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Veröffentliche Beiträge in “SWB 02/2016”

[Wimmelbuch ] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Propaganda & Medien

Werbung im Kindergarten

BAYER-Zielgruppe „Kleinkinder“

Seit vielen Jahren schon hat BAYER die staatlichen Bildungseinrichtungen im Visier. Der Konzern erstellt Unterrichtsmaterialien, schickt rollende Chemie-Labore durchs Land und sponsert Schulen. Die Tochterfirma CURRENTA geht nun einen Schritt weiter: An den Werks-Standorten verschenkt sie ein eigens erstelltes „Wimmelbuch“ an Kindergärten. Und die Stadt Leverkusen unterstützt die PR-Maßnahme auch noch.

Von Philipp Mimkes

Große Firmen nehmen vermehrt Kinder und Jugendliche ins Visier. Unterstützung erhalten sie hierbei von spezialisierten Agenturen, die das Marketing im Schulumfeld als Dienstleistung anbieten. Die COBRA YOUTH COMMUNICATIONS GmbH“ etwa beschreibt ihre Aktivitäten mit den Worten: „Je früher ein Konsument an eine Marke oder ein Produkt herangeführt wird, umso geringer ist die Wechselbereitschaft zu einem späteren Zeitpunkt. Wer also frühzeitig in spezielle Kommunikationsmaßnahmen für Kinder investiert, profitiert später von besonders loyalen Kunden.“

Der BAYER-Konzern hat für die Einflussnahme auf Bildungseinrichtungen eigens die steuerbegünstigte „BAYER Science & Education Foundation“ gegründet. Diese Stiftung richtet Schülerwettbewerbe wie „Jugend forscht“ oder die „Internationale Chemie-Olympiade“ aus und lädt Schulklassen in sogenannte BayLabs ein. Auch bietet der Konzern kostenlose Lehrerfortbildungen und Unterrichtsmaterialien an – bevorzugt zu Themen wie „Bienensterben“ oder „grüne Gentechnik“, bei denen der Global Player in der Kritik steht.

Da der Leverkusener Multi relativ wenige Produkte für den Consumer-Markt verkauft, steht bei seinen Aktivitäten weniger die klassische Werbung im Vordergrund. Zweck der Unternehmungen ist vielmehr die Beeinflussung möglichst großer Teile der Gesellschaft bei sensiblen Fragen wie dem Einsatz von Agro-Chemikalien oder der Gentechnik. Und auch hierbei gilt: Je früher, desto besser. Stiftungsvorstand Thimo Schmitt-Lord räumt denn auch offen ein, dass BAYER dabei keine altruistischen Motive umtreiben: „Ich muss gestehen, wir fördern die Schulen nicht ganz uneigennützig. Wir sehen das als langfristige Investition“. Die DEUTSCHE UMWELTHILFE wertet dies als „Versuch, Einfluss auf Schüler zu nehmen, um so die nächste Generation reif für Genfood zu machen“. Der Verband fordert daher: „BAYER raus aus den Schulen.“

Schwerpunkt Nachbarschaft
Im Vordergrund des Sponsorings von BAYER stehen naturwissenschaftliche Bereiche. So betreibt das Unternehmen in Kooperation mit der Berliner Humboldt-Universität ein rollendes Chemielabor, um bei 11- bis 15-jährigen „die Attraktivität des Fachgebietes zu erhöhen“. Zudem verteilt der Konzern jährlich etwa eine halbe Million Euro an Schulen in der Nähe seiner Werke. Die Dormagener Realschule etwa erhielt 5.000 Euro für das Projekt „Genetik schüler-orientiert“, das Gymnasium Brunsbüttel bekam 19.500 Euro zur Ausstattung eines Gen-Labors, die Monheimer Lise-Meitner-Realschule konnte 4.000 Euro für eine Unterrichtseinheit zu Nanotechnologie entgegennehmen, und derselbe Betrag floss dem Michael-Ende-Gymnasium in St. Tönis zu. Die ehemalige BAYER-Tochter Lanxess brachte überdies in allen 26 Leverkusener Grundschulen eine Mappe mit dem Titel „Lanny erkundet die Welt“ für den Sachunterricht unter.

Besonders aktiv ist BAYER am Standort Wuppertal. Unter dem vielsagenden Motto „Schulen unternehmen Zukunft“ beteiligt sich der Konzern an einem Pilot-Projekt, bei dem Schulen, Unternehmen und das auf ökologischem Gebiet forschende ortsansässige „Wuppertal Institut“ zusammenarbeiten. Ziel der Kooperation ist es angeblich, den SchülerInnen ein Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit zu vermitteln. Die jahrzehntelange Verschmutzung der Wupper durch BAYER, die zahlreichen Altlasten oder die Störfall-Gefahren des in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten liegenden Werksgeländes stehen dabei erwartungsgemäß aber nicht auf dem Lehrplan. Darüber hinaus vergibt der Konzern im Stadtgebiet noch gemeinsam mit der Westdeutschen Zeitung den „Wuppertaler Schulpreis“.

Und auch im Ausland ist der Konzern aktiv. So kündigte der Multi in den Niederlanden eine Bildungsinitiative an, um SchülerInnen die Pflanzenzucht näherzubringen. Auch dieses Investment verfolgt ein klares Ziel: BAYER besitzt in Holland die Saatgut-Firma NUNHEMS mit über 2.000 Beschäftigten.

Zielgruppe „Kleinkind“
Die BAYER-Tochterfirma CURRENTA geht nun einen Schritt weiter und weitet ihr Marketing auf Kleinkinder aus. Die Firma, die zu 60 Prozent dem Pharma-Riesen und zu 40 Prozent seiner Abspaltung LANXESS gehört und die Chemie-„Parks“ in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen betreibt, beauftragte eigens den Illustrator Andreas Ganther mit der Erstellung eines „Wimmelbuchs“. Es zeigt das fröhliche Treiben in einer Chemie-Fabrik: Kranfahrer, Taucher, Besucher aus aller Welt, Clowns und viele Luftballons. Mehr als zwanzig Mal hat der Zeichner das Logo von CURRENTA untergebracht. Nach Aussage eines Unternehmenssprechers solle hierdurch der Arbeitsalltag in der chemischen Industrie vermittelt werden. Gerade im Umfeld der Fabriken sei dies von hoher Bedeutung. Und dort verteilt der Betreiber der Chemie-„Parks“, der in der Nachbarschaft der Fabriken bereits mehrere Projekte für GrundschülerInnen durchgeführt hat, das Wimmelbuch derzeit auch. Zu Weihnachten verschenkte CURRENTA es darüber hinaus in vielen Kindergärten.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hingegen verurteilt die Kampagne. In einer Stellungnahme heißt es: „Nirgendwo sind Kinder vor der Einflussnahme von Unternehmen mehr sicher - nicht einmal in Kindertagesstätten. Da Kleinkinder die Risiken chemischer Anlagen nicht einordnen können, sind sie gegenüber solcher Propaganda wehrlos. Es ist ein Skandal, dass CURRENTA und BAYER diesen Schutzraum derart verletzen. Wir benötigen dringend Regeln, um Kindergärten und Schulen vor Werbung und Akzeptanz-Förderung der Industrie zu schützen“.

Norbert Hocke, Vorstandsmitglied der GEWERKSCHAFT ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFT (GEW) schlägt in dieselbe Kerbe: „Das Buch hat in der Kita nichts zu suchen. Es ist dringend geboten, dass wir Regelungen für den Umgang mit Werbung bekommen und dass Erzieher besser geschult werden“. Gerade im Hinblick auf aktuelle Ergebnisse der Hirnforschung sieht Hocke die Propaganda kritisch: „Im Alter von null bis sechs Jahren müssen wir besonders aufpassen. Die häufige Wiederholung der Firmenlogos bleibt ein Leben lang in den Köpfen. Später wundert man sich und jammert, wenn die Kinder so auf Marken fixiert sind.“ Auch das Landesjugendamt des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), zuständig für die Betriebserlaubnis von Kindertageseinrichtungen, „steht dem Versuch einer direkten oder indirekten Einflussnahme von Unternehmen in Kindertagesstätten kritisch gegenüber“.

städtische Unterstützung
Die CBG kritisiert auch die Rolle der Stadt Leverkusen. Eine Vertreterin des Unternehmens hatte das Wimmelbuch in einer städtischen Kita präsentieren dürfen – assistiert von Marc Adomat, dem Leverkusener Bildungsdezernent. Adomat zeigte sich von dem Werk „begeistert“. Kritik an der Kooperation könne er nicht nachvollziehen: „Wir leben in einer Chemiestadt. Ich finde nichts Verwerfliches daran, wenn ein solches Buch auch Kindern bereits nahebringt, in welcher Umgebung sie aufwachsen.“ Die Stadt übernimmt daher über das Kommunale Bildungsbüro den Vertrieb des Buchs. Dank der Unterstützung konnte CURRENTA bereits mehr als ein Drittel der 15.000 gedruckten Exemplare losgeschlagen.
Immerhin führte der Protest der CBG zu einer intensiven Debatte. Zahlreiche Eltern ließen die Bücher zurückgehen. Die örtlichen Zeitungen druckten kritische Leserbriefe, sogar die Süddeutsche Zeitung griff das Thema auf. Der Leverkusener Anzeiger schließlich forderte unter der Überschrift „Die Köpfe gehören den Kindern“ ein generelles Werbeverbot im Bildungsbereich: „Wer bewertet die Güte der Unterrichtsmaterialien? Wer wählt sie aus? Welche Werbung ist zu penetrant – welche zu subtil? Welche Firma ist nicht mehr okay, welche schon noch? Viele sehr schwere Fragen, auf die es eine verblüffend einfache Antwort gibt: Die Leverkusener Schulen und Kindergärten sollten zu werbefreien Zonen erklärt werden. Denn die Köpfe gehören den Kindern selbst. Ohne Wenn und Aber.“

Werbeverbote gefordert
Bildungseinrichtungen werden mehr und mehr für die Meinungsmache einzelner Interessengruppen instrumentalisiert. Die Einflussnahme auf Schulen und Kindergärten untergräbt dabei Werte wie eine eigenständige Meinungsbildung oder Kritikfähigkeit. Dienstleister wie die Deutsche Schulmarketing Agentur, die nach eigener Aussage „die wirtschaftlichen Interessen werbetreibender Unternehmen mit dem pädagogischen Bildungsauftrag in Einklang bringen“ wollen, propagieren unverblümt die Kommerzialisierung der Lehrinhalte.
Dabei sind die Schulgesetze eigentlich unmissverständlich. So heißt es im NRW-Landesrecht: „Werbung, die nicht schulischen Zwecken dient, (ist) in der Schule grundsätzlich unzulässig.“ Sponsoring sei nur erlaubt, wenn „die Werbewirkung deutlich hinter den schulischen Nutzen zurücktritt.“ Die Entscheidung, ob ein Geschenk angenommen wird oder nicht, bleibt jedoch der Schulleitung überlassen. Ebenso ist es bei Kindergärten.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert daher zusammen mit Initiativen wie LOBBYCONTROL ein wirksames Verbot jeglicher Werbung in Bildungseinrichtungen. Zugleich sind Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen gefordert, die schleichende Durchdringung des Schulalltags mit Werbung und Konzern-Propaganda zu thematisieren. Die CBG wird zudem zur BAYER-Hauptversammlung am 29. April einen Gegenantrag einbringen und in der Versammlung gegen das Marketing in Kindergärten und Schulen protestieren.

[Xarelto] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Drugs & Pills

Trotz Unregelmäßigkeiten bei den Arznei-Tests

Grünes Licht für XARELTO

BAYER hat bei den Zulassungstests mit dem umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO ein nicht ordnungsgemäß arbeitendes Gerät verwandt. Aber die Behörden stört das nicht weiter.

Von Jan Pehrke

Die klinischen Prüfungen, die zur Zulassung von BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO geführt haben, standen von Beginn an in der Kritik. So verschwieg der Leverkusener Multi drei Todesfälle und lieferte nur unzureichende Informationen über den Gesundheitszustand der TeilnehmerInnen nach Ende der Erprobungen. Auch wählte der Konzern für die Gruppe, die XARELTO testete, jüngere und ergo gesündere KandidatInnen aus als für diejenige, die das Vergleichspräparat Marcumar schlucken mussten.

Überdies setzte der Global Player die ProbandInnen einer Ungleichbehandlung aus: Die Marcumar-PatientInnen bekamen ihr Medikament nicht dem Bedarf entsprechend verabreicht, was sie höheren Gesundheitsrisiken aussetzte. Nach den Dokumenten, die der Pharma-Riese den Genehmigungsbehörden vorlegte, waren bloß 55 Prozent von ihnen richtig, also ihren Gerinnungswerten gemäß, eingestellt. Das entspräche nicht dem Standard, monierte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sogleich, und das industrie-unabhängige arznei-telegramm bezeichnete die Arznei-Erprobungen wegen dieses Tatbestandes als nur „wenig aussagekräftig“.

Damit nicht genug, sollten die Tests Anfang Dezember 2015 zusätzlich noch einmal an Aussagekraft verlieren. Da meldete das Handelsblatt nämlich Überprüfungen der für die Zulassung maßgeblichen Rocket-Studie durch die Arzneimittel-Behörden. Die AufseherInnen untersuchten, welche Auswirkungen der Gebrauch eines nicht korrekt funktionierenden Gerätes, das bei der Bestimmung der Blutgerinnungswerte der Marcumar-PatientInnen zum Einsatz kam, auf die Resultate hatte. Diese Apparatur stand bereits seit 2002 in der Kritik. 2005 und 2006 zwang die FDA den Hersteller zur Veröffentlichung von Warnhinweisen. 2014 schließlich veranlasste sie den Rückruf – 18.000 Beschwerden hatte sie bis dahin erhalten.

Nach dem Erscheinen des Artikels brach die BAYER-Aktie an der Frankfurter Börse umgehend ein und verlor an diesem Tag so viel wie kein anderes Papier. Der Pharma-Riese ging deshalb sogleich an die Öffentlichkeit und betrieb Krisen-Management. Er sah wie zu erwarten keinen Grund, an den Rocket-Resultaten des „Duke Clinical Research Institutes“ zu zweifeln. Andere Untersuchungen hätten die Befunde bestätigt, erklärte der Konzern und beteuerte scheinheilig, von der Diskussion um die Mängel der INRATIO-Geräte nichts gewusst zu haben.
Die vom Global Player beim Duke-Institut in Auftrag gegebene Nach-Untersuchung bestätigte natürlich prompt auch noch mal die Ergebnisse, und die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA gab Anfang Februar 2016 ebenfalls Entwarnung.

Lediglich vier Monate brauchte sie für ihre Arbeit, während die FDA immer noch die Unterlagen wälzt. Umgehend geriet das Vorgehen der EMA deshalb in die Kritik. Als eine „überraschend schnelle Analyse“ bezeichnete der Vorsitzende der Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, die Expertise. Der US-Mediziner Thomas Marciniak trat unterdessen für eine unabhängige Untersuchung ein. Just zu diesem Behufe forderte sein Kollege Harlan Krumholz von der Yale-Universität BAYER auf, ihm die Studien-Daten zugänglich zu machen. Das lehnte der Leverkusener Multi jedoch ab, was für sich spricht.

[GenKlone] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Gene & Klone

Der Konzern setzt auf die „Synthetische Biologie“

BAYER macht Gen-Scherereien

Die Gentechnik galt von Beginn an als Wissenschaft, die sich Allmacht anmaßt und anstrebt, Menschen, Tiere und Pflanzen nach Maß zu kreieren. Richtig einlösen kann sie diesen Anspruch aber erst jetzt. Während die ForscherInnen sich früher zumeist darauf beschränkten, fremde Gene in das Erbgut zu übertragen, so machen sie sich nun daran, in ihren Labors künstliche DNA zu entwickeln und diese passgenau ins Genom einzuschleusen. Ein Leben aus dem Baukasten erschaffen die WissenschaftlerInnen auf diese Weise. Die „Synthetische Biologie“ macht’s möglich. Und BAYER mischt da natürlich kräftig mit.

Von Jan Pehrke

Die Gentechnik hat mal wieder Oberwasser. Sie verspricht jetzt, wirklich all die Versprechen einzulösen, die sie einst gegeben hat wie zum Beispiel die Heilung schwerer Krankheiten. Damit nicht genug, nimmt sie – wie schon bei ihrem ersten Frühling vor rund 25 Jahren – den Mund noch voller. „Wir werden neue Organismen schaffen, um die drängendsten Probleme unserer Zeit zu lösen“, prophezeit etwa Craig Venter, der Vater der Genom-Sequenzierung. Von DNA, „am Computer entworfen und im Labor chemisch hergestellt“ schwärmt er. Und wenn dann in der ForscherInnen-Community von Regenesis, redigiertem Erbgut, Pflanzen auf dem Mars oder der Wiederbelebung des Neandertalers die Rede ist, gleitet die Wissenschaftsprosa vollends in Science Fiction über. Aber die Medien schenken den Verheißungen Glauben. „Um 2050 spielen genetisch bedingte Erbkrankheiten keine Rolle mehr, alle Nutz-Pflanzen sind so optimiert, dass ihnen Schädlinge nichts mehr anhaben können und auch der Klimawandel die Erträge nicht schmälert“, diese und andere Visionen hält der „Welt“-Journalist Norbert Lossau für „realistischer, als es manchem derzeit erscheinen mag“.

Gen-Scheren
Die Schlüsseltechnologie, die das Tor zu dieser „schönen neuen Welt“ 2.0 öffnen soll, heißt „synthetische Biologie“. „Die Art und Weise, wie die Synthetische Biologie Industrie, Forschung, Ausbildung und Beschäftigung im Lifescience-Sektor vorantreiben wird, kommt den Entwicklungen der Computer-Industrie zwischen den 1970er und 1990er Jahren gleich“, frohlockte die Europäische Kommission bereits 2005. Die „Synthetische Biologie“ verspricht, wie der Name schon sagt, nicht weniger, als künstliches Leben zu schaffen. Die Kreation von Minimal-Zellen mit einem kleinen Genom und „die Konstruktion von teilweise oder komplett künstlichen biologischen Systemen“ zählen dem EU-Beratungsteam „European Group on Ethics in Science and New Technologies“ zufolge zum Arbeitsbereich des jungen Wissenschaftszweiges.

Bei manchen seiner Spielarten müssen die ForscherInnen gar nicht mehr direkt Hand ans Genom legen. Sie erzeugen mit kleinen Sequenzen von im Labor hergestellten DNA-Bausteinen, den Oligonukleotiden, Veränderungen im Erbgut. Solche Mutagenese-Verfahren kennt auch die traditionelle Pflanzen-Züchtung; sie wirkt mit Hilfe von Bestrahlung oder Chemikalien auf die Organismen ein. Die „Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese“ (OgM) arbeitet jedoch angeblich zielgenauer. Die Oligonukleotide steuern direkt eine bestimmte Stelle im Erbgut an, klinken sich ein, initiieren die gewünschte Veränderung und lösen sich dann auf. So hat etwa die Firma CIBUS Raps eine Herbizid-Resistenz beschert.
Bei anderen Methoden der „Synthetischen Biologie“ geht es hingegen in medias res. Sie bedienen sich bestimmter Enzyme, den Nukleasen, um ins Genom zu gelangen. Diese Nukleasen wirken als Gen-Scheren. Sie schneiden das Genom auf und fügen neue DNA-Teile ein, die sie im Schlepptau hatten. Bei TALEN basiert das so genannte genome editing auf im Labor geschaffenen Proteinen mit Signal-Sequenzen, die in der Zelle bestimmte Prozesse initiieren und so das gewünschte Ergebnis produzieren. PRECISION BIOSCIENCE konstruiert seine Gen-Schere hingegen aus dem „I-Crel“-Enzym, das zu den Endonukleasen gehört, und vermarktet sie unter dem Namen „Directed Nuclease Editor“ (DNE).

Als „Star“ unter all den Erbgut-Scheren firmiert aber CRISPR/Cas, deren Mütter Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna im letzten Jahr als heiße Nobelpreis-KandidatInnen galten, aber leer ausgingen. Das Verfahren bedient sich eines Abwehr-Mechanismus’ von Bakterien zum Aufspüren von Fremd-DNA, um bestimmte Gen-Abschnitte anzusteuern, und nutzt dann das Cas-Enzym zur Auftrennung der Genom-Sequenz. Anschließend setzt CRISPR/Cas entweder mitgeführte neue Erbgut-Stränge ein oder induziert Mutagenese-Effekte, also von der Zelle selbst auf den Weg gebrachte Veränderungsprozesse.

BAYER schnippelt mit
Und eben den Zugriff auf diese Technik hat BAYER sich nun gesichert. Der Leverkusener Multi ist mit dem von Emmanuelle Charpentier gegründeten Unternehmen CRISPR THERAPEUTICS ein Joint Venture eingegangen und hat darüber hinaus noch einen Minderheitsanteil an der Firma erwoben. Der BAYER-Manager Axel Bouchon erklärte zum feierlichen Anlass: „Es wird sehr spannend, unsere Stärken bei Technologie-Führerschaft, wissenschaftlicher Exzellenz und Patenten zu kombinieren. Wir haben hier die Chance, einen echten Fortschritt für Patienten mit schweren genetischen Krankheiten und für unser Geschäft zu erzielen.“ „Und für unser Geschäft“ – ein solcher Zusatz darf beim Pharma-Riesen natürlich nicht fehlen. Er kündigte an, binnen fünf Jahren 335 Millionen Dollar in die Kooperation zu investieren, um auf CRISPR/Cas beruhende Therapien für Blut-, Herz- und Augen-Krankheiten zu entwickeln. Auch für Anwendungen im Agrar-Bereich kann der Global Player die Hervorbringungen des Gemeinschaftsunternehmens nutzen. Folgerichtig stellt er den Deal als Teil seiner neuen Life-Science-Strategie dar, welche die ihm nach der Abstoßung seiner Kunststoff-Sparte noch verbliebenen Bereiche „Pharma“ und „Landwirtschaft“ enger zusammenführen will. Darum zeichnet offiziell auch das „BAYER Lifescience Center“ für den Geschäftsabschluss verantwortlich. Plausibler wird die Trennung von BAYER MATERIALSCIENCE dadurch aber nicht, denn bei „Plaste & Elaste“ kommt die „Synthetische Biologie“ ebenfalls schon zur Anwendung.

Der Konzern setzt große Hoffnungen auf die schnittigen neuen Werkzeuge zur Gen-Bastelei. „Besonders spannend finde ich das Potenzial neuer Technologien wie DNA-Editing“, zeigt sich der im Vorstand des Unternehmens für Innovationen verantwortliche Kemal Malik begeistert. Das Thema schaffte es sogar auf das Cover des neuesten Geschäftsberichts. Zwei ForscherInnen stehen da vor einem Erbgut-Strang und tun so, als ob sie fachsimpelten.

Und der Leverkusener Multi tritt nicht erst durch den Deal mit CRISPR THERAPEUTICS ins Reich der „Synthetischen Biologie“ ein. Er schnippelt schon länger am Erbgut herum. 2011 gelang es ForscherInnen des Unternehmens erstmals, mit Hilfe des DNA-Editings in eine Baumwoll-Pflanze ein Gen einzubringen, das die Laborfrucht immun gegen ein Herbizid macht. „Drei Buchstaben beschreiben ihren Erfolg: DNE“, vermeldete der Konzern mit Verweis auf das Verfahren von PRECISION, auf das sich der Global Player den Zugriff gesichert hatte. Die WissenschaftlerInnen fädelten das neue Merkmal zielgenau in unmittelbarer Nachbarschaft eines anderen Resistenz-Gens ein und vergrößerten somit die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der Eigenschaften in die Baumwolle der nächsten Generation. Und sie wollen noch höher hinaus: „Denkbar ist es auch, unerwünschte Gene stillzulegen. Oder Sequenzen zu optimieren, indem man einzelne Basen austauscht“, blickt der BAYER-Genkoch René Ruiter in die Zukunft.

Auch die TALEN-Technik nutzt der Global Player. Bereits seit 2006 kooperiert er mit dem französischen Unternehmen CELLECTIS, das diese Art des Genome Editing entwickelte. Und erst 2014 erweiterte der Agro-Riese seine Zusammenarbeit mit der „Institut Pasteur“-Ausgründung. Er gab die Entwicklung von Gen-Raps in Auftrag, dessen Erbgut mit Hilfe von Gen-Scheren neue Bausteine erhält. Darüber hinaus sicherte sich BAYER den Zugang zu neuen Technologien. „Sie ermöglichen so präzise Modifikationen des Genoms oder der Gene, dass Veränderungen des gesamten Pflanzen-Genoms vermieden werden“, frohlockte die BAYER-Forscherin Catherine Feuillet. Und zusätzlich zu diesen Produkt-Entwicklungen und Forschungsbestrebungen im Bereich „Synthetische Biologie“ hat der Leverkusener Multi noch Patente auf Gen-Scherereien in der Hinterhand. Nach Recherchen von TESTBIOTEST kommt er auf insgesamt 13 Anmeldungen. Dabei übertrumpft ihn weltweit lediglich DOW.

„Gezielt ins Baumwoll-Genom“ überschrieb der Leverkusener Multi seine vermeintliche Erfolgsmeldung vor fünf Jahren. Nach Ansicht der Konzerne arbeiten die Erbgut-Scheren nämlich „rasiermesser-scharf“. Die WissenschaftlerInnen schwärmen von ihren Präzisionsskalpellen, mit denen sich die Buchstaben des Lebens in einem DNA-Strang angeblich so exakt wie Wörter in einem Textbearbeitungsprogramm verändern lassen. Und da BAYER & Co. jetzt eine neue Erfolgsformel gefunden zu haben meinen, reden sie auch endlich einmal Tacheles über die Gentechnik 1.0. Sie geben zu, dass diese die in sie gesetzten Hoffnungen nie hat erfüllen können und beschreiben ihre Methodik rückblickend als unausgegoren. Die Ziel-Objekte mit „gene guns“ einem „particle bombardment“ mit Genen auszusetzen, in der Hoffnung, irgendwo werde schon etwas hängen bleiben, das sei doch wenig mehr als „Trial and Error“ gewesen, räumen die GentechnikerInnen ein. Heute aber ist ihrer Meinung nach alles anders. Der Molekulargenetik-Professor Paul Hooykaas von der Universität Leiden konstatiert in einem Interview mit BAYER research: „Die Optimierung der neuen DNE-Technologie ermöglicht die Entwicklung beispielloser ‚Designer-Pflanzen’ mit genau den genetischen Veränderungen, die zuvor konzipiert wurden.“ Zudem vermögen die ForscherInnen ihm zufolge dank der schnelleren Genom-Entschlüsselungen die neuen Gene nun präzise zu orten. „Dies sollte die Gesellschaft von der Sicherheit solcher Pflanzen überzeugen“, meint Hooykaas.

Viele Risiken
Allerdings schneiden die Gen-Scheren so trennscharf denn doch nicht. Allzu oft lassen sie Fünfe gerade sein und setzen nicht an der avisierten Stelle, sondern an ähnlichen Abschnitten des Erbgutes zum Schnitt an. Und wenn eine bestimmte Sequenz in der DNA öfter vorkommt, so schnippeln sie so manches Mal auch öfter, als den WissenschaftlerInnen lieb ist. Von „Off-Target-Effekten“ sprechen sie in solchen Fällen. Derartige und andere Nebenwirkungen traten im Frühjahr letzten Jahres bei Experimenten chinesischer WissenschaftlerInnen mit dem CRISPR/Cas-System an Embryonen auf. So kam es einerseits an unbeabsichtigten Orten zu den beabsichtigten Mutationen und andererseits an den beabsichtigten Orten zu unbeabsichtigten Mutationen.

Aber nicht nur wegen solcher Gen-Scherereien überzeugt die neue Technologie in Sachen „Sicherheit“ nicht. Christoph Then zitiert in seinem Buch „Handbuch Agro-Gentechnik“ eine BeraterInnen-Gruppe der US-Regierung, die vor unbekannten Biologie-Objekten warnt, weil sich das Verhalten der Labor-Konstrukte mit dem synthetisch hergestellten Erbgut allein auf der Basis ihres DNA-Codes nicht exakt bestimmen lässt. „In den meisten Fällen entwickeln sich die biologischen Systeme, die von Wissenschaftlern verändert wurden, wieder rasch in den ‚Wildtyp’ (...) zurück. Allerdings (...) schließt dies nicht die Möglichkeit aus, dass die Systeme sich auf unvorhergesehene und gefährliche Art und Weise weiterentwickeln, insbesondere wenn sie außerhalb des Labors freigesetzt werden.“ Und diese Gefahr steigt mit den Prozeduren der Synthetischen Biologie. Sie erlaubt den WissenschaftlerInnen nämlich schnellere und häufigere Eingriffe in das Erbgut als die Gentechnik alter Schule. „Die große Zahl von veränderten und/oder neuen Teilen würde zudem die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von sogenannten emergierenden Eigenschaften – d. h. zunächst unbekannte Eigenschaften, die nicht einzelnen bestimmten Teilen zuschreibbar sind, sondern die durch Zusammenwirken der Teile ‚neu’ entstehen – erhöhen“, gibt der Bericht des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-Abschätzung den Wortlaut entsprechender wissenschaftlicher Publikationen zu diesem Thema wieder.

So haben diejenigen Bakterien, die aus der Zersetzung von Biomasse Energie gewinnen, wie sie die seit 2009 zu BAYER gehörende Firma ATHENIX zum Patent angemeldet hat, aufgrund ihrer hochgezüchteten Leistungsfähigkeit das Potenzial, einen Überlebensvorteil gegenüber anderen zu erringen und die ökologischen Systeme nachhaltig zu verändern. Auch wenn solcherart im Labor kreierten Arbeitsbienen zum Teil nur über 700 Gene verfügen, erweist sich deren Zusammenwirken doch als äußerst komplex, was Prognosen über ihre zukünftige Entwicklung zu einer alles anderen als leichten Übung macht. Das SCENIHR, die wissenschaftliche BeraterInnen-Gruppe der EU für neue Gesundheitsrisiken, geht in ihrem Report über die „Synthetische Biologie“ deshalb ebenfalls auf das von solchen SynBio-Kreationen ausgehende Gefährdungspotenzial ein. Freigesetzt, wären diese imstande, in Interaktion mit der Umwelt zu treten und beispielsweise Nahrungsketten zu unterbrechen oder sich sogar mit anderen Organismen zu verbinden und zusammen mit ihnen neuartige Viren auszubrüten, meinen die WissenschaftlerInnen. Solche Viren könnten überdies nicht nur durch einen „Unfall“ entstehen, sondern bewusst als Bio-Waffen erzeugt werden. Die „Synthetische Biologie“ erweitert die Möglichkeiten dazu immens, warnt etwa der Bericht des Bundestagsausschusses.

Diese sorgt also für mehr Risiken, denen noch dazu weniger auf die Spur zu kommen ist. Die Risiko-Bewertung stößt bei den künstlichen DNA-Konstrukten nämlich an Grenzen. Konnten die WissenschaftlerInnen bei der Beurteilung des Sicherheitsprofils von gen-veränderten Pflanzen bisher immer das biologische Original als Vergleichsmaßstab heranziehen, um eventuelle Abweichungen im Verhalten festzustellen, so fehlt im Reich der „Synthetischen Biologie“ eine solche Reverenz-Größe.

SCENIHR sieht zudem die Gefahr, dass die Biomasse als Rohstoff der „Synthetischen Biologie“ – etwa um Bio-Kraftstoffe der 2. Generation oder Kunststoffe herzustellen – zu einer intensiveren Boden-Nutzung mit all ihren negativen Folgen für die Umwelt führt und hält deshalb fest: „SynBio-Alternativen für chemische Produkte und industrielle Prozesse müssen nicht unbedingt nachhaltiger sein als traditionelle Produkte.“
Die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL) befürchtet ebenfalls negative Auswirkungen auf den Agrar-Sektor. „Die mit Hilfe der neuen Gentechnik zu erwartenden Produkte entsprechen nicht den Herausforderungen an eine klima- und umweltschonende Landwirtschaft und Lebensmittel-Erzeugung“, konstatiert der Verband. Zudem besteht für den AbL die Gefahr, dass die neuen Gentechniken die Monopolisierung des Saatgut-Marktes noch weiter vorantreiben.

BAYER & Co. wiegeln ab
Die Konzerne aber spielen die Gefahren herunter. In seiner Stellungnahme zum Bericht des EU-BeraterInnengremiums zur „Synthetischen Biologie“ mahnt EuropaBio, der Sachverwalter der Lobby-Interessen von BAYER & Co. in Brüssel, zunächst einmal ganz allgemein, bei anstehenden Regulierungsfragen doch bitte nicht immer nur an den Schutz der Menschen vor Risiken und Nebenwirkungen neuer Produkte zu denken, sondern auch einmal an den Schutz der Innovationsfähigkeit Europas. In der Sache hatte BAYER-Chef Marijn Dekkers in Tateinheit mit den Bossen von SYNGENTA, NOVARTIS und anderen Unternehmen schon im Oktober 2013 einen Offenen Brief an die EU-Kommission geschrieben, in dem sie forderten, dem Innovationsprinzip denselben Rang wie dem Vorsorge-Prinzip einzuräumen. Darum drängt EuropaBio die EU, bei SynBio-Produkten nur nach dem Vorsorge-Prinzip zu handeln, wenn konkrete Hinweise auf schädliche Wirkungen vorliegen und nicht schon auf bloßen Verdacht hin. Der Verband fordert also ein solches Sicherheitsmanagement, wie er es mit Verweis auf das US-amerikanische Modell auch gerne im TTIP-Abkommen verankert sähe. Nach Ansicht der Konzerne gilt es nämlich, auch einmal Wagnisse einzugehen. „Innovationen sind per definitionem mit Risiken verbunden“, heißt es in dem Schreiben von Marijn Dekkers und den anderen Konzern-Lenkern an die Europäische Kommission.

Deshalb erfordert die neue Technologie den Unternehmen zufolge nicht nur keinen zusätzlichen Regelungsbedarf, sie wollen teilweise schon die bestehenden Vorschriften nicht auf SynBio-Produkte angewandt wissen, weil bei deren Herstellung angeblich oft gar keine Gentechnik im traditionellen Sinne am Werke war. Eine Mutagenese, also eine Veränderung am Erbgut ohne direkten Eingriff, die durch Bestrahlung oder Chemie-Einsatz zustande komme, unterscheide sich doch gar nicht von einer solchen, die künstlich hergestellte DNA- oder RNA-Abschnitte im Pflanzen-Genom initiieren wie bei der Oligonukleotid-gesteuerten Mutagenese, argumentieren sie.

Mit just dieser Begründung versuchte die Firma CIBUS, ihren herbizid-toleranten Raps unter Umgehung des „Gesetzes zur Regelung der Gentechnik“ auf die Felder zu bekommen. Als „fortgeschrittene nicht transgene Züchtungstechnologie“ bezeichnete sie das Verfahren. So hoffte das Biotech-Unternehmen nicht zuletzt auch, die Kosten für die Zulassungsprozeduren zu sparen, die bei 10 bis 15 Millionen Euro liegen. Und das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit“ ließ das willfährig mit sich machen. Sie stufte die Ackerfrucht „nicht als Gentechnik im Sinne des Gentechnik-Gesetzes“ ein, da sich in ihrer DNA keine Fremd-Gene finden. „Es ist unsinnig, wenn wir Dinge regulieren, die wir nicht erkennen können“, sagt der BVL-Wissenschaftler Hans-Jörg Buhk. Vorerst darf der OgM-Raps die Felder aber trotzdem noch nicht heimsuchen. Der BUND reichte nämlich eine Klage gegen den Anbau ein und stoppte so vorerst die Aussaat.

Und wenn es sich denn bei SynBio-Produkten um Gentechnik im Sinne der entsprechenden Gesetze handelt, dann regeln diese auch alles Nähere zu den Sicherheitsanforderungen, meint EuropaBio. In ihren Einlassungen zum SCENIHR-Report leugnet die Industrie-Organisation das Gefährdungspotenzial der neuen Gen-Technologie systematisch. Das Freisetzungsrisiko schätzt sie als äußerst gering ein, und unbekannte Biologie-Objekte sieht sie ebenfalls nicht am Horizont heraufziehen. Und auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft hat nach ihrem Dafürhalten von der „Synthetischen Biologie“ nichts zu befürchten. EuropaBio hadert schon damit, dass sich die SCENIHR-ExpertInnen überhaupt ergebnis-offen mit solchen möglichen Nebenwirkungen beschäftigen. Technikfolgen-Abschätzungen dieser Art haben nach Ansicht von BAYER & Co. in einem solchen Report nichts zu suchen: „Wir glauben, dass Bezugnahmen auf sozio-ökonomische, ethische und soziale Themen nicht in diesem Dokument enthalten sein sollten.“ Und das BAYER-Vorstandsmitglied Kemal Malik droht der EU im Falle von Restriktionen gegen die neue Gentechnik schon einmal an, nicht mehr so viele Forschungsgelder in den Mitgliedsländern zu investieren: Wir müssen es nicht in Europa ausgeben. Wir können es überall auf der Welt ausgeben.“

Kein Handlungsbedarf
Die einflussreichsten wissenschaftlichen Einrichtungen decken diese verharmlosende Sichtweise der Gentech-Konzerne und versuchen, ihnen politisch den Rücken freizuhalten. So urteilte die „Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit“, vom „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ um eine Bewertung der neuen Risiko-Technologie gebeten, 2012: „Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die in Deutschland in der Synthetischen Biologie verfolgten Forschungsansätze kein biosicherheitsspezifisches Gefährdungspotenzial bergen, das über das von den ‚klassischen’ gentechnischen Versuchen hinausgeht und dem nicht durch die konsequente Anwendung des GenTG (Gentechnik-Gesetz, Anm. SWB) begegnet werden kann.“ Die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG) kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Neuartige Organismen ohne Vorbilder in der Natur zu kreieren, stellt nach Ansicht der DFG keine zusätzlichen Sicherheitsanforderungen: „Eine gesetzliche Regulierung speziell für die Synthetische Biologie ist derzeit aus diesen Gründen nicht erforderlich.“ Und auch die Leopoldina-Wissenschaftsakademie hält ein solches Paragraphen-Werk für unnötig. „Wenn wir zu der Überzeugung kommen sollten, dass bestimmte gesetzliche Instrumente fehlen, dann werden wir das in Richtung Politik kommunizieren. Doch derzeit sehen wir einen solchen Bedarf nicht“, erklärte Leopoldina-Präsident Jörg Hacker in der Welt.

Die Europäische Union prüft zurzeit, ob die bestehenden Gentechnik-Gesetze wirklich den Herausforderungen der „Synthetischen Biologie“ gerecht werden oder ob diese einen speziellen juristischen Rahmen benötigt. BeobachterInnen zufolge könnte die EU-Kommission sich aber auch aus der Verantwortung stehlen und die Entscheidung darüber den nationalen Parlamenten überlassen, wie sie es jüngst im Fall der Zulassungen für Gen-Pflanzen getan hat.
Bei den Verhandlungen zur „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ spielt SynBio ebenfalls eine Rolle. BAYER & Co. bemühen sich nämlich nicht nur, via TTIP bereits bestehende Auflagen zu risiko-reichen Produkten aufzuweichen, sondern arbeiten auch daran, bei neu anstehenden Regulierungsfragen von vornherein ein niedriges Schutz-Niveau zu verankern. Deshalb entfaltet der europäische Saatgut-Verband ESA in Tateinheit mit seinem US-amerikanischen Pendant ASTA große Lobby-Aktivitäten, um BAYER & Co. vor Restriktionen zu bewahren. „Für die neuen Pflanzenzucht-Techniken halten ESA und ASTA ein spezielles Regelwerk nicht für erforderlich“, erklären die Organisationen und warnen vor Handelshemmnissen, falls Brüssel sich im Gegensatz zu den USA doch für eine Extra-Verordnung entscheiden sollte. Auch droht nach Ansicht der beiden Lobby-Clubs in einem solchen Fall wirtschaftlicher Schaden für eine erfolgversprechende Innovation: „Der zukünftige Gebrauch der neuen Pflanzenzucht-Techniken (...) und die Markteinführung der daraus resultierenden neuen Pflanzen-Arten hängt stark von einem förderlichen regulatorischen Umfeld und politischer Unterstützung ab“.

Großbritannien hat sich Anfang Februar 2016 bereits entschieden, der Anwendung der „Synthetischen Biologie“ im Bereich der Human-Medizin dieses förderliche Umfeld zu bieten. Das Land erlaubte es WissenschaftlerInnen des „Francis Crick Instituts“, mit ihren Gen-Scheren an Embryonen herumzuschnippeln. Und es dauerte nicht lange, bis auch das hiesige Embryonen-Schutzgesetz in die Diskussion kam. „Das Gesetz entspricht nicht mehr dem heutigen Forschungsstand“, meint etwa Jochen Taupitz vom „Institut für Medizin-Recht und Bioethik“. Dem Ansinnen der Global Player, mit der „Synthetischen Biologie“ zurück in die Zukunft der Gentechnik aufzubrechen, steht momentan also nicht viel im Wege, trotz der vielen mit ihr verbundenen Risiken und Nebenwirkungen.

[Grenzach] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Kapital & Arbeit

BAYER streicht 220 Stellen in Grenzach

„Die Kollegen sind entsetzt“

Der Leverkusener Multi will am Pharma-Standort Grenzach massiv Arbeitsplätze vernichten. Er kündigte an, rund ein Drittel der 670 Stellen zu streichen.

Von Jan Pehrke

„Die Kollegen sind spürbar entsetzt, fassungslos und enttäuscht“, so beschreibt der Betriebsratsvorsitzende Armin Schranz die Reaktion der Belegschaft auf den BAYER-Beschluss, am Standort Grenzach im großen Stil Jobs abzubauen. 220 der bisher 670 Stellen will der Konzern bei seiner Tochter-Gesellschaft streichen, die nicht nur Salben, Kosmetika und Nahrungsergänzungsmittel produziert, sondern auch Fertigspritzen und Injektionsfläschchen für andere Pharma-Unternehmen befüllt. Mit ausbleibenden Aufträgen von eben diesen Fremdfirmen begründet der Pillen-Riese nun die drastische Maßnahme, die LeiharbeiterInnen ebenso betrifft wie Beschäftigte mit befristeten und unbefristeten Verträgen.
Noch zwei Jahre zuvor, bei der feierlichen Verabschiedung des Geschäftsführers Christian Baumann, hatte BAYERs damaliger „Consumer Care“-Boss Thomas Wozniewski besonders den Erfolg Grenzachs im Drittkunden-Geschäft gepriesen und sich generell hochzufrieden mit der Unternehmenspolitik gezeigt. Der zu der Zeit amtierende Bürgermeister Jörg Lutz bedankte sich bei Baumann sogar persönlich für die glänzende Entwicklung der BAYER-Tochter und bezeichnete diese als Vorzeige-Unternehmen.

Unter Baumanns Nachfolger Claus Rubensdörfer ließ die Auslastung dann nach, und das Führungspersonal bemühte sich nicht groß, nach neuen Kunden zu suchen. Sie suchten lieber das Weite, wie Armin Schranz kritisiert: „Erfahrene Manager, die uns bis dahin geführt haben und die wir eigentlich in diesen schwierigen Zeiten dringend benötigen, verließen uns nach und nach und ließen uns mit unseren Sorgen und Problemen alleine.“

Und die Sorgen und Probleme begannen eigentlich schon, als BAYER die Produktion im Jahr 2004 übernahm. Die Fertigungsstätte gelangte im Zuge eines Mega-Deals mit ROCHE in den Besitz des Leverkusener Multis: Für 2,4 Milliarden Euro erwarb er von dem Schweizer Pharma-Riesen dessen gesamte Sparte mit rezeptfreien Medikamenten. Und wie bei solchen Geschäften üblich, war auch sogleich von Einspar-Möglichkeiten die Rede. „Wenn man zwei Organisationen dieser Größe kombiniert, gibt es ein großes Synergie-Potential: Beispielsweise in der Beschaffung und bei den internen Dienstleistungen“, sagte der inzwischen pensionierte BAYER-Manager Gary S. Balkema und fuhr fort: „Darüber hinaus gibt es weltweit verschiedene Stellen, die doppelt besetzt sind. Das werden wir analysieren und lösen müssen.“

Und das tat der Global Player. Er gab die Niederlassung in Eppstein auf und verkaufte 2011 die Arznei-Fabrik im französischen Gaillard an DELPHARM. Auch in Grenzach gab es nach dem Eigentümer-Wechsel entsprechende Befürchtungen. Deshalb forderte die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE von BAYER sogleich ein Bekenntnis zum Standort ein. Ein solches kam den ManagerInnen allerdings nicht über die Lippen, sie ließen die Beschäftigten bewusst im Ungewissen, um ihnen Zugeständnisse abtrotzen zu können. So mussten „altgediente Mitarbeiter nach dem Betriebsübergang von ROCHE zur BAYER AG zur Sicherung des Standortes große Verluste der Betriebsrenten-Ansprüche hinnehmen“, beklagt Armin Schranz und warnt den Konzern vor Wiederholungstaten. Er verlangt von ihm, nun wenigstens den übriggebliebenen Betriebsteil – die Fertigung von Salben und deren Verpackungen – zu stärken. Dazu hat sich das Unternehmen formell auch bereit erklärt. „Grenzach bleibt ein strategisch wichtiger Standort für die Salben-Herstellung im weltweiten Produktionsnetzwerk von BAYER“, heißt es aus der Zentrale.

Damit gibt sich der Betriebsrat aber nicht zufrieden. Er strebt in den Verhandlungen mit der Firmen-Leitung eine Standortsicherungsvereinbarung an. Eine solche ist der Leverkusener Multi nämlich längst nicht mit allen Beschäftigen der bundesdeutschen Werke eingegangen. Nur die Belegschaftsangehörigen der BAYER AG, also der großen Niederlassungen in Leverkusen, Dormagen, Krefeld, Brunsbüttel und Wuppertal, kamen bisher in den „Genuss“ eines solchen Vertrages, nicht aber die KollegInnen der BAYER-GmbHs in Bitterfeld, Grenzach und anderswo. Er gilt somit bloß für rund 60 Prozent der insgesamt 36.000 BAYER-Beschäftigten in Deutschland, und auch nur für diese ist der Gesamtbetriebsrat zuständig. Ob es Schranz gelingt, daran etwas zu ändern, und ob er es des Weiteren schafft, bei der vom Global Player in Grenzach geplanten Arbeitsplatz-Vernichtung das Schlimmste zu verhindern, wird sich spätestens im Frühling zeigen.

[Edit] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

vor sechzehn Jahren berichtete das Stichwort BAYER über ein starkes Halluzinogen, das den Leverkusener Multi in seinen Bann geschlagen hatte. „Die Pharma-Forschung befindet sich zurzeit im Gen-Rausch”, bekannte der damalige Pharma-Chef Dr. Wolfgang Hartwig ganz offen. Er delirierte über die Wundermächte der neuen Technologie und fixte noch andere mit der Droge an. „BAYER-Forschung: Durchbruch im Kampf gegen Tumor-Wachstum”, titelte beispielsweise der Express. Doch bald schon trat Ernüchterung ein. Die besagte Arznei überstand die klinischen Tests nicht, und weitere Flops folgten. Heutzutage gelingt es Medikamenten dieses Typs mit Ach und Krach, das Leben der Krebs-PatientInnen um gerade einmal ein, zwei Monate zu verlängern. Die Genmedizin hat die in sie gesteckten Hoffnungen nicht zu erfüllen vermocht, das räumen inzwischen sogar die WissenschaftlerInnen selber ein.
Das hindert BAYER jedoch nicht daran, einem neuen Stoff zu erliegen. Dieses Mittel hört auf den Namen CRISPR/Cas. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Gen-Schere, die das Erbgut angeblich präzise an einer vorgegebenen Stelle auftrennen und dort neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einfügen kann. „Synthetische Biologie“ nennt sich das Ganze und versetzt die Branche abermals in einen Rauschzustand. Visionen von der Heilung aller Erb-Krankheiten sind da noch das Mindeste – von nichts weniger als Regenesis, redigiertem Erbgut, Pflanzen auf dem Mars oder der Wiederbelebung des Neandertalers fabulieren die Gen-KöchInnen. Das Stichwort BAYER (SWB) bleibt hingegen nüchtern und beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit den Risiken und Nebenwirkungen dieser neuen Gentechnik.

Mit den Risiken und Nebenwirkungen der Kohlenmonoxid-Leitung zwischen Dormagen und Leverkusen sollte sich am 19. Januar eigentlich das Kölner Verwaltungsgericht beschäftigen, denn Gottfried Schweitzer hatte wegen des Gefährdungspotenzials der Pipeline eine Klage eingereicht. Aber dazu kam es gar nicht erst, der Richter hängte sich an Formalitäten auf, wie unsere Gerichtsreportage dokumentiert.

BAYERs Pestizide stehen ebenfalls bereits seit Langem wegen ihrer Gefährlichkeit in der Kritik. Besonders in Ländern der sogenannten Dritten Welt kommt es immer wieder zu Vergiftungen, weil der Leverkusener Multi in diesen Staaten hierzulande bereits ausrangierte chemischen Keulen vertreibt, die Menschen oftmals nicht über Schutzkleidung verfügen und häufig auch nicht die Sicherheitshinweise auf den Packungen lesen können – so sie denn überhaupt vorhanden sind. Wie die Situation vor Ort in Indien genau ausschaut, hat das Berliner EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS recherchiert und für das Stichwort festgehalten.

Ein solches Sünden-Register verlangt nach einem gehörigen Maß Gegen-Aufklärung. Und diese betreibt der Global Player systematisch, wobei er schon bei den Kleinsten anfängt. Neuester Coup: das Unternehmen hat für Kindergärten ein Wimmelbuch erstellt, welches das Treiben auf den Firmen-Areals in den schönsten Farben zeichnet.

Nach dem Motto „Alles so schön bunt hier“ schildert es den Alltag auf dem Werksgelände mit Clowns, Heißluft-Ballons, vielen Bäumen, Wasser, putzigen, leicht altertümlichen Maschinen und einem natürlich immer strahlend blauen, von keinem Fabrik-Qualm getrübten Himmel als große Sause. Das SWB demaskiert diese Konzern-Propaganda vom Spielplatz „Chem-‚Park’“.

Damit nicht genug, widmet es sich außerdem noch den Arbeitskämpfen am BAYER-Standort Grenzach und der Auseinandersetzung um den Autobahn-Ausbau in Leverkusen. Und schließlich hat unser Magazin noch so etwas wie eine Partei-Spende erhalten. „Die Partei“, der politische Arm des Satire-Magazins Titanic, hat sich in den Dienst unserer Kampagne zur Gewinnung von Fördermitgliedern gestellt. Lese-Genuß also bis zur letzten Seite, hofft

Jan Pehrke

[IndienPestiz] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Pestizide & Haushaltsgifte

Pestizide in Indien

BAYERs doppelte Standards

Im März 2015 führte das Berliner EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR) in Indien eine Studie zu Pestiziden von BAYER und SYNGENTA durch. Es untersuchte unter anderem, welche Ackergifte die Unternehmen in dem Land vermarkten, ob die Warnhinweise den Anforderungen genügen und ob es ausreichend Schulungen für den Umgang mit den Chemikalien gibt. Die Ergebnisse waren verheerend. Deshalb informierte das ECCHR gemeinsam mit Partner-Organisationen die Welternährungsorganisation und die Weltgesundheitsorganisation. Auch das indische Landwirtschaftsministerium ist eingeschaltet.

Von Christian Schliemann und Carolijn Terwindt1

„Die Firmen aus dem Ausland kommen mit ihren Pflanzenschutzmitteln hierher und sagen, damit werde sich die Ernte verdoppeln. An den Schaden für die Menschen auf dem Land denken sie dabei nicht“, so die Meinung eines Bauern (42 Jahre) aus Guru Ki Dhab, einem Dorf in Punjab, Indien. Er besitzt 16 Morgen Land, welches er mit seinen zwei Brüdern bebaut. Sie züchten Gemüse, Senf, Gras und Reis. Seit zehn Jahren verwendet der Bauer das Pflanzenschutzmittel CONFIDOR, hergestellt von BAYER. Der Landwirt kann lesen und schreiben, aber nur Punjabi. Daher versteht er in Hindi verfasste Warn- und sonstige Hinweise auf den CONFIDOR-Behältern nicht. Ein älterer Bauer hingegen beschwert sich, dass er die Hinweise auf der Flasche wegen der kleinen Schrift überhaupt nicht zu entziffern vermag.

CONFIDOR ist nur eines der Pestizide, die BAYER CROPSCIENCE in Indien vertreibt. In Deutschland ist dieses Mittel nicht mal für Haus- und Kleingärten zugelassen. AnwenderInnen müssen erst einen Sachkunde-Nachweis vorlegen, bevor sie dieses Pestizid erwerben können. In Punjab jedoch steht jedem Menschen die Möglichkeit offen, das Mittel beim Händler zu erwerben.
Andere BAYER Produkte in den Regalen der Geschäfte sind LARVIN, REGENT UND NATIVO. Diese Ackergifte enthalten Wirkstoffe, die von der Weltgesundheitsorganisation als „moderat gefährlich“ eingestuft werden. Das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK hat die Inhaltsstoffe hingegen anders bewertet. Es führt Thiodicarb (LARVIN) wegen möglicher Krebs-Gefahren und Imidacloprid (CONFIDOR) und FIPRONIL (REGENT) wegen ihrer bienenschädlichen Effekte in der Liste hochgefährlicher Substanzen2. Thiodicarb bezeichnet auch die US-amerikanische Umweltbehörde als wahrscheinlich krebserregend, und in der Europäischen Union ist der Wirkstoff seit 2004 nicht mehr zugelassen. Besondere Risiken für Kleinkinder, Gefährdungen von Vögeln und der Umwelt sowie unzureichende Daten zur Gefährlichkeit für den Menschen und für das Grundwasser haben Brüssel zu diesem Schritt bewogen.

Seit Längerem ist Punjab in Indien für seinen großen Pestizid-Verbrauch bekannt. Dementsprechend finden sich die Inhaltsstoffe der Mittel auch im Grundwasser und im Boden. WissenschaftlerInnen haben zudem Rückstände von Pestiziden in Blutproben von Bauern und Bäuerinnen gefunden. Akute Symptome und chronische Krankheiten, verursacht durch den direkten Kontakt mit Pestiziden, sind im Baumwollgürtel von Punjab weit verbreitet. Eine Studie unter LandarbeiterInnen dieser Region dokumentiert, dass 94,4 Prozent von ihnen an Ausschlag und Juckreiz leiden, 88,9 Prozent berichten von Übelkeit und Augenbrennen nach dem Sprühen. Indizien sprechen dafür, dass der dramatische Anstieg der Krebsrate in Punjab mit den Pestiziden in Zusammenhang steht. 2013 führte die Landesregierung eine landesweite Studie durch, die bestätigte, dass die Anzahl von Krebsfällen in Punjab – und dabei vor allem in dem Baumwollgürtel – deutlich über dem nationalen Durchschnitt liegt.

Verstöße gegen Standards
BAYER CROPSCIENCE beliefert in Indien 40.000 HändlerInnen mit seinen Mitteln und verfügt über 3.500 VertriebsmanagerInnen, die pro-aktiv FarmerInnen besuchen und für die Produkte werben. Damit ist der Agro-Multi einer der größten Pestizid-Anbieter in Indien. Umso wichtiger ist es, dass diese Acker-Gifte nur an Bauern und Bäuerinnen verkauft werden, die das notwendige Training bekommen haben und denen adäquate Schutzkleidung zur Verfügung steht. Beides ist jedoch in Punjab nicht gewährleistet, das belegt ein Bericht des EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR), den die Organisation aus Berlin im Oktober 2015 der UN-Welternährungsorganisation (FAO) vorgelegt hat3. Für den Report wurden Pestizid-NutzerInnen, ZwischenhändlerInnen, VertriebsmanagerInnen und MedizinerInnen befragt. Die Ergebnisse wecken ernsthafte Zweifel an den Geschäftspraktiken von BAYER in Punjab. Eine Auswahl der Antworten der LandwirtInnen ist in einem Video enthalten, das als unterstützendes Beweismaterial bei der FAO eingereicht wurde4.
Das erschütternde Ergebnis der Befragung in Punjab: Etikettierungen auf den Pestizidbehältern sind in den allermeisten Fällen nicht in Punjabi verfasst, sondern in Hindi. Hindi sprechen aber nur acht Prozent der ortsansässigen Bevölkerung. Piktogramme, die über dieses Problem hinweghelfen sollen, verstehen die LandwirtInnen aber ebenso wenig. Auch die Signalfarben, welche die Toxizität anzeigen, deuten weder alle FarmerInnen noch alle befragten HändlerInnen richtig.
Aber nicht nur die mangelhafte Aufklärung über die Gesundheitsrisiken gefährdet die FarmerInnen. Die örtlichen PestizidhändlerInnen halten auch keine Schutzkleidung vor, und andere Bezugsquellen gibt es kaum. Und wenn die Herstellerfirmen mal Schutzkleidung liefern, dann in unzureichender Zahl und oft von schlechter Qualität. Deshalb bringen die Bauern und Bäuerinnen die Pestizide in der Regel in ihrer Alltagskleidung aus, meist nur mit einem Stück Stoff als Mundschutz gewappnet und häufig sogar ohne Schuhe, da das Laufen auf dem nassen Boden beschwerlich ist.
HändlerInnen, die ihre KundInnen über die bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung von Agro-Chemikalien, die mit ihrer Anwendung verbundenen Risiken, über mögliche Risikominderungsmaßnahmen sowie über die sachgerechte Lagerung und Entsorgung der Mittel und ihrer Reste informieren, sind nach den Ergebnissen der Befragung eine Seltenheit. Dies ist besonders problematisch, da Indien – im Gegensatz zu Pflanzenschutzbehörden in Deutschland – für die Pestizid-AnwenderInnen keine Sachkunde-Nachweise fordert oder ausstellt. Überdies mangelt es auch den lizensierten Händlern oft an den entsprechenden Kenntnissen.

BAYER bricht Kodex
Laut dem Internationalen Verhaltenskodex für Pestizid-Management sind Unternehmen besonders dann gehalten, den Code zu beachten, wenn sie in Ländern agieren, in denen der Pestizid-Handel noch nicht unabhängig kontrolliert wird oder diese Kontrolle ineffektiv ist (Art. 3.2). Laut CropLife, dem Industrieverband der Pestizid-Hersteller, bedeutet dies, dass die höchste Management-Ebene innerhalb des Unternehmens diese Verantwortung für die Umsetzung des Codes übernehmen muss5. VertriebsmanagerInnen von BAYER besuchen wöchentlich die HändlerInnen in den Kleinstädten und gehen mit neuen Produkten auch oft selber zu den LandwirtInnen. Sie hätten also ausreichend Gelegenheit, sich ein Bild über den Informationsstand der FarmerInnen und HändlerInnen zu machen und entsprechend zu reagieren. Aussagen eines ehemaligen Vertriebsmanagers von BAYER in Punjab deuten allerdings an, dass der Konzern zwar Schritte unternimmt, die Bauern und Bäuerinnen aufzuklären, diese Versuche allerdings in ihrer Umsetzung scheitern. Die Unternehmensrichtlinien sehen vor, dass die örtlichen MitarbeiterInnen einmal im Jahr mit Hilfe des landwirtschaftlichen Bereichs der Universität vor Ort Trainings zu Sicherheit und Schutzkleidung durchführen. Nur wenige MitarbeiterInnen nehmen diese Richtlinien jedoch so ernst, dass sie die FarmerInnen tatsächlich adäquat trainieren. Wichtiger als diese sporadischen Hinweise auf Trainings waren laut dem befragten Manager die Verkaufsziele, für deren Erreichung die Vertriebspersonen von BAYER in Punjab MitarbeiterInnen-Vergünstigungen erhielten: „It is a must for a Territory in Charge to achieve at least 70 % of his targets. Otherwise he won’t receive the yearly incentives. ... And the German guys used to give annual targets to India, Sri Lanka, Bangladesh, Pakistan, etc.” Es wundert daher nicht, dass von den befragten LandwirtInnen kaum eine/r ein Training in Pestizid-Anwendung erhalten hat.

Doppelte Standards
Pestizide müssen Warnungen über Gesundheits- und Umweltrisiken enthalten. In Europa verkauft der BAYER Konzern NATIVO mit der obligatorischen Warnung: „kann das ungeborene Leben schädigen“. Wie der Bericht für die FAO aber dokumentiert, fehlt dieser Hinweis auf den nach Indien exportierten Produkten. Die VerbraucherInnen werden auch nicht über mögliche Schutzmaßnahmen für Haut und Augen informiert. Die fehlende Kennzeichnung verstärkt die bestehenden Risiken für Frauen noch, denn sie nehmen über ihre Haut Pestizide leichter auf als Männer. Bei Schwangeren besteht zudem die Gefahr, ein krankes Kind zur Welt zu bringen. Nach Ansicht des ECCHR und seiner Partner-Organisationen deuten in diesem konkreten Fall die Ergebnisse der Umfrage zu fehlenden Warnungen überdies auf einen Verstoß gegen das indische Pflanzenschutzgesetz hin. VertreterInnen der indischen Bürgerbewegung Swadeshi Andolan reichten daher beim Landwirtschaftsministerium in Neu Delhi im Dezember 2015 eine Petition zur Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen gegen die Tochterfirma BAYER CROPSCIENCE INDIA LTD sowie gegen den Mutterkonzern BAYER CROPSCIENCE AG in Deutschland ein. Nach dem Gesetz sind eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren vorgesehen. Das Verfahren ist derzeit anhängig. Der Konzern hat in seiner Reaktion auf den bei der FAO eingereichten Bericht hingegen beteuert, in Einklang mit der geltenden Gesetzeslage zu handeln.

Ausblick
Der Bericht, welcher der FAO zuging, schließt damit, dass die Pestizidhersteller gemäß der Angaben der LandwirtInnen und HändlerInnen offenbar wesentliche Vorschriften des Code of Conducts über das Pestizid-Management verletzen. Gleichzeitig leiden die anwendenden LandwirtInnen, aber auch ihre Familienmitglieder, die auf den Höfen leben und auf den Feldern helfen, an verschiedenen Gesundheitsproblemen. Die Bauern und Bäuerinnen berichten von Juckreiz auf der Haut, Brennen in den Augen, Atembeschwerden und weiteren Krankheiten. Laut dem Code of Conduct der FAO sollen Unternehmen, also auch BAYER, überprüfen, welche Folgen der Einsatz ihrer Produkte in der Praxis hat. Dabei sind schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Natur zu berücksichtigen. Im Falle, dass eine Anwendung ohne unzumutbare Gesundheitsschäden und Umweltverschmutzung nicht gewährleistet werden kann, soll die Firma über Alternativen nachdenken. Diese Alternativen reichen auf dem Papier soweit, das Produkt vom Markt zu nehmen, wie Art. 5.2.5 des Codes deutlich macht. BAYER selbst beschreibt in seiner firmeneigenen „Product Stewardship Policy“ mit vielen Worten, wie eine „sichere“ Anwendung durch den Konzern gewährleistet wird und mittels welcher Kommunikationskanäle er über Risiken und Gesundheitsprobleme bei der Anwendung unterrichtet wird. Obwohl die Firma somit von der Situation in Punjab eigentlich klare Kenntnis haben müsste, sind angemessene Reaktionen soweit ersichtlich bisher nicht erfolgt.
Im Rahmen des Beschwerdemechanismus der Welternährungsorganisation WHO ist das ExpertInnen-Gremium gehalten, in Antwort auf den Bericht Empfehlungen darüber abzugeben, wie eine dem Standard entsprechende Situation wiederhergestellt werden kann. Eine sinnvolle Option wäre sicherlich ein gemeinsames Treffen der beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen, allen voran der indischen Partner, mit den Unternehmen, aber auch der indischen Regierung, um über konkrete Änderungen bei der Vermarktung der Pestizide zu sprechen. BAYER hat hierzu seine Bereitschaft signalisiert. Die Unternehmen könnten beispielsweise die Label verbessern, ausreichend Schutzkleidung bereitstellen und Trainings durchführen. Ob hierdurch eine sogenannte sichere Nutzung (safe use) dieser gefährlichen Stoffe gewährleistet werden kann, bleibt aber weiterhin höchst fragwürdig. Solange allerdings nicht einmal diese grundlegenden Schutzmechanismen sichergestellt sind, ist eine weitere Vermarktung der BAYER-Pestizide im Punjab eine drastische Verletzung der Menschenrechte der ansässigen Bevölkerung – das nimmt der Agro-Riese aber offenbar sehenden Auges hin.

KASTEN
Der Code of Conduct der FAO für Pestizide
1985 entwickelte die FAO den Internationalen Verhaltenskodex für das Inverkehrbringen und die Anwendung von Pestiziden (Verhaltenskodex für Pestizid-Management), um damit den globalen Risiken zu begegnen, die von den Agro-Chemikalien ausgehen. Seit der Neufassung 2013 wird dieser Kodex ebenfalls von der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt. Das Regelwerk adressiert Regierungen und Pestizid-Unternehmen gleichermaßen, und letztere haben sich dem Verhaltenskodex auch unterworfen. Für das Pestizid-Management formuliert dieser minimale Sicherheitsstandards, um die Gesundheits- und Umweltrisiken durch die Produkte zu reduzieren. Dem Kodex sind Richtlinien der FAO beigefügt, die Standards für Bereiche wie Werbung, Kennzeichnung und Verpackung enthalten. Zudem verlangt der Code, dass die Unternehmen den Vertrieb ihrer Produkte einstellen, wenn die nationalen oder internationalen Standards nicht eingehalten werden und der Pestizid-Einsatz eine unzumutbare Gefahr für die Bevölkerung darstellt (Art. 5.2).

Die AutorInnen arbeiten im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte beim EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR) in Berlin
2 Zu den Gründen für die jeweilige Einstufung siehe die Liste der hochgefährlichen Pestizide des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKS abrufbar unter: http:www.pan-germany.org/download/PAN_HHP_List_150602_F.pdf
3Ad-Hoc Monitoring Report – Claims of (non-)adherence by BAYER CROPSCIENCE and SYNGENTA to the Code of Conduct Provisions on Labeling, Personal Protective Equipment, Training, and Monitoring. Abrufbar unter http:
www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirtschaft-und-menschenrechte/pestizide.html.
4in Kürze abrufbar auf der Webseite des ECCHR unter: http://www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirtschaft-und-menschenrechte/pestizide.html
5CropLife International, „Guide for Industry on the Implementation of the FAO Code of Conduct on the Distribution and Use of Pesticides”, S. 5.

[CO Pipeline] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Recht & Unbillig

Freispruch für BAYER-Pipeline

„Der Fall schreit zum Himmel“

BAYERs Projekt, hochgiftiges Kohlenmonoxid per Pipeline von Dormagen nach Krefeld transportieren zu wollen, zieht viel Kritik auf sich. Dass der Multi eine solche Leitung zwischen Dormagen und Leverkusen aber längst betreibt, entgeht der Aufmerksamkeit weitgehend. Dabei weist das Röhrenwerk gravierende Sicherheitsmängel auf. Gottfried Schweitzer nahm das zum Anlass, um vor Gericht eine Stilllegung zu erwirken. Das Kölner Verwaltungsgericht wies seine Klage am 19. Januar jedoch ab.

Von Jan Pehrke

Während BAYERs zwischen Dormagen und Krefeld geplante Kohlenmonoxid-Pipeline wegen einer Klage noch immer keine Betriebsgenehmigung hat, zeigt deren zwischen Dormagen und Leverkusen verlaufendes Pendant schon bedenkliche Alterserscheinungen. CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes und Gottfried Schweitzer offenbarten sich im vorletzten Jahr beim Einblick in die Behörden-Unterlagen schwerwiegende Mängel. Besonders dort, wo die Leitung den Rhein unterquert, zeigten sich Korrosionsschäden, also Abnutzungserscheinungen an den Bau-Bestandteilen. So treten an diesem Düker nach einem Bericht des TÜV Rheinland „gravierende externe Materialverluste“ auf. Und gerade das, was solches eigentlich verhindern sollte – der Kathodische Korrosionsschutz – hat alles nur noch schlimmer gemacht. Er setzte die Rohrwände nämlich noch zusätzlich destabilisierender elektronischer Spannung aus, weshalb die elektrochemische Vorrichtung vom Netz gehen musste. Eine „Restlebensdauer von 2 Jahren, bis die rechnerisch geforderte Mindestrohrwandstärke von 3,6 mm erreicht wird“, gibt der Technische Überwachungsverein dem Düker noch. Überdies tun sich dies- und jenseits des Rheins weitere Sicherheitsrisiken auf, denn die mittlere Verlegungstiefe der Leitung beträgt nur 1 Meter, und kein Warnband weist auf die Existenz der Leitung hin.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN machte diesen Befund publik, und postwendend ging auch BAYER an die Öffentlichkeit. Der Global Player beteuerte, schon länger einen Neubau des Dükers zu planen, was er ohne die Intervention von Gottfried Schweitzer und der CBG aber wohl als ganz normale Routine-Maßnahme nach so langer Betriebsdauer dargestellt hätte und nicht als dringliche Reaktion auf den maroden Zustand der alten Unterquerung.
Schweitzer reichte ein solches Projekt nicht. Er stellt die Sicherheit des gesamten Röhrenverbunds in Frage und beantragte deshalb bei der Bezirksregierung, BAYER die Betriebsgenehmigung zu entziehen. Dies lehnte die Behörde jedoch ab. Daraufhin reichte Schweitzer beim Verwaltungsgericht Köln eine Klage ein. Am 19. Januar fand schließlich die Verhandlung statt. Schon weit vor dem auf 9.30h angesetzten Prozess-Beginn hatten sich Pipeline-GegnerInnen am Eingang des Gebäudes versammelt. AktivistInnen von der Coordination und anderen Gruppen verteilten nicht nur Flugblätter oder protestierten mit Transparenten gegen die Giftgas-Röhre, sondern machten die Bedrohung auch anschaulich. Dr. Gottfried Arnold von einer ÄrztInnen-Initiative gegen die Kohlenmonoxid-Leitung realisierte mit einigen MitstreiterInnen das Worst Case Scenario und demonstrierte so, wie hilflos die MedizinerInnen im Falle eines CO-Austritts bei der Behandlung von Vergifteten wären.

Im Gerichtssaal selber spielte die Gefährlichkeit des Röhren-Verbundes dann aber kaum noch eine Rolle. Bevor es nämlich zur Beschäftigung mit dem eigentlichen Inhalt der Klage kommen konnte, zweifelte der Richter Pierre Becker-Rosenfeld schon grundsätzlich die Berechtigung Gottfried Schweitzers an, sein Begehr zu verfolgen. Der Gesetzgeber verlangt dazu nämlich eine individuelle Betroffenheit; Popular-Klagen – also solche, die Rechte der Allgemeinheit geltend machen wollen – schließt er hingegen weitgehend aus. Und diese individuelle Betroffenheit sah Becker-Rosenfeld bei Schweitzer nicht als gegeben an, da dieser mehr als vier Kilometer entfernt von der 600 Meter breiten Gefahrenzone um die Leitung wohnt. „Wir bräuchten acht Mal mehr“, beschied er dem Kläger und erläuterte mit Verweis auf ein Grundsatz-Urteil zu einem Atommüll-Lager, warum die JuristInnen bei Prozessen dieser Art immer das Meterband zu bemühen haben. „Ich muss das Gesetz anwenden“, so der Richter. Und die BAYER-Anwälte operierten ebenfalls mit dem Entfernungsmesser und versuchten es Schweitzer dabei sogar noch zum Vorwurf zu machen, im vorletzten Jahr näher an die CO-Leitung heran gezogen zu sein. Ganz so arge Befürchtungen deren Sicherheit betreffend könne er dann ja wohl nicht gehabt haben, insinuierten die Rechtsvertreter.

So zeichnete sich schon ziemlich schnell ab, dass das Gericht der Klage nicht stattgeben würde. Nichtsdestotrotz vermeinte sich der Richter noch besonders nett zu zeigen, indem er Gottfried Schweitzer und seinem Rechtsanwalt Frank Stierlin trotz der Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens die Gelegenheit gab, zur eigentlichen Sache zu sprechen. Schweitzer nutzte das zur Präsentation der ganzen Mängelliste, von der ab 2001 erfolgten klammheimlichen Umwidmung der Pipeline für den Transport von CO über die Abnutzungserscheinungen und die deshalb nötig gewordene Umleitung des Giftgases bis hin zum abgeschalteten kathodischen Korrosionsschutz.

Obwohl der BAYER-Konzern in dem Prozess nur Beigeladenen-Status hatte und – als für die Genehmigung der Giftgas-Leitung verantwortliche Behörde – eigentlich die Bezirksregierung auf der Anklagebank saß, übernahmen die von dem Unternehmen angeheuerten Anwälte fast die ganze Verteidigungsarbeit. Die Juristen von der international tätigen Kanzlei FRESHFIELDS BRUCKHAUS DERINGER stellten in ihrer Prozess-Strategie ebenfalls hauptsächlich auf die angeblich fehlende Klage-Befugnis ab, bestritten aber auch generell die von der Pipeline ausgehende Gefahr. Bei der Einschätzung der Sicherheitslage wäre es unzulässig, auf einen Vollbruch der Leitung abzustellen, argumentierten die Freshfields. Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines solchen Ereignisses sei mit 1: 1.000.000 verschwindend gering, erklärten sie und schoben gleich hinterher, auf eine Verminderung des Rest-Risikos bestehe kein juristischer Anspruch. Schon gar nicht berechtige es zu einem Widerruf der Genehmigung nach § 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, der so ein Vorgehen erlaubt, wenn es gilt, schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten. Dieser Paragraph sei nämlich eng auszulegen, meinten die Anwälte. Die Altersschwächen der Pipeline erschienen BAYERs Rechtsvertretern ebenfalls nicht problematisch. In ihren Schriftsätzen stellten sie gar nicht in Abrede, dass der Röhren-Verbund nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entspricht, einen Grund, die Genehmigung zurückzuziehen, sahen sie darin allerdings nicht – sie beriefen sich vielmehr auf den Bestandsschutz.

„Wie hier mit der Gesundheit umgegangen wird, ist meiner Ansicht nach ein Skandal. Der Fall als solcher schreit zum Himmel“, protestierte Gottfried Schweitzer. Aber es half alles nichts. Die Rechtssprechung „hielt die Klage bereits für unzulässig“. Dem Richter zufolge stehe zwar „die Gefährlichkeit einer Kohlenmonoxid-Vergiftung für den Menschen außer Frage. Nach allen gutachterlichen Stellungnahmen – auch denjenigen des Klägers – sei jedoch davon auszugehen, dass eine Gefährdung des Klägers hier nicht zu besorgen sei (...) Da der Kläger mehr als 4 km von der Pipeline entfernt wohne, werde er von der Schutzfunktion der Genehmigung als potenziell betroffener Nachbar nicht mehr erfasst“, verlautbarte das Kölner Gericht.

Die Coordination kritisierte die Entscheidung scharf. „Viele hundert Menschen leben im direkten Gefahrenbereich der Pipeline – dies hat sogar der Gutachter von BAYER bestätigt. Wir sind daher enttäuscht, dass das Gericht die Umstände der Umwidmung der Leitung, die ursprünglich für harmlose Gase wie Stickstoff gebaut wurde, nicht geprüft hat. Wir fordern die Behörden auf, anlässlich des Neubaus der Rhein-Unterquerung endlich ein reguläres Genehmigungsverfahren für die gesamte Leitung durchzuführen!“, hieß es in der entsprechenden Pressemitteilung.

Die CBG hatte erst im letzten Sommer eine ähnlich niederschmetternde Erfahrung mit Justitia gemacht. Bei ihrem Prozess um Einsichtnahme in den Kooperationsvertrag zur medizinischen Forschung, den BAYER mit der Universität Köln abgeschlossen hatte, kam der eigentliche Sachverhalt im Verfahren ebenfalls kaum zur Sprache. Schnell waren die Richter mit einem – natürlich eng auszulegenden – Grundsatz-Urteil zur Freiheit der Wissenschaft zur Hand und machten kurzen Prozess. Immerhin aber verhindert die Klage eines Anliegers der zwischen Dormagen und Krefeld verlaufenden Kohlenmonoxid-Leitung bis heute die Inbetriebnahme. Und so lässt sich Gottfried Schweitzer auch nicht entmutigen. Er ficht das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln an und geht in die Berufung.

[OffenerBrief] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Das Stichwort BAYER dokumentiert an dieser Stelle den Offenen Brief der Anti-Autobahn-Aktivistin Gisela Kronenberg an den umweltpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag, Hans Christian Markert.

Sehr geehrter Herr Markert,

in Leverkusen soll – wie Ihnen sicher bekannt ist – die Autobahn A 1, später dann auch das Kreuz und die A 3 ausgebaut werden. Zurzeit läuft das Planfeststellungsverfahren für den Bauabschnitt 1 – Erweiterung und Ersatz für die Rheinbrücke. Neben vielen anderen Dingen, die man den Bewohnern der Stadt in den kommenden Jahrzehnten zugunsten des „laufenden Verkehrs” zumuten will, beabsichtigt die Planung von Straßen NRW, die Anbindung der A 1-Rheinquerung quer durch die Altlast BAYER Deponie Dhünnaue zu führen und das Nordkreuz, den sog. Spaghettiknoten, zu sanieren.

Diese Deponie ist eine der größten und hochtoxischsten Deponien Europas, die – besonders durch ihre Lage am Rhein – ein erhebliches Gefahrenpotenzial, nicht nur für die direkten Anwohner, birgt.
Seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis 2003 wurde die Deponie, nach vielen Querelen im Vorfeld, auch mit Landesmitteln, „mumifiziert”, da es „keine realistische Möglichkeit zur Beseitigung der Altlast gäbe” . Dies mit der Prämisse, dass man in den kommenden 100 bis 200 Jahren dieses Areal nicht öffen sollte.

Hierzu ist die Studienarbeit von Hildegard Bohne „Die Dhünnaue – Eine historische Darstellung der größten bekannten Altlast Europas“ lesenswert (siehe Anhang), so wie auch der Antrag Ihrer Fraktion im Landtag Drucksache 11/3184 vom 12.02.1992 und die „kleine Anfrage” Ihrer Bundestagsfraktion Drucksache 11/6101 vom 14.12.1989.

Da man – trotz inzwischen erfolgter Probebohrungen – nicht mit Sicherheit weiß, was wo lagert und was sich inzwischen zu welchen hochtoxischen Stoffen verbunden hat, halte ich es für unverantwortlich, überhaupt einen Eingriff in die Deponie in Erwägung zu ziehen. Insbesonders deshalb, weil dort, wo man „durch will”, überwiegend Rückstände aus der Zeit vor und während des 2. Weltkriegs abgelagert sein könnten.

Die „Aktion quer durch die Deponie nördlich der jetzigen Rheinbrücke” soll unter „Hochsichheitsmaßnahmen” vonstattengehen. Warum sollte man dies tun, wenn man nicht wüsste, dass diese Maßnahmen „schützend” erforderlich sind? Des Weiteren ist die geplante Menge des anfallenden toxischen Aushubs mit Sicherheit wesentlich höher, als zurzeit geplant, denn man muss – um Standfestigkeit gewährleisten zu können – mit ziemlicher Sicherheit durch die z. T. 20 Meter hohen Ablagerungen bis zum anstehenden Gestein. Daher schätzen andere Gutachter nur den toxischen und zu verbrennenden/entsorgenden Aushub auf bis zu 500 000 m³, also auf weit mehr als das Zehnfache des in der Planung angegebenen hochgiftigen Deponie-Materials. Zudem wird der Steuerzahler zum wiederholten Male herangezogen – müsste nicht eigentlich das Verursacher-Prinzip gelten?

Des Weiteren finde ich es erschreckend, dass BAYER nicht nur weiterhin tausende von Tonnen eigener Abfälle – auch hochtoxische Klärschlämme und Verbrennungsrückstände aus der konzerneigenen Verbrennungsanlage (= hochtoxische Stäube) – auf der nördlichen Deponie „sicher” lagert, sondern dass es wohl auch noch einen – für den Konzern sicher lukrativen – „Giftmüll-Tourismus” zu geben scheint, wie es die Deponierung des mit Schwermetallen belastenen Bodens der „Sattler Altlast” ausweist (vergl. www.mainpost.de/regional/schweinfurt, 20. Januar 2015).

Wobei dies sicher nur die „Spitze des Eisbergs” ist, denn man kann vermuten, dass auch die Chargen aus den „Hot-Spots” wohl bei BAYER verbrannt und die Stäube anschließend auf der Deponie „sicher” gelagert wurden, wie tausende Tonnen anderer Giftmüll-Abfälle aus der ganzen Republik – wenn nicht aus ganz Europa!

Was letztendlich der Stadt Leverkusen und der Leverkusener Bevölkerung bleibt – wenn sich der zurzeit noch mit einigen wenigen Sparten ortsansässige Konzern längst zurückgezogen hat – dafür benötigt man nur eine geringe Fantasie.
Ich bitte Sie und Ihre Fraktion sich in dieser Sache zugunsten der Umwelt und Gefahrenabwehr zu informieren und zu engagieren und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Gisela Kronenberg

[A1] STICHWORT BAYER 2/2016

CBG Redaktion

Wasser, Boden & Luft

Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn ...

BAYER gegen Tunnel-Lösung

„Tunnel statt Stelze“ fordern Leverkusener Initiativen. Sie lehnen den Ausbau der A 1 ab, nicht zuletzt weil im Zuge der Arbeiten BAYERs Gift-Sarkophag „Dhünnaue“ geöffnet werden müsste.

Von Benedikt Rees (Verfasser einer Einwendung gegen den Autobahn-Ausbau)

Ja, ich gebe es zu! Als ich das erste Mal vom Neubau der A 1-Brücke zwischen Köln und Leverkusen erfuhr, dachte ich mir: Na und? Schließlich konnte mensch sich Jahrzehnte lang ausreichend an den Anblick dieses Monumentes mitsamt großflächig „verzierter“ Lärmschutzwände gewöhnen. Nachdem ich mich jedoch mühsam durch die 13 Aktenordner des Planfeststellungsentwurfs hindurchgegraben hatte, musste ich allerdings zu der Einsicht gelangen: Das können die PlanerInnen von Straßen NRW nicht wirklich ernst meinen! Denn geplant ist nicht nur ein Ersatz für die angeblich marode A 1-Brücke, sondern vielmehr der 12-spurige Ausbau der A 1 zwischen Köln-Niehl und Leverkusen-Bürrig mitsamt eines Neubaus des kompletten Autobahn-Kreuzes Leverkusen-West.

Das erfordert nicht nur die Umlegung zahlreicher Öl-, Gas- und Chemie-Leitungen auf Kölner Gebiet, sondern auch den Eingriff in die verhüllte Dhünnaue-Giftmülldeponie von BAYER auf Leverkusener Seite. Dafür will Straßen NRW nicht nur die Oberflächen-Abdichtung des Giftgrabs aufbrechen, sondern auch die Spundwände zur „Grundwasser-Abdichtung“ neu errichten. Galt ein solcher Eingriff bislang immer als absolutes „No Go“ der StraßenplanerInnen, scheinen diese Bedenken nunmehr urplötzlich hinweggeweht worden zu sein.

Doch ganz offensichtlich ist Straßen NRW sehr wohl bewusst, welches Risiko sie beim Neubau insbesondere des Kreuzes Leverkusen-West auf dem Deponie-Gelände eingehen: Sie wollen nämlich die neuen Brücken-Bauwerke bereits unmittelbar unterhalb der Oberflächenabdeckung der Dhünnaue gründen, aus (berechtigter) Sorge und Angst davor, was sie bei einem Tieferlegen so alles erwarten könnte.
Nicht nur aus statischer Sicht ist es ein tollkühnes Unterfangen, Hand an die Dhünnaue zu legen. Denn genau hier liegt „der Hund begraben“. Da seinerzeit die BAYER AG in Tateinheit mit der Stadt Leverkusen wild – das heißt unkontrolliert – Gift-, Gewerbe- und Hausmüll „abgelegt“ hat, weiß heute niemand genau, wo sich welcher Müll in welcher Formation befindet und wie das alles zwischenzeitlich chemisch miteinander reagiert hat. Diesen Müll-Sarkophag nach Jahrzehnten des mehr oder weniger friedlichen Ruhens nunmehr sowohl von oben wie auch von unten aufzubrechen, darf in der Tat als absolutes bauliches „Himmelfahrtskommando“ bezeichnet werden. Es stellt nicht nur ein unkalkulierbares Risiko für die damit unmittelbar betrauten ArbeiterInnen, sondern ebenso für die angrenzende Wohnbevölkerung von Leverkusen dar!
Dabei gäbe es durchaus mindestens eine Alternative: Ein Tunnel könnte recht problemlos um das Deponiegelände herumgeführt werden. Und weitere Fragen schließen sich an: Müssen Gefahrgüter unabdingbar über die Straße transportiert werden, oder wäre die Bahn da nicht das sicherere Verkehrsmittel? Sollten Gefahrstoffe nicht besser über Rohrleitungssysteme „verschickt“ werden, sofern sie nicht – wie das von BAYER quer durchs Land transportierte Kohlenmonoxid – eigentlich auch unmittelbar vor Ort produziert werden könnten?
Aber hier zeigt sich ebenfalls, und vermutlich nicht nur bei der BAYER AG, dass die Optimierung von Kosten ganz offensichtlich einen höheren Stellenwert genießt als die Optimierung von Sicherheitsstandards. Und dies betrifft nicht nur die zwischenzeitlich recht marode Kohlenmonoxid-Pipeline zwischen Dormagen und Leverkusen, sondern auch den Neubau der CO-Leitung zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen.

Und so wundert es eben auch nicht, dass sich die BAYER AG bislang vehement gegen eine Untertunnelung des Rheins für Gefahrguttransporte wehrt, obwohl dies technisch überhaupt kein Problem darstellen würde, das beweisen uns andere Städte und Länder zuhauf. Man präferiert auch hier ganz offensichtlich die vermeintlich billigste Lösung, die, wie wir alle wissen, nicht immer die preiswerteste und erst recht nicht immer die für Mensch und Natur schonenste Lösung darstellt.