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Veröffentliche Beiträge in “SWB 02/2024”

Ticker 02/24

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG beim Klimastreik

Beim Klimastreik am 1. März 2024 kooperierte FRIDAYS FOR FUTURE mit Ver.di. Unter dem Motto „Wir fahren zusammen“ forderten Klima-AktivistInnen und GewerkschaftlerInnen gemeinsam bessere Bedingungen für den Öffentlichen Personen-Nahverkehr und deren Beschäftigte, um die für den Klimaschutz so wichtige Verkehrswende zu schaffen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) beteiligte sich an den Protesten und ging in Köln mit auf die Straße, denn der BAYER-Konzern trägt durch den Güter-Transport so einiges zu den hohen Kohlendioxid-Werten in diesem Bereich bei. Für ein Übriges sorgen seine Produktionsanlagen. Insgesamt blies der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2023 drei Millionen Tonnen CO2 in die Luft.

CBG beim Saatgut-Festival #1

Das Kölner Saatgut-Festival fand am 24. Februar 2024 wie letztes Jahr in den Räumen der Volkshochschule statt. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) war wieder mit einem Stand vertreten. Neben dem noch immer aktuellen Thema „Glyphosat“ bot sich in diesem Jahr zusätzlich „Gentechnik“ an, denn die EU plant in diesem Bereich gerade Regulierungsveränderungen zu Gunsten von BAYER & Co. Das Interesse an der Arbeit der CBG zu diesen und anderen Komplexen war groß. Gerne wurde das ausgelegte Info-Material von den BesucherInnen mitgenommen, und es entwickelten sich lebhafte Gespräche, in denen die Empörung über das Geschäftsgebaren des BAYER-Konzerns nicht zu überhören war. Das Angebot, den Aufruf der Coordination zum sofortigen Glyphosat-Stopp zu unterzeichnen, nahm dann auch eine beachtliche Anzahl besorgter Menschen wahr.

CBG beim Saatgut-Festival #2

Beim Düsseldorfer Saatgut-Festival am 9. März 2024 zeigte die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) ebenfalls mit einem Stand Präsenz. Bei Menschen, die selbst gärtnern und sich mit Pflanzen beschäftigen, findet sie nämlich immer ein offenes Ohr für ihre Kritik am agrar-industriellen Modell, wie es der BAYER-Konzern mit seinem Angebot an Pestiziden und gen-manipulierten Ackerfrüchten verkörpert. Und so konnte sich die CBG über ein reges Interesse am ausgelegten Informationsmaterial und viel Unterstützung für ihre Arbeit freuen.

UN für Bann von Ultragiften

Die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) hat am 1. März 2024 dazu aufgerufen, bis zum Jahr 2035 alle besonders gefährlichen Pestizide zu verbieten. Auf den BAYER-Konzern käme dadurch viel Arbeit zu, denn aktuell besteht das Sortiment zu über 35 Prozent aus solchen „Highly Hazardous Pesticides“ (HHPs). Zu solchen zählen unter anderem seine Agro-Chemikalien mit Wirkstoffen wie Carbendazim, Carbofuran, Ioxynil, Oxadiazon, Probineb, Thiodicarb, Thiram und Triadimenol.

AOK kritisiert Pharma-Strategie

Die Pharma-Strategie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) „soll Deutschland als Forschungs- und Produktionsstandort für die Pharma-Branche wieder attraktiver“ machen. Deshalb hält der Aktionsplan so einige Wohltaten für BAYER & Co. bereit (siehe auch POLITIK & EINFLUSS). Er sieht unter anderem vor, den Pillen-Riesen klinische Studien zu erleichtern, das Extra-Profite garantierende Patentrecht auf europäischer Ebene zu verteidigen und „Anreize zum Aufbau von Produktionsstätten in Deutschland“ zu prüfen. Die Genehmigungsdauer für Medikamenten-Tests will die Ampelkoalition auf fünf Tage verkürzen und neben Uni-Kliniken auch normalen Krankenhäusern erlauben, klinische Prüfungen für die Pharma-Industrie durchzuführen. Darüber hinaus möchte sie die Preise, die die Pillen-Produzenten mit den Krankenkassen für ihre Medikamente aushandeln, künftig unter Verschluss halten. „Das würde zu noch mehr Intransparenz bei der Preis-Bildung und zur Anhebung des ohnehin hohen Preis-Niveaus führen und die Arzneimittel-Preise in Deutschland weiter hochschaukeln“, warnt der stellvertretende AOK-Vorsitzende Jens Martin Hoyer. Nach Ansicht der AOK „ist die Wirtschaftsförderung für den Pharma-Standort Deutschland keine Aufgabe der Beitrag zahlenden Versicherten“.

AOK: Stabilisierungsgesetz wirkt kaum

Jahr um Jahr wachsen die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente. Vor allem die neuen patent-geschützten Produkte belasten die Etats von AOK & Co. massiv. So verlangt BAYER etwa für eine Packung seines Krebsmittels NUBEQA mit 112 Pillen schlappe 3.840,57 Euro. Mit dem „Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ wollte die Ampelkoalition den steigenden Arznei-Kosten Einhalt gebieten. Das Paragrafen-Werk zwang die Pillen-Riesen, den Kassen – begrenzt auf das Jahr 2023 – höhere Rabatte für die Pharmazeutika zu gewähren. Zudem haben die Pillen-Produzenten auf Kombinationspräparate zukünftig einen 20-prozentigen Abschlag zu gewähren. Darüber hinaus dürfen sie für neue patentgeschützte Arzneien nicht mehr ein ganzes, sondern nur noch ein halbes Jahr lang Mondpreise veranschlagen. Ab dem siebten Monat nach dem Inverkehrbringen greift dann der mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GVK) ausgehandelte Erstattungsbetrag. Auch gibt es strengere Vorgaben für solche Pharmazeutika, die im Vergleich zu den schon länger eingeführten Mitteln kaum einen Zusatznutzen aufweisen. Überdies kommen Präparate für seltene Krankheiten jetzt lediglich unterhalb eines Jahresumsatzes von 20 Millionen Euro in den Genuss von Erleichterungen. Und schließlich verlängert das „GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ das Preis-Moratorium für Pharmazeutika. Nach Einschätzung der AOK jedoch haben all diese Maßnahmen bis dato nicht die gewünschte Wirkung entfaltet: „Die damit verbundenen Einsparungen liegen (…) nach bisherigem Kenntnisstand noch deutlich unter den Erwartungen des Gesetzgebers.“

Kritik an Regelung zu Orphan Drugs

„[T]endenziell werden sich die Prioritäten in Richtung hochspezialisierter Therapien verschieben“, so umriss BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich gegenüber dem Handelsblatt die neue Arznei-Strategie des Konzerns. Pharmazeutika zur Behandlung von seltenen Krankheiten werfen nämlich Unsummen ab. Noch dazu locken nicht nur geldwerte Vorteile. So erfordern die klinischen Prüfungen keinen so großen Aufwand wie bei Standard-Medikamenten. Sie können mit einer kleineren ProbandInnen-Zahl erfolgen und wegen der kürzeren Behandlungszeiten schneller abgewickelt werden, wie Oelrich der Zeitung erläuterte. Damit nicht genug, räumen die Behörden den Mitteln – sogenannten Orphan Drugs – einen Sonderstatus ein und ermöglichen beschleunigte Verfahren, die den Herstellern gestatten, detailliertere Studien zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erst dann vorzulegen, wenn die Erzeugnisse schon längst in den Apotheken-Regalen stehen. Das setzt PatientInnen einem erhöhten Risiko aus, wie zuletzt der Fall „ALIQOPA“ demonstrierte. Das Krebs-Therapeutikum zeigte zwar wie andere das Enzym P13K blockierende Präparate kurzfristig positive Effekte, wirkte aber auf lange Sicht toxisch, weshalb der Leverkusener Multi das Medikament vom Markt nehmen musste (Ticker 3/23). Die Barmer Ersatzkasse sieht durch die Praxis der bedingten Zulassung dann auch die Medikamenten-Sicherheit gefährdet. „Nach Auffassung der Barmer muss der Nutzen neuer Arzneimittel in jedem Fall belegt sein – auch bei Orphan Drugs“, forderte der Vorstandsvorsitzende Christoph Straub.

Wasserstoff-Importe nicht nachhaltig

Der BAYER-Konzern plant, mit E.ON und IQONY ein Bündnis einzugehen, um seinen Industrie-Park in Bergkamen klima-neutral mit grünem Wasserstoff zu versorgen (siehe WASSER, BODEN & LUFT). Allerdings wollen die Partner ihn nicht selbst produzieren, sondern importieren und per Pipeline zum Standort leiten. Generell setzt Deutschland auf Einfuhren. „Wenn wir nicht fünf bis zehn Prozent der Landesfläche mit Windkraft-Anlagen vollstellen wollen, brauchen wir Wasserstoff-Importe“, so Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sein Ministerium rief deshalb eine eigene Wasserstoff-Diplomatie ins Leben und hat in Angola, Nigeria, Oman und Saudi-Arabien bereits „H2-Diplo“-Büros eröffnet. Für die Lieferländer ist das alles nicht ohne, denn die H2-Produktion belastet die Umwelt massiv. „Wir sprechen über Mega-Projekte, die enorme Mengen an Wasser verbrauchen und riesige Flächen beanspruchen“, sagt Andreas Stamm vom „German Institute of Development and Sustainability“ und hält fest: „Wenn man die Wasserstoff-Wirtschaft wirklich nachhaltig denkt, muss man auch darüber reden, welche Produkte langfristig in Europa hergestellt werden sollten – und welche in Ländern, wo grüner Strom günstiger ist.“ Eine solche Diskussion steht hierzulande zurzeit jedoch nicht an. Habeck mahnt zwar: „Das letzte, was wir akzeptieren dürfen, ist eine Art von grünem Energie-Imperialismus“, de facto sehen seine Pläne aber ganz danach aus.

POLITIK & EINFLUSS

BAYER sponsert Sicherheitskonferenz

Mit der Etablierung der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Jahr 2014 bekundete Deutschland den Willen, sich stärker als außenpolitischer Player ins Spiel zu bringen bzw. mehr „internationale Verantwortung“ zu übernehmen. Der Selbstauskunft nach bietet die MSC „eine Plattform für diplomatische Initiativen und Ansätze, um den drängendsten Sicherheitsrisiken der Welt zu begegnen“. In Wirklichkeit liegen ihr jedoch nur die Sicherheitsrisiken der westlichen kapitalistischen Welt am Herzen. Sie vertritt dem „Munich Security Report“ von 2016 zufolge die „traditionellen Wächter einer liberalen Ordnung“ gegenüber „einer wachsenden Zahl an Störern“ ihrer geopolitischen, militärischen und ökonomischen Interessen. Aber diese Interessen sind auch BAYERs Interessen, weshalb der Leverkusener Multi zu den Hauptsponsoren der Veranstaltung zählt.

Anderson und Santos in Davos

Die Global Player halten immer zu Beginn des neuen Jahres ihr Klassentreffen in Davos ab, bei dem ihnen gerne auch PolitikerInnen die Aufwartung machen. BAYER durfte da natürlich nicht fehlen. Der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson reiste in Begleitung von Cropscience-Chef Rodrigo Santos in die Schweiz. „Das World Economic Forum ist eine einmalige Gelegenheit, um mit Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen über die Themen ‚Gesundheit‘ und ‚Ernährungssicherheit‘ zu diskutieren“, erklärte der Leverkusener Multi.

Ex-Heimkinder: CBG fragt nach Fonds

In den 1950er und 1960er Jahren haben BAYER, MERCK & Co. Psychopharmaka und andere Medikamente an Heimkindern testen lassen, ohne dass Einverständnis-Erklärungen zu den Erprobungen vorlagen. An den Folgen leiden die ehemaligen Versuchskaninchen teilweise bis heute. Der Verein der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein fordert deshalb die Pharma-Riesen und Kirchen sowie staatliche Stellen als Träger der Einrichtungen seit Jahren zu Entschädigungen auf. Die schwarz-grüne schleswig-holsteinische Landesregierung bekundete in ihrem Koalitionsvertrag zwar: „Wir werden in unserer Arbeit dem erfahrenen Leid und Unrecht früherer Heimkinder weiterhin Aufmerksamkeit widmen“, wollte aber die Einrichtung einer Landesstiftung, an der sich alle für das Leid und Unrecht Verantwortliche – also auch die Pillen-Unternehmen – beteiligen, lediglich „prüfen“. Im Herbst 2022 erkundigte sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) einmal, wie weit diese Prüfung inzwischen gediehen ist. Nicht allzu weit – so die Antwort aus dem Sozialministerium. Es verwies auf Einmal-Zahlungen an solche Betroffene, die vor Ablauf der Frist keine Anträge bei der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ oder dem „Fonds Heimerziehung“ gestellt hatten, meldete aber keine Fortschritte in Sachen „Fonds“. Stattdessen räumte sie Schwierigkeiten dabei ein, „die Finanzmittel einer rechtlich selbstständigen Vermögensmasse zuzuführen und ggf. auch weiteren Verantwortungsträgern die Möglichkeit einer finanziellen Beteiligung zu bieten“. Das setze nämlich „ausführliche Gespräche mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren voraus“. Im Januar 2024 hakte die CBG dann noch einmal nach. Ergebnis: Eine Lösung liegt für Schwarz-Grün weiterhin in großer Ferne. „Die Prüfung der Errichtung einer Stiftung ist noch nicht abgeschlossen“, verlautete es aus Kiel: „Derzeit konzentriert sich das Land darauf, selbst zu prüfen, inwieweit Betroffene (…) über die einmalige Unterstützungsleistung in Höhe von 9.000 Euro und der ergänzenden Rentenersatz-Leistung hinaus unterstützt werden können.“ Erst danach will es „auf weitere Verantwortungsträger zugehen, um deren Beteiligung zu erreichen“. Bis zu einem Hausbesuch bei BAYER dürfte es also noch eine Weile dauern.

EU zur Gentechnik 2.0 #1

Mitte Juli 2023 hat die Europäische Union einen Vorschlag für eine neue Verordnung präsentiert, die das Ziel hat, den neuen Gentechniken den Weg auf die Äcker zu erleichtern. Sie gab damit dem Lobby-Druck der Agro-Riesen nach, die „sehr aktiv“ (O-Ton BAYER) Lobby-Arbeit für die Deregulierungen gemacht haben. Künftig will die EU-Kommission Pflanzen, denen die Unternehmen mit Genscheren wie CRISPR/Cas oder TALEN keine Gene artfremder Organismen verpasst haben, wie in der Natur vorkommende oder mit Hilfe konventioneller Verfahren gezüchtete Gewächse behandeln und von Risiko-Prüfungen ausnehmen. Das beträfe über 90 Prozent der Schnippel-Produkte. Auch Kennzeichnungspflichten sollen entfallen, was den VerbraucherInnen die Wahlfreiheit im Supermarkt nehmen würde. Nur bei Laborfrüchten, an denen die Unternehmen mehr als 20-mal herumgeschraubt haben, möchte die Kommission noch die alten Gentechnik-Bestimmungen angewendet wissen (SWB 4/23). Am 11. Dezember 2023 beschäftigte sich der Agrar- und Fischereirat der EU mit der Vorlage. Dabei erreichte der Vorschlag der Kommission keine qualifizierte Mehrheit. Dagegen stimmten Kroatien, Ungarn, Rumänien und Polen; Deutschland enthielt sich. Daraufhin versuchte die spanische Ratspräsidentschaft hinter den Kulissen, Polen bis zur Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertretung am 21. Dezember umzustimmen. Das scheiterte jedoch, die Bedenken des osteuropäischen Landes die Patent-Frage betreffend ließen sich so schnell nicht ausräumen. Deshalb verschwand das Thema von der Tagesordnung.

EU zur Gentechnik 2.0 #2

Der Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung der neuen Gentechniken marschiert zurzeit durch die Brüsseler Institutionen. Am 11. Dezember 2023 beschäftigte sich neben dem Agrar- und Fischereirat (s. o.) auch der Agrar-Ausschuss des EU-Parlaments mit dem Vorhaben. Dort fand es nicht nur Zustimmung, vielen Abgeordneten ging die Vorlage nicht weit genug. Deshalb arbeiteten sie zahlreiche Änderungen ein. Schon das Wort „Gentechnik“ gefiel ihnen nicht, „Präzisionszüchtung“ ist der Begriff ihrer Wahl. Überdies wollen die PolitikerInnen die Kategorien für Genpflanzen, die keine Risiko-Prüfungen mehr durchlaufen müssen, großzügiger gestaltet wissen. Außerdem möchten sie die Laborkonstrukte auf den Biolandbau loslassen. Nur in einem Punkt sprach sich der Ausschuss für schärfere Bestimmungen aus. Er plädierte dafür, BAYER & Co. das Recht abzusprechen, Patentansprüche auf die mit Genscheren wie CRISPR/Cas produzierten Ackerfrüchte anzumelden.

EU zur Gentechnik 2.0 #3

Am 24. Januar 2024 hat der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments den Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung der neuen Gentechniken (s. o.) fast unverändert durchgewinkt. Die Kennzeichnungspflicht wollten die ParlamentarierInnen in ihrem Bericht auf das Saatgut beschränkt wissen. Ein Vorschlag der Fraktionen der Linken, der Sozialisten und der Grünen, einen Entschädigungsfonds für Verunreinigungen einzurichten, erhielt nicht die erforderliche Mehrheit. Stattdessen beschlossen die Abgeordneten, Gentech-Rückstände in Bio-Lebensmitteln nicht mehr zu ahnden. Eine Patentierbarkeit von Pflanzen, die BAYER & Co. mit Hilfe von Gen-Scheren wie Crispr/Cas entwickelt haben, lehnte das Gremium hingegen ab. Martin Häusling von den Grünen gab sich damit jedoch nicht zufrieden. „[D]ie Patentfrage ist mit dem heute abgestimmten Text keinesfalls gelöst – der Text ist eine bloße Positionierung, die, wenn auch gut, rechtlich nicht bindend ist“, so Häusling, denn: „Eine Änderung des Europäischen Patentabkommens liegt außerhalb des Einflusses der EU.“ Für BAYER ist dieser Punkt zentral, denn ohne Patente winkt kaum Profit. „Wie bei anderen Technologien ist auch bei den neuen Genom-Techniken der Schutz des geistigen Eigentums von entscheidender Bedeutung“, sagt deshalb Konzern-Sprecher Matthias Berninger.

EU zur Gentechnik 2.0 #4

Am 7. Februar 2024 hat das Europäische Parlament dem Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zur Aufweichung der Regulierungsanforderungen für bestimmte gentechnisch manipulierte Pflanzen zugestimmt. Nach der im Juli 2023 präsentierten Vorlage fallen die neuen Verfahren wie etwa CRISPR/Cas nicht mehr unter Gentechnik, sofern die mit diesen Methoden produzierten Ackerfrüchte natürlichen oder konventionell gezüchteten Exemplaren gleichen. Nur wenn die Unternehmen die Genscheren zum Einbau fremden Erbguts nutzen oder mit den neuen genomischen Techniken (NGT) mehr als 20 Eingriffe vornehmen, will Brüssel die Gewächse nicht mehr in die Kategorie I einordnen. Diese Gen-Konstrukte gehören dann zur Kategorie 2, die nach wie vor Risiko-Prüfungen und Kennzeichnungspflichten vorsieht. Das Votum fiel mit 307 Ja-Stimmen, 263 Nein-Stimmen und 41 Enthaltungen knapp aus. Zudem sprachen sich die EU-ParlamentarierInnen für einige Änderungen aus. So verlangten sie eine Kennzeichnungspflicht und ein Verbot, auf die Gen-Konstrukte Patent-Ansprüche anmelden zu dürfen. Zudem erschien den Abgeordneten mit 20 die Zahl der Eingriffe zu hoch, die noch eine Eingruppierung in die Kategorie 1 zulassen. BAYER & Co. kritisierten die PolitikerInnen, weil sie sich von ihnen nicht das Recht streitig machen lassen möchten, für ihre NGT-Pflanzen einen Schutz des geistigen Eigentums reklamieren zu können. „EU-Parlament lässt Biotech-Unternehmen verdörren“, echauffierte sich der „Verband der Chemischen Industrie“ und nannte die Entscheidung „ein verheerendes Signal für den Innovationsstandort Europa“.

EU zur Gentechnik 2.0 #5

Parallel zum Europäischen Parlament (s. o.) beschäftigte sich am 7. Februar 2024 auch der EU-Ministerrat mit dem Thema „Neue Gentechniken“ (NGT). Die belgische Ratspräsidentschaft brachte einen Kompromiss-Vorschlag zur Abstimmung, der unter anderem vorsah, die Frage der Patentierbarkeit von NGT-Pflanzen erst einmal auszuklammern und einer ExpertInnen-Gruppe zur weiteren Klärung zu überlassen. Dafür fand sich jedoch nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit.

ANSES warnt vor Gentech 2.0

Im Zuge der Pläne der Europäischen Union zur Deregulierung der neuen Gentechniken (s. o.) hatte die französische Regierung bei der staatlichen Behörde für Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit ANSES ein Gutachten zur Einschätzung der Risiken und Nebenwirkungen von Genscheren wie Crispr/Cas in Auftrag gegeben. Da die Empfehlungen nicht im Sinne von Macron & Co. ausfielen, verschwand sie im Giftschrank. JournalistInnen der Zeitung Le Monde spürten die Arbeit dort auf und publizierten die Befunde. Diese waren alarmierend, weshalb sich die ANSES eindeutig gegen das Vorhaben der EU-Kommission und für strenge Zulassungsprüfungen aussprach. Unter anderem stellten die ExpertInnen fest, dass durch die Verfahren „unerwartete Auswirkungen auf den Phänotyp und die agronomischen Eigenschaften von Pflanzen immer möglich sind, und dass unerwartete Veränderungen der Zusammensetzung der Pflanze oder der daraus hergestellten Lebensmittel ebenfalls möglich sein könnten“. Als konkrete Beispiele nannte die ANSES eine „Änderung der Toxizität, Allergenität oder der Nährstoff-Eigenschaften der Pflanze“.

Scholz macht Özdemir Druck

Im Zuge der von der EU geplanten Deregulierung der neuen Gentechniken (s. o.) übt Bundeskanzler Olaf Scholz nach Informationen der Südwestpresse Druck auf Landwirtschaftsminister Cem Özdemir aus, dem Vorhaben zuzustimmen. Dabei hatte der Sozialdemokrat im Wahlkampf noch versprochen, er werde sich „auf allen Ebenen für eine strikte Regulation der neuen Gentechniken einsetzen“.

EU-Lieferkettengesetz kommt

Die Lieferketten BAYERs erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi seine Arznei-Grundstoffe zu einem guten Teil aus Indien und China, wo hunderte Firmen dank niedriger Umwelt- und Sozialstandards zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesrepublik setzte dabei lange auf Freiwilligkeit. Aber als entsprechende Initiativen im Sand verliefen, entschloss die Politik sich doch zu einem Gesetz. Dessen Bestimmungen konnten die Konzerne allerdings durch vehementen Lobby-Einsatz entscheidend verwässern. So beschränkt sich das Paragrafen-Werk, das Anfang 2023 in Kraft trat, auf direkte Zulieferer und enthält keine konsequenten Haftungsregelungen. Anders die im Dezember 2023 nach langen Verhandlungen vorgelegte Lieferketten-Richtlinie der Europäischen Union. Sie ist strafbewehrt, erstreckt sich auf alle Glieder der Lieferketten vom Rohstoff-Abbau bis hin zur Entsorgung und bezieht auch kleinere Firmen mit ein. Aber die FDP setzte sich über das ganze Verfahren hinweg und legte ihr Veto ein, was in Brüssel „totales Kopfschütteln“ auslöste. Und auch der BAYER-Konzern wandte sich – gemeinsam mit ALDI, KIK, NOVO NORDISK und anderen Unternehmen – gegen den Vorstoß. „Speziell für deutsche Unternehmen, die sich an das deutsche Lieferketten-Gesetz halten, bedeutet eine europa-weite Regelung, dass Wettbewerbsvorteile auf Kosten von Mensch und Umwelt verhindert werden“, hieß es in der gemeinsamen Erklärung. Die Multis plädierten für einheitliche Spielregeln, ein sogenanntes level playing field. Und das erhielten sie schließlich auch, noch dazu ein gut bespielbares, denn schlussendlich musste das Paragrafen-Werk noch Federn lassen. Es betrifft jetzt nur Firmen mit über 1.000 Beschäftigten, enthält weniger Vorschriften für nachgelagerte Lieferketten als ursprünglich avisiert und gilt vollumfänglich erst ab 2032.

MONSANTO-Deal als Karriere-Schub?

Die Initiative LOBBYCONTROL hat Unregelmäßigkeiten bei der Genehmigung von BAYERs MONSANTO-Übernahme durch die Europäische Union ausgemacht. Ihren Recherchen zufolge wechselte nämlich ein mit der Transaktion befasster Kommissionsbeamter kurz nach der Bewilligung des Deals zu eben jenem Beratungsunternehmen, dessen Gutachten eine bedeutende Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt hatte. „Für uns bleibt unklar, ob der Beamte bei seiner Empfehlung für die Kommission aus Überzeugung oder aus politischem Interesse – dem Anreiz eines lukrativen Jobangebots – gehandelt hat“, so der Lobbycontroller Max Bank. Konkret handelt es sich um die Firma Compass Lexecon. Im Auftrag von BASF ermittelte sie, unter welchen Voraussetzungen der Mega-Merger nicht zu einer überdimensionalen Marktkonzentration führt. Ergebnis: Der Verkauf eines Teils des Agrar-Sortiments von BAYER/MONSANTO an die BASF kann für einen Ausgleich sorgen und den monopolistischen Tendenzen entgegenwirken. Und genau das setzte die EU um. Sie erteilte dem Leverkusener Multi unter der Bedingung die Erlaubnis, MONSANTO zu schlucken, die Genpflanzen der LIBERTY-Baureihe mitsamt des dazugehörigen Pestizids, das Gemüse-Saatgut und die Plattform für digitale Landwirtschaft an die Ludwigshafener zu veräußern. „BAYER-Monsanto-Fusionsauflagen machen BASF zum Gewinner“, resümierte das Handelsblatt. Der BAYER-Konzern indes verschmerzte die Abgänge leicht und stieg mit dem Segen der EU zum Branchen-Primus mit weitem Abstand zu Syngenta, Corteva und BASF auf. Zu allem Übel beschränkten sich die Aktivitäten von Compass Lexecon nicht auf die Europäische Union. Auf seiner Webpage rühmt sich das Unternehmen, seinen KundInnen in Sachen „BAYER/MONSANTO“ rund um den Globus mit Rat und Tat zur Seite gestanden zu haben, damit sie „effizient auf Fragen der verschiedenen Wettbewerbsbehörden antworten können“. Es verweist dabei auf entsprechende Dienstleistungen in Kanada, China, Russland und der Türkei. Auch für BAYER arbeitete Compass schon. Die Firma betrieb für den Agro-Riesen beim Genreis-Skandal Schadensbegrenzung. Laut Spiegel bieten in Brüssel RBB Economics, Charles River Associates und Oxera ähnliche Dienstleistungen an wie Compass. „Es ist erschreckend, in welchem Ausmaß die Europäische Union privaten Akteuren bei Kartell-Angelegenheiten das Feld überlässt und in welchem Ausmaß Seitenwechsel stattfinden. Die wenigen ‚Neins‘ zu Übernahmen und Fusionen wundern da auf einmal gar nicht mehr“, hielt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN in ihrer Presseerklärung deshalb fest.

Lauterbach fördert Pharma-Standort

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant, den hiesigen Pharma-Standort zu stärken, so dass er „in einigen Jahren an die Vereinigten Staaten anschließen kann“. „Mit BAYER hat er deshalb eine Gesetzesinitiative abgesprochen“, meldete der Kölner Stadtanzeiger. Der Gesundheitsminister erklärte gegenüber der Zeitung freimütig, bei der Arbeit am Projekt im engen Austausch mit Stefan Oelrich, dem Pharma-Vorstand des Leverkusener Multis, gestanden zu haben. Nichts weniger als eine „Reindustrialisierung in Deutschland“ strebt der Minister mit dem Medizinforschungsgesetz an, als dessen Grundlage die im Dezember 2023 beschlossene „Pharma-Strategie“ dient. Das Paragrafen-Werk sieht unter anderem vor, den Pillen-Riesen die Durchführung klinischer Studien zu erleichtern, das Extra-Profite garantierende Patentrecht auf europäischer Ebene zu verteidigen und „Anreize zum Aufbau von Produktionsstätten in Deutschland“ zu prüfen. Die Genehmigungsdauer für Medikamenten-Tests will die Ampelkoalition auf fünf Tage verkürzen und neben Uni-Kliniken auch normalen Krankenhäusern erlauben, klinische Prüfungen für die Pharma-Industrie durchzuführen, was alles nicht gerade der Sicherheit der ProbandInnen dient. Darüber hinaus will sie die Preise, die die Pillen-Produzenten mit den Krankenkassen für ihre Medikamente aushandeln, künftig unter Verschluss halten. Im Vorfeld schuf Lauterbach mit dem „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ schon einmal bessere Möglichkeiten zur Nutzung von PatientInnen-Daten zu Forschungszwecken und erfüllte damit eine Forderung des Leverkusener Multis. „Problematisch in Deutschland ist neben der Bürokratie der fehlende Zugang zu Forschungsdaten. Es ist hierzulande schwerer als in anderen Industrie-Nationen, für die Forschung an anonymisierte Patienten-Daten zu kommen, hatte Oelrich noch im April 2023 geklagt. Das Handelsblatt zeigte sich dementsprechend begeistert über das Vorhaben des Gesundheitsministers. „Lauterbach-Pläne könnten Wirtschaft Milliarden-Einnahmen bescheren“, frohlockte die Zeitung.

Ein paar Lula-Vetos zum Giftpaket

Brasilien zählt zu den Ländern mit dem höchsten Pestizid-Verbrauch der Welt. So ließ die Regierung Lula im Jahr 2023 500 neue Pestizide zu und setzte sich mit dieser Politik kaum von der Jair Bolsonaros ab. Entsprechend hoch sind die Belastungen für Mensch, Tier und Umwelt. Jetzt aber drohen durch ein Gesetz, das Glyphosat & Co. den Weg noch ein bisschen freier machen will, weitere Belastungen. Das von KritikerInnen als „Poison Package“ bezeichnete Maßnahmen-Bündel hebelt unter anderem das Vorsorge-Prinzip aus und sieht Verbote von Agro-Chemikalien nur noch bei „inakzeptablen Risiken“ vor. Auch untersagt es den einzelnen Bundesländern, die Anwendung bestimmter Ackergifte zu stoppen. Zudem schwächt das PL 6299/2002 die Stellung von Umweltbehörde und Gesundheitsbehörde in den Zulassungsverfahren zugunsten derjenigen des Landwirtschaftsministeriums und beschleunigt den Genehmigungsprozess generell. Beste Aussichten also für die Branche. Dementsprechend engagiert betrieben BAYER & Co. Lobby-Arbeit für das Paragrafen-Werk – mit Erfolg. Die wichtigsten parlamentarischen Hürden nahm es bereits. Nach dem Kongress passierte das Gesetz im Dezember 2023 auch den Senat. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hätte es durch sein Veto stoppen können. Er beschränkte sich allerdings darauf, zu einzelnen Punkten Einspruch zu erheben. So will Lula die Zuständigkeit für Risiko-Bewertungen weiterhin beim Umweltministerium belassen. Die PERMANENTE KAMPAGNE GEGEN AGRAR-GIFTE UND FÜR DAS LEBEN, mit der die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN in der Vergangenheit immer wieder kooperiert hat, zeigte sich enttäuscht. „Die Vetos von Präsident Lula waren wichtig, aber nicht ausreichend, um die schweren Probleme dieses Gesetzes zu lösen“, sagt der Aktivist Alan Tygel: „Der aktuelle Gesetzes-Text ist katastrophal und gefährdet die Gesundheit der brasilianischen Bevölkerung.“ Im weiteren Verfahren muss nun die Abgeordnetenkammer über die Vetos des Präsidenten abstimmen.

BAYER-Spenden an Trump & Co.

Der BAYER-Konzern hat bis zum 18. März 2024 (Redaktionsschluss Ticker) bereits 76.591 Dollar an PolitikerInnen der republikanischen Partei der USA gespendet; Abgeordnete der DemokratInnen erhielten 51.500 Dollar. Das ergaben Recherchen des Kölner Stadt-Anzeigers auf Basis von Zahlen des Transparenz-Portals „Open Secrets“. Mit einem Verhältnis von 59,79 Prozent zu 40,21 Prozent fällt die Parteinahme des Leverkusener Multis für Trump & Co. damit deutlich aus. Er stand      – mit Ausnahme eines Zeitraumes zwischen 2021 und 2022 – immer schon in Treue fest zu den RepublikanerInnen. Dabei lohnten sich besonders die Investitionen in Donald Trump. Unter dessen Ägide senkte die Regierung nämlich die Unternehmenssteuern, schaffte Umweltgesetze ab, hob Pestizid-Verbote auf und setzte sich für Glyphosat ein. Am amtierenden Präsidenten Joe Biden stören den Pharma-Riesen dagegen vor allem die Maßnahmen zur Absenkung der Arzneimittel-Preise. Unter anderem dienen diese zur Gegenfinanzierung der Mehrausgaben für Sozialleistungen und Klimaschutz, die der „Inflation Reduction Act“ vorsieht. Auch die Unternehmenssteuern erhöhten die DemokratInnen zu diesem Zweck. Dementsprechend ablehnend stand der Global Player dem Gesetzes-Paket gegenüber, weshalb er dessen GegnerInnen in Tateinheit mit anderen Konzernen üppige Beträge zukommen ließ. „Die US-amerikanische Politik befindet sich im Würgegriff von LobbyistInnen und potenten GeldgeberInnen. Fortschritte beim Umwelt- und VerbraucherInnenschutz werden dadurch blockiert, das Allgemeinwohl bleibt auf der Strecke“, kritisierte die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) in ihrer Presseerklärung zum Thema.

BITS & BYTES

Kooperation mit TETRASCIENCE

Der BAYER-Konzern hat eine Kooperation mit TETRASCIENCE auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz vereinbart. Er will die Technologie nutzen, um die im Pharma- und Agrarbereich anfallenden wissenschaftlichen Daten besser nutzen zu können. „Die Zusammenarbeit mit TETRASCIENCE ist ein integraler Bestandteil unserer breit angelegten Strategie der digitalen Transformation, die es uns ermöglicht, unsere F&E-Fähigkeiten zu verbessern“, erklärte Oliver Hesse. Der Manager steht beim Leverkusener Multi der Sparte „Biotech Data Science and Digitalization“ vor.

DRUGS & PILLS

Weiter mit dem Broad Institute

Der BAYER-Konzern setzt seine 2013 begonnene Kooperation mit dem Broad Institute in Sachen „Krebs-Therapeutika“ bis 2028 fort. Bisher erwuchsen aus der Zusammenarbeit drei Arzneimittel-Kandidaten. Ein Präparat zur Behandlung einer speziellen Lungenkrebs-Art, das in Krebszellen die Ausbreitung mutierter Wachstumsproteine hemmen soll, befindet sich bereits in der ersten Phase eines klinischen Tests.

Kooperation mit RECURSION

Der BAYER-Konzern geht auf dem Gebiet der Krebs-Therapie eine Kooperation mit dem Unternehmen RECURSION ein. Die US-Firma sucht mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz nach geeigneten Arzneien zur Tumor-Behandlung. „RECURSION nutzt hochentwickelte Algorithmen des maschinellen Lernens, um aus seinen Daten-Sätzen frei von menschlicher Voreingenommenheit Billionen von biologisch-chemischen Beziehungen herauszufiltern“, erklärt der Biotech-Betrieb. Der Leverkusener Multi spricht in diesem Zusammenhang von einem Weg, „die Wirkstoff-Forschung zu industrialisieren“.

BAYER steigt bei JIXING ein

Der BAYER-Konzern beteiligt sich an der chinesischen Biopharmazie-Firma JIXING. Er steigt mit 35 Millionen Dollar ein. Das Unternehmen RTW INVESTMENTS, das JIXING gründete, schießt noch einmal 127 Millionen Dollar zu. Der Leverkusener Multi sichert sich durch sein finanzielles Engagement die Vorzugsrechte bei der Vermarktung von Herz/Kreislauf- und Augen-Medikamenten aus dem Labor in Shanghai. Zudem zieht die Leiterin von BAYERs chinesischen Arznei-Geschäften in das Direktorium des Biotech-Betriebs ein. „Mit der Investition in JIXING bauen wir unser globales Netzwerk weiter aus und stärken unsere lokale Präsenz in China“, erklärte Pharma-Manager Jürgen Eckhardt.

Neue MIRENA-Nebenwirkungen

BAYERs zur Verhütung eingesetzte Hormon-Spirale MIRENA (Inhaltsstoff: Levonorgestrel) führt zu unerwünschten Arznei-Effekten wie nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen, Unruhe, Schlaflosigkeit, Bauchkrämpfe und Oberbauchschmerzen. Jetzt muss der Leverkusener Multi die Liste auf den Beipack-Zetteln noch einmal verlängern. Eine Sicherheitsüberprüfung der sogenannten „intrauterinen Wirkstoff-Freisetzungssysteme“ hat nämlich weitere Risiken ergeben, wie das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) mitteilt. So können MIRENA & Co., wenn sie bei einer Schwangerschaft im Körper verbleiben, eine „Maskulinisierung weiblicher Feten“ einleiten. Zudem besteht bei übergewichtigen Frauen und bei solchen mit einer starken Monatsblutung die Gefahr eines – manchmal auch unbemerkten – Ausstoßes der Spirale nebst Wirkungsverlust.

Arznei-Tests an Heimkindern in NRW

Von den 1950er Jahren bis in die 1970er Jahre hinein hat BAYER Heimkinder als Versuchskaninchen für Medikamenten-Tests benutzt. Überdies verabreichten die Heime sowie Kinder- und Jugendpsychiatrien systematisch Neuroleptika des Konzerns, um ihre Zöglinge ruhigzustellen. Zur Situation in nordrhein-westfälischen Institutionen gab es bisher nur eine Einzel-Untersuchung über die Rheinischen Landesklinik für Jugendpsychiatrie Süchteln, die der Geschichtswissenschaftler Frank Sparing schrieb. Das wollte das Landesgesundheitsministerium ändern. Deshalb gab es bei dem Düsseldorfer Medizin-Historiker Heiner Fangerau eine Studie für ganz NRW in Auftrag. Erste Resultate des Zwischenberichts machte der WDR Ende Februar 2024 öffentlich, und wie erwartet nimmt der Leverkusener Multi darin einigen Raum ein. Unter anderem in der Kinderheilstätte Aprath und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Hamm erfreuten sich MEGAPHEN und andere seiner Präparate einiger Beliebtheit. Fangerau, der unter anderem in BAYERs Firmen-Archiv recherchierte, zog in dem WDR-Feature „Medikamenten-Missbrauch an Kindern“ ein erstes Fazit: „Wir finden in nahezu jeder Einrichtung, die sich mit Heimkindern befasst, irgendeine Form von missbräuchlichem Arzneimittel-Einsatz. Das Ergebnis ist eigentlich, dass das Ausmaß flächendeckender ist, als wir angenommen haben.“

AGRO & CHEMIE

PROPULSE erhält Notfall-Zulassung

„Wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist, kann das ‚Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit’ kurzfristig das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung und für maximal 120 Tage zulassen“, heißt es auf der Website der Behörde. Und das tut sie dann auch nicht zu knapp. So erhielt das BAYER-Fungizid PROPULSE, das normalerweise nur im Raps-Anbau zum Einsatz kommt, im Jahr 2023 eine Notfall-Zulassung für die Verwendung auf Zuckerrüben-Feldern.

Notfall-Zulassungen in der EU

Auch andere europäische Länder erteilen Pestiziden Notfall-Genehmigungen. Im Jahr 2023 taten sie das über 500 Mal. In der entsprechenden Datenbank der EU finden sich außer PROPULSE (s. o.) noch die BAYER-Produkte LUNA, MOVENTO, MERLIN, ROUNDUP, SUCCESS, SIVANTO, SERENADE und SENCOR wieder.

Doppelte Standards in Kenia

BAYER bietet in Kenia Pestizide an, die innerhalb der EU wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) besitzen. Das geht aus der Studie „Toxic Business“ der Heinrich-Böll-Stiftung hervor. So verkauft der Konzern dort GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und THUNDER (Wirkstoff: Beta-Cyfluthrin). Beta-Cyfluthrin gehört der zweithöchsten Gefahrenklasse (Ib) an. Ursprünglich hatte der Global Player bereits im Jahr 2011 das Versprechen abgegeben, keine Ia- und Ib-Produkte mehr in seinem Sortiment zu führen, doch die Geschäfte laufen offensichtlich zu gut. Timothy Njagi vom kenianischen Tegemeo-Institut kritisiert diese Geschäftspolitik scharf: „Für die Europäer erkennt man eine Gesundheitsgefahr, in Afrika allerdings sieht man kein Problem.“ Insgesamt kommt der Leverkusener Multi in dem Land auf einen Marktanteil von 15 Prozent. Mit 20 Prozent überbietet das nur SYNGENTA. Von den 39 Ackergiften, die BAYER in Kenia verkauft, gehören 84 Prozent zu den besonders gefährlichen Pestiziden, den HHPs (Highly Hazardous Pesticides).

Vertreibungswaffe Glyphosat

Vor allem indigene Gemeinschaften sind in Brasilien einem großen Vertreibungsdruck ausgesetzt, um noch mehr Ackerflächen für den Anbau von Mais- oder Soja-Monokulturen zu gewinnen. Die katholische Organisation CPT hat für das Jahr 2022 über 2.000 Landkonflikte erfasst; die Zahl der Betroffenen beziffert sie auf 909.450 Menschen. Als Waffe kommen dabei immer häufiger Pestizide zum Einsatz. Sie dienen zur vorsätzlichen Kontamination von Brunnen, Quellen und Ackerland oder direkt zum Angriff auf Familien. Der CPT zufolge gerieten 8.033 Haushalte ins Fadenkreuz der Chemikalien. 193 Personen erlagen den Vergiftungen. Am häufigsten griffen die TäterInnen dabei zu Glyphosat. Aber auch 2,4-D – das als Bestandteil von Agent Orange schon auf Vietnamkriegserfahrung zurückgreifen kann – hatten sie in ihrem Arsenal.

AGRO & BIOLOGIE

Biologika-Umsatz 200 Millionen

Der BAYER-Konzern hat neben Agro-Chemikalien auch Insektizide, Fungizide und Saatgutbehandlungsmittel auf biologischer Basis im Programm. Er will damit aber seinen Gift-Schrank nicht gleich entrümpeln; „best of both worlds“ lautet die Devise. „Wir setzen auf integrierte Angebote für Nutzpflanzen. Also auf die Auswahl des passenden Saatguts und die beste Kombination aus chemischen und biologischen Produkten“, bekundet das Unternehmen. Im Geschäftsjahr 2022 machte es mit Produkten wie BIOACT, FLIPPER, SERENADE, PONCHO/VOTIVO, OPTIMIZE und AMBITION einen Umsatz von 200 Millionen Euro. Zum Vergleich: Glyphosat & Co. warfen im gleichen Zeitraum rund 13 Milliarden ab.

Vertriebsdeal mit M2i

BAYER hat mit M2i eine Kooperation zum Vertrieb von Insektiziden auf biologischer Basis vereinbart. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit vertreibt der Leverkusener Multi mit VYNYTY TUTA PRESS ein Mittel gegen Schadinsekten. Dessen Wirkstoff Pheromon irritiert die Tiere durch die Imitation von Sexuallockstoffen und kann dem Konzern zufolge auf diese Weise „das Wachstum schädlicher Insekten-Populationen verhindern“.

GENE & KLONE

Gentech-Tomaten mit Vitamin D

BAYER hat mit dem südkoreanischen Biotech-Unternehmen G+FLAS eine Kooperation vereinbart. G+FLAS will für den Leverkusener Multi mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas eine Tomate entwickeln, die das Vitamin D3 enthält und so angeblich einen „gesundheitlichen Zusatznutzen“ bietet. Den Agro-Riesen zufolge können die neuen Verfahren das Erbgut angeblich genau an einer vorgegebenen Stelle auftrennen, um es dann „umzuschreiben“ oder neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einzufügen. Allerdings arbeitet die Gentechnik 2.0 so trennscharf dann doch nicht. Allzu oft lassen CRISPR-Cas & Co. Fünfe gerade sein und setzen nicht an der avisierten Stelle, sondern an ähnlichen Orten des Erbgutes zum Schnitt an. Und wenn eine bestimmte Sequenz in der DNA öfter vorkommt, so schnippeln sie so manches Mal auch öfter als ursprünglich vorgesehen – mit unkalkulierbaren Risiken.

BAYERs Gentech-Mikroben

PONCHO/VOTIVO ist ein von BAYER entwickelter Kombi-Pack aus Saatgut-Behandlungsmittel und Mikroorganismen. Im Zuge der Auflagen zur Genehmigung der MONSANTO-Übernahme musste der Leverkusener Multi das Produkt allerdings abstoßen. Er verkaufte es der BASF, vertreibt das Erzeugnis aber weiterhin. In der Version 2.0 enthält es einen gentechnisch manipulierten Bacillus thuringiensis, der wie eine Mikrobe wirkt. Er produziert ein Enzym, das abgestorbene Pflanzen-Reste in Zucker umwandelt und so den Nährstoff-Gehalt des Bodens steigert. Allerdings ist das alles nicht ohne. Die Initiative FRIENDS OF THE EARTH hat den Risiken und Nebenwirkungen eine ganze Studie gewidmet. „Gentechnisch veränderte Mikroben in der Landwirtschaft stellen ein bisher nie dagewesenes Freiland-Experiment dar, das irreversible Konsequenzen haben kann. Sobald sie freigesetzt werden, können sie nicht mehr entfernt werden“, warnt sie. Mikroben sind nämlich in der Lage, genetisches Material auch an nicht artverwandte Organismen weiterzugeben, was die Gefahr einer unkontrollierten Verbreitung der neuen Eigenschaften heraufbeschwört. Der Leverkusener Multi setzt hingegen viel Hoffnung in die Entwicklungen, für die er bis 2028 ein Markt-Potenzial rund 25 Milliarden Euro sieht, und ging Partnerschaften mit Start-ups wie ANDES, GINGKO BIOWORKS, KIMITEC oder PIVOT BIO ein. Damit steht er nicht allein. So konnte etwa PIVOT BIO von potenten Geldgebern wie Bill Gates und AMAZON-Gründer Jeff Bezos in den letzten fünf Jahren 600 Millionen Dollar einsammeln.

Parkinson-Therapie verträglich

Die BAYER-Gesellschaft ASKBIO hat einen klinischen Test der Phase Ib mit einer Gentherapie zur Behandlung von Parkinson abgeschlossen. Bei PatientInnen mit dieser Krankheit produzieren die Neuronen im Gehirn zu wenig Dopamin. Das Fehlen dieses Neurotransmitters führt dann zu Symptomen wie Zittern, Krämpfen und Steifheit. ASKBIO will nun ein Gen in das Gehirn der Kranken einführen, das eine „Regeneration von Mittelhirn-Neuronen“ anregt, und dazu als Transport-Fähren Erkältungsviren nutzen. Der Versuch mit elf ProbandInnen hatte aber erst einmal nur zum Ziel, die Verträglichkeit von „AB-1005“ zu prüfen, was BAYER zufolge auch gelungen ist. Das war bei einer Parkinson-Therapie der Konzern-Tochter BLUEROCK nicht der Fall (siehe auch Ticker 4/23). Deren ForscherInnen hatten aus Stammzellen Nervenzellen gewonnen, welche die Dopamin-Produktion anregen. Ins Gehirn der Erkrankten transplantiert, sollten diese dann den Parkinson-Verlauf positiv beeinflussen. Bei klinischen Tests der Phase 1 kam es bei zwei der zwölf TeilnehmerInnen allerdings zu ernsthaften Komplikationen. Ein Proband erlitt nach dem chirurgischen Eingriff einen Krampfanfall, ein anderer steckte sich mit dem Corona-Virus an. Auch das dürfte in diesem Fall eine Nebenwirkung des Versuchs gewesen sein. Die Wissenschaftler-Innen haben nämlich die Übertragung der Nervenzellen mit der Gabe von Medikamenten flankiert, die das Immunsystem schwächen, um auf diese Weise Abstoßungsreaktionen zu verhindern.

Altes EYLEA in neuen Schläuchen

Erhalten die Pharma-Riesen für neue Arznei-Entwicklungen ein Patent, so verschafft ihnen das eine Monopol-Stellung im betreffenden Markt und dementsprechend Extra-Profite. Beim Auslaufen der Schutzrechte bleiben BAYER & Co. dem Handelsblatt zufolge zwei Möglichkeiten: „Sie können neue, vielversprechende Medikamente auf den Markt bringen. Oder versuchen, die Markteinführung gleichwertiger Nachahmer-Medikamente durch die Konkurrenz über den Patent-Ablauf hinaus zu verzögern.“ Der Leverkusener Multi wählt vorzugsweise die Verzögerungstaktik, wobei er meistens bei der Dosierung oder der Darreichungsform ansetzt. So auch im Fall seines zusammen mit REGENERON entwickelten Gentech-Augenmittels EYLEA (Wirkstoff: Aflibercept), das ihm im Jahr 2022 einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro bescherte. Hier entwickelte er eine Version mit 8 mg Aflibercept – 4-mal so viel wie im Original – und erhielt dafür auch eine EU-Zulassung. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt der BAYER-Manager Jan Voss über das alte EYLEA in neuen Schläuchen und betont die angeblichen Vorteile für die PatientInnen, weil diese sich das Präparat nicht mehr alle zwei, sondern nur noch alle fünf Monate ins Auge spritzen lassen müssen.

Herzinsuffizienz-Gentherapie

BAYERs Tochter-Gesellschaft ASKBIO hat die erste Phase der klinischen Tests mit einer Gentherapie zur Behandlung von Herzinsuffizienz abgeschlossen und beginnt mit Versuchen der Phase II. Der Ansatz beruht darauf, mittels Erkältungsviren ein Gen in das Herz der PatientInnen einzuführen, das bestimmte das Organ schädigende Proteine – die Phosphatasen – in ihrer Entwicklung hemmt.

Persilschein für BAYER-Genpflanzen

In den Vereinigten Staaten gibt es keine Zulassungsverfahren mit Risiko-Prüfungen für gentechnisch manipulierte Ackerfrüchte. Die Landwirtschaftsbehörde USDA kontrolliert nur oberflächig, ob die Labor-Konstrukte eventuell Pflanzen-Krankheiten übertragen oder sich zu Unkräutern entwickeln können. Ende 2023 hat sie in dieser Hinsicht 25 Genpflanzen eine Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt, darunter zweien von BAYER. Der Mais MON 80616 trotzt Protox-Herbiziden und die Soja Glufosinat, Dicamba, 2,4-D und Mesotrione. Offensichtlich versucht der Leverkusener Multi so, den LandwirtInnen eine Alternative zu Gewächsen zu bieten, die nur in Kombination mit Glyphosat gedeihenn.

WASSER, BODEN & LUFT

CO2 en masse

Im Geschäftsjahr 2023 stieß der BAYER-Konzern 3 Millionen Tonnen Treibhaus-Gase aus. Gegenüber 2022 sank der Wert um gerade einmal 28.000 Tonnen. Diese Emissionen gehen zu einem Gutteil auf das Konto von Glyphosat, weil der gesamte Fertigungsprozess an den US-Standorten Soda Springs und Luling sehr viel Energie verschlingt. Eine Betriebstemperatur von 1500° Celsius braucht etwa der Ofen in Soda Springs, um aus Phosphorit das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor herauszulösen. Darum musste es auch im neuesten Nachhaltigkeitsbericht des Leverkusener Multi wieder heißen: „Besonders energie-intensiv ist unsere Rohstoff-Gewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science.“ Und wenn der Energie-Einsatz des Leverkusener Multis 2023 leicht von 35,5 Petajoule auf 35 Petajoule fiel, so lag auch das an der Glyphosat-Fertigung. „Dieser Rückgang ist durch eine reduzierte Produktion am Standort Soda Springs, USA bedingt“, erklärt das Unternehmen. Beim selbsterzeugten Strom baut der Global Player nach wie vor hauptsächlich auf Erdgas. Beim zugekauften Strom tut sich hingegen ein bisschen was, weil der Konzern hier vermehrt auf Erneuerbare setzt. Ihr Anteil betrug im Geschäftsjahr 2023 35,4 Prozent.

BAYERs Treibhaus-Gase

Als klima-schädlicher Stoff steht zumeist das Kohlendioxid im Fokus, weil BAYER & Co. es in Massen emittieren. Die anderen Treibhaus-Gase sind jedoch auch nicht ohne. In der Summe richten fluorierte Kohlenwasserstoffe, Lachgas, Methan, Kohlenmonoxid und Ruß fast einen genauso großen Schaden an wie CO2, denn die Stoffe haben es in sich. So ist Methan 25-mal so wirksam wie CO2 und Lachgas sogar 125-mal. Und der Leverkusener Multi mischt auch auf diesem Feld kräftig mit. Er emittierte im Geschäftsjahr 2023 40.000 Tonnen fluorierte Kohlenwasserstoffe, 8.000 Tonnen Lachgas und 3.000 Tonnen Methan. Der Methan-Ausstoß, in dem die Internationale Energieagentur (IEA) eine der Hauptgefährdungen für das Erreichen der internationalen Klimaziele ausmacht, ist bei BAYER damit zwischen 2019 und 2023 um 1.000 Tonnen CO2-Äquivalente gestiegen, was nicht nach viel klingt, allerdings besonders negativ zu Buche schlägt. Der IEA zufolge geht nämlich fast ein Drittel der Klima-Erwärmung seit Beginn der industriellen Revolution auf das Konto von Methan.

CO2-Kompensation statt -Reduktion

Eigentlich existiert nur ein Weg, um den Klimawandel einzudämmen: Reduktion des Stromverbrauchs und Umstieg auf erneuerbare Energie-Träger. BAYER & Co. ist aber noch etwas anderes eingefallen. Sie wollen ihre CO2-Emissionen nicht nur reduzieren, sondern auch kompensieren, also das, was sie so in die Luft blasen, an anderer Stelle wieder ausgleichen. Der Leverkusener Multi nimmt sich zwar vor, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden, die Senkung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase soll dazu aber nur zu 42 Prozent beitragen. Für den Rest greift er zu Maßnahmen wie z. B. Investitionen in Waldschutz- und Wiederaufforstungsvorhaben. Deren Ertrag für seine Klima-Bilanz gibt der Global Player für 2023 mit 600.000 Tonnen CO2 (2022: 450.000 Tonnen) an. An der Belastbarkeit dieser Zahl bestehen allerdings erhebliche Zweifel. Der Agro-Riese hat für einen Teil seiner Kompensationsgeschäfte nämlich Zertifikate der Firma VERRA erworben, die nach Recherchen von Die Zeit und anderen Medien gar nicht von wirklichen Kohlendioxid-Einsparungen gedeckt, sondern „[e]in Haufen Schrott“ waren.

Ein bisschen Emissionshandel

„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren. Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So bekamen die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum braucht der Leverkusener Agro-Riese kaum Emissionshandel zu betreiben. Mit lediglich fünf Anlagen, deren Kohlendioxid-Ausstoß sich auf rund 265.000 Tonnen belief, war er im Geschäftsjahr 2023 dabei. Das sind noch nicht einmal zehn Prozent des CO2-Gesamtaufkommens.

Weniger ODS in der Luft

Für den Ausstoß von ozon-abbauenden Substanzen (ODS) ist bei BAYER hauptsächlich die alte Dreckschleuder im indischen Vapi zuständig. Schon seit Jahren doktert der Konzern an der Anlage herum, aber ein Erfolg stellt sich erst jetzt ein. Endlich gelang es ihm, die ODS-Emissionen wirksam zu senken. Sie fielen 2023 von 4,2 auf 0,3 Tonnen.

Weniger VOC in der Luft

2023 sank die Freisetzung von flüchtigen organischen Substanzen (VOC) aus BAYER-Schornsteinen von 460 auf 440 Tonnen. Auch hier nennt der Konzern als Ursache der Reduzierung „Prozess-Optimierungen“ am Standort Vapi.

Mehr Staub in der Luft

Im Geschäftsjahr 2023 stiegen bei BAYER die Staubemissionen um 4,4 Prozent von 2.260 Tonnen auf 2.360 Tonnen „aufgrund erhöhter Saatgutproduktion in Othello und Waterman, beide USA“.

Weniger NOx und SOx in der Luft

2023 sank der Ausstoß von Schwefeloxiden (NOx) aus den Anlagen des BAYER-Konzerns von 1.290 Tonnen auf 1.200 Tonnen und derjenige von Stickoxiden (SOx) gegenüber dem Vorjahr von 3.520 Tonnen auf 3.320 Tonnen.

Enormer Wasserverbrauch

BAYERs Wasserverbrauch legte sich 2023 nicht. Er nutzte mit 53 Millionen Kubikmeter genauso viel wie 2022.    21,3 Millionen Kubikmeter davon entstammt nach wie vor dem Grundwasser. Zu allem Übel erstreckt sich der enorme Durst des Agro-Riesen auch noch im selben Ausmaß auf Gebiete, die unter Wasser-Mangel leiden. Drei Millionen Kubikmeter fördert er in solchen Regionen. Mit 25 Millionen Kubikmeter blieb auch die Abwasser-Menge gleich.

Weniger Einleitungen

Im Jahr 2023 leitete der BAYER-Konzern weniger Phosphor in die Gewässer ein. Von 610 Tonnen auf 300 Tonnen sank der Wert. Auch bei Schwermetallen (2,6 Tonnen gegenüber 3,5 Tonnen), Anorganischen Salzen (165.000 Tonnen gegenüber 176.000 Tonnen) und Stickstoff (240 Tonnen gegenüber 120 Tonnen) sanken die Belastungen. Nur bei den gebundenen organischen Kohlenstoffen (TOCs) stiegen diese um 0,4 Tonnen auf 1,5 Tonnen.

Mehr Abfall

Im Geschäftsjahr 2023 produzierte BAYER mehr Abfall als 2022. Von 1,038 Millionen Tonnen auf 1,164 Millionen Tonnen stieg das Aufkommen.

BAYER plant Wasserstoff-Bündnis

Der BAYER-Konzern plant, mit E.ON und IQONY ein Bündnis einzugehen, um seinen Industrie-Park in Bergkamen klima-neutral mit grünem Wasserstoff zu versorgen. Allerdings wollen die Partner ihn nicht selbst produzieren, sondern importieren und per Pipeline zum Standort leiten. Bei UmweltschützerInnen stößt diese Strategie auf Kritik (siehe AKTION & KRITIK). Andreas Reichel von IQONY erklärt jedoch: „Die künftig zur Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaft benötigten Wasserstoff-Kapazitäten werden so groß sein, dass es schlicht nicht möglich sein wird, diese Mengen allein aus heimischer Erzeugung auf Basis erneuerbarer Energien bereitzustellen.“ Eine endgültige Entscheidung über das Projekt haben die Unternehmen für Ende Juni 2024 angekündigt.

RECHT & UNBILLIG

Gericht kassiert Dicamba-Zulassung

Das Pestizid Dicamba, das BAYER & Co. hauptsächlich in Kombination mit ihren gen-manipulierten Pflanzen vermarkten, hinterlässt in den USA eine Spur der Verwüstung. Zahlreiche LandwirtInnen machen das Herbizid für Ernte-Schäden verantwortlich. Es bleibt nämlich nach dem Ausbringen nicht einfach an Ort und Stelle, sondern verflüchtigt sich und treibt zu Ackerfrüchten hin, die nicht per Gentechnik gegen den Stoff gewappnet sind und deshalb eingehen. 265 Millionen Dollar Schadensersatz mussten der Leverkusener Multi und BASF im Jahr 2020 dafür zahlen. Eine Zulassungsverlängerung erfolgte nur unter Auflagen. So war die Verwendung des Mittels bloß noch bis zu einem bestimmten Stichtag erlaubt. Zudem verlangte die US-amerikanische Environmental Protection Agency (EPA) eine Veränderung der Rezeptur, um die Agro-Chemikalie am Boden zu halten und auf diese Weise eine Abdrift zu verhindern. Genutzt hat das alles jedoch nicht viel. 3.500 Schadensmeldungen zählte der im August 2022 von der Umweltbehörde publizierte Risiko-Bericht. Darum haben das CENTER FOR BIOLOGICAL DIVERSITY und andere Umweltverbände die EPA wegen der erneuten Genehmigung verklagt und im Februar 2024 auch Recht bekommen. Die LandwirtInnen dürfen jetzt nur noch ihre Vorräte aufbrauchen und die HändlerInnen ihre Lager-Bestände abverkaufen.

BAYER verliert wieder PCB-Prozesse

Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie. Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen wegen ihrer chemischen Stabilität immer noch ein beträchtliches Gesundheits- und Umweltrisiko dar. Darum ist der Konzern mit einer Vielzahl von Schadensersatz-Ansprüchen konfrontiert. Allein LehrerInnen, SchülerInnen und Angestellte des „Sky Valley Education Centers“ im US-amerikanischen Monroe reichten rund 200 Klagen ein. „So viele Schüler und Lehrer mussten Sky Valley verlassen, weil sie einfach zu krank wurden“, sagt etwa Michelle Leahy, eine der PädagogInnen. Und in den bisherigen vier Verfahren gaben die RichterInnen den Personen, die ihre Leiden auf das PCB-kontaminierte Schulgebäude zurückführten, immer Recht. Im November 2023 verurteilten sie BAYER zu einer Zahlung von 165 Millionen Dollar und im Monat darauf waren sogar 857 Millionen fällig. Der Leverkusener Multi ist sich hingegen keiner Schuld bewusst. Er verweist wahlweise auf „extrem niedrige PCB-Werte“ in besagtem Bildungszentrum oder dem Blut der Betroffenen, auf eine Überschreitung der Nutzungsdauer der inkriminierten PCB-verseuchten Leuchtstoff-Röhren oder darauf, doch gar nicht das Endprodukt, sondern nur ein Vorprodukt geliefert zu haben.

Glyphosat-Verbot möglich

Ende November 2023 hat die Europäische Union die Zulassung für Glyphosat verlängert. Nach Ansicht der Bundesregierung ist „ein vollständiges nationales Anwendungsverbot“ daher ausgeschlossen. Dem widersprechen jedoch die beiden Initiativen AURELIA und DEUTSCHE UMWELTHILFE. Sie verweisen dabei auf Artikel 114 der „Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung“, der es gestattet, nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme einzelstaatliche Bestimmungen beizubehalten, wenn das z. B. der Umweltschutz gebietet. Auch böte die von der EU ohnehin vorgeschriebene Überprüfung der Genehmigung die Möglichkeit, das Herbizid aus dem Verkehr zu ziehen, zumal die Zulassungsverlängerung trotz zahlreicher Daten-Lücken, etwa zu den Auswirkungen des Mittels auf die noch im Wachstum befindlichen Nervensysteme von Embryos, Säuglingen und Kindern, erfolgte. Darüber hinaus erlaubt das EU-Recht Notfallmaßnahmen, wenn ein genehmigter Wirkstoff „wahrscheinlich ein schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt“.

Neues DUOGYNON-Gutachten

Ein hormoneller Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das unter den Namen DUOGYNON und PRIMODOS vertriebene Medizin-Produkt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Geschädigte oder deren Eltern fordern den Leverkusener Multi seit Jahren auf, dafür die Verantwortung zu übernehmen, bislang allerdings vergeblich. „BAYER schließt DUOGYNON als Ursache für Missbildungen aus“, erklärte der Global Player noch auf der jüngsten Hauptversammlung. Die Bundesregierungen jedweder Couleur sahen lange ebenfalls keinen Handlungsbedarf, obwohl der im ehemaligen Bundesgesundheitsamt zuständige Referatsleiter Klaus-Wolf von Eickstedt früher in Diensten SCHERINGs stand und in alter Verbundenheit alles dafür tat, das Mittel auf dem Markt zu halten. Ein Anfang der 2020er Jahre vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei einem Historiker in Auftrag gegebenes Gutachten mochte da kein Behörden-Versagen erkennen; es stellte der Einrichtung einen Persilschein aus. Die Geschädigten kritisierten die Expertise scharf, weil diese keine juristische Bewertung des Sachverhalts leistete. Diese Meinung teilte Spahn-Nachfolger Karl Lauterbach (SPD). Sein Ministerium will jetzt ein Rechtsgutachten in Auftrag geben und das NETZWERK DUOGYNON e. V. in das Vergabe-Verfahren einbeziehen.

INTACTA-Klage in Brasilien

Bereits seit Langem sieht sich BAYERs Tochter-Gesellschaft MONSANTO in Brasilien wegen ihrer Gentech-Soja INTACTA RR2 PRO Klagen gegenüber. 2017 – ein Jahr vor der Übernahme durch den Leverkusener Multi – zog der SojapflanzerInnen-Verband des Bundeslandes Mato Grosso vor Gericht. Agrosoja-MT focht nicht nur die Gültigkeitsdauer des INTACTA-Patents an, sondern zweifelte auch grundsätzlich die Berechtigung MONSANTOs an, für die Laborfrucht Schutz geistigen Eigentums zu reklamieren. Deshalb forderte die Vereinigung, den LandwirtInnen die schon gezahlten Lizenz-Gebühren zurückzuerstatten. Im Juli 2018 erreichte sie einen Etappen-Sieg. Ein Gericht trug dem Global Player auf, seine INTACTA-Einnahmen vorerst auf ein Treuhand-Konto zu überweisen. Die Organisation kämpfte aber weiter, weil ihr die Summen zu gering erschienen. 2019 erhielt sie dann Unterstützung von Verbänden zehn weiterer Bundesstaaten und im Mai 2021 durch den Obersten Gerichtshof Brasiliens, der länger als 20 Jahre gültige Patente für verfassungswidrig erklärte. Dem allen konnten sich die RichterInnen im Februar 2023 nicht mehr verschließen. Sie verurteilten BAYER dazu, das Treuhand-Konto um 252 Millionen Dollar aufzufüllen. Im März 2024 gab es in der Sache eine neue Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die Agrosoja-MT und der Agro-Riese unterschiedlich interpretieren. Der Soja-Verband feiert das Votum als einen Sieg, weil es den Konzern anweise, die 252 Millionen Dollar an die LandwirtInnen auszuzahlen. BAYER hingegen versteht es lediglich als eine Mahnung, die Summe als Prozess-Garantie auch tatsächlich auf das Treuhand-Konto zu überweisen.

FORSCHUNG & LEHRE

44 Mio. für Gentherapie-Zentrum

Zell- und Gentherapien stellen einen Schwerpunkt von BAYERs Pharma-Sparte dar. In Deutschland kooperiert der Konzern dabei mit der Berliner Charité. Im Jahr 2022 gaben die beiden Partner bekannt, ein Zell- und Gentherapie-Zentrum aufbauen zu wollen, das auch Start-Ups und anderen Firmen offenstehen soll. Allerdings gilt es einstweilen noch, einen Investor und auch einen Betreiber zu finden, denn weder der Leverkusener Multi noch das Klinikum wollen diesen Part übernehmen. Das Ziel der Gründung ist es, den Weg von der Forschung zur Produkt-Entwicklung zu beschleunigen. „Am Nordhafen finden Forscher und Verwerter zusammen“, so formuliert es die Berliner Morgenpost. Der Bund unterstützt das Projekt mit 44 Millionen Euro und ähnliche Vorhaben mit noch einmal 76 Millionen. Er betrachtet nämlich Zell- und Gentherapien als „ein wesentliches Element für eine personalisierte Medizin, mit der Krankheiten zielgerichtet behandelt werden können“ und verfolgt mit den Geldspritzen die Absicht, „geeignete Plattformen für diese Zukunftstechnologie und die darauf aufbauende klinische Entwicklungen in Deutschland auszubauen“ und „den Biotechnologie-Standort Deutschland wirkungsvoll zu stärken“.

BMBF fördert Genscheren

Das „Bundesministerium für Bildung und Forschung“ (BMBF) setzt bei der Regulierung der neuen Gentechniken wie Crispr/Cas nicht nur darauf, „dass die EU-Kommission den völlig veralteten und wissenschaftlich überholten Rechtsrahmen novellieren wird“, es unterstützt die Genscheren-Projekte von BAYER & Co. auch nach Kräften. Im Rahmen der Fördermaßnahme „Moderne Züchtungsforschung für klima- und standortangepasste Nutzpflanzen von morgen“ schüttet das BMBF 50 Millionen Euro aus. „Als Bundesforschungsministerium wollen wir die Chancen der Neuen Züchtungstechniken nutzen und uns nicht wie andere von der Zukunft abmelden“, erklärte Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zur Begründung.

SPORT & MEDAILLEN

Keine InvestorInnen bei der DFL

Ein Fußball-Verein, der dem größten Agro-Konzern der Welt gehört, hat natürlich ein reges Interesse an einer Kommerzialisierung des Sports. Und so gehörte dann auch der Geschäftsführer von BAYER 04 Leverkusen, Fernando Carro, zu den engagiertesten Fürsprechern des Ansinnens der „Deutsche Fußball-Liga“ (DFL), sich InvestorInnen zu öffnen. „Wenn das Erlebnis Bundesliga so hochwertig bleiben soll wie bisher, müssen wir uns dem globalen Wettbewerb stellen, präsent und innovativ sein, klug in unser Produkt investieren und vor allem an den richtigen Stellen mutig und offen für Neues sein. Aber dafür braucht es auch Mittel, Ressourcen und mehr Know-how. Ein strategischer Partner wäre insofern enorm wichtig für die Zukunftsfähigkeit der Bundesliga“, meinte er. Zunächst schien auch alles in seinem Sinne zu laufen. Im Dezember 2023 entschied sich die DFL mit einer äußerst knappen Mehrheit dafür, Verhandlungen mit ADVENT, BLACK-STONE und anderen Vermögensverwaltern über eine Beteiligung an TV-Rechten gegen die Zahlung von rund einer Milliarde Euro zu beginnen. Aber Carro & Co. hatten die Rechnung ohne die Fans gemacht. Der Protest in den Stadien veranlasste die Fußball-Liga schließlich dazu, das Vorhaben abzublasen.

[Arbeitsplatzvernichtung statt Aufspaltung BAYERs] Tag der Entscheidung

CBG Redaktion

Die Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ haben BAYER in eine tiefe Krise gestürzt. Darum wächst der Druck auf das Management, den Konzern zu zerschlagen. Auf der Bilanzpressekonferenz Anfang März lehnte der Vorstand dies aber – vorerst – ab. Er setzt stattdessen auf einen „erheblichen Personalabbau“ und schließt dabei auch betriebsbedingte Kündigungen nicht aus.

Von Jan Pehrke

Auf die neuen Geschäftszahlen von BAYER wartete bei der Bilanzpressekonferenz am 5. März kaum jemand. Der parallel dazu veröffentlichte Nachhaltigkeitsbericht interessierte schon in den Jahren zuvor niemanden groß. Und so standen dann der um 1,2 Prozent auf 47,6 Milliarden Euro gefallene Umsatz und der um 13,4 Prozent auf 11,7 Milliarden Euro gesunkene Gewinn vor Sondereinflüssen ebenso wenig im Zentrum der Aufmerksamkeit wie die Kohlendioxid-Emissionen von nicht weniger als drei Millionen Tonnen, der kaum zurückgegangene Energie-Bedarf und der nach wie vor hohe Anteil von fossilen Brennstoffen am Strom-Mix. Spannend war für die BeobachterInnen hingegen, wie der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson sich am gleichzeitig anberaumten Kapitalmarkt-Tag zur Forderung vieler Finanzmarkt-AkteurInnen nach Zerschlagung des Konzerns verhalten würde. Vor allem die Trennung von der Sparte mit den nicht verschreibungspflichtigen Arzneien hatten einflussreiche InvestorInnen verlangt, und deren Leiter Heiko Schipper räumte kurz vor der Bilanzpressekonferenz auch schon mal seinen Posten.

Gleichwohl erteilte der BAYER-Chef den mächtigen VermögensverwalterInnen vorerst eine Abfuhr. „Wir sind ein Life-Science-Unternehmen mit hoher Schlagkraft, das von einer großartigen Mission getragen wird, und wir haben drei starke Divisionen“, erklärte er. Dabei ließ sich die Aktien-Gesellschaft jedoch alle Optionen offen: „Die Antwort auf die Frage nach der künftigen Struktur und einer möglichen Aufspaltung des Konzerns laute „nicht jetzt“ – und damit sei nicht „niemals“ gemeint.“

Akuten Handlungsbedarf sah Anderson zunächst jedoch an anderer Stelle. Er machte vier Problemfelder aus: den Mangel an neuen Pharma-Blockbustern, den hohen Schuldenstand, die „hierarchische Bürokratie“ und die Glyphosat-Klagen. Hier anzusetzen und gleichzeitig die Trennung von „Consumer Health“ in die Wege zu leiten, ist ihm zufolge wegen des damit verbundenen Arbeitsaufwandes nicht möglich. Zudem würde ein Verkauf zwar Geld in die Kasse spülen, wäre aber auch „mit erheblichen Kosten und Steuer-Effekten verbunden“.

Also nimmt der Agro-Riese sich erst einmal die vier Baustellen vor und hat sich dafür auch den Segen seiner Groß-InvestorInnen geholt. Die Schuldenlast von aktuell rund 35 Milliarden Euro will er unter anderem mit einer Dividenden-Kürzung auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß für die nächsten drei Jahre begrenzen.

Gegen die „hierarchische Bürokratie“ hat der BAYER-Chef dem Unternehmen indes ein neues Organisationsmodell namens „Dynamic Shared Ownership“ verordnet. Hinter so nebulösen Umschreibungen wie „Bürokratie beseitigen“, „Strukturen verschlanken“ und „Entscheidungsprozesse beschleunigen“ verbirgt sich allerdings ein knallhartes Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. Den genauen Umfang nennt der Global Player zwar nicht, er spricht aber von einem „erheblichen Personalabbau“ und schließt nicht einmal betriebsbedingte Kündigungen aus.

Das Einspar-Potenzial beziffert er auf zwei Milliarden Euro pro Jahr ab 2026. Dabei nimmt der Konzern vor allem die Management-Bereiche ins Visier. „Trotz zahlreicher Umstrukturierungen ist die Zahl der leitenden Angestellten gleichgeblieben“, hat Anderson nämlich zu seinem Leidwesen herausgefunden. Als reines Kostensenkungsprogramm möchte er die Maßnahmen jedoch nicht verstanden wissen: „Wir beginnen nicht mit einer Zahl. Wir stellen den Kunden und das Produkt in den Mittelpunkt. Dann schauen wir, welche Ressourcen dafür nötig sind. Alles andere muss weg.“ Und im Handelsblatt findet der Vorstandsvorsitzende drastische Worte für diejenigen, die nicht mitziehen wollen. „Es gibt Leute, bei denen sich alles um ihr Ego dreht oder die keine Lust auf Veränderung haben. Sie können vielleicht in einer traditionellen Arbeitsumgebung effektiv sein, aber nicht in unserer. Wer für diese Veränderung nicht offen ist, wird es bei uns schwer haben.“ In den USA waren das im Pharma-Bereich 40 Prozent der ManagerInnen. Hierzulande reduzierte die Aktiengesellschaft die Leitungsebene in dem Segment von elf auf fünf Stellen. Es gibt jetzt mit Stefan Oelrich noch einen Vorstand, mit Sebastian Guth einen Chief Operating Officer sowie Verantwortliche für Global Commercialization (Christine Roth), Forschung & Entwicklung (Christian Rommel) und Product Supply (Holger Weintritt). Auch von der Innen-Revision bleibt nur noch die Hälfte übrig. Und die konzern-interne Beratungseinheit BAYER BUSINESS CONSULTING wickelte das Unternehmen mitsamt der rund 200 Jobs ganz ab.

Eine „attraktive Abfindung zu marktgerechten Konditionen“ bietet es den Beschäftigten an, um seine Schlankheitskur zu beschleunigen. Auch hier war BAYER schon einmal großzügiger. Frühere Diäten befeuerte der Multi mit Offerten, die deutlich über den markt-üblichen Konditionen lagen. Besonders schnelle Abgänge plant er überdies mit „Sprinter-Prämien“ zu belohnen.

Innerhalb der Belegschaft sorgt all dies für beträchtliche Unruhe. Die IG Bergbau, Chemie, Energie trägt den Kahlschlag trotzdem „schweren Herzens“ mit. Sie erhofft sich so bessere Chancen für den Erhalt des Konzerns in seiner jetzigen Form mit den drei Sparten „Agrar“, „Pharma“ und „Consumer Health“. „Für uns hat oberste Priorität, die Zukunft der Beschäftigten bei BAYER zu sichern. Die größten Möglichkeiten dafür sehen wir in der ONE-BAYER-Struktur. Deshalb haben wir dem jetzt eingeschlagenen Weg zugestimmt und stehen dem neuen Organisationsmodell von BAYER offen gegenüber“, sagt Aufsichtsratsmitglied Francesco Grioli von der IG BCE.

Es gibt also kein gemeinsames Auflehnen gegen die Umstrukturierung. Deshalb kommt es sogar zu Entsolidarisierungstendenzen und Kämpfen um den eigenen Vorteil. „Weil viele Stellen in den nächsten Jahren wegfallen sollen, wollen viele Teams umso mehr glänzen“, berichtet die Rheinische Post. Wie ein reines Lippenbekenntnis wirkt da, was der Aufsichtsratsvorsitzende Norbert Winkeljohann dem Handelsblatt sagte: „Wir wollen keine Angst-Kultur.“

Der FAZ zufolge hat das, was Anderson bei BAYER vorexerziert, Modell-Charakter. „Sollte er Erfolg haben, dürfte dies Schule machen. Denn die Probleme sind in anderen Branchen ähnlich gelagert. Von MERCEDES etwa sind entsprechende Spekulationen zu vernehmen“. EVONIK kündigte bereits an, 1.500 Arbeitsplätze in der Verwaltung zu vernichten, die angeblich „viel zu kompliziert und komplex“ geworden sei. „Führungskräfte sollen bei uns keine besseren Sachbearbeiter sein, Führungskräfte sollen bei uns entscheiden“, so der Vorstandsvorsitzende Christian Kullmann. Und auch BOSCH dampft die Hierarchie-Ebenen zusammen und streicht Stellen. Dem Handelsblatt zufolge setzen viele der aktuellen Rationalisierungsprogramme nicht im Produktionsbereich an. „Die aktuelle Kündigungswelle, sie trägt nicht immer Blaumann, sondern häufiger als sonst auch Kostüm, Laborkittel oder Hoodie“, resümiert die Zeitung.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren kritisierte die Streich-Orgie in einer Presseerklärung vehement. „Wie immer beim Leverkusener Multi sind es die Beschäftigten, die für Fehler des Vorstands büßen müssen. Sie zahlen jetzt die Zeche für die Unfähigkeit des Managements, mit den Glyphosat-Geschädigten eine gütliche und faire Einigung zu finden“, konstatierte die CBG.

Der Geschäftsbericht beziffert die Zahl der noch anhängigen Glyphosat-Klagen auf 54.000. Seit dem ersten Prozess sind bereits mehr als fünf Jahre vergangen, und eine Lösung für den Umgang mit den Betroffenen ist immer noch nicht in Sicht. Nach den ersten RichterInnen-Sprüchen mit millionen-schweren Strafen ließ der Konzern sich auf ein Mediationsverfahren ein, aus dem er allerdings wieder ausstieg. Anschließend versuchte er vergeblich, ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zu seinen Gunsten zu erwirken. Dann verstieg die Aktien-Gesellschaft sich auf Abschreckungspolitik. Sie brachte besonders erfolgsversprechende Verfahren vor Gericht und hoffte darauf, die alten KlägerInnen mit leichten Siegen zu kostengünstigen Vergleichen bewegen und potenziell neue von einer juristischen Auseinandersetzung abhalten zu können, was allerdings scheiterte.

Deshalb steht wiederum eine Veränderung an. Der Global Player annoncierte am 5. März „neue Ansätze inner- und außerhalb der Gerichtssäle“. Zu diesem Zweck berief er die Juristin Lori Schechter in den Aufsichtsrat, die in seinen Augen bereits für andere Branchen-Größen erfolgreich Schadensbegrenzung betrieben hat. Zudem übernahm Thomas Laubert den Posten des Leiters der Rechtsabteilung, der in einer seiner ersten Amtshandlungen andere Kanzleien für die Glyphosat-Prozesse verpflichtete.

„Aber es ist klar, dass eine Verteidigungsstrategie allein nicht ausreicht“, konstatierte Bill Anderson auf dem Kapitalmarkt-Tag. Darum kündigte er verstärkte Lobby-Anstrengungen an, bzw. „eine intensivere Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Bereich der Politik“. Konkret bemühen sich die LobbyistInnen im Moment darum, ein neues Gesetz zu lancieren. Weil viele Gerichte in den einzelnen Bundesstaaten den Agro-Riesen mit dem Argument zu Entschädigungszahlungen verurteilten, er habe auf den Glyphosat-Packungen unzureichend vor den Gefahren gewarnt und damit gegen die Landesgesetze verstoßen, will der Konzern die Wirkmächtigkeit dieser Bestimmungen aushebeln. In dem von seinen JuristInnen formulierten „Agricultural Labeling Uniformity Act“ gilt vielmehr der Primat der Bundesgesetze und damit der staatlichen Umweltagentur EPA. Diese hält das Herbizid nämlich nicht für krebserregend und hat das Anbringen entsprechender Warnhinweise sogar verboten. Aber um die Akzeptanz des Vorstoßes ist es nicht zum Besten gestellt. „Viele Demokraten, darunter einflussreiche Senatoren, laufen (…) Sturm dagegen, was das Schicksal dieser Klausel ungewiss macht“, vermeldet die FAZ. Und laut Financial Times fremdeln nicht wenige RepublikanerInnen ebenfalls damit.

Darüber hinaus entschied sich der Leverkusener Multi noch, Druck aus dem InvestorInnen-Kessel zu nehmen, indem er aktivistische AktionärInnen einbindet. So berief BAYER Jeffrey W. Ubben von der Investment-Gesellschaft „Inclusive Capital Partners“ in den Aufsichtsrat und verstärkte damit die US-Präsenz in dem Gremium weiter. Ubben hatte mit für das vorzeitige Ende von Anderson-Vorgänger Werner Baumann gesorgt und bereits im letzten Jahr Anspruch auf einen Sitz erhoben.

Den Finanzmärkten reichte all dies indes nicht. Der Kurs der BAYER-Aktie sank nach der Bilanzpressekonferenz. „Das ist noch nicht der große Wurf“, bekundete das Portal sharedeals.de. Und auch das Manager Magazin zeigte sich unzufrieden mit Bill Anderson: „Er versuchte einen Befreiungsschlag und trat einen Kursrutsch los. Für eine Wende an den Kapitalmärken sind die Ziele viel zu vage formuliert.“ Die Rating-Agenturen zeigten sich ebenfalls unzufrieden. So stufte FITCH die Kreditwürdigkeit BAYERs herab. Es ist also noch mit so einigem zu rechnen. ⎜

[Der AfDler stand lange in BAYER-Diensten] Der Fall „Roland Hartwig“

CBG Redaktion

Der AfD-Politiker Roland Hartwig, der am 25. November 2023 an dem Geheimtreffen von Partei-Mitgliedern mit RechtsextremistInnen teilnahm, bekleidete jahrzehntelang hohe Posten beim BAYER-Konzern.

Von Jan Pehrke

Der AfDler Roland Hartwig, der Ende November letzten Jahres in der Potsdamer Villa Adlon mit dem österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner und anderen Rechten über Deportationspläne diskutierte, nahm über viele Jahre hinweg Spitzen-Positionen beim BAYER-Konzern ein.    Aus seiner Gesinnung machte Hartwig in Potsdam kein Geheimnis. So bescheinigte er Sellner bei der Zusammenkunft, sein Buch zum Thema „Remigration“ „gerade mit großer Freude“ gelesen zu haben.

Der Jurist, der über „Vorteilsgewährung und Bestechung als Wirtschaftsstraftaten“ promovierte, trat 1984 in die Rechtsabteilung des Leverkusener Multis ein. 1997 übernahm er dann die Leitung des Patent-Bereichs. Zwei Jahre später stieg Hartwig zum obersten Juristen des Global Players auf mit nach eigener Aussage „weltweiter Verantwortung für die Bereiche Recht, Patente/Lizenzen, Versicherungen, Compliance (ab 2004) und Datenschutz“. Überdies bekleidete er Aufsichtsratsposten bei verschiedenen Tochter-Gesellschaften. 2016, drei Jahre nach seinem Eintritt in die damals gerade gegründete AfD, schied er bei BAYER altersbedingt aus. Auch der gesamten Branche stand Roland Hartwig in seinem Berufsleben zu Diensten. So saß er einst dem Rechtsausschuss des „Verbandes der Chemischen Industrie“ vor.

Noch heute betrachtet der im Jahr 1954 geborene Roland Hartwig es als seine größte Leistung, „[e]inen internationalen Groß-Konzern juristisch durch alle Untiefen geführt zu haben“. Diese „Untiefen“ betrafen vor allem Verfahren, die Geschädigte von BAYER-Erzeugnissen anstrengten, Kartell-Klagen wegen Preis-Absprachen und die Verhandlungen um die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen.

Bei den Produkthaftungsangelegenheiten galt es dabei für die Rechtsabteilung, die finanziellen Belastungen für den Multi möglichst gering zu halten. Besonders gut gelang Hartwig & Co. das im Fall des Cholesterinsenkers Lipobay, den BAYER nach über 100 Todesfällen vom Markt nehmen musste. Dazu nahmen sich die Konzern-JuristInnen alle KlägerInnen einzeln vor, verlangten exakte Nachweise für Lipobay als Ursache der Gesundheitsstörungen und entkräfteten die vorgelegten Belege dann mit einer Armada von eigenen GutachterInnen.

Zur Güte bot das Unternehmen anschließend Kleckerbeträge um die 3.000 Euro an. „Fleddern“ hieß diese Strategie, die half, fünf Sammelklagen abzuwenden und mehr als 9.000 Betroffene leer ausgehen zu lassen. Als „deutsche Lösung“ stieß das auch bei anderen Firmen auf Interesse. Die Wirtschaftswoche äußerte sich anerkennend. „Auch nach Ansicht von Branchen-Kollegen befriedete Hartwig die Klagen professionell und gut“, schrieb die Zeitschrift 2019 und wünschte sich mehr Leute wie ihn im Bundestag. „[E]iner der wenigen früheren Top-Manager im Parlament“, lobte das Blatt.

Vor US-Gerichten verfingen die juristischen Strategien des Chef-Syndikus‘ allerdings seltener. Wegen Medikamenten-Nebenwirkungen und Kartell-Absprachen musste der Pharma-Riese schon vor der Glyphosat-Ära Milliarden-Strafen zahlen. Allein die unerwünschten Arznei-Effekte der Verhütungsmittel aus der YASMIN-Produktreihe kosteten ihn insgesamt 2,1 Milliarden Dollar.

Von diesen Erfahrungen berichtete Hartwig dann später auf einer AfD-Veranstaltung unter dem Titel „Deutsche Unternehmen im Fadenkreuz der US-Justiz“. Der Ankündigungstext, den der Vortragende selbst formuliert haben dürfte, macht in den Vereinigten Staaten eine Rechtsindustrie aus, der die Gesetze des Landes in einzigartiger Weise ermöglichen würden, Druck auf die Konzerne aufzubauen und der deutschen Volkswirtschaft „in erheblichem Umfang“ Substanz zu entziehen. „Das bislang eklatanteste Beispiel waren die um die Jahrtausendwende in den USA gegen zahlreiche deutsche Unternehmen erhobenen Zwangsarbeiter-Klagen“, konstatiert Hartwig. Er muss es wissen: Der BAYER-Konzern stand hier nämlich besonders im Fokus, weil für die von ihm mitgegründete IG FARBEN in der NS-Zeit mehr als 50.000 SklavenarbeiterInnen Frondienste leisten mussten.

Nach seinem Ausscheiden beim Leverkusener Multi arbeitete Roland Hartwig als Rechtsanwalt und widmete sich verstärkt seiner politischen Karriere. Von 2017 bis 2021 hatte er ein Bundestagsmandat inne, 2020 kandidierte er in Leverkusen für das Oberbürgermeisteramt. Zuletzt fungierte der Jurist als persönlicher Referent der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und galt dem Recherche-Netzwerk Correctiv zufolge als so etwas wie der „inoffizielle Generalsekretär“ der Partei.

Berührungsängste mit VertreterInnen der Neuen Rechten hatte der AfDler bereits vor dem November 2023 nicht. So hielt er im Juni 2019 eine Rede beim „Staatspolitischen Kongress“, einer Veranstaltung des von Götz Kubitscheck und Karlheinz Weißmann gegründeten „Instituts für Staatspolitik“, das der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft. Zeitschriften- und Buchverleger Kubitscheck war es dann auch, der sich für Hartwig verwandte, als Alice Weidel dem öffentlichen Druck nachgab und sich im Nachklang des Potsdamer Treffens von ihrem persönlichen Referenten trennte. „Mit Hartwigs Entlassung hat die Partei die Tür geöffnet für Forderungen von außen und für den daraus entstehenden Rechtfertigungs- und Erklärungsdruck“, kritisierte der Rechtsintellektuelle. Sein Resümee: „Weidels Entscheidung ist Altparteien-Verhalten und hat dem Gegner Munition geliefert.“

Bei BAYER befand sich Hartwig immer in guter Gesellschaft. So gründete etwa Dr. Hans-Ulrich Höfs, wenigstens bis zum Jahr 2012 beim Konzern in der Forschung tätig, 1989 in Krefeld „Die Republikaner“. Später baute der Chemiker die Gruppen „Krefelder Gesprächskreis – Deutsche Politik“ und das „Krefelder Forum Freies Deutschland“ auf, die beide enge Kontakte zu RechtsextremistInnen wie Horst Mahler und Herbert Schweiger unterhielten. Seine rechte Gesinnung brachte den Wissenschaftler einst sogar vor Gericht. Nach der öffentlichen Aufforderung der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), Höfs zu entlassen, reagierte das Unternehmen lediglich mit einer Abmahnung.

„Faschismus ist ein politisches Konzept der Konzerne. Das wird nicht nur, aber eben immer wieder bei BAYER deutlich. In Person des BAYER-Chefs und Hitler-Förderers Carl Duisberg in den 1920er und 1930er Jahren bis zum BAYER-Chefjuristen Roland Hartwig heute“, hielt Axel Köhler-Schnura, CBG-Gründer und -Ehrenvorstand in der Presseerklärung der Coordination zum Fall „Hartwig“ fest. Als skandalös bezeichnete sie es in der Veröffentlichung, dass ein Multi, der dem Hitler-Faschismus mit Geld und persönlicher Unterstützung den Weg bereitet hat und dessen Führungskräfte 1948 als Nazi-VerbrecherInnen verurteilt wurden, bis in die unmittelbare Gegenwart hinein ungebrochen braunen Kräften eine sichere Heimstätte, ein gutes finanzielles Auskommen und sichere Karrieren bis in die Unternehmensspitze hinein gewährt.

[Peter Jaeggis Buch über Agent Orange in Vietnam] BAYER & ein Krieg ohne Ende

CBG Redaktion

BAYER und andere Chemie-Großkonzerne waren und sind teilweise immer noch in die Produktion chemischer Waffen involviert. Peter Jaeggis Buch „Krieg ohne Ende“ liefert spannende Einblicke und eine umfangreiche Faktensammlung zum „chemical warfare“ am Beispiel von Vietnam.

Von Max Meurer

Zahlreiche Filme, Schallplatten und andere Kunstwerke wurden über den Vietnamkrieg geschaffen. Jede/r kennt die Kino-Werke über das Schicksal US-amerikanischer SoldatInnen, die traumatisiert und gebrochen von ihrem Einsatz heimkehrten, wenn sie – von ihrer Regierung in einem aussichtslosen Krieg gegen die vietnamesische Befreiungsbewegung als Kanonenfutter verheizt – nicht in Särgen zurückkamen.

Die andere Seite der Geschichte bleibt dabei oft unterbelichtet: das Schicksal des vietnamesischen Volkes, dem die imperialistische Großmacht mit Kugeln, Bomben und chemischen Kriegswaffen begegnete. Es dominiert der Fokus auf die politischen Entscheidungsträger, nur über die Beteiligung der Chemie-Riesen an der Durchführung dieses Krieges wird wenig gesprochen. Das als Agent Orange bekannt gewordene, dioxinhaltige Pestizid erlangte in diesem Zusammenhang eine traurige, aber isolierte Berühmtheit. Sein Einsatz kam in den bereits genannten Filmen, LPs und Kunstwerken zwar zur Sprache, doch über die Spätfolgen wissen die meisten nur wenig.

Das zu ändern, setzte sich Peter Jaeggi mit seinem Buch zum Ziel. Aber der Weg zu „Krieg ohne Ende“ war lang und steinig. „Er begann 1998 mit einer Begegnung mit dem ‚Green Cross‘-Gründer Roland Wiederkehr, der mich für diese Langzeit-Arbeit motivierte. Unterwegs viele berührende und hautnahe Begegnungen mit Menschen, mit Opfern der Dioxin-Attacke, mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Auch mit dem US-Veteranen Chuck Palazzo, der über seine schrecklichen Kriegserfahrungen berichtete.“, so fasst Jaeggi selbst die Entstehung des Werkes zusammen. Rund 18 Jahre vergingen zwischen besagter Begegnung und dem Erscheinen des Buchs.

Die Neuauflage vom letzten Jahr, zu der die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN einige Infos beigesteuert hat, bringt dabei auch einige Neuerungen mit sich: So wurden beispielsweise die Schilderungen Chuck Palazzos wieder entfernt, nachdem sich Ende der 2010er herausstellte, dass dieser gar nicht im Vietnamkrieg gekämpft hatte. Ebenfalls neu ist die beeindruckende photographische Ausgestaltung mit Bildern des zweifachen Pulitzer-Preisträgers Horst Faas, die aus der Zeit des Vietnamkrieges selbst stammen und neben Kriegsalltagsszenen auch das menschliche Leid des vietnamesischen Volkes und die Kriegsverbrechen des US-Militärs dokumentieren. Überdies steuerte Roland Schmid Farbaufnahmen bei, die die Opfer der Militäraggression und die Folgen des Chemie-Krieges zeigen.

Warum „Krieg ohne Ende“?

Und damit sind wir schon beim ersten Punkt, warum die Lektüre lohnt: Peter Jaeggis Werk vermittelt ein eindrückliches Bild von den Langzeit-Folgen des Chemie-Kriegs in Vietnam mit Agent Orange und anderen Pestiziden. Doch was hat es mit Agent Orange eigentlich auf sich? Bei dem Stoff handelt es sich der Bestimmung nach um ein Antiunkrautmittel. Die US-Regierung benutzte es aber als Entlaubungsmittel, um im Dschungel klarere Sicht zu haben und die Verstecke der vietnamesischen Befreiungskräfte enttarnen zu können. Zudem zerstörte die U.S. Army damit die Ernten des Feindes.

Sie setzte zwischen 1962 und 1971 rund 46 Millionen Liter des Kampfstoffes und noch einmal 34 Millionen Liter anderer Agro-Chemikalien ein. Beliefert wurde die US-Regierung dabei unter anderem von BAYERs jetziger Tochter-Gesellschaft MONSANTO (siehe Kasten), DOW CHEMICAL, DIAMOND SHAMROCK und UNIROYAL. Auch der BAYER-Konzern war mit von der Partie (siehe Kasten), verfügt er doch über eine lange Erfahrung mit chemischen Kampfstoffen aus. Sie reicht bis in den Ersten Weltkrieg zurück, stand dann auch dem Hitler-Reich zu Diensten und konnte sich nach dem Ende des Faschismus noch weiterentwickeln. Hier gab es auch personelle Kontinuitäten, so etwa in den Personen von Otto Ambros und Wolfgang Wirth. Ambros war Direktor der IG FARBEN und forschte als Chef der Abteilung für chemische Kriegsführung von Speers Rüstungsministerium an Giftgasen, auch für den Einsatz in deutschen Konzentrationslagern. Wirth war ebenfalls in solche Forschung involviert, was beide aber nicht daran hinderte, später für BAYER im Werk in Wuppertal Elberfeld an chemischen Kriegswaffen für den Vietnam-Krieg zu forschen, so berichtet der Historiker Gerhard Feldbauer.

Langzeitfolgen

Bis heute ist der Einsatz von Agent Orange während des Krieges gegen Vietnam die größte Dioxinquelle im Land. Dazu schreibt Jaeggi: „Dioxine sind Umweltgifte und gehören zum sogenannten „schmutzigen Dutzend“, zur Gruppe der gefährlichsten Umweltgifte (…) Das allergiftigste unter ihnen ist jenes, das als „Seveso-Gift“ berüchtigt ist (…): TCDD, das auch in Agent Orange enthalten war.“ Jaeggi weist überdies darauf hin, dass TCDD als etwa 500-mal giftiger als Strychnin (vormals Rattengift) ist und tausendfach toxischer als Nikotin.

Nun ist TCDD eigentlich kein notwendiger Bestandteil von Agent Orange, die hohe Belastung erklärt sich aus der Unreinheit der Produktion, die wiederum daher rührt, dass MONSANTO & Co. in möglichst kurzer Zeit möglichst große Mengen des Kriegsstoffes produzieren wollten.

Das Gift ging in großem Maßstab über das gesamte Land nieder. Es machte keinen Unterschied zwischen ZivilistInnen, Armeeangehörigen oder PartisanInnen und verseuchte Böden und Gewässer. Sehr anschaulich und verständlich skizziert Jaeggi die Auswirkungen des „herbicital warfare“, auch unter Rückgriff auf den TDI-Wert (tolerable daily intake, also die noch tolerierbare tägliche Aufnahme-Menge) und den politischen Umgang damit. „Die tägliche lebenslange Belastung der Bevölkerung mit 0,006 bis 0,01 Pikogramm Dioxin pro Kilogramm Körpergewicht führt zu einem zusätzlichen Krebsfall auf eine Million Menschen. Alle anderen „zumutbaren“ Pikogramm-Mengen an Dioxinen sind nur politische Werte! Im Klartext: Es wird politisch entschieden, wie viele zusätzliche Krebsfälle durch Dioxin-Belastung der Bevölkerung zugemutet werden.“ Doch TCDD löst nicht nur Krebs aus, schädigt das Immunsystem und stört die Embryonalentwicklung, es gelangt darüber hinaus noch über Plazenta und Muttermilch direkt in den Organismus von Neugeborenen, wo es, wie Jaeggi betont, imstande ist, in Konzentrationen auch unterhalb des Grenzwertes vielfältige Gesundheitsstörungen hervorzurufen.

Wer trägt die Schuld?

Jaeggi weist darüber hinaus darauf hin, dass MONSANTO & Co. ebenso wie die politisch Verantwortlichen genau wussten, was sie taten. So unterschrieben bereits 1966 22 US-WissenschaftlerInnen einen Brief, der über die Gefahren von Dioxin aufgeklärte. Sein Adressat Lyndon B. Johnson, damaliger US-Präsident, ignorierte dies geflissentlich, ebenso wie den damit verbundenen Aufruf, sich zu verpflichten, keine chemischen Waffen im Vietnamkrieg einzusetzen. In Deutschland wussten die Unternehmen auch seit spätestens Mitte der 50er Jahre und einigen Unfällen bestens über die Toxizität von Dioxinen Bescheid. Das hinderte die Chemieriesen jedoch nicht an der Produktion von Agent Orange.

Umso merkwürdiger mutet es da an, dass Jaeggi später im Buch unter der zitierten Überschrift „Hanoi lässt seine Opfer im Stich“ Felix Klickermann vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung mit den Worten zitiert: „Ich glaube, es ist zu einfach gedacht, sich hier allein auf die USA und die Herbizid-Produzenten zu versteifen.“ Er meint damit die Frage, wer den Geschädigten Unrecht tut, und bezieht sich kritisch auf die vietnamesische Hilfspolitik für die Leidtragenden, die nicht weit genug gehe. Da stellt sich dann doch die Frage: Wer ist für die Opfer verantwortlich? Die Regierung eines Landes, das nicht für Eroberung oder Unterdrückung, sondern für seine Unabhängigkeit kämpfte, oder die militärischen Aggressoren, die chemische Waffen in Kenntnis ihrer weitreichenden Folgen über ein jahrzehntelang unterdrücktes, agrarisches Land brachten? Jaeggi weist immer wieder, und das vollkommen zurecht, auf die USA hin, auf die Unsinnigkeit ihrer ideologisch verblendeten „Domino-Strategie“, auf die menschenverachtende Kriegsführung und so weiter. Wozu bedient er sich aber dann solcher Floskeln? So finden sich am Rande immer wieder Darstellungen zum Vietnamkrieg, die vor allem durch die US-amerikanische und bundesrepublikanische Propaganda in die Öffentlichkeit getragen wurden etwa zur Rolle der vietnamesischen Widerstandskräfte, zum Umgang mit südvietnamesischen ZivilistInnen sowie zum Verhalten der US-Führung. Das ist schade, doch wer diese Zwischentöne einordnen kann und sich auf die Fakten konzentriert, die das Buch in beeindruckendem Umfang versammelt, lernt trotzdem eine Menge.

Die Geschädigte Tran To Nga

Nicht nur die Darstellung der Wirkweise, Zusammensetzung und Spätfolgen der Chemiewaffen gelingt dem Autor auf beeindruckend verständliche Art und Weise, auch die Gespräche mit den Geschädigten sind ausgesprochen verdienstvoll. Beispielsweise berichtet Ngyuen Bong, 1962 direkt zu Beginn der US-Militäraggression geboren, vom Kriegsalltag und seinen Folgen, zu denen auch gehört, dass seine beiden Töchter cerebral gelähmt sind und deshalb mit Bewegungsstörungen und Muskelsteife zu kämpfen haben.

Ein eigenes Kapitel ist Tran To Nga gewidmet. Sie kämpfte auf der Seite der vietnamesischen Befreiungskräfte und wurde während ihrer Arbeit als Journalistin Opfer eines Gifteinsatzes. Heute steht die Frau an der Spitze der Bewegung, die in Frankreich für Gerechtigkeit und die juristische Anerkennung der Verbrechen der BAYER-Tochter MONSANTO und dreizehn weiterer Firmen kämpft. Am stärksten ist dieser Teil des Buches da, wo die heute 82-Jährige direkt zitiert wird: „Während des Prozesses sollte ich plötzlich den Vertrag vorweisen mit der Presseagentur, für die ich damals im Krieg arbeitete. Das ist absurd (…) Es wurde gesagt, wenn ich diesen Vertrag nicht vorweisen könne, müsse ich jede der angeklagten Firmen mit 200 Euro pro Tag entschädigen.“ Derlei Verteidigungsstrategien der AnwältInnen der Unternehmerseite prägen, so Jaeggi und Tran To Nga, das ganze Verfahren. Schuld weist der Leverkusener Multi weit von sich. „Seit Jahren haben Gerichte in aller Welt festgestellt, dass Auftragnehmer in Kriegszeiten nicht für Schadensersatz-Ansprüche haften, die im Zusammenhang mit der Verwendung dieser Produkte durch die US-Regierung während des Krieges entstanden sind“, erklärte er. Darum lehnt der Konzern jegliche Verantwortung ab, „obwohl wir Frau Tran To Nga und allen, die während des Vietnam-Krieges gelitten haben, großes Mitgefühl entgegenbringen“, und hofft auf eine biologische Lösung. Unter Verweis auf ihre zum größten Teil durch Agent Orange ausgelösten Gesundheitsstörungen, kritisiert die französisch-vietnamesische Aktivistin deshalb: „Sie wissen, dass ich diese Krankheiten habe, und hoffen, dass ich verschwinde, bevor der Prozess zu Ende ist.“

In diesem Jahr geht der Prozess gegen MONSANTO und 13 weitere mitverantwortliche Konzerne in die nächste Runde.    Es bleibt zu hoffen, dass endlich Recht gesprochen wird. Doch von allein wird das nicht geschehen, dafür braucht es bis heute die Solidarität mit allen jenen, die von den Chemiewaffen direkt oder indirekt geschädigt wurden, dafür braucht es Öffentlichkeit, dafür braucht es aktive Menschen. Peter Jaeggi hat mit seinem umfassenden Buch „Krieg ohne Ende. Chemiewaffen im Vietnamkrieg.“ eine wichtige Quelle für die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und alle anderen Gruppen vorgelegt, die Tran To Nga und die Millionen von Opfern von Kriegspolitik und Kriegsprofit in diesem Kampf unterstützen wollen. ⎜

Der Link zum Buch: www.agentorange-vietnam.org

BAYERs Chemiewaffen

Der BAYER-Konzern bestreitet mit zweifelhaften Argumenten, das Pentagon direkt mit Agent Orange beliefert zu haben. Die Produktion von Agent-Orange-Bestandteilen und anderen Pestiziden für die Kriegsverwendung dementiert er dagegen gar nicht erst. So stellte der Leverkusener Multi in der fraglichen Zeit jährlich 700 bis 800 Tonnen des „Agent Orange“-Grundstoffes 2,4,5-T her und verkaufte einen Teil davon an die französische Firma PROGIL. Diese wiederum verarbeitete es weiter und exportierte es nach Vietnam. Ein Aktennotiz der ebenfalls mit PROGIL Geschäftsbeziehungen unterhaltenen BOEHRINGER AG belegt dies: „BAYER und PROGIL haben auf dem 2,4,5-T-Sektor seit Jahren (Vietnam) zusammengearbeitet“. Der Global Player verleugnet diese Kooperation nicht, hält allerdings fest: „Über die weitere Verwendung des Wirkstoffes bei der PROGIL liegen keine Erkenntnisse vor.“

In einer früheren Äußerung zu diesem Thema räumt er hingegen durchaus die Möglichkeit ein, „dass Tochter-Unternehmen beziehungsweise Drittfirmen 2,4,5-T-haltige Pflanzenbehandlungsmittel auf den amerikanischen Markt brachten“. Andere Agro-Chemikalien wie Agent Green, Zineb und Dalapon veräußerte das Unternehmen dem Militär ebenfalls. Die Zeitschrift International Defense Business konnte für das Jahr 1972 sogar genau den Wert von BAYERs Kriegsbeitrag beziffern: Rund eine Million Euro stellte die Aktiengesellschaft für die verschiedenen Chemikalien in Rechnung. ExpertInnen des Unternehmens standen der US-Army gemeinsam mit ihren KollegInnen von HOECHST aber auch direkt vor Ort mit Rat und Tat zur Seite. Als medizinische HelferInnen getarnt, arbeiteten sie dem US-amerikanischen Planungsbüro für B- und C-Waffeneinsätze in Saigon zu.

MONSANTOs Chemiewaffen

MONSANTO befand sich bereits seit 1950 im regen Austausch mit der Chemiewaffen-Abteilung des Militärs über die Kriegsverwendungsfähigkeit des Wirkstoffs 2,4,5-T. Die entsprechende Akte ist 597 Seiten stark und zu großen Teilen immer noch als „geheim“ deklariert. Überdies wusste das Unternehmen schon früh um die Gefährlichkeit des Stoffes. Aber bei einem Treffen mit weiteren Herstellern des Produkts zur Erörterung der Gesundheitsgefahren übte MONSANTO Druck auf die VertreterInnen anderer Firmen aus, der Regierung der Vereinigten Staaten diese Risiken zu verheimlichen. „Ein kausaler Zusammenhang zwischen Agent Orange und chronischen Krankheiten beim Menschen konnte nicht nachgewiesen werden“, behauptete die Firma in der Öffentlichkeit stets.

Au weia, BAYER

An vielen seiner Standorte unterhielt der Leverkusener Multi einst nicht nur Produktionsstätten, sondern auch eine soziale Infrastruktur mit Schwimmbädern, Kaufhäusern, Bibliotheken, Werkskindergärten, Werkswohnungen und Breitensport-Vereinen. Doch von dieser Strategie hat der Global Player sich schon lange abgewendet. Beim SC BAYER 05 Uerdingen, dem Angelsportverein BAYER Uerdingen und dem Reiterverein BAYER Uerdingen endet diese Ära nun bald auch offiziell. Ab dem 1. Januar 2025 dürfen die Clubs nicht mehr den Namen „BAYER“ tragen.

[Interview mit dem PCB-Geschädigten Jürgen Jäger] BAYERs Ewigkeitschemikalie

CBG Redaktion

Polychlorierte Biphenyle (PCBs) zählen zu den gefährlichsten Chemikalien der Welt. Bis zu ihrem Verbot gehörten BAYER und MONSANTO zu den weltgrößten Produzenten. Vor allem in öffentlichen Gebäuden sorgen die Substanzen immer noch für viele Gesundheitsstörungen. SWB-Redakteur Max Meurer sprach mit Jürgen Jäger über die Problematik. Er wurde als Lehrer an einer Wiesbadener Schule auf die PCB-Belastung öffentlicher Gebäude in der Bundesrepublik aufmerksam. Seitdem beschäftigt Jäger sich intensiv mit der Aufklärungsarbeit über die Ursachen und Folgen der Schadstoffbelastung von Einrichtungen. Unter anderem war er als Umweltbeauftragter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen tätig.

Herr Jäger, Sie haben während ihrer Arbeit an der Wilhelm-Leuschner-Schule nachweisen können, dass in besagter Schule PCB-haltiges Öl, das aus den Lampenkondensatoren getropft war, in Kombination mit der Belastung der Wände jahrzehntelang SchülerInnen und LehrerInnen einer hohen gesundheitlichen Gefahr ausgesetzt hat. Worin bestand diese von den Polychlorierte Biphenyle ausgehende Gefahr genau und wie wurden Sie darauf aufmerksam? Inwiefern hängt ihr Engagement als späterer Umweltbeauftragter bei der GEW Hessen damit zusammen?

Die Aufmerksamkeit für die gesundheitsschädliche Innenraumbelastung wurde durch die neu gebaute Kindertagesstätte in Wiesbaden-Kostheim geweckt, die meine Tochter Caroline besuchte. Dort war ich Elternsprecher und später Vorsitzender der 23 städtischen Kindertagesstätten der Landeshauptstadt Wiesbaden. Wir Elternsprecher stellten den Antrag, das Trinkwasser der neugebauten KiTa in der Küche auf Nitrat zu testen und stießen auf einen Kupfergehalt von 5,64 mg. Die Stadt tauschte die Kupferleitung in der Folge durch eine Kunststoffleitung aus. Dieses Ereignis führte dazu, dass ich in alle städtischen KiTas eingeladen wurde, mit dem Ergebnis, dass alle KiTas wegen einer Vielzahl von Gift- und Schadstoffen saniert werden mussten. Die letzte dieser KiTas, Baujahr ca. 1972, hatte PCB-Dehnungsfugen, und die Beton-Wände waren durch PCB-haltige Schalöle, die als Trennmittel eingesetzt wurden, großflächig PCB-belastet. Darüber hinaus waren in den Neonlampen-Schirmen gelbliche Spuren erkennbar. Bei der Herkunftsuntersuchung stellte sich heraus, dass die Lampenkondensatoren implodiert waren. Als ich an diesem Tag in die polytechnischen Räume kam, musste ich feststellen, dass ein Lampenkondensator auslief. Die KiTa wurde vorübergehend geschlossen und saniert. Daraufhin wurden in allen öffentlichen Gebäuden Wiesbadens die Lampenkondensatoren ausgetauscht, wie ein Magistratsangestellter dem Personalrat der 78 städtischen Schulen berichtete. Bei den Sanierungen wurde jedoch nicht auf Null-PCB-Belastung orientiert, die Werte wurden vielmehr auf unter 300 ng PCB pro Kubikmeter gedrückt (gemessen bei kalten Temperaturen, bei denen die Werte niedriger liegen als bei hohen Temperaturen). Da die Wilhelm-Leuschner-Schule (WLS), an der ich tätig war, im selben Jahr wie die KiTa gebaut wurde, stellte ich als Personalratsmitglied einen Antrag auf Untersuchung der Schule. Das Ergebnis war erschreckend. Die Werte bewegten sich in unterschiedlichen Räumen in mehrstelligen 1000er-Bereichen pro Kubikmeter Raumluft. Die Schule wurde drei Tage lang geschlossen, und jeder Raum wurde auf PCB-Belastung hin untersucht.

Die BAYER AG war der einzige namentlich bekannte Hersteller von PCB in der Bundesrepublik Deutschland. In den USA war ihre jetzige Tochter-Gesellschaft MONSANTO bis zum Verbot der Chemikalie der größte Produzent. Dort ist sie seitdem mit einer Flut von Entschädigungsprozessen konfrontiert, die auch bereits zu Milliarden-Zahlungen führten. Welche Verantwortung sehen Sie bei der BAYER-AG, welche Konsequenzen sollte das Unternehmen Ihrer Ansicht nach für die Gesundheit der Betroffenen tragen? Wissen Sie von Klagen gegen die BAYER-AG, waren diese berechtigt und erfolgreich?

Die BAYER AG sollte für den PCB-Skandal zur Rechenschaft gezogen werden. Sie muss auch die Betroffenen in Deutschland und anderswo entschädigen, wie es in den USA beispielsweise teils geschehen ist, und sich an den Sanierungskosten beteiligen. Da das PCB-Problem seit 1930 bekannt ist, und man seitdem über seine Auswirkungen auf die Gesundheit informiert ist, scheint es mir unverständlich, dass meines Wissens nach in der Bundesrepublik noch keine Klagen gegen die BAYER-AG erhoben wurden. Ich würde eine solche Klage auf Grundlage des Artikel 2 des Grundgesetzes für gerechtfertigt halten, in dem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert wird. Eine bundesweite Initiative zur krankmachenden Chemie-Belastung durch PCB wäre notwendig und mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich.

Ab den 90er Jahren setzten an einigen Schulen und weiteren betroffenen Gebäuden Sanierungswellen ein, deren Ziel es war, die PCB-Grenzwerte wieder unter 300 Nanogramm zu drücken. Wie beurteilen Sie derartige Sanierungsvorhaben, wie viele Gebäude sind davon bis heute betroffen und wer trägt die Kosten dafür?

Die Sanierungsvorhaben, die stets das Ziel verfolgten, die PCB-Belastung auf unter 300 ng pro Kubikmeter zu drücken, wurden nirgends dauerhaft erreicht. Die Messungen erfolgten meist in den kalten Jahreszeiten, da dann das PCB weniger stark ausgast. In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt ca. 45.000 Schulen und 58.000 Kindertagesstätten. Von diesen sind ca. 1.500 Schulen PCB-belastet, da PCB beispielsweise als Flammschutzmittel eingesetzt wurde, etwa in Farben, PVC-Bodenbelägen und Deckenplatten.

Großflächig dürften daher mehr Gebäude betroffen sein. Die Sanierungsvorhaben sind völlig ungeeignet für die Erreichung des Ziels eines gesunden Arbeitsplatzes in KiTas und Schulen, auch im Hinblick darauf, dass PCBs hormonell wirksam sind und somit epigenetische Folgen haben können. Außerdem werden die Kosten für die Sanierung nicht von den VerursacherInnen, sondern von den SteuerzahlerInnen getragen.

Wie sieht insgesamt die Sanierungsbilanz aus? Sind alle Schäden aufgenommen und entsprechende Sanierungsarbeiten veranlasst? Ist jetzt genügend Problembewusstsein vorhanden? Gibt es noch Neuerkrankungen?

Es gibt bundesweit und auch auf kommunaler Ebene keine Schadstoff-Kataster von Bildungseinrichtungen, und es kommt sporadisch jährlich zu neuen Sanierungsbestrebungen und Vorhaben für Bildungseinrichtungen, die in die Öffentlichkeit getragen werden. Zu Problembewusstsein kommt es meist nur dann bei PolitikerInnen, wenn sie persönlich betroffen sind (so beispielsweise in Nürnberg, Mainz, Wiesbaden oder Eschborn, wo Angehörige von PolitikerInnen in PCB-belasteten Umfeldern unterrichtet wurden oder unterrichteten). Es gibt immer noch eine hohe Zahl von Neuerkrankungen in Folge von PCB-Belastungen. Das Problem ist, dass ÄrztInnen meist die Ursachen der Erkrankungen nicht direkt erkennen und Wissensvermittlung über die Folgen von PCB-Belastungen möglicherweise nicht Teil der medizinischen Ausbildung ist.

Sie selbst haben eine Erkrankung entwickelt, die eine Folgeerscheinung des Kontaktes mit PCB sein kann. Worum handelt es sich und sehen Sie einen Zusammenhang mit der hohen PCB-Belastung in deutschen Schulen und öffentlichen Einrichtungen?

Ja, mein Körper ist PCB-belastet, das wurde von Professor Dr. med. Wolfgang Huber aus Heidelberg eindeutig festgestellt. Bei meiner Erkrankung handelt sich um eine chronische, schleichende Polyneuropathie (PNP) an den Füßen, Beinen, Armen und Händen sowie um Konzentrationsschwierigkeiten, das Müdigkeitssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome) und Gehirnrauschen. Die PCB- und Schadstoffbelastungen bundesrepublikanischer Bildungseinrichtungen stehen meiner Meinung nach im engen Zusammenhang mit vielen Erkrankungen der Gliedmaßen, neurologischen Erkrankungen und ADHS. Als Gedächtnistrainer ist meine Wahrnehmung hier besonders gefordert. Nach der Stockholmer Vereinbarung, die von der Bundesregierung unterzeichnet und ratifiziert wurde, wären die Verantwortlichen in der Pflicht, aktiv zu werden und für eine konsequente Eliminierung der Gift- und Schadstoffe zu sorgen. Dass dies nicht passiert, ist eine Vernachlässigung der Aufgaben der verantwortlichen Akteur-Inenn. Gesundheit muss in der Gesellschaft immer Vorrang haben! ⎜

Infobox PCB

Polychlorierte Biphenyle (PCBs) sind giftige und krebsauslösende Verbindungen, die bis in die 1980er Jahre in Transformatoren, Kondensatoren, Kunststoffen, Hydraulikanlagen und in Weichmachern in Dichtungsmassen, Lacken usw. verwendet wurden. Sie bestehen aus 209 Einzelverbindungen, einige von ihnen gelten als synthetische Hormone, die auf das endokrine System (also auf Hormon- und weitere Drüsen) wirken und    in der Lage sind, dort schwere Schäden zu verursachen. Sie stehen darüber hinaus im Verdacht, Krebs, ADHS und weitere Erkrankungen auszulösen. PCBs werden zum Großteil über die Nahrung aufgenommen, allerdings sind sie fettlöslich, weshalb bereits der Hautkontakt durch längere Aufenthalte in PCB-belasteten Gebäuden erhöhte PCB-Werte im Blut zur Folge haben. Das Stockholmer Übereinkommen von 2001 über persistente organische Schadstoffe zählt PCBs zu den zwölf gefährlichsten Chemikalien der Welt, die seither als das „dreckige Dutzend“ bezeichnet werden. Bis zu ihrem Verbot – in den USA 1977 und in Deutschland 1983 zählten MONSANTO und BAYER zu den größten Herstellern.

[Kunst, Kapital & Kolonialismus] „Wenn es von BAYER ist …“

CBG Redaktion

Si es BAYER, es bueno“ – „Wenn es von BAYER ist, ist es gut“ – mit diesem Werbespruch pries der Leverkusener Multi in Lateinamerika lange seine Produkte an. 1972 setzte César Germaná in der linken peruanischen Zeitschrift Sociedad y Política allerdings ein dickes Fragezeichen hinter den Slogan: „Si es BAYER, es bueno?“ Der peruanische Künstler Sergio Zevallos entdeckte diesen Text und andere Artikel des Periodikums wieder und machte sie zum Ausgangspunkt seiner Arbeiten, die das Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ von Oktober 2023 bis zum Januar 2024 zeigte. Das Stichwort BAYER nimmt das zum Ausgangspunkt für einen Rückblick auf die unrühmliche Geschichte des Konzerns in Peru.

Von Peter Nowak (1) und Jan Pehrke

„Übungen zur Verwandlung“ hieß die Ausstellung von Sergio Zevallos, die bis Mitte Januar 2024 im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ zu sehen war. Für den peruanischen Künstler sind diese Exerzitien notwendig, um den Kolonialismus abzuschütteln, der dem Land seiner Ansicht nach noch tief in den Knochen steckt. Die Grundlage für diese Arbeit der Transformation bilden dabei Artikel des Magazins Sociedad y Política, das der 61-Jährige daheim bei seinen Eltern fand. Sein Vater war nämlich Mitherausgeber des Periodikums, das der dekoloniale Denker Anibal Quijano gegründet hatte. Unter anderem hat Zevallos Schulkinder aus Lima alte Sociedad-Artikel vorlesen lassen und aus den Aufnahmen eine Klang-Installation geschaffen. Und in „Transmutationsskripte“ nahm er sich selbst einige Texte vor. Er befragte sie neu und versah sie mit Randbemerkungen und kleinen Zeichnungen.

Im Ausstellungskatalog, der wie eine Ausgabe von Sociedad y Política gestaltet ist, charakterisiert die Kuratorin Paz Guevara die Publikation folgendermaßen: „Die von 1972 bis 1983 erschienene Zeitschrift leistete einen Beitrag zur theoretischen Debatte über die neokolonialen Prozesse, die sich in den postkolonialen Nationen Lateinamerikas vollziehen.“ Ihrer Einschätzung nach leisteten die Hefte durch die Rückführung des staatlichen Rechtssystems auf seine kolonialen Wurzeln und die Beschreibung der Muster des ungerechten Handels einen wichtigen Beitrag zur Identifizierung kolonialer Strukturen im System des globalen Kapitalismus. „Beispielhaft stehen dafür Anibal Quijanos Text ‚Imperialismus und Staatskapitalismus‘, der die strukturelle Abhängigkeit der postkolonialen Nationalstaaten von imperialistischen Mächten USA und Westeuropa analysiert, der Artikel ‚Si es BAYER ... es bueno?‘ (Wenn es BAYER ist …, ist es dann gut‘), in dem sich César Germaná kritisch mit dem von der westdeutschen Firma realisierten Bau einer Fabrik in Peru befasst oder auch Rodrigo Montoyas Erkundung der Proletarisierung, Deindigenisierung und Marginalisierung des bäuerlichen Lebens und Arbeitens in den peruanischen Anden“, so Guevara.

Konkret handelte es sich bei dem BAYER-Betrieb um eine Anlage zur Herstellung von Dralon-Kunstfasern, deren Errichtung 1969 begann. Germaná kritisiert das Projekt als einen Schulterschluss der nationalen Bourgeoisie und des peruanischen Staates mit der Bourgeoisie des Imperialismus. Die Bestimmungen des Anden-Pakts, den Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru geschlossen hatten, sahen für Auslands-investitionen nämlich eine Beteiligung einheimischen Kapitals oder des jeweiligen Landes selbst vor, weshalb die damalige Regierung 30 Prozent der Anteile an BAYER INDUSTRIAL S.A. erwarb.

Perus neue Politik der Importsubstitution hatte den Leverkusener Multi zu dem Bau veranlasst. Der Staat wollte unabhängiger von Einfuhren werden und eigene Industrien aufbauen. Darum belegte er Importe mit hohen Zöllen, was es für die Konzerne unattraktiv machte, ihre Produkte nach Peru zu liefern. Also zogen sie vor Ort eigene Fertigungsstätten hoch. BAYER beschrieb das 1986 als eine Erfolgsgeschichte. „Seit Produktionsbeginn ging es bei BAYER INDUSTRIAL ständig aufwärts. In den Jahren 1974/75 wurde die Produktionsanlage erstmals erweitert. Eine zweite Erweiterung erfolgte im Jahr 1982. Heute produziert das Werk 27.000 Jahrestonnen und zählt 742 Mitarbeiter“, hieß es im BAYER-Bericht 54/1986.

Diese Bewertung konnten allerdings die Belegschaftsangehörigen der Dralon-Fa-brik ebenso wenig teilen wie ihre KollegInnen, die in BAYERs peruanischen Pharma- und Pestizid-Werken arbeiteten, denn den ungerechten Welthandel, den Sociedad y Política anprangerte, praktizierte der Global Player in Form von doppelten Standards. Sowohl beim Arbeitsrecht und Arbeitsschutz als auch bei den Löhnen legte der Global Player andere Maßstäbe an als in Deutschland oder anderen Industriestaaten. Und auch die Umwelt hatte in Peru (noch) mehr zu leiden. Das in der Agrochemie-Produktion beschäftigte Personal etwa klagte immer wieder über Gesundheitsstörungen, wie das SWB 2/91 dokumentierte. „Die Mehrzahl von uns ist chronisch vergiftet. Von den 200, die wir früher waren, sind 20 von sich aus gegangen. Es ging ihnen schon nicht mehr gut. Private Ärzte sagten ihnen: ‚Wenn Du diese Arbeit weitermachst, wird deine Gesundheit ruiniert“, vertraute ein Arbeiter einer Umweltschutz-Organisation an. Und bei der Leitung stießen die Betroffenen auf taube Ohren: „Sie sagen dir: ‚Geh zur Krankenversicherung, da werden sie dich behandeln.‘“ Sogar zu Todesfällen kam es. Die beiden Experten Jürgen Bujak und Wolfgang Hien, die detaillierte Berichte über die Situation in den betreffenden BAYER-Fabriken erhielten, wunderte das nicht. Weder verfügten die Werke über eine geeignete Entlüftungsanlage noch händigte die Direktion den ArbeiterInnen die richtigen, mit Kombinationsfiltern ausgestatteten Gesichtsmasken aus, hielten sie in ihrem Report „Produktion von Pestiziden bei BAYER-Peru“ fest.

Zudem verstieß der Konzern gegen tarif-vertragliche Regelungen, die bestimmte Sozialleistungen und Inflationsausgleichszahlungen in Höhe von 65 Prozent festlegten. Darum streikte die Belegschaft immer wieder. BAYER reagierte mit Aussperrungen und Entlassungen von GewerkschaftlerInnen. Und als neun von ihnen dann vor Gericht zogen und erfolgreich auf Wiedereinstellung klagten, weigerte sich das Unternehmen auch noch, die Urteile umzusetzen. Erst nachdem ein Haftbefehl gegen drei Geschäftsführer ergangen war, gab es klein bei.

Im Jahr 1988 lud die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) den Gewerkschaftler Jesús Cabana Vargas ein, das Thema „Peru“ auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen. In seiner Rede bestimmte er zunächst die Rolle, die der Andenstaat in der Weltwirtschaft einnimmt. „Meine Heimat Peru ist eine Gesellschaft, die abhängig ist. Sie ist dabei, sich zu entwickeln und kämpft um ihre politische und ökonomische Souveränität. Die Wirtschaft meines Landes ist vom Dollar abhängig“, führte er aus. Dann schilderte Vargas die Situation vor Ort in Lima: „Nun zu dem im Geschäftsbericht erwähnten Streik.“ Im Folgenden erläuterte er, wie es zu den Ausständen kam. Dabei kritisierte der Gewerkschafter den Global Player scharf: „Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass BAYER in Peru stets ein aggressives Verhalten an den Tag legte. Die berechtigten Forderungen der Arbeiter nach besseren Löhnen und das sichtbar legitime Verlangen der Arbeiter nach allgemeinem Wohlergehen werden negiert. Bis zum heutigen Tage. Deshalb ist es nur logisch, dass die Arbeitskonflikte in Peru andauern.“

Das alles sah der damalige Vorstandsvorsitzende Hermann Josef Strenger naturgemäß anders. Von unlauteren Mitteln wollte er nichts wissen. Die Aussperrung beispielsweise sei „keine Aussperrung in ihrem Sinne gewesen“, behauptete er und konstatierte: „Wir halten uns an Recht und Gesetz in Peru.“ Der BAYER-Chef sprach von großen ökonomischen und finanziellen Problemen im Land, von denen das Unternehmen sich aber nicht abschrecken ließe: „Trotzdem werden wir in Peru weitermachen.“ Diese Aussage hatte jedoch keinen Bestand. Im Jahr 1992 kündigte der Konzern seinen Rückzug an. Die ökonomischen Rahmenbedingungen hatten sich nämlich geändert. Der 1990 neu ins Amt gewählte Präsident Alberto Fujimori gab im Zuge der Globalisierung die Abschottungspolitik der Importsubstitution auf. Er senkte die Einfuhrzölle und setzte die heimische Wirtschaft wieder ungeschützt den Weltmärkten aus. BAYER sah dadurch keine Geschäftsgrundlage für eigene Werke in dem Staat mehr. Der Multi kehrte zum Status quo ante zurück und lieferte von außerhalb. Das Stichwort BAYER widmete den ganzen damaligen Vorgängen das Sonderheft „Repression, Gift & knurrende Mägen“, das „die skrupellose Geschäftspolitik des BAYER-Konzerns in Peru“ dokumentierte.

Und die Überschrift ‚Si es BAYER ... es bueno?‘, die César Germaná für seinen Artikel in Sociedad y Política wählte, fand bei KonzernkritikerInnen in Lateinamerika und anderswo noch oft Anwendung, wenn es darum ging, die skrupellose Profit-Jagd des Multis zu geißeln. Marta Morales veröffentlichte zum Beispiel 2016 auf der Webseite der Internationalen Arbeiterliga, Vierte Internationale (LIT-CI) unter diesem Titel einen Artikel (2). Sie widmete sich da der gigantischen wirtschaftlichen Operation, die der Kauf von MONSANTO durch BAYER bedeutet. Kein Duell der Titanen, sondern eine Fusion von Pestiziden und Saatgutproduktion, alles unter der Kontrolle des vergrößerten Konzerns. Mit einem Weltmarkt, der für gentechnische Versuche in planetarischem Ausmaß ausgebildet ist, so lautete die Kritik. Und Germaná und sie fanden noch unzählige NachahmerInnen, die BAYERs Werbe-Slogan ein dickes Fragezeichen hintanstellten. ⎜

ANMERKUNGEN

(1) https://peter-nowak-journalist.de

(2) https://litci.org/es/si-es-BAYER-es-bueno/

[Neue Rheinbrücke ruht auf BAYERs Giftmüll] Auf unsicherem Grund

CBG Redaktion

Ein großes Medien-Echo begleitete Anfang Februar 2024 die Eröffnung des ersten Teilstücks der neuen Leverkusener Rheinbrücke. Endlich wieder freie Fahrt für freie BürgerInnen, so der Tenor der Jubel-Arien – Klima- und Lärmschutz war gestern. Dass für den Bau BAYERs Giftmüll-Deponie Dhünnaue wieder geöffnet werden musste, interessierte auch nicht weiter.

Von Jan Pehrke

„Das ist heute ein toller Tag nicht nur für den Bund, sondern ein großartiger Tag für das Rheinland“, erklärte Oliver Luksic vom Bundesverkehrsministerium am 4. Februar 2024 bei der Freigabe des ersten Teilstücks der neuen Leverkusener Autobahn-Brücke. Zunächst wollte Bundesverkehrsminister Volker Wissing FDP die Einweihung sogar zur Chef-Sache machen, er sagte aber kurzfristig ab. So war es an NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), das zur Feier des Tages in Deutschland-Farben gehaltene Flatterband durchzuschneiden und das Bauwerk damit offiziell dem Verkehr zu übergeben. „Die Fertigstellung des ersten Teils der Rheinbrücke ist ein wichtiger Meilenstein für eine funktionierende und belastbare Verkehrsinfrastruktur im Rheinland“, hielt er fest. Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Oliver Krischer von Bündnis 90/Die Grünen, der jüngst eine „Sanierungsoffensive“ gestartet hat, lobte derweil den reibungslosen Entstehungsprozess: „Die Planungen waren zügig abgeschlossen. Auch die juristischen Fragen waren schnell erledigt.“ Und seine ParteifreundInnen aus Leverkusen störte einzig der aus „Sicherheitsgründen“ erfolgte Ausschluss der Öffentlichkeit beim Festakt. „Die Leverkusener Bevölkerung hätte es verdient, einen Tag vorher die Brücke zu Fuß zu besichtigen“, meinten sie. Der ADAC zeigte sich selbstredend ebenfalls zufrieden und sprach von einem „Lichtblick im NRW-Brückendesaster“.

Die Medien stimmten in den Jubel-Chor ein. „Historischer Moment in Leverkusen“, befand rheinische anzeigenblätter.de. „Das lange Warten hat ein Ende“, schrieb die Rheinische Post, während der Express titelte „A1: Rheinbrücke bei Leverkusen endlich wieder freigegeben“ und der WDR „[g]ute Nachrichten für stau-geplagte Autofahrer“ vermeldete.

Für kleine Misstöne sorgte einzig ein Kommentar im Kölner Stadtanzeiger. Der Autor kritisierte den Umgang der Verantwortlichen mit der Protestkundgebung. „Dadurch, dass sie nur an der Rheinallee stattfinden durfte, wurde sie aus dem Bild gedrängt“, monierte er. „Die 150 friedlichen Leute hätten zwar auf der breiten Autobahn fast schon verloren gewirkt, aber sie repräsentieren dennoch eine große Gruppe an Menschen, die mehr Klimaschutz fordern, den der Verkehrsminister Volker Wissing besonders nachlässig angeht. Die sich um die gesundheitlichen Folgen von Lärm und Luftverschmutzung durch Auto- und LKW-Verkehr sorgen und denen zusätzliche große Asphaltflächen und zig Meter hohe Lärmschutzwände und kommende Enteignungen von Grundstücken mitten in einer Stadt nicht egal sind“, so der Journalist.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte dieser Liste an dem Sonntag noch einen weiteren Punkt hinzugefügt. „Wir von der Coordination haben uns gegen den Bau von neuer Brücke und Autobahn gewendet, weil für die Arbeiten Hand an BAYERs Dhünnaue-Giftmülldeponie gelegt wurde, in der – mehr oder weniger friedlich – rund eine Million Tonnen gefährlicher Stoffe ruhten“, sagte der Autor des vorliegenden Artikels in seiner Rede. Seiner Ansicht nach wurde damit die Büchse der Pandora geöffnet, die erst seit 2005 wieder halbwegs zu war. Zehn Jahre hatten die betreffenden Sanierungsarbeiten in Anspruch genommen, und Beteiligte von damals warnten im Zuge der Planungen zu Brücke und Autobahn aufgrund ihrer Erfahrungen mit den Altlasten dann auch eindringlich: „Finger weg von der Deponie!“

Trotzdem machte sich Straßen.NRW daran, die Oberflächenabdichtung wieder einzureißen und an die Spundwände zu gehen. Für das Fundament von Brücke und Zubringer trug der Landesdienst 200.000 Kubikmeter Erde bis zu einer Tiefe von zwei Metern ab, davon rund 90.000 schwer belastet. Der Straßenbau-Trupp des Landes selbst sprach in diesem Zusammenhang von einem nur „beschränkt optimierten Eingriff“ und einem Risiko, das noch „vertretbar“ sei. Eine „optimale Gründung“ der A1 wäre es einem Mitarbeiter zufolge gewesen, nicht bei den zwei Metern haltzumachen, sondern an die Wurzel des Übels zu gehen und den ganzen Giftmüll herauszuholen.

Aber das wäre zu teuer gewesen. Deshalb blieb es bei der zwei Meter dicken Polsterschicht. Nach Ansicht des ehemaligen Abteilungsleiters des NRW-Umweltministeriums, Harald Friedrich, reicht das als Schutz allerdings nicht aus: „Keine Asphalt-Dichtung ist so dicht, dass sie den Kriterien, die ich für eine ordnungsgemäße Sicherung für eine Sondermüll-Deponie haben muss, entsprechen kann.“ Und der Ingenieur Helmut Hesse befürchtet sogenannte „Setzungsschäden“. Der Giftmüll lebt nämlich. Der organische Anteil des Mülls zersetzt sich, weshalb das Volumen abnimmt und mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist, so dass die schöne neue Autobahn-Welt schon bald Risse bekommen könnte. Damit rechnet auch Straßen.NRW. „Eine gegebenenfalls erforderliche vorzeitige Instandsetzung des Oberbaus ist berücksichtigt“, hieß es in der schriftlichen Stellungnahme des Landesbetriebs zu einer Eingabe der CBG gegen das Projekt.

Wie gefährlich die ganzen Arbeiten waren, zeigte sich nicht zuletzt an den Sicherheitsvorkehrungen, die Straßen.NRW traf. Da sogar aus der eigentlich abgedichteten Deponie noch Gas austritt, installierte der Landesbetrieb mit viel Aufwand eine Absaugvorrichtung und stattete alle ArbeiterInnen mit Schutzanzügen aus. Der abgetragene Giftmüll kam in besonders gesicherte Container, und die LKW, die ihn abtransportieren, mussten vor Verlassen des Geländes erst einmal eine Art Waschstraße passieren.

Wegen der im Zuge der Arbeiten avisierten Öffnung der Deponie hat die Coordination zusammen mit vielen anderen deshalb immer wieder „Tunnel statt Stelze“ gefordert – eine unterirdische Verkehrsführung statt einer, die quer durch die Dhünnaue geht. Die Zahl der Eingaben von Initiativen und Einzelpersonen summierte sich am Ende auf rund 300. Mehrere Tage dauerte ihre Erörterung in Köln Anfang Juli 2016.

Eine Leverkusener Initiative rief in der Sache sogar die Gerichte an. Aber ihr machte der damalige NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) das Leben schwer. „Es darf zu keinen vermeidbaren Verzögerungen kommen“, meinte er im Hinblick auf den maroden Zustand der alten Brücke und warnte: „Wir können es uns nicht leisten, durch Klagewellen das Risiko einer Vollsperrung einzugehen.“ Also schuf der Sozialdemokrat in Tateinheit mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ein „Lex Leverkusen“ und schränkte durch Änderung des Paragrafen 17 E des Fernstraßen-Gesetzes die Beschwerde-Möglichkeiten ein. Im Zuge dessen verkürzte sich der Instanzen-Weg.    Die Klage landete bald schon beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und scheiterte dort. Darauf bezog sich Oliver Krischers: „Auch die juristischen Fragen waren schnell erledigt.“

Eingedenk all dieser gescheiterten Bemühungen bezeichnete der CBG-Aktivist den Tag der ersten Freigabe eines Brückenabschnitts der A1 in seinem Kundgebungsbeitrag als einen traurigen Tag. „Ein trauriger Tag für das Klima, ein trauriger Tag für die Verkehrswende und ein trauriger Tag für die Umwelt“, konstatierte er. ⎜

[Landwirtschaft zerrieben zwischen Ökonomie und Ökologie] BAYER und die Bauernfrage

CBG Redaktion

Die geplante Streichung der Subventionen für Agrar-Diesel hat ganze Trecker-Trecks gen Berlin in Bewegung gebracht.    Auch in anderen Ländern gingen die LandwirtInnen auf die Straße. Gegen was aber richten sich die Proteste genau und gegen was nicht und wo steht BAYER in dem Ganzen? Das Stichwort BAYER sucht nach Antworten.

Von Jan Pehrke

Seit Jahr und Tag fährt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) im Januar zu den „Wir haben Agro-Industrie satt“-Protesten nach Berlin. Dort findet zu diesem Zeitpunkt nämlich immer die Grüne Woche statt, die Leistungsschau der ohne Rücksicht auf Verluste betriebenen „Höher, Schneller, Weiter“-Landwirtschaft. Und gegen die gilt es einen Kontrapunkt zu setzen. So ziehen dann – angeführt von einer Trecker-Phalanx – VerbraucherInnen-Verbände, Umweltinitiativen und VertreterInnen der bäuerlichen Landwirtschaft stets gemeinsam für eine Art des Ackerns auf die Straße, die die Umwelt schont, das Tierwohl achtet, gesunde Nahrungsmittel herstellt und den ProduzentInnen ein Auskommen sichert.

Dieses Mal aber waren die Trecker schon vorher da. Die von der Bundesregierung im Zuge ihres 30 Milliarden schweren Sparpakets angekündigte Streichung der Subventionen für Agrar-Diesel und Abschaffung der Befreiung landwirtschaftlicher Fahrzeuge von der Kfz-Steuer hatten sie ins Rollen gebracht.

Nicht nur Agrar-Diesel

Die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL), ein maßgeblicher Akteur von „Wir haben Agro-Industrie satt“, trug die Agrardiesel-Forderung mit, allerdings in veränderter Form. Sie plädierte dafür, die Rückzahlungen auf einen Verbrauch von 10.000 Litern zu begrenzen, um gezielt kleinere Betriebe zu unterstützen statt Big Agro zu subventionieren. Zudem gehören ihrer Meinung nach mehr Themen auf die Agenda.

Die Arbeitsgemeinschaft mahnt etwa eine Stärkung der Stellung der Landwirt-Innen in den Wertschöpfungsketten an, denn die Bauern und Bäuerinnen stehen sowohl beim Einkauf als auch beim Verkauf großen Playern gegenüber und sehen dementsprechend alt aus. Bei den Betriebsmitteln wie Pestiziden, Saatgut und Dünger sind das hauptsächlich BAYER & Co. sowie große Landmaschinen-Hersteller wie JOHN DEERE und auf der Abnahme-Seite die Schlachtereien, Molkereien sowie ALDI, REWE und Konsorten. Überdies drängt die AbL auf steuerliche Maßnahmen gegen den kontinuierlichen Anstieg der Bodenpreise, welche die ALDI-Stiftung und andere Player auf der Suche nach lukrativen Anlage-Möglichkeiten für ihr Kapital nach oben getrieben haben. Darüber hinaus macht sie sich in ihrem 6-Punkte-Plan für eine Tierwohl-Abgabe, eine strenge Regulierung der neuen Gentechniken und eine stärkere Ausrichtung der Subventionen auf Umwelt-Belange sowie auf Betriebe mit tatsächlichem Bedarf stark.

Aber der Bauernverband denkt gar nicht daran, das Problem so grundsätzlich anzugehen. Weder will er sich mit den Molkereien, Schlachtereien, Agro-Riesen und dem Lebensmittelhandel anlegen noch die Landwirtschaft ihrem Wesen nach ändern. Dafür ist der DBV zu sehr Teil dieser Strukturen. So gehört DBV-Präsident Joachim Rukwied nicht nur selbst zu den GroßagrarierInnen, er bekleidet überdies Aufsichtsratsposten bei Branchengrößen wie BAYWA, dem größten deutschen Agrarhändler, SÜDZUCKER und der R+V ALLGEMEINE VERSICHERUNG AG. Sein Vorvorgänger Constantin von Heereman saß einst sogar im BAYER-Aufsichtsrat. Aber auch mit Rukwied versteht sich der Leverkusener Multi bestens, nicht nur weil er in diesem einen treuen Glyphosat-Fürsprecher findet. Die DBV-Aktion „Pflanzen ernähren und schützen“, die sich gegen eine strengere EU-Regulation von Pestiziden wendete, war so ganz nach dem Geschmack des Konzerns. Deshalb unterstützte er sie nach Kräften und sammelte fleißig Unterschriften dafür. 13.000 übergab der damalige Geschäftsführer der deutschen Agrarsparte, Jürgen Schramm, dem Bauernverbandspräsidenten vor zehn Jahren. Damit nicht genug, sitzt die jetzige Chefin von Cropscience-Deutschland, Karin Guendel Gonzalez, zusammen mit Rukwied im Präsidium des „Forums moderne Landwirtschaft“. Und zum europäischen DBV-Pendant COPA-COGECA unterhält die Aktiengesellschaft ebenfalls ausgezeichnete Beziehungen.

Die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT kritisiert den DBV wegen dieser Verflechtungen und den daraus folgenden Positionierungen vehement. Für die AbL ist der Agrar-Diesel nicht das ein und alles, sondern nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Der deutsche Bauernverband will über dieses Fass nicht reden. Aber genau da liegt die Ursache: Eine jahrzehntelang export-orientierte Agrar-Politik hat dazu geführt, dass die Betriebe unter einem immensen Kostensenkungsdruck wirtschaften mussten. Es brauchte und braucht billige Produkte, damit die Lebensmittelindustrie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist“, konstatiert AbL-Sprecher Berit Thomsen.

Der Agroindustrie-Komplex

Die Weichenstellung für diese Ausrichtung erfolgte innerhalb der Europäischen Union im Jahr 1958 mit den Römischen Verträgen. Noch Geprägt von den Hungerjahren des Krieges wollten die damaligen EWG-Staaten den Grundstein für eine Landwirtschaft legen, die immer in der Lage ist, die Bevölkerung zu ernähren. Dazu setzten sie eine Reihe von Anreizen wie Abnahme-Garantien, Export-Förderungen und Schutzzölle. Als Folge davon entstanden die sprichwörtlichen Butterberge. „Wenn wir jetzt nichts tun, fließt uns spätestens 1970 die Butter auf die Straße“, schlug der damalige Agrar-Kommissar Sicco Leendert Mansholt Alarm – und tat etwas. Der nach ihm benannte Plan sah vor, die Subventionen zu kürzen und durch größere Betriebseinheiten, Spezialisierung und Intensivierung die Wettbewerbsfähigkeit des Bereichs zu forcieren.

Die Landwirtschaft änderte sich durch diese Entwicklungen von Grund auf. Bartholomäus Grill beschreibt das in seinem Buch „Bauernsterben“ auch am Beispiel des elterlichen Hofs. Pestizide erhielten dort erst spät Einzug. Der Chef eines Lagerhauses diente sie den Grills im Jahr 1960 an: „Das sind Pflanzenschutzmittel, die kaufen jetzt alle.“ Kunstdünger kauften ebenfalls bald alle, und auf den Feldern verdrängte der Mais Weizen & Co. Pflegeleicht, ertragreich, günstig im Wasserverbrauch – das sprach für die Frucht, die nur einen Nachteil hatte: Das Saatgut für das hochgezüchtete Gewächs musste Jahr für Jahr neu erworben werden. Mit Ackerbau & Viehzucht war auch bald nichts mehr. Im Zuge der Spezialisierung galt es sich zu entscheiden. Und so wuchs das Futter für die Tiere dann irgendwann nicht mehr neben dem Stall auf dem Feld. „Unsere Kühe weiden am Rio de la Plata und am Mississippi“, sagte einst Ignaz Kiechle, von 1983 bis 1993 Bundeslandwirtschaftsminister, in Anspielung auf die Futtermittel-Lieferungen aus Lateinamerika.

Die Grills konnten all dem bis 2011 standhalten. Dann mussten auch sie sich der Frage stellen „Wachse oder weiche?“ – und entschieden sich für einen Verkauf. Und das taten in der vergleichbaren Situation viele. Gab es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg noch fast zwei Millionen Bauernhöfe, so blieben 2023 nur noch 255.000 übrig. Vor allem die kleinen mit einer Fläche von 20 bis 50 Hektar verschwanden. Ihre Zahl sank allein zwischen 2010 und 2020 um 20 Prozent, während die der Betriebe mit einer Fläche von 200 bis 500 Hektar um 30 Prozent stieg.

Die Tendenz geht also hin zu riesigen Agrar-Fabriken, die ohne Rücksicht auf Verluste produzieren. Für Bartholomäus Grill kommt das gegenwärtige Produktionsmodell einem Krieg gleich, bei dem die Feldherren aus dem Agrar- und Lebensmittelsektor stammen und die Chemie-, Pharma- und Saatgut-Konzerne die Rüstungsgüter liefern. BAYERs „Rüstungslieferungen“ gehen dabei schon bis ins Jahr 1892 zurück. Da brachte der Konzern mit ANTINONNIN das erste synthetische Anti-Insektenmittel heraus, ein Mittel gegen die Nonnen-Raupe. Und so ging es immer weiter bis zu den Gen-Pflanzen und den „Errungenschaften“ der digitalen Landwirtschaft heutigen Tags.

Dieser ganze agro-industrielle Komplex kommt bei den Protesten der Bauern und Bäuerinnen, die sich mittlerweile auf fast alle Länder der Europäischen Union erstrecken und immer wieder auch Brüssel – als Schaltstelle der Agrar-Politik – zum Schauplatz machen, nicht in den Blick. Er bleibt diffus, beschränkt sich auf Einzel-Aspekte wie „Agrardiesel“, beklagt vage die Bürokratie oder versteht darunter weniger vage vor allem die Umweltauflagen und erwartet von der Politik schnelle Lösungen.Das macht ihn anschlussfähig für rechte Kreise.

Und tatsächlich bemühen sich diese in fast allen Staaten, die Proteste zu kapern. Zum Glück aber gelingt die Infiltration nicht recht. Diese stößt nämlich auf so einige Hindernisse. Die AfD beispielsweise kann sich nicht so einfach als natürliche Heimstatt des deutschen Bauernstands präsentieren. Dem steht ihr Programm entgegen. „Die AfD lehnt Subventionen generell ab. Wir wollen gleiche Regeln für alle – ob groß, ob klein, in jeder Branche“, heißt es dort nämlich.    Der der Landwirtschaft gewidmete Abschnitt ist dementsprechend mit „Weniger Subventionen, mehr Wettbewerb“ überschrieben. Auch die kritische bis ablehnende Haltung, die ein Großteil der rechten Parteien der Europäischen Union gegenüber an den Tag legt, macht sie unattraktiv für Landwirt-Innen, denn für diese ist die EU eine maßgebliche Einkommensquelle.

Die Politik reagiert

Inhaltlich bewegte sich Brüssel schon vor der großen Protestwelle auf die LandwirtInnen zu. Die Europäische Volkspartei hatte die Gründung einer Bauernpartei in den Niederlanden nach einer Auseinandersetzung über Stickstoff-Emissionen nervös gemacht. Im Vorfeld der Europa-Wahlen fürchtete sie, Stimmen an Rechtsparteien zu verlieren, und begann, die mit dem Green Deal verknüpfte Umweltpolitik in Frage zu stellen. Die Trecker-Trecks auf den Straßen fast aller Mitgliedsländer beschleunigten die Abbruch-Arbeiten dann noch einmal immens. Im Februar 2024 musste die Pestizid-Verordnung dran glauben, mit der die EU-Kommission den Einsatz der Ackergifte bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent reduzieren wollte. Im nächsten Monat ging es dann an die „Standards für einen guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ), an deren Einhaltung die EU die Vergabe von Subventionen knüpft. Und das Renaturierungsgesetz, das Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius als einen „konkreten Beitrag der EU zur Erhaltung der biologischen Vielfalt, wertvoller Ökosysteme, gesunder Böden und Gewässer“ bezeichnete, liegt ebenfalls erst einmal auf Eis.

Darüber hinaus kündigte die EU weitere Schritte an. So will sie die ökonomische Position der LandwirtInnen stärken. „Besonderes Augenmerk wird auf Maßnahmen in Bezug auf Gewinnspannen, Handelspraktiken in der Wertschöpfungskette und Produktionskosten gelegt, da die Landwirte oft das schwächste Glied in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette sind“, erklärte die Kommission.

Ähnliches schwebt auch der Bundesregierung mit ihrem 10-Punkte-Plan zur Unterstützung der Landwirtschaft vor, aber ob ALDI, BAYER & Co. in Zukunft ihr Geschäftsmodell zugunsten der Bauern und Bäuerinnen ändern müssen, erscheint doch mehr als fraglich. Überdies plant die Ampel Steuerentlastungen und andere Erleichterungen. Auch auf die Erhebung einer Kfz-Steuer für Trecker und andere landwirtschaftliche Fahrzeuge verzichtete Rotgrüngelb, aber an der Streichung der Subventionen für Agrardiesel hielt sie fest.

Der Bündnis90/Die Grünen-Bellizist Anton Hofreiter kannte da kein Pardon und erinnerte in einem Zeit-Interview dankeswerterweise auch noch einmal daran, wie es überhaupt zu dieser Maßnahme kam. So etwas gerät nämlich leicht aus dem Blick. Auf die Frage: „Auch die geplante Kürzung beim Agrardiesel muss ihrer Meinung nach vom Tisch?“ antwortete Hofreiter: „Diese Haltung konnte man sich leisten, als es noch keinen Krieg gab, als die Zeiten noch nicht so brutal waren.“ Der Krieg – oder besser die Kriege und mehr noch der erkennbare Unwille der Politik, Anstrengungen zu deren Beendigung zu unternehmen, haben also die Bauernfrage wieder auf die politische Tagesordnung gebracht. ⎜