BAYER-Hauptversammlung 2010: Beteiligung mit Negativ-Rekord
Erhöhung der bürokratischen Hürden senkte die Teilnahme
Mit immer neuen Schikanen versucht BAYER seine KleinaktionärInnen vom Besuch der Hauptversammlung abzuhalten. Aktionärsdemokratie stammt aus den Zeiten der Sozialpartnerschaft und ist out im Zeitalter des ungeschminkten Turbokapitalismus. Zumal die KleinaktionärInnen auch noch hemmungslos Redebeiträgen über Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung, Ruin menschlicher Gesundheit und anderen Skandalen und Verbrechen im Zusammenhang mit den Gewinn-Milliarden Beifall zollen.
von Axel Köhler-Schnura
Auch wenn Konzerne allmächtig scheinen, so gibt es doch Dinge, die sind ihnen lästig. Dazu gehört im Fall des BAYER-Konzerns mit Sicherheit, dass seit nahezu 30 Jahren, exakt seit 1983, kritische AktionärInnen der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) auf den Hauptversammlungen auftreten. Statt von Umsatz, Rendite und Gewinn ist seitdem an den Mikrofonen der jährlichen Besitzer-Treffen unüberhörbar von Umweltzerstörung, Gefährdung des Friedens, Ausbeutung, Ruin menschlicher Gesundheit und all den anderen Dingen die Rede, über die sonst regelmäßig als Kollateralschäden der Profiterwirtschaftung schweigend hinweggegangen wird.
Und was die abgefeimten BAYER-Bosse und die milliardenschweren Großaktionäre im Hintergrund noch mehr nervt, das ist die Tatsache, dass die Tausende von KleinaktionärInnen auch noch Interesse an diesen Informationen zeigen. Während zu den Hauptversammlungen des Konzerns vor 1983 lediglich tausend bis zweitausend AktionärInnen anreisten, schnellte nach dem ersten Auftritt der CBG-KritikerInnen diese Zahl hoch auf 25 Tausend. Tendenz: weiter steigend – immerhin gab es damals bereits 300.000 KleinaktionärInnen.
Und noch schlimmer: die ordnungsgemäß eingereichten Gegenanträge der CBG-KritkerInnen fanden bei den Abstimmungen die Unterstützung von Millionen von Aktien. Und erstmals gelang es den kritischen AktionärInnen sogar auf einer BAYER-Hauptversammlung mit einem Aktienpaket in Millionhöhe die Tagesordnung zu verändern. Ein historischer Skandal!
Alles Grund genug für das Management und die hinter dem Konzern stehenden Großaktionäre, die Notbremse zu ziehen. Auf allen Ebenen: Auf der juristischen mit Prozessen gegen die KritikerInnen. Auf der persönlichen mit Bespitzelung, Herabwürdigung und Verleumdung. Auf der organisatorischen mit Streichung der bis dahin üblichen Geschenktüten und dem Ersatz der als angemessen betrachteten Fünfsterne-Verpflegug durch unzumutbare Papp-Sandwiches. Auf der bürokratischen Beschränkung der Eintrittskarten je Aktie. Also Schluss mit lustig.
Doch es reichte nicht. Die Zahl der an den Reden der Kritischen interessierten AktionärInnen konnte so zwar eingeschränkt, aber nicht ihrer Wirkung beraubt werden. Noch immer reisten um die 10 Tausend AktionärInnen an und die Medien berichteten ausführlich. Also griff man zu brutaleren Methoden: Als „Malocher“ verkleidete Werkschützer schwenkten DKP-Fahnen, um die Kritischen als „kommunistische Umstürzler“ zu verleumden, in der Presse wurden Horror-Meldungen lanciert mit der Headline „Kritiker planen Bombenanschlag auf Chemie-Transporter“ und durch gezielte Drohung mit der Streichung der Werbemilliarden wurde den Medien ein Maulkorb verpasst, der die Berichterstattung massiv reduzierte. Verbunden wurde das zugleich mit willkürlicher Manipulation der Rednerlisten mit dem Ziel, die kritischen Redebeiträge nicht mehr in der Folge der Wortmeldungen, sondern am Ende der Debatte aufzurufen. Und bis zum Ende der Debatte salbadert der Vorsitzende mit eintönig vorgetragenen Langweilerein den Saal leer.
Doch auch das reichte nicht. Die Abstimmungsergebnisse brachten immer noch reichlich Gegenstimmen – auch wenn 90 Prozent der (anwesenden) Aktien sich in den Händen von 10 Prozent der Anwesenden befinden. Hinzu kommen nochmals Enthaltungen in mindestens gleicher Höhe. Am liebsten hätte man die Kritiker gar nicht mehr im Saal und würde man die Hauptversammlungen gleich ganz abschaffen. Also unternahmen die Herren des Vorstands, die gleichgesinnte Camarilla anderer Konzerne und die auf ihren Gehaltslisten stehenden Parlamentarier und Lobbyisten immer neue politische Vorstöße, um die Hauptversammlungen ihrer Bedeutung und Wirkung zu berauben.
Der neueste Coup dieser Art war die vor einigen Jahren politisch durchgesetzte Änderung des Aktienrechts. Bei BAYER brachte das über eine Satzungsänderung im vergangenen Jahr eine Umstellung der Aktien auf sogenannte Namensaktien. Damit wurde erreicht, dass die AktionärInnen ihre Aktien nicht mehr anonym bei den Banken im Depot halten können, sondern sich direkt bei BAYER listen lassen müssen. Und bedeutsamer noch, die Bestellung der Eintrittskarten muss nun innerhalb einer auf gerade einmal 10 Tage verkürzten Frist ebenfalls direkt beim Konzern vorgenommen werden. Mittels eines Fragebogen mit Stasi-Charakter, der dem unbefangenen Aktionär gegenüber den Eindruck vermittelt, er müsse sein Abstimmungsverhalten dem Konzern bereits bei der Bestellung der Aktien offenlegen.
Im Ergebnis führte diese erneute bürokratische und organisatorische Beschränkung dazu, dass bei der Hauptversammlung 2010 tatsächlich die Zahl der anreisenden AktionärInnen weiter auf rund dreitausend AktionärInnen zurück ging. Erstmals seit 1983 konnte der Vorstandsvorsitzende die Hauptversammlung vor einem halb leeren Saal eröffnen. Und den Verantwortlichen erlaubte, gleich mit mehreren vorgeschriebenen Regularien zu brechen. So nahm der Vorstandsvorsitzende beispielsweise in seiner Rede nicht mehr Stellung zu den eingereichten Gegenanträgen. Und auch die ordnungsgemäße Verkündung der Wahlergebnisse fiel mit dem lapidaren Verweis auf das Internet einfach aus.
So erlebt der neoliberalen Durchmarsch bei BAYER eine neue Qualität. Draußen droht die Gesellschaft zusammenzubrechen, die SteuerzahlerInnen werden gezwungen, die Wirtschaft mit Billionenzuschüssen am Laufen zu halten und dennoch genehmigen die Topmanager sich immer neue Millionengehälter und die Profite der Großaktionäre explodieren; auf der Hauptversammlung des BAYER-Konzerns nehmen die Großaktionäre und das Management auf die KleinaktionärInnen keine Rücksicht mehr.
Die Kritischen AktionärInnen allerdings bringen sie damit nicht zum Schweigen. Sie können durchaus ihre Hauptversammlung leerreden und die Aktionärsdemokratie mit Füßen treten, aber den Widerstand und den Unmut der Beschäftigten und der Bevölkerung können sie damit nicht eindämmen. Im Gegenteil, der Wind, der dem Vorstand und dem Kapital ins Gesicht weht wird kälter.