvorschlags in unveränderter Form zu unterstützen, damit eine deutliche und zeitnahe Reduzierung der PFAS-Emissionen erreicht werden kann.“
Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gehört zu den Unterzeichnern des Schreibens, das der BUND und das Europäische Umweltbüro (EBB) initiiert haben. Zudem wird die Coordination das Thema „PFAS“ auf die Tagesordnung der nächsten BAYER-Hauptversammlung setzen. ⎜

PFAS sind überall
Outdoor-Kleidung, Imprägniermittel, Pizza-Kartons, Kosmetika wie etwa Wimperntusche, Zahnseide, Backpapier, Pestizide, Bratpfannen-Beschichtungen, Kontaktlinsen, Feuerlöschschaum, Plastik-Behältnisse, Skiwachs, Spielzeug, Bodenbeläge, Batterien für E-Autos, Möbel, Toilettenpapapier, Kältemittel für Wärmepumpen, Schuhe, Antibeschlagmittel für Brillengläser, Fotopapier, Klebeetiketten, Spezialfarben und -lacke, Elektrogeräte, Mobiltelefone, Windräder, Pharmazeutika wie Tränenersatzmittel, Kochgeschirr, medizinische Geräte wie Resektoskope, Arzneimittel-Verpackungen, Kettenfett, Brennstoffzellen, Sonnenschutzmittel, Haarschampoos

BAYERs PFAS-Pestizide
Bifenthrin, Diflufenican, Difluthrin, Flubendiamide, Fluopicolide, Fluopyram, Flufenacet, Imidacloprid, Inpyrfluxam, Isoxaflutole, Oxyfluorfen, Pyrasulfotole, Spiromesifen, Sulfentrazone, Tembotrione, Tetraniliprole, Trifloxystrobin

BAYERs PFAS-haltige Zwischenprodukte
1,3,4-Thiadiazole, 2-(methylthio)-5-(trifluoromethyl)
1,3-Cyclohexanedione, 2-[2-chloro-4-(methylsulfonyl)-3-[(2,2,2-trifluoroethoxy)methyl]benzoyl]-, ion(1-),potassium (1:1)
Benzoic acid, 2-(methylthio)-4-(trifluoromethyl)-
Benzoic acid, 2-chloro-4-(methylsulfonyl)-3-[(2,2,2-trifluoroethoxy)methyl]
Benzoyl chlorid, 2-(methylsulfonyl)-4-(trifluoromethyl)
Benzoyl chlorid, 2-chloro-4-(methylsulfonyl)-3-[(2,2,2-trifluoroethoxy)methyl]
Methanone, (5-hydroxy-1,3-dimethyl-1H-pyrazol-4-yl)[2-(methylsulfonyl)-4-(trifluoromethyl)phenyl]-, potassium salt (1:1)

PFAS-Gesundheitsrisiken
Fettleibigkeit
Verringertes Geburtsgewicht
Schwächung des Immunsystems
Schwächung der Schilddrüsen-Funktionen
Diabetes
Leberschäden
Herz/Kreislauferkrankungen
Anstieg des Cholesterinspiegels
erhöhtes Risiko für Brust-, Nieren- und Hodenkrebs
erhöhter Blutdruck
Schädigungen des Embryos im Mutterleib
Fruchtbarkeitsstörungen