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BAYERs prekäre Lieferketten

CBG Redaktion

Kinderarbeit, Arbeitsschutz-Mängel, Umweltschädigungen

BAYERs Lieferketten-Bericht offenbart ein Bild des Schreckens. Zahlreiche Meldungen über Verstöße gegen Menschenrechte sowie Sozial- und Umweltstandards führt er auf. Aber politischen Druck in der Causa muss der Konzern weniger denn je fürchten. Brüssel will die europäische Lieferketten-Richtlinie aushöhlen, und die CDU hat in ihrem Wahlprogramm angekündigt: „Das deutsche Lieferketten-Gesetz schaffen wir ab.“

Von Jan Pehrke

Kinderarbeit, Behinderung gewerkschaftlicher Tätigkeit, Arbeitsschutz-Verletzungen, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, Lohnraub, Diskriminierung am Arbeitsplatz, Umweltschädigungen – die Liste der Vergehen bei den Lieferanten von BAYER umfasst eine Fülle unterschiedlicher Tatbestände und ist lang. Zahlreiche Meldungen über Verletzungen von Menschenrechten sowie Sozial- und Umweltbestimmungen erhielt der Konzern. 

61 Beschwerden über die Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren betrafen Zulieferer und 64 galten seinem eigenen Geschäftsbereich. Das geht aus dem vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz vorgeschriebenen Bericht des Agro-Riesen für das Jahr 2023 hervor, der Antworten auf einen umfangreichen Fragenkatalog enthält. 

Insgesamt registrierte BAYER 1.345 Meldungen. Kein anderes Unternehmen wartet mit einer so hohen Zahl auf. Adidas etwa führt „nur“ 207 an, SAP 142, VW 104, BASF vier und Siemens drei. Das dürfte allerdings weniger an deren saubereren Lieferketten als vielmehr an unsaubererer Berichterstattung liegen. So erklärte Lothar Harings von der Kanzlei Graf von Westfalen, der die vorliegenden Reports untersucht hat, gegenüber dem Handelsblatt: „Unsere Analyse zeigt ganz klar, dass die Unternehmen ‚menschenrechtliches oder umweltrechtliches Risiko‘ unterschiedlich auslegen.“

Kinderarbeit

Der BAYER-Konzern hat offensichtlich genauer hingesehen und einen zugänglichen Beschwerde-Mechanismus, was nicht gegen ihn verwendet werden sollte. Details zu den einzelnen Vorkommnissen braucht er im Lieferkettenbericht allerdings nicht anzugeben. Später bekundete der Leverkusener Multi, bei einem Großteil der 1.345 Meldungen hätte es sich lediglich um solche zum Thema „IT-Sicherheit“ gehandelt. 

Nur zum Punkt „Verbot von Kinderarbeit“ finden sich in dem Report genauere Informationen. Auf die Frage: „Um welches konkrete Risiko geht es?“ antwortet das Unternehmen: „Kinderarbeit in der Saatgut-Lieferkette“ und nennt Bangladesch, Indien und die Philippinen als mögliche Tatorte. BAYER hat einen Fall dingfest gemacht. Die Dunkelziffer dürfe allerdings höher liegen, zumal der Konzern hier in der Vergangenheit bereits öfter auffällig wurde. 

So brachte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) 2003 gemeinsam mit der deutschen Sektion des GLOBAL MARCH AGAINST CHILD LABOUR flächendeckende Kinderarbeit in der indischen Baumwollsaatgut-Produktion an die Öffentlichkeit, indem sie eine Studie des indischen Instituts „Glocal Research and Consultancy Services“ übersetzten. Der Autor Dr. Davuluri Venkateswarlu untersuchte darin die Herstellung hybriden Baumwoll-Saatguts im Bundesstaat Andhra Pradesh. Dabei handelt es sich um nicht fortpflanzungsfähige Saaten, deren Fertigung sehr arbeitsintensiv ist, weil bei jedem Keim der eigene Samen entfernt und der fremde Samen aufgetragen werden muss. Um Kosten zu sparen, griffen die Farm-Betriebe deshalb bevorzugt auf Kinder, zumeist Mädchen im Alter von 6-14 Jahren, zurück und banden sie oft auch noch in Schuldknechtschaft an sich. Zehntausende arbeiteten zwölf Stunden am Tag bei den Zulieferern von MONSANTO, UNILEVER, SYNGENTA, ADVANTA und der BAYER-Tochter PROAGRO. In mittelbaren BAYER-Diensten standen dabei 2.000 Kinder.

„Es macht wütend, dass Konzerne wie BAYER nicht einmal vor der Ausbeutung von Kindern Halt machen. Schuldknechtschaft – also Kinder in Sklavenarbeit – für goldene Bilanzen! Für die Agrokonzerne wäre es ein Leichtes, durch Zahlung angemessener Abnahmepreise, konsequente Kontrollen und vertragliche Bedingungen dafür zu sorgen, dass arbeitslose Erwachsene zu menschenwürdigen Löhnen die Arbeit der Kinder übernehmen. Aber: Das würde ja die Profite schmälern“, erklärte Axel Köhler-Schnura damals. 

Der Global Player stritt erst einmal alles ab. Dann gelobte er leiseweinend Besserung und leitete einige Maßnahmen in die Wege. Aber das Problem blieb virulent. Im Jahr 2010 gab der Agro-Riese die Zahl der KinderarbeiterInnen im Saatgut-Bereich mit 105 an. Eine wirkliche Besserung trat erst 2021 ein – da verkaufte die Aktien-Gesellschaft ihre indische Saatgut-Sparte nämlich.

Die Pharma-Lieferketten

2017 deckte die Coordination dann auf, was für skandalöse Zustände bei den ersten Gliedern von BAYERs Pharma-Lieferketten herrschen, die der Pharma-Riese im Zuge der Globalisierung nach Asien verlegt hatte, weil dort niedrigere Kosten und geringere Umwelt- und Sozialstandards lockten. 

Im indischen Hyderabad etwa leiten viele Firmen, die Grund- oder Zwischenstoffe für Big Pharma herstellen, ihre Produktionsrückstände ungereinigt oder nur marginal aufbereitet in die Gewässer ein. Darum türmen sich auf manchen Flüssen weiße Schäume bis zu einer Höhe von neun Metern auf. Andere Emissionen aus den Fabriken verfärben das Wasser gelb, rot oder braun. Und am Grund mancher Seen setzt sich tiefschwarzes, teeriges Sediment ab.

Als besonders gesundheitsgefährdend erweisen sich dabei die Antibiotika-Reste. Durch die hohen Dosen von Ciprofloxacin (Wirksubstanz von BAYERs CIPROBAY) und anderen Substanzen gewöhnen sich die Krankheitserreger nämlich an die Stoffe und bilden Resistenzen heraus. 2014 stieß ein ForscherInnen-Team in einem See unweit der Pharma-Fabriken auf 81 Gen-Typen von Bakterien, gegen die kein einziges Antibiotikum-Kraut mehr gewachsen war. Sie tummelten sich dort in einer Konzen-tration, welche diejenige in einem schwedischen See, der als Vergleichsmaßstab diente, um das 7.000-Fache überstieg. Und das alles bleibt nicht ohne Folgen: 2013 starben in Indien 58.000 Babys, weil sie mit solchen Keimen infiziert waren.

Die Regulierung

Die weltweiten Produktionsnetzwerke anderer Branchen sorgten für ähnliche Verwerfungen. Darum erkannten die Vereinten Nationen im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen gegen solche Risiken und Nebenwirkungen der Globalisierung zu ergreifen. Die zu diesem Zeitpunkt regierende Große Koalition sah dabei zunächst davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne auszuüben und setzte auf Freiwilligkeit. Sie hob 2016 den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe und machte sich daran, erst einmal ein Lagebild zu erstellen. Dazu starteten CDU und SPD eine Umfrage unter den Betrieben und erbaten Informationen darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. 2020 wiederholten die Parteien das Ganze. Der Befunde fielen jeweils ernüchternd aus. Nur ein Bruchteil der angeschriebenen Firmen antwortete überhaupt, und von diesen genügte beim sogenannten Supply Chain Management kaum eines den sozialen und ökologischen Anforderungen. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte der damalige Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Und den bereitete die Politik dann auch vor, was die Industrie-VertreterInnen in Panik versetzte. „Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmen verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, was sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“, echauffierte sich die „Bundesvereinigung der Arbeitgeber-Verbände“ (BDA) umgehend. In der Folge taten die LobbyistInnen der Industrie alles, um das Schlimmste zu verhindern. Sie mahnten eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnten eine Haftungsregelung vehement ab. Mit Erfolg: Im Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz, das 2023 in Kraft trat, fehlt beides. Zudem müssen BAYER & Co. etwaige Mängel nicht abstellen. „Unternehmen werden nicht zur Garantie eines Erfolges verpflichtet“, hält die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ fest. Die Konzerne sind „im Rahmen des konkret Machbaren und Angemessenen“ lediglich gehalten, sich zu bemühen: „Von keinem Unternehmen darf etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches verlangt werden.“ Die europäische Lieferketten-Richtlinie von 2024 sieht dagegen härtere Bestimmungen vor. Sie enthält eine Haftungsregelung und bezieht auch indirekte Zulieferer mit ein.

Die Deregulierung

Ursprünglich sollte die Implementierung in deutsches Recht bis 2026 erfolgen. Aber daraus wird nichts. Noch vor Vollendung des mühsamen Prozesses der Regulation beginnt schon wieder die Deregulation. In dem Omnibus-Paket stellt die EU die Lieferketten-Richtlinie gemeinsam mit der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung und der Taxonomie-Verordnung, die finanzmarkt-relevante Kriterien für ein „Green Economy“-Label festlegt, zur Disposition. Sie begründet das mit dem „neuen und schwierigen Kontext“ und verweist dabei auf den Ukraine-Krieg, die dadurch gestiegenen Energiepreise und zunehmende Handelsspannungen. 

Dadurch gerät ihr zufolge nicht nur die Ökonomie unter Druck, sondern gleich das große Ganze: „Die Fähigkeit der Union, ihre Werte zu bewahren und zu schützen, hängt unter anderem von der Fähigkeit ihrer Wirtschaft ab, sich in einem instabilen und manchmal feindseligen geopolitischen Umfeld anzupassen und zu konkurrieren.“  Zum „Polarstern“ ihrer zweiten Amtszeit hat Ursula von der Leyen deshalb die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auserkoren. Und da erweist sich nicht nur die Lieferketten-Richtlinie als Störfaktor. „Deshalb hat die Kommission bei einigen EU-Vorschriften Anpassungen vorgenommen, mit denen das Wachstum gefördert und für eine kosteneffizientere Verwirklichung der politischen Ziele der EU gesorgt werden soll“, erklärte die Europäische Kommission in einem Q&A zu ihren Plänen.

Den Grundstein dafür – und nicht nur dafür – legte der von Mario Draghi verfasste Report zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU. Die Lieferketten-Richtlinie und die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung kamen in dem 2-bändigen, über 600 Seiten starken Kompendium nicht eben gut weg. Der ehemalige GOLDMAN-SACHS-Banker und Präsident der Europäischen Zentralbank bezeichnete diese als „große Quelle regulatorischer Bürden“ mahnte eine Vereinfachung an. 

Und die EU tat wie geheißen. So erklärte etwa der neue EU-Energiekommissar Dan Jørgensen bei seiner Amtseinführung nur halb scherzhaft: „Ich musste auf den Draghi-Bericht schwören.“ In der „Erklärung von Budapest zum Neuen Deal für die Europäische Wettbewerbsfähigkeit“ vom November 2024 versprach Brüssel „die Einleitung eines revolutionären Vereinfachungsprozesses, der für einen klaren, einfachen und intelligenten Regelungsrahmen für Unternehmen sorgt und den Verwaltungs-, Regulierungs- und Meldeaufwand (…) drastisch verringert“. Ende Januar 2025 konkretisierte die Europäische Union ihre Pläne. In einem „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ stellte Brüssel „weitreichende Vereinfachungen“ der Lieferketten-Richtlinie, der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und der finanzmarkt-relevanten Kriterien für ein „Green Economy“-Label in Aussicht. „Wir können nicht erwarten, dass wir weltweit konkurrieren können, während wir uns gleichzeitig mit unnötigen Beschränkungen und Einschränkungen überfrachten“, erklärte der EU-Kommissar Valdis Dombrovskis zur Begründung. 

Extrem-Lobbyismus

Natürlich kam ihm diese Einsicht ebenso selbst wie seinen KommissionskollegInnen. Die Industrie hat den neuen Kurs der EU wesentlich mitbestimmt. Schon auf den Draghi-Report nahm sie Einfluss. So gehört BAYER zur langen Liste der Konzerne, die Input gaben und dafür vom Italiener gewürdigt werden. „Ich bin folgenden Personen und Organisationen dankbar, die in Meetings konsultiert wurden oder schriftliche Eingaben machten“ – danach beginnt eine lange Aufzählung der europäischen Multis von AIRBUS bis ZF. Gegen die „Bürokratie-Monster“ haben BAYER & Co. natürlich auch einen immensen Lobby-Druck entfaltet. EmissärInnen des Leverkusener Multis etwa sprachen am 2. Dezember 2024 persönlich in Brüssel vor. Sie trafen auf Michael Hager aus dem Kabinett von Dombrovskis. Auf der Tagesordnung stand laut Transparenz-Register „Vereinfachung“. Im selben Monat präsentierte die „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“ (BDA) der Europäischen Union „Vorschläge für eine Reduzierung von Auflagen“. Den Geltungsbereich der Lieferketten-Richtlinie etwa wollte der BDA auf Betriebe mit mehr als 5.000 Beschäftigten begrenzt wissen. Zudem verlangte er, die Berichtspflicht auf direkte Zulieferer zu beschränken und bei Verstößen nicht länger eine einklagbare Haftungspflicht vorzusehen. Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) ging darüber noch hinaus. In einem gemeinsam mit den italienischen und französischen Industrieverbänden MEDEF und CONFINDUSTRIA verfassten Positionspapier forderte er eine Klausel zur „maximalen Harmonisierung“ ein, die es den Regierungen der Mitgliedsstaaten verbietet, die Regelungen bei der Umsetzung in nationales Recht zu verschärfen. „Bürokratie-Abbau bedeutet Wachstumschancen zum Nulltarif“, erklärte der BDI in seiner Pressemitteilung zu den Verordnungen und nahm die EU in die Pflicht. „Die Europäische Kommission muss mit dem angekündigten Omnibus nicht nur die Berichtspflichten abbauen, sondern auch die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, das EU-Lieferkettengesetz sowie die Taxonomie-Verordnung substanziell ändern. Weitere Entlastungsinitiativen müssen folgen“, hieß es in dem Statement.

Im Dienste der Industrie

Dabei gelang es den Unternehmen wieder einmal, die deutschen PolitikerInnen in Dienst zu nehmen. So drangen die Noch-Minister Volker Wissing, Jörg Kukies, Robert Habeck und Hubertus Heil am 17. Dezember 2024 in einem Brief an die EU darauf, die Deadline für die Übertragung der Nachhaltigkeitsrichtlinie in nationales Recht um zwei Jahre zu verschieben. Überdies setzten sie sich dafür ein, die Berichtspflichten auszudünnen, um „unnötige Belastungen für die Unternehmen zu vermeiden und den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre Ressourcen zum Nutzen von nachhaltigem Wachstum und Innovation in der EU einzusetzen“. Gleiches galt in ihren Augen für die Taxonomie-Richtlinie.

Die Lieferketten-Richtlinie bezogen sie in ihre Kritik allerdings nicht mit ein – anders als Olaf Scholz. In seinem Schreiben an Ursula von der Leyen lobte er die Kommissionspräsidentin dafür, „den Abbau von Bürokratie zu den zentralen Schwerpunkten Ihrer neuen Amtszeit machen zu wollen“ und sagt auch gleich, warum. „Die deutsche Wirtschaft hat hier zu Recht weiteren dringenden Handlungsbedarf angezeigt, insbesondere hinsichtlich der Belastungen im Rahmen der Nachhaltigkeitsrichtlinie (CSRD), der EU-Taxonomie und der Europäischen Lieferketten-Richtlinie (CSDDD)“, hält er fest.

Und die EU deckte den Bedarf. Ende Februar 2025 präsentierte sie die Omnibus-Verordnungen, die Hand an alle drei Regelungen legten. Die Lieferketten-Richtlinie schreibt BAYER & Co. jetzt bloß noch vor, die Einhaltung von Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards bei ihren direkten Zulieferern zu kontrollieren, und das auch nur alle fünf Jahre. Die Regelung der Haftungsfrage fällt nun ins Belieben der Mitgliedsländer – also vorzugsweise weg. Auch müssen die Unternehmen sich nach der Aufdeckung von Missständen nicht mehr zwingend von ihren Vertragsfirmen trennen. Damit nicht genug, können sich die EU-Staaten die Richtlinie jetzt mit der Umsetzung in nationales Recht Zeit bis 2028 lassen. 

Zunächst einmal müssen da noch das EU-Parlament und der Europäische Rat zustimmen. Trotzdem zeigten sich die Konzerne erst einmal zufrieden. „Es ist gut, dass die EU-Kommission die Umsetzung der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und des EU-Lieferkettengesetzes temporär aussetzen will, damit keine Belastungen entstehen“, erklärte der BDI. Der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) schloss sich in seiner „Mehr wirtschaftliche Freiheit wagen“ überschriebenen Presseerklärung an: „Dass die EU-Kommission mit ‚Omnibus-Verfahren‘ Bürokratie abbauen will, ist aus VCI-Sicht sehr erfreulich.“ Und die FAZ hielt fest: „Mehr ‚Kettensäge’ ist unter den Brüsseler Randbedingungen nicht möglich.“

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisierte die Aufweichungen dagegen scharf. „Kinderarbeit, Druck auf GewerkschaftlerInnen, Lohnraub, Ungleichbehandlung von Mann und Frau, mangelhafter Arbeitsschutz und Umweltverschmutzung – auf all das will Brüssel jetzt nicht mehr so genau blicken, weil es angeblich den Wirtschaftsstandort Europa gefährdet. Das ist ein Skandal“, hieß es in ihrer Presseerklärung. 

Der BUND protestierte ebenfalls: „Erst im vergangenen Jahr haben die EU-Institutionen in einem demokratischen Verfahren die EU-Lieferkettenrichtlinie beschlossen. Dass die EU-Kommission sie nun in einem noch nie dagewesenen Schnelldurchlauf bis zur Bedeutungslosigkeit verwässern will, ist skandalös.“ Und der Betriebswirtschaftsprofessor Patrick Velte von der Lüneburger Leuphana-Universität konstatierte: Diese Omnibus-Pläne der EU-Kommission führen zu einer Aushöhlung der CSRD, CSDDD und der Taxonomie-Verordnung und gefährden das Gelingen des Green-Deal-Projekts sowie das Ziel einer klima-neutralen Wirtschaft bis 2050.“ Auch dem deutschen Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz droht Ungemach. Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigte Anfang Oktober 2024 auf dem Unternehmertag des deutschen Außenhandelsverbandes BGA an, ihm in Milei-Manier zu Leibe rücken zu wollen. Er erachtete es als notwendig, „die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen“. Dabei hatte sich seine Partei in ihrem Programm zur Bundestagswahl 2021 noch für „eine Ausweitung der erfassten Unternehmen, aber auch eine Erweiterung der umweltbezogenen Sorgfaltspflichten“ ausgesprochen. Olaf Scholz störte sich ebenso wenig am SPD-Programm, das es noch als einen großen Erfolg gefeiert hatte, „dass ein nationales Lieferketten-Gesetz auf den Weg gebracht werden konnte“ und sich damit noch nicht einmal zufriedengeben wollte: „Wir werden es konsequent weiterentwickeln.“ Im Oktober 2024 sagte er auf dem Arbeitgebertag zu dem Paragrafen-Werk: „Das haben wir ja gesagt, das kommt weg.“ Eine Überarbeitung des Gesetzes ließen die beiden Politiker ihren großen Worten zwar nicht mehr folgen, aber Habeck setzte zumindest die Berichtspflicht für die deutschen Unternehmen bis zur Implementierung der europäischen Lieferketten-Richtlinie in deutsches Recht aus.

Dagegen steht zu befürchten, dass CDU und CSU sich an ihre Wahlversprechen halten. „Das deutsche Lieferketten-Gesetz schaffen wir ab“, heißt es in ihrem Programm unter dem Punkt „Belastungen sofort stoppen“ kurz und knapp. Aber die Coordination wird alles daransetzen, die Abbruch-Arbeiten auf nationaler und europäischer Ebene zu verhindern. ⎜

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