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Veröffentliche Beiträge in “SWB 02/2023”

SWB 02/2023 – BAYERs Lieferengpässe

CBG Redaktion

Immer mehr Medikamente nicht erhältlich

BAYERs Lieferengpässe

Die Globalisierung der Wertschöpfungsketten im Pharma-Bereich gefährdet die Arzneimittel-Versorgung. Die Anzahl der Lieferengpässe steigt kontinuierlich. Auch BAYER-Medikamente fehlen den Apotheken immer wieder.

Von Jan Pehrke

„BAYER stellt in der Arzneimittel-Herstellung hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit und unumstrittene Qualität seiner pharmazeutischen Produkte. Den ununterbrochenen Zugang von Patienten und Kunden zu unseren Produkten aufrechtzuerhalten, hat für uns oberste Priorität. Unser weltweites Produktionsnetzwerk ist hier nachweisbar sehr erfolgreich“, erklärte der Leverkusener Multi im Herbst letzten Jahres und ließ gleich ein „Aber“ folgen. „Dennoch können in einzelnen Fällen aus unterschiedlichen Gründen Lieferengpässe auftreten. Insbesondere im Rahmen der weltweiten Pandemie ergeben sich besondere Herausforderungen in der Beschaffung und Versorgung mit Roh- oder Hilfsstoffen sowie Personalmangel in der Produktion oder bei der Aufrechterhaltung von Lieferketten“, erklärte der Pharma-Riese. Auch eine erhöhte Nachfrage nach bestimmten Pharmazeutika und die aktuellen „politischen und wirtschaftlichen Spannungen“ nennt er als Gründe für „die angespannte Liefer-Situation“. 2023 betraf diese bisher ASPIRIN in den unterschiedlichen Darreichungsformen, das Herz/Kreislauf-Präparat NIMOTOP, das Magenmittel IBEROGAST und einige Kosmetika-Produkte. In den vergangenen Jahren standen der Gerinnungshemmer XARELTO, die Salben BEPANTHEN und ADVATAN, das Schmerz-Medikament ALKA SELTZER, die Malaria-Arznei RESOCHIN, das Krebs-Therapeutikum XOFIGO, das Kontrazeptivum YASMINELLE, das Bluthochdruck-Pharmazeutikum BAYOTENSIN sowie das pflanzliche Produkt LAIF zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen zeitweise nicht mehr zur Verfügung. Bei den anderen Herstellern sieht es ähnlich aus. Über 400 Lieferengpässe meldete das „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ im März 2023. „Wir haben eigentlich gar keine Medikamente mehr für Kinder“, schlug eine Apothekern kurz vor Weihnachten in der Rheinischen Post angesichts fehlender Fiebersäfte und Zäpfchen Alarm. Und die Präsidentin der „Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände“, Gabriele Regina Overwiening, bestätigte den Befund: „Lieferengpässe von lebenswichtigen Medikamenten – ob Blutdrucksenker, Magensäure-Blocker, Antibiotika oder Schmerzmittel – gehören leider seit Jahren zu den größten Ärgernissen und Herausforderungen im Apotheken-Alltag.“ Von den 100 Millionen Rezepten, welche Apotheken in Nordrhein-Westfalen jährlich erhalten, ist mittlerweile jedes zweite von einem Engpass betroffen, so Thomas Preis vom Apotheken-Verband Nordrhein. Vor „große Probleme“ stellt das nach den Worten von Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft, auch die Hospitäler. Ihnen mangelte es vor allem an Notfall-Medikamenten, Antibiotika und Krebspräparaten. Von einem „Armutszeugnis“ sprach angesichts dieser Lage der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und JugendärztInnen, Thomas Fischbach. Und die Rheinische Post resümierte in einem Kommentar: „Krankes Gesundheitssystem“.

Pharma-Globalisierung

„Derzeit sehen wir, was geschieht, wenn unsere Daseinsvorsorge globalisiert wird und in der Hand multinationaler Konzerne liegt“, konstatiert der Arzt Dr. med. Bernd Hontschik (siehe auch S. 6-7) in einem Kommentar für die taz. Dieser Prozess setzte 1994 mit der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) ein. Schon ein Jahr später trat Indien bei und warb um die Pharma-Branche. BAYER erhörte den Ruf 1999. Als erster großer Pharmazeutika-Produzent schloss der Konzern in jenem Jahr mit einem indischen Unternehmen einen Vertrag ab. RANBAXY schaffte es, das Interesse des Leverkusener Multis für dessen eigenen – und wegen seiner zahlreichen Nebenwirkungen alles andere als unumstrittenen – Antibiotikum-Inhaltsstoff Ciprofloxacin in einer neuen Formulierung zu wecken. Ein Ciprofloxacin, von dem die PatientInnen nur einmal täglich eine Tablette zu nehmen brauchten – das war dem bundesdeutschen Konzern viel Geld wert. Für die weltweiten Vermarktungsrechte über einen Zeitraum von 20 Jahren zahlte er RANBAXY 65 Millionen Dollar. Und im selben Jahr kaufte die Firma seinem neuen Partner auch die BASICS GmbH, eine Tochter-Gesellschaft für Nachahmer-Produkte ab, um einen Brückenkopf nach Europa zu haben. Allerdings gelang der inzwischen von SUN PHARMACEUTICAL geschluckten Gesellschaft ein solcher Coup wie mit Ciprofloxacin seither nicht mehr. Darum musste sie sich weitgehend auf die Funktion des Zulieferers für Pharma-Konzerne aus den Industrie-Ländern beschränken, was auch für die anderen indischen Hersteller gilt. Zusammen mit Firmen aus China, das seit dem WTO-Beitritt im Jahr 2001 ebenfalls eine große Arznei-Fertigung aufgebaut hat, bilden sie die ersten Glieder in der globalen Wertschöpfungskette von Big Pharma. Mit Slogans wie „Maximale Förderung – minimale Kontrolle“ buhlten sie um Ansiedlungen und hatten Erfolg: Mittlerweile stammen 60 Prozent aller Hilfs- und Wirkstoffe von dort. Europäische Hersteller konnten dem Kostendruck oftmals nicht standhalten und schlossen reihenweise ihre Produktionen. BAYER beispielsweise besitzt nur noch fünf eigene Fabriken zur Herstellung von Arznei-Zwischenstoffen, drei in Deutschland, eine in Spanien und eine in Mexiko. Aber die konkurrenzlos billige Fertigung hat ihren Preis. Zahlen tun den Mensch, Tier und Umwelt. Besonders die Einleitung von antibiotika-haltigen Abwässern in die Flüsse und Seen entfaltet eine fatale Wirkung. Durch die permanente Zufuhr der Substanzen gewöhnen sich die Krankheitserreger nämlich an diese und bilden Resistenzen heraus. Solche „Superbugs“ verbreiten sich nirgendwo auf der Welt so stark wie in Indien. Allein im Jahr 2013 starben dort 58.000 Babys, weil sie sich mit Keimen infiziert hatten, gegen die kein Kraut mehr gewachsen war. Das höchste Risiko stellt dabei einer Untersuchung zufolge, die das Fachjournal The Lancet Planetary Health veröffentlichte, das von BAYER entwickelte Ciprofloxacin dar. Nicht nur das jedoch, was von den Fabriken nach außen dringt, stellt eine Bedrohung dar, auch das, was innen drin geschieht, gibt nicht selten Anlass zur Besorgnis. Immer wieder nämlich fallen die Fertigungsstätten durch fehlerhafte Produkte auf. So lieferte das Unternehmen ZHEJIANG HUAHAI 2018 Chargen des blutdruck-senkenden Wirkstoffs Valsartan aus, die mit der krebserregenden Sub-stanz Nitrosamin verunreinigt waren. Ursache der Kontamination: Die Umstellung auf ein kostengünstigeres, aber fehleranfälligeres Herstellungsverfahren, das die EU-Behörden abgesegnet hatten. In den letzten Monaten gerieten vor allem Husten- und Erkältungssäfte ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In Indonesien starben 200 Kinder, in Gambia 70 und in Usbekistan 20 Mädchen und Jungen an akutem Nierenversagen, weil die von indischen oder indonesischen Herstellern stammenden Präparate giftiges Diethylenglykol und Ethylenglykol enthielten. Die Firmen mussten die Fertigung vorerst einstellen, was sofort Probleme nach sich zog. ZHEJIANG HUAHAI zum Beispiel belieferte allein in Deutschland 16 Unternehmen mit Valsartan, und andere Konzerne, die hätten einspringen können, existierten kaum. Bei anderen Medikamenten verhält es sich in solchen Situationen oder bei Produktionsstörungen ähnlich, denn die Globalisierung frisst auch ihre asiatischen Kinder und dünnt die Zahl der Anbieter immer weiter aus. So gab es bereits 2015 für 23 Antibiotika-Wirkstoffe nur noch einen einzigen Fabrikanten. Aber auch in Europa lichtete sich der Markt. Von den elf Herstellern etwa, die in Deutschland 2010 den Bedarf an Hustensäften auf Paracetamol-Basis deckten, blieb bis heute nur noch ein einziger übrig. Corona ließ die Warenströme dann noch mehr stocken, nicht nur weil die Produktion in chinesischen Werken länger stillstand. Sowohl das Reich der Mitte als auch Indien verhängten nämlich zeitweilig Export-Verbote, um die Arzneimittel-Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung zu sichern. Die Unternehmen, die diese nicht patent-geschützten Standard-Medikamente – die sogenannten Nachahmer-Präparate oder Generika – vertreiben, machen die Rabattverträge der Krankenkassen für die Lage verantwortlich. Diese förderten einen ruinösen Wettbewerb entlang der gesamten Lieferkette, den immer mehr Firmen nicht mehr bestehen könnten, so das Lamento. „Die aktuellen Engpässe sind Folge eines jahrelangen Drucks auf Preise und Herstellungskosten bei Generika“, hält der Verband „Pro Generika“ fest. Allerdings klagt er auf hohem Niveau. STADA etwa konnte den Umsatz mit diesen Mitteln im Geschäftsjahr 2022 um acht Prozent auf 1,4 Milliarden Euro erhöhen. Angesichts dessen teilt auch die BUKO PHARMA-KAMPAGNE die Einschätzung der Lobby-Organisation nicht. Die Lieferengpässe beträfen längst nicht nur die Nachahmer-Arzneien, schon allein deshalb verfange der Vorwurf Richtung Krankenkassen nicht, so der BUKO. Zudem garantierten die langfristigen Vereinbarungen mit AOK & Co. den Herstellern kontinuierliche Einnahmen. „Trotzdem wird eher bei Generika als bei patentgeschützten Medikamenten an der Kostenschraube gedreht“, räumt der BUKO ein: „Mit neuen patentgeschützten Medikamenten lässt sich extrem viel Geld verdienen.“

BAYERs Strategiewechsel

So verlangt BAYER in den USA für die Behandlung mit dem Krebsmittel VITRAKVI die Kleinigkeit von 32.800 Dollar im Monat – zum Vergleich: Der Paracetamol-Fiebersaft für Kinder trägt den Produzenten gerade einmal 1,32 Euro ein. In der Branche hat sich eine veritable Zwei-Klassen-Medizin herausgebildet. Auf der einen Seite stehen die Anbieter der gängigen Pharmazeutika, welche 80 Prozent der Grundversorgung leisten, dafür von den Krankenversicherungen aus ihrem Pillen-Etat aber nur sieben Prozent der Mittel erhalten, und auf der anderen Seite die Pillen-Riesen, die mit ihren – allzu oft nicht gerade Wundermittel-Eigenschaften aufweisenden – Erzeugnissen die restlichen 93 Prozent des Budgets auffressen. Wegen dieser Rendite-Aussichten konzentrieren sich BAYER & Co. mehr und mehr auf die besonders teuren Medikamente. SANOFI hat es sogar schon geschafft, die „Spezialmedizin“ zum umsatzstärksten Bereich des Unternehmens zu machen. Apotheke der Welt wollen die Pillen-Riesen schon lange nicht mehr sein. Einige von ihnen haben ihre Generika-Abteilungen bereits ganz abgestoßen. Auch an der Suche nach den so dringend benötigten neuen Antibiotika-Wirkstoffen haben die Konzerne kein gesteigertes Interesse. „Wir müssen Geld verdienen mit unseren Produkten. Das führt dazu, dass nicht alle Medikamente entwickelt werden, die wir brauchen“, mit diesen Worten umriss der ehemalige BAYER-Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers einmal die politische Ökonomie des Medikamenten-Geschäfts. Der Leverkusener Multi vollzog diesen Strategie-Wechsel hin zu den lukrativen „High priority“-Projekten Anfang der 2000er Jahre. Damals begann er, sich peu à peu von Gebieten wie Atemwegs- und Infektionskrankheiten, Asthma und Urologie zu trennen. Stattdessen legte das Unternehmen den Fokus auf Arzneien gegen Krebs oder seltene Krankheiten und behält den Kurs bis heute bei. „[T]endenziell werden sich die Prioritäten in Richtung hochspezialisierter Therapien verschieben“, sagte Pharma-Chef Stefan Oelrich 2022 dem Handelsblatt. Zu diesem Behufe baut der Global Player etwa in Berlin mit der Charité als Partner und Subventionen in Millionen-Höhe ein Zentrum für Gen- und Zelltherapie auf, das Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch im Februar 2023 dann auch noch als Beleg dafür feierte, dass Deutschland in Sachen „Technologie und Wissenschaft“ immer vorne mit dabei ist. Die Industrie sieht in diesem Rückzug erwartungsgemäß kein Problem. Sie befürchtet jedoch eine Umverteilungsdiskussion innerhalb der Branche. Sie geht deshalb in die Offensive und versucht krampfhaft, eine Verbindung zwischen den fehlenden Hustensäften und den Hightech-Präparaten zu stiften. Der von BAYER gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) erdreistet sich sogar, noch mehr staatliche Unterstützung für Rendite-Projekte wie BAYERs Zentrum für Gen- und Zelltherapie zu fordern. „Innovationskraft am Standort halten und ausbauen“ ist dem VFA zufolge das Gebot der Stunde. „Arzneimittel-Engpässe werden nur dauerhaft vermieden, wenn die Dynamik des Innovationskreislaufs in der Arzneimittel-Entwicklung besser als bisher genutzt wird. Denn: Was bei der Neuentwicklung und Produktion von innovativen Arzneimitteln und Therapien fehlt, wird nie der Regelversorgung mit Generika ankommen“, heißt es in dem 5-Punkte-Plan des Verbands. Und eine Rückabwicklung der globalisierten Pillen-Herstellung kommt für die Firmen auch nicht in Frage. „Vor einer Nationalisierung der Lieferketten kann ich nur warnen“, sagte BAYERs Vorstandsvorsitzender Werner Baumann in einem FAZ-Interview. Dem VFA schwebt eine andere Lösung vor. Es könnte „für Krisenfälle ein Mechanismus zur Bereitstellung von Reserve-Produktion etabliert werden“, deren Kosten natürlich die Bundesregierung trägt. Auch er rät dringend vom Aufbau einer Produktion in Deutschland für alle versorgungsrelevanten Wirkstoffe ab. Allenfalls auf EU-Ebene käme so etwas für die Lobby-Organisation in Frage.

Und die Politik?

Die Lieferengpässe legen die ganze Disfunktionalität des Pharma-Marktes offen. Aber die Politik reagiert hilflos und will der Branche das Leben noch ein wenig leichter machen, obwohl das Arzneimittel-Gesetz den Pillen-Herstellern die Pflicht auferlegt, für „eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung“ ihrer Pharmazeutika zu sorgen. Das 2019 von dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebrachte „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittel-Versorgung“ sah nur ein paar mehr Inspektionen vor Ort in Asien und strengere Transparenz-Regeln vor, was kaum einen Effekt hatte. Sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) startete deshalb einen neuen Versuch, das Problem in den Griff zu bekommen. Mitte Februar präsentierte er den ReferentInnen-Entwurf eines Paragrafen-Werks „zur Bekämpfung von Liefer-Engpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinder-Arzneimitteln“. Dieses nimmt Medikamente für Jungen und Mädchen von den Festbetragsregelungen aus. Bei anderen Präparaten gestattet der Gesetzgeber den pharmazeutischen Unternehmen, um bis zu 50 Prozent über den Festbetrag hinauszugehen. „[E]in beeindruckendes Weihnachtsgeschenk für die Pharma-Unternehmen“ nannte das der „Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung“, als die Pläne im letzten Dezember bekannt wurden. Dafür zahlen müssen die ärmeren Länder. Nach Ansicht des Gesundheitsökonomen Wolfgang Greiner droht diese Regelung nämlich einen „internationalen Überbietungswettbewerb“ loszutreten, aus dem Staaten mit weniger finanziellen Ressourcen schon frühzeitig aussteigen müssen. „Da wäre eine europäische Abstimmung gut gewesen“, sagt er deshalb. Derzeit leidet besonders Belgien unter dem Medikamenten-Mangel. So spricht Olivier Delaere vom Arznei-Großhändler FEBELCO von einer „künstlichen Verknappung“, weil die Hersteller bei ihren Lieferungen Nationen mit fetteren Pillen-Budgets bevorzugen würden. Mit weiteren Präsenten will die Ampelkoalition BAYER & Co. auch dazu bewegen, verstärkt nach den so dringend benötigten neuen Antibiotika zu forschen. Sie stellt ihnen in Aussicht, bei der Einführung dieser Mittel länger als sonst üblich Mondpreise verlangen zu dürfen. Und zur Gewährleistung von mehr Liefersicherheit bei den gängigen Substanzen wie Ciprofloxacin lockt der ReferentInnen-Entwurf bei einer Produktion in Europa mit Rabatten. Gleiches gilt für Krebs-Therapeutika. Zur Begründung führt das Schriftstück nicht mehr länger nur die Anfälligkeiten der sich über den halben Globus erstreckenden Wertschöpfungsketten an, sondern auch geopolitische Überlegungen. Von „strategischen Abhängigkeiten“ ist nun die Rede, die es abzubauen gelte. Etwas verklausuliert heißt es dazu: „Aufgrund globaler Krisen ist ein Umdenken, gerade auch im vergabe-rechtlichen Bereich unerlässlich, um eine Widerstandsfähigkeit der Arzneimittel-Versorgung mit lebensnotwendigen Arzneimitteln gegen solche Ereignisse herzustellen. So ist die Neuregelung mit Bezug zu solchen Staaten erforderlich, mit denen mehr als bloße wirtschaftliche Abkommen bestehen.“ Nämlich politische. Eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zu Partner-Nationen proklamiert das Dokument – „Friendshoring“ lautet der Fachbegriff. Ansonsten bleibt es bei Vorschriften zu einer längeren Lagerhaltung, einer Vereinfachung des Medikamenten-Austausches zwischen den einzelnen Apotheken und der Etablierung eines besseren Frühwarn-Systems. An das Grundproblem eines dysfunktionalen Pharma-Markts wagt sich Gesundheitsministerin Karl Lauterbach (SPD) nicht heran. Im Gegenteil: Er belohnt BAYER & Co. sogar noch für ihre Versäumnisse und macht Millionen-Subventionen locker. Allein die Kosten für die neuen Regelungen zu den Kinder-Arzneien beziffert der Gesetzes-Vorschlag mit rund 160 Millionen Euro. Und zu allem Überfluss ist es auch noch mehr als fraglich, ob das viele Geld helfen kann, die Pharmazeutika-Grundversorgung in Zukunft sicherzustellen.

SWB 02/2023 – BAYERs grüner Ablasshandel

CBG Redaktion

Biete CO2, suche Wald

BAYERs grüner Ablasshandel

Den Kohlendioxid-Ausstoß zu kompensieren, statt ihn zu reduzieren – das ist für die Konzerne seit einiger Zeit das Mittel der Wahl. So will BAYER im Jahr 2022 durch Investments in Waldschutz- und Wiederaufforstungsprojekte 450.000 Tonnen CO2-Emissionen „wiedergutgemacht“ haben. An der Belastbarkeit dieser Zahl bestehen allerdings erhebliche Zweifel.

Von Jan Pehrke

„BAYER will alle eigenen Standorte bis 2030 klimaneutral stellen“, bekundet der Leverkusener Multi seit einigen Jahren in seinen Nachhaltigkeitsberichten. „Aha“, denken da die arglosen LeserInnen, der Konzern will also bald keine Treibhaus-Gase mehr in die Luft zu blasen. Aber weit gefehlt! So ist das nicht gemeint. Die wahre Bedeutung der Ankündigung erschließt sich erst nach der Lektüre des Duden-Eintrages zum Wort „neutralisieren“: „eine Wirkung von etwas durch etwas anderes aufheben.“ Genau dieses strebt der Global Player in Sachen „Klima“ an, er gedenkt die klima-schädlichen Wirkungen seiner Kohlendioxid-Emissionen durch die Unterstützung von klima-freundlichen Vorhaben an anderer Stelle „aufzuheben“. „Unsere eigenen Emissionen (...), die nach der Reduktion durch technische Maßnahmen noch verbleiben und nicht vermeidbar sind (u. a. Treibhausgas-Emissionen aus chemischen Prozessen oder von Geschäftsreisen) werden durch den Kauf von Zertifikaten aus Klimaschutz-Projekten mit anerkannten Qualitätsstandards kompensiert“, schreibt die Aktien-Gesellschaft im Nachhaltigkeitsbericht. 58 Prozent des CO2-Ausstoßes möchte der Global Player auf diese Weise „neutralisieren“. Im Jahr 2022 kamen schon einmal 450.000 Tonnen zusammen, „indem wir beispielsweise in Brasilien, Guatemala, Indonesien, Nicaragua, Peru, Sambia und Simbabwe Projekte zur Wiederaufforstung und zum Waldschutz finanziert haben“. Nur 42 Prozent des Kohlendioxid-Aufkommens plant der Agro-Riese hingegen wirklich zu reduzieren, etwa durch Investitionen in die Sanierung von Produktionsanlagen. Bei dem, was der Spiegel „grüner Ablasshandel“ nennt, werden die Klima-Sünden sofort vergolten, während die Sühne-Leistungen auf sich warten lassen können. Die Bäume wachsen halt nicht in den Himmel. Um eine Tonne Kohlendioxid zu binden, brauchen sie Jahrzehnte. Und es darf auch nichts dazwischenkommen, was in Zeiten des Klimawandels mit seinen die Brandgefahr erhöhenden Trockenheitsperioden alles andere als sicher ist. So fielen in Kalifornien binnen zehn Jahren alle Wälder, welche dem Staat bei seinem Kompensationsprogramm als Reserveflächen dienen sollten, Feuern zum Opfer. Mit den CO2-Zertifikaten erwerben die Konzerne also nur ungedeckte Schecks auf die Zukunft. Zudem setzen die Transaktionen lediglich ein Nullsummenspiel in Gang. Was an einer Stelle der Welt an Treibhaus-Gasen in die Atmosphäre gelangt, neutralisieren an anderer Stelle – mit gehöriger Verspätung – Waldschutz-Projekte oder ähnliche Vorhaben. Ein Anreiz zur Reduktion der Emissionen entsteht so nicht. Im Gegenteil: Das reichhaltige Angebot auf dem Zertifikate-Markt verleitet sogar dazu, weniger Kohlendioxid als nötig einzusparen. Schon im Normalbetrieb taugt dieses Mittel also kaum dazu, zum Stopp des Klimawandels beizutragen. Und selbst dieser Normalbetrieb scheint nach Recherchen von ZEIT, The Guardian und SourceMaterial reine Fiktion zu sein. Der Journalist-Innen-Verbund schaute sich 29 von 87 Waldschutz-Projekten des Unternehmens VERRA einmal genauer an, über das auch der Leverkusener Multi viele seiner Kompensationsgeschäfte abwickelt. Ergebnis: Von „Zertifikaten aus Klimaschutz-Projekten mit anerkannten Qualitätsstandards“, wie BAYERs Nachhaltigkeitsbericht behauptet, kann nicht die Rede sein. „Die Auslegung legt nahe, dass über 90 Prozent der Zertifikate daraus wertlos sind. Ein Haufen Schrott“, schreibt die ZEIT. Auf 89 Millionen Tonnen CO2 belaufen sich die Fehlbuchungen der Zeitung zufolge. Entweder stehen die Wälder gar nicht mehr oder sie ständen auch noch, ohne in den Zertifikate-Handel einbezogen worden zu sein. Überdies hat die Firma VERRA das CO2-Speichervolumen so manches Mal zu hoch angesetzt oder von einem Jahr aufs nächste mal eben um ein paar Millionen Tonnen nach oben korrigiert. Überdies hat sie es mit dem verhinderten Kahlschlag oftmals maßlos übertrieben, indem sie als Vergleichsgebiete vorzugsweise Regionen auswählte, in denen sich wahre Kettensägen-Massaker abspielten. Das Bundeswirtschaftsministerium lehnt Kompensationsdeals dieser Art generell ab: „Waldschutz-Zertifikate sind grundsätzlich klimapolitisch fraglich. Sie repräsentieren keine zusätzlich erreichten Minderungsbeiträge, sondern spekulieren auf vermiedene Emissionen.“ Darum verzichtet die UN auch in dem von ihr 1997 im Rahmen des Kyoto-Protokolls etablierten Ausgleichsmechanismus auf solche Projekte. Damit fanden sich BAYER & Co. aber nicht ab. Sie machten sich 2006 selbst ans Werk und kreierten gemeinsam mit dem Davoser Weltwirtschaftsforum, Industrie-Clubs wie dem „World Business Council for Sustainable Development“ und der „International Emissions Trading Association“ ihren eigenen Standard, der natürlich Waldschutz vorsah und schon bald – wen wundert’s – zum Marktführer avancierte. An diesem Gemeinschaftswerk der Konzerne orientierte sich dann auch VERRA bei der Gründung im Jahr 2007. „Sie alle also schufen VERRA“, konstatiert die Zeit aus diesem Grund. Und dabei beließen es die Unternehmen nicht. So entstand etwa VERRAs Regelwerk VM0004 mit freundlicher Unterstützung von SHELL. Und es ist nicht einmal das beliebteste. Dieser Rang gebührt VM0007. Hier genügt schon die bloße Absicht von WaldbesitzerInnen, Rodungen durchzuführen, um die Zertifikatsdruckmaschine anzuwerfen, wenn sie es sich doch anders überlegen. Deshalb schreibt die Zeit zu den Regeln: „Sie sind das Produkt selbst. Ohne sie ist ein Wald nur ein Wald. Mit ihnen ist der Wald eine Zertifikate-Maschine, die all jene reich macht, die den angeblichen Klimaschutz an Konzerne verkaufen, die so ihre CO2-Bilanz kleinrechnen.“ Die Multis aber machen die Regeln nicht nur teilweise selbst, sie wachen auch noch über ihre Einhaltung. Abgesandte von ihnen bekleiden nämlich zahlreiche Posten in Beratungs- und Aufsichtsgremien des Unternehmens, das sich selbst als weltweit führend beim Setzen von Standards für Klimaschutz-Maßnahmen und nachhaltige Entwicklung bezeichnet. So sitzt etwa Jeffrey Seale von BAYER CROPSCIENCE in der „Agricultural Land Management Working Group“. Ein skandalträchtiges Gebaren, das dank des investigativen Journalismus von Zeit und anderen Organen ein breites Medien-Echo hervorgerufen hat. Das Aufdecken des großen Klimaschutz-Schwindels hat die Praxis von BAYER & Co. desavouriert, sich mittels windiger Projekte von der Last freizukaufen, wirkliche Kohlendioxid-Reduktionsmaßnahmen zu starten. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert den Leverkusener Multi nun auf, sofort alle Geschäftsbeziehungen zu VERRA einzustellen, sich aus dem Kompensationsbusiness zurückzuziehen und eine korrigierte Klima-Bilanz für das Jahr 2022 vorzulegen.

SWB 02/2023 – BAYER schasst Baumann

CBG Redaktion

Aufsichtsrat beruft Bill Anderson als Nachfolger

BAYER schasst Baumann

Der BAYER-Konzern musste sich dem Druck der Investoren beugen und einen neuen Chef bestellen. Allerdings will der Leverkusener Multi nicht alle Wünsche der Hedgefonds erfüllen.

Von Jan Pehrke

„Der Kapitalmarkt hat bekommen, was er gefordert hat“, so kommentierte die FAZ die Entscheidung des BAYER-Aufsichtsrats, den amtierenden Konzern-Chef Werner Baumann vorzeitig abzulösen und zum 1. Juni durch Bill Anderson zu ersetzen. Und wirklich hatten die Hedgefonds darauf gedrungen, Baumann nicht bis zum Ende seines Vertrags bleiben zu lassen, weil sie diesem nicht mehr zutrauten, das Unternehmen aus dem MONSANTO-Tief zu führen. Auch ist Anderson wie gewünscht kein Eigengewächs des Leverkusener Multis, sondern ein US-Amerikaner mit einem Vorleben beim Pillen-Riesen ROCHE und insofern genau der Richtige für die Pläne des Global Players, sein Pharma-Geschäft in den USA massiv auszubauen. Aber viele AkteurInnen wollten noch mehr. Sie hatten an eine externe Lösung auch bestimmte Erwartungen geknüpft, nämlich einen frischen Blick von außen. Einige verbanden damit „eine neue strategische Ausrichtung“, andere wurden konkreter und verlangten die Zerschlagung der jetzigen Unternehmensstruktur mit den drei Sparten „Agrar“, „Pharma“ und „Consumer Health“. „Es gibt absolut keinen Grund, warum diese drei Geschäftsbereiche zusammen sein sollten. Das bringt keine Synergie-Effekte, keine Vorteile“, sagt etwa David Herro von HARRIS ASSOCIATES, BAYERs fünftgrößtem Anteilseigner. Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile – diese Rechnung machten Herro & Co. auf. Auch anderen Unternehmen setzen die sogenannten aktivistischen Investoren mehr und mehr zu. Die Kanzlei Skadden zählte laut FAZ im Dezember 2022 allein in Europa 341 Kampagnen. In dem ganzen zurückliegenden Jahr guckten sich die Fonds 34 bundesdeutsche Aktien-Gesellschaften aus, heuer waren es bis Ende Februar fast schon ebenso viele. Besonders viel verbrannte Erde hinterließen sie in der Vergangenheit bei THYSSENKRUPP und BILFINGER. Der Leverkusener Multi hatte Ähnliches zu befürchten, als 2019 der berühmt-berüchtigte Fonds ELLIOT einstieg. Dieser drang auf eine schnelle Beilegung der Rechtsstreitigkeiten mit den Glyphosat-Geschädigten, um den Agro-Riesen anschließend gewinnbringend filitieren zu können. Aber die Mühlen der Justiz mahlten der Firma zu langsam, deshalb reduzierte sie ihre Beteiligung schließlich erheblich. Die nunmehrigen Aktivisten brachten sich Anfang des Jahres in Stellung. Schon vor der Hauptversammlung am 28. April sollte BAYER liefern. BLUEBELL stieg bei dem Global Player ein und hatte gleich eine To-do-Liste für den Aufsichtsrat dabei. „Machtkampf brutal – Luxus-Manager will ASPIRIN-Boss stürzen“, kommentierte die BILD-Zeitung. Unmittelbar nach dem Coup erhöhte sich der Aktien-Kurs – wie fast immer bei solchen Interventionen – kräftig und band sich damit fest an die Agenda des Vermögensverwalters. Das war auch Sinn der Übung. Bei Zuwiderhandlungen riskiert das Management nämlich jetzt nicht nur BLUEBELL zu brüskieren, sondern zugleich alle AktionärInnen, die von dem Höhenflug profitierten. Die Fonds „wollen rasche, kapitalmarkt-relevante Ergebnisse sehen“, resümierte die Wirtschaftswoche, und riet ihren LeserInnen, auf den Zug aufzuspringen. „Setzen sie sich durch, macht sich das im Aktien-Kurs der betroffenen Unternehmen oft positiv bemerkbar. Für Anleger kann es sich daher lohnen, sich an Aktivisten dranzuhängen und einzusteigen, wo auch diese investieren“, so das Blatt. INCLUSIVE CAPITAL PARTNERS (ICP) erwarben im letzten Monat ebenfalls BAYER-Anteile und gaben sich etwas bescheidener. „Die ultimative Zerschlagung des Unternehmens ist unserer Meinung nach nicht notwendig, um (...) Werte zu schaffen. Aber sie muss auf dem Tisch liegen“, sagte Gründer Jeffrey Ubben der Financial Times. Dafür nominierte der aktivistische Investor sich gleich mal selbst als Aufsichtsrat-Kandidat, und einen Wahlverein hatte er auch schon am Start. Er bestand neben HARRIS ASSOCIATES aus dem Singapurer Staatsfonds TEMASEK, der dem Leverkusener Multi bereits im letzten Jahr Kopfschmerzen bereitete. Er hatte Werner Baumann zum Rapport einbestellt, ihn für zu leicht befunden und dann bei der Hauptversammlung gegen seine Entlastung gestimmt. Ende Januar hatte Ubben dann sein „Vorstellungsgespäch“ bei Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann. Der jedoch beschied dem US-Amerikaner laut Manager Magazin, für dieses Jahr nichts mehr frei zu haben. Alternativ dazu berief er ihn in den BAYER-Nachhaltigkeitsrat, der zweimal im Jahr tagt. Ubben nahm dankend an, wollte sich damit aber nicht abspeisen lassen. Ein Sitz im Nachhaltigkeitsrat und einer im Aufsichtsrat schlössen sich doch nicht gegenseitig aus, bekundete er. In der Chefsache zumindest meldete der Oberaufseher am 8. Februar Vollzug. Winkeljohann präsentierte den US-Amerikaner Bill Anderson als Nachfolger von Werner Baumann. „Der Auftrag von Bill Anderson ist klar: BAYER soll sein ganzes Potenzial entfalten und nachhaltigen Wert für unsere Aktionäre, Landwirte, Patienten, Verbraucher, Beschäftigte und alle Stakeholder des Unternehmens schaffen“, erklärte Winkeljohann. Der ehemalige ROCHE-Manager Anderson bekannte sich ebenfalls zum 3-Säulen-Modell, denn ein Einsatz für den Erhalt dieser Struktur gehört zu seiner Stellenbeschreibung. „Anderson soll diesen Kampf für Winkeljohann gewinnen. BAYER soll unter seiner Ägide im Wesentlichen bleiben, was es heute ist: ein Konglomerat aus roten und grünen Biotech-Firmen“, schreibt das Manager Magazin. Bereits in seinen ersten Statements kündigte der US-Amerikaner dann auch bahnbrechende Innovationen „in den Bereichen Landwirtschaft, Pharma und Consumer Health“ an. Nicht zuletzt wegen dieser Haltung begrüßten die Gewerkschaften seine Verpflichtung. Heike Haus-feld, die Gesamtbetriebsratsvorsitzende stimmte der Personalie im Aufsichtsrat ebenso zu wie Francesco Grioli von der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE und die anderen Beschäftigten-Vertreter. Hausfeld etwa lobte Anderson für das in den Gesprächen deutlich gewordene „Verantwortungsbewusstsein für die Belegschaft“. Grioli sah sich der Presse gegenüber trotzdem noch einmal zu einem eindeutigen Statement genötigt: „Aus Sicht der Beschäftigten ist BAYER mit seinen drei Standbeinen genau richtig aufgestellt für die Herausforderungen der Zukunft. Die Transformation der Industrie bewältigt man nur mit einer Unternehmenspolitik, die auf Risiko-Streuung und Nachhaltigkeit beruht – und nicht auf Hedgefonds-Aktivismus.“ Dafür erhält BAYER auch den Beistand der Ampel-Koalition. So hatte der Staatssekretär – und ehemaliger Co-Vorsitzender von GOLDMAN SACHS DEUTSCHLAND – Jörg Kukies den TEMASEK-Emissär Uwe Krüger ins Kanzleramt einbestellt und ihm laut Manager Magazin klargemacht, dass eine Aufspaltung von BAYER keinesfalls im Sinne der Bundesregierung wäre. Aus der Welt ist das Thema damit aber trotzdem nicht. Deshalb bleibt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN weiter dran. Aber weit davon entfernt, lediglich die alten Strukturen zu verteidigen, behält sie dabei stets ihr übergeordnetes Ziel im Auge: Für mehr Umweltschutz und sichere Arbeitsplätze!

SWB 02/2023 – BAYERs Bomben-Bilanz

CBG Redaktion

Ergebnis legte auf über vier Milliarden Euro zu

BAYERs Bomben-Bilanz

Ende Februar 2023 konnte der BAYER-Konzern seinen AktionärInnen auf der Bilanz-Pressekonferenz für das abgelaufene Geschäftsjahr „trotz der widrigen Rahmenbedingungen“ eine exorbitante Rendite-Steigerung präsentieren. Entsprechend schlecht fielen die gleichzeitig vorgelegten Zahlen in Sachen „Umweltbelastung“ aus.

Von Jan Pehrke

„2022 war trotz der widrigen Rahmenbedingungen für BAYER ein sehr erfolgreiches Jahr“, hielt der Noch-Vorstandsvorsitzende Werner Baumann am 28. Februar 2023 anlässlich der Bilanz-Pressekonferenz des Leverkusener Multis fest. Der Umsatz stieg um 8,7 Prozent auf 50,7 Milliarden Euro, und das Konzern-Ergebnis vervierfachte sich sogar. Von einer Milliarde Euro auf 4,15 Milliarden Euro kletterte es. Zu einem nicht geringen Teil kommen diese guten Zahlen gerade wegen der widrigen Rahmenbedingungen zustande, profitiert doch die gesamte Agro-Branche von der Mangellage auf dem Nahrungsmittel-Sektor im Zuge des Ukraine-Krieges. Diese führt nämlich zu einer höheren Nachfrage und entsprechend höheren Preisen. Es ist also mehr Geld im Spiel, was globalen Agrarrohstoff-Händlern wie Cargill, Landmaschinen-Herstellern wie John Deere und eben auch BAYER nützt, weil die LandwirtInnen mehr Pestizide und Saatgut kaufen.

Die Geschäftsbilanz

Die Landwirtschaftssparte steigerte ihren Umsatz um satte 15,6 Prozent auf 25,2 Milliarden Euro. Eine „außergewöhnlich starke Geschäftsentwicklung bei Crop Science“, vermeldete der Global Player: „Preissteigerungen in allen Regionen überkompensierten dabei geringere Anbau-Flächen in Nordamerika sowie niedrigere Lizenz-Einnahmen.“ Besonders gut lief es bei den Herbiziden „durch Preissteigerungen aufgrund von Versorgungsengpässen für glyphosat-haltige Produkte im Markt“. Rund zwei Milliarden zusätzlich spülte das von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „wahrscheinlich krebserregend bei Menschen“ eingestufte Pestizid so in die Kassen der Aktien-Gesellschaft. Der Umsatz der Pharma-Sparte erhöhte sich dagegen „nur“ um 1,1 Prozent auf 19,2 Milliarden Euro. Von „Gegenwind bei einigen etablierten Medikamenten“ sprach Baumann. So waren einige Länder wie China und Großbritannien nicht mehr bereit, Mondpreise für den Gerinnungshemmer XARELTO zu bezahlen, während Brasilien das Patentrecht änderte und die sonst üblichen Fristverlängerungen nicht mehr gewährte. Deshalb sanken die XARELTO-Einnahmen um sechs Prozent auf 4,5 Milliarden Euro. Besser lief es dagegen bei „Consumer Health“. Die Sparte mit ASPIRIN & Co. legte im Vergleich zum Vorjahr um über acht Prozent auf 6,1 Milliarden Euro zu. Das Statement der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zu diesem Geld-Regen ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „In einer Zeit, da die Bevölkerung hierzulande unter einer immensen Inflation leidet, der globale Süden unter einer Nahrungsmittel-Krise ächzt und immer mehr Länder vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, will der BAYER-Konzern die Dividende um 20 Prozent anheben, weil er enorme Profite eingefahren hat. Das stinkt zum Himmel“, erklärte sie und forderte eine Übergewinn-Steuer.

Die Öko-Bilanz

So gut die Geschäftsbilanz ausfällt, so schlecht steht es um die Ökobilanz, und dazwischen besteht ein Zusammenhang: Der Topseller Glyphosat ist neben vielem anderen nämlich auch ein Top-Klimakiller. Der gesamte Fertigungsprozess verschlingt massig Energie und verursacht auf diese Weise einen hohen Kohlendioxid-Ausstoß. Auf eine Betriebstemperatur von 1500° muss sich etwa der Ofen am US-Standort Soda Springs erhitzen, um aus Phosphorit das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor herauszulösen. Darum hat das Herbizid einen gehörigen Anteil an BAYERs Kohlendioxid-Emissionen von 3,03 Millionen Tonnen im zurückliegenden Jahr. „Besonders energie-intensiv ist unsere Rohstoff-Gewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science“, heißt es dazu etwas verklausuliert im parallel zum Geschäftsbericht veröffentlichten Nachhaltigkeitsbericht. Seit Jahren verlangt die CBG, diese Risiken und Nebenwirkungen der Glyphosat-Herstellung zu minimieren. Aber vor Ort geschieht nichts. Anderswo hingegen wird gehandelt. Über „strengere Umweltauflagen in China für die Produktion von Rohstoffen für das Mittel“, informierte etwa das Manager Magazin jüngst. Und da diese Maßnahmen mit zu der Glyphosat-Verknappung und den entsprechenden Preis-Steigerungen beitrugen, sorgten sie perverserweise auch noch für die Extra-Profite, die der Leverkusener Multi mit dem Herbizid machte. Aber nicht nur die CO2-Werte geben Anlass zur Beunruhigung. Die anderen Umwelt-Parameter fallen auch nicht besser aus. So blies der Agro-Riese mehr ozon-abbauene Substanzen, flüchtige organische Verbindungen und Staub in die Luft. In die Gewässer leitete er mehr Phosphor und mehr Schwermetalle ein. Und gefährlicher Abfall entstand ebenfalls in größeren Mengen als im Jahr 2021.

Die juristische Bilanz

Neben den Bilanz- und den Umweltzahlen muss der Global Player seinen Aktionär-Innen seit geraumer Zeit zusätzlich noch diejenigen zu den juristischen Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat – die gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen interessieren diese herzlich wenig – vorlegen. Jene besitzen ob ihres Ausmaßes nämlich Kapitalmarkt-Relevanz. Und hier vermochte der Vorstandsvorsitzende nichts Positives zu vermelden. 154.000 Klagen von Geschädigten des Pestizides haben sich angesammelt, davon sind rund 45.000 noch offen. Dementsprechend zerknirscht gab sich Werner Baumann. Der Agro-Riese sei, wie die gesamte Branche, letzlich der Gnade der „Klage-Industrie“ in den Vereinigten Staaten ausgeliefert, lamentierte er. „Das ist ein ziemliches Problem für alle Unternehmen. Es kann jedes treffen“, so Baumann. Nicht allein deshalb vermochten sich die Finanzmarkt-AkteurInnen nicht so recht über die Milliarden-Gewinne freuen. Ihnen machte vor allem der Ausblick für die kommenden Monate Sorgen, weil die Vorstände „bei den Preisen für glyphosat-basierte Herbizide Gegenwind erwarten“. Mit einem Einnahme-Verlust von rund 900 Millionen Euro rechnen die Manager-Innen infolgedessen und haben auch nichts im Köcher, um das aufzufangen. „Im Ergebnis können wachstumsgetriebene Margen-Beiträge und positive Effekte aus den laufenden Effizienz-Programmen die erwarteten Preis-Rückgänge sowie die unverändert hohen inflationsgetriebenen Kosten-Steigerungen nicht kompensieren“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Die Reaktion ließ dann nicht lange auf sich warten. „Die BAYER-Papiere gerieten am Morgen deutlich unter Druck. Zuletzt notierten die Aktien mit einem Minus von mehr als vier Prozent bei 56,60 Euro“, ließ das Manager Magazin wissen. Die eingetrübten Profit-Aussichten dürften auch auf der Hauptversammlung des Agro-Riesen am 28. April auf die Tagesordnung kommen. Die Coodination gegen Bayer-Gefahren wird jedoch dafür sorgen, dass auch noch andere Themen auf die Agenda gelangen.

SWB 02/2023 – Heile und Herrsche!

CBG Redaktion

Ein Buch über die Gesundheitsherrschaft von BAYER & Co.

Heile und Herrsche!

Der Chirurg Bernd Hontschik beschreibt in „Heile und Herrsche! – Eine gesundheitspolitische Tragödie“ detailliert das zum Profitsystem degenerierte Gesundheitssystem.

Von Hans See Bernd Hontschik, Chirurg, Buchautor und Kolumnist der Frankfurter Rundschau, gehört unter den KritikerInnen des Gesundheitswesens zur seltenen Spezies derer, die es – noch oder wieder? – wagen, im Kontext ihrer Analysen an den genialen Karl Marx zu erinnern, der das bis heute intellektuell und politisch realistischste und somit auch wirksamste Instrumentarium systematischer Kapitalismuskritik geschaffen hat. Das Gesundheitswesen, das nach Hontschik längst zur Gesundheitswirtschaft verkommen ist, ist nun einmal ein zentraler Bestandteil des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Doch Hontschik ist zu klug, um in seinen kritischen Schriften die rituellen Versatzstücke der einstigen Klassenkampfrhetorik zu bemühen, ohne die mensch in den 1970er Jahren, die im Zeichen der sozialliberalen Reformpolitik standen, gar nicht zur Kenntnis genommen worden wäre. Er macht, was schon der junge Marx machte: Er beschreibt präzise und analysiert knallhart die herrschenden Verhältnisse, ganz im Sinne der Marx-Losung: „Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“ Das ist auch die Methode Hontschik: In glasklarer Sprache, für die „NormalbürgerInnen“ leicht verständlich, schildert er, was in den vergangenen Jahrzehnten unter Lösungen wie Privatisierung und Digitalisierung aus dem Gesundheitswesen gemacht worden ist: eine Gelddruckmaschine für Investoren, eine standardisierte und kapitaldominierte Gesundheitswirtschaft, die völlig aus dem Ruder läuft, weil deren Entwicklung fast nur noch von ShareholderInnen, Benchmark-Systemen und Aktienkursen vorgegeben wird. Maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung war und ist die Pharmaindustrie. Über diese schreibt Hontschik: „Es gibt kein Verbrechen, dessen sich die Pharmaindustrie noch nicht schuldig gemacht hat. Manipulation oder Unterdrückung von Studiendaten, gekaufte Wissenschaftler, Erpressung, Verleumdung und Menschenversuche mit katastrophalem Ausgang – alles ist längst bekannt“ (S.73). Die Liste ist viel länger. Er geht noch einmal – nahezu lexikonartig – die größten dieser Verbrechen durch. Er erinnert uns an Contergan, Glyphosat, Babypuder, usw. usw. Am Ende lässt er auch die Impfstoffproduzenten nicht aus, die auf die Politik einen juristisch noch nicht aufgearbeiteten, aber längst als zumindest illegitim durchschauten Einfluss nahmen. Hontschik spricht von Korruption und Interessenkonflikten, von „lukrativen Geschäftverbindungen zwischen Virologen, Testherstellern und Impfstoffproduzenten“. Und wer erinnerte sich nicht an die illegalen Geschäfte mit den Masken, die Hontschik gar nicht mal erwähnt. Die ImpflobbyistInnen – ich, der viermal Geimpfte und dann doch noch Erkrankte, nannte sie von Anfang an „Impferialisten“ – kassierten unfassbare Summen an Staatsgeldern, befreiten sich vertraglich von jeglicher Haftung und verhängten Pa-tentblockaden zu Lasten der armen Länder des globalen Südens. Hontschik diagnostiziert, dass die Corona-Pandemie etwas sichtbar gemacht hat, was er als Weiterentwicklung der Gesundheitswirtschaft deutet: Die Gesundheitsherrschaft. Was ist Gesundheitsherrschaft? Nach Hontschik entwickelt sich aus dem Missbrauch der Medizin die Gesundheitsherrschaft, welche die Grenzen des vertretbaren Eingriffs und der Grundrechte weit überschreitet. Und aus dieser entsteht dann nahezu unbemerkt ein die kapitalistische Demokratie selbst gefährdendes Herrschaftsinstrument. Die Wurzel allen Übels im Gesundheitswesen erkennt Hontschik darin, dass „eine Gesellschaft ihren Reichtum nicht mehr für das Funktionieren ihrer Sozialsysteme, sondern die Sozialsysteme in Quellen neuen Reichtums für Kapitalgesellschaften verwandelt…“ (S. 116). Diese Fehlentwicklung ist aber nichts als die logische Konsequenz der gesamten kapitalistischen Entwicklung, die nun einmal alles kapitalisiert, was kapitalisierbar ist, um die Renditen zu sichern und zu erhöhen. Was ist aber – neben dem lukrativen Friedensversprechen der Rüstungswirtschaft – renditeträchtiger als das Gesundheitsversprechen, das die Medizin ja nicht nur den PatientInnen, sondern auch dem gesunden Menschen, der gesund bleiben, sogar möglichst gesund sterben möchte, hauptsächlich in Form von Medikamenten nun einmal gibt. Für ihre Gesundheit geben die Menschen, falls sie eines haben, ihr ganzes Vermögen aus. Einen Abschnitt seines Buches nutzt der Autor, um seine Philosophie zu erläutern, seinen Standort in diesem System und sein Verhältnis zur Wissenschaft zu bestimmen. Hierbei rekurriert er auf den Arzt und Denker Thure von Uexküll (nicht zu verwechseln mit dem Stifter des Alternativen Nobelpreises Jakob von Uexküll), der für eine „inte-grierte Medizin“ steht und damit für ein Gesundheitswesen, in dem Medizin als „empathische Humanwissenschaft“ verstanden wird. Mit dieser Darlegung seines eigenen Grundverständnisses der Medizin richtet Bernd Hontschik auch einen Appell an die MedizinerInnen, die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft und die Medien, leider – aber verständlicherweise – nicht an die Gewerkschaften, die die GesundheitsreformerInnen, zu denen auch ich gehörte, Anfang der 1970er Jahre noch mit Stolz als ihre engsten Verbündeten betrachten durften. Ein Buch, das alle, vor allem jedoch diejenigen, die jetzt die versprochenen Reformen des Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) kritisch begleiten, auch die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten der Gesundheitswirtschaft, lesen sollten, damit Proteste und Resultate nicht – wie schon so oft – zu Rohrkrepierern werden. Bernd Hontschik, Heile und Herrsche! Eine gesundheitspolitische Tragödie, Westend Verlag, 144 Seiten, 18 Euro

SWB 02/2023 – BAYERs Lieferengpässe

CBG Redaktion

Immer mehr Medikamente nicht erhältlich

BAYERs Lieferengpässe

Die Globalisierung der Wertschöpfungsketten im Pharma-Bereich gefährdet die Arzneimittel-Versorgung. Die Anzahl der Lieferengpässe steigt kontinuierlich. Auch BAYER-Medikamente fehlen den Apotheken immer wieder.

Von Jan Pehrke

„BAYER stellt in der Arzneimittel-Herstellung hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit und unumstrittene Qualität seiner pharmazeutischen Produkte. Den ununterbrochenen Zugang von Patienten und Kunden zu unseren Produkten aufrechtzuerhalten, hat für uns oberste Priorität. Unser weltweites Produktionsnetzwerk ist hier nachweisbar sehr erfolgreich“, erklärte der Leverkusener Multi im Herbst letzten Jahres und ließ gleich ein „Aber“ folgen. „Dennoch können in einzelnen Fällen aus unterschiedlichen Gründen Lieferengpässe auftreten. Insbesondere im Rahmen der weltweiten Pandemie ergeben sich besondere Herausforderungen in der Beschaffung und Versorgung mit Roh- oder Hilfsstoffen sowie Personalmangel in der Produktion oder bei der Aufrechterhaltung von Lieferketten“, erklärte der Pharma-Riese. Auch eine erhöhte Nachfrage nach bestimmten Pharmazeutika und die aktuellen „politischen und wirtschaftlichen Spannungen“ nennt er als Gründe für „die angespannte Liefer-Situation“. 2023 betraf diese bisher ASPIRIN in den unterschiedlichen Darreichungsformen, das Herz/Kreislauf-Präparat NIMOTOP, das Magenmittel IBEROGAST und einige Kosmetika-Produkte. In den vergangenen Jahren standen der Gerinnungshemmer XARELTO, die Salben BEPANTHEN und ADVATAN, das Schmerz-Medikament ALKA SELTZER, die Malaria-Arznei RESOCHIN, das Krebs-Therapeutikum XOFIGO, das Kontrazeptivum YASMINELLE, das Bluthochdruck-Pharmazeutikum BAYOTENSIN sowie das pflanzliche Produkt LAIF zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen zeitweise nicht mehr zur Verfügung. Bei den anderen Herstellern sieht es ähnlich aus. Über 400 Lieferengpässe meldete das „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ im März 2023. „Wir haben eigentlich gar keine Medikamente mehr für Kinder“, schlug eine Apothekern kurz vor Weihnachten in der Rheinischen Post angesichts fehlender Fiebersäfte und Zäpfchen Alarm. Und die Präsidentin der „Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände“, Gabriele Regina Overwiening, bestätigte den Befund: „Lieferengpässe von lebenswichtigen Medikamenten – ob Blutdrucksenker, Magensäure-Blocker, Antibiotika oder Schmerzmittel – gehören leider seit Jahren zu den größten Ärgernissen und Herausforderungen im Apotheken-Alltag.“ Von den 100 Millionen Rezepten, welche Apotheken in Nordrhein-Westfalen jährlich erhalten, ist mittlerweile jedes zweite von einem Engpass betroffen, so Thomas Preis vom Apotheken-Verband Nordrhein. Vor „große Probleme“ stellt das nach den Worten von Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft, auch die Hospitäler. Ihnen mangelte es vor allem an Notfall-Medikamenten, Antibiotika und Krebspräparaten. Von einem „Armutszeugnis“ sprach angesichts dieser Lage der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und JugendärztInnen, Thomas Fischbach. Und die Rheinische Post resümierte in einem Kommentar: „Krankes Gesundheitssystem“. Pharma-Globalisierung „Derzeit sehen wir, was geschieht, wenn unsere Daseinsvorsorge globalisiert wird und in der Hand multinationaler Konzerne liegt“, konstatiert der Arzt Dr. med. Bernd Hontschik (siehe auch S. 6-7) in einem Kommentar für die taz. Dieser Prozess setzte 1994 mit der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) ein. Schon ein Jahr später trat Indien bei und warb um die Pharma-Branche. BAYER erhörte den Ruf 1999. Als erster großer Pharmazeutika-Produzent schloss der Konzern in jenem Jahr mit einem indischen Unternehmen einen Vertrag ab. RANBAXY schaffte es, das Interesse des Leverkusener Multis für dessen eigenen – und wegen seiner zahlreichen Nebenwirkungen alles andere als unumstrittenen – Antibiotikum-Inhaltsstoff Ciprofloxacin in einer neuen Formulierung zu wecken. Ein Ciprofloxacin, von dem die PatientInnen nur einmal täglich eine Tablette zu nehmen brauchten – das war dem bundesdeutschen Konzern viel Geld wert. Für die weltweiten Vermarktungsrechte über einen Zeitraum von 20 Jahren zahlte er RANBAXY 65 Millionen Dollar. Und im selben Jahr kaufte die Firma seinem neuen Partner auch die BASICS GmbH, eine Tochter-Gesellschaft für Nachahmer-Produkte ab, um einen Brückenkopf nach Europa zu haben. Allerdings gelang der inzwischen von SUN PHARMACEUTICAL geschluckten Gesellschaft ein solcher Coup wie mit Ciprofloxacin seither nicht mehr. Darum musste sie sich weitgehend auf die Funktion des Zulieferers für Pharma-Konzerne aus den Industrie-Ländern beschränken, was auch für die anderen indischen Hersteller gilt. Zusammen mit Firmen aus China, das seit dem WTO-Beitritt im Jahr 2001 ebenfalls eine große Arznei-Fertigung aufgebaut hat, bilden sie die ersten Glieder in der globalen Wertschöpfungskette von Big Pharma. Mit Slogans wie „Maximale Förderung – minimale Kontrolle“ buhlten sie um Ansiedlungen und hatten Erfolg: Mittlerweile stammen 60 Prozent aller Hilfs- und Wirkstoffe von dort. Europäische Hersteller konnten dem Kostendruck oftmals nicht standhalten und schlossen reihenweise ihre Produktionen. BAYER beispielsweise besitzt nur noch fünf eigene Fabriken zur Herstellung von Arznei-Zwischenstoffen, drei in Deutschland, eine in Spanien und eine in Mexiko. Aber die konkurrenzlos billige Fertigung hat ihren Preis. Zahlen tun den Mensch, Tier und Umwelt. Besonders die Einleitung von antibiotika-haltigen Abwässern in die Flüsse und Seen entfaltet eine fatale Wirkung. Durch die permanente Zufuhr der Substanzen gewöhnen sich die Krankheitserreger nämlich an diese und bilden Resistenzen heraus. Solche „Superbugs“ verbreiten sich nirgendwo auf der Welt so stark wie in Indien. Allein im Jahr 2013 starben dort 58.000 Babys, weil sie sich mit Keimen infiziert hatten, gegen die kein Kraut mehr gewachsen war. Das höchste Risiko stellt dabei einer Untersuchung zufolge, die das Fachjournal The Lancet Planetary Health veröffentlichte, das von BAYER entwickelte Ciprofloxacin dar. Nicht nur das jedoch, was von den Fabriken nach außen dringt, stellt eine Bedrohung dar, auch das, was innen drin geschieht, gibt nicht selten Anlass zur Besorgnis. Immer wieder nämlich fallen die Fertigungsstätten durch fehlerhafte Produkte auf. So lieferte das Unternehmen ZHEJIANG HUAHAI 2018 Chargen des blutdruck-senkenden Wirkstoffs Valsartan aus, die mit der krebserregenden Sub-stanz Nitrosamin verunreinigt waren. Ursache der Kontamination: Die Umstellung auf ein kostengünstigeres, aber fehleranfälligeres Herstellungsverfahren, das die EU-Behörden abgesegnet hatten. In den letzten Monaten gerieten vor allem Husten- und Erkältungssäfte ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In Indonesien starben 200 Kinder, in Gambia 70 und in Usbekistan 20 Mädchen und Jungen an akutem Nierenversagen, weil die von indischen oder indonesischen Herstellern stammenden Präparate giftiges Diethylenglykol und Ethylenglykol enthielten. Die Firmen mussten die Fertigung vorerst einstellen, was sofort Probleme nach sich zog. ZHEJIANG HUAHAI zum Beispiel belieferte allein in Deutschland 16 Unternehmen mit Valsartan, und andere Konzerne, die hätten einspringen können, existierten kaum. Bei anderen Medikamenten verhält es sich in solchen Situationen oder bei Produktionsstörungen ähnlich, denn die Globalisierung frisst auch ihre asiatischen Kinder und dünnt die Zahl der Anbieter immer weiter aus. So gab es bereits 2015 für 23 Antibiotika-Wirkstoffe nur noch einen einzigen Fabrikanten. Aber auch in Europa lichtete sich der Markt. Von den elf Herstellern etwa, die in Deutschland 2010 den Bedarf an Hustensäften auf Paracetamol-Basis deckten, blieb bis heute nur noch ein einziger übrig. Corona ließ die Warenströme dann noch mehr stocken, nicht nur weil die Produktion in chinesischen Werken länger stillstand. Sowohl das Reich der Mitte als auch Indien verhängten nämlich zeitweilig Export-Verbote, um die Arzneimittel-Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung zu sichern. Die Unternehmen, die diese nicht patent-geschützten Standard-Medikamente – die sogenannten Nachahmer-Präparate oder Generika – vertreiben, machen die Rabattverträge der Krankenkassen für die Lage verantwortlich. Diese förderten einen ruinösen Wettbewerb entlang der gesamten Lieferkette, den immer mehr Firmen nicht mehr bestehen könnten, so das Lamento. „Die aktuellen Engpässe sind Folge eines jahrelangen Drucks auf Preise und Herstellungskosten bei Generika“, hält der Verband „Pro Generika“ fest. Allerdings klagt er auf hohem Niveau. STADA etwa konnte den Umsatz mit diesen Mitteln im Geschäftsjahr 2022 um acht Prozent auf 1,4 Milliarden Euro erhöhen. Angesichts dessen teilt auch die BUKO PHARMA-KAMPAGNE die Einschätzung der Lobby-Organisation nicht. Die Lieferengpässe beträfen längst nicht nur die Nachahmer-Arzneien, schon allein deshalb verfange der Vorwurf Richtung Krankenkassen nicht, so der BUKO. Zudem garantierten die langfristigen Vereinbarungen mit AOK & Co. den Herstellern kontinuierliche Einnahmen. „Trotzdem wird eher bei Generika als bei patentgeschützten Medikamenten an der Kostenschraube gedreht“, räumt der BUKO ein: „Mit neuen patentgeschützten Medikamenten lässt sich extrem viel Geld verdienen.“

BAYERs Strategiewechsel

So verlangt BAYER in den USA für die Behandlung mit dem Krebsmittel VITRAKVI die Kleinigkeit von 32.800 Dollar im Monat – zum Vergleich: Der Paracetamol-Fiebersaft für Kinder trägt den Produzenten gerade einmal 1,32 Euro ein. In der Branche hat sich eine veritable Zwei-Klassen-Medizin herausgebildet. Auf der einen Seite stehen die Anbieter der gängigen Pharmazeutika, welche 80 Prozent der Grundversorgung leisten, dafür von den Krankenversicherungen aus ihrem Pillen-Etat aber nur sieben Prozent der Mittel erhalten, und auf der anderen Seite die Pillen-Riesen, die mit ihren – allzu oft nicht gerade Wundermittel-Eigenschaften aufweisenden – Erzeugnissen die restlichen 93 Prozent des Budgets auffressen. Wegen dieser Rendite-Aussichten konzentrieren sich BAYER & Co. mehr und mehr auf die besonders teuren Medikamente. SANOFI hat es sogar schon geschafft, die „Spezialmedizin“ zum umsatzstärksten Bereich des Unternehmens zu machen. Apotheke der Welt wollen die Pillen-Riesen schon lange nicht mehr sein. Einige von ihnen haben ihre Generika-Abteilungen bereits ganz abgestoßen. Auch an der Suche nach den so dringend benötigten neuen Antibiotika-Wirkstoffen haben die Konzerne kein gesteigertes Interesse. „Wir müssen Geld verdienen mit unseren Produkten. Das führt dazu, dass nicht alle Medikamente entwickelt werden, die wir brauchen“, mit diesen Worten umriss der ehemalige BAYER-Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers einmal die politische Ökonomie des Medikamenten-Geschäfts. Der Leverkusener Multi vollzog diesen Strategie-Wechsel hin zu den lukrativen „High priority“-Projekten Anfang der 2000er Jahre. Damals begann er, sich peu à peu von Gebieten wie Atemwegs- und Infektionskrankheiten, Asthma und Urologie zu trennen. Stattdessen legte das Unternehmen den Fokus auf Arzneien gegen Krebs oder seltene Krankheiten und behält den Kurs bis heute bei. „[T]endenziell werden sich die Prioritäten in Richtung hochspezialisierter Therapien verschieben“, sagte Pharma-Chef Stefan Oelrich 2022 dem Handelsblatt. Zu diesem Behufe baut der Global Player etwa in Berlin mit der Charité als Partner und Subventionen in Millionen-Höhe ein Zentrum für Gen- und Zelltherapie auf, das Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch im Februar 2023 dann auch noch als Beleg dafür feierte, dass Deutschland in Sachen „Technologie und Wissenschaft“ immer vorne mit dabei ist. Die Industrie sieht in diesem Rückzug erwartungsgemäß kein Problem. Sie befürchtet jedoch eine Umverteilungsdiskussion innerhalb der Branche. Sie geht deshalb in die Offensive und versucht krampfhaft, eine Verbindung zwischen den fehlenden Hustensäften und den Hightech-Präparaten zu stiften. Der von BAYER gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) erdreistet sich sogar, noch mehr staatliche Unterstützung für Rendite-Projekte wie BAYERs Zentrum für Gen- und Zelltherapie zu fordern. „Innovationskraft am Standort halten und ausbauen“ ist dem VFA zufolge das Gebot der Stunde. „Arzneimittel-Engpässe werden nur dauerhaft vermieden, wenn die Dynamik des Innovationskreislaufs in der Arzneimittel-Entwicklung besser als bisher genutzt wird. Denn: Was bei der Neuentwicklung und Produktion von innovativen Arzneimitteln und Therapien fehlt, wird nie der Regelversorgung mit Generika ankommen“, heißt es in dem 5-Punkte-Plan des Verbands. Und eine Rückabwicklung der globalisierten Pillen-Herstellung kommt für die Firmen auch nicht in Frage. „Vor einer Nationalisierung der Lieferketten kann ich nur warnen“, sagte BAYERs Vorstandsvorsitzender Werner Baumann in einem FAZ-Interview. Dem VFA schwebt eine andere Lösung vor. Es könnte „für Krisenfälle ein Mechanismus zur Bereitstellung von Reserve-Produktion etabliert werden“, deren Kosten natürlich die Bundesregierung trägt. Auch er rät dringend vom Aufbau einer Produktion in Deutschland für alle versorgungsrelevanten Wirkstoffe ab. Allenfalls auf EU-Ebene käme so etwas für die Lobby-Organisation in Frage.

Und die Politik?

Die Lieferengpässe legen die ganze Disfunktionalität des Pharma-Marktes offen. Aber die Politik reagiert hilflos und will der Branche das Leben noch ein wenig leichter machen, obwohl das Arzneimittel-Gesetz den Pillen-Herstellern die Pflicht auferlegt, für „eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung“ ihrer Pharmazeutika zu sorgen. Das 2019 von dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebrachte „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittel-Versorgung“ sah nur ein paar mehr Inspektionen vor Ort in Asien und strengere Transparenz-Regeln vor, was kaum einen Effekt hatte. Sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) startete deshalb einen neuen Versuch, das Problem in den Griff zu bekommen. Mitte Februar präsentierte er den ReferentInnen-Entwurf eines Paragrafen-Werks „zur Bekämpfung von Liefer-Engpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinder-Arzneimitteln“. Dieses nimmt Medikamente für Jungen und Mädchen von den Festbetragsregelungen aus. Bei anderen Präparaten gestattet der Gesetzgeber den pharmazeutischen Unternehmen, um bis zu 50 Prozent über den Festbetrag hinauszugehen. „[E]in beeindruckendes Weihnachtsgeschenk für die Pharma-Unternehmen“ nannte das der „Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung“, als die Pläne im letzten Dezember bekannt wurden. Dafür zahlen müssen die ärmeren Länder. Nach Ansicht des Gesundheitsökonomen Wolfgang Greiner droht diese Regelung nämlich einen „internationalen Überbietungswettbewerb“ loszutreten, aus dem Staaten mit weniger finanziellen Ressourcen schon frühzeitig aussteigen müssen. „Da wäre eine europäische Abstimmung gut gewesen“, sagt er deshalb. Derzeit leidet besonders Belgien unter dem Medikamenten-Mangel. So spricht Olivier Delaere vom Arznei-Großhändler FEBELCO von einer „künstlichen Verknappung“, weil die Hersteller bei ihren Lieferungen Nationen mit fetteren Pillen-Budgets bevorzugen würden. Mit weiteren Präsenten will die Ampelkoalition BAYER & Co. auch dazu bewegen, verstärkt nach den so dringend benötigten neuen Antibiotika zu forschen. Sie stellt ihnen in Aussicht, bei der Einführung dieser Mittel länger als sonst üblich Mondpreise verlangen zu dürfen. Und zur Gewährleistung von mehr Liefersicherheit bei den gängigen Substanzen wie Ciprofloxacin lockt der ReferentInnen-Entwurf bei einer Produktion in Europa mit Rabatten. Gleiches gilt für Krebs-Therapeutika. Zur Begründung führt das Schriftstück nicht mehr länger nur die Anfälligkeiten der sich über den halben Globus erstreckenden Wertschöpfungsketten an, sondern auch geopolitische Überlegungen. Von „strategischen Abhängigkeiten“ ist nun die Rede, die es abzubauen gelte. Etwas verklausuliert heißt es dazu: „Aufgrund globaler Krisen ist ein Umdenken, gerade auch im vergabe-rechtlichen Bereich unerlässlich, um eine Widerstandsfähigkeit der Arzneimittel-Versorgung mit lebensnotwendigen Arzneimitteln gegen solche Ereignisse herzustellen. So ist die Neuregelung mit Bezug zu solchen Staaten erforderlich, mit denen mehr als bloße wirtschaftliche Abkommen bestehen.“ Nämlich politische. Eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zu Partner-Nationen proklamiert das Dokument – „Friendshoring“ lautet der Fachbegriff. Ansonsten bleibt es bei Vorschriften zu einer längeren Lagerhaltung, einer Vereinfachung des Medikamenten-Austausches zwischen den einzelnen Apotheken und der Etablierung eines besseren Frühwarn-Systems. An das Grundproblem eines dysfunktionalen Pharma-Markts wagt sich Gesundheitsministerin Karl Lauterbach (SPD) nicht heran. Im Gegenteil: Er belohnt BAYER & Co. sogar noch für ihre Versäumnisse und macht Millionen-Subventionen locker. Allein die Kosten für die neuen Regelungen zu den Kinder-Arzneien beziffert der Gesetzes-Vorschlag mit rund 160 Millionen Euro. Und zu allem Überfluss ist es auch noch mehr als fraglich, ob das viele Geld helfen kann, die Pharmazeutika-Grundversorgung in Zukunft sicherzustellen.

SWB 02/2023 – Lobby-Europameister BAYER

CBG Redaktion

EU unter Einfluss

Lobby-Europameister BAYER

Der BAYER-Konzern lässt sich den Versuch, Entscheidungen der Europäischen Union in seinem Sinne zu beeinflussen, viel kosten. Rund sieben Millionen Euro wendete er im Jahr 2021 für Lobby-Aktivitäten in Brüssel auf. Kein anderes Unternehmen der Welt investierte mehr Geld in die Pflege dieser politischen Landschaft.

Von Jan Pehrke

Mit einem Etat von 6,5 bis 7 Millionen Euro versuchte der BAYER-Konzern im Jahr 2021, auf Entscheidungen der Europäischen Union Einfluss zu nehmen. Damit steigerte der Global Player seine Ausgaben gegenüber 2020, als er rund 4,4 Millionen Euro investierte, noch einmal beträchtlich. Kein Unternehmen der Welt betrieb die Pflege der politischen Landschaft in Brüssel mit einem höheren finanziellen Aufwand, wie eine Recherche der beiden Initiativen CORPORATE EUROPE OBSERVATORY und LOBBYCONTROL im EU-Transparenzregister ergab. Der Leverkusener Multi kann sich also mit Fug und Recht Lobby-Europameister nennen. In Deutschland hingegen reichte es mit einem Aufwand von bis zu 1,99 Millionen Euro nicht zu einem Platz unter den ersten Zehn. In Brüssel steuert die Aktien-Gesellschaft die Aktivitäten von ihrem „Verbindungsbüro“ in der Rue Belliard aus. „Die Wirtschaft hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen“, sagte der der damalige BAYER-Chef Manfred Schneider bei der Eröffnung im Jahr 2000. 74 LobbyistInnen beschäftigt der Agro-Riese dort mittlerweile. 15 von ihnen haben exklusiven Zutritt zum Europäischen Parlament. Treffen mit den Abgeordneten oder ranghohen VertreterInnen der EU-Kommission bzw. den KommissarInnen selbst stehen deshalb ganz oben auf der Prioritäten-Liste. Aber auch Events für die „Brüsseler stakeholder“, das Verfassen von Eingaben, die Beteiligung an den Konsultationsprozessen im Rahmen neuer EU-Vorhaben, das Presse-Sponsoring, die (Co-)Finanzierung von Studien und das Engagieren von PR-Agenturen für Spezialaufgaben gehören zum Aufgaben-Gebiet der AntichambriererInnen. Ein Übriges tun dann die Industrie-Verbände Business Europe, Croplife Europe, Copa-Cogeca oder CEFIC, der Verband der Europäischen Chemischen Industrie. Allein im Jahr 2021 beackerten die Konzern-LobbyistInnen Themenfelder wie den Green Deal, die EU-Agrarstrategie, die Aktionspläne für eine Reform des Patentrechts und für eine Reduzierung der Verschmutzung von Wasser, Luft und Boden. Auch die Gentechnik-Regulierung, die Pestizid-Regulierung im Allgemeinen und die von Glyphosat im Besonderen sowie die Revision der Regulierung von Arzneien für seltene Krankheiten standen auf ihrer Agenda. Zudem brachten die Einfluss-ArbeiterInnen den BAYER-Standpunkt in Sachen „Wasserrahmen-Richtlinie“, „Trinkwasser-Richtlinie“ und „Chemikalien-Richtlinie“ zu Gehör. Und die Klima-Politik der EU sowie das geplante Abkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay gehörten ebenfalls zu ihren Einsatz-Gebieten.

Kein Nein-Sager

Als bloßer Nein-Sager betätigt sich das Unternehmen dabei nicht. Die Strategie besteht vielmehr immer darin, zuvörderst ein vollmundiges Bekenntnis zu den EU-Plänen abzulegen, um anschließend mit konkreten Vorschlägen zur Erreichung der Ziele aufzuwarten, was die Anmutung eines konstruktiven Beitrages hat, sich bei näherer Betrachtung aber als nett verpackte Obstruktionspolitik entpuppt. Ein Beispiel dafür ist der vom CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) öffentlich gemachte Brief, den BAYERs damaliger Cropscience-Chef Liam Condon im Juli 2020 an den Kommissions-Vizepräsidenten Frans Timmermans schrieb. Während der Konzern in dem breit über die EU-Politik berichtenden Portal Politico, das er ebenso großzügig wie sein Pendant Euroactiv sponsert, Panikmeldungen zum Green Deal absetzte und vor einem Rückgang der Nahrungsmittel-Produktion in Europa und steigenden Weltmarkt-Preisen für landwirtschaftliche Güter warnte, hört sich dies in dem Schreiben ganz anders an. Dort dankt Condon dem Holländer bereits im ersten Satz überschwenglich für seine Pionier-Arbeit bei der Entwicklung des Green Deals und ruft ihm dann die letzten virtuellen Tête-à-Têtes in Erinnerung, die im Rahmen des Davoser „World Economic Forums“ stattgefunden haben. Anschließend präsentiert er das grüne Glaubensbekenntnis des Leverkusener Multis. „BAYER sieht sich in der Pflicht, neue Nachhaltigkeitsstandards für die Landwirtschaft und die Gesundheitsbranche zu setzen, und teilt die Ziele der Europäischen Kommission in Bezug auf Klimaneutralität, ein nachhaltigeres und resilenteres Ernährungssystem und die dringende Notwendigkeit, den Prozess des Biodiversitätsverlustes weltweit zu verlangsamen und – bald schon – umzukehren“, tut Condon kund. Dann kommt jedoch das „Aber“: „Wir sind allerdings auch der festen Überzeugung, dass der neue Green Deal nur dann erfolgreich sein wird, wenn dem Bedarf nach mehr Innovation zur Gewährleistung eines höheren Levels an Nachhaltigkeit Rechnung getragen wird.“ Und als eine solche Innovation sieht Condon die Gensoja-Pflanze mit der Laufnummer MON87708 x MON 89788 x A5547-127 an, aber leider warte BAYER bereits „länger, als es die gute Verwaltungspraxis gebietet“ auf die Import-Genehmigung der EU. Dabei kann die Laborfrucht in seinen Augen Regenwald retten, weil sie höhere Erträge pro Hektar verspricht und so dem Flächenverbrauch Einhalt gebietet. Dass die Markt-Einführung der Gen-Gewächse in Lateinamerika die Kahlschläge massiv befördert haben, lässt er dabei geflissentlich außer Acht. Auch als probates Mittel, um die durch die Corona-Pandemie angeblich gefährdete Nahrungsmittel-Sicherheit zu garantieren, bringt der Ire das Gen-Konstrukt ins Spiel. Darum bittet er den Vize-Präsidenten der EU-Kommission, bei der Import-Zulassung, die der Konzern 2016 beantragt hat, doch ein wenig auf die Tube zu drücken. Und siehe da: Noch nicht einmal drei Monate später gab es das Ja-Wort aus Brüssel zu dem Soja. Nach einem ähnlichen Muster verliefen die Interventionen zur Agrar-Strategie des Green Deals. Nach Ansicht der EU gibt diese „eine umfassende Antwort auf die Herausforderungen nachhaltiger Lebensmittel-Systeme und erkennt an, dass gesunde Menschen, gesunde Gesellschaften und ein gesunder Planet untrennbar miteinander verbunden sind“. Auf der „Vom Hof auf den Tisch“-Agenda steht unter anderem eine Verringerung des Pestizid-Einsatzes bis 2030 um 50 Prozent. BAYER-Chef Werner Baumann kritisierte das der FAZ gegenüber vehement. „Es wäre illusorisch zu glauben, wir könnten ohne Pflanzenschutzmittel die bald acht Milliarden Menschen auf der Erde ernähren, die Biodiversität schützen und zugleich keine weiteren Flächen für die Landwirtschaft erschließen“, sagte er in dem Interview. Bei einer Anhörung der Europäischen Union zu diesem Thema zeigte sich das Unternehmen hingegen dialogbereiter. „Anstatt über die Verringerung der Mengen zu sprechen, müssen wir uns auf die Verringerung der Umwelt-Auswirkungen konzentrieren“, forderte der Konzern in einer öffentlichen Anhörung. Und in einem Meeting mit der Generaldirektion Gesundheit bot er sich dann an, die schädlichen Effekte um 30 Prozent zu senken. Bei der Frage, wie der Konzern das genau erreichen will, mussten die UnternehmensvertreterInnen allerdings passen. „Das ist noch nicht klar“, lautete die Antwort. Für ein spezielles Pestizid legten sich die BAYER-LobbyistInnen besonders ins Zeug: Glyphosat, das profitträchtigste Ackergift des Konzerns. So mischten sie sich etwa in den Prozess der Überprüfung der bestehenden Grenzwerte für das Herbizid ein. Die größte Aufmerksamkeit widmete das Verbindungsbüro allerdings dem Bemühen, eine Zulassungsverlängerung zu erwirken. Dabei versicherte sich der Agro-Multi auch externer Zuarbeit und engagierte für schlappe 1,3 Millionen die RUD PEDERSEN GROUP, um in Brüssel gut Wetter für das umstrittene Mittel zu machen.

Krieg als Vorwand

Hatte die Branche schon die Corona-Pandemie instrumentalisiert und wegen der dadurch angeblich gefährdeten Lebensmittel-Versorgung gegen Regulierungspläne gewettert und ihre neuen Risiko-Technologien als Problemlöser beworben, wie nicht nur der Condon-Brief an Timmermans zeigt, so wiederholte sich das Ganze beim Ukraine-Krieg. Auch den nahmen BAYER & Co. zum Anlass, gegen den Green Deal und dessen Pläne zur Pestizid-Reduktion zu opponieren und freie Fahrt für die Gentechnik 2.0 zu verlangen, ganz so, als ob dadurch mehr Weizen aus Russland und der Ukraine in den Globalen Süden gelangen würde. „Business Europe“, der Interessensverband der Multis auf europäischer Ebene, mahnte beispielsweise, neue Vorschriften nur zu erlassen, „wenn dies unbedingt erforderlich ist“. Der LandwirtInnen-Verband „COPA COGECA“ stimmte da nach Informationen des CORPORATE EUROPE OBSERVATORY mit ein. Bei einem Treffen mit Mihail Dumitru und Pierre Bascou von der Generaldirektion Gesundheit warnte ein Vertreter der Lobby-Organisation: „Der Landwirtschaftssektor kann keine neuen Schocks mehr verkraften.“ Als einen dieser Schocks, den die Bauern und Bäuerinnen nicht mehr verarbeiten könnten, nannte er dann die „Sustainable Use of Pesticides Regulation“ (SUR), mit der die EU das Ziel, den Gebrauch von Ackergiften bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zu senken, amtlich machen will. Kommissionsvize Timmermans zeigte sich erbost über diese Operationen. „Den Krieg in der Ukraine zu nutzen, um Vorschläge zu verwässern und den Europäern Angst zu machen, dass Nachhaltigkeit weniger Lebensmittel bedeutet, ist offen gesagt ziemlich unverantwortlich. Denn die Krise des Klimas und der biologischen Vielfalt springt uns ins Auge (...) Das ist es, was unsere langfristige Ernährungssicherheit bedroht“, stellte er klar. Und auf die Frage, warum verbindliche Ziele zur Senkung des Pestizid-Einsatzes nötig sind, sagte der Niederländer: „Nun, wir brauchen verbindliche Ziele, weil wir es bereits mit unverbindlichen Zielen versucht haben, die uns nicht weitergebracht haben.“ Damit spielte er auf die Richtlinie 1107/2009 an, nach der die Europäische Union bestimmte Pestizide als besonders gefährlich klassifizierte und die Mitgliedsstaaten anhielt, 53 besonders giftige möglichst schnell durch harmlosere zu ersetzen, was allerdings in keinem einzigen Fall geschah. Darum verteidigte der EU-Politiker das Vorgehen Brüssels: „Verbindliche Ziele geben der Industrie und dem Agrarsektor Sicherheit. Und außerdem drängen uns die Bürger dazu, dies zu tun. Die Einsicht, dass der Ökozid eine unmittelbare Bedrohung für uns ist, ist groß und wächst.“

EU beugt sich

Aber es half alles nichts. Schlussendlich musste die EU sich dem Druck von BAYER & Co. beugen. Kurz vor Weihnachten 2022 schickte sie den Plan, den Pestizid-Gebrauch bis zum Jahr 2030 um die Hälfte zu senken, in die endlosen Weiten einer erneuten Folge-Abschätzung, weil die alte „auf Daten beruht, die vor dem Ausbruch des russischen Krieges in der Ukraine erhoben und analysiert wurden“ und deshalb nach Meinung der Mitgliedsländer dessen „langfristigen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit des EU-Agrarsektors nicht berücksichtigt“. Auch verschwand das Vorhaben, die Ausfuhr von innerhalb der EU nicht zugelassenen Ackergiften in Drittländer zu verbieten, von der Agenda für das Jahr 2023. Darüber hinaus setzte die EU-Kommission einige Beschlüsse der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ (GAP) aus. So erlaubte sie bei der Fruchtfolgen-Regelung Ausnahmen und setzte die Auflagen zur Flächenstilllegung aus, die dem Artenschutz dienen sollten. Andere umweltpolitische Maßnahmen wie eine schärfere Chemikalien-Regulierung mussten vorerst ebenfalls dran glauben oder deutliche Aufweichungen hinnehmen wie die Methan-Verordnung. Getreu der alten Maxime von Winston Churchill „Lass niemals eine Krise ungenutzt verstreichen“ gelang es den Konzernen also wieder einmal, die Brüsseler Politik in Schach zu halten. BAYERs Lobby-Millionen erwiesen sich deshalb als gut angelegtes Geld. Und 2023 könnte es sogar noch das eine oder andere Milliönchen mehr werden, denn da stehen für den Konzern gleich zwei wichtige Dinge auf der EU-Agenda: Die Entscheidung über die Regulierung von CRISPR/Cas und anderen neuen Gentechniken sowie diejenige über die Glyphosat-Zulassungsverlängerung.

SWB 02/2023 – Die Hetzjagd

CBG Redaktion

Die üblen Methoden der BAYER-Tochter MONSANTO

Die Hetzjagd

Der französische Molekularbiologe Gilles-Èric Séralini berichtet in seinem Buch „Die Affäre um die MONSANTO-Papers“ von den systematischen Versuchen von BAYERs jetziger Tochter-Gesellschaft MONSANTO, ihn als Wissenschaftler kaltzustellen. Er hatte nämlich im Jahr 2012 eine bahnbrechende Studie zur Toxizität des Pestizids ROUND-UP mit dem Wirkstoff Glyphosat veröffentlicht, die es aus der Welt zu schaffen galt. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kennt solche Machenschaften aus eigener Erfahrungen und durfte zu Séralinis Werk deshalb das Nachwort schreiben.

Von Marius Stelzmann

Professor Gilles-Éric Séralini ist seit 1990 an der Universität von Caen tätig und unterrichtet dort das Fach „Toxikologie“. Bereits mit 30 Jahren bestand er als einer der jüngsten KandidatInnen das Auswahlverfahren für UniversitätsprofessorInnen und zählt heute zu denjenigen ForscherInnen, die am häufigsten in Fachpublikationen zum Thema der Toxizität von gentechnisch veränderten Organismen (GMO) und Pestiziden auftauchen. Er selbst betrachtet sich als einen öffentlichen Forscher, also als einen, der sich der Allgemeinheit verpflichtet sieht. Wie er in seinem Buch ausführlich darstellt, ist sein Beweggrund neben dem Schutz von Mensch, Tier und Umwelt stets die Bewahrung der Unabhängigkeit der Wissenschaft gewesen. Und damit rief er MONSANTO auf den Plan. Der Konzern konnte nämlich ebenso wenig wie sein heutiger Besitzer BAYER zulassen, dass unabhängige wissenschaftliche Erkenntnisse zu Glyphosat die gigantische Profitquelle untergraben, die das Pestizid darstellt. Der Forscher selbst kommentiert das Vorgehen des Multis mit den folgenden Worten: „Das Unternehmen hat gezeigt, wie bestimmte Führungskräfte die Irreleitung von Wissenschaft, Medizin und Behörden organisierten und zugleich die Fähigkeit zum kritischen Hinterfragen und den Sinn für Ethik untergruben. Und dabei verfolgten sie kurzfristige wirtschaftliche Interessen, die unsere Ökosysteme, das Klima und die Weltgesundheit zerstören.“ Oder wie die die bekannte indische Gentech-Kritikerin Vandana Shiva in ihrem Vorwort zu dem Buch feststellt: „Diese gefährliche Kon-trolle über Ernährung und Landwirtschaft entwickelt sich zu einer massiven Einflussnahme auf die Grundlagen von Wissenschaft und Bildung“. Séralini schildert in „Die Affäre um die MONSANTO-Papers“ zunächst seine wissenschaftliche Arbeit zu Glyphosat und den Einfluss, welche diese auf die öffentliche Diskussion und auf die Prozesse von Glyphosat-Geschädigten vor US-amerikanischen Gerichten hatten. Dann widmet er sich dem Skandal der im Zuge dieser Verfahren ans Licht der Öffentlichkeit geratenen MONSANTO-Papers. Dabei handelt es sich um firmen-interne Dokumente, welche die AnwältInnen der KlägerInnen als Beweis-Material angefordert hatten. Und diesen Zweck erfüllten sie dann auch: Sie dokumentieren, wie MONSANTO systematisch die Risiken und Nebenwirkungen des Herbizids unter den Tisch kehrte und eine Schmutzkampagne gegen Glyphosat-KritikerInnen initiierte. Eine Studie aus dem Jahr 2012 hatte MONSANTO gegen Séralini aufgebracht. Diese wies in Tierversuchen – welche die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ablehnt, weil sie nicht nötig sind, um die Schädlichkeit von bestimmten Substanzen zu erfassen – die von Glyphosat ausgehende Krebs-Gefahr nach. Oder genauer: die von ROUNDUP, dem handelsfertigen Produkt, ausgehende Krebs-Gefahr. Séralini zufolge ist dieses nämlich wegen seiner vielen Hilfs- und Zusatzstoffe noch einmal gefährlicher als Glyphosat „pur“. Séralini unterstreicht in seinem Buch auch die Bedeutung, die seine Studie allgemein für Forschung und Erkenntnisse über Gentech-Pflanzen und Pestizide hatte. Der Soziologe Francis Chateauraynaud, Studienleiter an der französischen Elite-Hochschule „École des hautes études en sciences sociales“, sagte bereits kurz nach der Veröffentlichung: „Es wird ein Vor und ein Nach Séralini geben“. In seiner Untersuchung belegte dieser nicht nur die schädliche Wirkung von ROUNDUP, sondern auch die von gentechnisch veränderten Organismen selbst. Der Grund: Die genetisch manipulierten Pflanzen speichern die verabreichten Giftstoffe, anstatt sie abzubauen. ROUNDUP war vorher noch nie langfristig gestestet worden. Ein Fakt, den die Pestizidlobby laut Séralini mit großem Aufwand zu rechtfertigen versuchte. Infolge der Publikation dieser Ergebnisse bricht ein beispielloser Verleumdungs- und Propagandasturm über den Molekularbiologen herein. Der von MONSANTO als Schreiber engagierte Journalist Henry Miller veröffentlicht über das in London ansässige Science Media Centre (SMC), das unter anderem von der Agrar-Branche alimentiert wird, einen diffamierenden Artikel über Séralinis Ergebnisse. Ab diesem Zeitpunkt wird Séralini von den Lügen und Angriffen der Industrie ständig begleitet. So legt er beispielsweise dar, wie ihm in offiziellen Ausschüssen bei weiterem unbotmäßigem Verhalten negative Konsequenzen für seine Karriere in Aussicht gestellt wurden. Nicht einmal vor der Androhung von Gewalt schrecken seine GegnerInnen zurück. Und selbst die Familie sparten sie dabei nicht aus. Eine Strategie der jetzigen BAYER-Tochter zielte darauf ab, Séralini in der wissenschaftlichen Community systematisch zu diskreditieren. Zu diesem Behuf verfasst etwa der Wissenschaftler Marcel Kuntz ein Buch mit dem Titel „Die Séralini-Affäre. Die Sackgasse einer militanten Wissenschaft“, das ParlamentarierInnen verschiedener Länder zugeht. Kuntz besitzt selber Patente auf genetische Transformationstechniken und verdient laut Séralini Geld damit. Insgesamt sieben Gerichtsverfahren muss der Wissenschaftler gegen Interessen- und Lobbygruppen von MONSANTO führen. Er gewinnt alle. Und die Veröffentlichung der MONSANTO-Papers erbringt schließlich konkrete Beweise für die Schmutzkampagne, die der Multi gegen den Forscher angezettelt hat. Nicht weniger als 55.952 Mal taucht der Name „Séralini“ in den MONSANTO-Dokumenten auf. Das Buch dokumentiert eindruckvoll, wie ein Weltkonzern, der seine Profite sichern will, gegen einen Konzern-Kritiker alle Register zieht. Umso stolzer ist die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) darauf, dass sie das Nachwort zu „Die Affäre um die MONSANTO-Papers“ hat beisteuern dürfen. Aus gegebenem Anlass: Die Coordination hat allzu oft am eigenen Leib gespürt, was es heißt, von einem Weltkonzern zum „Public Enemy No. 1“ erkoren zu werden. So musste sie nach einer Klage vom Leverkusener Multi bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen, um die Freiheit zu erstreiten, die BAYER-Machenschaften – ganz gemäß der Botschaft Séralinis – als Gefahr für die Demokratie bezeichnen zu können. Dass es sowohl der CBG damals wie Professor Séralini heute gelang, sich zu guter Letzt durchzusetzen, sollte alle KämpferInnen gegen Konzernmacht ein Fanal sein und Mut machen.

SWB 02/2023 – „Konflikte sind zu erwarten“

CBG Redaktion

Interview mit Alan Tygel über die Lage in Brasilien

„Konflikte sind zu erwarten“

Am 1. Januar des Jahres hat Luiz Inácio Lula da Silva offiziell den Rechtsextremen Jair Bolsonaro als Präsident von Brasilien abgelöst, hinter dem die versammelte Agro-Industrie des Staates stand. Stichwort BAYER sprach mit Alan Tygel von der PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGRAR-GIFTE UND FÜR DAS LEBEN über die Chancen für eine umweltverträglichere, auf eine kleinbäuerlichere Landwirtschaft setzende Agrar-Politik, das Mercosur-Abkommen und die allgemeine politische Lage in dem Land nach dem Regierungswechsel. Stichwort BAYER: Präsident Lula erklärte in seiner Antrittsrede, den energetischen und ökologischen Wandel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und einem nachhaltigen Bergbau, zu einer Stärkung der bäuerlichen Familienbetriebe und einer grüneren Industrie einleiten zu wollen. Glaubst Du an diesen Wandel? Alan Tygel: Präsident Lula wurde von einem breiten Spektrum politischer Kräfte gewählt, deren Hauptziel es war, Bolsonaro abzusetzen und die brasilianische Demokratie zu verteidigen. Trotz dieser breiten Allianz gewann Lula nur mit einem Vorsprung von weniger als zwei Prozent. Folglich muss er eine Regierung bilden, die dieses Bündnis in irgendeiner Weise widerspiegelt, da die Möglichkeiten der Regierung, das zu tun, was so dringend notwendig ist, sonst sehr gering sein werden. In diesem Zusammenhang sind Begriffe wie „nachhaltige Landwirtschaft und Bergbau“ oder „grünere Industrie“ völlig umstritten. Innerhalb der Regierung gibt es Fraktionen, die diese Konzepte auf eine unternehmerische Art und Weise verstehen und einen „grünen Kapitalismus“ unterstützen. Daneben gibt es andere, die uns näher stehen und zum Beispiel verstehen, dass eine nachhaltige Landwirtschaft nur durch eine tiefgreifende Agrarreform und einen Schutz indigenen Landes erreicht werden kann, sowie durch ein weitgehendes Verbot von Pestiziden, eine agrar-ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft und eine starke staatliche Regulierung der Lebensmittelmärkte. Die größte Herausforderung, der wir als soziale Bewegungen uns in den nächsten vier Jahren gegenübersehen werden, besteht darin, die Regierung gegen die extreme Rechte zu verteidigen und sie gleichzeitig in Richtung unseres politischen Programms zu pushen. SWB: Hat die Regierung schon ein konkretes Programm für die Agrar-Politik verkündet? A. T.: Nein. Es gibt jedoch einige sehr positive Signale. Lula hat das „Ministerium für Agrar-Entwicklung und bäuerliche Familienbetriebe“ (MDA) neu geschaffen und die Behörde für die Nahrungsmittel-Versorgung (CONAB) sowie die „Agentur für Agrarreform“ (INCRA) in dieses Ministerium verlegt. Beide Behörden waren im Landwirtschaftsministerium angesiedelt, das sich völlig nach dem großen Agrobusiness ausgerichtet hat. Daher ist es sehr wichtig, ein weiteres Ministerium zu haben, das sich mit den bäuerlichen Familienbetrieben und der Agrarökologie befasst. Und die CONAB ist für die sehr erfolgreiche Lebensmittelankauf-Politik verantwortlich, die in den ersten Amtszeiten von Lula und Dilma etabliert wurde. Diese Politik garantiert den bäuerlichen Familienbetrieben, vor allem den agrar-ökologischen, dass ihre Produktion vom Staat aufgekauft und an Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse und andere öffentliche Einrichtungen verteilt wird. Ein weiteres sehr positives Signal war die Wiedereinsetzung des „Rates für Ernährungssicherheit und Souveränität“ (CONSEA), der sich mit Maßnahmen zur Beseitigung des Hungers in Brasilien befasst. Nachdem die Zahlen während der Amtszeiten von Lula und Dilma sehr niedrig waren, leiden jetzt rund 33 Millionen Menschen an Hunger und etwa 100 Millionen an Ernährungsunsicherheit. Wir sind recht optimistisch, was echte Fortschritte der Politik angeht, die Agrar-ökologie voranzutreiben. Allerdings ist die brasilianische Wirtschaft immer noch stark von der Primärproduktion der Agrarindustrie abhängig, z. B. von Soja, Mais, Baumwolle und Fleisch. Diese Abhängigkeit spiegelt sich in der großen politischen Macht dieses Sektors im Land wider, und diese Situation wird sich in nächster Zeit nicht ändern. SWB: Was müsste eurer Meinung nach als erstes geschehen? A. T.: Vorrangig geht es jetzt darum, Maßnahmen zur Bekämpfung der von der Regierung Bolsonaro hinterlassenen Hunger-Situation zu ergreifen. Die staatlichen Strukturen Brasiliens wurden in den letzten vier Jahren zerstört, einschließlich des gesamten Rahmens der sozialen Sicherheitssysteme. Lula hat bereits mehrere Maßnahmen zum Mindesteinkommen (Bolsa Família) und zur Wohnungspolitik für Menschen in größter Not angekündigt. Die nächsten Schritte müssten die landwirtschaftlichen Familienbetriebe in die Strategie zur Bekämpfung des Hungers einbeziehen, vor allem, indem die Regierung Lebensmittel aufkauft und an Bedürftige verteilt. SWB: Lula hat das Amt des Umweltministers erneut mit Marina Silva besetzt, die bereits seinen früheren beiden Kabinetten angehörte, aber im Zuge von Auseinandersetzungen um die Regenwald-Abholzungen zurücktrat. Dem neuen Landwirtschaftsminister Carlos Favaro werden dagegen Beziehungen zur Agro-Lobby nachgesagt. Ist da mit Konflikten zu rechnen? A. T.: Ohne Zweifel sind Konflikte zu erwarten, vor allem aus den bereits genannten Gründen. Im Falle von Ministerin Marina dürften die größten Konflikte in den Bereichen „Energie“, „Bergbau“ und „Infrastruktur“ auftreten. Es gibt zahlreiche laufende Projekte wie Kernkraftwerke, große Seehäfen, Eisenbahnen und Kalium-Abbau, die beispielsweise indigenes Land beeinträchtigen können. Andererseits: Wenn die brasilianische Wirtschaft in den nächsten Jahren nicht gut läuft, besteht die realistische Gefahr, dass die extreme Rechte die Wahlen gewinnt. Die Herausforderung, vor der Lula steht, ist also enorm, und wir werden sehr hart daran arbeiten, die Regierung erfolgreich zu machen. SWB: Hat die Agro-Lobby im Allgemeinen und BAYER im Besonderen geschlossen zu Bolsonaro gehalten? A. T.: Im Allgemeinen ist der Agrarsektor (Großbauern, Geschäftsleute in verwandten Bereichen usw.) sehr stark mit Bolsonaro assoziiert. Beide Lager verbindet, dass sie konservative Werte teilen und eine freigiebige Erteilung von Waffenlizenzen zur „Verteidigung ihres Privatbesitzes“ gegen landlose „Eindringlinge“ befürworten. Konkret begünstigte Bolsonaros Wirtschaftspolitik der Real-Abwertung die Agrarindustrie, da sie den Großteil ihrer Produktion exportiert und dieser Export bei einem höheren Dollarkurs profitabler wird. Im Inland verursachte die Maßnahme dagegen einen inflationären Anstieg des Sojaöl-Preises, obwohl Brasilien der größte Sojaproduzent der Welt ist. In den Regionen, in denen die Agrarindustrie stärker vertreten ist wie in den Bundesstaaten Mato Grosso und Paraná haben diese Faktoren deshalb dazu geführt, dass Bolsonaro recht massiv gewählt wurde. BAYER selbst nimmt keine klare Position ein. Die Verbände, denen BAYER angehört wie Croplife oder ABAG unterstützen jedoch Denkfabriken wie das Instituto Pensar Agro (IPA), das die Strategie der gesamten Agro-Lobby festlegt. Der derzeitige Vorsitzende der parlamentarischen Agribusiness-Front, Pedro Lupion, ist ein rigoroser Extremist und wird versuchen, der Regierung ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten. SWB: Stimmt es, dass die Agro-Lobby mit zu den Finanziers der Protest-Camps gehörte, die nach der Abwahl von Bolsonaro errichtet wurden? A. T.: Die Ermittlungen dauern noch an, aber einige Geschäftsleute, die mit der Agrarindustrie verbunden sind, wurden bereits als Finanziers mehrerer antidemokratischer Proteste identifiziert, darunter auch der Ausschreitungen vom 8. Januar. Am 23. Dezember 2022 platzierte George Washington De Oliveira Sousa eine Bombe in einem Tankwagen, der Treibstoff zum Flughafen von Brasília bringen sollte. Dank der Aufmerksamkeit des Fahrers wurde die Bombe entdeckt und ist nicht explodiert. George hatte enge Beziehungen zu Kongressabgeordneten der Agrarindustrie und ist Eigentümer eines Netzes von Tankstellen, Restaurants und Transportunternehmen in den Expansionsgebieten der Agrarindustrie in Pará. Wir sind sicher, dass mit dem Fortschreiten der Ermittlungen weitere Verbindungen zwischen den antidemokratischen Protesten und dem Agrobusiness aufgedeckt werden. SWB: Glaubst Du, dass es zu weiteren innenpolitischen Auseinandersetzungen kommen könnte mit der Gefahr einer Eskalation bis hin zum Bürgerkrieg oder hat sich die Lage inzwischen beruhigt? A. T.: Die Reaktion der Regierung auf die Unruhen vom 8. Januar erfolgte sehr schnell und war hart. Mehr als 3.000 Personen wurden verhaftet, und gegen mehrere andere wird bereits ermittelt. Das Finanzierungsnetz dieser Gruppen wurde schon geschwächt. Im Moment können wir also sagen, dass die Lage ruhig ist. Die Rechtsextremisten sind jedoch immer noch da, und die künftige Situation hängt stark vom Erfolg von Lulas Wirtschaftsstrategie ab, mit der Armut und Hunger bekämpft und den Menschen ihre Würde zurückgegeben werden soll. SWB: Welche Haltung hat die PERMANENTE KAMPAGNE GEGEN AGRARGIFTE UND FÜR DAS LEBEN zum Mercosur-Abkommen der EU mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay? A. T.: Das Abkommen in seiner jetzigen Form ist sehr gefährlich für die landwirtschaftlichen Familienbetriebe und für die Weiterentwicklung der Agrarökologie. Im Kern begünstigt es die Einfuhr von Industrieprodukten wie Pestiziden und die Ausfuhr von Agrar-Grundstoffen. Das ist genau das, was wir im Moment nicht brauchen, und Präsident Lula ist sich dieses Ungleichgewichts bereits bewusst. Ein Abkommen mit der EU könnte sehr positiv sein, um unsere Abhängigkeit von den USA und China zu verringern, aber es muss auf einer anderen Grundlage beruhen, einer, die eine nachhaltige Entwicklung unseres Blocks begünstigt.

Ticker 02/2023

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG bei Friedensdemo

Um den Jahrestag des Ukraine-Krieges herum fanden in über 150 deutschen Städten Friedensdemonstrationen statt. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ging in Köln auf die Straße, wo rund 1.500 Menschen dem Aufruf des KÖLNER FRIEDENSFORUMS: „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg – Waffenexporte stoppen, Waffenstillstand und Friedensverhandlungen jetzt!“ folgten. Zum Auftakt sprach Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche. Darüber hinaus hielten unter anderem Karl-Wilhelm Koch von der UNABHÄNGIGEN GRÜNEN LINKEN, Matthias Engelke vom INTERNATIONALEN VERSÖHNUNGSBUND und Peter Köster von der IG BAU Reden. Zudem wurden Grußworte von russischen und ukrainischen KriegsgegnerInnen verlesen.

CBG beim Klimastreik

Am 3. März 2023 beteiligte sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in Leverkusen am Klimastreik, der dieses Mal mit dem ver.di-Streik der Bus- und BahnfahrerInnen fusionierte, um die Wichtigkeit einer Verkehrswende für die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen zu betonen. Die Blockade-Politik von Wissing & Co. stand deshalb auch im Mittelpunkt der meisten Reden, die unter anderem AktivistInnen von ver.di, BUND, FRIDAYS FOR FUTURE, der Partei „Die Linke“ und von PARENTS FOR FUTURE hielten. Aber CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann sorgte dann dafür, darüber den größten ortsansässigen Klimasünder – den BAYER-Konzern – nicht aus den Augen zu verlieren. Auf nicht weniger als drei Millionen Tonnen Treibhaus-Gase kam das Unternehmen im Jahr 2022. Auf diese Weise trug der Agro-Riese mit dazu bei, den von der Energie-Erzeugung verursachten globalen CO2-Ausstoß auf die neue Rekordmarke von 36,8 Milliarden Tonnen zu treiben, so Stelzmann. Die Folgen zeigten sich ihm zufolge 2023 schon ungewöhnlich früh mit Dürren in Frankreich und Italien durch den Schnee-Mangel in den Alpen. Alles andere als schöne Aussichten für den Sommer. Und eine Klimawende zeichnet sich weniger denn je ab. Stattdessen gibt es Rückschritte. Im Zuge des Ukraine-Krieges konnten Kohle und Gas ein Comeback feiern. Darum mahnte der CBGler am Ende seines Beitrages: „Die Klimabewegung muss auch eine Friedensbewegung sein!“

In Sachen „Verschickungskinder“

Acht bis zwölf Millionen Kinder und Jugendliche gehörten von den 1950er bis 1970er Jahren zu den Verschickungskindern, die in Einrichtungen wie dem „Seehospiz ‚Kaiserin Friedrich’ Norderney“ Kuren absolvierten. Den Verschreibungen lagen konkrete medizinische Indikationen zugrunde oder aber auch nur vage Diagnosen wie Erholungsbedürftigkeit, Entwicklungsrückstände oder „Milieuschäden“. Fast alle Häuser unterwarfen ihre Schützlinge einem unerbittlichen Regime aus körperlicher und seelischer Gewalt. So wurden Untergewichtige zur Nahrungsaufnahme gezwungen, und wenn ihnen der Mageninhalt wieder hochkam, mussten sie auch noch ihr Erbrochenes essen. Die Verabreichung von sedierenden Medikamenten gehörte ebenfalls zum Reservoir. Dabei fanden nicht zuletzt BAYER-Mittel Verwendung. ATOSIL mussten schon Dreijährige schlucken, ungeachtet der Tatsache, dass die Zulassung nur für Erwachsene mit einer diagnostizierten neurologischen Störung galt. Sogar junge AsthmatikerInnen erhielten ATOSIL-Gaben, obwohl diese Erkrankung eigentlich ein Ausschluss-Kriterium für die Anwendung darstellt. Dementsprechend verursachte das Präparat bei nicht wenigen Verschickungskindern Langzeit-Schäden, die eine Frühverrentung unvermeidlich machten. Die Epilepsie-Arzneien LUMINAL und LUMINETTEN nutzten die Kurheime ebenfalls zu dem, was einige WissenschaftlerInnen „unsichtbare Fixierung“ nennen. Damit nicht genug, führten MedizinerInnen dort auch Pharma-Tests durch. So erprobte etwa Dr. Walter Goeters im Seehospiz von Norderney BAYERs Entwurmungsmittel UVILON an 42 jungen ProbandInnen. Die Praktiken in Norderney und anderswo ähnelten denen in Heimen und Kinder- und Jugendpsychiatrien, in die der Leverkusener Multi mit seinen Pharmazeutika ebenfalls involviert war. Die nordrhein-westfälischen CDU-Politikerinnen Christina Schulze Föcking und Charlotte Quik haben in der Sache nun einen Brief an die Bundesfamilienministerin Lisa Paus von der Grünen geschrieben und Handlungsbedarf angemahnt: „Wir fordern Sie auf, sich als Bund ihrer Verantwortung zu stellen, die Betroffenen zu unterstützen und sich einer politischen und wissenschaftlichen Aufarbeitung nicht zu verschließen.“

Offener Brief: Kyriakides antwortet

Am 15. Dezember 2022 lief die Glyphosat-Genehmigung aus. Doch die Europäische Union schaffte es nicht, die für eine erneute Zulassung nötigen Risiko-Bewertungen fristgerecht vorzunehmen. Deshalb ließ sie das BAYER-Pestizid trotz nicht abgeschlossener Sicherheitsprüfung noch einmal eine einjährige Ehrenrunde drehen. „Technische Verlängerung“ hieß das Mittel der Wahl. Dieser Verstoß gegen den Leitsatz des vorbeugenden VerbraucherInnenschutzes löste eine Welle des Protests aus. So forderte das „Ban-Glyphosate“-Bündnis, dem die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN angehört, die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides in einem Offenen Brief auf, das Herbizid wegen seiner umfassend belegten Risiken und Nebenwirkungen für Mensch, Tier und Umwelt umgehend aus dem Verkehr zu ziehen. Dem verweigerte sich Kyriakides jedoch. In ihrem Antwort-Schreiben bedauerte sie zwar die Verzögerung, sah aber keinen Grund für einen sofortigen Bann. Dabei verwies die Zypriotin auf den „Ausschuss für Risiko-Bewertung“ (RAC) der europäischen Chemikalien-Agentur ECHA, der in dem laufenden Verfahren bereits sein Urteil abgegeben hat und laut Kyriakides zu dem Schluss kam, „dass Glyphosat auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse die Kriterien für eine Einstufung als krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend nicht erfüllt“. Und was die von „Ban-Glyphosate“ in dem Brief erwähnten neuen Studien zu den kanzerogenen Effekten des Herbizides anging, so versicherte die Gesundheitskommissarin, diese wären Teil des Prüfverfahrens.

PAN kritisiert BfR

Das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) unterstützt die Industrie bei ihrer Ablehnung der Chemikalien-Strategie der EU (siehe POLITIK & EINFLUSS). Nach Ansicht des BfR braucht es kein strengeres Regulationsregime, das vorhandene Instrumentarium reiche völlig aus. „Die ‚EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit’ stellt die regulatorische Toxikologie, wie wir sie kennen, in Frage: Ist sie auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgebaut?“, überschrieben BfR-MitarbeiterInnen ihren in den Archives of Toxicology veröffentlichten Fachaufsatz und gaben eine eindeutige Antwort: Nein. Stattdessen singen sie ein Loblied auf die gängigen Verfahren. „Auch wenn dies von den Medien und der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, hat die Umsetzung eines komplexen und voneinander abhängigen Systems von Vorschriften für chemische Stoffe, einschließlich Industriechemikalien, Pflanzenschutzmittel, Biozide oder Chemikalien in Lebens- und Futtermitteln, die toxikologischen Risiken minimiert und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung in der EU kontinuierlich verbessert“, halten sie fest. Dem widersprechen Dr. Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) und Professor Erik Millstone von der Universität Sussex im European Journal of Risk Regulation vehement. Anders als die BfR-AutorInnen behaupten, habe die Zahl der Neugeborenen mit Anomalien zugenommen, so Millstone und Clausing. Zudem verweisen sie auf die abnehmende Fruchtbarkeit. Wegen solcher und anderer Phänomene besteht ihrer Meinung nach sehr wohl Handlungsbedarf im EU-Regelwerk zum Umgang mit chemischen Stoffen, vor allem was die Kombinationswirkungen sowie die Effekte auf das Hormonsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen angeht.

KONZERN & VERGANGENHEIT

MEGAPHEN & Co. in LVR-Einrichtungen

Der Historiker Frank Sparing hat im Auftrag des Landesverbandes Rheinland (LVR) eine Studie zu Arznei-Verordnungen und Medikamententests in der Rheinischen Landesklinik für Jugendpsychia-trie Süchteln erstellt. Als Basis diente eine Stichprobe von 141 PatientInnen-Akten. Der Autor traf dabei auf „eine großzügige und wenig kritische Versorgungspraxis“, „die es lange Zeit für geboten hielt, verhaltensauffällige oder pflege-aufwendige Kinder mit Medikamenten ruhigzustellen“. Rund die Hälfte der PatientInnen erhielt regelmäßig Psychopharmaka. Dabei kamen Präparate des BAYER-Konzerns massenhaft zum Einsatz – wie in anderen bundesdeutschen Einrichtungen auch (SWB berichtete mehrfach). So standen die Hypnotika und Sedativa ADALIN (Wirkstoff: Carbromal), EVIPAN (Hexobarbital), LUMINAL (Phenobarbital) sowie die Neuroleptika AOLEPT (Periciacin), ATOSIL (Promethazin-HCI) und NEUROCIL (Laevomepromazin) auf der Verordnungsliste. Medikamenten-Tests widmete sich Sparing nur kurz. Er untersuchte lediglich zwei Erprobungen von Mitteln des Herstellers JANSSEN detaillierter. Genaueren Aufschluss darüber, welches Ausmaß die Arznei-Prüfungen in nordrhein-westfälischen Institutionen hatten und wie flächendeckend die Kinder- und Jugendpsychiatrien AOLEPT & Co. verabreichten, dürfte erst die für 2024 angekündigte Forschungsarbeit der Universität Düsseldorf unter Leitung von Heiner Fangerau geben.

POLITIK & EINFLUSS

Abschied vom alten Kontinent

Der BAYER-Konzern kündigte an, den Schwerpunkt seines Arznei-Geschäfts künftig in die Vereinigten Staaten und nach China zu verlegen, weil dort bessere Profit-Aussichten locken. „Die europäischen Regierungen versuchen, Anreize für Forschungsinvestitionen zu schaffen, aber auf der kommerziellen Seite machen sie uns das Leben schwer“, sagte BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich der Financial Times am Rande der „JP MORGAN Healthcare Conference“ in San Francisco. Dabei hatte er neben dem „Gesetz zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“, das die Porto-Kasse des Konzerns unter anderem mit einer befristeten Erhöhung des Hersteller-Rabatts belastet, vor allem eine neue englische Regelung im Blick. Dort bittet der Staat Big Pharma traditionell zur Kasse, wenn die jährlichen Medikamenten-Ausgaben des „National Health Service“ um mehr als zwei Prozent steigen. Und im Jahr 2022 lagen die Aufwendungen in Folge der Corona-Pandemie deutlich über dieser Schwelle, weshalb BAYER & Co. Rabatte in Höhe von 26,5 Prozent einräumen mussten. „[S]ignifikante Einschnitte“ nannte Oelrich das. Darum kündigte er einen Abschied vom alten Europa an: „Wir verlagern unseren kommerziellen Fußabdruck und die Ressourcen für unseren kommerziellen Fußabdruck deutlich weg von Europa.“ In den USA sieht der Manager dagegen das Land mit den unbeschränkten Arzneipreis-Möglichkeiten, während er China für das gute Innovationsklima lobte. Allerdings führt auch das Gesundheitsministerium in Peking harte Verhandlungen um Kosten-Senkungen mit den Pillen-Riesen. Von einem „Preisdruck auf die Pharma-Industrie“ sprach deshalb BAYERs Ober-Lobbyist Matthias Berninger. Und der US-amerikanische „Inflation Reduction Act“ setzt den Rendite-Aussichten der Unternehmen ebenfalls Grenzen (s. u.).

BAYER & Co. kritisieren Biden

In seiner am 7. Februar 2023 gehaltenen Rede zur Lage der Nation verteidigte US-Präsident Joe Biden noch einmal die mit dem „Inflation Reduction Act“ eingeleiteten Maßnahmen zur Reduktion der Arznei-Kosten. „Big Pharma hat den Menschen zu Unrecht Hunderte von Dollar abverlangt – und Rekord-Profite gemacht“, hielt Biden fest. „Jetzt nicht mehr“, fuhr er dann fort und legte dar, wie seine Regierung gegensteuert. So müssen Mitglieder von Medicare, der staatlichen Krankenversicherung für Senioren, jetzt für Insulin monatlich nur noch 35 Dollar zahlen und sich an den jährlichen Gesamtkosten für ihre Arznei-Versorgung bloß noch mit höchstens 2.000 Dollar beteiligen. Zudem berechtigt die Biden-Administration Medicare zu Verhandlungen mit den Pillen-Riesen über die Arznei-Preise und verlangt Rabatte, wenn diese schneller steigen als die Inflationsrate. Das US-Pendant zu dem von BAYER gegründeten „Verband der Forschenden Arzneimittel-Hersteller“, der „Pharmaceutical Research and Manufacturers of America“ (PhRMA), reagierte prompt. „Die staatlichen Preisfestsetzungsbestimmungen in dem Gesetz zwingen die Unternehmen zu schwierigen Entscheidungen, einschließlich der Verlagerung des Schwerpunkts weg von bestimmten Arten von Medikamenten und der Entmutigung der Forschung, die nach der Erstzulassung eines Medikaments stattfindet“, klagte der PhRMA.

Scholz & Giffey bei BAYER

Im Vorfeld der Wahlen zum Berliner Abgeordneten-Haus besuchten die SPD-Kandidatin Franziska Giffey und Bundeskanzler Olaf Scholz den Berliner BAYER-Standort. Im Zuge dessen sicherten die beiden PolitikerInnen dem Leverkusener Multi ein schnelles Genehmigungsverfahren für das in Kooperation mit der Charité geplante Zentrum für Gen- und Zelltherapie zu. Als Beleg dafür, dass Deutschland in Sachen „Technologie und Wissenschaft“ immer vorne mit dabei ist, feierte es Scholz. Darum flossen auch schon reichlich Subventionen. Der Bund fördert den Bau mit 44 Millionen Euro und Berlin mit fünf Millionen. Pharma-Chef Stefan Oelrich zeigte sich über die Aussicht auf einen baldigen Beginn der Arbeiten hocherfreut. „Wenn es uns gelingen sollte, einen Spatenstich in diesem Jahr für dieses Zentrum zu setzen, dann wäre das sicherlich Deutschlandtempo“, frohlockte er und zog ein positives Resümée der Visite. Oelrich, der drei Wochen zuvor noch kein gutes Haar am Arznei-Standort Deutschland gelassen hatte (s. o.), ließ sich mit den Worten zitieren: „Wir haben uns sehr über den heutigen Besuch von Olaf Scholz zusammen mit Franziska Giffey und ihr Interesse an unserem Unternehmen gefreut. Die Pharma-Industrie befindet sich inmitten eines enormen Wandels. Bahnbrechende Innovationen haben das Potenzial, Leben zu verändern und zu retten. Um diese Innovationen schneller in Produkte umsetzen zu können, ist die gute Kooperation aller Beteiligter wie der Industrie, der regulatorischen Behörden und der Politik notwendig.“

Scholz bekennt sich zur Chemie

Bundeskanzler Olaf Scholz hat BAYER & Co. seinen Beistand versichert. Wir wollen, dass Deutschland Chemie-Standort bleibt und dass wir gleichzeitig eine CO2-neutrale Zukunft haben“, sagte er. Und der Sozialdemokrat kündigte auch gleich ein neues Instrument zur Standort-Pflege an. „Wir werden dafür sorgen, dass es ein ganz spezielles Format gibt, wo wir über die Zukunft der chemischen Industrie sprechen “, so Scholz.

Scholz bekennt sich zu Pharma

Bei einem Besuch des Marburger BIONTECH-Standortes versprach Bundeskanzler Olaf Scholz der ganzen Branche seine Unterstützung. „[S]chnellere Genehmigungsverfahren, das gilt für Fabriken, aber genauso für neue Medikamente, für Forschungsvorhaben, aber auch für die Nutzung von Daten, wenn es um Forschung geht“, stellte er in Aussicht. „Da wollen wir jetzt in ganz kurzer Zeit mit vielen sehr konkreten Gesetzes-Vorhaben dazu beitragen, dass die pharmazeutische Industrie, dass die Medizin-Industrie in Deutschland, dass die ganze Gesundheitsökonomie Fortschritte macht“, so der SPD-Politiker.

BAYER & Co. gegen REACH-Verschärfung

Im Herbst 2020 stellte die Europäische Union als Teil des „Green Deals“ die Chemikalien-Strategie für Nachhaltigkeit vor, die beabsichtigt, „den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu erhöhen“. Besonders im Blick hatte die EU dabei hormon-ähnlich wirkende Produkte – sogenannte endokrine Disruptoren – wie etwa bestimmte Pestizide des Leverkusener Multis, schwer abbaubare sowie krebserregende Stoffe. Im Zuge dessen kündigte Brüssel für Ende 2022 auch eine Verschärfung der REACH-Verordnung an, welche die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Anwendungsbeschränkungen von chemischen Substanzen regelt. Daraus wurde allerdings nichts. BAYER & Co. nutzten die Ungunst der Stunde und verwiesen auf die durch den Ukraine-Krieg entstandenen ökonomischen Turbulenzen, um auf eine Verschiebung des Vorhabens zu drängen. Dies erreichte die Industrie denn auch, womit sie sich jedoch nicht zufriedengibt. Die Unternehmen halten REACH in der jetzigen Form für völlig ausreichend und wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. „Europa hat mit REACH bereits das weltweit umfassendste und strengste Chemikalien-Reglement“, meint etwa Michael Lulei vom „Verband der Chemischen Industrie“. Und dessen europäisches Pendant CEFIC warnt vor Umsatz-Verlusten von mindestens zwölf Prozent und damit einhergehenden Arbeitsplatz-Vernichtungen durch ein REACH 2.0. Unterstützung erhielten die Konzerne bei ihren Lobby-Aktivitäten vom „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR), das schon in Sachen „Glyphosat“ in Treue fest zu BAYER gehalten hatte. MitarbeiterInnen des BfR sprachen der Chemikalien-Strategie in einem Fachaufsatz die wissenschaftliche Grundlage ab und plädierten für ein einfaches „Weiter so“, was auf massive Kritik unter anderem des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKS (PAN) stieß (siehe AKTION & KRITIK).

Export-Verbot auf der langen Bank

Mit Verweis auf die ökonomischen Belastungen in Folge des Ukraine-Kriegs gelang es BAYER & Co., die Europäische Union dazu zu bewegen, viele Projekte zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt vorerst von der Agenda zu nehmen. So verschwand das Vorhaben, den Agro-Riesen die Ausfuhr von innerhalb der EU nicht zugelassenen Pestiziden zu untersagen, vom Arbeitsplan der EU-Kommission für das Jahr 2023. Die grüne EU-Parlamentarierin Grace O’Sullivan wollte von Umwelt-Kommissar Virginijus Sinkevičius nun wissen, wie es in der Causa weitergeht. Dieser versicherte, Brüssel sehe sich nach wie vor in der Pflicht, „sicherzustellen, dass gefährliche Chemikalien, die in der Europäischen Union verboten sind, nicht für den Export hergestellt werden“. Aber bis die EU dieser nachkommt, dürfte noch einige Zeit verstreichen. Sie will nämlich erst einmal eine Studie zum Ausfuhr-Bann in Auftrag geben und auf deren Basis dann eine Folgeabschätzung über die Vor- und Nachteile eines Verbots erstellen. Zudem plant die Union noch eine öffentliche Konsultation zu dem Thema.

DRUGS & PILLS

XARELTO-Nebenwirkung Hautausschlag

BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO mit dem Wirkstoff Rivaroxaban hat gefährliche Nebenwirkungen wie z. B. Blutungen. Im Herbst 2022 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA Hinweise auf einen weiteren unerwünschten Pharma-Effekt bekommen. ÄrztInnen meldeten bei XARELTO-PatientInnen Fälle von Pemphigoid, einer Autoimmun-Krankheit, die zu Blasen auf der Haut führt. Darum forderte der EMA-Ausschuss für Risiko-Bewertung den BAYER-Konzern auf, das Präparat mit Blick auf diese Gesundheitsstörung unter genauere Beobachtung zu stellen.

Neue STIVARGA-Nebenwirkung?

BAYERs Krebsmedikament STIVARGA mit dem Wirkstoff Regorafenib kommt als Mittel der 2. Wahl zur Behandlung von fortgeschrittenem Darmkrebs sowie zur Therapie von GIST – einer bestimmten Art von Verdauungstrakt-Tumoren – zur Anwendung. Bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA gingen jetzt Meldungen über Fälle von thrombotischer Mikroangiopathie unter STIVARGA ein, eine Erkrankung, bei der es zu Blutgerinnseln in den kleinsten Blutgefäßen kommt. Dies kann zu massiven Durchblutungsstörungen und in der Folge zum Tod der PatientInnen führen. Der EMA-Ausschuss für Risiko-Bewertung hat BAYER deshalb dazu aufgefordert, genauere Informationen zu dieser Nebenwirkung zu liefern.

Erweiterte KERENDIA-Zulassung

Die BAYER-Arznei KERENDIA (Wirkstoff: Finerenon) kommt bei schweren Nieren-Erkrankungen, die infolge einer Diabetes auftreten, zur Anwendung. Im Dezember 2022 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA einen Einsatz auch bei leichteren Fällen empfohlen. Das industrie-unabhängige arznei-telegramm spricht sich gegen die Entscheidung aus. Das Fachblatt vermisst überzeugende Belege für positive Effekte auf die Nieren und das Herz/Kreislauf-System. Darüber hinaus verweist es darauf, dass die KDIGO – eine Fachorganisation für Nieren-Krankheiten – nur eine schwache Empfehlung für das Präparat ausgesprochen hat. Überdies macht die Publikation auf das Risiko eines erhöhten Kalium-Spiegels durch die Einnahme von KERENDIA aufmerksam.

RESOCHIN erhöht das Suizid-Risiko

Das BAYER-Präparat RESOCHIN mit dem Wirkstoff Chloroquin ist zur Behandlung von Autoimmun-Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis sowie zur Malaria-Prophylaxe zugelassen. Eine Zeitlang galt es zudem als Wundermittel gegen Covid-19. Im Zuge dessen häuften sich die Anwendungen massiv – und entsprechend auch Nebenwirkungen. So traten psychische Störungen gehäuft auf. Darüber hinaus setzten sich die RESOCHIN-NutzerInnen einer erhöhten Suizid-Gefahr aus. Darum schritt der Ausschuss für Risiko-Bewertung der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA ein und verlangte vom Leverkusener Multi und den anderen Herstellern, auf den Packungsbeilagen verstärkt vor diesen unerwünschten Arznei-Effekten zu warnen.

BAYER die deutsche Nr. 1

Im Jahr 2022 machte der BAYER-Konzern mit seiner Pharma-Sparte einen Umsatz von 20,7 Milliarden Dollar. Damit ist er die Nr. 1 in Deutschland vor BOEHRINGER INGENHEIM (19 Milliarden) und BIONTECH (17,6 Milliarden) und die Nr. 16 der ganzen Erde. Auf einen Weltmarkt-Anteil von 1,8 Prozent kommt der Pillen-Riese. Allerdings wächst der Abstand zur globalen Top 10. Betrug dieser zu Beginn des letzten Jahrzehnts noch sechs Milliarden Dollar, so beläuft er sich mittlerweile auf zwölf Milliarden.

Deal mit TAVROS

Die BAYER-Tochter VIVIDION sucht mit Hilfe neuer Technolo-gien Proteine, die eine Rolle bei der Entstehung von Krankheiten spielen und deshalb als therapeutische Ansatz-Punkte in Frage kommen. Sie setzt beim Aufspüren dieser „Targets“ jedoch auch auf Kooperationen. So hat die Gesellschaft im Oktober 2022 einen Deal mit TAVROS vereinbart. Sie zahlt der US-Firma sofort 17,5 Millionen Dollar und noch einmal Erfolgsprämien von bis zu 430 Millionen Dollar, sollten aus der Kooperation vier marktreife Krebsmittel erwachsen. Überdies stellte VIVIDION für fünf weitere Tumor-Medikamente noch einmal bis zu 482 Millionen Dollar in Aussicht.

AGRO & CHEMIE

Sterbehilfe wg. Glyphosat-Vergiftung

Gilberto Avila hatte als Angehöriger der kolumbianischen Anti-Drogenpolizei in den 1990er Jahr an Einsätzen teilgenommen, in denen Glyphosat von Flugzeugen aus auf Koka-Felder niederging, um die Ernten zu vernichten. Das blieb nicht ohne Folgen für seine Gesundheit. Er zog sich Parkinson als Berufskrankheit zu. Da dieses Leiden bei ihm zu einer fast vollständigen Lähmung führte, nahm der Beamte Sterbehilfe in Anspruch. Vorher aber forderte er noch in eindringlichen Worten, die Menschen besser vor dem Herbizid zu schützen: „Ich will nicht, dass Glyphosat weiter Leben wie das meine tötet.“

Kein Glyphosat mehr auf Koka-Feldern

Als eine seiner ersten Amtshandlungen verkündete der neugewählte kolumbianische Präsident Gustavo Petro im August 2022 ein Ende des „War on Drugs“ und bereitete damit auch der Zerstörung von Koka-Felder durch das Besprühen mit Glyphosat ein Ende, das Mensch, Tier und Umwelt extremen Gift-Lasten ausgesetzt hatte (s. o.). Gleichzeitig leitete er eine Kehrtwende in der Drogen-Politik ein, die nicht mehr auf Gewalt und Kriminalisierung der Koka-PflanzerInnen gründet und ihnen stattdessen Alternativen zum Anbau dieser Gewächse bieten will.

Glyphosat-Bann in Guernsey

Die britische Kanal-Insel Guernsey hat den Verkauf von Glyphosat-Produkten für den Privat-Gebrauch ab dem Januar 2023 untersagt, um die Tierwelt und die Wasser-Reservoirs zu schützen. Zu einem Total-Verbot konnten sich die PolitikerInnen allerdings aus Furcht, damit gegen Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) zu verstoßen, nicht entschließen.

Glyphosat-Bann in Misiones?

Die argentinische Provinz Chubut hat bereits im Jahr 2019 einen Glyphosat-Stopp beschlossen. Jetzt versucht es ihr das im Nordosten des Landes gelegene Misiones gleichzutun. Dort aber spielt die Landwirtschaft wirtschaftlich eine größere Rolle, und viele Bauern und Bäuerinnen wenden sich gegen die Pläne des „Natural Ressource Commitees“. Deshalb ist der Ausgang ungewiss.

Glyphosat schädigt das Nervensystem

Die spanischen WissenschaftlerInnen Carmen Costas-Ferreira und Rafael Durán von der Universidade de Vigo haben neue Studien zur Wirkung von Glyphosat auf das Nervensystem durchgearbeitet und bei ihrer Literatur-Recherche weitere Belege für das Gefährdungspotenzial des Herbizids gefunden. „Die vorliegenden Informationen deuten darauf hin, dass die Exposition gegenüber Glyphosat oder seinen kommerziellen Formulierungen mehrere neurotoxische Effekte hervorruft“, lautet das Resümée der beiden ForscherInnen. Eine besondere Gefahr stellt das Ferreira und Durán zufolge für Säuglinge, Kinder und Jugendliche dar, denn das Pestizid vermag die Zellentwicklung in frühen Lebensstadien empfindlich zu beeinträchtigen. So stört es beispielsweise die Signalwege der Neuronen, was zu Entzündungen von Nervengewebe und Zell-Schäden führen kann – und das alles schon in Dosen, die unter den derzeit gültigen Grenzwerten liegen.

Fehlende Glyphosat-Studien zu DNT

Pestizide und andere Stoffe können das sich noch in der Entwicklung befindliche Nervensystem von Embryos, Babys und Kindern schädigen. Tests geben Aufschluss über diesen als Entwicklungsneurotoxizität (DNT) bezeichneten Effekt. Die Europäische Union verlangt bei ihren Genehmigungsverfahren von BAYER & Co. allerdings keine Informationen zu dieser potenziellen Nebenwirkung. Die beiden schwedischen WissenschaftlerInnen Axel Mie und Christina Ruden betrachten das in einem Aufsatz, der in dem Fachmagazin Environmental Health erschienen ist, als ein großes Manko. Deshalb fordern sie die EU auf, die Regulierungsbestimmungen entsprechend zu ändern und verweisen dabei explizit auch auf die Glyphosat-Studie von Carmen Costas-Ferreira und Rafael Durán (s. o.). Überdies plädieren sie dafür, künftig keine von der Industrie finanzierten Untersuchungen mehr in die Zulassungsprozesse einzubeziehen.

Studie bekräftigt Krebs-Verdacht #1

Bei oxidativem Stress entstehen in den Zellen hochreaktive Moleküle, was die DNA schädigen und Krebs auslösen kann. Und eben diesen oxidativen Stress vermag Glyphosat hervorzurufen. Zwölf US-amerikanische WissentschaftlerInnen vom „National Institute of Health“ und den „Centers for Disease Control and Prevention“ fanden bei Menschen mit erhöhten Glyphosat-Werten im Urin vermehrt Indikatoren für diese Stoffwechsel-Störung. „Mit dieser Studie wachsen unsere Erkenntnisse darüber, dass Glyphosat das Potenzial hat, Krebs zu verursachen“, resümiert die Forscherin Linda Birnbaum. Den Auftrag zu der Arbeit, die Teil der größer angelegten „Agricultural Health Study“ über die Langzeit-Auswirkungen von Pestiziden auf die Gesundheit von LandwirtInnen ist, erhielten sie und ihre KollegInnen vom „National Cancer Institute“ und dem „National Institute of Environmental Health Sciences“. Auch die US-amerikanische Umweltbehörde EPA beteiligte sich. Nach Meinung der Zwölf sind die Resultate ihrer Untersuchung für die Zulassungsbehörden relevant. Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA will diese dann auch im Rahmen der Entscheidung über die Glyphosat-Zulassungsverlängerung auswerten, wie sie gegenüber der britische Zeitung The Guardian erklärte. BAYER hingegen versucht, die Ergebnisse kleinzureden. „Der erhöhte oxidative Stress, der in der Studie festgestellt wurde, könnte durch eine beliebige Anzahl von Faktoren verursacht worden sein, die nicht mit Glyphosat in Verbindung stehen“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Darüber hinaus stieß der Global Player – wie immer, wenn ihm ein Ergebnis nicht passt – auf angebliche methodische Mängel.

Studie bekräftigt Krebs-Verdacht #2

Durch genotoxische, also erbgut-schädigende Wirkungen von Pestiziden kann es zu einer unkontrollierten Zell-Vermehrung und in der Folge zu Tumor-Bildungen kommen. Hinweise auf diesen Effekt bei Glyphosat gingen Charles Benbrook, Robin Mesnage und William Sawyer nach. Sie sichteten Studien dazu und werteten die Untersuchungen aus. Ergebnis: 24 der 33 Arbeiten bescheinigten dem Herbizid Genotoxizität.

BAYER: Glyphosat nicht neurotoxisch

In letzter Zeit erschienen immer mehr Untersuchungen, die Glyphosat eine das Nervensystem schädigende Wirkung bescheinigten (s. o.). Das machte BAYER & Co. im Hinblick auf die für 2023 anstehende Entscheidung der EU über die Zulassungsverlängerung nervös. Also beauftragte die „Glyphosate Renewal Group“ zwei WissenschaftlerInnen mit einer Entlastungsstudie. Virginia C Moser vertiefte sich mit drei KollegInnen in die Literatur und lieferte das bestellte Ergebnis ab: „Zusammengenommen zeigen diese Studien keine konsistenten Auswirkungen von Glyphosat auf die Struktur oder Funktion des Nervensystems von Säugetieren.“ Diejenigen Arbeiten, die das doch taten, hatten die willigen WissenschaftlerInnen vorher wohlweislich „aufgrund kritischer methodischer Mängel“ aussortiert.

BAYERs neue Glyphosat-Studie

Das auf Umwelt- und Landwirtschaftsfragen spezialisierte Beratungsunternehmen RSK ADAS LTD. ist in Gestalt von Sarah Wynn stets zu Diensten, wenn es gilt, den Ruf von Glyphosat zu retten. Mit der Transparenz nimmt Wynn es dagegen nicht so genau. So verschwieg sie bei „Studien“ aus dem Jahr 2010 und 2014, die im Falle eines Verbots von Glyphosats schlimme Folgen für den Landwirtschaftssektor in Großbritannien prophezeiten, den Auftraggeber MONSANTO. Das erhöhte deren Gebrauchswert enorm: Die Agro-Lobby nutzte die Arbeiten 2017 im Vorfeld der EU-Entscheidung über die Zulassungsverlängerung für das Herbizid exzessiv. Ein solcher Entscheid steht für 2023 erneut an, und wieder ist Sarah Wynn im Einsatz. Diesmal offen von BAYER bezahlt und unterstützt von der „Glyphosate Renewal Group“, entwarf sie ein Horror-Szenario zu Europa ohne Glyphosat. Sie kam im Gewand einer „Folgeabschätzung über das Fehlen von Glyphosat innerhalb der EU“ daher und bediente sich zahlreicher Schock-effekte: Ernte-Ausfälle, Verschlechterung der Boden-Qualität, wachsender Kohlenstoffdioxid-Ausstoß, erhöhter Maschinen-Einsatz, Schädigung der Artenvielfalt und dergleichen mehr. Das dürfte seine Wirkung auch diesmal nicht verfehlen.

Glyphosat in Haferflocken

Die Zeitschrift Öko-Test untersuchte im Oktober 2022 Haferflocken und fand in sechs von 29 Sorten Pestizid-Rückstände. Viermal stießen die WissenschaftlerInnen dabei auf Spuren von Glyphosat und zweimal auf solche von Chlormequat.

Glyphosat in Nudeln

Das schweizerische Magazin K-tipp hat 18 italienische Nudel-Produkte auf Glyphosat-Spuren untersuchen lassen. Von den 13 konventionellen Sorten enthielten zehn – unter den aktuellen Grenzwerten bleibende – Rückstände des Pestizids. In den fünf Bio-Fabrikaten konnten die WissenschaftlerInnen keinerlei Glyphosat-Reste entdecken.

Die AfD sorgt sich um Glyphosat

Ende 2023 steht die EU-Entscheidung über die Glyphosat-Zulassungsverlängerung an. Die Ampelkoalition hat überdies angekündigt, alle juristischen Möglichkeiten zu prüfen, um das Herbizid auch im Falle eines positiven Votums nicht mehr auf die hiesigen Äcker zu lassen. Deshalb sorgt sich die AfD um die Zukunft des Pestizids und gibt dem in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung Ausdruck. Gestützt auf die Argumente von BAYER & Co. verweist die Partei dabei auf die angeblichen Qualitäten des Mittels. So will sie positive Auswirkungen auf die Boden-Qualität ausgemacht haben, weil Glyphosat das Pflügen ersetzt, was überdies den Kohlendioxid-Ausstoß senke. Die Ampel-Koalition teilte dieses Argument nicht. Sie blieb bei ihrer Haltung: „Nach Auffassung der Bundesregierung ist die mehrfache mechanische Bearbeitung des Bodens, soweit erforderlich, einer Anwendung eines glyphosat-haltigen Herbizids vorzuziehen.“ Auch das Argument, das Pestizid steigere den Wasser-Gehalt der Böden, lässt sie nicht gelten. Untersaaten und Zwischenfrüchte könnten eventuelle negative Effekte einer zu großen Durchmischung der Erde auffangen, heißt es in der Antwort. Und höhere Kosten durch den Wegfall von Glyphosat sehen SPD, Grüne und FDP ebenfalls nicht auf die LandwirtInnen zukommen.

Pestizide stören Bestäubung

Zwischen Pflanzen und ihren Bestäubern bildet sich ein elektrisches Feld, weil die Gewächse leicht negativ und die Tiere leicht positiv geladen sind. Hummeln vermittelt die jeweilige Beschaffenheit des Feldes Informationen über den Bestäubungsstatus der Gewächse. Pestizide wie Imidacloprid (Wirkstoff u. a. von BAYERs im Jahr 2018 EU-weit verbotenem GAUCHO) aber stören diesen Prozess, wie WissenschaftlerInnen der „University of Bristol“ herausgefunden haben. „Blüten, bei denen das elektrische Feld verändert war, wurden von den Hummeln seltener besucht. Es ist das erste bekannte Beispiel dafür, dass menschliche Aktivitäten den Elektro-Sinn eines an Land lebenden Tieres beeinträchtigen“, so der Bristoler Forscher Sam England.

BAYER umgeht Export-Verbot

Frankreich verbietet den Export von Pestiziden, die innerhalb der Europäischen Union wegen ihrer Risiken und Nebenwirkungen keine Zulassung (mehr) haben. BAYER & Co. können allerdings Ausnahme-Genehmigungen beantragen. Und das tun sie nicht zu knapp. 94 solcher Gesuche gingen bei den Behörden ein. Darum gelangten im Jahr 2022 von Frankreich aus noch 7.474 Tonnen inkriminierte Agro-Chemikalien nach Brasilien, Mexiko, Russland, Indien und in andere Länder, wie eine Recherche von PUBLIC EYE ergab. Darunter befanden sich mit Fenamidon, Imidacloprid und Clothianidin auch solche Wirkstoffe, die in Produkten des Leverkusener Multis enthalten sind. Zudem haben die Konzerne Wege gefunden, den Bann zu umgehen. Sie exportieren die Ackergifte in andere EU-Staaten und erst von dort aus in die große, weite Welt oder aber sie verlegen gleich die ganze Herstellung an andere Standorte. „Aus all diesen Gründen braucht es ein EU-weites Export-Verbot für verbotene Pestizide“, fordert PUBLIC EYE.

Belgien plant Export-Verbot

Frankreich verbietet die Ausfuhr von Pestiziden, die innerhalb der Europäischen Union wegen ihrer Risiken und Nebenwirkungen keine Zulassung (mehr) haben (s. o.) Auch die Schweiz unterbindet den Export bestimmter besonders gefährlicher Stoffe. Hierzulande ist eine solche Regelung in Planung. Und nun trifft Belgien ebenfalls entsprechende Vorbereitungen. Allerdings gibt es Widerstände aus dem Agrar-Ministerium.

PFLANZEN & SAATEN

BAYER investiert in ANDES

Der BAYER-Konzern unterstützt das US-amerikanische Start-Up ANDES finanziell. 15 Millionen Dollar hat er in das Unternehmen investiert, das daran forscht, synthetischen Dünger durch andere Technologien zu ersetzen. ANDES behandelt etwa Saatgut mit Mikroben, wodurch die Pflanzen dann später Stickstoff aus der Luft aufnehmen können, so jedenfalls der Plan. Zudem experimentiert ANDES mit Mikroben-Stämmen zur Bindung von klimaschädlichem Kohlendioxid im Boden.

GENE & KLONE

Glyphosat-resistenter Wildraps

In Kanada hat glyphosat-resistenter Raps von BAYER auf andere Pflanzen übergegriffen und damit zu einer großen Plage auf Feldern mit ebenfalls glyphosat-resistenten Kulturpflanzen geführt. Mancherorts nahmen die Wildpflanzen mehr als die Hälfte der Fläche ein. Es entstanden sowohl wilder Gen-Raps als auch Gen-Rübchen sowie Kreuzungen zwischen diesen beiden Gewächsen, wie ein ForscherInnen-Team um Martin Laforest feststellte. Diese neue Art hielten die WissenschaftlerInnen eigentlich für hybrid, also kaum vermehrungsfähig. Durch erneute Rückkreuzungen hat sich diese Eigenschaft allerdings ausgeschlichen. Damit nicht genug, verband sich der genmanipulierte Raps auch noch mit dem Ackerrettich. Laforest & Co. mahnten deshalb, bei der Einführung eines fremden Gens in eine Pflanze darauf zu achten, ob diese Ähnlichkeiten mit Wildpflanzen aufweist und Hybride herausbilden kann. „Die vorliegende Studie zeigt erneut die Komplexität und Unvorhersehbarkeit ökologischer Vorgänge“, resümiert die Initiative TESTBIOTECH.

Indien genehmigt Gentech-Baumwolle

Indien erlaubt es nicht, Saaten, Pflanzen oder Tiere zum geistigen Eigentum von Personen oder Unternehmen zu erklären. Deshalb sah sich die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO dort in Sachen „Genpflanzen“ mit langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen über Patente und Lizenz-Gebühren konfrontiert. Als Konsequenz daraus erklärte die Gesellschaft Ende 2016, in dem Land keine neuen Laborfrüchte mehr zu vermarkten und zog den Zulassungsantrag für eine Baumwolle mit der Bezeichnung „Bollgard II ROUNDUP READY Flex“ zurück. Andere Agro-Riesen schlossen sich dem Boykott an. Im Frühjahr 2021 jedoch endete ein Rechtsstreit des Unternehmens, das seit 2018 zum Leverkusener Multi gehört, mit einer indischen Firma in gütlichem Einvernehmen. Darum holte BAYER den alten Antrag für die gegen Glyphosat resistente und mit zwei Giftstoffen des Bacillus thuringienis bestückte Baumwolle wieder aus der Schublade. Im Oktober 2022 erhielt das Unternehmen dann einen positiven Bescheid vom „Genetic Enginneering Appraisal Commitee“ (GEAC).

Lizenz-Vertrag mit YIELD10

Der BAYER-Konzern kooperiert bereits seit längerer Zeit mit dem Biotech-Unternehmen YIELD10. Der Leverkusener Multi hat mit der US-Firma einen Vertrag abgeschlossen, der ihm Zugriff auf eine Technologie zur Steigerung der Soja-Ernten verschafft. YIELD nutzt die neuen Genscheren-Verfahren, um an der Photosynthese zu schrauben und beispielsweise den Kohlenstoff-Kreislauf zu „optimieren“, was für einen besseren Ertrag sorgen soll.

Kooperation mit RECODE THERAPEUTICS

Der BAYER-Konzern setzt sowohl im Pharma- als auch im Agro-Bereich stark auf das „Gene Editing“, also zum Beispiel auf Gen-Scheren wie CRISPR-Cas9, die das Erbgut angeblich genau an einer vorgegebenen Stelle auftrennen können, um es dann „umzuschreiben“ oder neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einzufügen. Ein neues Kooperationsabkommen in Sachen „Gene Editing“ hat jetzt seine Genmedizin-Tochter ASKBIO mit RECODE THERAPEUTICS abgeschlossen. Die beiden Partner wollen an einer Technologie arbeiten, „die das vollständige Einfügen von Genen ermöglicht, indem sowohl das Gene-Editing-Tool als auch die DNA als gemischte Ladung (...) präzise zu den gewünschten Zielen transportiert werden“. Als mögliche Anwendungsbereiche nennt der Leverkusener Multi Leber- und Lungenkrankheiten.

WASSER, BODEN & LUFT

Treibhaus-Gase en masse

Im Geschäftsjahr 2022 stieß der BAYER-Konzern 3,03 Millionen Tonnen Treibhaus-Gase aus. Gegenüber 2021 sank der Wert um gerade einmal 140.000 Tonnen. Und wiederum gehen diese Emissionen zu einem Gutteil auf das Konto von Glyphosat, weil der gesamte Fertigungsprozess an den US-Standorten Soda Springs und Luling sehr viel Energie verschlingt. Eine Betriebstemperatur von 1500° Celsius braucht etwa der Ofen in Soda Springs, um aus Phosphorit das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor herauszulösen. Darum musste es auch im neuesten Nachhaltigkeitsbericht des Leverkusener Multi wieder heißen: „Besonders energie-intensiv ist unsere Rohstoff-Gewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science.“ Dies machte der Konzern auch als hauptsächliche Ursache für den höheren Gesamtenergie-Einsatz aus, der 2022 von 34.835 Terrajoule auf 35.472 Terrajoule zulegte. „Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr ist überwiegend durch Produktionssteigerungen an den Standorten Soda Springs und Luling, USA, bedingt“, so der Leverkusener Multi.

BAYERs Treibhaus-Gase

Als klima-schädlicher Stoff steht zumeist das Kohlenstoffdioxid im Fokus, weil BAYER & Co. es in Massen emittieren. Die anderen Treibhaus-Gase sind jedoch auch nicht ohne. In der Summe richten fluorierte Kohlenwasserstoffe, Lachgas, Methan, Kohlenmonoxid und Ruß fast einen genauso großen Schaden an wie CO2, denn die Stoffe haben es in sich. So ist Methan 25-mal so wirksam wie CO2 und Lachgas sogar 125-mal. Und der Leverkusener Multi mischt auch auf diesem Feld kräftig mit. Er stieß im Geschäftsjahr 2022 39.000 Tonnen fluorierte Kohlenwasserstoffe, 7.000 Tonnen Lachgas, 3.000 Tonnen Methan und 2.620 Tonnen Kohlenmonoxid aus.

Ein bisschen Emissionshandel

„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren. Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So bekamen die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum braucht der Leverkusener Agro-Riese kaum Emssionshandel zu betreiben. Mit lediglich fünf Anlagen, deren Kohlendioxid-Ausstoß sich auf rund 290.000 Tonnen belief, war er im Geschäftsjahr 2022 dabei. Das sind noch nicht einmal zehn Prozent des CO2-Gesamtaufkommens.

BAYER kauft Erneuerbare Energie

BAYER erzeugt selbst Strom, erwirbt aber auch großen Mengen dazu. Beim zugekauften, dem sogenannten sekundären Energie-Einsatz, tut sich ein bisschen was, weil der Konzern hier vermehrt auf Erneuerbare setzt. Ihr Anteil betrug im Geschäftsjahr 2022 32,6 Prozent.

CO2-Kompensation statt -Reduktion

Eigentlich existiert nur ein Weg, um den Klimawandel einzudämmen: Reduktion des Stromverbrauchs und Umstieg auf erneuerbare Energie-Träger. BAYER & Co. ist aber noch etwas anderes eingefallen. Sie wollen ihre CO2-Emissionen nicht nur reduzieren, sondern auch kompensieren, also das, was sie so in die Luft blasen, an anderer Stelle wieder ausgleichen. Der Leverkusener Multi nimmt sich zwar vor, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden, die Senkung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase soll dazu aber nur zu 42 Prozent beitragen. Für den Rest greift er zu Maßnahmen wie z. B. Investitionen in Waldschutz- und Wiederaufforstungsvorhaben. Deren Ertrag für seine Klima-Bilanz gibt der Global Player für 2022 mit 450.000 Tonnen CO2 an. An der Belastbarkeit dieser Zahl bestehen allerdings erhebliche Zweifel. Der Agro-Riese hat für einen Teil seiner Kompensationsgeschäfte nämlich Zertifikate der Firma Verra erworben, die nach Recherchen von Die Zeit und anderen Medien gar nicht von wirklichen Kohlendioxid-Einsparungen gedeckt, sondern „[e]in Haufen Schrott“ waren.

Mehr ODS in der Luft

Für den Ausstoß von ozon-abbauenden Substanzen (ODS) ist bei BAYER seit Jahr und Tag hauptsächlich die alte Dreckschleuder im indischen Vapi zuständig. Der Konzern doktert zwar schon lange der Anlage herum und hat sogar Emissionsreduktionsmaßnahmen vorgenommen, aber so recht zu greifen scheint dies nicht. 2022 erhöhten sich die ODS-Emissionen gegenüber dem Vorjahr um 7,8 Prozent auf 4,2 Tonnen. „Eine Produktionssteigerung am Standort Vapi, Indien, führte zu einem vermehrten Einsatz von ODS als Rohstoff für die Produktion“, heißt es dazu im neuesten Nachhaltigkeitsbericht.

Mehr VOC in der Luft

2022 stieg die Freisetzung von flüchtigen organischen Substanzen (VOC) aus BAYER-Schornsteinen von 430 auf 460 Tonnen. Neben „Produktionssteigerungen an verschiedenen US-Standorten“ trug auch hierzu wieder der Standort Vapi so einiges bei.

Mehr Staub in der Luft

2022 erhöhte sich der Staub-Ausstoß des BAYER-Konzerns von 2.050 Tonnen auf 2.260 Tonnen. Als Grund führte der Agro-Riese „die Staub-Emissionen aus Saatgut-Prozessen an mehreren Standorten in Brasilien“ an.

Mehr Schwefeloxide in der Luft

2022 stieg der Ausstoß von Schwefeloxiden aus den Anlagen des BAYER-Konzerns von 1.280 Tonnen auf 1.290 Tonnen an.

Weniger Stickoxide in der Luft

2022 sanken die Emissionen von Stickoxiden aus Anlagen des BAYER-Konzerns gegenüber dem Vorjahr von 3.570 Tonnen auf 3.520 Tonnen.

Enormer Wasserverbrauch

BAYERs Wasser-Verbrauch ging im Geschäftsjahr 2022 kaum zurück. Er belief sich auf 53 Millionen Kubikmeter (2021: 55 Millionen Kubikmeter). 21,3 Millionen Kubikmeter davon entstammt dem Grundwasser. Zu allem Übel erstreckt sich der enorme Durst des Agro-Riesen auch noch auf Gebiete, die unter Wasser-Mangel leiden. Drei Millionen Kubikmeter fördert er in solchen Regionen.

24 Millionen Kubikmeter Abwasser

Im Jahr 2022 belief sich die Abwasser-Menge des BAYER-Konzerns auf 24 Millionen Kubikmeter (2021: 25 Millionen Kubikmeter).

Höhere Phosphor-Werte

Im Jahr 2022 produzierte BAYER mehr phosphor-haltige Abwässer als 2021. Von 510 Tonnen auf 610 Tonnen stieg der Wert.

Höhere Schwermetall-Werte

Im Jahr 2022 produzierte BAYER mehr schwermetall-haltige Abwässer als 2021. Von 3,2 Tonnen auf 3,5 Tonnen erhöhte sich die Menge.

Mehr Anorganische Salze

Im Jahr 2022 enthielten die Abwässer des BAYER-Konzerns mehr Anorganische Salze als 2021. Das Aufkommen stieg von 172.000 Tonnen auf 176.000 Tonnen.

Weniger Stickstoff im Abwasser

2022 enthielten die Abwässer des BAYER-Konzerns weniger Stickstoff als 2021. Die Menge reduzierte sich um 120 Tonnen auf 240 Tonnen.

Weniger TOCs im Wasser

Im Jahr 2022 fielen bei BAYER weniger gebundene organische Kohlenstoffe (TOCs) im Abwasser an als 2021. Von 1.280 Tonnen auf 1.110 Tonnen sank der Wert.

Neue Wasser-Grenzwerte für Glyphosat?

In ihrer neuen Wasserrahmen-Richtlinie will die Europäische Union auch neue Grenzwerte für Pestizide festlegen. Das „Scientific Committee on Health, Environment and Emerging Risks“ schlug dabei für Glyphosat in Süßwasser, das zur Trinkwasser-Gewinnung Verwendung findet, ein Limit von 0,1 Mikrogramm pro Liter vor. Damit zeigten sich BAYER & Co. gar nicht einverstanden. „Der nun vorgeschlagene Wert entbehrt nicht nur der notwendigen wissenschaftlichen Grundlage (...), sondern ignoriert auch die nachweislich hohe Entfernungseffizienz für Glyphosat bei der standardmäßigen europäischen Wasseraufbereitung“, hieß es in einer Stellungnahme der „Glyphosate Renewal Group“.

Renaturierung der Wupper

Der BAYER-Konzern nutzt die Wupper als Abfluss-Kanal und als Reservoir für Wasser, das er zur Kühlung und für andere Zwecke braucht. Derzeit versucht die Stadt Wuppertal gemeinsam mit dem Wupper-Verband, den ökologischen Zustand des Gewässers zu verbessern, was ihr nicht gerade leicht fällt. „Die Rahmenbedingungen sind schwer!“, bekundet die Kommune und nennt als Schwierigkeiten bei den Renaturierungsmaßnahmen unter anderem „Altlasten/Altablagerungen“. Trotzdem beteiligt sich der Agro-Riese nicht an den Kosten des Unterfangens.

Mehr Abfall

Im Geschäftsjahr 2022 produzierte BAYER mehr Abfall als 2021. Von 1,001 Millionen Tonnen auf 1, 038 Millionen Tonnen stieg das Aufkommen. Glyphosat bleibt im Boden Eine Studie der Universität Rostock sowie anderer Hochschulen und Forschungseinrichtungen ging der Frage nach, wie sich Glyphosat im Boden abbaut. Zu 97 Prozent tat es das schnell. Die WissenschaftlerInnen fanden auch nach einem Jahr noch Spuren des Herbizids sowie seines Abbauprodukts Aminomethylphosphon-Säure (AMP) im Oberboden. „Das deutet auf ein Akkumulationspotenzial von Glyphosat und eine erhöhte Persistenz des Abbauprodukts AMP hin“, konstatiert das Fachportal topagrar. Die Gefahr einer Auswaschung des Mittels in Gewässer schätzt das Medium trotzdem als gering ein. „Allerdings kann die Akkumulation im Boden das Risiko eines Eintrags in die Umwelt z. B. durch Erosion erhöhen“, gibt es zu bedenken.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

Neue PCB-Studie bleibt aus

Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie (SWB 1/14). Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheitsrisiko dar. Von den 1985 in der Bundesrepublik verkauften 72.000 Tonnen landete mehr als ein Sechstel im Bergbau, wo die schweren Gerätschaften viel Hydraulik-Öl brauchten. „Wir sind mit dem Zeug umgegangen, als wäre es Milch“, zitierte der Spiegel im Jahr 2015 einen Bergmann. Dementsprechend wies eine vom Bergbau-Konzern RAG schon in den 1990er Jahren initiierte Studie im Blut der Kumpel „signifikant erhöhte“ PCB-Konzentrationen nach, wie Dr. Thomas Kraus von der Aachener „Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule“ gegenüber den JournalistInnen des Nachrichtenmagazins ausführte. Und das hatte Folgen. Haut-, Leber- und Nierenerkrankungen stellten Kraus’ KollegInnen damals fest. Davon wollten jedoch Kraus und die RAG nichts mehr wissen. Sie führten im Jahr 2016 erneut eine Untersuchung durch. Wie zu erwarten war, hatten mehr als die Hälfte der 210 Kumpel auffällige PCB-Werte. Beim PCB 74 überschritten die gemessenen Rückstände diejenigen der sonstigen Bevölkerung um nicht weniger als das 20-Fache. Bei der Vorstellung der wissenschaftlichen Arbeit gab Thomas Kraus aber den Ahnungslosen. „Die Pilotstudie lässt auf eine länger zurückliegende erhöhte Belastung dieser Bergleute mit PCB schließen. Eine akute Gesundheitsgefährdung gemessen an heute gültigen Grenzwerten liegt nicht vor.“ Er und die RAG kündigten deshalb eine zweite Studie, diesmal mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen, an, um zu klären, „[o]b ein Zusammenhang zwischen einer damaligen PCB-Belastung von Bergleuten und in der Folge eventuell auftretenden Erkrankungen besteht“. Dazu kam es allerdings nie, wie eine Gruppe von MedizinerInnen um Dr. Günther Bittel kritisiert. Die ÄrztInnen wandten sich an die RUHRKOHLE AG und fragten nach den Gründen, erhielten aber keine Antwort. Dabei beließen sie es allerdings nicht. Bittel & Co. machten sich selbst ans Werk und starteten eine Untersuchung zu den von PCB ausgehenden Gefahren (s. u.).

Neue PCB-Studie

Gesundheitsschädliche Polychlorierte Biphenyle (PCB) kamen bis zu ihrem Verbot unter anderem im Bergbau großflächig zum Einsatz – mit entsprechenden Folgen für die Bergleute (s. o.). Eine neue Studie mit 124 ehemaligen Kumpeln, durchgeführt von einem Team um den Duisburger Mediziner Günther Bittel, förderte jetzt alarmierende Befunde zutage. 47,6 Prozent der TeilnehmerInnen hatten Herz/Kreislaufprobleme, 20,2 Prozent Lungenleiden, 20 Prozent Depressionen, 14,2 Prozent neurologische Erkrankungen und 10,5 Prozent Krebs. Verglichen mit dem Bevölkerungsdurchschnitt sind dies deutlich höhere Zahlen. Als Konsequenz aus ihrer Untersuchung forderten die ÄrztInnen einen regelmäßigen umweltmedizinischen Gesundheitscheck der GrubenarbeiterInnen auf Kosten der RUHRKOHLE AG, eine Beweislast-Umkehr in den Anerkennungsverfahren für Berufskrankheiten sowie eine Reinigung des abgepumpten PCB-haltigen Grubenwassers auf höchstem technischen Niveau. Zudem dringen sie auf eine Methode der Grenzwert-Festlegung, die auch die im Bergbau viel verwendeten PCB-Arten 74 und 114 umfasst und sich bewusst ist, „dass es für kanzerogene Substanzen keinen unbedenklichen Bereich gibt“.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Berkeley: Toter nach Brand

Am 17. Januar 2023 brach in BAYERs US-amerikanischer Niederlassung Berkeley ein Feuer aus. Zwei Beschäftige einer Fremd-firma erlitten dabei schwere Verbrennungen, einer von ihnen starb wenige Wochen später an den Folgen. Der Brand entstand bei Reparaturarbeiten in einem Labor mit Bio-Reaktoren zur Fermentation. Zur Ursache konnte der Leverkusener Multi am Tag des Vorfalls noch keine Angaben machen.

Brand im CURRENTA-Abfallbunker

Nach der Explosion im Entsorgungszentrum des Leverkusener Chem„parks“, die im Juli 2021 sieben Beschäftigte das Leben kostete, gelobte die Betreiber-Gesellschaft CURRENTA Besserung. Aber allzu weit her ist es mit der Sicherheit immer noch nicht: Am 5. Januar 2023 brach in einem Abfallbunker ein Brand aus. Die Feuerwehr konnte ihn zum Glück rasch löschen. „Es wurde niemand verletzt“, vermeldete die CURRENTA. Auch sei es durch das Feuer zu keinerlei Beeinträchtigungen benachbarter Siedlungen gekommen, so ein Unternehmenssprecher.

Stoff-Austritt in Muscatine

Im September 2022 kam es am US-amerikanischen BAYER-Standort Muscatine zu einem Störfall. Aus einem Tank trat ein Methanol/Methylamin-Gemisch aus. Ursache der Freisetzung war eine defekte Dichtung.

IMPERIUM & WELTMARKT

Pestizid-Markt: BAYER die Nr. 2

Im internationalen Pestizid-Geschäft ist BAYER nach einer Analyse der ETC GROUP auf Basis der Umsatz-Zahlen von 2020 mit einem Umsatz von 9,9 Milliarden Dollar die Nr. 2. CHEMCHINA als Nr. 1 setzte Mittel für 15 Milliarden ab. Die folgenden Plätze belegten die BASF und CORTEVA. Marktanteil der Top 4: 62,3 Prozent. Seit 2011 hat sich die Konzentration im Agrochemie-Segment damit nur unwesentlich weiter fortgesetzt. Damals kam das Spitzen-Quartett auf 62,1 Prozent.

Saatgut-Markt: BAYER die Nr. 1

Im weltweiten Geschäft mit Saatgut und Pflanzen-Eigenschaften nimmt BAYER der ETC-GROUP zufolge (s. o.) den ersten Platz ein. Mit Einnahmen von 10,3 Milliarden Dollar kam der Leverkusener Multi im Jahr 2020 auf einen Markt-Anteil von 23 Prozent. CORTEVA als Nr. 2 verbuchte 7,7 Milliarden. Insgesamt gingen 51 Prozent aller Umsätze in diesem Segment auf das Konto des Spitzen-Quartetts. Zum Vergleich: 2011 waren es 58,2 Prozent.

Biologika-Kooperation mit KIMITEC

Der BAYER-Konzern hat eine Forschungskooperation mit dem spanischen Unternehmen KIMITEC vereinbart, um sein Geschäft mit den nicht-chemischen Produkten gegen Schadinsekten und Wildkräuter sowie zur besseren Nährstoff-Versorgung von Pflanzen zu stärken. Er will deshalb jedoch seinen Agrogift-Schrank nicht gleich entsorgen – „best of both worlds“ lautet die Devise. „BAYER möchte Landwirten mit den Vorteilen biologischer Lösungen unterstützen und das als Teil eines integrierten Systems, das unsere führenden Pflanzen-Eigenschaften, Pflanzenschutz-Produkte und digitalen Lösungen miteinbezieht, so der Manager Dr. Robert Reiter. Branchen-KennerInnen rechnen bis 2028 mit einem Markt-Volumen für Biologika von bis zu 25 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das Markt-Volumen für Pestizide belief sich 2022 auf 94,7 Milliarden Euro.

RECHT& UNBILLIG

Freispruch in Sachen „IBEROGAST“

Im Jahr 2018 starb eine Frau, die BAYERs Magenmittel IBEROGAST eingenommen hatte. Sie hatte ihre Leber mit dem Schöllkraut-Extrakt so ruiniert, dass die ÄrztInnen eine Organ-Transplantation durchführen mussten, die nicht reibungslos verlief und der Patientin das Leben kostete. Da der Leverkusener Multi sich jahrelang weigerte, vor den die Leber schädigenden Effekten seines Pharmazeutikums zu warnen, nahm die Kölner Staatsanwaltschaft 2019 Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen zwei ehemalige Konzern-Beschäftigte auf. Auf Anfrage des Portals MedWatch teilte diese jetzt mit, die Causa ad acta gelegt zu haben. RechtsmedizinerInnen der Universität Köln konnten keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Schlucken des Präparats und dem Todesfall feststellen, so die Justizbehörde. Zudem fanden sich ihr zufolge keine hinreichenden Beweise für eine Sorgfaltspflicht-Verletzung. „[W]enig nachvollziehbar“ nennt MedWatch diese Begründung und verweist auf die schon lang bekannte Nebenwirkung „Leberschaden“ sowie BAYERs Umgang mit diesem unerwünschten Arznei-Effekt. Bereits seit den 1990er Jahren nämlich warnen MedizinerInnen vor Gefahren für die Leber durch Schöllkraut-Präparate wie IBEROGAST. Im Jahr 2005 zogen die Behörden deshalb höher dosierte Produkte aus dem Verkehr und ordneten für die niedriger dosierten Warnhinweise an. Der damalige IBEROGAST-Lizenzinhaber STEIGERWALD legte beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) jedoch Widerspruch gegen die Entscheidung ein, den der Leverkusener Multi aufrechterhielt, als er STEIGERWALD 2013 aufkaufte. 2017 wies das BfArM den Einspruch gegen die verfügte Änderung der Packungsbeilage dann ab. Aber der Global Player gab sich noch immer nicht geschlagen. Er reichte vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage gegen den Bescheid ein, die eine aufschiebende Wirkung hatte. Erst der Tod der Leber-Patientin im Sommer 2018 änderte die Sachlage. Da sah das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ dringenden Handlungsbedarf und drohte dem Pillen-Riesen mit dem „Sofort-Vollzug“ der Beipackzettel-Änderung. Und erst jetzt fügte sich der Global Player zähneknirschend. „Nach Aufforderung setzt BAYER VITAL die geforderten Hinweise in der Fach- und Gebrauchsinformation von IBEROGAST um“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Die Nachbemerkung „Wir stehen unverändert zu einem positiven Nutzen/Risiko-Verhältnis von IBEROGAST in den zugelassenen Indikationen“ durfte dabei natürlich nicht fehlen.

Juristische Glyphosat-Winkelzüge

Der BAYER-Konzern scheut in Sachen „Glyphosat“ auch nicht vor den abstrusesten juristischen Winkelzügen zurück. So gab er einen schon gewonnenen Entschädigungsprozess im Nachhinein verloren und zahlte dem Kläger John Carson 100.000 Dollar, damit dieser in Berufung geht und der juristischen Auseinandersetzung so den weiteren Weg durch die Instanzen eröffnet. Hier spekuliert der Global Player dann auf einen Sieg, der ihn dazu berechtigen würde, den Supreme Court anzurufen. Einmal hatte er das schon getan, jedoch ohne Erfolg. Das Gericht lehnte es ab, sich mit dem Fall „Hardeman“ zu befassen und folgte damit einer Empfehlung der US-Generalstaatsanwältin Elisabeth Prelogar. Diese hatte die Argumentation des Leverkusener Multis, wonach es sich bei der Causa um eine Bundesangelegenheit handle, nicht gelten lassen. Auch wenn die zentrale Umweltbehörde EPA das Mittel der BAYER-Tochter MONSANTO zugelassen und Krebs-Warnungen auf den Produkten verboten habe, könne ein kalifornisches Gericht sehr wohl anderer Meinung sein und BAYER wg. unterlassener Gefahren-Hinweise zu Entschädigungszahlungen verurteilen, so Prelogar. Im Fall „Carson v. MONSANTO Co.“ verfolgt der Konzern jetzt eine andere Strategie. Er spekuliert darauf, in letzter Instanz ein Urteil in seinem Sinne zu erwirken, das anderen in der Glyphosat-Sache ergangenen widerspricht, um den Supreme Court zu einem Machtwort zu bewegen. Im Juli 2022 scheiterte der Agro-Riese mit diesem Ansinnen allerdings: Der „11th U.S. Circuit Court of Appeals“ sprach Carson Recht zu. Der Global Player legte umgehend Rechtsmittel ein und erzielte einen Erfolg. Im Dezember 2022 entschied ein Berufungsgericht im Sinne des Global Players und ordnete eine Überprüfung der Entscheidung des Court of Appeals an. „Eine der wichtigsten Entwicklungen in der 7-jährigen Geschichte dieses Rechtsstreits“ nannte BAYERs oberster Prozess-Beauftragter Bill Dodero dieses Votum.

Glyphosat-Prozess: BAYER siegt

Am 21. Oktober 2022 begann vor dem „St. Louis County Circuit Court“ ein Entschädigungsprozess in Sachen „Glyphosat“. Stacey Moore machte das Herbizid für ihre Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung – das Non-Hodgkin-Lymphom – verantwortlich, aber die RichterInnen wiesen ihre Klage am 13. November ab.

Vergleich in Sachen QUIKPRO

Das BAYER-Herbizid QUIKPRO enthält Glyphosat in einer höheren Konzentration als ROUNDUP. Der Landschaftsgärtner Nathan Evans macht dieses Mittel für sein Non-Hodgkin-Lymphom – eine spezielle Art des Lymphdrüsen-Krebses – verantwortlich und reichte eine Klage ein. Das Verfahren endete mit einem Vergleich. Über die Höhe der vom Leverkusener Multi an Evans gezahlten Summe haben die Prozess-Parteien Stillschweigen vereinbart.

Klage wg. Entschädigungsausschluss

Bisher zahlte der BAYER-Konzern im Rahmen von Glyphosat-Vergleichen lediglich US-AmerikanerInnen Entschädigungen. Dagegen lehnt sich die Mexikanerin Elvira Reyes-Hernandez auf. Sie war während ihrer Arbeit auf Baum-Plantagen in den USA permanent Glyphosat ausgesetzt, was nicht ohne Folgen blieb. „Non-Hodgkin-Lymphom“ (s. o.) lautete die Diagnose der ÄrztInnen. Jetzt wirft sie dem Leverkusener Multi und den RechtsanwältInnen-Büros vor, sie von den Vereinbarungen ausgeschlossen zu haben und reichte eine entsprechende Klage ein. Dabei erhält die 47-Jährige Unterstützung von der größten VerbraucherInnenschutz-Organisation der Vereinigten Staaten: PUBLIC CITIZEN, 1971 von Ralph Nader gegründet. Die Gruppe MIGRANT JUSTICE hatte das Fehlen einer Regelung für ArbeitsmigrantInnen bereits unmittelbar nach BAYERs Präsentation der „Vorschläge zur Güte“ kritisiert. Und dieses Manko zählte auch zu den Gründen, warum Vince Chhabria als zuständiger Richter für das Mediationsverfahren vom Global Player Nachbesserungen angemahnt hatte. Dieser Aufforderung kam der Agro-Riese allerdings nicht nach – er ließ die Verhandlungen im Jahr 2021 platzen.

Gericht untersagt Phosphorit-Abbau

Die Gewinnung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphorit aus den Tagebau-Minen rund um den US-amerikanischen BAYER-Standort Soda Springs belastet Mensch, Tier und Umwelt enorm (siehe auch SWB 1/23). Unter anderem gelangen dabei Schwermetalle und radioaktive Stoffe wie Uran, Radom, Radium und Selen ins Freie. Darum haben das CENTER FOR BIOLOGICAL DIVERSITY (CBD) und andere Verbände die Genehmigung zur Inbetriebnahme einer neuen Mine, die das „Bureau of Land Management“ dem Leverkusener Multi im Jahr 2019 erteilte, angefochten. Und im Januar 2023 gab ein US-Gericht ihrer Klage gegen die Behörde und den Agro-Riesen als „Streithelfer“ statt. Der „U.S. District Court for the District of Idaho“ bescheinigte dem „Bureau of Land Management“, bei seiner Entscheidung die weiteren Konsequenzen der Phosphorit-Förderung wie die damit über Jahrzehnte fortgeschriebene umweltschädliche Weiterverarbeitung in Soda Springs und die Gefährdung von Beifußhuhn-Populationen nicht beachtet zu haben. Als eindeutige Verstöße gegen den „National Environmental Policy Act“ wertete der Court diese Versäumnisse. „Dieses Urteil ist ein entscheidender Sieg für das Beifußhuhn und alle Menschen und Wildtiere, die auf dieses empfindliche, unersetzliche Ökosystem angewiesen sind“, freute sich Center-Aktivistin Hannah Connor. Erst Anfang März 2021 musste der Global Player für Schäden, welche die Phosphorit-Förderung aus der – inzwischen stillgelegten – Ballard-Mine in den 1950er und 1960er Jahre verursachte, teuer bezahlen (siehe Ticker 2/21). Der Prozess, den die US-amerikanische Umweltbehörde EPA, der Bundesstaat Idaho und eine im Umfeld der Mine lebende Gruppe von Indigenen angestrengt hatten, endete mit einem Vergleich, der den Konzern fast 2,5 Millionen Dollar kostete. Ähnliche Verfahren gab es in den Jahren 2011 und 2015.