Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Veröffentliche Beiträge von “CBG Redaktion”

[Ticker 03/21] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion
BLOCK BAYER in Aktion Der BAYER-Konzern vertreibt in den Ländern der sogenannten Dritten Welt zahlreiche Pestizide, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben. Aus Protest dagegen haben AktivistInnen von BLOCK BAYER am 16. April 2021 zwei Verladestationen des Dormagener Chemie-„Parks“ besetzt, wo der Agro-Riese einige dieser Mittel wie z. B. Probineb produziert. „Es ist ein Skandal, dass ein deutscher Konzern im globalen Süden hochgefährliche Pestizide verkauft, die hier verboten sind. Das wollen wir hier deutlich machen und fordern, dass BAYER die Produktion hochtoxischer Pestizide stoppt“, erklärte eine Sprecherin von BLOCK BAYER. Toxic BAYER 256 Seiten stark ist das Schwarzbuch zu BAYER, das der französische Journalist Martin Boudot verfasst hat. Die ganze Geschichte des Leverkusener Multis floss in „Toxic BAYER“ ein; von den Anfängen über die Mittäterschaft im NS-Staat bis hin zum MONSANTO-Deal reicht der Bogen, den Boudot spannt. Dabei stützte er sich nicht zuletzt auf Informationen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), deren konzern-kritische Arbeit in dem Werk dann auch nicht zu kurz kommt. Patent-Krake BAYER BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe gentechnischer Methoden, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten. Dadurch droht die Kontrolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hände der Agro-Riesen zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert das Europäische Patentamt deshalb in einer Petition dazu auf, keine solchen Schutzrechte mehr zu erteilen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) unterstützt dieses Anliegen und unterzeichnete den Appell. Insgesamt kamen 196.000 Unterschriften zusammen. Mercosur-Abkommen stoppen! Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lehnt den Handelsvertrag ab, den die EU mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abschließen will. Dieser droht nämlich das agro-industrielle Modell in diesen Ländern noch einmal voranzutreiben. Und damit steigen auch die Risiken und Nebenwirkungen dieser Wirtschaftsweise wie mehr Monokulturen, mehr Pestizide und Gentechnik, mehr Vertreibungen von Indigenen und weniger Regenwald, denn die Übereinkunft verspricht den lateinamerikanischen Nationen einen erleichterten Zugang zum EU-Markt für ihre Agrar-Güter. Das wiederum erhöht die Absatz-Chancen und damit auch die Produktion – und die Nachfrage nach Glyphosat & Co. Aber BAYER würde nicht nur davon profitieren, sondern auch von den Gegenleistungen, welche die Mercosur-Mitglieder erbringen müssen, haben diese sich doch zur Senkung der Einfuhr-Zölle für Güter aus Europa verpflichtet. Brüssel erwartet durch die Reduktion der Sätze, die bisher für Autos 35 Prozent des Warenwerts, für Chemikalien bis zu 18 Prozent und für Pharmazeutika bis zu 14 Prozent betrugen, Einsparungen von rund vier Milliarden Euro für die EU-Unternehmen. Grund genug also für den Leverkusener Multi, trotz der desaströsen Folgen des Abkommens für Mensch, Tier und Umwelt für eine Unterzeichnung zu streiten. Und Grund genug für die CBG, Mercosur abzulehnen und den entsprechenden Aufruf des SEATTLE TO BRUSSELS NETWORK zu unterzeichnen. Hormongifte stoppen! Viele Pestizide von BAYER wie z. B. ARENA C, BALET oder CONSENTO wirken hormon-ähnlich und zählen deshalb zu den sogenannten endokrinen Disruptoren (EDCs). Diese können den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln und Krankheiten wie Krebs oder Diabetes auslösen. Darum appellierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gemeinsam mit den Gruppen HEJSUPPORT, WOMEN ENGAGE FOR A COMMON FUTURE (WECF) und dem PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN), welche die Initiative gestartet hatten, an die Bundesregierung, endlich zu handeln. „Das Fehlen dringend nötiger politischer Maßnahmen und der offensichtliche Schutz der Interessen einer starken Chemie-Industrie gefährden die Gesundheit jetziger und künftiger Generationen. Hier kann die Politik nicht tatenlos zusehen. Sie hat eine Verantwortung für die BürgerInnen, die sie erfüllen muss“, so Johanna Hausmann von WECF. Glyphosat stoppen! Die kanadische Grünen-Politikerin Jenica Atwin hat eine Initiative zum Stopp von Glyphosat ins Leben gerufen und einen Gesetzesvorschlag ins Parlament eingebracht. „Dieser Erlass ändert den Pest Control Products Act, um die Herstellung, den Besitz, die Handhabung, die Lagerung, den Transport, den Import, den Vertrieb und die Verwendung von Glyphosat zu verbieten“, heißt es in der „Bill C-285“. Dabei ist Atwin bewusst, dass sie einen langen Weg vor sich hat. „Es geht gegen die großen Industrien“, sagt sie: „Es wird eine Menge Hürden geben, aber es ist der Beginn einer Diskussion.“

KAPITAL & ARBEIT

Aufsichtsrat bekommt 19 Prozent mehr Der BAYER-Aufsichtsrat hat sich eine gewaltige Lohn-Erhöhung gegönnt. Die Bezüge steigen im Vergleich zu 2017 um rund 19 Prozent. Der oder die Vorsitzende des Gremiums erhält künftig ein Fix-Gehalt von 480.000 Euro, der oder die Vize-Vorsitzende schlappe 320.000 Euro. Das gemeine Aufsichtsratsmitglied kann auf einen Betrag von bis zu 360.000 Euro kommen, die Sitzungsgelder von 1.500 Euro pro Zusammenkunft noch nicht einmal mitgerechnet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Maßlosigkeit in einem Gegenantrag, den sie zur diesjährigen Hauptversammlung einreichte. „Diese Summen sind der arbeitenden Bevölkerung im Allgemeinen und den BAYER-Beschäftigten im Besonderen nicht zu vermitteln“, hieß es darin. Ohnehin liegen beim Leverkusener Multi Welten zwischen den ManagerInnen-Gehältern und denen der ArbeiterInnen und Angestellten. Nach einer Erhebung der „Hans-Böckler-Stiftung“ lag der Verdienst des BAYER-Vorstandsvorsitzenden im Jahr 2017 um den Faktor 58 über dem Durchschnittslohn der Belegschaft. Angehörige der Leitungsebenen strichen 41 Mal so viel ein und die Vorstandsmitglieder 24 Mal so viel. Auf der Hauptversammlung von 2009 hatte eine Vertreterin des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE die Vorstandsriege auf der Hauptversammlung einmal gefragt, ob sie bereit wäre, die eklatante Lohn-Spreizung erst einmal auf den Faktor 20 zurückzuführen. Sie erhielt jedoch eine schnöde Abfuhr. BAYERs damaliger Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Schneider sprach sich vehement gegen solche „statistischen Grenzen“ aus.

POLITIK & EINFLUSS

NRW will Steuer-Wettbewerb Im Jahr 2012 zog der BAYER-Konzern seine Patent-Abteilung aus Leverkusen ab und verlegte sie nach Monheim, das sich ihm mit der niedrigsten Gewerbesteuer ganz Nordrhein-Westfalens als gute Adresse für eine Briefkasten-Firma empfohlen hatte. Damit trat er einen gnadenlosen Unterbietungswettbewerb los. 2019 gab sich dann auch Leverkusen geschlagen. Die Stadt ließ sie sich in Kamin-Gesprächen auf einen Deal mit BAYER ein. Der Pillen-Produzent sagte die Rückverlagerung von Teil-Gesellschaften zu und erhielt im Gegenzug Hebe-Sätze auf Monheim-Niveau. Mit diesen Tarifen ging die Kommune sogar auf Werbetour und versuchte, Unternehmen aus dem Umland zu akquirieren. Das wiederum nahm die Landes-SPD zum Anlass für eine Kleine Anfrage im Landtag. „Wie will die Landesregierung den Gewerbesteuer-Kannibalismus verhindern?“, wollte sie wissen. Die Antwort lautete zusammengefasst: Gar nicht. Das Land NRW sieht anders als Brandenburg, wo Gemeinden mit hohen Gewerbesteuer-Einnahmen eine Umlage zahlen müssen, keinerlei Anlass, den ruinösen Konkurrenz-Kampf der Städte und Gemeinden um Industrie-Ansiedlungen zu beenden. Es benennt den Grund für die Misere von BAYERs Stammsitz zwar eindeutig: „Der Rückgang in Leverkusen stand in Zusammenhang mit dem vollständigen Verlust der Steuer-Einnahmen von dem bis dahin größten Gewerbesteuer-Zahler infolge der gezielten Verlagerung ausgewählter Geschäftsbereiche dieses Betriebs“, will aber nicht an der Ursache ansetzen. Stattdessen unterstützen CDU und FDP Leverkusen bei der Kapitulation vor dem Kapital bzw. dabei, „den Standort auch im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig zu machen und dadurch einerseits Steuer-Erträge ihres größten Gewerbe-Betriebs zurückzuerlangen und andererseits die bereits kommunizierte Abwanderung anderer Großsteuerzahler abzuwenden.“ Für immer virtuelle HVs Schon lange vor Corona hatten BAYER & Co. mit der Abkehr von Präsenz-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit, ihre AktionärInnen-Treffen online abhalten zu können, was BAYER als erster DAX-Konzern nutzte. Nun will die Politik den Unternehmen die Flucht ins Internet dauerhaft ermöglichen. Im Juni 2021 fasste die Konferenz der JustizministerInnen der Länder einen entsprechenden Beschluss. An das Justizministerium erging der Auftrag, dafür ein Gesetz zu erarbeiten. „Unser Aktienrecht braucht mehr digitalen Schwung“, meinte der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) und konstatierte: „Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass Hauptversammlungen auch virtuell gut abgehalten werden können.“ Ein bisschen weniger Glyphosat Gegen einen Glyphosat-Stopp vor dem Auslaufen der EU-Zulassung Ende 2023 hatte die Große Koalition sich schon im September 2019 ausgesprochen. Sie gab sich mit einer Minderungsstrategie zufrieden. Für diese ließen sich die PolitikerInnen dann zu allem Übel auch noch Zeit bis kurz vor Toresschluss der Legislatur-Periode. Überdies fielen die Regelungen äußerst bescheiden aus. SPD und CDU verabschiedeten diese im Rahmen des Insektenschutz-Gesetzes. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für die Anwendung im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fällt. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid bis 2024 erlaubt. Erst dann erfolgt das Aus – und das auch noch unter Vorbehalt. Wenn die EU Glyphosat bis dahin nämlich nicht aus dem Verkehr zieht, wackelt auch der Beschluss der Bundesregierung. „Sollten sich in diesem Zusammenhang Änderungen der Dauer der Wirkstoff-Genehmigung ergeben, ist das Datum des vollständigen Anwendungsverbots gegebenenfalls anzupassen“, hält die „Pflanzenschutzanwendungsverordnung“ fest. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte weisen ebenfalls starke Mängel auf. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch zunahmen. So sicherten sich die Länder Öffnungsklauseln. Zudem drückte die CDU einen „Erschwernisausgleich Pflanzenschutz“ durch, der den LandwirtInnen den Spritz-Entzug durch Zahlungen in Höhe von 65 Millionen Euro erleichtert.

Lieferketten-Gesetz verabschiedet

Die Lieferketten BAYERS erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi seine Arznei-Grundstoffe zu einem guten Teil aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei zunächst davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne ausüben und setzte auf Freiwilligkeit. Sie hob den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe und machte sich daran, erst einmal ein Lagebild zu erstellen. Dazu startete die Große Koalition eine Umfrage unter den Betrieben und bat um Informationen darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollte sie dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Nur ein Bruchteil der angeschriebenen Firmen antwortete überhaupt, und von diesen genügte bei der Beschaffung kaum eines den sozialen und ökologischen Anforderungen. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Und den bereitete die Politik dann auch vor, was die Industrie-VertreterInnen in Panik versetzte. „Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmen verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, was sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“, echauffierte sich etwa der damalige Präsident der „Bundesvereinigung der Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), Ingo Kramer. In der Folge taten die LobbyistInnen der Industrie alles, um das Schlimmste zu verhindern. Sie mahnten eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnten eine Haftungsregelung vehement ab. Schlussendlich konnten sie sich damit durchsetzen. Im jetzigen Paragrafen-Werk fehlt beides. Dem Leverkusener Multi dürfte es daher erspart bleiben, mit einer Klage von solchen InderInnen oder ChinesInnen konfrontiert zu werden, die in den Hot Spots der globalen Pharma-Produktion leben und unter den gesundheitlichen Folgen leiden. Dazu liegen nämlich zu viele Zwischenhändler zwischen BAYER und den Arznei-Produzenten vor Ort. Zudem müssten die Betroffenen in Deutschland noch eine Nichtregierungsorganisation finden, die in ihrem Namen vor Gericht zieht und so eine „Prozess-Standschaft“ wahrnimmt. Eine Möglichkeit, direkt Ansprüche anzumelden, lässt das Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz den Geschädigten nämlich nicht „Eine Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz begründet keine zivilrechtliche Haftung“, heißt es auf Drängen der Konzerne nun im Paragraf 3, Absatz 3. Milliarden-Amnestie für BAYER & Co. Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage gilt der Förderung alternativer Energien. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken, die sich pro Gigawatt-Stunde auf rund 64.000 Euro belaufen. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen vor einiger Zeit verklagt. Der Leverkusener Multi, der Betrugsvorwürfe „entschieden“ zurückweist, sah sich mit immensen Nachforderungen konfrontiert und schickte ein Hilfe-Ersuchen nach Berlin. Fast 20 solcher Schreiben von Unternehmen gingen bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein. Und die Briefe zeigten Wirkung. Das Bundeswirtschaftsministerium fügte ins „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ von 2021 den Paragrafen 104 ein, der BAYER & Co. die Möglichkeit einräumt, mit den Übertragungsnetzbetreibern einen Vergleich zu schließen. „Eine Milliarden-Amnestie für Konzerne“ nannte der Spiegel das. Kein Unternehmensstrafrecht „Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Sogar höhere Strafen für Multis planten die Parteien: „Die geltende Bußgeld-Obergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig.“ Und wirklich nahm auch alles seinen parlamentarischen Gang. Mitte 2019 veröffentlichte das Justizministerium erste Vorschläge und im Weiteren zwei ReferentInnen-Entwürfe. Im Juni 2020 kam dann der Gesetzesentwurf der Bundesregierung – und dann nichts mehr. Der Lobby-Druck von BAYER & Co. brachte die CDU zum Umfallen. Sie trug das Vorhaben nicht mehr mit, was Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erboste: „Das ist ein Bruch des Koalitionsvertrags, für den mir jedes Verständnis fehlt. Das zeigt, wie wenig die CDU aus Skandalen gelernt hat.“ So braucht der Leverkusener Multi auch künftig bei Abrechnungsbetrügereien mit falschen Arznei-Rechnungen (siehe RECHT & UNBILLIG), Preisabsprachen, unlauterer Werbung oder der Vermarktung gefährlicher Produkte die Macht des Gesetzes nicht allzu sehr zu fürchten. Hickhack um Hartwig BAYERs langjähriger Chef-Jurist Roland Hartwig sitzt heute für die AfD im Bundestag. Er gehört zu den vier stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion und hat keine Berühungsängste mit extrem rechten Positionen. So hielt er im Juni 2019 eine Rede beim „Staatspolitischen Kongress“, einer Veranstaltung des von Götz Kubitscheck und Karlheiz Weißmann gegründeten braunen Thinktanks „Institut für Staatspolitik“. Ende 2020 musste Hartwig den Vorsitz der „Arbeitsgruppe VS“ abgeben, welche die Aufgabe hat, die Partei aus dem Visier des Verfassungsschutzes zu bugsieren. Der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen veranlasste seine Ablösung, nachdem der EX-BAYER ihn für die Aussage kritisiert hatte, nicht alle AfDlerInnen stünden auf dem Boden der Verfassung. Auf Initiative Björn Höckes fasste der AfD-Bundesparteitag im Frühjahr 2021 allerdings den Beschluss, den Juristen wieder in Amt und Würden zu bringen. Der Bundesvorstand lehnte das – gegen die Stimmen von Alice Weidel, Tino Chrupalla, Stephan Brandner und Stephan Protschka – jedoch ab.

DRUGS & PILLS

DUOGYNON-Studie erst 2022 Ein hormoneller Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das unter den Namen DUOGYNON und PRIMODOS vertriebene Medizin-Produkt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Geschädigte oder deren Eltern fordern den Leverkusener Multi seit Jahren auf, die Verantwortung dafür zu übernehmen, bislang allerdings vergeblich. „BAYER schließt DUOGYNON als Ursache für Missbildungen aus“, erklärte der Global Player auf der jüngsten Hauptversammlung. Die Bundesregierungen jedweder Couleur sahen ebenfalls keinen Handlungsbedarf. In England hatten die Betroffenen mehr Erfolg. Die Politik gab einen Untersuchungsbericht in Auftrag, der den Behörden zahlreiche Versäumnisse im Umgang mit den Risiken des Medizinprodukts bescheinigte, woraufhin sich der damalige Gesundheitsminister bei den Geschädigten entschuldigte. Auch die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik versagten. So stand der damals im Bundesgesundheitamt zuständige Referatsleiter Klaus-Wolf von Eickstedt früher selbst in Diensten SCHERINGs und tat in alter Verbundenheit alles dafür, das Mittel auf dem Markt zu halten. Genau diese Machenschaften soll jetzt eine Untersuchung aufklären. Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte eine solche bereits im September 2020 an. Geschehen ist bisher jedoch noch nichts. Darum hakten Bündnis 90/Die Grünen in einer Kleinen Anfrage nach. Zurzeit laufe die Auftragsvergabe, antwortete die Bundesregierung. Die Veröffentlichung der Arbeit kündigte sie für das Frühjahr 2022 an. Die Betroffenen bezog das Gesundheitsministerium bei der Konzeption des Studien-Designs jedoch nicht ein. Das stieß ebenso auf die Kritik der Initiative NETZWERK DUOGYNON wie die Wahl eines geheimen Ausschreibungsverfahrens. ASTEPRO ohne Rezept Nach Meinung vieler ExpertInnen müsste die Rezeptpflicht für viel mehr Medikamente gelten. Nicht wenige der Pharmazeutika, die frei in der Apotheke erhältlich sind, haben nämlich starke Nebenwirkungen und verlangen einen sorgsamen Umgang. Dazu zählen etwa das Schmerzpräparat ASPIRIN oder die Magenarzneien ANTRA und IBEROGAST aus dem Hause BAYER. Die Pharma-Multis versuchen hingegen mit allen Mitteln, den Menschen immer mehr ihrer Produkte auch ohne eine Verschreibung zugänglich zu machen, um den Absatz zu erhöhen. So setzte der Leverkusener Multi das Thema bereits einmal auf die Agenda seiner regelmäßigen Lobby-Runden in Berlin, den „Politik-Lunches“. Mit einem natürlich eindeutigen Ergebnis: „Die Referenten sprachen sich dafür aus, dass die Rahmenbedingungen für einen OTC-Switch (Wechsel von der Verschreibungspflicht zum rezeptfreien Arzneimittel) in Deutschland optimiert werden können.“ Auch in Australien ist da dem Unternehmen zufolge noch Luft nach oben, denn die Aufsichtsbehörden des Landes lehnten einen OTC-Switch seines Potenzmittels LEVITRA ab. Aber dafür konnte der Konzern in den USA jüngst einen Erfolg verbuchen. Für sein Antihistaminikum ASTEPRO, ein Nasenspray für AllergikerInnen, ist künftig keine ärztliche Verordnung mehr nötig. CIPROBAY schädigt Herzklappen Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen auslösen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hinaus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Aorten-Aneurysmen und -Dissektionen – krankhafte Ausweitungen der Hauptschlagader verbunden mit der lebensbedrohlichen Gefahr eines Risses – traten ebenfalls bereits auf. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachten die MedizinerInnen schon. Und jetzt muss der Leverkusener Multi auf seinen Packungsbeilagen noch einen weiteren Warnhinweis ergänzen. Fluorchinolone können nämlich die Herzklappen angreifen. Schlechte Zeiten für YASMIN & Co. Von BAYERs Verhütungsmitteln mit dem Wirkstoff Drospirenon wie YAZ, YASMIN und YASMINELLE geht ein erhöhtes Embolie-Risiko aus (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Während es bei neun bis zwölf von 10.000 Frauen, welche diese Pharmazeutika oder andere der dritten oder vierten Generation gebrauchen, zu Blutgerinnseln kommt, ist das nur bei fünf bis sieben von 10.000 derjenigen Frauen der Fall, die Pillen mit den älteren Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nutzen. Glücklicherweise hat sich das in der Bundesrepublik inzwischen herumgesprochen. Der Versorgungsanteil der Drospirenon-Präparate sank von 2009 bis 2019 von 22 auf zwei Prozent. Auf den übrigen Märkten macht der Leverkusener Multi aber immer noch gute Geschäfte mit den Mitteln. Im Jahr 2020 betrug der weltweite Umsatz mit YAZ & Co. 670 Millionen Euro. Mehr Glaukome durch Kontrazeptiva Durch die Einnahme von Verhütungsmitteln auf Hormon-Basis steigt die Gefahr, an Grünem Star zu erkranken. Forschende der „University of British Columbia“ machten bei Frauen, welche diese Kontrazeptiva nutzten, ein mehr als doppelt so hohes Risiko aus, das Augenleiden zu bekommen, als bei solchen, die nicht zu YASMIN & Co. greifen. Lieferengpässe bei BAYER-Arzneien Der Pharma-Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. BAYER und andere große Unternehmen setzen mehr und mehr auf neue, patent-geschützte Pillen, da diese besonders hohe Renditen versprechen. Bei ihrem nicht so viel Geld abwerfenden Alt-Sortiment rationalisieren die Konzerne hingegen nach Kräften. So beziehen sie Vor- und Zwischenprodukte zur Wirkstoff-Herstellung und manchmal auch die komplette Substanz zunehmend aus Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien und China. Dort produzieren hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. Damit nicht genug, konzentriert sich die Fabrikation auf immer weniger Anbieter. Und wenn da einmal Störungen im Betriebsablauf auftreten, leiden PatientInnen auf der ganzen Welt unter Lieferengpässen. Seit einiger Zeit passiert das immer häufiger. Im letzten Jahr konnten die Apotheken den PatientInnen 16,7 Millionen Packungen nicht aushändigen. Auch Präparate des Leverkusener Multis glänzen zunehmend durch Abwesenheit, 2021 waren es bisher ASPIRIN i. v. 500 mg, das Herzmittel NIMOTOP, der Gerinnungshemmer XARELTO und das umstrittene Verhütungsmittel YASMINELLE (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Die Produktion des Mittels BAYOTENSIN zur Akutbehandlung eines hohen Blutdrucks stellte der Konzern ganz ein. Für die Spezial-Behältnisse, in die der Wirkstoff abgefüllt war, gab es dem Unternehmen zufolge nämlich keine Lieferanten mehr. Globale Pharma-Lieferketten Die Lieferketten BAYERS im Pharma-Bereich erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi Arznei-Grundstoffe aus Indien und China (s. o.). Dort locken nämlich Standort-Vorteile wie niedrige Herstellungskosten und laxe Umweltauflagen – mit den entsprechenden Risiken und Nebenwirkungen. Bei der BAYER-Hauptversammlung im April 2021 erfragte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, welche Substanzen genau der Konzern aus diesen Ländern bezieht. Antibiotika und Vorstufen für Röntgen-Kontrastmittel, lautete die Antwort.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat und kein Ende? Im Jahr 2023 läuft in der Europäischen Union die Glyphosat-Genehmigung aus. BAYER und die anderen Hersteller haben jedoch einen Antrag auf eine Zulassungsverlängerung gestellt. Und im Juni 2021 keimte bei ihnen auch Hoffnung auf. Da gab nämlich die sogenannte Bewertungsgruppe für Glyphosat (AGG) ein positives Votum ab. Durch die Behandlung von Pflanzen mit Glyphosat sei kein „chronisches oder akutes Risiko“ für die VerbraucherInnen zu erwarten, hielt die AGG fest. Das Gremium, in dem sich Prüfbehörden-VertreterInnen aus Frankreich, Ungarn, den Niederlanden und Schweden zusammenfanden, kam zu dem Schluss, dass „Glyphosat die Zulassungskriterien für die menschliche Gesundheit erfüllt“. Dementsprechend hieß es dann in der Pressemitteilung der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA: „Eine Einstufung für Keimzell-Mutagenität, Karzinogenität oder Reproduktionstoxizität war nicht gerechtfertigt. Der Vorschlag der vier Mitgliedstaaten beabsichtigt keine Änderung der bestehenden Einstufung.“ BAYER zeigte sich erfreut. Der Bericht bestätige „die Schlussfolgerungen führender Gesundheitsbehörden“, so der Konzern. Trotzdem stehen die Zukunftschancen für das Herbizid nicht eben gut. „Ich glaube nicht, dass es eine ernsthafte Chance für eine Verlängerung der Glyphosat-Lizenz gibt. Dafür ist die politische Stimmung gegen das Mittel zu aufgeheizt“, zitierte das Handelsblatt einen EU-Insider. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird alles in ihren Kräften stehende tun, um es nicht zu einem Temperatur-Abfall kommen zu lassen. Mehr Kindestode durch Glyphosat In Brasilien erhöht sich durch Glyphosat-Rückstände im Wasser die Kindersterblichkeit. Das ergab die Studie „Down the River: Glyphosate Use in Agriculture and Birth Outcomes of surrounding Populations“ von Mateus Dias, Rudi Rocha und Rodrigo R. Soares. Eine Steigerung um fünf Prozent durch das Mittel machten die drei aus, was ein Plus von 503 Sterbefällen pro Jahr ergibt. Auch die Zahl der Frühgeburten und der Babys mit einem niedrigen Geburtsgewicht steigt den ForscherInnen zufolge. Alan Tygel von der brasilianischen PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGROGIFTE UND FÜR DAS LEBEN forderte daraufhin einen sofortigen Vermarktungsstopp. Der BAYER-Konzern sah dafür keinen Grund. Er nannte die wissenschaftliche Arbeit, die im Auftrag der „Latin American and the Caribbean Economic Association“ entstand, „unsolide und schlecht durchgeführt“ und betonte, der Sicherheit bei all seinen Produkten immer die höchste Priorität einzuräumen. Glyphosat schädigt die Darmflora Glyphosat hat das Potenzial, eine Schädigung der Darmflora, eine sogenannte Dysbiose, hervorzurufen. Das ergab eine Analyse von Studien, die Jacqueline A. Barnett und Deanna L. Gibson von der kanadischen „University of British Columbia“ vornahmen. Sogar als Auslöser für Gesundheitsstörungen, die viele MedizinerInnen mit einer Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) in Verbindung bringen, kommt das BAYER-Herbizid nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen in Betracht. „Glyphosat kann eine Rolle bei vielen Krankheiten spielen, die mit der Dysbiose in Zusammenhang stehen, darunter Zöliakie, entzündliche Darm-Erkrankungen und das Reizdarm-Syndrom“, so die Forscherinnen. Damit nicht genug, vermag das Pestizid durch seine Einwirkung auf das Darm-Mikrobiom Barnett und Gibson zufolge auch die psychische Gesundheit zu beeinträchtigen und beispielsweise Depressionen auszulösen. Insektensterben durch Glyphosat BAYERs Pestizid Glyphosat trägt zum Insektensterben bei. Einen neuen Beleg dafür liefert eine Studie, die WissenschafterInnen der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität gemeinsam mit ihren KollegInnen vom „Max-Planck-Institut für chemische Ökologie“ und des japanischen „National Institute of Advanced Industrial Science and Technology“ durchführten. So greift das Herbizid ihren Angaben zufolge ein Bakterium an, das in enger Symbiose mit dem Getreideplatt-Käfer lebt und Schutzfunktionen erfüllt, ohne die das Insekt nicht existieren kann. Dabei halten die ForscherInnen ihren Befund auch übertragbar: „Da wir beobachten konnten, wie Glyphosat die symbiotische Gemeinschaft schädigt, fragten wir uns, ob Glyphosat auch für andere Insekten, die auf ihre mikrobiellen Partner angewiesen sind, eine Gefahr darstellt.“ Glyphosat gegen Koka-Pflanzen Der kolumbianische Präsident Iván Duque plant, die im Jahr 2015 von seinem Amtsvorgänger Juan Manuel Santos gestoppten Flugzeug-Sprüheinsätze mit Glyphosat zur Zerstörung von Koka-Pflanzen wieder anlaufen zu lassen (siehe auch SWB 3/21). Dabei fällt die Bilanz des Chemie-Krieges gegen die Droge verheerend aus, sowohl in gesellschaftlicher und sozialer als auch in gesundheitlicher und ökologischer Hinsicht. Entsprechend groß ist die Empörung im Land. Auch bei den aktuell stattfindenden Protesten, die sich massiver Gewalt von Polizei und Militär ausgesetzt sehen, spielt das Thema eine Rolle. So beteiligten sich indigene LandwirtInnen an einem landesweiten Streik und forderten die Regierung auf, „das Versprühen von Glyphosat aus der Luft und die Gesundheitsreform zu stoppen und die aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen“. Der Leverkusener Multi wollte sich der Financial Times gegenüber nicht zum neuen Glyphosat-Programm Kolumbiens äußern, da er nicht direkt in die Praxis involviert sei. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte das Unternehmen dagegen unmissverständlich auf, das Pestizid für solche Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen. Dicamba: EPA übt Selbstkritik Bei einer internen Revision stellte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA schwere Mängel bei der Dicamba-Zulassung im Jahr 2018 fest. Donald Trump hatte der Behörde gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine neue Führungsspitze verpasst, die sich offenbar massiv in den Prüfungsprozess einschaltete. „In unseren Interviews nannten die Wissenschaftler der Pestizid-Abteilung Beispiele dafür, dass wissenschaftliche Analysen geändert wurden, um die politischen Entscheidungen leitender Beamter zu unterstützen“, heißt es in dem Bericht. So fehlten dann in den Abschluss-Dokumenten plötzlich Passagen über das Gefährdungspotenzial von Dicamba. Auch erhielten die ExpertInnen die Anweisung, sich bei der Sichtung der Unterlagen ausschließlich auf Daten der Hersteller zu stützen. „Die Wissenschaft selber können wir nicht ändern, aber unsere Politik basiert nicht immer auf deren Ergebnissen“, zitiert der Report einen frustrierten EPA-Beschäftigten. Der niederschmetternde Befund veranlasste die AutorInnen der Untersuchung, eine Reihe von Reformen zur Wahrung der Unabhängigkeit der Einrichtung anzumahnen. Aus deutschen Landen Der BAYER-Konzern vertreibt in den Ländern des Globalen Südens zahlreiche Pestizide, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben. Einige dieser Ackergifte stellt er sogar in Deutschland her und exportiert sie dann. So produziert der Global Player in Dormagen den Wirkstoff Probineb und in Frankfurt Indaziflam sowie Ethoxysulfuron.

GENE & KLONE

Schlappe für CUREVAC Der Corona-Impfstoff von BAYERs Kooperationspartner CUREVAC hat bei den klinischen Tests ein enttäuschendes Endergebnis erzielt. Das Gentech-Mittel kam nur auf eine Wirksamkeit von 48 Prozent gegen SARS-CoV-2. ExpertInnen führen das auf die im Vergleich zu anderen Präparaten niedrige Dosierung der Wirksubstanz zurück. Die ForscherInnen hatten bewusst keine höhere gewählt, um das Vakzin nicht so stark wie etwa dasjenige von BIONTECH herunterkühlen zu müssen. Der Leverkusener Multi arbeitete seit Anfang Januar 2021 mit CUREVAC zusammen. Er erklärte damals, „sein Fachwissen und seine etablierte Infrastruktur“ einbringen zu wollen, um der Firma bei der Durchführung der Klinischen Studien, dem Zulassungsprozedere, der späteren Überwachung der Sicherheit des Vakzins sowie bei der Organisation der Lieferkette für die benötigten Zusatzstoffe zur Seite zu stehen. Rund einen Monat später erweiterten die beiden Firmen ihre Verbindung noch einmal. Sie erstreckt sich nun auch auf den Produktionsprozess; BAYER baut dafür zurzeit in Wuppertal Kapazitäten auf. Nun steht allerdings in den Sternen, ob diese überhaupt einmal zum Einsatz kommen werden. Warnung vor EYLEA Das BAYER-Präparat EYLEA zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zu Blindheit führen kann – ist nicht ohne. In einer Fertigspritze verabreicht, erhöht das Gentech-Mittel das Risiko eines Anstiegs des Augeninnendrucks. Die Aufsichtsbehörden haben den Leverkusener Multi deshalb angewiesen, vor dieser Nebenwirkung zu warnen und den ÄrztInnen einen sogenannten „Rote-Hand-Brief“ zuzustellen. Viel Geld für METAGENOMI Die Gen-Scheren, die bei der Gentechnik 2.0 zum Einsatz kommen, schnippeln längst nicht so präzise, wie ihre ErfinderInnen behaupten. Allzu oft kommt es zu so genannten Off-Target-Effekten, also zu Veränderungen der DNA an Stellen, die gar nicht im Visier der ForscherInnen standen. Dem abzuhelfen, hat sich das Start-Up METAGENOMI verschrieben. Es will zielgerichtetere Methoden des Genome Editing auf Basis der CRISPR-Cas-Technik entwickeln und konnte dafür viele Unterstützer gewinnen. BAYER, der Humboldt Fund, HOF CAPITAL und andere Investoren stellten METAGENOMI rund 65 Millionen Dollar zur Verfügung. Neues Gensoja für Brasilien Der BAYER-Konzern bringt in Brasilien ein neues Gensoja auf den Markt. Das Erbgut der Pflanze der Produktlinie ROUNDUP READY 2 XTEND ist so manipuliert, dass das Gewächs sowohl Duschen mit Glyphosat als auch solche mit Dicamba übersteht, wenn diese Herbizide auf den Feldern gegen Wildwuchs zum Einsatz kommen. Und gegen Raupen hat der Konzern die Ackerfrüchte ebenfalls gentechnisch gewappnet. SMARTSTAX-Start mit Gentech 2.0 Der BAYER-Konzern setzt massiv auf die Gentechnik 2.0. Rund 100 Patent-Anträge hat er in diesem Bereich schon beim Europäischen Patentamt eingereicht und bis jetzt sieben positive Bescheide erhalten. 2022 startet der Leverkusener Multi in den USA nun mit der Vermarktung der ersten Pflanze, in der eines der neuen Verfahren zur Anwendung kommt. Der Mais der SMARTSTAX-PRO-Produktreihe wartet nämlich nicht nur mit den üblichen Resistenzen gegen die Herbizide Glyphosat und Glufosinat auf, sondern auch mit der RNAi-Technologie. Mit Hilfe dieser sogenannten Ribonukleinsäure-Interferenz blockiert das Gewächs ein Gen im Erbgut des Maiswurzelbohrers und schützt sich so vor dem Schadinsekt. Ohne Nebenwirkungen geht das allerdings nicht ab: Die Ribonukleinsäure kann mit der Darmflora von Mensch und Tier interagieren, in den Blutkreislauf gelangen und sogar in die Steuerung von Genen eingreifen. Aber BAYER ficht das an. „Uns liegen keine verlässlichen wissenschaftlichen Nachweise dafür vor, dass die sachgerechte Anwendung von Produkten mit einer Wirkungsweise auf RNAi-Basis zu negativen Effekten führt“, erklärte Agrar-Vorstand Liam Condon auf der letzten Hauptversammlung. EU-Parlament gegen Import-Zulassungen Im März 2021 sprach sich das Europäische Parlament gegen Import-Zulassungen für zwei Gen-Pflanzen von BAYER und SYNGENTA aus. Bei der Baumwolle des Leverkusener Multi aus der Produktreihe GHB 614 x T 304-40 x GHB 119 füllte die Mängel-Liste fünf Seiten. Unter anderem machten die PolitikerInnen Fehler bei der Gefahren-Analyse der Laborfrucht aus, die zur Insekten-Abwehr mit gleich zwei Sorten des Bacillus thuringiensis (Bt) bestückt und zudem gegen die beiden Herbizide Glufosinat und Glyphosat resistent ist. So ignorierte die „Europäische Lebensmittelbehörde“ (EFSA) bei ihren Risiko-Prüfungen den Abgeordneten zufolge die Tatsache, dass die Bt-Proteine in der Baumwolle eine viel stärkere Giftigkeit entfalten als in der freien Wildbahn. Sie interagieren nämlich mit den Enzymen der Gewächse. Trotzdem untersuchte die EFSA nur der Bacillus selber. Die Initiative TESTBIOTEST begrüßte die Entscheidung der EU-ParlamentarierInnen: „Damit wächst der Druck auf die EU-Kommission, wesentlich kritischer mit den Prüfberichten der EFSA umzugehen.“ Der Gentech-Schmetterling In Brasilien startet ein Freiluft-Versuch mit gentechnisch veränderten Eulenfaltern. Da sich Raupen dieser Schmetterlingsart zum Verdruss von BAYER & Co. an Mais schadlos halten, haben ForscherInnen der Firma OXITEC in das Erbgut des Spodoptera frugiperda eingegriffen. Um die Bestände der Spezies zu dezimieren, ist es nun so verändert, dass die weiblichen Nachkommen das Larvenstadium nicht überstehen. Der BAYER-Konzern unterstützt das Projekt finanziell, denn sein Gentech-Mais kann sich dieses Wurms nicht mehr erwehren, weil „einige der wirksameren Kontroll-Strategien resistenz-anfällig geworden sind“. Konkret versagt das in den Pflanzen eigentlich für die Schadinsekten-Abwehr zuständige Bt-Toxin zunehmend seinen Dienst. Die Risiken, die mit der Freisetzung der Labor-Schmetterlinge einhergehen, ignoriert der Global Player geflissentlich. Ihm geht es einzig und allein darum, die Profite im Geschäft mit seinen Gen-Pflanzen zu sichern.

WASSER, BODEN & LUFT

Neues Klimaschutz-Gesetz Im März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutz-Gesetz stattgegeben. Die Karlsruher RichterInnen teilten den Standpunkt der BeschwerdeführerInnen, wonach dieses Paragrafen-Werk die grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechte künftiger Generationen ungebührlich einschränke, weil die Bundesregierung diesen die Hauptlast bei der Kohlendioxid-Einsparung aufbürde. „So sind die notwendigen Freiheitsbeschränkungen der Zukunft bereits in den Großzügigkeiten des gegenwärtigen Klimaschutz-Rechts angelegt“, heißt es in der Begründung des Urteils. Darum musste die Große Koalition nachbessern und die Klimaziele verschärfen. Jetzt legte sie sich auf eine CO2-Reduktion von 65 statt wie bisher 55 Prozent bis 2030 fest, ausgehend vom Basis-Jahr 1990. Dementsprechend senkten CDU und SPD die zulässigen Jahres-Emissionsmengen für Gebäude-Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft, Energie-Branche und Industrie ab. Für BAYER & Co. reduzierten sich die Grenzen des Erlaubten gegenüber dem Klimaschutz-Gesetz von 2019 um 22 Millionen Tonnen. 2022 dürfen sie noch 177 Millionen Tonnen ausstoßen und dann sukzessive immer weniger bis 118 Millionen im Jahr 2030. Die im Vergleich zu den anderen Bereichen strengeren Vorgaben für Industrie und Energie hatten Gründe. „Dies folgt einerseits dem ökonomischen Gedanken, dort zu mindern, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind, andererseits sind Industrie- und Energie-Sektor weiterhin die Sektoren mit den höchsten Emissionen“, heißt es im Gesetz. Der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) kritisiert das Paragrafen-Werk. Er vermisste unter anderem Subventionsregelungen, „um Wettbewerbsnachteile auszugleichen“ und politische Weichenstellungen für „günstigen Strom“. Grüne wollen Kampfstoff-Bergung 1,6 Millionen Tonnen Munition, Minen und chemische Kampfstoffe aus zwei Weltkriegen lagern in den Gewässern von Nord- und Ostsee, darunter auch die einst von BAYER entwickelten Substanzen Lost, Tabun und Sarin. Da die Metall-Umhüllung der Chemie-Waffen mittlerweile durchrostet, treten die Gifte aus. Als besonders gefährlich betrachtet das Umweltbundesamt dabei neben bestimmten Arsen-Verbindungen Zäh-Lost, eine Mixtur aus Schwefel-Lost und Verdickungsmitteln. Während sich andere Kampfstoffe im Wasser allmählich zersetzen, behält diese Chemikalie nämlich eine feste Konsistenz und verliert kaum etwas von seiner Wirksamkeit. „Die meisten der bisher bekannten Unfälle mit Kampfstoffen wurden durch Zäh-Lost rund um das Versenkungsgebiet östlich der dänischen Ostsee-Insel Bornholm verursacht, wobei Klumpen von Zäh-Lost in Fischernetze gerieten“, konstatiert die Behörde. Die FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben die Bundesregierung jetzt aufgefordert, endlich etwas gegen die tickenden Zeitbomben in den Meeren zu unternehmen die schon viele Todesopfer gefordert haben. „Munitionsaltlasten in den Meeren bergen und umweltverträglich vernichten“, ist ihr gemeinsamer Antrag überschrieben, mit dem sich der Bundestag Mitte April 2021 befasste. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) begrüßte diesen Vorstoß, trat aber dafür ein, das Verursacher-Prinzip greifen zu lassen und die damaligen Hersteller der Kriegswerkzeuge wie etwa BAYER an der Finanzierung des Unterfangens zu beteiligen. „Die Räumungsarbeiten sind laut FDP und Grünen mit immensen Kosten verbunden. Darum ist es nur recht und billig, BAYER als Pionier auf dem Gebiet der chemischen Kampfstoffe mit zur Kasse zu bitten“, hieß es in der Presseerklärung der CBG. Glyphosat gefährdet Grundwasser Bis zu 50 Prozent des ausgebrachten Glyphosats kann ins Grundwasser gelangen. Das stellte ein ForscherInnen-Team um Andreas Hartmann von der Universität Freiburg und Thorsten Wagener von der Universität Potsdam fest. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass 99 Prozent des Pestizides im Boden versickert. Wie Hartmann und Wagener aber in einem Aufsatz, den die Zeitschrift Proceedings veröffentlichte, darlegen, leiten Risse und Hohlräume in der Erde große Mengen des Mittels bis ins Grundwasser weiter. Wasser-Strategie ohne Plan Der Klimawandel macht Wasser zu einer immer kostbareren Ressource. Das hat auch die Politik erkannt. Im Juni 2021 stellte Bundesumweltministerin Svenja Schulze den Entwurf zu einer nationalen Wasser-Strategie vor, um das Lebenselixier besser zu schützen. BAYER & Co. als die größten Wasserverbraucher und Wasserverschmutzer nahm das 76-seitige Papier dabei allerdings nicht in den Blick. Es führte keinerlei konkrete Vorhaben auf, um das gefährdete Gut vor dem Zugriff der Profit-Interessen zu bewahren, obwohl allein der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020 auf einen Wassereinsatz von 57 Millionen Kubikmetern kam. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte das scharf. „Zunehmende Trockenheitsperioden, eine schwindende Grundwasser-Neubildungsrate, der immense Durst der Konzerne und eine wachsende Schadstoff-Belastung der Gewässer verlangen ein sofortiges gesetzgeberisches Handeln. Dazu kann oder will sich die Umweltministerin aber offensichtlich nicht entschließen. So bleibt es bei bloßer Symbol-Politik“, hieß es in ihrer Presseerklärung. BAYERs großer Durst Der BAYER-Konzern hat einen enormen Wasser-Durst (s. o.) Bei der jüngsten Hauptversammlung erfragte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, wie viel Kubikmeter der kostbaren Ressource die Standorte in Nordrhein-Westfalen verbrauchen. Auf insgesamt 4,4 Millionen Kubikmeter kommen die Niederlassungen in Leverkusen, Wuppertal, Bergkamen und Monheim, bekam die Coordination zur Antwort.

ÖKONOMIE & PROFIT

Rating-Agentur stuft BAYER herab Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Glyphosat-Geschädigten platzen und legte stattdessen einen eigenen Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten vor (siehe RECHT & UNBILLIG). Unmittelbar danach stufte die Rating-Agentur MOODY’S INVESTORS SERVICE die Kreditwürdigkeit des Konzerns von Baa1 auf Baa2 herab. „Die anhaltende Unsicherheit in Bezug auf die abschließende Beilegung von Rechtsfällen gegen BAYER im Zusammenhang mit Glyphosat“, führte sie als einen der Gründe für die Entscheidung an. Auch die hohen Kosten für den Rechtskomplex „Glyphosat“ stellte die Agentur in Rechnung. Zudem zeigte sie sich von den „mittelfristigen Finanzzielen“ des Leverkusener Multis enttäuscht und bewertete die Profit-Aussichten im Agrar-Geschäft wegen des verstärkten Wettbewerbs negativ. Trotz des Verkaufs von Unternehmensteilen, eines kostensparenden Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramms und steigenden Renditen im Bereich „Consumer Health“ kam MOODY’S bei der „Betriebsprüfung“ letztlich „zu Finanzkennzahlen, die nur mit einem Baa2 bewertet werden können“. Hohe Abschreibungen In die BAYER-Bilanz fließt auch der Wert der Zukäufe ein. Dieser sogenannte Goodwill macht beim Leverkusener Multi 118 Prozent des Eigenkapitals aus. Für MONSANTO hatte er den Goodwill allerdings viel zu hoch angesetzt. Die immensen Schadensersatz-Ansprüche in Sachen „Glyphosat“ und schlechte Geschäfte im Agro-Bereich erforderten eine massive Korrektur: 9,3 Milliarden Euro musste der Global Player abschreiben.

RECHT & UNBILLIG

Immer mehr Dicamba-Klagen Neben Glyphosat entwickelt sich für den BAYER-Konzern auch das Herbizid Dicamba, das er hauptsächlich in Kombination mit gentechnisch gegen die Substanz immunisierten Gewächsen anbietet, zu einem Sorgenkind. Der Wind treibt das vom Leverkusener Multi z. B. unter dem Namen XTENDIMAX vertriebene Mittel nämlich zu Ackerfrüchten hin, die dem Stoff nichts entgegenzusetzen haben und deshalb eingehen. 57 Wein-AnbauerInnen und vier WeiterverarbeiterInnen machen wegen dieser Abdrift auf einer Fläche von 1.200 Hektar Schädigungen an Weinreben geltend und fordern eine Kompensation in Höhe von 114 Millionen Dollar plus 228 Millionen Dollar Strafe. Zudem zog ein Imker vor Gericht, weil die chemische Keule seine Bienenvölker dezimierte und der Pflanzen-Kahlschlag den Tieren Pollen und Nektar nahm, sodass die Honig-Produktion einbrach. Zwei weitere Prozesse in Sachen „Dicamba“ laufen bereits seit Längerem. Darüber hinaus schloss der Global Player im Juni 2020 mit rund 170 KlägerInnen einen Vergleich, der ihn zu einer Zahlung von 400 Millionen Dollar verpflichtete. Trotzdem lässt das Unternehmen auf das Ackergift nichts kommen. „BAYER ist von der Sicherheit und dem Nutzen des Herbizids XTENDIMAX überzeugt. Wir werden diese Technologie auch weiterhin verteidigen“, ließ der Gen-Gigant verlauten. Klage gegen Phosphorit-Abbau „Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hochproblematischer Stoff“, sagt die Umwelt-Aktivistin Hannah Connor von der US-amerikanischen Organisation Center for Biological Diversity. Und tatsächlich sorgt das Herbizid sogar schon vor seiner eigentlichen Geburt für so einige Verwerfungen. Der Abbau des Sediment-Gesteins Phosphorit, das BAYER zur Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor benötigt, belastet Mensch, Tier und Umwelt nämlich massiv. So gelangen etwa Schwermetalle und radioaktive Stoffe wie Uran, Radom, Radium und Selen in die Umwelt. Darum fechten mehrere US-amerikanische Umweltverbände die Genehmigung zum Abbau des Phosphorits ein, die BAYERs Minen-Gesellschaft P4 PRODUCTIONS im Jahr 2019 erhielt. Das Center for Biological Diversity, das Western Watersheds Project und die WildEarth Guardians werfen dem „Bureau of Land Management“ vor, bei der Prüfung des Antrages Umweltrichtlinien missachtet zu haben, und reichten Klage ein. Besonders das Selen stellt den Organisationen zufolge eine Bedrohung dar. „Zwischen 1996 und 2012 starben in der Nähe der Phosphorit-Minen im Südosten von Idaho über 600 Stück Vieh an Selen-Vergiftung“, hält die Klageschrift fest. Die Gewässer verseucht das Halbmetall ebenfalls. „Die Selen-Konzentration im Blackfoot-Fluss entspricht schon jetzt nicht mehr den Wasserqualitätsstandards von Idaho. Mehr Selen in fragilen Ökosystemen ist das Letzte, was die Region braucht“, so Chris Krupp von den WILDEARTH GUARDIANS. Erst Anfang März 2021 musste der Leverkusener Multi für Schäden, welche die Phosphorit-Förderung während der 1950er und 1960er Jahre in der inzwischen stillgelegten Ballard-Mine verursachte, eine hohe Summe zahlen (siehe Ticker 2/21). Der Prozess, den die US-amerikanische Umweltbehörde EPA, der Bundesstaat Idaho und eine Gruppe von Indigenen angestrengt hatten, endete mit einem Vergleich, der den Konzern fast 2,5 Millionen Dollar kostete. Ähnliche Verfahren gegen P4 PRODUCTIONS gab es in den Jahren 2011 und 2015. Bienengift-Bann bleibt Im Jahr 1999 begann die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihre Kampagne gegen BAYERs bienengefährliche Pestizide. Es sollte jedoch noch fast 20 Jahre dauern, bis sich der Erfolg einstellte: Im April 2018 verbot die Europäische Union die Wirkstoffe von BAYERs GAUCHO und PONCHO (heute BASF) sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam. Aber die Konzerne gaben sich nicht geschlagen. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGh) war nämlich noch die Klage von BAYER und SYNGENTA gegen das im Jahr 2013 von Brüssel erlassene vorläufige Verbot anhängig. 2018 verloren die Unternehmen in erster Instanz, und Anfang Mai 2021 scheiterte auch das Berufungsverfahren. Entsprechend zerknirscht reagierte der Leverkusener Multi: „BAYER ist enttäuscht darüber, dass die wesentlichen Aspekte dieses Falles vom Gericht nicht anerkannt wurden.“ Allerdings dürfen die Mittel in einigen Teilen der EU per Notfall-Zulassungen weiter ihr Unwesen treiben (s. u.) – und im Rest der Welt sowieso. Klage wg. Vogelschwund Der französische Vogelschutzbund „Ligue de protection des oiseaux“ LPO) hat BAYER und NUFARM verklagt. Der Verband macht den von beiden Unternehmen verkauften Pestizid-Wirkstoff Imidacloprid aus der Gruppe der Neonicotinoide für den Rückgang der Vogel-Populationen verantwortlich und verlangt Reparationszahlungen. Zudem fordert die LPO das Gericht auf, ein Total-Verbot der Agro-Chemikalie zu verhängen und damit die Ausnahmeregelungen des „loi du décembre 2020“ aufzuheben. „Die Neonicotinoide stehen für ein industriell geprägtes Agrarmodell, das unsere Landwirte in eine wirtschaftliche Sackgasse führt und die Vögel auf dem Land hat verschwinden lassen (...) Die Verantwortlichen für diese Katastrophe müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte LPO-Präsident Allain Bougrain Dubourg. Mexiko: Glyphosat-Bann bleibt Im Jahr 2020 hatte die mexikanische Regierung Glyphosat verboten. Der BAYER-Konzern ging gegen die Entscheidung gerichtlich vor, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Auch eine Klage des „National Farm Councils“, einer Vereinigung von GroßagrarierInnen, scheiterte. Kein Glyphosat-Vergleich Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Glyphosat-Geschädigten platzen (siehe auch SWB 3/21). Der Konzern sah keine Chance mehr, den richterlichen Segen für sein Ansinnen zu bekommen, das Herbizid unbegrenzt weiter zu vermarkten, aber für weitere Gesundheitsschäden nur noch begrenzt zu haften. Stattdessen präsentierte der Leverkusener Multi einen eigenen 5-Punkte-Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten. Dieser sieht vor, auf den Packungen des Pestizids statt eines Warn-Labels einen Hinweis auf wissenschaftliche Studien zu Glyphosat anzubringen. Überdies erwägt der Agro-Riese, das Mittel nicht mehr auf dem PrivatkundInnen-Markt anzubieten, da aus diesem Kreis über 90 Prozent der KlägerInnen stammten. Zum Umgang mit künftigen Schadensersatz-Ansprüchen enthält der Plan nichts Konkretes. „Das Unternehmen wird andere Lösungen für potenzielle künftige Klagen zu ROUND UP prüfen“, heißt es lediglich. Niederlage im Fall „Hardeman“ Der Leverkusener Multi hat bisher in allen drei großen Glyphosat-Prozessen Niederlagen erlitten. Den ersten, den Dewayne Johnson gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO angestrengt hatte, musste das Unternehmen sogar schon endgültig verloren geben. Und im Fall „Hardeman“ unterlag der Agro-Riese Mitte Mai 2021 in zweiter Instanz. Dabei hatte sich der Global Player gerade hier Chancen ausgerechnet, denn er konnte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA als Entlastungszeugen aufbieten. Gemeinsam mit dem Justizministerium nutzte die Einrichtung das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht, das es Unbeteiligten gestattet, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, hieß es in dem „Brief of the United States as Amicus Curiae in Support of MONSANTO“, was das Wall Street Journal damals so kommentierte: „Die Trump-Administration stützt BAYER in Herbizid-Verfahren.“ FRAG DEN STAAT vs. BfR Anfang 2019 hatte das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) die Initiative „FRAG DEN STAAT“ verklagt (Ticker 3/19). Die Behörde warf der Organisation vor, mit der Veröffentlichung eines BfR-Gutachtens zu Glyphosat, das diese unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz angefordert und auf ihrer Website veröffentlicht hatte, gegen das Urheberrecht verstoßen zu haben. Das 6-seitige Dokument spielt eine Schlüsselrolle im wissenschaftlichen Streit um das Pestizid. Im Jahr 2015 bewertete die „Internationale Agentur für Krebsforschung“ (IARC) der Weltgesundheitsorganisation das Breitband-Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend“ und setzte sich damit von dem Glyphosat-Prüfbericht des „Bundesinstituts für Risiko-Bewertung“ ab. Die Politik sah Klärungsbedarf und erbat vom BfR eine Stellungnahme. Daraufhin erstellte die Behörde eine ergänzende Expertise. Die Kurzfassung dieses „Addendum I“ ging dann als Handreichung an das Bundeslandwirtschaftsministerium und enthält offenbar so brisantes Material, dass das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ dieses lieber unter Verschluss halten möchte. Aber das gestaltet sich schwierig. Nach Ansicht des Landgerichts Köln kann das Dokument keine Schutzrechte mehr beanspruchen. FRAG DEN STAAT hatte nämlich einfach an UnterstützerInnen appelliert, ebenfalls Anträge zur Einsicht in das Schriftstück nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu stellen. Das geschah 45.000 Mal, auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beteiligte sich damals. Und damit war das Gutachten dann in der Welt. Darüber hinaus deckt die im Urheberrechtsgesetz garantierte Zitat- und Berichterstattungsfreiheit das Vorgehen der AktivistInnen, befanden die RichterInnen im November 2020. Das BfR ging gegen die Entscheidung vor, verlor im Mai 2021 jedoch auch in zweiter Instanz. Pestizid-Kritikerin verurteilt Im Herbst 2020 hatte die französische Initiative ALERTE AU TOXIQUES ein Dossier über Pestizid-Rückstände in französischen Weinen aus der Region um Bordeaux veröffentlicht. Der Befund war alarmierend: In allen der 20 untersuchten Fabrikate fanden sich Ackergift-Spuren. In manchen Flaschen stießen die WissenschaftlerInnen auf bis zu 15 unterschiedliche Wirkstoffe. Sogar das EU-weit verbotene Iprodion – enthalten unter anderem in BAYERs ROVRAL und CHIPCO GREEN – wiesen die ForscherInnen nach. Der Branchenverband CIVB sah seine Umsätze in Gefahr. Deshalb verpflichtete er einen Anwalt, der schon in Diensten von MONSANTO gestanden hatte, und ging gerichtlich gegen die Alerte-Gründerin Valérie Murat vor. In erster Instanz verurteilte das Gericht die Pestizid-Kritikerin zu einer Strafzahlung in Höhe von 125.000 Euro. Murat will den RichterInnen-Spruch jedoch anfechten. Zahlreiche Gruppen stärkten ihr bei dem Prozess mit einer Solidaritätserklärung den Rücken, darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). In Sachen „Agent Orange“ Das im Vietnam-Krieg von den USA als Entlaubungsmittel eingesetzte Agent Orange hat unermessliches Leid über das Land gebracht. Dennoch hat bisher noch noch kein Vietnamese und keine Vietnamesin eine Entschädigung erhalten. Das will die in Vietnam geborene und seit Langem in Frankreich lebende Tran To Nga ändern. Sie berief sich auf ein Gesetz in ihrer Wahlheimat, das die rechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen gestattet, auch wenn diese außerhalb der Grenzen des Staates geschahen, und verklagte die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO sowie dreizehn weitere Unternehmen. „Ich kämpfe nicht für mich selbst, sondern für meine Kinder und die Millionen von Opfern“, sagt die 79-Jährige. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und zahlreiche andere Organisationen unterstützen sie dabei. BAYER hingegen erklärt die Schadensersatz-Ansprüche für unbegründet. Der Konzern behauptet, MONSANTO hätte lediglich als Erfüllungsgehilfe der US-Army agiert, obwohl das Unternehmen mit dem Pentagon bereits seit 1950 in einem regen Austausch über die Kriegverwendungsfähigkeit der „Agent Orange“-Chemikalie 2,4,5-T stand. BAYER-Anwalt Jean-Daniel Bretzner zog schon die Zuständigkeit des Gerichts in Zweifel. Er bestritt ihm das Recht, über die Verteidigungspolitik eines souveränen ausländischen Staates in Kriegszeiten zu richten. Die RichterInnen folgten den Argumentationen von Bretzner & Co. Sie befanden, dass die Firmen „auf Anweisung und im Namen des amerikanischen Staates“ gehandelt hätten und sprachen die Unternehmen frei. Tran To Nga akzeptiert dieses Votum jedoch nicht und kündigte an, in Berufung zu gehen.
  • YASMINELLE-Klage abgewiesen
Ende Juni 2021 hat das Oberlandesgericht Karlsruhe die Klage der Arznei-Geschädigten Felicitas Rohrer gegen den BAYER-Konzern abgewiesen. Die 37 Jahre alte Frau forderte 200.000 Euro von dem Unternehmen, weil sie nach der Einnahme des Verhütungsmittels YASMINELLE eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand erlitten hatte. Diese „Nebenwirkung“ des Medikaments ist seit Langem bekannt. Zudem reicht dem Arzneimittelgesetz eine bloße Kausalitätsvermutung, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Einen exakten wissenschaftlichen Nachweis über eine Kausalbeziehung zwischen einer Arzneimittel-Einnahme und dem Auftreten von Nebenwirkungen zu erbringen, erweist sich nämlich allzu oft als eine unlösbare Aufgabe. Trotz alledem sprach die Richterin den Leverkusener Multi frei. Dessen AnwältInnen war es nämlich gelungen, die Juristin zu überzeugen, dass auch eine lange Flugreise Rohrers den Venenverschluss ausgelöst haben könnte. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Entscheidung scharf. „Das ist ein Skandal-Urteil. In den USA haben bisher schon 12.000 Leidensgenossinnen von Felicitas Rohrer Recht bekommen und insgesamt zwei Milliarden Dollar Schmerzensgeld von BAYER erhalten. Hierzulande aber kuscht die Justiz vor der Macht der Konzerne“, hieß es in ihrer Presseerklärung. Ähnlich reagierte die Klägerin. „Ich bin sehr enttäuscht über dieses Urteil und hätte es so nicht erwartet. Wir werden es nun genau prüfen und schauen, welche weiteren juristischen Schritte möglich sind“, erklärte sie. Da das Gericht eine Revision skandalöserweise nicht zuließ, bleibt Felicitas Rohrer nur noch der Weg, eine Nichtzulassungsbeschwerde einzureichen, um ein endgültiges Schließen der Akte „YASMINELLE“ zu verhindern. LIPOBAY-Klage stattgegeben BAYERs Cholesterinsenker LIPOBAY hat mindestens 100 PatientInnen den Tod gebracht, bis der Konzern ihn im Sommer 2001 vom Markt nehmen musste. In der Folge sah sich das Unternehmen mit einer Unmenge von Entschädigungsprozessen konfrontiert. Derjenige, den der italienische Arzt Roberto Trevisanato führte, zog sich über 20 Jahre hin, bis er im Mai 2021 nun mit einer Verurteilung des Leverkusener Multis endete. Das Gericht bezeichnete die Arznei als gefährlich und warf dem Pharma-Riesen vor, auf den Packungsbeilagen nicht ausreichend vor den Nebenwirkungen gewarnt zu haben. Im Rückblick sagte Trevisanato in einem Interview: „Mein Leben wurde zerstört: Als ich dieses Mittel für zwei Monate einnahm, landete ich für zwei Jahrzehnte in der Hölle.“ BAYER vor Gericht In Italien müssen sich BAYER, NOVARTIS und der Krankenhaus-Konzern SAN DONATO wegen Abrechnungsbetrugs zulasten der öffentlichen Gesundheitssysteme vor Gericht verantworten. Das Hospital hatte beim regionalen Gesundheitsdienst der Lombardei Arznei-Rechnungen der beiden Unternehmen eingereicht, die nicht den wahren Preisen entsprachen, da die Pharma-Riesen SAN DONATO unter der Hand Rabatte gewährten. Auf ähnliche Weise hatte der Leverkusener Multi in Tateinheit mit anderen Pillen-Produzenten, Krankenhäusern, ÄrztInnen und Apotheken Anfang der 2000er Jahre die US-amerikanischen staatlichen Gesundheitsprogramme Medicaid und Medicare geschröpft. Den Einrichtungen, die Bedürftigen Arzneien zur Verfügung stellen, entstand so Jahr für Jahr ein Schaden von rund einer Milliarde Dollar. Im Jahr 2000 zahlte der Global Player dafür 14 Millionen Dollar Strafe und 2003 sogar 250 Millionen Dollar. Ermittlungen wg. Bestechung Der BAYER-Konzern sieht sich in Griechenland mit dem Vorwurf der ÄrztInnen-Bestechung konfrontiert. Er soll von 2005 bis 2008 rund 800 MedizinerInnen mit Sachzuwendungen und Geld-Geschenken von bis zu 20.000 Euro veranlasst haben, Medikamente des Konzerns zu verschreiben. Im Jahr 2015 hat die Staatsanwaltschaft deshalb eine Anzeige erstattet. Über den aktuellen Stand der Ermittlungen liegen keine Informationen vor.

[Wahlfreiheit in Gefahr] BAYER & Co. wollen Gentechnik-Deregulierungen

CBG Redaktion

Aktuell hat die Frage, ob neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR/Cas als Gentechnik reguliert bleiben – oder ob sie wie von der Industrie gewollt nicht reguliert werden – erheblich an Fahrt aufgenommen. Hintergrund ist ein Bericht der EU-Gesundheitskommission von Ende April diesen Jahres, der die Tür für eine Deregulierung aufsperrt. Um eine gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung vom Saatgut bis zum Teller sicherstellen zu können und damit die Wahlfreiheit aufrechtzuerhalten, müssen auch die neuen Gentechniken nach Gentechnikrecht reguliert bleiben. Das hohe Gut der Gentechnikfreiheit Europas gilt es zu verteidigen.

Von Annemarie Volling, Referentin für gentechnikfreie Landwirtschaft bei der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL)

Neue Verfahren zur gentechnischen Veränderung der DNA wie CRISPR/Cas sind Gentechnik und müssen nach EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Das hat das richtungsweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli 2018 bestätigt und damit Rechtssicherheit für alle Wirtschaftsbeteiligten geschaffen. Regulieren heißt nicht verbieten, wie es zum Teil dargestellt wird, sondern beinhaltet die Verpflichtung zur Durchführung einer Risikobewertung und eines Zulassungsverfahrens sowie auch Nachweisbarkeit, Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Monitoring der Gentechnik-Pflanzen und -Produkte. Für nicht in der EU zugelassene gentechnisch veränderte Organismen gilt Nulltoleranz. Freisetzungen zu Versuchszwecken unterliegen einem Genehmigungsvorbehalt. Diese EuGH-Entscheidung war gut für VerbraucherInnen und die konventionellen und ökologischen gentechnikfreien LebensmittelerzeugerInnen.
Konzerne wie BAYER hingegen fordern einen „innovationsfreundlichen Regulierungsrahmen.“ Würden die neuen Gentechniken nach EU-Gentechnik-Richtlinie reguliert, fürchtet BAYER „langwierige und kostspielige Zulassungsverfahren“. Diese stellten ein enormes Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pflanzenzüchter und für Investitionen in die Pflanzeninnovation dar, so der Konzern in seiner Stellungnahme zur Farm-to-Fork-Strategie der EU.
Der Geschäftsführer der BAYER CROP-SCIENCE DEUTSCHLAND GmbH, Peter R. Müller, betonte beim digitalen „Agrar Gespräch“ im März 2021, man brauche technologische Alternativen und die Möglichkeiten, diese auch einsetzen zu können. Die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen, damit die Wirtschaft entsprechende Geschäftsmodelle und Angebote für die Landwirtschaft aufbauen könne. Anders gesagt wollen sie möglichst schnell und ohne Hürden (wie Zulassungsverfahren, verpflichtende Risikobewertung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit) mit ihren Gentechnik-Produkten auf den europäischen Markt, letztendlich aber möglichst wenig Verantwortung für ihre Produkte übernehmen. Entsprechend lobbyieren sie für eine Deregulierung der Gentechnik.

EU für Deregulierung
Ende April 2021 veröffentlichte die Gesundheitskommission der EU einen Bericht zum „Status neuartiger genomischer Verfahren.“ Darin bestätigt sie einerseits die Auffassung des Europäischen Gerichtshofes, dass auch die neuen Gentechniken dem EU-Gentechnikrecht unterliegen. Auch will sie das „hohe Schutzniveau für Mensch und Umwelt aufrechterhalten“. Andererseits seien die Potenziale der neuen Gentechniken (NGT) hoch, und von den verschiedenen Anwendungen gingen „keine neuen Gefahren“ (gegenüber konventionellen Züchtungen oder alten Gentechniken) aus.
Das geltende Regulierungssystem stoße bei den neuen Verfahren an Grenzen – vor allem, weil Nachweisverfahren fehlen würden. Zudem sei das Gentechnikrecht „nicht zweckmäßig“. Aufgrund von unterschiedlichen Regulierungssystemen anderer Länder käme es überdies zu Wettbewerbsverzerrungen und womöglich Handelshemmnissen. Deshalb werde die Kommission „einen breit angelegten und offenen Konsultationsprozess einleiten, um die Gestaltung eines neuen Rechtsrahmens für diese biotechnologischen Verfahren zu erörtern“ heißt es in ihrer Pressemeldung.
Der Kommissions-Bericht könnte die Tür öffnen für eine Deregulierung der neuen Gentechniken wie CRISPR/Cas. Damit wäre die gentechnikfreie Erzeugung, die derzeit ein großer Wettbewerbsvorteil für europäische Bäuerinnen und Bauern ist, massiv in Gefahr. Es gilt deshalb, aktiv in diesen Prozess einzugreifen.

Wunschkonzert
In ihrem Bericht nimmt die Kommission die Erzählungen der Konzerne auf: NGT hätte das Potential, zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem beizutragen, da schnell Pflanzen erzeugt werden könnten, die widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels seien. So könnten dem Report zufolge die EU-Ziele des Green Deals, der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie bis 2030 erreicht werden.
Die Kommission beruft sich bei den Potentialen auf eine Studie des Joint-Research-Centre (JRC) der EU. Demnach würden in den nächsten fünf Jahren 15 NGT-Pflanzen auf den Markt kommen. Der Bericht bezieht sich auf „Unternehmensaussagen“, enthält aber keine Referenzen. Es wird auch nicht dargelegt, wie das JRC Organismen einer bestimmten Entwicklungsphase zuordnet. Die Realität zeigt, dass Firmen Angaben zur Markteinführung wiederholt verschieben und Produkte ohne weitere Begründung aus den Pipelines verschwinden. Bislang werden erst zwei NGT-Pflanzen in geringem Umfang in den USA angebaut: Ein herbizidresistenter Raps der Firma Cibus und eine in der Ölzusammensetzung veränderte Soja der Firma Calyxt. In den Pipelines der Unternehmen sind vor allem NGT´s mit Herbizidresistenz angekündigt. Weitere Eigenschaften betreffen die Produktion von Insektengiften innerhalb der Pflanze sowie eine veränderte Zusammensetzung der Inhaltsstoffe.
Die Wirksamkeit der Pestizid- und Insektenresistenz hält in der Regel nicht lange vor. Das führt in der Praxis schnell zu Resistenzbildungen von sog. Unkräutern oder Schadinsekten und zieht einen höheren Pestizideinsatz nach sich, wie die bitteren Erfahrungen der FarmerInnen in Nord- und Südamerika zeigen. Dass NGT-Pflanzen „per se“ zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beitragen könnten, ist also kein Fakt, wie von der Kommission dargestellt. Sondern es handelt sich um Produkt-Versprechen der Gentechnik-AnwenderInnen. Hiermit eine Deregulierung zu begründen, ist nicht akzeptabel. In keinem Fall kann mit einem angeblichen Nutzen von Produkten oder aber einer schnelleren Züchtung begründet werden, Risikoprüfungen abzuschwächen. Diese sind nach dem in der EU verankerten Vorsorgeprinzip vor einer Zulassung geboten.
Ob die vollmundigen Versprechen, mit CRISPR & Co schnell „klimaanpassungsfähige“ und widerstandsfähige NGT-Pflanzen zu erzeugen, einzuhalten sind, und ob diese dann auch auf dem Acker und in der Umwelt so funktionieren wie gedacht, ist im Moment sehr spekulativ. Es gibt kein „Klimaanpassungs-Gen“ – das Zusammenspiel der Gene ist hochkomplex und Pflanzen haben sehr unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten auf die verschiedenen Wetterbedingungen. Von der Kommission nicht erwähnt wird, dass es wissenschaftliche und praktische Belege gibt, dass widerstandsfähige und umweltschonende Anbausysteme und der Ökolandbau zur Reduzierung der Treibhausgase sowie des Düngemittel- und Pestizideinsatzes beitragen können. Zudem vermögen sie die Biodiversität zu fördern und widerstandsfähige Systeme aufbauen. Konventionelle Züchtungs- und Selektionsmethoden und insbesondere die Verwendung von Mischungen und heterogenen Populationen bringen Vielfalt und Anpassungsfähigkeit ins System. Diese Lösungen sind praktikabel und erfolgsversprechend und sollten deshalb viel stärker gefördert und gestärkt werden.

Risiken
Die EU-Kommission schlägt vor, bestimmte Anwendungen (SDN1, SDN2 und Cisgenese) der neuen Gentechniken von der Regulierung auszunehmen oder weniger zu regulieren. Das widerspricht der aktuellen Risikodebatte und ist wissenschaftlich nicht begründbar. Zur Erläuterung: SDN bedeutet ortsgerichtet (site directed) und meint, dass die sogenannten Gen-Scheren wie CRISPR/Cas sich an einen vorher bestimmten Ort binden und dort das Erbgut (die DNA) aufschneiden können. An diesen Orten soll es dann zu Veränderungen kommen wie z. B. unbestimmte Änderungen weniger Basenpaare (SDN-1), was dazu führen kann, dass einzelne Gene stillgelegt, aktiviert oder in ihrer Wirkung verändert werden. Bei SDN-2 wird zusätzlich zur Gen-Schere eine Vorlage in den Zellkern eingeführt. So sollen vorher definierte Veränderungen an der vorgesehenen Stelle erreicht oder kleine Gen-Abschnitte in das Erbgut eingebaut werden. Bei SDN-3 können ortsgerichtet größere Abschnitte eingebaut werden bis hin zu ganzen Genen (entweder arteigen: cisgen oder artüberschreitend: transgen). Bislang sind ein Großteil der aktuellen Anwendungen (ca. 90 Prozent) SDN-1 Anwendungen, also ungerichtete kleine Veränderungen an einem Zielort.
Um die Gen-Schere in die Zelle einzuschleusen, werden Verfahren der alten Gentechnik verwendet – mit den entsprechenden Risiken der alten Gentechnik, wie bspw. der ungewollte mehrfache Einbau von DNA-Anschnitten ins Erbgut. Entscheidend bei der Risikobewertung ist also, dass jede Prozessstufe zur Entwicklung neuer Gentechnik-Pflanzen mit ihren speziellen Risiken betrachtet werden muss.
Aktuelle Studien zeigen, dass es auch bei den vermeintlich „präziseren“ (weil ortsgerichteten) Gen-Scheren zu unerwarteten Effekten kommt, bspw. weil CRISPR an einem anderen Ort schneidet als vorgesehen (off-target) oder es durch die eigentlich gewollte Veränderung zu nicht erwarteten Effekten kommt (on-target). Zudem besteht die Möglichkeit, diese Verfahren mehrfach hintereinander oder in Kombination zur Anwendung zu bringen. Damit können sehr weitreichende Veränderungen vorgenommen werden. Anders als die alte Gentechnik können die neuen Gentechniken Veränderungen in geschützten Erbgutbereichen vornehmen. Es können auch mehrere Gene gleichzeitig verändert und alle Genkopien synchron verändert werden. Mit den NGTs vermögen also starke und sehr weitgehende Veränderungen erzeugt zu werden. Das ist ein großer Unterschied zu den bisherigen Verfahren. Die Techniken sind neu, es gibt bislang keine systematischen Risiko-untersuchungen. Zu behaupten, sie seien sicher, ist wissenschaftlich unseriös. Entsprechend ist es wissenschaftlich geboten, alle neuen Gentechnik-Organismen einer verpflichtenden Risikoprüfung und einem Zulassungsverfahren zu unterziehen. Nur so kann das in der EU geltende Vorsorgeprinzip umgesetzt und das von der Kommission angestrebte hohe Schutzniveau für Mensch, Tier und Umwelt eingehalten werden.

Nachweisbarkeit
Die Kommission führt an, dass es Probleme für die AnwenderInnen der Technik gebe, Nachweisverfahren zu entwickeln und sie somit diese Zulassungsvoraussetzung nicht erbringen könnten. Zudem gebe es Schwierigkeiten, Importe auf GVO zu testen. Dies ist eine einseitige Bewertung der Kommission, die eine mögliche Weiterentwicklung von Methoden und andere Lösungsoptionen ausblendet. Für die beiden bisher auf dem Markt befindlichen neuen Gentechnik-Pflanzen (CIBUS-Raps und CALYXT-Soja) ist es möglich, mit Hilfe etablierter Testmethoden spezifische Nachweisverfahren zu entwickeln. Dies geht zu dem Zeitpunkt, wenn die veränderte Sequenz bekannt ist. So hat CIBUS ein Nachweisverfahren bei den kanadischen Behörden eingereicht, und der „Verband Lebensmittel ohne Gentechnik“ (VLOG) und andere Organisationen haben ein CIBUS-Nachweisverfahren entwickelt. Die Schlussfolgerung der Kommission, AntragstellerInnen könnten die Zulassungsvoraussetzung der Entwicklung eines Nachweisverfahrens nicht stemmen, ist also hinfällig.
Gentechnisch veränderte Pflanzen nachzuweisen, wenn die DNA-Sequenzveränderung nicht bekannt ist, war schon bei der alten Gentechnik ein Problem. Das Screening bzw. die Routineuntersuchungen bspw. bei Importen suchen nach häufig vorkommenden (transgenen) Elementen, die bei mehreren Gentechnik-Events (Eigenschaften) auftreten. Nach einer solchen „Voruntersuchung“ muss dann das spezifische Event ermittelt werden. Gentechnik-Pflanzen, die diese „allgemeinen“ Elemente nicht haben, fallen bei einem Screening durch, wie bspw. die GV-Petunie, die jahrelang unentdeckt blieb. Entsprechend ist dies also ein generelles Problem, was nicht speziell bei NGT´s auftaucht und dringend angegangen werden muss. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten müssen hier endlich aktiv werden, Maßnahmen ergreifen und Nachweismethoden sowie Strategien für diesen Bereich entwickeln. Laut Bericht beträgt der Anteil der Forschungsinvestitionen der Mitgliedstaaten für Entwicklung von Nachweismethoden, Risikostudien und Monitoring lediglich 1,6 % – statt gerade bei neuen Techniken hier einen Schwerpunkt zu legen. Europäische und internationale öffentliche Register sind auszubauen. Forschende und Gentechnik-AnwenderInnen müssen verpflichtet werden, alle nötigen Informationen zur Entwicklung von Nachweisverfahren zur Verfügung zu stellen. Dies muss spätestens ab Freisetzung eines GVO gelten. In keinem Fall dürfen Vollzugsprobleme wie die Nachweisproblematik instrumentalisiert werden, um so eine Deregulierung der NGT zu begründen.

Was die EU nicht sieht
Behauptet wird auch, dass eine strenge Regulierung und aufwendige Zulassungsverfahren zu Wettbewerbsnachteilen der EU-Akteure führen. Das mag für die Gentechnik-Industrie und AnwenderInnen so sein, entsprechend versuchen sie, die Hürden herabzuschrauben. Innovationen machen jedoch noch lange keine Sicherheit aus.
Völlig unterbewertet wird von Seiten der Kommission der Wettbewerbsvorteil, den die gentechnikfreie Landwirtschaft und Saatguterzeugung bietet. Europäische Bäuerinnen und Bauern haben einen großen Wettbewerbsvorteil, weil sie gentechnikfreie Pflanzen problemlos und oft ohne Kontaminationsgefahren anbauen. Die abnehmende Hand verlangt Gentechnikfreiheit im Ackerbau, insbesondere die europäischen Mühlen, Verarbeitungsunternehmen und der Lebensmittel-Einzelhandel. Auch die Abnehmer in Asien und Nordamerika bestehen auf gentechnikfreier Ware. Sollten die NGT-Pflanzen, wie von der Gentechnik-Industrie gefordert, dereguliert werden, könnten Bäuerinnen und Bauern das Qualitätsmerkmal „gentechnikfrei“ nicht mehr erzeugen, stattdessen würden sie zu austauschbaren Rohstofflieferanten und müssten zu noch schärferen Wettbewerbsbedingungen und Dumpingpreisen produzieren. Desgleichen erfreuen sich tierische Produkte (Milch, Eier, Fleisch) „ohne Gentechnik“ eines stetig wachsenden Marktes in Deutschland und Europa. Auch der Biomarkt, für den seine Verpflichtung, keine Gentechnik einzusetzen, ein wichtiges Verkaufsargument ist, boomt. Europa hat trotz – oder gerade wegen – der Gentechnik-Regulierung noch eine vergleichsweise vielfältige Züchterlandschaft. Für österreichische Saatgutzüchter war es anfangs ein Vorteil, wenn sie garantiert gentechnikfreies Saatgut angeboten haben. Anbieter in Deutschland zogen nach, um sich ihre Märkte zu sichern.

Viel zu verteidigen
Die EU-Gentechnikgesetzgebung basiert auf dem im EU-Recht verankerten Vorsorgeprinzip und der Wahlfreiheit. Auch die neuen Gentechniken sind risikobehaftet, ihr Nutzen für die Landwirtschaft fragwürdig. Entsprechend müssen sie aus Vorsorgegründen sowie zur Entwicklung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft und Züchtungsarbeit und gerade auch aus wirtschaftlicher Sicht weiterhin nach EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Es gilt das Recht auf gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und Wahlfreiheit zu sichern. Packen wir es gemeinsam an!

Die neue AbL-Broschüre: „CRISPR & Co. Neue Gentechnik – Regulierung oder Freifahrtschein?“ liefert passende Antworten in der nach dem EU-Kommissions-Bericht erneut aufflammenden Debatte um die neuen Gentechnik-Verfahren. Die Broschüre versammelt Perspektiven aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Betroffenen. Zu Wort kommen Menschen aus Saatgutzüchtung, Landwirtschaft, Verarbeitung, Verbraucherschutz und den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (Molekulargenetik, Ökologie, Ethik, Recht). Sie kann bestellt werden unter www.bauernstimme.de/broschuere/ und steht unter www.abl-ev.de/publikationen/ als PDF zur Verfügung.

[Konfrontationskurs] Auf Konfrontationskurs

CBG Redaktion

BAYER bricht die Glyphosat-Vergleichsverhandlungen ab

Sechs Jahre währt die Causa „Glyphosat“ jetzt schon, und ein Ende ist nicht abzusehen. Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Geschädigten platzen. Der Konzern sah keine Chance mehr, den richterlichen Segen für sein Ansinnen zu bekommen, das Herbizid unbegrenzt weiter zu vermarkten, aber für weitere Gesundheitsschäden nur noch begrenzt zu haften.

Von Jan Pehrke

Das Urteil des zuständigen Richters Vince Chhabria über BAYERs Vergleichsvorschlag zur Regelung der Ansprüche von US-amerikanischen Glyphosat-Geschädigten ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Als „eindeutig unangemessen“ bezeichnete er den „settlement plan“. Damit erhielt der Leverkusener Multi für seine Vorstellungen zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten bereits zum zweiten Mal eine Abfuhr von Chhabria. Die Nachbesserungen, die der Konzern vorgenommen hatte – eine Erhöhung des Etats für zukünftige Klagen auf zwei Milliarden Dollar und ein nur noch beratend tätiges, nicht aber länger über die Berechtigung der Schadensersatz-Forderungen entscheidendes Wissenschaftsgremium – reichten ihm nicht aus. Vor allem stieß er sich an der auf vier Jahre begrenzten Laufzeit des Programms für Menschen, die neu am Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), eine Art von Lymphdrüsen-Krebs, erkranken. Angesichts der Fülle von Jahren, die zwischen einer Glyphosat-Exposition und dem NHL-Ausbruch liegen kann, sei das nicht genug, so der Jurist. Bei der Anhörung versetzte er sich in die Lage eines solchen Betroffenen, der erst lange nach dem Gebrauch des von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO hergestellten Herbizids Symptome herausbildet, und erklärte: „Es gibt keinen Grund für mich anzunehmen, dass dieser Vergleich für mich dann eine Entschädigung bereithielte.“
Zudem fiel es Chabria schwer zu beurteilen, ob der Fonds die Kranken mit den zwei Milliarden fair entschädigen würde, da der Agro-Riese keine Angaben über die Höhe der Zahlungen bei den bisher getroffenen außergerichtlichen Einigungen machte und überdies die Zahl der Anspruchsberechtigten nicht abzuschätzen sei. Darüber hinaus stieß er sich daran, dass der Vergleich zwar eine Ausstiegsklausel hat und den Rechtsweg für die Geschädigten offenhält, ihnen aber gleichwohl den Zugang zu Verfahren verbaut, an deren Ende die für das Unternehmen besonders kostspieligen „punitive damages“ lauern. Dies würde die Verhandlungsposition der KlägerInnen bei den Gesprächen über mögliche Vergleiche schwächen, befand der Richter. Überdies verstand er nicht, warum der Konzern sich so dagegen sperrt, auf den Glyphosat-Packungen eindeutiger vor den Risiken und Nebenwirkungen des Mittels zu warnen, wie es z. B. die Tabak-Firmen tun, um sich vor kostspieligen Prozessen zu wappnen. Und auch mit der nunmehr zurechtgestutzen Rolle des „science panels“ zeigte er sich noch nicht zufrieden. Er wusste nämlich nur allzu genau, was die BAYER-Tochter mit dieser Einrichtung im Schilde führt. „Der Grund dafür, warum MONSANTO so dringend ein science panel will, ist, dass das Unternehmen die ‚Schlacht der Experten’ in drei Verfahren verloren hat“, so Chhabria.
„Kurz gefasst, würde dieser von den AnwältInnen vorgeschlagene Vergleich MONSANTO viel nutzen“, resümierte er, während der Vorschlag für zukünftige Geschädigte des von BAYER unter dem Namen ROUNDUP vermarkteten Pestizids nicht viel Gutes bereithielte: „Für die ROUNDUP-Anwender, bei denen kein NHL diagnostiziert wurde, würde es weit weniger bringen – und nicht annähernd so viel, wie die Anwälte, die diesen Deal vorantreiben, behaupten.“
Hatte sich BAYER unmittelbar nach der Anhörung am 19. Mai 2021 noch optimistisch gezeigt, „die vom Gericht aufgeworfenen Punkte gemeinsam mit den Kläger-Anwälten lösen zu können“, so änderte sich das nun. Zu grundsätzlich erschienen dem Konzern Chhabrias Einwände in schriftlich vorliegender Form. „Leider lässt sein jüngster Beschluss keinen anderen Schluss zu, als dass das Gericht den Lösungsmechanismus nicht ohne weitere erhebliche Änderungen genehmigen wird. Diese Änderungen sind nicht im Interesse von BAYER“, konstatierte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in einer Telefon-Konferenz für Investoren und Medien. Also erklärte der Agro-Riese die Vergleichsverhandlungen für beendet und legte gleich einen eigenen 5-Punkte-Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten vor. „Jetzt ist es unter unserer Kontrolle“, bekundete Baumann.

Der BAYER-Plan
Das Programm sieht vor, auf den Packungen des Herbizids statt eines Warn-Labels einen Hinweis auf wissenschaftliche Studien zu Glyphosat anzubringen. Überdies stellt es die Zukunft des Mittels auf dem PrivatkundInnen-Markt zur Disposition, da aus diesem Kreis über 90 Prozent der KlägerInnen stammten und die Verluste von rund 300 Millionen Euro bei einem Gesamtumsatz mit dem Herbizid von rund 2,5 Milliarden Euro zu verschmerzen sind. Die 30.000 von rund 125.000 Klagen, die bisher noch nicht Teil einer Vergleichslösung sind, will der Konzern nach wie vor „gütlich beilegen“. Gleichwohl kündigte er eine härtere Gangart bei den Verhandlungen mit den AnwältInnen an: „Allerdings behält sich das Unternehmen vor, regelmäßig zu prüfen, ob dieser Ansatz noch im besten Interesse des Unternehmens ist.“ Zum Umgang mit den zukünftigen Klagen – dem eigentlich Knackpunkt – äußerte BAYER sich nur vage. „Das Unternehmen wird andere Lösungen für potenzielle künftige Klagen zu ROUND UP prüfen“, heißt es.
Bei denjenigen Klagen, die schon zu Gericht gingen und in Prozesse mündeten, beabsichtigt der Global Player hart zu bleiben. „Die Berufungsverfahren in den beiden Fällen Hardeman und Pilliod werden weiter betrieben“, hält er fest. Der Konzern hofft nämlich darauf, auf diesem Wege ein Grundsatz-Urteil des U.S. Supreme Courts zu seinen Gunsten erwirken zu können, das neue Glyphosat-Geschädigte davon abhält, den Rechtsweg zu bestreiten.
Dabei setzt der Leverkusener Multi vor allem auf die US-amerikanische Umweltbehörde EPA. Von Trump auf Linie gebracht, hält diese das Herbizid nämlich im Gegensatz zur Weltgesundheitsorganisation WHO nicht für „wahrscheinlich krebserregend“ und schritt ein, als der Staat Kalifornien die Produzenten zu entsprechenden Warn-Hinweisen verdonnern wollte. Die EPA diente sich bei der Causa „Hardeman“ sogar als Entlastungszeuge für BAYER an. Gemeinsam mit dem Justizministerium nutzte sie das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht, das es Unbeteiligten gestattet, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, erklärten die staatlichen Stellen ummissverständlich.
Wenn die Umweltbehörde der USA nichts an Glyphosat findet, dann darf es die Justiz des Landes auch nicht – dieser Argumentation will die Aktien-Gesellschaft endlich Geltung verschaffen. Sie steht nämlich nach wie vor in Treue fest zu ihrem Produkt. Es blicke auf eine lange, 40-jährige Geschichte der Bewertung durch Zulassungsbehörden zurück, die in den Gerichtssälen bislang keine Rolle gespielt habe, aber überall sonst in der Welt sehr präsent sei, so BAYERs oberster Prozess-Beauftragter Bill Dodero in der Investoren-Konferenz. „Dass ein Hersteller, der sich an die Wissenschaft hält und alle Vorschriften befolgt hat, haftbar gemacht wird“, findet er schlichtweg skandalös.
Zur Abwendung dieses Schicksals bedient das Unternehmen sich aller möglichen juristischen Winkelzüge. So gab es ein eigentliches schon gewonnenes Glyphosat-Verfahren im Nachhinein verloren und zahlte dem Prozess-Gegner 100.000 Dollar, um Berufung einzulegen und die juristische Auseinandersetzung so weiter durch die Instanzen bis hin zum Supreme Court treiben zu können. „Was den Obersten Gerichtshof betrifft, so ist er sicherlich ein wichtiger Teil des Plans“, spricht Dodero Klartext.
Mit diesem Vorstoß hat der Leverkusener Multi der unendlichen Glyphosat-Geschichte nun ein neues Kapitel zugefügt, von dem er denkt, dass es das letzte sei: „BAYER ist überzeugt dass dieser neue Fünf-Punkte-Plan aus rechtlichen und kommerziellen Maßnahmen ein guter Weg ist, um die Risiken durch mögliche künftige Rechtsstreitigkeiten zu ROUNDUP zu minimieren.“

Viel Kritik
Diese Einschätzung teilten die Kommenta-tor-Innen allerdings nicht. „Einen Ausdruck von Hilflosigkeit“ nannte die Rheinische Post den Fünf-Punkte-Plan. Für den Kölner Stadtanzeiger hielt er „mehr Fragen als Antworten“ bereit, während die Süddeutsche Zeitung ihn als einen „Affront gegen den Richter, aber auch gegen das gesamte US-Rechtssystem“ bezeichnete. Mit Verweis auf den nach der Vorstellung des neuen Ansatzes um zeitweilig 5,4 Prozent eingebrochenen Aktien-Kurs konstatierte das Münchner Blatt: „Was die Investoren davon halten, zeigten sie Baumann deutlich: nichts“. Der FAZ zufolge ist BAYER nun „zurück auf Los“ und „weit entfernt davon, einen Schlussstrich unter den seit Jahren andauernden Rechtsstreit in Amerika zu ziehen“. Die Börsen-Zeitung diagnostizierte derweil einen „Kontrollverlust“ und sah eine zweite Klagewelle auf den Konzern zukommen. Auch beschworen nicht wenige BeobachterInnen die Gefahr der Aufspaltung herauf, da Hedge Fonds den verminderten Börsen-Wert als Chance nutzen könnten, um zuzuschlagen.
Viele Publikationen stellten deshalb die Position Werner Baumanns als Vorstandsvorsitzender in Frage. Business Insider präsentierte mit Heiko Schipper, der beim Unternehmen momentan der „Consumer Health“-Sparte vorsteht, sogar schon einen Nachfolger. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert ebenfalls Baumanns Rücktritt. Ihre Vorschläge zur Lösung der gegenwärtigen Probleme des Konzerns gehen jedoch weit über diese Personalie hinaus. „Glyphosat muss endlich vom Markt. Die Opfer müssen schnellstens entschädigt werden! Die Verantwortlichen müssen endlich vor Gericht gestellt und zur Verantwortung gezogen werden ( ...) Der Konzern muss endlich unter demokratische Kontrolle gestellt werden“, hieß es in ihrer Presseerklärung.

[Fehlurteil] Presse-Information CBG vom 25.06.2021

CBG Redaktion

Verhütungsmittel-Geschädigte verliert Prozess

Fatales Fehlurteil

Am heutigen Freitag hat das Oberlandesgericht Karlsruhe die Klage der Arznei-Geschädigten Felicitas Rohrer gegen BAYER abgewiesen. Die 37 Jahre alte Frau forderte vom Leverkusener Multi Schadensersatz, weil sie nach der Einnahme des Verhütungsmittels YASMINELLE eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand erlitten hatte. Obwohl diese „Nebenwirkung“ des Medikaments seit Langem bekannt ist, sprach das Gericht den Global Player frei.

„Das ist ein Skandal-Urteil. In den USA haben bisher schon 12.000 Leidensgenossinnen von Felicitas Rohrer Recht bekommen und insgesamt zwei Milliarden Dollar Schmerzensgeld von BAYER erhalten. Hierzulande aber kuscht die Justiz vor der Macht der Konzerne“, konstatiert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

Das Mittel YASMINELLE mit dem Wirkstoff Drospirenon gehört zu den Kontrazeptiva der vierten Generation. Während es bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen, welche diese Pharmazeutika oder diejenigen der 3. Generation gebrauchen, zu Blutgerinnseln kommt, ist das nur bei 5 bis 7 von 10.000 derjenigen Frauen der Fall, die Pillen mit den älteren Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nutzen. Auf Anordnung des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) müssen BAYER und die anderen Hersteller deshalb bereits seit 2009 vor dieser besonderen Gesundheitsgefährdung warnen.

Frankreich ging noch einen Schritt weiter. Dort wies die Politik die Krankenkassen an, die Kosten für Verhütungsmittel der 3. und 4. Generation nicht länger zu erstatten. „Ein solcher Schritt ist in Deutschland überfällig. So könnten jährlich bis zu 1.700 Thrombosen verhindert werden“, hält Stelzmann fest.

So aber greift hierzulande noch über die Hälfte aller Frauen, die mit Hormon-Präparaten verhüten, zu Pillen der 3. oder 4. Generation, was den Herstellern Riesen-Profite einbringt. Im Geschäftsjahr 2020 machte BAYER mit den Drospirenon-Präparaten YAZ, YASMIN und YASMINELLE einen Umsatz von 670 Millionen Euro.

Pressekontakt:
Marius Stelzmann 0211/33 39 11

[Dicamba] Presse-Information CBG vom 10.06.2021

CBG Redaktion

Nach Millionen-Schäden durch das BAYER-Pestizid für US-Landwirtinnen:

Neue Dicamba-Klagen in den USA

In den USA sehen sich BAYER und BASF mit neuen Klagen wegen der Risiken und Nebenwirkungen des Pestizids Dicamba konfrontiert, das die beiden Konzerne hauptsächlich in Kombination mit gentechnisch gegen die Substanz immunisierten Gewächsen anbieten. Der Wind treibt das Herbizid nämlich zu Ackerfrüchten hin, die dem Stoff nichts entgegenzusetzen haben und deshalb eingehen. 57 Wein-Anbauerinnen und vier WeiterverarbeiterInnen machen wegen dieser Abdrift auf einer Fläche von 1.200 Hektar Schädigungen an Weinreben geltend und fordern eine Kompensation in Höhe von 114 Millionen Dollar plus 228 Millionen Dollar Strafe. Zudem zog ein Imker vor Gericht, weil die chemische Keule seine Bienenvölker dezimierte und der Pflanzen-Kahlschlag den Tieren Pollen und Nektar nahm, sodass die Honig-Produktion einbrach.

Zwei weitere Prozesse in Sachen „Dicamba“ laufen bereits seit Längerem. Darüber hinaus schloss der Leverkusener Multi im Juni 2020 mit rund 170 KlägerInnen einen Vergleich, der ihn zu einer Zahlung von 400 Millionen Dollar verpflichtete. Trotzdem lässt das Unternehmen auf das Ackergift nichts kommen. „BAYER ist von der Sicherheit und dem Nutzen des Herbizids XTENDIMAX überzeugt. Wir werden diese Technologie auch weiterhin verteidigen“, ließ der Gen-Gigant verlauten.

Unterdessen stellte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA das Ergebnis einer internen Revision vor und räumte schwere Mängel bei der Dicamba-Zulassung im Jahr 2018 ein. Donald Trumps hatte der Behörde gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine neue Führungsspitze verpasst, die sich offenbar massiv in den Prüfungsprozess einschaltete. „In unseren Interviews nannten die Wissenschaftler der Pestizid-Abteilung Beispiele dafür, dass wissenschaftliche Analysen geändert wurden, um die politischen Entscheidungen leitender Beamter zu unterstützen“, heißt es in dem Bericht. So fehlten dann in den Abschluss-Dokumenten plötzlich Passagen über das Gefährdungspotenzial von Dicamba. Auch erhielten die ExpertInnen die Anweisung, sich bei der Sichtung der Unterlagen ausschließlich auf Daten der Hersteller zu stützen. „Die Wissenschaft selber können wir nicht ändern, aber unsere Politik basiert nicht immer auf deren Ergebnissen“, zitiert der Report einen frustrierten EPA-Beschäftigten. Der niederschmetternde Befund veranlasst die AutorInnen der Untersuchung, eine Reihe von Reformen zur Wahrung der Unabhängigkeit der Einrichtung anzumahnen.

„Dicamba ist genauso wenig sicher wie Glyphosat und deshalb auf dem besten Wege, eine vergleichbare juristische Karriere hinzulegen. Der BAYER-Konzern muss endlich Sicherheit vor Profit stellen und ungefährlichere Agro-Chemikalien herstellen, wenn er schon nicht mehr in biologische Produkte investieren will“, fordert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren abschließend.

Pressekontakt:
Marius Stelzmann 0211/33 39 11

[Ausstieg] Presse-Information CBG vom 27.05.21

CBG Redaktion

BAYER steigt aus den Vergleichsverhandlungen in Sachen „Entschädigungen“ aus

Aus dem Problem wird für BAYER endgültig ein Desaster

Am gestrigen Mittwoch stieg der BAYER-Konzern aus den Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der rund 125.000 Glyphosat-Geschädigten aus. Zuvor hatte der zuständige Richter Vince Chhabria auch den zweiten Vorschlag des Unternehmens zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten abgelehnt. Knackpunkt war der Umgang mit den zukünftigen Schadensersatzansprüchen. Der Leverkusener Multi hatte sich hier an der Quadratur des Kreises versucht. Er wollte das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Mittel unbeschränkt weiter vermarkten, aber weitere Klagen nur noch in beschränktem Maße zulassen. Ein mit zwei Milliarden Dollar ausgestatteter Topf mit einer Laufzeit von vier Jahren sollte es richten. Das mochte Chhabria aber nicht akzeptieren. Er schlug stattdessen vor, auf den Glyphosat-Packungen deutlicher vor den möglichen Krebsgefahren zu warnen, um so das Prozess-Risiko zu minimieren, und das auf diese Weise eingesparte Geld den bisherigen PatientInnen zur Verfügung zu stellen.

Offenbar zu viel für BAYER. Stattdessen fügt sich der Agro-Riese jetzt ins Unvermeidliche. Er kündigte an, den Rückzug von Glyphosat aus dem Markt für PrivatkundInnen zu erwägen, von denen die meisten Klagen stammten. Einsicht ist damit jedoch nicht verbunden; der Global Player hält weiter in Treue fest zu dem Produkt. „Entscheidend ist, dass sowohl die Wissenschaft als auch die Schlussfolgerungen von sämtlichen Regulierungsbehörden weltweit die Sicherheit von Glyphosat-basierten Herbiziden weiter bestätigen“, verlautete aus der Unternehmenszentrale.

Auf dieser Basis beabsichtigt der Konzern jetzt, weiter vor den Gerichten sein Glück zu suchen. Er bekräftigte nochmals den Willen, die anhängigen Berufungsverfahren weiterzutreiben, denn das kann ihm zufolge „dazu beitragen, künftige Haftungsrisiken zu minimieren“. Hier setzt BAYER vor allem auf Rechtshilfe von Seiten der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA. Von Trump auf Linie gebracht, hatte diese sich nämlich eindeutig zu Glyphosat bekannt und sich auch schon in die Entschädigungsprozesse eingemischt. Darum will die Aktien-Gesellschaft den Fall „Glyphosat“ jetzt vor den Obersten Gerichtshof der USA, den Supreme Court, bringen und dort ein Grundsatz-Urteil zu ihren Gunsten erwirken. Um dahin zu gelangen, musste der Multi allerdings zu einem perfiden Trick greifen. Er gab einen schon gewonnenen Prozess im Nachhinein verloren und zahlte dem Unterlegenen John Carson 100.000 Dollar, damit dieser in Berufung geht und der juristischen Auseinandersetzung so den weiteren Instanzen-Weg eröffnet.

Niemand außer BAYER weiß, wieviel Prozesse in den USA und in anderen Ländern seit 2018 anhängig sind. Die Medien sprechen von mind. 125.000. Keiner der teilweise schwerkranken und/oder hochbetagten KlägerInnen erhielt bisher auch nur einen Dollar Entschädigung. Viele sind bereits gestorben, weil der Konzern die Verfahren verschleppte und dies nun auch weiterhin versucht. „Das ist ein Verbrechen!“, stellt Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren fest und fordert: „Glyphosat muss endlich vom Markt! Die Opfer müssen schnellstens entschädigt werden! Die Verantwortlichen müssen endlich vor Gericht gestellt und zur Verantwortung gezogen werden. Der Vorstandsvorsitzende von BAYER, Werner Baumann, muss entlassen werden. Der Konzern muss endlich unter demokratische Kontrolle gestellt werden.“

Pressekontakt:

Marius Stelzman 0211/33 39 11

[Vergleich] Presse-Information CBG vom 20.05.2021

CBG Redaktion

Auch BAYERs zweiter Vergleichsvorschlag fällt durch

Glyphosat-Einigung in weiter Ferne

Bei der gestrigen Anhörung in San Francisco stieß auch BAYERs zweiter Vorschlag zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten mit Glyphosat-Geschädigten auf massive Kritik. Vor allem der Umgang mit zukünftigen Schadensersatz-Ansprüchen überzeugte den zuständigen Richter Vince Chhabria nicht. So reichte ihm die auf vier Jahre begrenzte Laufzeit des zwei Milliarden Dollar schweren Fonds nicht, den der Konzern hierfür vorsieht. Angesichts der Fülle von Jahren, die zwischen einer Glyphosat-Exposition und dem Ausbruch einer Krebserkrankung liegen kann, sei das nicht genug, so der Jurist. Er versetzte sich in die Lage eines Betroffenen, der erst lange nach dem Gebrauch des Herbizids Symptome herausbildet, und resümierte: „Es gibt keinen Grund für mich anzunehmen, dass dieser Vergleich für mich dann eine Entschädigung bereithielte.“

Zudem falle es dem Gericht schwer, zu beurteilen, ob die Summe angemessen ist, da BAYER keine Angaben über die Höhe der Zahlungen bei den bisher getroffenen außergerichtlichen Einigungen mache und überdies die Zahl der Anspruchsberechtigten nicht abzuschätzen sei, erklärte Chhabria. Darüber hinaus störte er sich daran, dass der Vergleich zwar eine Ausstiegsklausel hat und den Rechtsweg für die Geschädigten offenhält, ihnen aber gleichwohl den Zugang zu Verfahren verbaut, an deren Ende die für das Unternehmen besonders kostspieligen „punitive damages“ lauern.

Vince Chhabria schlug dem Leverkusener Multi als Alternativ-Lösung vor, das Risiko künftiger Klagen zu minimieren, indem er auf den Glyphosat-Packungen deutlicher vor möglichen Krebsgefahren warnt und das so eingesparte Geld den bisherigen PatientInnen zugutekommen lässt.

Die AnwältInnen, mit denen der Agro-Riese den Deal ausgehandelt hatte, zeigten sich da jedoch skeptisch. Sie stellten die Vereinbarung stattdessen als „sicheren Hafen“ für die Glyphosat-Geschädigten dar, der sie vor den Unwägbarkeiten gerichtlicher Entscheidungen schütze. Bisher hat der Global Player allerdings alle großen Entschädigungsverfahren verloren. Darum griff er jetzt zu einem besonders perfiden Trick. Die Aktien-Gesellschaft gab einen der wenigen gewonnenen Prozesse im Nachhinein verloren und veranlasste den eigentlich Unterlegenen mit mehr als nur ein paar Dollar dazu, in Berufung zu gehen. Auf diese Art erhofft sich der Konzern, vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten ein Grundsatz-Urteil zu seinen Gunsten zu erstreiten, das dann – so der Plan – neue Glyphosat-Geschädigte abschreckt, rechtliche Schritte einzuleiten. Und seine Wirkung entfaltet das schon jetzt, wie bei der Anhörung spürbar war. Es verunsichert die KlägerInnen nämlich und erhöht so den Druck, in den Vergleich einzuwilligen.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) sieht für den Gen-Giganten jedoch bloß eine Möglichkeit, das Ende der Klage-Welle einzuläuten: das Ende von Glyphosat einzuläuten! So lange das Mittel auf dem Markt bleibt, wird es auch Geschädigte und somit auch Prozesse geben. „Darum muss BAYER die Vermarktung von Glyphosat endlich stoppen“, fordert CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann.

Pressekontakt:
Marius Stelzman 0211/33 39 11

[Kokafelder] Presse-Information CBG vom 19.05.2021

CBG Redaktion

Kolumbianische Regierung will Koka-Felder mit Glyphosat zerstören

Desaströser Plan

Die kolumbianische Regierung des rechtskonservativen Präsidenten Iván Duque plant, Koka-Pflanzungen durch großflächige Sprüheinsätze mit Glyphosat zu vernichten. Sie knüpft damit wieder an die Strategie des „Plan Colombia“ an, von der sich Duques Amtsvorgänger Juan Manuel Santos im Jahr 2015 abgewendet hatte. Nach der Entscheidung der Weltgesundheitsorganisation, das Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend“ einzustufen, stoppte Santos die Flüge; auf Druck der USA ließ er später lediglich das Verspritzen von Glyphosat per Drohne zu. „Duque setzt beim schwächsten Glied der Drogen-Wertschöpfungskette – den Koka-Bauern und -bäuerinnen – an und nimmt dabei eine mögliche Schädigung von deren Gesundheit rücksichtslos in Kauf. Überdies gefährdet dieser „War on Drugs“ mit Glyphosat als Chemie-Waffe auch Tiere und Pflanzen und produziert darüber hinaus gesellschaftliche Verwerfungen“, kritisiert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

Das Besprühen von Koka-Feldern aus der Luft mit Glyphosat begann im Jahr 2000. Zu einer nachhaltigen Reduzierung der Anbau-Flächen hat es nicht geführt, dafür aber zu großen Belastungen für Mensch, Tier und Umwelt. So nehmen nach einer Untersuchung der „Universidad de los Andes“ in den betroffenen Regionen die gesundheitlichen Probleme zu. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Exposition gegenüber dem Herbizid, das bei Sprühkampagnen aus der Luft verwendet wird, die Anzahl der Arztbesuche im Zusammenhang mit dermatologischen und atemwegsbedingten Erkrankungen sowie die Anzahl der Fehlgeburten erhöht“, resümieren die WissenschaftlerInnen.

Darüber hinaus starben Rinder, Hühner und Fische durch das Mittel. Zudem zerstört es als Breitband-Herbizid neben Koka-Pflanzen auch andere Kulturen. Nicht nur Koka-Bauern und -Bäuerinnen verloren so ihre Existenz-Grundlage und waren gezwungen, in andere Gegenden zu ziehen. Oftmals siedeln sie sich in Urwald-Arealen an und schaffen sich durch Abholzungen neuen Ackergrund, was die Biodiversität bedroht.

Damit nicht genug, hintertreibt der Beschluss das Friedensabkommen weiter, das die Regierung Santos 2016 mit den FARC-RebellInnen geschlossen hatte. Dieser Vertrag wollte mit dem Bürgerkrieg auch der immensen Kokain-Produktion, die als dessen Finanzierungsmodell diente, ein Ende setzen. Dazu sah die Übereinkunft unter anderem vor, die LandwirtInnen durch staatliche Hilfsmaßnahmen aus der Drogen-Ökonomie zu lösen. Die Progamme laufen allerdings nur zögerlich an, und die angekündigte Wiederaufnahme der Glyphosat-Sprühungen droht die Bauern und Bäuerinnen nun noch mehr in die Hände derer zu treiben, die das von der FARC hinterlassene Vakuum im Geschäft mit der Droge mittlerweile füllen wie etwa mexikanische Kartelle.

Aus all diesen Gründen erhebt sich in Kolumbien ein breiter Protest gegen die Glyphosat-Sprühungen, der sich nicht zuletzt bei den in dem Land zurzeit stattfindenden Demonstrationen und Streiks Ausdruck verschafft. So zählt der Verzicht auf das Vorhaben dann auch zu den Forderungen des Streik-Komitees. Ende April fand überdies eine Sitzblockade vor dem Verfassungsgericht in Bogotá statt, bei der LandwirtInnen den JuristInnen eine von 20.000 Menschen unterzeichnete Petition gegen den Pestizid-Einsatz überreichten. Daneben versuchen GegnerInnen des Projektes, die Unterstützung der US-amerikanischen Regierung zu gewinnen. 150 ExpertInnen verfassten in der Sache einen Offenen Brief an Joe Biden, und kolumbianische PolitikerInnen wandten sich an den US-Kongress. „Um die Koka-Plantagen in Kolumbien zu zerstören, braucht es mehr soziale Investitionen und keine chemische Kriegsführung“, konstatierten sie in ihrem Schreiben.

„Der BAYER-Konzern muss sich gerade vor Gericht für die chemische Kriegsführung seiner nunmehrigen Tochter-Gesellschaft MONSANTO in Vietnam verantworten. Er sollte jetzt in Kolumbien keine neue Front eröffnen und deshalb kein Glyphosat an die Regierung Duque liefern“, so Stelzmann.

Die Bundesregierung muss Duque nach Ansicht der CBG im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit dazu auffordern, auf das Ausbringen von Glyphosat zu verzichten. Es widerspricht nämlich dem Ansatz der Kooperation mit dem Land, wie ihn Berlin unter der Überschrift „Das Friedensabkommen mit Leben erfüllen“ formuliert hat. Zudem verletzt es die Grundsätze der mit Kolumbien geschlossenen „Allianz für Frieden und nachhaltige Entwicklung“, in dessen Rahmen der lateinamerikanische Staat Gelder in Höhe von 535 Millionen Euro erhält. Und auch die EU sollte die finanzielle Unterstützung, die sie zur Umsetzung des Friedensabkommens leistet, überprüfen, denn laut Vertragstext ist die freiwillige Substition der Koka-Pflanzen durch andere Gewächse „ein wesentlicher Faktor zur Erreichung der Ziele“.

Pressekontakt:
Jan Pehrke 0211/30 58 49

[Yasminelle] Presse-Information CBG vom 04.05.2021

CBG Redaktion

Verhütungsmittel-Prozess geht weiter

BAYERs YASMINELLE auf der Anklagebank

Am heutigen Dienstag findet der Schadensersatz-Prozess der Arznei-Geschädigten Felicitas Rohrer gegen den BAYER-Konzern vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe seine Fortsetzung. Die 36 Jahre alte Frau hatte das Verhütungsmittel YASMINELLE mit dem Wirkstoff Drospirenon eingenommen und im Juli 2009 eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand davongetragen. Nur durch eine Notoperation gelang es den ÄrztInnen damals, ihr Leben zu retten.

„Medikamente mit höherem Thrombose-Risiko, ohne einen Zusatznutzen, gehören nach wie vor nicht auf den Markt, und ich kämpfe weiterhin dafür, dass BAYER Verantwortung für meine erlittenen irreparablen Schäden übernimmt“, erklärte Rohrer gegenüber dem Südkurier.

YASMINELLE gehört zu den Kontrazeptiva der vierten Generation. Während es bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen, welche diese Pharmazeutika anwenden, zu Blutgerinnseln kommt, ist das nur bei 5 bis 7 von 10.000 derjenigen Frauen der Fall, die Pillen mit den Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nutzen. Auf Anordnung des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) müssen BAYER und die anderen Hersteller deshalb bereits seit 2009 vor dieser besonderen Gesundheitsgefährdung warnen. In den USA zogen 12.000 Betroffene darüber hinaus mit Erfolg vor Gericht und erstritten Schadensersatz-Zahlungen in Höhe von rund zwei Milliarden Dollar.

„Die Faktenlage ist eindeutig. 19 Todesfälle gehen allein in der Bundesrepublik auf YASMINELLE & Co. zurück. Auch in Deutschland sollte es die Justiz endlich einmal wagen, gegen Konzerne vorzugehen, die aus reiner Profit-Gier die Gesundheit von Menschen aufs Spiel setzen“, so Marius Stelzmann von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG).

BAYER steht hingegen weiter in Treue fest zu YASMINELLE & Co. Das Unternehmen spricht von „schweren, aber seltenen Nebenwirkungen“ und attestiert seinen Drospirenon-Präparaten YAZ, YASMIN und YASMINELLE „ein positives Nutzen/Risiko-Profil“. Im Geschäftsjahr 2020 betrug der Umsatz mit diesen Produkten 670 Millionen Euro.

Pressekontakt:
Jan Pehrke 0211/30 58 49

Betroffene sprechen

CBG Redaktion
Wir haben diejenigen zu Wort kommen lassen, die in BAYERs Bilanzen nicht auftauchen: Die Betroffenen der Konzernverbrechen. Im folgenden findet ihr ihre Statements.

Betroffene in Lateinamerika

Alan Tygel (Campanha Contra os Agrotóxicos e Pela Vida)

https://youtube.com/watch?v=T5VazbolY4w https://youtube.com/watch?v=JX2G0IP_Fso

Elsa

https://youtube.com/watch?v=LiHooGE8oEU

Adriana

https://youtube.com/watch?v=-WVz2hlQvjI

Annabelle Pomar

https://youtube.com/watch?v=TM-4IsoMi5s

Unbekannt

https://youtube.com/watch?v=WpjlkfyppgQ

Patricia

https://youtube.com/watch?v=mizZGq2M_48

Inis Franciskelli

https://youtube.com/watch?v=PxKxoL7XKrM

Unbekannt

https://youtube.com/watch?v=ThprXR9uMzE

Unbekannt

https://youtube.com/watch?v=gSRvnSdKCFY

Leo Moreno

https://youtube.com/watch?v=QdwH6lV93Xk

Adriana

https://youtube.com/watch?v=QM_b7EnFuOg

Betroffene von Agent Orange

Dr. Thi Ngoc Phuong Nguyen

https://youtube.com/watch?v=KKw9kbOn3lc

Barry Romo

https://youtube.com/watch?v=DbgXg0ZmlDg

Hong Nhut Dang

https://youtube.com/watch?v=iFQdfRDROQc

Frau Le

https://youtube.com/watch?v=w4adja2o8h4

Thi Hoang Tran

https://youtube.com/watch?v=TRNh6kLaWv8

Thi Phuong Nguyen

https://youtube.com/watch?v=otoh2l4nyQA

Bündnispartner*innen

CBG Redaktion
Die CBG ist nur so stark wie die Aktivist*innen und Bündnispartner*innen mit denen sie zusammenarbeitet. Einige haben uns bei unserer Gegen-HV 2021 mit Reden unterstützt.

Bernward Geier

https://youtube.com/watch?v=SRqwPX3RsqQ

Andre Sommer

https://youtube.com/watch?v=QzDuYGDBlYg

March against BAYER & Syngenta

https://youtube.com/watch?v=KFEY2dW9xCU

Susan Tabbach

https://youtube.com/watch?v=G4ipj5mRHuo

Tú Qùynh nhu Nguyễn (Collectif Vietnam Dioxine)

https://youtube.com/watch?v=O4Mqu6e9EMc

Wiebke Beushausen

https://youtube.com/watch?v=7cqzsrVykx0

Peter Clausing (PAN)

[Bilanz] Presse-Information CBG vom 27.04.21

CBG Redaktion

CBG belastet Vorstand und Aufsichtsrat
BAYERs desaströse Bilanz

BAYER legt zur heutigen Hauptversammlung eine desaströse Bilanz vor. Die gnadenlose Profit-Jagd ohne Rücksicht auf Verluste wirkt sich erstmals auch auf die Geschäftszahlen aus. Die vielen Rechtsfälle, die aus Klagen von Geschädigten seiner Produkte erwachsen, zwingen das Unternehmen zu „Sonderaufwendungen“ in Höhe von 13 Milliarden Euro. Das führt beim Konzern-Ergebnis zu einem saftigen Minus von fast drei Milliarden Euro.

Ein Großteil der Rückstellungen wegen „rechtlicher Risiken“ muss der Global Player in Sachen „Glyphosat“ vornehmen. Aber die „Rechtskomplexe“ betreffen längst nicht nur dieses von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid, sondern auch das Pestizid Dicamba, die Industrie-Chemikalie PCB und die Sterilisationssspirale ESSURE.

Trotzdem hält das Unternehmen an seiner erbarmungslosen Rendite-Strategie fest. Es „stehen aggressives Wachstum, Ertrags- und Wertsteigerung im Vordergrund der Aktivitäten“, betont Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann in seiner vorab veröffentlichten Hauptversammlungsrede.

Und genau aus diesem Grund hat es BAYER immer noch nicht geschafft, die juristischen Auseinandersetzungen mit den rund 125.000 US-amerikanischen Glyphosat-Geschädigten zu beenden. Hier vermochte der Agro-Riese „noch keine finale Regelung erreichen“, wie der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in seinen Ausführungen zum AktionärInnen-Treffen konstatiert. Der Global Player versucht sich nämlich an der Quadratur des Kreises. Er will mit dem Mittel weiter gutes Geld verdienen, aber nicht weiter für die gesundheitlichen Folgen einstehen, die das unweigerlich mit sich bringt. Stattdessen strebt er danach, sich Klagen von zukünftigen Krebs-Kranken so gut es geht vom Leib halten. Darum ziehen sich die Vergleichsverhandlungen nun schon bald zwei Jahre hin, während immer mehr Betroffene sterben, ohne auch nur einen Cent erhalten zu haben.

Zunächst wollte der Konzern für den Umgang mit künftigen Schadensersatz-Ansprüchen eine extra-legale Lösung finden und die Entscheidung über etwaige Zahlungen einem wissenschaftlichen Gremium überantworten. Das lehnte der zuständige Richter jedoch ab. Aus diesem Grund dachten sich die WinkeladvokatInnen der Aktien-Gesellschaft ein neues Manöver aus. Sie geben ein eigentliches schon gewonnenes Glyphosat-Verfahren im Nachhinein verloren, um vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten ein Grundsatz-Urteil zu BAYERs Gunsten zu erstreiten, das dann – so der Plan – neue Glyphosat-Geschädigte abschreckt, rechtliche Schritte einzuleiten. Dazu bewogen die JuristInnen den Prozess-Unterlegenden mit viel Geld zu einer Berufungsklage.

„Abgeschmackter geht es kaum. BAYER wird auf der heutigen Hauptversammlung für diese Praxis Rede und Antwort stehen müssen. Und nicht nur für diese“, kündigt Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) an.

Die Coordination hat zum Geschäftsgebaren des Unternehmens weit über 100 Fragen, elf Video-Statements, sieben Gegenanträge und vier schriftliche Stellungnahmen von CBGlerInnen, AktivistInnen, Geschädigten und Initiativen eingereicht. Zudem protestiert die CBG ab 9.30 Uhr vor Ort in Leverkusen und startet zur selben Zeit ihren Live-Stream, der die BAYER-Hauptversammlung den ganzen Tag über kritisch begleitet.

Pressekontakt:
Jan Pehrke 0211/33 39 11

[Pressemitteilung vom 23.04.2021] Pressemitteilung des Dachverbandes der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre und der CBG vom 23.04.2021

CBG Redaktion

Informationen zu Aktionen & Protesten am Ende der eMail

alle Infos unter
CBGnetwork.org/HV

Zivilgesellschaftliches Bündnis kritisiert Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Bayer auf Aktionärsversammlung

•Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern Rederecht und direkten Austausch, um Kritik am Konzern zu äußern

•Hauptversammlung droht zur reinen Werbeveranstaltung zu verkommen

•Vielfältige Protestaktionen als Gegenprogramm angekündigt

Leverkusen/Köln. Kurz vor der Bayer-Hauptversammlung am 27. April 2021 kritisiert ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen die Einschränkung der freien Meinungsäußerung durch den Konzern. In diesem Jahr will die Bayer AG erstmalig den direkten Austausch mit seinen AktionärInnen unterbinden. Das Unternehmen nutzt das pandemiebedingt virtuelle Format der Aktionärsversammlung, um sich unliebsamer Kritik zu entledigen. In einer heute veröffentlichten Erklärung fordert das Protest-Bündnis, dass die VertreterInnen der Opfer der Bayer-Geschäftspraktiken wie in den Vorjahren ein Rederecht erhalten. Bayer muss am Dienstag insbesondere Stellung zu den Skandalen rund um Monsanto und den Doppelstandards bei Pestizidexporten beziehen.
„Bayer nutzt die Pandemie, um sich unliebsamer Kritik zu entledigen“, so Marius Stelzmann, Geschäftsführer der Coordination gegen BAYER-Gefahren. „Dies ist undemokratisch und verhöhnt die Anliegen von Klein-AktionärInnen und Geschädigten der Konzernpolitik“, so Stelzmann.

„Eine Hauptversammlung lebt davon, dass der Vorstand sich mit den Argumenten von KritikerInnen auseinandersetzen muss. Ohne direkte Beteiligungsmöglichkeiten droht die Hauptversammlung zu einer bloßen Werbeveranstaltung des Vorstands zu verkommen. Als reine ‚Roadshow‘ wird die Versammlung massiv an Bedeutung verlieren,“ warnt Tilman Massa vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.

Das Bündnis kündigt vielfältige Protestaktionen während der Bayer-Hauptversammlung am 27. April 2021 an – sowohl online als auch bei einer Corona-gerechten Kundgebung vor der virtuellen Hauptversammlung in Leverkusen.
Der Protest-Live-Stream der CBG kann am 27.April von 9.00 bis ca. 17.00 Uhr hier angesehen werden: cbgnetwork.org/HV. Live-Schaltungen zur HV finden um 9.30 Uhr, 12.30 Uhr und 16.00 Uhr statt.

Die Protest-Kundgebung vor der Bayer-Konzernzentrale in Leverkusen findet am 27. April zwischen 9.30 -11.00 Uhr statt.

Pressekontakte:
Marius Stelzmann, Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), Tel. 0211 33 39 11, info@cbgnetwork.org

Tilman Massa, Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre, Telefon: 0221 599 56 47, dachverband@kritischeaktionaere.de

Bündniserklärung:

Keine Entrechtung von Konzernkritik und KleinaktionärInnen!

Bayer schränkt Rechte von Klein-AktionärInnen und KritikerInnen bei digitaler Hauptversammlung massiv ein

Produkte von BAYER/MONSANTO richten weltweit Schaden an. Bis heute gibt es keine Einigung mit den zahlreichen Glyphosat-KlägerInnen in den USA, die eine Anerkennung und eine gerechte Entschädigung für ihr Leid beinhaltet. BAYER verkauft zudem zahlreiche in der EU wegen ihrer gefährlichen Wirkungen verbotene Produkte in Länder des globalen Südens. Außerdem verweigert sich der Konzern der Aufarbeitung seiner giftigen Geschichte: Die Konzerntochter MONSANTO produzierte während des Vietnamkrieges das giftige Entlaubungsmittel Agent Orange.

Ein Bündnis aus NGOs, AktivistInnen, sowie Betroffenen und deren Interessengruppen sorgt seit 1982 dafür, dass die Kehrseite der Konzernpolitik auf der BAYER-Hauptversammlung präsent ist. Sie zeigen die direkten Konsequenzen der Konzernpolitik auf: Für Mensch, Umwelt und, wie der Fall Glyphosat gezeigt hat, auch für die Aktienkurse des Konzerns.
Eine unabhängige Konzernkritik, welche die Stimmen und Interessen von Betroffenen und der Zivilgesellschaft in den Vordergrund stellt, ist aktuell wichtiger denn je.

Dies sieht der BAYER-Vorstand natürlich anders: Mit der Begründung, die sofortige Dividendenausschüttung stünde an erster Stelle, wurde im April 2020 erstmals eine reine Online-Hauptversammlung ohne Präsenzveranstaltung durchgeführt. Der Wechsel auf ein virtuelles Format für die HV sorgte dafür, dass die üblichen Beteiligungsrechte der Bayer-KleinaktionärInnen erheblich beschnitten wurden. BAYER rechtfertigte diesen Schritt mit Verweis auf das Pandemie-Notstandsgesetz. Auf der Hauptversammlung räumte der Konzern auf Anfragen zudem ein, über den Bundesverband der deutschen Industrie, den Verband der chemischen Industrie und das Deutsche Aktieninstitut Einfluss auf das Pandemie-Notstandsgesetz ausgeübt zu haben.

Wir, ein Bündnis aus verschiedenen NGOs, aktivistischen Netzwerken und AktionärInnen-Vertretungen, stellen fest: BAYER verletzt in unzulässiger Weise die Rechte von Klein-AktionärInnen und KritikerInnen der Konzernpolitik. Ein Konzern wie BAYER kann und muss sich auch in einer virtuellen Hauptversammlung der Kritik stellen.

BAYER versucht mit der virtuellen Hauptversammlung offensichtlich einen Präzedenzfall für das weitere Vorgehen von anderen DAX-Konzernen zu schaffen. Auch in der Pandemie verkaufen deutsche Konzerne Kriegsgerät an kriegführende Staaten (Rheinmetall), verfehlen die Klimaschutz-Vorgaben der EU (Volkswagen) oder exportieren in der EU verbotene giftige Pestizide (BASF). Die unterzeichnenden Organisationen befürchten, dass andere Hauptversammlungen dem schlechten Beispiel des Bayer-Konzerns folgen und auf diese Weise Protest- und Kritikmöglichkeiten von Geschädigten dieser anderen Konzerne ebenfalls verdrängt werden könnten.

Hauptversammlungen müssen es den AktionärInnen ermöglichen, dem Vorstand und allen interessierten AktionärInnen Kritikpunkte ausführlich und im Kontext darstellen und begründete Fragen stellen zu können. Für die BAYER-Hauptversammlung bedeutet dies: Ohne die Möglichkeit einer Meinungsbildung und Auseinandersetzung mit den Argumenten und der Präsenz von KritikerInnen, droht die Hauptversammlung auf eine weitere „Roadshow“, einer Werbeveranstaltung des Vorstands, reduziert zu werden und letztendlich an Bedeutung zu verlieren.
BAYER hat, als Reaktion auf den öffentlichen Druck, der im vergangenen Jahr aufgebaut wurde, AktionärInnen nun die Möglichkeit eingeräumt, Stellungnahmen zur Hauptversammlung in Textform oder als Video einzureichen. Ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht nicht: Der Vorstand kann also selbst entscheiden, welche Beiträge zugelassen werden und welche nicht. Diese Möglichkeit der Vorauswahl gab es beim Frage- und Rederecht auf Präsenz-Hauptversammlungen nicht. Selbst zuvor schriftlich eingereichte Gegenanträge können nicht mündlich gestellt und begründet die Begründung mündlich vorgetragen werden, denn Anträge oder Wahlvorschläge in den Stellungnahmen werden nicht berücksichtigt. Auch mit dieser Regelung werden also die Rechte von Klein-AktionärInnen substantiell eingeschränkt.

BAYER versucht sich als verantwortungsvoll und transparent zu positionieren. Doch die geringfügig verbesserten Beteiligungsmöglichkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die AktionärInnenrechte eingeschränkt bleiben. Die Souveränität der AktionärInnen als EigentümerInnen des Konzerns muss auf der Hauptversammlung im Mittelpunkt stehen. Die Pandemie darf nicht zur Rechtfertigung des Vorstandes dienen, Partizipationsmöglichkeiten von AktionärInnen zu beschränken. Schutzkonzepte gegen Corona müssen sich an diesen Maßgaben orientieren.

Wir fordern daher von BAYER:

1.Achtung der Souveränität der AktionärInnen auch unter Pandemie-Bedingungen, bis die Pandemie-Situation eine Präsenz-Hauptversammlung zulässt.

2.Keine Einschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten von Klein-AktionärInnen und KonzernkritikerInnen unter Achtung angemessener Maßnahmen des Infektionsschutzes.

3.Volles, übertragbares Rederecht für AktionärInnen.

Unterzeichnende Organisationen:

Wir haben Agrarindustrie satt!/Kampagne Meine Landwirtschaft
Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.
Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany)
Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre e.V.

--
Aktionen & Proteste
Dienstag, 27. April 2021, ganztägig 9 bis ca. 17 Uhr

Vor der Konzern-Zentrale
(Studio der virtuellen HV)
Di, 27.April um 9.30 Uhr
Kaiser Wilhelm Allee 1b
Leverkusen

Protest-Live-Stream
Di., 27.April, 09.00 bis ca. 17.00 Uhr
mit Live-Slots für die Presse zur HV
um 09.30 Uhr, 12.30 Uhr, 16.00 Uhr

[Erklärung HV] Pressemitteilung vom 23.04.2021

CBG Redaktion

Pressemitteilung des Dachverbandes der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre und der CBG vom 23.04.2021

Informationen zu Aktionen & Protesten am Ende der eMail

alle Infos unter
CBGnetwork.org/HV

Zivilgesellschaftliches Bündnis kritisiert Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Bayer auf Aktionärsversammlung

•Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern Rederecht und direkten Austausch, um Kritik am Konzern zu äußern

•Hauptversammlung droht zur reinen Werbeveranstaltung zu verkommen

•Vielfältige Protestaktionen als Gegenprogramm angekündigt

Leverkusen/Köln. Kurz vor der Bayer-Hauptversammlung am 27. April 2021 kritisiert ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen die Einschränkung der freien Meinungsäußerung durch den Konzern. In diesem Jahr will die Bayer AG den direkten Austausch mit seinen AktionärInnen unterbinden. Das Unternehmen nutzt das pandemiebedingt virtuelle Format der Aktionärsversammlung, um sich unliebsamer Kritik zu entledigen. In einer heute veröffentlichten Erklärung fordert das Protest-Bündnis, dass die VertreterInnen der Opfer der Bayer-Geschäftspraktiken wie in den Vorjahren ein Rederecht erhalten. Bayer muss am Dienstag insbesondere Stellung zu den Skandalen rund um Monsanto und den Doppelstandards bei Pestizidexporten beziehen.
„Bayer nutzt die Pandemie, um sich unliebsamer Kritik zu entledigen“, so Marius Stelzmann, Geschäftsführer der Coordination gegen BAYER-Gefahren. „Dies ist undemokratisch und verhöhnt die Anliegen von Klein-AktionärInnen und Geschädigten der Konzernpolitik“, so Stelzmann.

„Eine Hauptversammlung lebt davon, dass der Vorstand sich mit den Argumenten von KritikerInnen auseinandersetzen muss. Ohne direkte Beteiligungsmöglichkeiten droht die Hauptversammlung zu einer bloßen Werbeveranstaltung des Vorstands zu verkommen. Als reine ‚Roadshow‘ wird die Versammlung massiv an Bedeutung verlieren,“ warnt Tilman Massa vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.

Das Bündnis kündigt vielfältige Protestaktionen während der Bayer-Hauptversammlung am 27. April 2021 an – sowohl online als auch bei einer Corona-gerechten Kundgebung vor der virtuellen Hauptversammlung in Leverkusen.
Der Protest-Live-Stream der CBG kann am 27.April von 9.00 bis ca. 17.00 Uhr hier angesehen werden: cbgnetwork.org/HV. Live-Schaltungen zur HV finden um 9.30 Uhr, 12.30 Uhr und 16.00 Uhr statt.

Die Protest-Kundgebung vor der Bayer-Konzernzentrale in Leverkusen findet am 27. April zwischen 9.30 -11.00 Uhr statt.

Pressekontakte:
Marius Stelzmann, Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), Tel. 0211 33 39 11, info@cbgnetwork.org

Tilman Massa, Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre, Telefon: 0221 599 56 47, dachverband@kritischeaktionaere.de

Bündniserklärung:

Keine Entrechtung von Konzernkritik und KleinaktionärInnen!

Bayer schränkt Rechte von Klein-AktionärInnen und KritikerInnen bei digitaler Hauptversammlung massiv ein

Produkte von BAYER/MONSANTO richten weltweit Schaden an. Bis heute gibt es keine Einigung mit den zahlreichen Glyphosat-KlägerInnen in den USA, die eine Anerkennung und eine gerechte Entschädigung für ihr Leid beinhaltet. BAYER verkauft zudem zahlreiche in der EU wegen ihrer gefährlichen Wirkungen verbotene Produkte in Länder des globalen Südens. Außerdem verweigert sich der Konzern der Aufarbeitung seiner giftigen Geschichte: Die Konzerntochter MONSANTO produzierte während des Vietnamkrieges das giftige Entlaubungsmittel Agent Orange.

Ein Bündnis aus NGOs, AktivistInnen, sowie Betroffenen und deren Interessengruppen sorgt seit 1982 dafür, dass die Kehrseite der Konzernpolitik auf der BAYER-Hauptversammlung präsent ist. Sie zeigen die direkten Konsequenzen der Konzernpolitik auf: Für Mensch, Umwelt und, wie der Fall Glyphosat gezeigt hat, auch für die Aktienkurse des Konzerns.
Eine unabhängige Konzernkritik, welche die Stimmen und Interessen von Betroffenen und der Zivilgesellschaft in den Vordergrund stellt, ist aktuell wichtiger denn je.

Dies sieht der BAYER-Vorstand natürlich anders: Mit der Begründung, die sofortige Dividendenausschüttung stünde an erster Stelle, wurde im April 2020 erstmals eine reine Online-Hauptversammlung ohne Präsenzveranstaltung durchgeführt. Der Wechsel auf ein virtuelles Format für die HV sorgte dafür, dass die üblichen Beteiligungsrechte der Bayer-KleinaktionärInnen erheblich beschnitten wurden. BAYER rechtfertigte diesen Schritt mit Verweis auf das Pandemie-Notstandsgesetz. Auf der Hauptversammlung räumte der Konzern auf Anfragen zudem ein, über den Bundesverband der deutschen Industrie, den Verband der chemischen Industrie und das Deutsche Aktieninstitut Einfluss auf das Pandemie-Notstandsgesetz ausgeübt zu haben.

Wir, ein Bündnis aus verschiedenen NGOs, aktivistischen Netzwerken und AktionärInnen-Vertretungen, stellen fest: BAYER verletzt in unzulässiger Weise die Rechte von Klein-AktionärInnen und KritikerInnen der Konzernpolitik. Ein Konzern wie BAYER kann und muss sich auch in einer virtuellen Hauptversammlung der Kritik stellen.

BAYER versucht mit der virtuellen Hauptversammlung offensichtlich einen Präzedenzfall für das weitere Vorgehen von anderen DAX-Konzernen zu schaffen. Auch in der Pandemie verkaufen deutsche Konzerne Kriegsgerät an kriegführende Staaten (Rheinmetall), verfehlen die Klimaschutz-Vorgaben der EU (Volkswagen) oder exportieren in der EU verbotene giftige Pestizide (BASF). Die unterzeichnenden Organisationen befürchten, dass andere Hauptversammlungen dem schlechten Beispiel des Bayer-Konzerns folgen und auf diese Weise Protest- und Kritikmöglichkeiten von Geschädigten dieser anderen Konzerne ebenfalls verdrängt werden könnten.

Hauptversammlungen müssen es den AktionärInnen ermöglichen, dem Vorstand und allen interessierten AktionärInnen Kritikpunkte ausführlich und im Kontext darstellen und begründete Fragen stellen zu können. Für die BAYER-Hauptversammlung bedeutet dies: Ohne die Möglichkeit einer Meinungsbildung und Auseinandersetzung mit den Argumenten und der Präsenz von KritikerInnen, droht die Hauptversammlung auf eine weitere „Roadshow“, einer Werbeveranstaltung des Vorstands, reduziert zu werden und letztendlich an Bedeutung zu verlieren.
BAYER hat, als Reaktion auf den öffentlichen Druck, der im vergangenen Jahr aufgebaut wurde, AktionärInnen nun die Möglichkeit eingeräumt, Stellungnahmen zur Hauptversammlung in Textform oder als Video einzureichen. Ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht nicht: Der Vorstand kann also selbst entscheiden, welche Beiträge zugelassen werden und welche nicht. Diese Möglichkeit der Vorauswahl gab es beim Frage- und Rederecht auf Präsenz-Hauptversammlungen nicht. Selbst zuvor schriftlich eingereichte Gegenanträge können nicht mündlich gestellt und begründet die Begründung mündlich vorgetragen werden, denn Anträge oder Wahlvorschläge in den Stellungnahmen werden nicht berücksichtigt. Auch mit dieser Regelung werden also die Rechte von Klein-AktionärInnen substantiell eingeschränkt.

BAYER versucht sich als verantwortungsvoll und transparent zu positionieren. Doch die geringfügig verbesserten Beteiligungsmöglichkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die AktionärInnenrechte eingeschränkt bleiben. Die Souveränität der AktionärInnen als EigentümerInnen des Konzerns muss auf der Hauptversammlung im Mittelpunkt stehen. Die Pandemie darf nicht zur Rechtfertigung des Vorstandes dienen, Partizipationsmöglichkeiten von AktionärInnen zu beschränken. Schutzkonzepte gegen Corona müssen sich an diesen Maßgaben orientieren.

Wir fordern daher von BAYER:

1.Achtung der Souveränität der AktionärInnen auch unter Pandemie-Bedingungen, bis die Pandemie-Situation eine Präsenz-Hauptversammlung zulässt.

2.Keine Einschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten von Klein-AktionärInnen und KonzernkritikerInnen unter Achtung angemessener Maßnahmen des Infektionsschutzes.

3.Volles, übertragbares Rederecht für AktionärInnen.

Unterzeichnende Organisationen:

Wir haben Agrarindustrie satt!/Kampagne Meine Landwirtschaft
Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.
Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany)
Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre e.V.

--
Aktionen & Proteste
Dienstag, 27. April 2021, ganztägig 9 bis ca. 17 Uhr

Vor der Konzern-Zentrale
(Studio der virtuellen HV)
Di, 27.April um 9.30 Uhr
Kaiser Wilhelm Allee 1b
Leverkusen

Protest-Live-Stream
Di., 27.April, 09.00 bis ca. 17.00 Uhr
mit Live-Slots für die Presse zur HV
um 09.30 Uhr, 12.30 Uhr, 16.00 Uhr

[Gegenantrag] Presse-Information CBG vom 19.04.2021

CBG Redaktion

CBG reicht Gegenantrag zur Hauptversammlung ein
BAYERs skandalöse Steuerpraxis

Der BAYER-Konzern entzieht den Finanzämtern durch seine kreative Buchführung Milliarden-Beträge. Der Aufsichtsrat unterbindet diese Praxis nicht. Darum fordert die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), dem Gremium die Entlastung zu verweigern und hat zur Hauptversammlung am 27. April einen entsprechenden Gegenantrag eingereicht.

Nach einer neuen Studie der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament sparte der Leverkusener Multi durch seine Steuervermeidungsstrategie von 2010 bis 2019 Abgaben in Höhe von drei Milliarden Euro. Der Untersuchung zufolge liegen 66 seiner 488 Tochter-Gesellschaften in Steuer-Oasen wie Panama, Zypern, Luxemburg, Irland, den Niederlanden oder dem US-Bundesstaat Delaware. Mit Hilfe dieser Dependancen betreibt der Agro-Riese das, was der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann einmal „eine veränderte regionale Ergebnis-Verteilung“ genannt hat.

Diese Umbuchungen nimmt der Global Player auch in Deutschland vor. So zog er im Jahr 2012 seine Patent-Abteilung aus Leverkusen ab und verlegte sie nach Monheim, das sich ihm mit der niedrigsten Gewerbesteuer ganz Nordrhein-Westfalens als gute Adresse für eine Briefkasten-Firma empfohlen hatte. Die Stadtspitze am Stammsitz reagierte empört – und gab sich nach der Devise „If you can’t beat them, join them“ ein paar Jahre später dann doch geschlagen. Anno 2019 ließ sie sich in Kamin-Gesprächen auf einen Deal mit BAYER ein: Der Pillen-Produzent sagte die Rückverlagerung von Teil-Gesellschaften zu und erhielt im Gegenzug Hebe-Sätze auf Monheim-Niveau.

Sven Giegold, der für die NRW-Grünen im Europa-Parlament sitzt und die Steuer-Studie in Auftrag gegeben hatte, kritisiert das Gebaren des Konzerns scharf: „Die BAYER AG ist ein Parade-Beispiel für ruinösen Unterbietungswettbewerb bei der kommunalen Gewerbesteuer. BAYER-Standorte wie Leverkusen oder Monheim sind zu innerdeutschen Steuer-Oasen geworden. Sie setzen damit Städte wie Krefeld und Dormagen, aber auch Düsseldorf und Köln unter Druck, ebenfalls ihre Gewerbesteuer-Sätze zu senken.“

Leverkusen versuchte sogar aktiv, Unternehmen aus dem Umland abzuwerben. In den entsprechenden Briefen hieß es unter anderem: „Wie Sie wissen, ist ein Umzug mit dem ganzen Betrieb nicht erforderlich, um in den Genuss der günstigen Gewerbesteuer zu kommen.“ „Absolut unsolidarisch“ nannte das die nordrhein-westfälische Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, Ina Schnarrenbach (CDU). Eine äußerst scheinheilige Intervention, denn ihr eigenes Ministerium hatte der Stadt in Tateinheit mit der Bezirksregierung den Segen zur Reduzierung der Tarife erteilt. Das Land sieht anders als Brandenburg, wo Gemeinden mit hohen Gewerbesteuer-Einnahmen eine Umlage zahlen müssen, keinerlei Anlass, den ruinösen Konkurrenz-Kampf der Städte und Gemeinden um Industrie-Ansiedlungen zu beenden. „Die Politik der Landesregierung zielt seit ihrer Amtsübernahme im Jahr 2017 vielmehr darauf ab, die Gestaltungspielräume aller Kommunen in Nordrhein-Westfalen wieder deutlich zu vergrößern“, lautete die Antwort von CDU und FDP auf die Kleine Anfrage der SPD: „Wie will die Landesregierung den Gewerbesteuer-Kannibalismus verhindern?“

Die CBG verurteilt aber nicht nur die Strategie des Konzerns, die Städte nach der Devise „Wer bietet weniger?“ vor sich her zu treiben. Weitere Gegenanträge hat sie zu BAYERs desaströser Umweltbilanz, zum Umgang mit den Klagen in Sachen „Glyphosat“ und „Agent Orange“, zu den doppelten Standards bei der Pestizid-Vermarktung, zur Verwendung des Unternehmensgewinns und zum Ansinnen gestellt, dem Aufsichtsrat eine Gehaltserhöhung um schlappe 19 Prozent zu genehmigen. Zudem hat die Coordination selbst zwei KandidatInnen für den Aufsichtsrat nominiert. „BAYERs gnadenlose Jagd nach dem Profit hat auch im Geschäftsjahr 2020 wieder zahllose Opfer gefordert. Deshalb ist Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern“, erklärt CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann.

Pressekontakt:
Marius Stelzmann 0211/33 39 11

[Kampfstoffe] Presse-Information CBG vom 14.04.2021

CBG Redaktion

Chemische Kampfstoffe in Nord- und Ostsee

BAYER muss sich an der Bergung beteiligen!

In Nord- und Ostsee lagern nach Angaben des Umweltbundesamtes 1,6 Millionen Tonnen Munition und mehr als 5.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe. Am kommenden Donnerstag befasst sich der Bundestag auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und FDP mit diesen Hinterlassenschaften aus zwei Weltkriegen. „Der Zustand der Munitionsaltlasten verschlechtert sich seit den 1990er Jahren dramatisch durch die zunehmende Korrosion und die Einflüsse der Gezeiten. Von den Kampfmitteln geht bereits jetzt eine Gefahr für die Sicherheit von Menschen und für die Umwelt aus“, konstatieren die Parteien und fordern: „Munitionsaltlasten in den Meeren bergen und umweltverträglich vernichten“.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) begrüßt diesen Vorstoß, tritt aber dafür ein, das Verursacher-Prinzip greifen zu lassen und die damaligen Hersteller der chemischen Zeitbomben wie etwa BAYER an der Finanzierung des Unterfangens zu beteiligen. „Die Räumungsarbeiten sind laut FDP und Grünen mit immensen Kosten verbunden. Darum ist es nur recht und billig, BAYER als Pionier auf dem Gebiet der chemischen Kampfstoffe mit zur Kasse zu bitten“, erklärt CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann.

Der Leverkusener Multi hat 1914 mit Dianisidin eine der weltweit ersten Chemie-Waffen entwickelt. Bis 1939 folgten weitere Kampfstoffe wie Chlorkohlenoxyd, Blausäure, das Senfgas Lost, Tabun und Sarin. Dabei floss der EntdeckerInnen-Stolz nicht selten in die Produkt-Bezeichnungen ein. Für „Sarin“ etwa wirkten die BAYER-Werker Gerhard Schrader, Otto Ambros und Gerhard Richter gemeinsam mit ihrem Kooperationspartner Hans-Jürgen von der Linde vom Heeresgasschutz-Laboratorium als Namenspatrone. Und selbst nach 1945 forschte der Konzern noch weiter an kriegsverwendungsfähigen Chemikalien.

Als besonders unheilvoll betrachtet das Umweltbundesamt neben bestimmten Arsen-Verbindungen Zäh-Lost, eine Mixtur aus Schwefel-Lost und Verdickungsmitteln. Während sich andere Kampfstoffe im Wasser allmählich zersetzen, behält diese Chemie-Waffe nämlich eine feste Konsistenz und verliert kaum etwas von seiner Wirksamkeit. „Die meisten der bisher bekannten Unfälle mit Kampfstoffen wurden durch Zäh-Lost rund um das Versenkungsgebiet östlich der dänischen Ostsee-Insel Bornholm verursacht, wobei Klumpen von Zäh-Lost in Fischernetze gerieten“, konstatiert die Behörde. Einmal spülte die Flut dort sogar eine komplette, 250 Kilogramm schwere Lost-Bombe an die Küste.

Aber auch von Mitteln, die nicht aus BAYERs Giftküchen stammen, geht eine Bedrohung aus. So stellt beispielsweise weißer Phosphor eine große Gefahr dar. An den Strand geschwemmt, halten ihn TouristInnen wegen seiner Farbe und Form oft für Bernstein und erleiden zum Teil schwere Verbrennungen. Zu den meisten Sterbefällen kommt es jedoch durch die Detonation von See-Minen. Die Gesamtzahl der durch Munitionsaltlasten Umgekommenen bezifferte der Biologe Dr. Stefan Nehring im Jahr 2015 auf 418.

Die aquatischen Lebewesen leiden ebenfalls unter den Kriegswerkzeugen von einst. So haben WissenschaftlerInnen des „Thünen-Instituts für Fischerei-Ökologie“ bei einer Plattfisch-Art in der Kieler Bucht massiv erhöhte Krebs-Raten festgestellt: Ein Viertel des Bestandes hatte Tumore in der Leber. Mittlerweile gibt es in der gesamten Ostsee kaum noch Organismen, in denen sich keine Giftspuren finden. Und das bleibt auch für den Menschen nicht ohne Folgen, denn über die Nahrungskette können die Substanzen in seinen Körper gelangen und dort Krankheiten auslösen.

„Der BAYER-Konzern muss endlich seine Mitverantwortung für diese Katastrophe einräumen und seinen Teil dazutun, um dieses von Tag zu Tag drängendere Problem zu lösen“, so Stelzmann abschließend.

Pressekontakt:
Jan Pehrke 0211/30 58 49

[Wasserrechte] Presse-Information CBG vom 13.04.2021

CBG Redaktion

NRW will mehr Nutzungsrechte für BAYER & Co.

Hände weg vom Landeswasser-Gesetz!

Obwohl der Klimawandel Wasser zu einem immer kostbareren Gut macht, will die nordrhein-westfälische Landesregierung Industrie und Landwirtschaft den Zugriff auf die Ressource erleichtern. „Wasserrechtliche Verfahren sollen dereguliert und verschlankt werden“, heißt es im Gesetz-Entwurf zur Änderung des Landeswasserrechts, mit dem sich am morgigen Mittwoch der „Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz“ befassen wird.

Schwarz-Gelb plant unter anderem, die Wasserentnahme-Rechte zu entfristen und die Genehmigungspflicht für das Einleiten flüssiger Stoffe aufzuheben. Bei Indirekt-Einleitungen schädlicher Substanzen steht sogar die bloße Möglichkeit zur Disposition, in Ausnahme-Fällen noch eine Genehmigungspflicht anzuordnen. Überdies haben Laschet & Co. vor, die bisherigen Regelungen zu Gewässer-Randstreifen außer Kraft zu setzen. So beabsichtigen sie etwa, das generelle Verbot des Pestizid-Einsatzes in diesen Bereichen aufzuheben.

„Wo es angesichts zunehmender Trockenheitsperioden, einer schwindenden Grundwasser-Neubildungsrate und einer wachsenden Schadstoff-Belastung der Flüsse und Seen darauf ankäme, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, geht die NRW-Landesregierung den umgekehrten Weg. Sie zeigt sich entschlossen, das Gemeingut Wasser stärker den Profit-Interessen auszuliefern und es BAYER & Co. noch einmal leichter zu machen, ihren immensen Durst zu stillen“, kritisiert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

57 Milliarden Liter Wasser schluckte der Global Player im Jahr 2020. Noch dazu entstammen nach eigenem Bekunden drei Milliarden Liter davon wasserarmen Regionen. 2019 verbrauchte allein das Leverkusener Werk 700 Millionen Liter. Damit nicht genug, trägt der Agro-Riese immense Mengen von schädigenden Substanzen in die Gewässer ein. 151.000 Tonnen anorganischer Salze, 480 Tonnen Stickstoff, 380 Tonnen Phosphor und 2,6 Tonnen Schwermetalle waren es 2020. An Abwässern leitete das Unternehmen in dem Zeitraum insgesamt 25 Milliarden Liter ein.

„Von CDU und FDP droht BAYER jetzt die Lizenz dafür zu erhalten, es noch doller treiben zu können. Damit kapitulieren die Parteien vor der Macht der Wirtschaft und nehmen die Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt in Kauf“, so Stelzmann abschließend.

Pressekontakt:
Jan Pehrke 0211/30 58 49

[CUREVAC] Der CUREVAC-Deal

CBG Redaktion

BAYER steigt ins Impfstoff-Geschäft ein

Anfang Januar 2021 vereinbarte der BAYER-Konzern eine Kooperation mit dem deutschen Impfstoff-Entwickler CUREVAC. Damit ist er nun auch ein bedeutender Player auf dem Corona-Markt.

Von Jan Pehrke

„Ich bin sehr froh, dass ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, dass die BAYER AG mit diesen Lichtblick erzeugt hat, der mit diesem Impfstoff verbunden ist“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet Mitte Februar 2021 bei einem Besuch des Wuppertaler BAYER-Werks. Gerade auch, weil der Ruf der Branche nicht der beste ist, zeigte sich der christdemokratische Politiker erfreut über die Kooperation des Leverkusener Multis mit CUREVAC in Sachen „Covid-19-Impfstoff“: „Es hat sich in den letzten Jahren so eingebürgert, dass man immer auf die Pharma-Industrie schimpft.“ Laschet hingegen will sie hegen und pflegen. „Ich glaube, unser Ziel muss sein, dass Deutschland wieder der Spitzen-Standort für Pharma-Technologie wird“, meint der CDU-Vorsitzende. Schon aus Gründen der Versorgungssicherheit ist das für ihn von größter Wichtigkeit: „Wir sind froh für jedes Unternehmen, dass hier ist und dass nicht irgendwo in anderen Teilen der Welt so seine Produktion verlagert, dass wir im Ernstfall keinen Zugriff darauf haben.“

Am 7. Januar des Jahres hatte der Agro-Riese seine Zusammenarbeit mit CUREVAC bekanntgegeben. Bei der Durchführung der Klinischen Studien, dem Zulassungsprozedere, der späteren Überwachung der Sicherheit des Vakzins sowie bei der Organisation der Lieferkette für die benötigten Zusatzstoffe will er „sein Fachwissen und seine etablierte Infrastruktur“ einbringen, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Zudem hat die Aktien-Gesellschaft sich die Option gesichert, das Vakzin in Ländern außerhalb Europas selbst zu vermarkten.
Rund einen Monat später erweiterten die beiden Firmen ihre Verbindung noch einmal. Sie erstreckt sich nun auch auf den Produktionsprozess. Es brauchte für diesen Schritt allerdings einen Anstoß von außen. „In Gesprächen mit der Bundesregierung ist deutlich geworden, dass die Verfügbarkeit von Impfstoffen weiter erhöht werden muss“, erläuterte Pharma-Vorstand Stefan Oelrich. Dementsprechend positiv reagierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf die Meldung: „Wir freuen uns, dass mit CUREVAC und BAYER zwei deutsche Unternehmen diese Partnerschaft eingegangen sind und weiter vertiefen.“

Natürlich trieb BAYER nur die reine Menschlichkeit zu der Kollaboration. „Aus finanziellen Gründen tun wir das nicht. Wir sehen die große Notwendigkeit“, sagte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in einem Interview mit dem Nachrichtensender ntv. Der Moderator mochte an eine solche Selbstlosigkeit allerdings nicht so recht glauben. „Jetzt standen Sie ja lange mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat in der öffentlichen Kritik. Sind Sie eigentlich froh, dass Sie jetzt einmal mit einem Thema in Verbindung gebracht werden, was positiver belegt ist?“, fragte er. Da musste der Ober-BAYER dann ganz schön weit ausholen, um nicht zu antworten. „Unsere Vision ist die Gesundheit der Menschen, aber auch die gesunde Ernährung der Menschen sicherzustellen. Das sind beides ganz, ganz tolle Aufträge, die im Zentrum dessen stehen, was für die Menschen wichtig ist. Und insofern möchte ich da auch nicht differenzieren. Beide Themen sind wichtig, in beiden Bereichen sind wir als verantwortungsvolles Unternehmen ich glaube sehr, sehr gut unterwegs, um die Dinge zu tun, die wir auch im Dienste der Gesellschaft tun können, inklusive der Nachhaltigkeit. Und dazu gehört auch der Pflanzenschutz, und dazu gehört auch Glyphosat“, lavierte Baumann herum.

Verlängerte Werkbank
Die FAZ zeigte sich gleich gewillt, zum Image-Wandel des Global Players beizutragen. „Die Welt hofft jetzt auf Wuppertal“, meinte das Frankfurter Blatt ausgemacht zu haben. Das Handelsblatt hingegen reagierte weniger euphorisch auf den Deal, den PFIZER in ähnlicher Form mit BIONTECH abgeschlossen hatte. „Die Pharma-Branche erlebt eine bedenkliche Verschiebung der Macht. In der Corona-Krise werden etliche Pharma-Konzerne zur verlängerten Werkbank der Impfstoff-Pioniere – eine Entwicklung, die ‚Big Pharma’ und ihren Investoren zu denken geben sollte“, mahnte die Wirtschaftszeitung.

Auch CUREVAC-Gründer Ingmar Hoerr sieht BAYER & Co. in der Defensive. „Ich bin davon überzeugt, dass Covid einen völligen Paradigmen-Wechsel mit sich bringt, weg von der Big-Pharma-Industrie, wie sie bisher war“, sagte er in einem FAZ-Interview. „Die großen Pharma-Konzerne müssen immer ihre Märkte und Krankheiten im Auge behalten und die Technologien, die sie anbieten können“, so der Biologe.
Er hatte vor 20 Jahren mit der Forschung an einem neuen Impfstoff begonnen, der nicht mehr die ganze DNA eines Virus enthält, um den menschlichen Organismus zur Bildung von Antikörpern anzuregen, sondern nur noch die mRNA. Daher bildet sie den Erreger auch nicht mehr komplett nach, was die Gesundheitsgefahren reduzieren soll. „Kein Konzern hat einen so langen Atem, um eine Vision zu verfolgen, hält Hoerr fest. Der Wissenschaftler hat ursprünglich selber eine Position bei den Großen der Branche angestrebt, entschied sich dann aber um, weil er dort zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten für sich ausmachte. „Wenn ich meinem Abteilungsleiter aber gesagt hätte, ich habe hier etwas Spannendes auf RNA-Ebene entdeckt, hätte er wohl geantwortet: Ja, das ist schon spannend, aber wir kümmern uns erst mal um die Programme, die wir besprochen haben“, denkt der Forscher.

Werner Baumann antwortete auf die Frage, warum BAYER nicht selbst in die Impfstoff-Entwicklung eingestiegen ist: „Wir sind traditionell kein Impfstoff-Hersteller, und es gibt für die traditionelle Impfstoff-Herstellung einige sehr große, auch mit großer Expertise ausgestattete Wettbewerber. Und dann für uns in dieser Situation aus der Position eines in diesem Bereich bisher nicht tätigen Unternehmens diese Expertise aufzubauen, hätte überhaupt keinen Sinn gemacht.“ Tatsächlich verfügte der Leverkusener Multi einmal über diese Expertise. Im Jahr 2004 aber wickelte er das Geschäftsfeld „Infektionskrankheiten“ gemeinsam mit den Sektionen „Asthma“ und „Urologie“ ab. Der Konzern vollzog zu dieser Zeit einen Strategie-Wechsel. Er wollte sich fortan auf viel Gewinn versprechende „High priority“-Projekte wie etwa Krebs-Therapeutika konzentrieren und nicht länger ein umfassendes Arznei-Angebot bereitstellen.

Andere große Arznei-Unternehmen stellten die Arbeit an Impfstoffen ebenfalls ein. Mittel gegen Infektionskrankheiten zu entwickeln, die vielleicht alle zehn, fünfzehn Jahre mal ausbrechen, vielleicht aber auch nicht, bietet Big Pharma kaum Aussicht auf verlässliche Renditen. Darum gibt es heute nur noch vier große Anbieter auf dem Markt. Und von den bisher zugelassenen Vakzinen gegen Corona entstammt keines ihren Laboren. Hochschul-WissenschaftlerInnen oder kleine Start-Ups haben sie entwickelt, Die Pillen-Riesen kamen stets erst später dazu, wenn sich die Risiken als überschaubar erwiesen und sie kaum eigenes Geld zu investieren brauchten.

Das kam hauptsächlich von der öffentlichen Hand oder aus privaten Quellen. Bei CUREVAC ist der SAP-Gründer Dietmar Hopp der Hauptförderer. Er hält auch die Mehrheit der Aktien. Von der Bundesregierung erhielt die Tübinger Firma 251 Millionen Euro an Subventionen und BIONTECH sogar 375 Millionen. So ganz uneigennützig geschah das natürlich nicht. „Von den Firmen wurde im Gegenzug erwartet, dass sie einen angemessenen Anteil der Produktion eines zugelassenen COVID-19-Impfstoffes für die bedarfsgerechte Versorgung in Deutschland zugänglich machen“, konstatieren CDU und SPD in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Und CUREVAC konnte noch mehr Gelder akquirieren. Die von Deutschland mitgetragene internationale Impfstoff-Allianz CEPI, zu der außerdem noch Einrichtungen wie die Weltgesundheitsorganisation und die „Bill & Melinda Gates Foundation“ (BMGF) gehören, gab 34 Millionen Dollar und die BMGF allein noch einmal 46 Millionen Euro. Überdies unterstützt die Europäische Investitionsbank den Aufbau der Vakzin-Produktion mit einem Darlehen von 75 Millionen Euro.

Aber Merkel & Co. gingen noch weiter. Als Gerüchte um einen Börsengang der Firma in den USA sowie um das Bemühen Donald Trumps, CUREVAC in die USA zu locken, die Runde machten, stieg der Bund direkt bei der Tübinger Firma ein. Für 300 Millionen Euro erwarb er Mitte Juni 2020 23 Prozent der Anteile an dem Unternehmen; nach einer Kapital-Erhöhung schrumpfte die Beteiligung dann auf rund 17 Prozent. Es gelte, „elementare Schlüsselindustrien am Standort zu erhalten und zu stärken“ sowie die industrielle Souveränität Deutschlands zu wahren, erklärte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) damals zum Sinn der Übung.

Das Objekt der Begierde
Was da konkret die Begehrlichkeiten weckt, steckt noch in der Phase der klinischen Erprobung. Trotzdem hat die Europäische Union schon einen Liefer-Kontrakt mit CUREVAC abgeschlossen und dabei alle Risiken auf sich genommen. „Die Vertragsparteien erkennen an, dass die beschleunigten Entwicklungszeiten für die Durchführung der mit der EMA (Europäische Arzneimittel-Behörde, Anm. SWB) vereinbarten klinischen Prüfung und des Folge-Programms bedeuten, dass der Auftragnehmer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses APA (Advance Purchase Agreement = Kauf-Vereinbarung, Anm. SWB) unter keinen Umständen garantieren kann oder die Haftung dafür übernimmt, dass das Produkt letztendlich verfügbar sein oder die gewünschten Ergebnisse erzielen wird, d. h. eine ausreichende Wirksamkeit zur Verhinderung einer COVID-19-Infektion aufweist oder ohne akzeptable Nebenwirkungen ist“, heißt es in dem Dokument.

Die EU stellt CUREVAC also einen Blanko-Scheck aus. 225 Millionen Dosen des Impfstoffes CVnCoV zu einem Einzelpreis von zehn Euro hat sie vorab erworben. Darüber hinaus sicherte sich Brüssel eine Option auf 180 Millionen weitere Impf-Dosen von CUREVAC.

Deutschland erhält aus diesem Kontingent 54,1 Millionen Dosen. Zudem hat die Bundesregierung mit CUREVAC einen Vertrag über eine Option auf 20 Millionen weitere CVnCoV-Dosen abgeschlossen. „Das Mandat für die Impfstoff-Beschaffung auf EU-Ebene sieht vor, dass die teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten keine eigenen Abschlüsse einer Abnahme-Garantie für den Impfstoff mit demselben Hersteller einleiten. Art. 7 ESI-Agreement verbietet indes nicht den Abschluss von Absichtserklärungen“, erklärt die Große Koalition zu ihren kleinen Sonderwegen bei der Vorratsbeschaffung.

Die Nebenwirkungen
Die Resultate aus der Zulassungsstudie kündigt CUREVAC für die Mitte des 2. Quartals 2021 an. Im Moment befindet sich der Impfstoff noch in der letzten Phase der Erprobung. Wie die anderen Vakzine auch, durchläuft CVnCoV ein beschleunigtes Verfahren, bei dem zweiter und dritter Teil der Arznei-Prüfung zusammengelegt sind. Das birgt viele Gefahren, besonders weil es sich bei CVnCoV & Co. um Gentech-Produkte handelt, also um solche, die tief und unrückholbar in organische Prozesse eingreifen und überdies in diesem Bereich noch nie zur Anwendung kamen. Dementsprechend liegen noch keinerlei Erfahrungen zu ihren – möglicherweise auch langfristigeren – Risiken und Nebenwirkungen vor. Und die bisherigen klinischen Prüfungen können da nicht eben als vertrauensbildende Maßnahmen gelten. So musste etwa JOHNSON & JOHNSON im Oktober 2020 seine Studie mit Ad26.COV2.S nach einer „unerklärten Erkrankung“ eines Probanden für vier Wochen unterbrechen.

Besonders die Tests von ASTRAZENECA werfen viele Fragen auf. Eine größere Studie mit nur einer Dosis erbrachte keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis. Daraufhin führte der Konzern mehrere kleine Untersuchungen mit zwei Dosen durch, variierte aber den Abstand zwischen den Verabreichungen von sechs bis hin zu 23 Wochen. Zudem hat die Firma aus mehreren Untersuchungen ein „Best of“ kompiliert. Ein „heilloses Durcheinander“ nannte das der Pharmazeut Thomas Dingermann. Zwei dieser Erprobungsreihen akzeptierte die EMA dann auch nicht, und im März diesen Jahres meldete die zuständige US-amerikanische Behörde NIAID ebenfalls ernsthafte Zweifel ob der Belastbarkeit der Daten an. In der Praxis hatte das ernsthafte Konsequenzen: Es traten mit Thrombosen lebensgefährliche Nebenwirkungen auf, die in den Studien-Protokollen nicht vermerkt waren und zu einer zeitweiligen Aussetzung der Impfungen führte.

Zum CUREVAC-Präparat liegen bisher nur zur ersten Phase der Klinischen Erprobung Resultate vor. Da testete das Unternehmen die Verträglichkeit der Arznei an 250 ProbantInnen. An Nebenwirkungen registrierten die WissenschaftlerInnen 19 Fälle von Schwindel, 15 Fälle von Herzrasen, Nacken- oder Unterleibsschmerzen, 13 Fälle von Herzklopfen, Halsentzündung, Geschmacksstörungen oder Müdigkeit, sechs Fälle von Parästhesien, also Symptome wie Haut-Kribbeln, Jucken oder Schwellungsgefühle, sowie drei Fälle von Brustschmerzen und Durchblutungsstörungen. Reaktionen, die der Definition nach als schwere Nebenwirkungen einzustufen sind, verzeichneten die ForscherInnen nicht.
Aussagekräftigere Angaben zu den Risiken der mRNA-Impfstoffe erlauben die Daten, die das „Paul Ehrlich Institut“ (PEI) über die beiden bisher zugelassenen Substanzen Comirnaty von BIONTECH/PFIZER und COVID-19-Vaccine Moderna von MODERNA zusammengetragen hat. Im Zusammenhang mit den 5.378.703 Millionen Comirnaty-Impfungen gingen in dem Zeitraum vom 27. Dezember 2020 bis zum 26. Februar diesen Jahres 8.368 Meldungen über Nebenwirkungen ein. Bei den 168.189 MODERNA-Impfungen traten 484 Mal Komplikationen auf. Mit 1,6 bzw. 2,9 Fällen pro 1.000 Impfungen lagen die beiden mRNA-Vakzine damit unter dem Wert des Stoffes von ASTRAZENECA, der auf eine Zahl von 7,6 kommt.

Nebenwirkungen mit Todesfolge zählte das Institut bei Comirnaty 269, wobei es relativiert: „Der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und dem tödlichen Ereignis variierte zwischen einer Stunde und 34 Tagen nach der Impfung.“ In Verbindung mit dem MODERNA-Vakzin registrierte die Behörde lediglich einen Todesfall. Allergische Schock-Reaktionen, sogenannte Anaphylaxien, wie sie generell bei Impfstoffen gefürchtet sind, verzeichnete das PEI bei den mRNA-Präparaten bisher nicht. Es verwies aber auf Zahlen aus den USA, die bei Comirnaty 4,7 Anaphylaxien pro eine Million Impfdosen ausweisen und bei MODERNA 2,5. Insgesamt führt die Einrichtung bei Comirnaty 1.705 schwerwiegende Nebenwirkungen auf und bei der MODERNA-Substanz 107. Zu den häufigsten unerwünschten Reaktionen zählen bei den beiden Arzneien Kopfschmerzen, Fieber, Gliederschmerzen, grippe-ähnliche Symptome und Schmerzen an der Einstich-Stelle.
Überdies berichtet der Gen-ethische Informationsdienst von Erfahrungen mit mRNA-Vakzinen, die gegen HI- und Zika-Viren zum Einsatz kamen und Ödeme sowie multiple Entzündungsprozesse auslösten. Auch schlugen einige der durch den Impfstoff erzeugten Antikörper aus der Reihe und riefen schwere Lungenentzündungen hervor, indem sie Gedächtniszellen aktivierten, die ihren Ursprung früheren Infektionen verdanken. Zur Entstehung solcher Gedächtniszellen können die mRNA-Substanzen auch selber beitragen.

Ein großes Problem stellt ferner die Anforderung dar, die Stabilität der Stoffe zu gewährleisten. Schon die bei manchen Produkten nötige extreme Kühlung ist ein Indiz für den Aufwand, der dazu getrieben werden muss. Unterlagen der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA, die nach einem Hackerangriff an die Öffentlichkeit gelangten, wirken da nicht eben vertrauenserweckend. So war bei den zum Verkauf bestimmten Chargen des Impfstoffes von BIONTECH nur 55 Prozent der mRNA intakt; die bei den Zulassungsstudien verwendeten Substanzen kamen immerhin auf einen Anteil von etwa 78 Prozent. Das berichtete die Medizin-Journalistin Serena Tinari im British Medical Journal nach Sichtung des Materials. „Große Sorgen“ machte dieser Befund den EMA-BegutachterInnen den Dokumenten zufolge. Die Bedenken verschwanden dann aber relativ schnell wieder, als PFIZER zusicherte, das Qualitätsmanagement zu verbessern. Die neuen Vakzine bestanden dann wieder zu 70 bis 75 Prozent aus unversehrter mRNA, was der Amsterdamer Behörde schließlich für die Zulassung reichte. CUREVAC kennt diese Schwierigkeiten angeblich nicht. Stabilitätstests bezüglich der Temperatur, aber auch der Rüttelfestigkeit hätten sehr gute Ergebnisse gezeigt, bekundete das Unternehmen der FAZ zufolge.

Europe first
Wie die Komplikationen bei der Fertigung von Comirnaty zeigten, funktionierte PFIZER nicht einmal als verlängerte Werkbank reibungslos. Bei anderen Herstellern traten ähnliche Mängel auf. Und damit begann das Gerangel um das kostbare Gut. Die Sonntagsreden mit ihren Beteuerungen, die ärmeren Länder bei der Versorgung mit den Arzneien nicht zu vergessen, gerieten darüber schnell in Vergessenheit. Hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Mai 2020 noch beteuert, Brüssel arbeite daran, dass Vakzine „in jede Ecke der Welt zu einem fairen und erschwinglichen Preis verteilt werden“, so erklärte sie im März 2021: „Jetzt gibt es erstmal einen ziemlichen Druck in den Mitgliedsstaaten, selbst Impfstoff zu bekommen.“ „Impfstoff-Nationalismus“ hieß das Gebot der Stunde, und Export-Verbote standen zur Debatte.

Während sich einige Staaten wie z. B. Kanada bereits das Fünffache des Bedarfs gesichert haben, gingen zahlreiche Nationen leer aus. „Gerade einmal zehn Länder haben 75 Prozent aller COVID-19-Impfstoffe verabreicht. Gleichzeitig haben mehr als 130 Länder noch keine einzige Dosis erhalten“, kritisierte der UN-Generalsekretär António Guterres am 17. Februar in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dann auch. Ende März waren es noch 36 Staaten.

Es ist an China, die Armutsregionen mit Vakzinen zu versorgen. Das Reich der Mitte will seine Vakzine rund 150 Staaten zum Selbstkostenpreis liefern. Im Westen indes gibt es zur Zeit kaum frei verfügbare Substanzen. Für den größten Teil dessen, was in diesem Jahr noch die Fabriken von PFIZER & Co. verlässt, existieren bereits Kauf-Verträge. Dementsprechend hat die Impfstoff-Initiative COVAX, von der Weltgesundheitsorganisation, CEPI und der EU ins Leben gerufen, um für eine global gerechte Distribution des Impfstoffes zu sorgen, das Nachsehen. Gerade einmal 200 Millionen Dosen hat sie bislang für die mehr als 90 ärmeren Länder mit einer Gesamtbevölkerungszahl von rund vier Milliarden Menschen erwerben können. Und Schwellenländer fallen ganz durchs COVAX-Raster, obwohl sie wie Kolumbien an ihre Grenzen stoßen, wenn MODERNA etwa 30 Dollar pro Dosis verlangt. Nur ASTRAZENECA vermarktet sein Produkt in Pandemie-Zeiten zum Selbstkosten-Preis und tut über seine Kooperation mit dem Konzern SERUM INSTITUTE OF INDIA auch einiges für die gerechte Verteilung.

CUREVAC hingegen zeigt sich in dieser Beziehung deutlich zurückhaltender. Der Kontrakt, den die Firma mit der Europäischen Union geschlossen hat, erlaubt dieser zwar die Weitergabe von CVnCoV an bedürftige Staaten, aber Brüssel braucht dafür das Ja-Wort aus Tübingen. Auch wenn die EU-Kommission darum vorerst nicht anhalten wird – Ursula von der Leyen hat Spenden erst einmal ausgeschlossen – ist eine solche Zustimmungsklausel nach Einschätzung des FDP-Politikers Andrew Ullmann nicht ohne. Dadurch könne es zu gefährlichen Verzögerungen kommen, warnt er laut Tagesspiegel. Und bei dieser Kritik blieb es nicht. Im Dezember 2020 landete CUREVAC beim Impffairness-Test der Initiative ONE mit einem von fünfzehn möglichen Punkten auf dem letzten Platz. Die Nicht-Beteiligung an COVAX sowie die Weigerung, CVnCoV zu erschwinglichen Preisen anzubieten und sich auf politischer Ebene für Verteilungsgerechtigkeit einzusetzen, führten zu der schlechten Bewertung. Inzwischen hat die Aktien-Gesellschaft jedoch noch einmal punkten können. Zudem gibt es erste Gespräche mit COVAX.

Patente töten
Die Liefer-Probleme treten auf, weil die Herstellungskapazitäten nicht ausreichen. Auch CUREVAC hatte darunter zu leiden. „Es gab einen Riesenansturm auf die Ausrüstung“, klagte der Unternehmensleiter Hans-Werner Haas bei einer Anhörung im Europa-Parlament. Da es unter dem gegenwärtigen Produktions- und Preisregime offensichtlich nicht möglich ist, allen Menschen auf der Welt Zugang zu den Impfstoffen zu verschaffen, fordern die ärmeren Länder ein zeitweises Aussetzen der Patente, um so die Fertigung anzukurbeln. Einen entsprechenden Antrag haben Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation eingereicht. Der südafrikanische WTO-Bevollmächtigte Mustaqueem De Gama sieht in der temporären Aufhebung der Schutzrechte ein probates Mittel gegen den „Impf-Nationalismus“ der reicheren Staaten. „50 Prozent der bis zum 22. Februar injizierten 200 Millionen Impfdosen verabreichten die USA, Großbritannien und die EU“, so De Gama.

Die Initiative fand breite Unterstützung. Mehr als 100 Staaten stellten sich hinter Südafrika und Indien. Auch der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, und Winnie Byanyima vom AIDS-Programm der UN begrüßten den Vorstoß. „Wir sollten nicht wiederholen, was bei der AIDS-Krise in der Welt geschehen ist. Wir haben zehn Jahre verloren und Millionen HIV-Positive sind gestorben, weil wir auf Zugeständnisse der Pharma-Industrie gewartet haben“, erklärte sie. Susan Bergner, bei der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ für globale Gesundheitsfragen zuständig, spricht sich ebenfalls dafür aus: „Die Länder des globalen Südens müssen dringend Produktionskapazitäten für Impfstoffe aufbauen können. Da würde eine zeitweise Aussetzung der Patentrechte der Pharma-Konzerne helfen.“

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) teilt diese Auffassungen und ging am 23. Januar 2021 für die Freigabe der Patente auf die Straße. Überdies zählt sie mit zu den UnterzeichnerInnen des Aufrufs „Patente töten“, den die BUKO PHARMA-KAMPAGNE gemeinsam mit anderen Organisationen gestartet hat. „Das Patent-System hat die Wissensproduktion im medizinischen Bereich auf Gewinn-Maximierung und Kapitalerträge ausgerichtet und nicht auf die Erforschung und Entwicklung lebensrettender Medikamente und deren gerechte Verteilung“, heißt es darin. Dementsprechend entwickelt die Pharma-Industrie dem Appell zufolge hauptsächlich Arzneien, die viel Profit auf den rentablen Märkten der Wohlstandsländer abwerfen. „Den globalen Gesundheitsbedürfnissen wird sie dabei nicht gerecht. Und das Patent-System sorgt dafür, dass auch jene Medikamente hochpreisig gehalten werden, deren Entwicklung auf öffentlich finanzierter Forschung basiert“, kritisieren die Gruppen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erhielt in der Sache einen Offenen Brief, der die CDU-Politikerin dazu anhielt, sich für die Aufhebung des Schutzes des geistigen Eigentums an den Corona-Impfstoffen ein-zusetzen: „Angesichts einer globalen Gesundheitslage, in der Forschung und Entwicklung durch große Mengen öffentlicher Gelder finanziert wurden, ist es einfach unverschämt, dass diese wenigen Pharma-Unternehmen von ihren Patent-Monopolen profitieren, während die Welt leidet.“

CUREVAC bekam ebenfalls Post. Die BUKO PHARMA-KAMPAGNE, ONE, OXFAM und andere wandten sich an den Firmen-Leiter Franz-Werner Haas. „Wir sind der Überzeugung, dass diese massive öffentliche Unterstützung auch mit der Verpflichtung einhergeht, Menschen weltweit Zugang zu Covid-19-Impfstoff zu gewähren. Wir bitten Sie daher darzulegen, welche konkreten Maßnahmen Sie hinsichtlich der wichtigen Aspekte Transparenz, Bezahlbarkeit, Lizenzierung, Technologie-Transfer und garantiertem gerechten Zugang ergreifen werden, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden“, forderten die Absender ihn in dem Brief auf.

Tatsächlich sprach Haas sich in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung für eine befristete Aufhebung der Patente aus. Praktische Konsequenzen hatte das allerdings bisher nicht. Und den Leverkusener Multi dürfte der Pharma-Manager dafür kaum gewinnen können. Der Konzern lehnt eine solche Sonder-Regelung rigoros ab. „Eine Art Not-Impfstoffwirtschaft bringt überhaupt nichts“, so BAYER-Chef Werner Baumann. Dabei stößt er auf eine breite Unterstützung der Branche. „Es muss dabei bleiben, dass die Unternehmen Eigentümer ihrer Entwicklungen bleiben“, dekretiert Han Steutel, Präsident des von BAYER gegründeten „Verbandes der Forschenden Arzneimittel-Hersteller“ VFA. Auch dessen europäische und internationale Pendants, der EPFIA und der IFPMA, verwehren sich gegen eine solche Maßnahme. Und als die Universität Oxford im April letzten Jahres erklärte, den von ihr entwickelten Corona-Impfstoff jedem Unternehmen zur Verfügung stellen wollen, das ihn produzieren kann, intervenierte die „Bill & Melinda Gates Foundation“ erfolgreich. Schlussendlich schloss die Hochschule mit ASTRAZENECA einen Exklusiv-Vertrag ab.

Die Politik steht dabei hinter den Pillen-Riesen. „Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass Fragen des geistigen Eigentums ein echtes Hindernis auf den Zugang zu Covid-bezogenen Technologien darstellen“, erklärte die EU-Kommission. Und die Große Koalition hielt in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ fest: „Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass der Zugang zu einem zukünftigen Impfstoff gegen COVID-19 ein öffentliches Gut ist, die Zugangsproblematik allerdings nicht auf die Frage der Schutzrechte vereinfacht werden darf, sondern nur ein ganzheitlicher Ansatz erfolgversprechend ist.“ Darum trägt sie den WTO-Antrag Südafrikas und Indiens auch nicht mit und weiß sich darin mit den Staatsoberhäuptern der meisten Industrie-Staaten einig, weshalb die Chancen für eine Aussetzung der Schutzrechte nicht groß sind.

Also mal wieder blendende Zeiten für die Pillen-Konzerne. Sie können ihre Patente behalten und trotzdem Subventionen ohne Ende einstreichen, erhalten obendrein noch Abnahme-Garantien für Medikamente, die ihren Nutzen noch gar nicht erwiesen haben – so viel Planwirtschaft darf sein – und müssen für ihre Arzneien noch nicht einmal haften, wenn mit ihnen etwas schief geht. Und was bieten sie für ihre risiko-lose Profit-Vermehrung? Nichts. „Im Gegenzug sollte die Welt einfach darauf vertrauen, dass sie sich anständig verhalten“, wie die Organisation CORPORATE EUROPE WATCH bemerkt.

[Blindes Vertrauen] HV-Prozess: Gutachten macht Verfahrensfehler aus

CBG Redaktion

Im Jahr 2017 hatte der BAYER-Konzern auf seiner Hauptversammlung das Versammlungsrecht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN massiv beschnitten. Die Coordination klagte dagegen durch alle Instanzen – erfolglos. Darum griff sie im November 2020 zum letzten Mittel: Verfassungsbeschwerde. Und jetzt legte die CBG nach. Sie reichte ein Gutachten des Rechtsprofessors Dr. Remo Klinger ein, das ihre juristische Position stützt.

Von Marius Stelzmann

Die Auseinandersetzung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) mit BAYER und der Polizei um die Vorgänge bei der Hauptversammlung von 2017 ist mittlerweile vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gelandet. Im November letzten Jahres hatte die Coordination eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Und sie ließ es damit nicht gut sein: Anfang März 2021 stellte die CBG dem höchsten deutschen Gericht ein Gutachten von Professor Dr. Remo Klinger zu, das ihre Position untermauert.

Begonnen hatte der Rechtsstreit nach BAYERs AktionärInnen-Treffen vom 28. April 2017. Unmittelbar nach der HV hatte die CBG Klage wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht eingereicht, da der Konzern vor dem World Conference Center Bonn (WCCB) ein von einem mannshohen Zaun umgebenes Zelt mit Kontroll-Schleusen errichtet hatte, um sich den erwarteten Protest besser vom Leib halten zu können. Offizielle Begründung: Terror-Gefahr! Diese erfordere umfangreiche, im Gebäude selber nicht durchführbare Sicherheitschecks, erklärte BAYER – und die Polizei schluckte es.

Die Grundlagen dieser Sicherheitseinschätzung hat der Leverkusener Multi bis heute weder der Versammlungsbehörde noch später vor Gericht transparent gemacht. Er teilte lediglich die „relevanten Eckpunkte“ mit. Die Versammlungsbehörde schloss sich der Gefahrenprognose dennoch postwendend an und erteilte eine lange Liste mit Auflagen, die das Demonstrationsrecht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) erheblich beschnitten. Diese griff die unverschämten Anordnungen in Eil-Verfahren umgehend an und erstritt reihenweise juristische Siege: Schlicht unhaltbar waren beispielsweise Vorschriften, die vorsahen, dass Lautsprecherboxen nicht in Richtung der AktionärInnen zeigen durften. Eine einzige der Auflagen konnte die CBG allerdings nicht zu Fall bringen: Das Zelt blieb, und damit musste die Coordination ihren traditionellen Kundgebungsort direkt vor dem Eingang der Hauptversammlung aufgeben und mit einem Ort weit davon entfernt, ganz am Rand des weitläufigen „Platzes der Vereinten Nationen“, vorliebnehmen.

Auch die Feststellungsklagen der Coordination brachten keinen Erfolg. Die Gerichte zogen die damaligen Entscheidungen nicht in Zweifel. Darum will die CBG jetzt vor dem BVerfG klären lassen, ob die Behörden durch die unkritische Übernahme von Sicherheitskonzept und Gefahrenprognose BAYERs ihre Pflichten verletzt und damit einen Verfahrensfehler begangen haben. Zur Seite steht ihr dabei Professor Dr. Remo Klinger, der mit seinem juristischen Fachwissen schon vielen Initiativen half. Er unterstützte bereits die DEUTSCHE UMWELTHILFE in der Auseinandersetzung um die Einhaltung der Stickstoff-Grenzwerte in deutschen Städten und die damit verbundenen Dieselfahrverbote sowie die FRIDAYS FOR FUTURE mit einer Verfassungsbeschwerde wegen unzureichender Klimaschutz-Gesetze.
Remo Klinger stellt in dem Gutachten heraus, dass Entscheidungen über die Art der Ermittlungen, d. h. auch die Beantwortung der Frage, welche Informationsquellen herangezogen werden, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde liegen. Zwar kann die Behörde zur Ermittlung von Sachverhalten auf die Prozess-Beteiligten und sonstige Private zurückgreifen. Dies entbindet diese jedoch nicht von der Letztverantwortlichkeit der Sachverhaltsermittlung. Die Behörde kommt ihren Pflichten nur dann ausreichend nach, wenn sie die durch andere Quellen gewonnenen Erkenntnisse überprüft, andernfalls stellt deren Nutzung einen Aufklärungsfehler dar.

So heißt es im Gutachten: „Die Pflicht der Behörde zur eigenen Ermittlung wandelt sich daher vor allem im Grundrechtsschutz zu einer Pflicht zur nachvollziehenden Amtsermittlung.“ Denn die Versammlungsfreiheit ist im Grundgesetz besonders geschützt. Auch die Wahl des Ortes fällt unter das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, welches alle versammlungsbezogenen Verhaltensweisen schützt. Eine verfassungskonforme Abwägung, ob eine angemeldete Versammlung mit Interessen Dritter kollidiert, obliegt der staatlichen Verantwortung. Diese muss aber den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit wahren. Um eine Versammlung einschränken zu können, bedarf es einer eigenen Ermittlung. „Die Behörde bleibt danach selbst bei Nutzung der Informationen von Verfahrensbeteiligten verpflichtet, die Angaben inhaltlich auf ihre Plausibilität zu überprüfen und mit dem bisherigen Ermittlungsstand und Erfahrungen aus ähnlichen Verfahren abzugleichen“, hält Klinger mit Verweisen auf die juristische Fachliteratur fest.

Pflichtverletzung
Dieser Verpflichtung ist die Versammlungsbehörde in Bonn nicht nachgekommen. Diese hatte sich nur auf das bloße Wort BAYERs verlassen, um die CBG von ihrem Kundgebungsort zu verdrängen. Einsicht in das Sicherheitskonzept verlangte die Behörde nicht. Auch drang sie später im Prozess nicht darauf, das Dokument allen Verfahrensbeteiligten zugänglich zu machen.

Darüber hinaus hat die Behörde versammlungsrechtliche Informationen wie diejenigen, die sie von BAYER zur angeblichen Sicherheitslage erhielt, mit den Erfahrungen aus ähnlichen Vorgängen abzugleichen. Dies ist in diesem Fall schwerwiegend, da es sowohl vor als auch nach der BAYER-Hauptversammlung eine Reihe von Veranstaltungen ähnlicher Größe im WCCB gab, die ihre Sicherheitsschleusen nicht in ein externes, umzäuntes Zelt auf dem Vorplatz verlegten. Das Gutachten listet dazu einige Beispiele auf. Hierbei handelte es sich sowohl um politische Großveranstaltungen wie den Bundesparteitag der SPD im Januar 2018 oder den Europa-Parteitag der Linkspartei 2019 als auch um andere Zusammenkünfte. Selbst mehrere Hauptversammlungen zählten dazu. So verzichteten beispielsweise im Mai 2019 die DEUTSCHE POST AG und die LUFTHANSA AG auf ein externes Sicherheitszelt. Terrorgefahr? Hier offenbar kein Problem. Offensichtlich unproblematisch war es für die Lufthansa, ihre Sicherheitsschleusen bei der HV in dem extra dafür vorgesehenen Raum im WCCB aufzubauen. Auf Fotos, mit welchen der von der LUFTHANSA mit der Organisation des AktionärInnen-Treffs betraute Dienstleister sein Werk bewirbt, ist klar zu sehen, dass diese Räume allen Sicherheitsbedürfnissen gerecht wurden. Dies hatten von BAYER bestellte Sicherheitsleute bei dem gerichtlichen Begehungstermin des WCCB-Vorplatzes durch die CBG und BAYER explizit in Abrede gestellt. Durch die Errichtung der Sicherheitsschleusen in exakt jenem Raum, in dem die LUFTHANSA sie aufbaute, seien Fluchtwege im Brandfall versperrt. Grobe Fahrlässigkeit bei der LUFTHANSA also? Oder doch eher ein Sicherheitskonzept made by BAYER, das nur als Vorwand zur Abwehr von Konzern-Kritik diente ...
Die im Internet lediglich eine Google-Suche entfernten Informationen belegen: Die Recherchen der Behörde, falls überhaupt unternommen, wiesen gravierende Mängel auf. Von einer Prüfung, ob Möglichkeiten für effiziente Sicherheitskontrollen im Innern des Gebäudes in baulicher, technischer und räumlicher Hinsicht vorhanden waren, die es gestattet hätten, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht zu beeinträchtigen, kann keine Rede sein. Auch bei den BAYER-Hauptversammlungen der kommenden Jahre überprüften die Behörden das Sicherheitskonzept nicht erneut, sondern übernahmen den alten Sachstand einfach unbesehen.

Das Gutachten legt dar, dass eine Beweiswürdigung eine abgeschlossene, vollständige Sachverhaltsermittlung voraussetzt. Die Beweiswürdigung darf die Behörde nicht an Dritte delegieren. Es ist erforderlich, dass sie sich ein eigenes Urteil darüber bildet, ob nach den ermittelten Umständen ein Sachverhalt als erwiesen gilt.

Klarer Befund
Wenn die Behörde gegen die klar definierten Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung verstößt, liegt ein Verfahrensfehler vor. Der von der Behörde ergangene Bescheid wird damit rechtswidrig. Im Gutachten wird daher das Fazit gezogen: Eine ungeprüfte Übernahme des lediglich mündlich mitgeteilten Sicherheitskonzeptes der BAYER AG reicht nicht aus, um das Versammlungsrecht zu beschneiden. Die Behörde hätte die Hinweise der BAYER AG zwar heranziehen und verwerten dürfen. Eine nachvollziehende Beurteilung des Sicherheitskonzeptes wäre jedoch unabdingbar notwendig gewesen. Die von der Versammlungsbehörde vor Gericht bekundete „Kenntnis der relevanten Eckpunkte“ reicht nicht aus. Eine Gefahrenprognose von Amts wegen wird dadurch nicht ausreichend gestützt.
Für die Coordination ist dieses Resultat von größter Wichtigkeit, da die Gerichte bisher der Auffassung der Versammlungsbehörde und der von BAYER folgten oder aber die Frage ganz ausklammerten. Die RichterInnen prüften lediglich, ob eine Demonstration unter solchen Bedingungen weiterhin möglich und erfolgversprechend durchführbar war. Dass die CBG in der Not erfinderisch und protest-versiert genug war, um sich von den hindernden Auflagen nicht ins politische Aus manövrieren zu lassen, legten sie absurderweise zu ihren Lasten aus. Diese Auffassung berücksichtigt darüber hinaus nicht, dass die CBG auch die sehr viel schärferen Auflagen erst in Eilverfahren wegklagen musste. Auch das hat einiges Geld gekostet, das die Coordination nicht so einfach zur Verfügung hat und viele andere Initiativen gar nicht aufbringen können. Nicht zuletzt darum lässt die CBG nicht locker und geht bis vor das Bundesverfassungsgericht. Ihr ist es um grundlegende Fragen zu tun, welche den rechtlichen Rahmen von Konzern-Kritik im Allgemeinen betreffen und deshalb auch für andere politische Gruppen von Bedeutung ist.

Wenn nämlich Versammlungsbehörden die Erstellung von Gefahrenszenarien komplett Konzernen überlassen, die sich ihrer KritikerInnen entledigen wollen und keine eigenen Kontrollen durchführt, wird diese hoheitliche Aufgabe faktisch privatisiert. Dies öffnet einem Missbrauch durch große Player Tür und Tor.
Das Gutachten klärt auf rechtswissenschaftliche Weise die Fragen, die diesen politischen Auseinandersetzungen zugrundeliegen. Es zieht zu diesen Fragen das nüchterne, verfassungsrechtliche Fazit: Im Rahmen der Beweiswürdigung hätte die Behörde das Sicherheitskonzept inhaltlich auf seine Plausibilität überprüfen müssen, sie hätte dem Leverkusener  Chemie-Multi nicht „blind vertrauen“ dürfen.