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junge Welt

22. Januar 2014, junge Welt

»Weshalb sterben Tausende an Bayer-Produkten?«

Störfälle, Giftmüll, fragwürdige Arzneitests – schon vor 30 Jahren gab es ähnliche Vorwürfe. Gespräch mit Jan Pehrke

Jan Pehrke ist seit 1998 Chefredakteur der Zeitschrift Stichwort BAYER, die vom industriekritischen Bündnis gegen BAYER-Gefahren herausgegeben wird

Das Magazin Stichwort BAYER feiert mit der aktuellen Ausgabe seinen 30. Geburtstag. In der Erstausgabe berichtete es von Pharmaversuchen, einem Störfall im Werk Wuppertal und vom Abriß eines Jugendzentrums durch Bayer. War damals absehbar, daß der Konzern über Jahrzehnte hinweg derlei publizistischen Zündstoff liefern könnte?
Unser Netzwerk existierte ja bereits fünf Jahre, als Stichwort BAYER an den Start ging. Insofern wußten wir, wie viele Probleme ein Chemiemulti vom Kaliber Bayers verursacht. Wirklich überraschend auch für mich selbst ist in der Rückschau allerdings, wie viel Kontinuität es bei den Themen gibt. Das erste Heft berichtete auch über Wasserverschmutzung, chemische Kampfstoffe, Vergiftungen durch PCB und unethische Arzneitests. All das beschäftigt uns bis heute! Ein Erkenntnisgewinn der Langzeitbeobachtung ist also, daß sich in den vergangenen 30 Jahren – allem Wortgeklingel um Nachhaltigkeit zum Trotz – bei diesem Konzern wenig geändert hat.

Auch das Thema »Störfälle« taucht immer wieder auf. Lassen sich die vielen Vorfälle weltweit überhaupt zählen?
Wir haben uns 1978 nach einer Reihe von Explosionen in den Bayer-Werken Wuppertal und Dormagen gegründet, daher liegt uns das Thema natürlich am Herzen. Wir haben unter anderem eine Aufstellung von über 150 Störfällen bei Bayer veröffentlicht, von der auch schon das Bundesumweltministerium eine Kopie erbeten hat. Wobei der »Normalfall«, also die Produktion von Giftmüll und die Emission von Schadstoffen, sicher das größere Problem darstellt.

Haben die Veröffentlichungen auch direkte Konsequenzen?
Am wichtigsten ist uns die Offenlegung der Zusammenhänge und Hintergründe. Weshalb zerstört Bayer seit 150 Jahren die Umwelt? Weshalb sterben Jahr für Jahr Tausende an Bayer-Produkten? Weshalb setzt sich die Firma fast ausnahmslos über Proteste hinweg? Weshalb tanzen Regierungen und Machtapparate nach der Pfeife des Konzerns? Weshalb haben die Verantwortlichen kein Gewissen? Weil es um goldene Bilanzen, um Gewinne und Dividenden geht, immer neue Profite in Milliardenhöhe. Und da wir das mit konkreten Beispielen belegen können, überzeugt es.

Und es wirkt?
Ja, mitunter hat das dann auch unmittelbare Auswirkungen: So wollte Bayer in Taiwan eine angeblich hochsichere Anlage errichten. Als wir darüber informierten, daß kurz zuvor eine Fabrik gleicher Bauart in Deutschland explodiert war, schlug das dort wie eine Bombe ein. Das Werk wurde nie gebaut.

Stichwort Bayer erscheint vierteljährlich in einer Auflage von 5000 Exemplaren. Ist das angesichts der Übermacht von Bayer nicht viel zu wenig?
Es stellt natürlich einen ziemlichen Kraftakt dar, gegen eine PR-Abteilung mit Hunderten von Beschäftigten anzuschreiben. Aber gemessen daran können wir mit dem Erreichten ganz zufrieden sein. Es ist Stichwort BAYER immer wieder gelungen, Themen in die Öffentlichkeit zu bringen, über die dann breit diskutiert wurde, zum Beispiel die Kooperation von Konzernen mit Hochschulen, Arzneitests der Pharmaindustrie in Armutsregionen, die Gefährlichkeit von Verhütungsmitteln der Yasmin-Reihe oder aktuell die Risiken des Gerinnungshemmers Xarelto. Auch große Medien nutzen regelmäßig unsere Recherchen.

Das Heft einstellen wollen Sie also sobald nicht?
Auf gar keinen Fall! Es gibt kein zweites Medium, das eines der größten Unternehmen der Welt über einen so langen Zeitraum kontinuierlich beobachtet hat. Allerdings sind wir ernsthaft in Gefahr. Eine Zeitschrift wie Stichwort BAYER ohne jeden Cent Zuschuß über 30 Jahre hinweg herauszubringen, ist eine Leistung der besonderen Art. Im Moment drohen uns die Recherche-, Druck- und Versandkosten zu erdrosseln. Wir brauchen mehr Abos und vor allem mehr Förderer, um zu sichern, daß Bayer auch die nächsten 30 Jahre unter öffentliche Beobachtung gestellt werden kann.

Und haben Sie einen Geburtstagswunsch?
Wir würden uns natürlich über neue Leserinnen und Leser freuen oder über Menschen, die unsere Arbeit unterstützen wollen, indem sie dem Stichwort BAYER-Förderkreis beitreten.

Alle 30 Jahrgänge unter http://www.Stichwort-Bayer.de

Interview: Ralf Wurzbacher