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[SWB 01/2022] Ampelkoalition

CBG Redaktion

Eine gute Wahl für BAYER

Mit der Losung „Mehr Fortschritt wagen“ treten SPD, Grüne und FDP an. Für mehr Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit steht die Ampel jedoch auf Rot. Eine grüne Welle gibt es nur für die Wunsch-Vorhaben der Industrie. Dementsprechend zufrieden zeigen sich BAYER & Co.

Von Jan Pehrke

„Das richtige Signal für die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft“ geht für BAYER-Chef Werner Baumann von dem Ampel-Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ aus. Jetzt komme es auf die konkrete Ausgestaltung an, erklärte er gegenüber dem Handelsblatt. Aber auch da kann der Große Vorsitzende nicht meckern. So erweist das Klimaschutz-Kapitel des Koalitionsvertrags zunächst einmal den Konzernen seine Reverenz. „Unsere Wirtschaft legt mit ihren Unternehmen, den Beschäftigten sowie Verbraucher-innen und Verbrauchern die Grundlage für unseren Wohlstand“, lautet der erste Satz. Blöd nur, dass „unsere Wirtschaft“ mit ihrem Treibhausgas-Ausstoß auch die Grundlage für eine Gefährdung des Ökosystems „Erde“ legt. Also muss nach dem Willen der AmpelkoalitionärInnen eine Art von Abhilfe her, welche BAYER & Co. schont. Deshalb federn sie die geplanten Maßnahmen entsprechend ab. „Um unsere heimische Industrie, insbesondere die Grundstoff-Industrie, zu unterstützen, werden wir in dem für die Erreichung der Klimaziele ausreichendem Maße geeignete Instrumente schaffen“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Klimaschutz
Im Einzelnen planen die drei Parteien, den Ausstieg aus der Kohle vorzuziehen. „Idealerweise gelingt das schon bis 2030“, formulieren sie vorsichtig und bauen sicherheitshalber mit der „Errichtung moderner Gaskraftwerke“ vor. Zudem beabsichtigen Scholz & Co., bis zum Jahr 2030 80 Prozent des Strombedarfs mit Erneuerbarer Energie zu decken – trotz eines prognostizierten Mehrbedarfs von 20 bis 30 Prozent. Dazu möchten sie den Ausbau von Windkraft & Co. beschleunigen und die entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren einfacher gestalten. Das bleibt jedoch nicht auf Rotoren und Sonnenkollektoren beschränkt und trägt damit einer langjährigen Forderung der Industrie nach einer „Entbürokratisierung“ der verwaltungstechnischen Prozesse Rechnung. Entsprechend angetan zeigten sich BAYER & Co. von dem, was die FAZ einen „Turbo für Großprojekte“ nennt.

Dabei kommt allerdings so einiges unter die Räder. So scheut die neue Regierung nicht vor „Legalplanungen“ zurück, also davor, Vorhaben einfach per Gesetz zu genehmigen, statt sie den langen Marsch durch die Institutionen gehen zu lassen. Überdies hat sie vor, sich ins Reich der juristischen Spekulation zu begeben. Sie will „für solche Projekte unter gewissen Voraussetzungen eine Regelvermutung für das Vorliegen der Ausnahme-Voraussetzungen des Bundesnaturschutz-Gesetzes schaffen“. „Klimaschutz vs. Artenschutz“ – so lautet die neue Frontstellung. Auch die BürgerInnen-Beteiligung muss zurückstehen. Das Recht auf Einwendungen schleift die Regierung Scholz gehörig. Projekte wie die Kohlenmonoxid-Pipeline und der Autobahn-Ausbau in Leverkusen inklusive neuer Rheinbrücke und Öffnung der ehemaligen BAYER-Deponie „Dhünnaue“ dürfte jetzt erheblich leichter grünes Licht bekommen.

Über eine im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführte Abgabe hat sich neben den Privathaushalten auch die Industrie an den Kosten für Windparks, Sonnenenergie- und Photovoltaik-Infrastruktur beteiligt, in geringerem und in BAYERs Fall noch einmal reduzierten Maße zwar (siehe S. 10 ff.), aber immerhin. Selbst das erspart ihr Rot-Grün-Gelb nun. „Um (...) für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energie-Preise zu sorgen, werden wir die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strom-Preis beenden. Wir werden sie daher zum 1. Januar 2023 in den Haushalt übernehmen. Die Finanzierung übernimmt der EKF (Energie- und Klimafonds, Anm. SWB), der aus den Einnahmen der Emissionshandelssysteme (BEHG und ETS) und einem Zuschuss aus dem Bundeshaushalt gespeist wird“, kündigt der Koalitionsvertrag an.
Dem Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten waren ursprünglich noch ganz andere Aufgaben zugedacht. Er sollte den Ausstoß von CO2 so teuer machen, dass es den Multis Anreize für das Errichten saubererer Anlagen bietet. Doch dafür kosten die Zertifikate zu wenig. So kommt es die Konzerne billiger, die CO2-Lizenzen zu erwerben, als in klima-freundlichere Fabriken zu investieren. „Die Industrien schieben Neuinvestitionen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf“, konstatiert die im Auftrag der NRW-Grünen erstellte Studie „Wie kann Nordrhein-Westfalen auf den 1,5-Grad-Pfad kommen“. Die Untersuchung, die Agora Energiewende und die Unternehmensberatung ROLAND BERGER in Tateinheit mit BAYER, BASF, BP, SIEMENS und anderen Firmen erstellt haben, drückt es ein wenig vornehmer aus und spricht von „Investitionsattentismus“. Darum hilft die Ampel den Unternehmen nun freundlicherweise mit Klima-Verträgen („Carbon Contracts for Difference“) aus, „um so insbesondere auch die Wirtschaftlichkeitslücke zu schließen“. Das Geld dazu stellt wieder der Energie und Klimafonds bereit. 60 Milliarden Euro fließen per Nachtragshaushalt in diesen Topf. „Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 erhöht die verfügbaren Mittel für die aus dem Sondervermögen ‚Energie- und Klimafonds’ finanzierten Maßnahmen, von denen viele den Wirtschaftsunternehmen zugutekommen“, heißt es in dem Paragrafen-Werk. Zudem garantiert die Bundesregierung „sichere Absatzmärkte für klima-freundliche Produkte durch Mindestquoten in der öffentlichen Beschaffung“.

Die Vorgänger-Regierung hatte 2019 mit ihrem Klimaschutz-Gesetz nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Felder „Verkehr“, „Gebäude“, „Energie“, „Landwirtschaft“ und „Abfall“ verbindliche Reduktionsvorgaben gemacht – inklusive einer jährlichen Überprüfung. Den Grünen reichte das ursprünglich jedoch nicht. In ihrem Wahlprogramm formulierten sie die Erfordernis, die Regularien „nachzuschärfen“. Davon lassen sie jetzt jedoch ab. Und Die Zeit weiß auch den Grund: „Da die Klimaschutz-Maßnahmen der neuen Koalition nicht unmittelbar zu einer Senkung der Emissionen führen, werden in den kommenden Jahren wohl viele Sektoren ihre Ziele verfehlen. Nun allerdings wären es grüne Minister, die die Misserfolge erklären müssten, was die Partei-Führung offenbar vermeiden wollte. Annalena Baerbock soll diese Überlegung in mehreren internen Gesprächen zum Ausdruck gebracht haben.“ Von einem Klimaministerium mit Vetorecht ist auch nichts geblieben. Olaf Scholz sprach in seiner Regierungserklärung zwar noch von einer „zentralen Querschnittsaufgabe“, an der sich die Ampelkoalition messen lassen will, aber die Evaluation erfolgt dezentral ohne grüne Oberaufsicht. Den Klima-Check für alle Gesetze führen jetzt die jeweis verantwortlichen Ministerien durch.

Dementsprechend enttäuscht zeigte sich die grüne Basis von den Vereinbarungen. „Die versprochenen Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens sind unmöglich zu erreichen“, resümiert der Aufruf „Mehr grün wagen“. Und die Grüne Jugend konstatiert bei aller Notwendigkeit, auf die Koalitionspartner zuzugehen: „Aber klar muss sein, mit dem Klima kann man nicht einfach so Kompromisse machen“. Auch in Zahlen fiel die Reaktion der Partei auf das Verhandlungsergebnis verhalten aus. Nur 57 Prozent der Mitglieder beteiligten sich überhaupt an der Urabstimmung über den Koalitionsvertrag, und 86 Prozent von ihnen votierten dann für „Ja“. Fridays For Future war ebenfalls nicht gerade begeistert. „Während die Welt auf knapp drei Grad Erhitzung hinsteuert, verfehlt der Vertrag von SPD, Grünen und FDP noch vor Amtsantritt die eigenen Versprechen zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Trotzdem feiern wir nach 154 Wochen Klimastreiks auch Erfolge der Klima-Bewegung wie den Kohle-Ausstieg 2030“, heißt es in einer Erklärung der Organisation.

Viel mehr zu feiern hatten allerdings BAYER & Co. So begrüßte der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) in seiner Stellungnahme zum Koalitionsvertrag den Entschluss der Bundesregierung, den Unternehmen bei der CO2-Reduktion nicht mehr so genau auf die Finger zu schauen. In der „Abkehr vom ineffizienten Mikro-Management einer Nachjustierung jährlicher Sektor-Ziele“ sah der Verband „das richtige Signal“. Auch freute ihn, „dass das Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 „weich“ ausgestaltet ist (‚idealerweise’)“ und der Ampelkoalition „Erdgas als Brücken-Technologie“ gilt. Dem Verband kommt es in Sachen „Energie“ nämlich zuvörderst auf die Versorgungssicherheit an – und auf die Strom-Kosten. In diesem Zusammenhang lobt er SPD, Grüne und FDP sehr dafür, die „Wettbewerbsfähigkeit“ ernst genommen zu haben und nennt als Beispiele die Streichung der EEG-Umlage und die Reform der Netz-Entgelte. Die Klimaschutz-Verträge gefallen dem BDI natürlich ebenfalls, allerdings haben die Kontrakte für ihn zu viel mit dem Klimaschutz zu tun. Die „Knüpfung von Industrie-Entlastungen an die Umsetzung wirtschaftlicher Energieeffizienz-Maßnahmen“ schätzt er deshalb entsprechend kritisch ein.

Beim „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) fällt die Bewertung der entsprechenden Passagen des Koalitionsvertrags ähnlich aus. „Wir sehen noch keinen Booster, aber viele gute Ansätze, die Transformation der Industrie aktiv zu flankieren“, so der VCI-Hauptgeschäftsführer und ehemalige BAYER-Manager Wolfgang Große Entrup. Namentlich erwähnt der Verband dabei den Energie- und Klimafonds, die Klima-Verträge, den Wegfall der EEG-Umlage und das „Vorhaben, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu halbieren“.

Nur Risiken, keine Gefahr
So wenig, wie der Koalitionsvertrag für eine Klima-Wende steht, so wenig steht er für eine Agrar-Wende. Die Vereinbarung bekennt sich zwar zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, bleibt aber, was die Umsetzung angeht, vage. So wollen die drei Parteien „den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern und die Entwicklung von natur- und umweltverträglichen Alternativen fördern“, kündigen aber keine konkrete Maßnahmen dazu an. Eine Pestizid-Steuer etwa, wie sie viele Umweltverbände als Instrument für einen Kurswechsel fordern, findet sich in dem Dokument nicht. In Sachen „doppelte Standards“ erwägen die AmpelkoalitionärInnen zumindest eine Regelung. „Wir werden von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, den Export von bestimmten Pestiziden zu untersagen, die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind“, kündigen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP an. Aber nicht nur, weil es diese Möglichkeit mit dem Paragraf 25 des Pflanzenschutzgesetzes eigentlich schon gibt (siehe S. 24 ff.), bleibt dieser Vorstoß mit Fragezeichen behaftet. Klartext spricht der Koalitionsvertrag im Pestizid-Kapitel nur einmal. „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt“, heißt es auf Seite 46.
Die Agro-Gentechnik erwähnt die neue Bundesregierung in dem Schriftstück mit keinem Wort. Stattdessen spricht sie nur nebulös von der Züchtung klima-robuster Pflanzensorten, die sie zu unterstützen gedenkt, von der zu gewährenden Transparenz über Züchtungsmethoden und der zu stärkenden Risiko- und Nachweis-Forschung.

In anderen Bereichen fühlen sich Scholz & Co. durch die aktuellen Entwicklungen beflügelt, offener zu reden. „Deutschland hat die Chance, zum international führenden Biotechnologie-Standort zu werden. Durch den ersten mRNA-Impfstoff aus Mainz hat unser Land weltweite Sichtbarkeit erlangt. Damit ist eine Leitfunktion für die wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Biotechnologie verbunden“, verkünden sie. Die Ampel stand hier offensichtlich auf Gelb und gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf die künftig unter FDP-Ägide stehende Forschungspolitik.

Ganz ähnlich hatte sich zu dem Thema jüngst BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich vernommen. „Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt. Diese Pandemie hat vielen Menschen die Augen für Innovationen in einer Weise geöffnet, die vorher nicht möglich war“, sagte er bei einer Veranstaltung in Berlin.

Selbstredend freuen sich „Bundesverband der Deutschen Industrie“ und der „Verband der Chemischen Industrie“ in ihren Stellungnahmen zum Ampelvertrag wie Bolle über den Auftrieb, den die Gentechnik in Zeiten von Corona bekommen hat. Und dass die Koalition sich generell so zukunftszugewandt wie wagemutig gibt und „künftig neben dem Vorsorge-Prinzip auch Innovationspotenziale konsequent miterfassen will“, trifft beim BDI natürlich auch auf breite Zustimmung. Ebenso angetan zeigt er sich von der Absicht der Dreier-Koalition, das Gefährdungspotenzial von Substanzen auf Basis des Risikos zu beurteilen. „Eine Bewertung allein auf Basis von Gefahren-Eigenschaften wäre nicht zielführend und innovationsfeindlich“, hält der Verband fest.

Eine Prüfung der Stoffe auf Grundlage der „Gefahr“ unterscheidet sich nämlich maßgeblich von einer solchen auf der Grundlage des „Risikos“. Eine Bewertung anhand der Gefahr nimmt allein die Eigenschaften des Produkts in den Blick, eine anhand des Risikos berücksichtigt indes das Ausmaß, in dem Mensch, Tier und Umwelt der Chemikalie ausgesetzt sind. Während die Gefahr einer Substanz also immer absolut gilt und keine Grenzen kennt, ist das Risiko immer relativ. Es ist unter anderem von der Wirkstärke abhängig. Und als Maß der Dinge kommt so der Grenzwert ins Spiel, der das Höchstmaß der Belastbarkeit anzeigt. Solche Limits treffen auf die – zähneknirschende – Zustimmung von BAYER & Co., erlauben diese ihnen doch, ihre Waren auf den Markt zu bringen und zu halten. Und genau darum ist es dem BDI zu tun: „Um innovative Lösungen und gesellschaftlich relevante Technologien entwickeln und einsetzen zu können, muss es auch künftig möglich sein, gefährliche Chemikalien herzustellen und zu verwenden.“
Der VCI begrüßt derweil das „klare Bekenntnis für eine innovative Gesundheitswirtschaft als Garant für medizinischen Fortschritt, Beschäftigung und Wohlstand“. Für den Verband hat gerade die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig ein starker Pharma-Standort Deutschland ist. Deshalb behagt ihm die versprochene Stärkung im Prinzip auch. „Diese sollte aber nicht durch Subventionen, sondern durch wettbewerbsfähige Produktions- und Erstattungsbedingungen erreicht werden. Vor diesem Hintergrund sind die Fortschreibung des Preis-Moratoriums und die Verkürzung der freien Preissetzung für innovative Arzneimittel ein falscher Weg“, kritisiert der „Verband der Chemischen Industrie“. Dabei kann er sich über den Erfolg seiner Lobby-Arbeit eigentlich gar nicht beklagen. Im ursprünglichen Entwurf des Koalitionsvertrages hätten BAYER & Co. den Krankenkassen noch einen Rabatt von 16 Prozent auf patent-geschützte Arzneimittel einräumen müssen. „Doch diese Passagen aus dem ersten Entwurfspapier haben die Parteien auf den letzten Metern noch gestrichen“, wie die Pharmazeutische Zeitung berichtete. Jetzt heißt es nur noch: „Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittel-Preise.

Der Mann, der die Gesundheitspolitik in Zukunft verantwortet, ist ein alter Bekannter von BAYER. Karl Lauterbachs Wahlkreis liegt nämlich in Leverkusen. Der Sozialdemokrat stand sogar schon einmal in Diensten des Konzerns. In einer Studie stellte er dem Cholesterinsenker LIPOBAY, den das Unternehmen später wegen seiner Risiken und Nebenwirkungen vom Markt nehmen musste, ein gutes Zeugnis aus. „Die frühen Hinweise darauf, dass LIPOBAY möglicherweise gefährlich war, nahm Lauterbach damals ebenso wenig wahr, wie es seine Auftraggeber taten“, befand der Spiegel. Andere Medikamente des Global Players kamen bei ihm allerdings nicht so gut weg. So monierte er in einer für die Barmer Ersatzkasse durchgeführten Untersuchung die Praxis der MedizinerInnen, bei Bluthochdruck Kalzium-Antagonisten wie ADALAT zu verschreiben statt der preiswerteren und mindestens ebenbürtigen Entwässerungstabletten. Den Krebs-Arzneien von BAYER & Co., die irre viel Geld verschlingen und das Leben der PatientInnen doch oft nur wenige Monate verlängern, widmete der Mediziner ein ganzes Buch. Aber auch zur allgemeinen Geschäftspolitik des Leverkusener Multis äußerte er sich. Im Jahr 2006 kritisierte er das Rationalisierungsprogramm beim CURRENTA-Vorgänger BAYER INDUSTRY SERVICES. „Politisch doppelzüngig, entlarvend und moralisch ein Armutszeugnis“ nannte der SPDler es und wusste auch um die Motive des Unternehmens: „Der kurzfristige Gewinn ist das Ziel, das ist die ganze Geschichte.“ Lauterbach wähnte sich wegen solcher und ähnlicher Einlassungen sogar auf der berühmt-berüchtigten Schwarzen Liste der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO. „Ich habe vor einigen Tagen Hinweise erhalten, dass MONSANTO auch über mich Dossiers in Auftrag gegeben hat.“ sagte er 2019.

Als fortschrittlichen Gesundheitspolitiker weist ihn seine Vergangenheit allerdings nicht aus. So befürwortete er die Schließung unrentabler Krankenhäuser, saß im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Kliniken und trat für Fallpauschalen ein. Eine dringend erforderliche Neuerung wird es in seiner Amtszeit schon einmal nicht geben: Die Bürgerversicherung. Dementsprechend erleichtert zeigt sich die FAZ. „Die Private Krankenversicherung kann dankbar sein, dass es die Linkspartei nicht in die Koalition geschafft hat. Denn sowohl die Linke als auch SPD und Grüne hatten die Einführung einer Bürgerversicherung angekündigt – mit der es der PVK an den Kragen gegangen wäre. Jetzt aber sichert die FDP den Fortbestand des dualen Systems.“

Die FDP sichert den Konzernen neben einer „Superabschreibung“ auch den Fortbestand der erweiterten Verlust-Verrechnung und zusätzliche Steuer-Einsparungen wie den Ausbau des Verlust-Vortrags. Aber nach Ansicht der Firmen hätte es noch ein bisschen mehr sein dürfen. „Im Koalitionsvertrag fehlt es an einem klaren Bekenntnis der Koalition zu einer wettbewerbsfähigen Besteuerung (fett im Original, Anm. SWB) der Unternehmen von maximal 25 Prozent“, moniert der BDI. Und dem „Verband der Chemischen Industrie“ schwant deshalb Schlimmes: Steuerpolitisch wird der Standort Deutschland aus Sicht des VCI mit dem Konzept des Koalitionsvertrages in den kommenden Jahren noch weiter im Standort-Wettbewerb zurückfallen.“

Bei den handelspolitischen Beschlüssen der Ampel liegt für die Verbände auch so einiges im Argen. Sie bekennen sich zwar grundsätzlich zur Verankerung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards in Handelsverträgen, aber die in der Vereinbarung diesbezüglich formulierten Kriterien für den Kontrakt der EU mit den Mercosur-Staaten sind nach dem Dafürhalten des BDI „so kategorisch formuliert, dass damit faktisch das Abkommen auf Eis gelegt wird“. Nach Meinung des Verbandes gelte es, wie auch in Sachen „Lieferketten“, vielmehr „die richtige Balance zwischen Prinzipien und Pragmatismus zu finden.
Durch andere Vorhaben sehen die Konzerne sich in ihrem Wachstum gestört. So stehen sie einer Erweiterung der Fusionskontrolle ebenso skeptisch gegenüber wie einer Entflechtung, der statt eines Machtmissbrauchs als ultima ratio schon die bloße Macht zum Eingreifen reicht. Dazu dürfte es freilich mit der FDP im Boot schwerlich kommen. Und all die anderen Pläne der Ampel sind auch nicht dazu angetan, den Kapital-Verkehr großartig zu behindern. Dafür nehmen SPD, Grüne und FDP der Konzern-Kritik eine wichtige Plattform. Die Parteien ermöglichen es den Unternehmen, ihre Hauptversammlungen auch ganz ohne Pandemie dauerhaft online abzuhalten und so vor UmweltschützerInnen, Klima-AktivistInnen, Gentech-GegnerInnen und anderen ins Virtuelle zu flüchten.

[Explosion] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

Explosion im Chem„park“

Die Verantwortung BAYERs

Am 27. Juli 2021 ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chem„parks“ eine Explosion. Der Störfall im Tanklager des Entsorgungszentrums forderte sieben Todesopfer. 31 Menschen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Abermals zeigte die Katastrophe die lebensgefährlichen Risiken einer dem Profit-Prinzip folgenden Wirtschaftsweise auf.

Von Jan Pehrke

Es war die größte Chemie-Katastrophe in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Sieben Menschen starben bei der Explosion im Leverkusener Chem„park“. 31 verletzten sich zum Teil schwer. 55 Rettungskräfte hatten nach ihrem Einsatz gesundheitsgefährdende Mengen an Schadstoffen im Blut. Und zahllose AnwohnerInnen klagten über Gesundheitsstörungen.
Dazu kamen besorgniserregende Sachschäden wie etwa ein Defekt an den Brunnen der Dhünnaue-Deponien, die das verseuchte Sickerwasser auffangen und zusammen mit der Grundwasser-Barriere verhindern, dass es in den Rhein fließt. „Es wird davon ausgegangen, dass der Rohrbruch, der am 28.07.2021 festgestellt wurde, im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 27.07.2021 steht“, konstatiert das Landesumweltministerium in einem Bericht. Auch die Kläranlage des Entsorgungszentrums lädierte die Explosion. Dort fiel die Prozessleitsteuerung aus.
Noch in 40 Kilometer Entfernung von der Unglücksstelle schlugen die Messgeräte des nordrhein-westfälischen Geologischen Dienstes aus, eine solche Kraft hatten die Druckwellen. Die Rauchwolke zog über das ganze Bergische Land bis nach Dortmund hin. Eine Warnmeldung der Kategorie „extreme Gefahr“ setzten die Behörden ab. Die Feuerwehr forderte die Bevölkerung auf, die Fenster zu schließen und die Klima-Anlagen auszuschalten. Sie mahnte eindringlich, die niedergehenden Ruß-Partikel nicht zu berühren, kein Obst und Gemüse aus den eigenen Gärten zu essen und verschmutzte Gegenstände nicht selbst zu reinigen. Eine Größe von bis zu zwei Zentimetern erreichten die Flocken und waren nicht ohne: Mitunter fraßen sie sich sogar durch die Schutzschicht von Autolacken. Die Stadt Leverkusen sperrte alle Spielplätze, und die LandwirtInnen der Umgebung ließen ihre Kühe nicht mehr auf die Weide.
„Ich dachte, ein Flugzeug wäre auf unserem Hausdach gelandet“, so beschreibt eine Frau aus Leverkusen-Bürrig die Detonationsgeräusche. Am nächsten Tag legte sich ihr zufolge dann ein schwerer, gummiartiger Gestank über den Stadtteil, und sie hatte einen „bitteren Geschmack“ auf der Zunge. Den hatte auch ein anderer Anwohner. Das war aber nicht alles. Er habe „starke Lungenschmerzen bekommen“, berichtete er dem Kölner Stadtanzeiger. An eine Atom-Explosion, einen Fall-Out, erinnerte ihn das Ganze. Ein Mann klagte derweil über brennende Haut, und eine ältere Frau spürte noch am Wochenende darauf die Nachwirkungen. „Am Sonntag hatte ich den ganzen Tag Kopfschmerzen“, sagte sie in einem Monitor-Interview.

Verharmlosungen
Bereits am ersten Tag nach der Detonation begann die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion. Diese hatte sich in dem Tanklager der Sondermüll-Verbrennungsanlage des Chemie„park“-Betreibers CURRENTA, genauer im Tank 3 ereignet. Und es war ein Unglück mit Ansage. Schon ab etwa fünf Uhr morgens kam es an dem 27. Juli zu einem Temperatur- und Druckanstieg in dem Behältnis, da sich eine Chemikalie erhitzt hatte. Eine Alarmierung der Feuerwehr erfolgte zu diesem Zeitpunkt aber nicht. Die CURRENTA pumpte zur Abkühlung Heizöl in den Tank, aber das konnte die chemische Reaktion nicht stoppen. „Der ganze Vorgang ging so schnell, dass die Sicherheitseinrichtungen den Druck nicht mehr abführen konnten. Als der Druck dann über dem Auslegungsdruck des Behälters lag, explodierte dieser“, heißt es in dem Zwischenbericht des Gutachters. Der größte Druck- und Temperaturanstieg fand eine Viertelstunde vor der Detonation statt, die sich um 9.40 Uhr ereignete. Die Abfall-Flüssigkeit, die dem zweiten Zwischenbericht zufolge in Bürrig „oberhalb der Selbsterwärmungstemperatur gelagert wurde und so die Reaktion in Gang“ setzte, vermengte sich dann mit der Luft und dem Heizöl, was einen Brand auslöste. Das Feuer griff bald auch auf acht der Nachbar-Tanks über und zerstörte diese oder beschädigte sie stark.
Die Feuerwehr durfte sich zu diesem Zeitpunkt dem Brandherd immer noch nicht von allen Seiten nähern, sondern nur von Westen aus. Über dem Entsorgungszentrum verlief nämlich eine Starkstrom-Leitung, die zerbarst und erst umständlich vom Netz genommen und geerdet werden musste. Nach den heutigen technischen Bau-Bestimmungen für Betriebe, die der Störfall-Verordnung unterliegen, wäre eine solche überirdische Führung von 110 Kilovolt gar nicht mehr erlaubt. Aber der Gesetzgeber gewährt freundlicherweise Bestandsschutz. Und so verstrichen rund anderthalb Stunden, ehe die 360-köpfige Lösch-Crew die Möglichkeit hatte, vollen Einsatz zu zeigen. Gegen 13 Uhr gelang es ihr schließlich, das Feuer – mit potenziell umweltschädlichen – Sonderlöschmitteln unter Kontrolle zu bringen.
Dreieinhalb Stunden später folgte schon die erste Entwarnung. „Im gesamten Stadtgebiet wurden von der Feuerwehr Leverkusen und dem LANUV (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, Anm. SWB) Luftmessungen vorgenommen, die unauffällig blieben“, vermeldete die Stadt Leverkusen. Dabei war im Einzelnen gar nicht klar, was da ins Freie gelangt war – und ist es bis heute nicht. Laut CURRENTA befanden sich in den Tanks „organische Wasser- und Lösungsmittel-Gemische und chlorierte Wasserstoffe“. Daraus zog das LANUV erste Schlüsse: „Daher gehen wir derzeit davon aus, dass über die Rauchwolke Dioxin-, PCB- und Furan-Verbindungen in die umliegenden Wohn-Gebiete getragen wurden.“ Über die Konzentration der Stoffe vermochte die Behörde aber noch keine Angaben zu machen. Drei Tage später legte sie dann ihre Ergebnisse vor. „Eine nur geringe Schadstoff-Belastung“ stellte das LANUV fest. „Bei den Stoffgruppen der Dioxine (einschließlich dioxin-ähnliche PCB) wurde die Bestimmungsgrenze nicht erreicht. Bei den Polychlorierten Biphenylen (PCB) und den Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) wurden sehr geringe Werte gemessen, die die Bewertungsgrenzen unterschritten“, so das Landesamt. Nach anderen Stoffen hatte die Einrichtung allerdings zu der Zeit noch nicht gefahndet. Daher empfahl sie, zunächst noch alle Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten.
An den Dioxin-Befunden erhoben sich sogleich Zweifel. So machte der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) auf die geringe Anzahl der genommenen Proben aufmerksam und kritisierte die Aussage des LANUV-Mitarbeiters Ulrich Quaß, „dass die Ruß-Flocken auch für Kinder völlig unkritisch seien, selbst wenn diese so einen Brand-Rückstand verschlucken sollten“, als „völlig unangebracht“. Wenig später sah sich diese Skepsis durch eine GREENPEACE-Untersuchung bestätigt, die sich auf 20 statt bloß auf drei Proben stützte. „Teilweise wurden höhere Konzentrationen nachgewiesen als in den veröffentlichten Mess-Ergebnissen des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV)“, erklärte die Organisation. Während die Greenpeace-ChemikerInnen in den Wischproben von Staub auf Spielplätzen und in Hausgärten genauso wenig wie ihre LANUV-KollegInnen gefährliche Rückstände aufspüren konnten, stießen sie in dem Ruß sehr wohl auf bedenkliche Werte. „In vier von sieben quantitativ untersuchten Proben von Ruß-Niederschlägen werden Polychlorierte Dibenzo-Dioxine und -Furane in Konzentrationen oberhalb der Bestimmungsgrenze nachgewiesen“, heißt es in dem Bericht der Initiative. „Die Entwarnung kommt zu früh“, konstatierte GREENPEACE deshalb: „Kinder sollten auf keinen Fall mit diesen Fundstücken in Berührung kommen.“ Die Stadt forderten die Umweltschützer*innen auf, die Rückstände flächendeckend und systematisch zu analysieren und die CURRENTA, die Rußpartikel einzusammeln und fachgerecht zu entsorgen.
Mit genaueren Informationen zum Tank-Inhalt rückte der Chem„park“-Betreiber immer nur häppchenweise heraus, was die Untersuchungen zum Schutz der AnwohnerInnen massiv erschwerte. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser musste sogar persönlich in Leverkusen vorstellig werden, um bei dem Unternehmen Druck zu machen. Eine Verzögerungstaktik sah sie dabei aber nicht am Werk. Die CDU-Politikerin schrieb das Verhalten laut dpa lediglich einer vorübergehenden Überforderung zu. Am 31. Juli tat die Bezirksregierung Köln dann kund, in dem explodierten Tank hätten sich „flüssige Reststoffe aus der Produktion von Chemikalien für die Landwirtschaft“ befunden, in der Hauptsache phosphor- und schwefelhaltige Substanzen. Knapp eine Woche später publizierte das LANUV dann die Resultate ihrer Untersuchung auf der Basis der erhaltenen Stofflisten. 450 Agrochemie-Bestandteile spürte es in Boden- und Pflanzenproben nach und fand „keine relevante Konzentration und keinerlei Grenzwert-Überschreitungen“. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die einzelnen Bestandteile der Agrar-Chemikalien aus den Tanks durch den unmittelbar nach der Explosion einsetzenden Brand fast vollständig zerstört wurden“, so die Behörde.
Am 11. August durfte dann auch die Öffentlichkeit Genaueres erfahren. Die CURRENTA informierte über die Stoffe in den Tanks und im Fall des hochgegangenen Behälters auch über deren Herkunft. Sie stammten von einem „außerhalb des Chem„park“ ansässigen Kunden aus dem EU-Ausland“. Bei seinem Besuch der Leverkusener Stadtratsfraktionen nannte Unternehmenschef Lars Friedrich dann noch weitere Details. So brachte ein einziger Stoff, mit dem es das Entsorgungszentrum zuvor noch nie zu tun hatte, den Tank 3 zum Platzen. Die Bezirksregierung warnte sogleich alle Betreiber von Verbrennungsanlagen im In- und Ausland vor dieser Substanz. Genauere Angaben zu der Chemikalie verweigerte Friedrich jedoch mit Verweis auf die noch laufenden Ermittlungen. Er versicherte Erhard Schoofs von der Bürgerliste lediglich, dass die CURRENTA auch diese Lieferung sorgfältig beprobt hätte, bevor sie abgefüllt wurde.

Made by BAYER
Ein Leverkusener wusste laut Rheinischer Post sogleich, was er zu tun hatte, als er am Morgen des 27. Juli die ungeheure Erschütterung vernahm: „Ich geh’ rein, mach die Fenster zu. Wenn das vom BAYER kommt ...“ „Und ja, es kommt ‚vom BAYER’, wie man in Leverkusen sagt, wenn man über den Chem„park“, das ehemalige BAYER-Werk, spricht“, schreibt die Zeitung. BAYER und der Chem„park“, das ist für die Stadt immer noch eins, obwohl die Besitzverhältnisse inzwischen andere sind. Im Jahr 2019 verkaufte der Konzern seine 60-prozentige Beteiligung an der CURRENTA und hat somit rein formal nichts mehr mit dem Störfall zu tun. Andererseits trägt er aber sehr wohl Verantwortung. Der Multi war es nämlich, der nicht nur das Entsorgungszentrum mit dem Tanklager und den Verbrennungsöfen errichtete, sondern auch die ganze Chem„park“-Struktur mitsamt seiner Sicherheitsarchitektur schuf, die sich dann am 27. Juli nicht zum ersten Mal als sehr anfällig erwies. 2011 ging von der Sondermüll-Verbrennungsanlage aus ein Sandregen über Teile Leverkusens nieder. 2010 entzündete sich ein Feuer, und 2009 traten nach einem Defekt in der Dosier-Einrichtung der Abluft-Behandlung Schadstoffe aus. Im Jahr 1986 kam es in einem Müll-Ofen zu einer Detonation, bei der Nitrose freigesetzt wurde. 1980 schließlich explodierten Stoffe im Anlieferungsbunker. Sie töteten einen Bagger-Fahrer und zerstörten das „Entsorgungszentrum“ zum größten Teil.
Alles, was heute der Chem„park“ ist mit seinen rund 70 Firmen, nahm ursprünglich der BAYER-Konzern mit seinen Produktionsanlagen allein in Beschlag. Den dabei anfallenden Giftmüll verbuddelte er lange Zeit einfach. 1957 dann nahm das Unternehmen die erste Vorrichtung zur Sonderabfall-Verbrennung in Betrieb. Neue Öfen folgten in den Jahren 1967 und 1976. Eine Generalüberholung der Verbrennungsanlage 1 führte der Chemie-Riese 1989 durch, die der Verbrennungsanlage 2 1991/92. Da die beiden Vorrichtungen aber immer noch mehr Schadstoffe in die Luft bliesen, als die 17. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) erlaubte, musste BAYER 1995 „eine weitere Nachrüstung der Rauchgas-Reinigung“ vornehmen. Im Jahr 2016 erfolgte die bisher letzte Sanierung für rund vier Millionen Euro. Dabei wurde unter anderem ein sechs Meter langer Abschnitt eines Ofen-Drehrohres ersetzt.

Müll als Geschäft
Im Lauf der Zeit veränderte sich auch der Status der Produktionsrückstände – aus dem Müll wurde ein Geschäft. Noch aus den entlegensten Erdteilen versuchten die ManagerInnen gefährliche Produktionsrückstände zu akquirieren. Dazu erweiterten sie ständig die Kapazitäten der Öfen. Zuletzt war dies 2012 der Fall. Da stieg das Fassungsvermögen von 80.000 Tonnen auf 120.000 Tonnen. Die Lieferungen bestanden nämlich immer weniger aus heizwert-reichen Abfällen, bei deren Verbrennung eine als Energie nutzbare Wärme entsteht. Deshalb brauchte der Entsorger mehr Masse. „Der Energie-Ausgleich muss bei uns mit mehr Menge erfolgen, um unsere Verbrennungsanlage weiter wirtschaftlich betreiben zu können“, so der damalige CURRENTA-Sprecher Mark Mätschke. Diese Vergrößerungen machten riesige Tank-Anlagen als Zwischenlager-Stätten nötig. Wenn sich die Service-Gesellschaft darauf beschränkt hätte, nur den im Chem„park“ selbst regelmäßig anfallenden Sondermüll zu verbrennen, hätte es solch großer Vorrichtungen gar nicht bedurft, aber da war die Profit-Gier BAYERs vor. Wegen dieses Eifers, aus der Beseitigung von Fabrikationsresten einen blühenden Geschäftszweig gemacht zu haben, bezeichnete die ehemalige NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn den Leverkusener Multi deshalb einmal als „Müllstaubsauger“.
Und noch etwas anderes veränderte sich über die Jahre. Durch Produktionsverlagerungen bzw. -schließungen oder kleiner dimensionierte Neu-Anlagen entstanden auf dem Werksgelände immer mehr Freiflächen. Da machte BAYER aus der Not eine Tugend bzw. einen Chem„park“. Es wandelte sein Werk-Areal zu einem offenen Gewerbe-Gebiet um und warb andere Chemie-Firmen als Mieter an. Auch der Konzern selbst wandelte sich. Das Unternehmen gab sich im Jahr 2002 eine Holding-Struktur mit selbstständig arbeitenden Einheiten, um sich leichter von Unternehmensteilen trennen zu können. Das „Park“-Management inklusive „Müllabfuhr“ fiel dabei der Dienstleistungstochter BAYER INDUSTRY SERVICES (BIS) zu. Im Jahr 2005 stieß der Multi dann seine Chemie-Sparte und Teile des „Plaste & Elaste“-Segments ab. Im Zuge dessen gab er der fortan unter LANXESS firmierenden Abspaltung 40 Prozent der BIS-Aktien mit auf den Weg. Drei Jahre später verschwand „BAYER“ aus dem Namen, CURRENTA nannte sich die Service-Gesellschaft nun. Und 2019 schließlich veräußerten BAYER und LANXESS ihre Beteiligungen an die australische Investmentbank MACQUARIE, genauer: an MIRA, den Infrastruktur-Fonds des Geldhauses. Ein langfristiges Engagement stellte dieser jedoch nicht in Aussicht. „Wir gehen von einer Haltedauer von zehn bis zwölf Jahren aus“, so Deutschland-Chef Hilko Schomerus damals.
Aber immer noch unterhält der Leverkusener Multi vielfältige Geschäftsbeziehungen zu seiner Ex-Tochter und lässt beispielsweise seine Produktionsrückstände weiter von ihr entsorgen. Er wähnt diese bei einem Finanzmarkt-Akteur nach wie vor in guten Händen. „BAYER erklärt auf Anfrage, man gehe davon aus, dass sich an den Sicherheitsstandards nach dem Verkauf nichts geändert habe“, meldete die Rheinische Post. Es gäbe Sicherheitsvereinbarungen, erklärte der Agro-Riese der Zeitung gegenüber, überdies behielten die verantwortlichen ManagerInnen sich Kontrollen vor. Und die CURRENTA versicherte ebenfalls, die Schutzmaßnahmen seien „nie heruntergefahren worden“. Aber offensichtlich reichten schon die bestehenden nicht aus.

Dienstbare Politik
Und dafür hat BAYER so einiges getan. „Chemie-Anlagen sind keine Schokoladen-Fabriken“, bekundete der damalige Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider 1994 auf der Hauptversammlung und insinuierte auf diese Weise, AnwohnerInnen und Beschäftigte hätten die Risiken und Nebenwirkungen dieser Art der Produktion als Schicksal hinzunehmen. Gegen schärfere Sicherheitsvorschriften setzte sich BAYER stets mit allen Mitteln zur Wehr. So gelang es dem Konzern etwa, den nordrhein-westfälischen Abstandserlass, der nach mehreren Beinahe-Katastrophen keine gefährlichen Fertigungsstätten in der Nähe von Wohngebieten mehr zulassen wollte, zu verwässern. Bestehende Werke nahm die Landesregierung auf Druck des Unternehmens ausdrücklich von den Regelungen aus.
Angemessene Abstände und eine scharfe Kontrolle aller Störfall-Betriebe sahen schließlich auch die verschiedenen Seveso-Richtlinien vor, welche die Europäische Union nach dem verheerenden Chemie-Unglück, das sich 1976 in der Nähe der italienischen Stadt Seveso ereignet hatte, auf den Weg brachte. Dagegen opponierte der Multi ebenfalls. Er sprach sich gegen die festgeschriebene Prüfung aller zu einer Firma gehörigen Anlagen aus und kritisierte den bürokratischen Aufwand. Die Aufsichtsbehörden sollten nicht auf Zwangsmaßnahmen setzen, sondern auf ein „partnerschaftliches Miteinander“, meinte die Aktien-Gesellschaft.
Und die Politik spielte mit, von der obersten bis zur untersten Ebene. Der Bund etwa nahm sich bei der Umsetzung der Seveso-II-Richtlinie in deutsches Recht lange Zeit und ließ dabei nicht selten Lücken, weshalb die EU die Bundesrepublik im Jahr 2000 verklagte. Zudem wollte die Bundesregierung die Seveso-Vorgabe der angemessenen Abstände in einer Technischen Anweisung (TA) konkretisieren. Aber dazu kam es nicht, da BAYER & Co. Sturm liefen. Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) formulierte damals seine Bedenken in einem Positionspapier. Demnach sollte der Sicherheitsabstand nur eine von vielen Möglichkeiten sein, die von Störfallen ausgehenden Gefahren zu reduzieren und eine Unterschreitung auf keinen Fall zur Nichtgenehmigung einer Anlage führen. Andernfalls wäre „im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV die Tolerierbarkeit des Restrisikos aufgehoben“, so der BDI. Es galt für ihn lediglich, „die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Störfall auf ein tolerierbares und sozialadäquates Maß“ zu reduzieren: „Das heißt, dass ein Restrisiko verbleibt.“ Zudem trat die Lobby-Organisation dafür ein, bei der „Definition der Schutzobjekte“ das Augenmaß zu wahren. Überdies muss für den Bundesverband bei Genehmigungsverfahren „darauf geachtet werden, dass es nicht zu Verfahrensverzögerungen und Kostensteigerungen“ durch die Regelung kommt. Das Bundesumweltministerium führte dann ein Planspiel zur Realisierung der TA Abstand durch, das einen schlechten Ausgang nahm. So blieb alles beim Alten, und Einzel-Gutachten beurteilten wie eh und je jeweils konkret das Gefährdungspotenzial eines Vorhabens für die Umgebung.
Am BAYER-Standort Dormagen erzielte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) dennoch einmal einen Erfolg. Im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens für ein Kunststoff-Werk monierte sie den zu geringen Sicherheitsabstand der Anlage zu Wohnsiedlungen und Verkehrseinrichtungen. Daraufhin holte die Bezirksregierung ein Gutachten ein, das Handlungsbedarf erkannte, und der Leverkusener Multi musste bei der S-Bahn-Station „Dormagen BAYER-Werk“ einen Schutzraum errichten.

Dienstbare Kommunen
Die Kommune selber hält dagegen ebenso ungern Distanz zu BAYER wie Leverkusen. Die Städte fühlen sich durch die Seveso-Richtlinien nämlich in ihrem Aktionsradius bei der Ausweisung von neuen Wohn- oder Gewerbegebieten eingeschränkt. Deshalb versuchen sie sich durch Gutachten Handlungsraum zurückzuerobern. Zu diesem Behufe beauftragte Leverkusen vor einigen Jahren den TÜV, die Chancen für die Entwicklung Wiesdorfs zu eruieren. Das TÜV-Gutachten erklärte dann zwar die unmittelbar an den Chem„park“ angrenzenden Flächen, die Planungszone 1, zur No-Go-Area, in der keine Bebauung mehr gestattet ist, gab ansonsten aber Entwarnung. „Im Ergebnis des ersten Arbeitsschrittes konnten durch die Detail-Betrachtung im technischen Gutachten die Abstände zum Teil deutlich reduziert werden“, vermeldete der „Technische Überwachungsverein“ erfreut. Nach der bisherigen Richtgröße, dem von der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) pauschal festgelegten „Achtungsabstand“, wäre die Bannmeile nämlich deutlich breiter ausgefallen. Nunmehr aber unterlag die vom TÜV umrissene Planungszone 2 jetzt nur noch wenigen Auflagen. Und auf der Basis dieser Festlegungen erstellte Leverkusen schließlich einen Entwicklungsplan für das Stadtgebiet. Die Bezirksregierung Köln beobachtete dieses Treiben mit einiger Sorge. So kritisierte ihr Immissionsschutz-Experte Wolfgang Raffel laut Leverkusener Anzeiger „den Leverkusener Trend, in Gefahrenbereichen zu bauen“.
Ansonsten aber zeigt auch die Behörde keinen übermäßigen Ehrgeiz, die AnwohnerInnen vor den Risiken und Nebenwirkungen der Chemie-Produktion zu schützen. Die Kapazitätserweiterung der Öfen von 80.000 auf 120.000 Tonnen winkte sie 2012 durch, ohne dabei die vom gesamten „Entsorgungszentrum“ ausgehenden Gefährdungen mit zu berücksichtigen. „Spezielle über den Antragsgegenstand hinausgehende Anforderungen an die Sicherheitstechnik wurden im Genehmigungsbescheid nicht festgelegt“, erklärte die Bezirksregierung laut report-K. Dadurch versäumte sie es, insbesondere das Tanklager mit den dicht nebeneinander stehenden Tanks auf die Gefahr möglicher Kettenreaktionen hin zu untersuchen, obwohl schon die zu der Zeit geltende Seveso-II-Richtlinie eine Prüfung etwaiger Domino-Effekte vorschrieb. Das Tanklager selbst sahen sich die KontrolleurInnen zuletzt im Januar 2016 an und waren damit bereits nach einer Stunde fertig.
Seither nahm die CURRENTA insgesamt neun bauliche Eingriffe vor. Genehmigungsverfahren brauchte es dafür aber nach Ansicht der Bezirksregierung nicht. Sie schaute nur mal kurz drüber. „Die technischen Änderungen wurden zeitnah nach der Installation in Augenschein genommen“, erklärte sie. Die letzte Störfall-Inspektion des gesamten Areals fand 2018 statt. Und auch bei dieser Gelegenheit musterte die Bezirksregierung die Tanks nicht genauer. Es handelte sich da nach Angaben der Landesregierung nämlich nur um eine „System-Prüfung, d. h. es wird kein einzelner Tank überprüft, sondern es wird überprüft, ob die grundsätzlichen technischen und organisatorischen und management-spezifischen Vorkehrungen des Betreibers geeignet sind, Störfälle zu verhindern“. Die nächste, turnusmäßig für 2020 vorgesehene Kontrolle ließ die Bezirksregierung ausfallen und holte sie auch im April 2021 nicht komplett nach. Wegen der Corona-Pandemie fand lediglich eine Video-Konferenz statt. Einen Lokaltermin hatten die BeamtInnen erst für August angesetzt. Aufgeschreckt durch die Ereignisse vom 27. Juli kontrollierte die Bezirksregierung Köln jetzt wenigstens einmal CURRENTAs Entsorgungszentrum in Dormagen und beauftragte damit gleich zwei Überwachungsteams. „Bei der Inspektion wurden keine Mängel festgestellt“, gab sie anschließend Entwarnung.

Die Reaktionen
„Der Unfall in unserem Entsorgungszentrum in Leverkusen hat uns alle zutiefst erschüttert. Es ist furchtbar, was hier passiert ist“ erklärte die CURRENTA nach der Explosion und hielt fest: „Es ist unsere Aufgabe, den Unfall umfassend aufzuklären. Dabei unterstützen wir die Behörden mit aller Kraft.“ Für den LANXESS-Konzern – bis 2019 gemeinsam mit BAYER Eigentümer der CURRENTA– äußerte sich der Vorstandsvorsitzende Matthias Zachert. Er nannte die verstorbenen und verletzten Beschäftigten „de facto ehemalige Schwestern und Brüder“ und sprach von einem emotionalen Schock. Solche Worte waren von BAYER-Chef Werner Baumann nicht zu vernehmen. Er beließ es bei einer routinierten Beileidsbekundung: „Unser tiefempfundenes Mitgefühl gilt allen, die bei diesem schrecklichen Unfall zu Schaden gekommen sind. Unsere Gedanken sind auch bei den Familien der Betroffenen“. Ansonsten galt Business as usual. Sogar BAYER 04 Leverkusen lief schon am Tag nach der verheerenden Explosion auf, denn der Rasen war bespielbar, wie eine Überprüfung ergeben hatte: kein Partikel-Niederschlag.
Der Vorsitzende der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE), Michael Vassiliadis, nannte die Explosion im Tanklager „ein tragisches, furchtbares Unglück“ und versicherte den Betroffenen und ihren Familien seine Anteilnahme. Detlef Rennings forderte als Betriebsratsvorsitzender der CURRENTA Transparenz ein. „Als Betriebsräte erwarten wir, dass die Ursachen detailliert aufgeklärt werden. Wir müssen verstehen, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Denn eines ist klar: So etwas darf nie wieder passieren“, sagte er. Dafür will Rennings zufolge auch der Betriebsrat sorgen: „Natürlich werden wir uns dafür einsetzen, dass aus den Erkenntnissen konkrete Maßnahmen abgeleitet werden und dass wir als Unternehmen und Belegschaft daraus lernen.“
Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Leverkusener Stadtrat, Milanie Kreutz, zeigte sich völlig überrascht von dem Ereignis: „Wir haben immer darauf vertraut, dass die Sicherheitsmaßnahmen ausreichend sind.“ Jetzt stimmt die Chemie für sie nicht mehr so ganz, ein einfaches Weiter-so schloss Kreutz dem Spiegel gegenüber aus. „Wir müssen trotz freundlichem Miteinander unsere Kontrollfunktion bei der Aufklärung ausüben“, so Kreutz. Ihr Partei-Kollege Karl Lauterbach, Bundestagsabgeordneter mit Wahlkreis Leverkusen-Köln IV, betrachtete die Stadt dagegen immer schon als gefährdet. „Hier kommt einfach einiges zusammen, was Leverkusen zu einer Hochrisiko-Stadt gemacht hat“, konstatierte er und mahnte: „Für künftige Bauvorhaben sollte nach diesem Vorfall genauer geprüft werden, ob Müllverarbeitungsanlagen so nah an einer Stadt errichtet werden dürfen.“ Der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Josef Neumann verlangte derweil von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), die Explosion zur Chef-Sache zu machen. „Wir müssen wissen, wie es um die Sicherheit solcher Anlagen steht (...) Konkret muss jetzt geklärt werden, ob die Anlage in Leverkusen allen aktuellen Standards und den Auflagen der Sicherheit entsprochen hat“, so Neumann. Und für Norwich Rüße, den umweltpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, steht schon fest, dass es Handlungsbedarf gibt: „Klar ist bereits jetzt: Dieser erneute Störfall in einem Chemie-Betrieb muss Anlass sein, störfall-anfällige Chemie-Anlagen weiter in puncto ‚Sicherheit’ zu optimieren.“
Zu dieser Einschätzung war das Umweltbundesamt auf der Basis einer umfassenden systematischen Auswertung von 13 Störfällen schon vorher gekommen. Die Mängelliste umfasst zahlreiche Faktoren, und nicht wenige davon treffen auch auf die Chemie-Katastrophe vom 27. Juli zu. Auf betrieblicher Ebene machte die vom UBA in Auftrag gegebene Untersuchung ein Regelungsdefizit bei Kontrollen und der Umsetzung von Auflagen aus. Darüber hinaus hapert es der Studie zufolge bei der „systematischen Risiko- und Gefahrenanalyse“. Als ein Beispiel dafür nennt sie bei einem Vorfall eine unzureichende sicherheitstechnische Bewertung eines Druckanstiegs in einem Kälte-Aggregat. Zudem stießen die AutorInnen oft auf eine Betriebspraxis, die von der genehmigten Auslegung der Produktionsstätte abwich. Auch die Arbeitsbedingungen identifizierten sie als Risiko für Unfälle. Den Einsatz von Fremdfirmen, ohne die Beschäftigten ausreichend einzuweisen, machte die Expertise ebenfalls als Schwachstelle aus. Überdies fehlt es ihr zufolge häufig an einem „Alterungsmanagement“ der Anlagen, weshalb Instandhaltungsmaßnahmen ausbleiben. Und schließlich kristallisierte sich „bei einem Teil der Ereignisse eine erhöhte Kontrolle durch Aufsichtsbehörden (...) als Verbesserungspotenzial“ heraus.

Die CBG-Aktivitäten
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte ab dem 27. Juli turbulente Wochen. Sie veröffentlichte noch am Tag der Explosion eine Presseerklärung und ließ weitere, etwa zur Sondersitzung des NRW-Umweltausschusses im Landtag, folgen. Unzählige Medien-Anfragen beantwortete das konzern-kritische Netzwerk und gab viele Interviews. Zudem versorgte sie JournalistInnen mit Informationen und wies sie zum Beispiel auf die Mängel bei den Anlagen-Kontrollen der Bezirksregierung Köln hin.
Gemeinsam mit der aktion ./. arbeitsunrecht verlangte sie in einem Offenen Brief an die CURRENTA genauere Auskünfte über die Beschäftigungsverhältnisse zum Zeitpunkt des Unglücks und wollte beispielsweise wissen, wie hoch der Anteil der LeiharbeiterInnen war. Einen zweiten Offenen Brief adressierten die beiden Initiativen an den WDR, um die oberflächige, unkritische Berichterstattung zu geißeln. Den längsten Offenen Brief, diesmal von der CBG allein verfasst, erhielt der Leverkusener Multi. Dieser steht nach Ansicht der Coordination trotz der 2019 erfolgten Trennung von der CURRENTA nämlich immer noch in der Verantwortung, nicht nur weil das Tanklager und die Müll-Ofen von ihm stammten. Es war „der BAYER-Konzern, der für den Chem„park“ in Leverkusen und die anderen Chem„park“-Standorte das Nutzungskonzept, die Organisationsstruktur und die Sicherheitsarchitektur entwickelt hat“, hieß es in dem Schreiben unter anderem.
Und natürlich war die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN vor Ort in Leverkusen. Am 2. August stieß sie zu einer von der Partei MLPD initiierten Kundgebung, und am 21. September veranstaltete sie die Podiumsdiskussion „Wie weiter nach der Explosion?“ Daran nahmen neben dem Verfasser dieser Zeilen der GREENPEACE-Schadstoffexperte Manfred Santen, Hanno Raussendorf als umweltpolitischer Sprecher der Partei „Die Linke/NRW“ und Beate Hane-Knoll, die Bundestagskandidatin von „Die Linke“ für den Wahlkreis Leverkusen-Köln IV, teil. Rund 50 BesucherInnen kamen ins Forum Leverkusen. Die AnwohnerInnen waren von dem Ereignis immer noch merklich aufgewühlt und hatten auch allen Grund dazu. Beispielsweise klagten manche – zwei Monate danach – immer noch über Geruchsbelästigungen. Es liegt also immer noch Chemie in der Luft – allen Beteuerungen der CURRENTA und des LANUVs zum Trotz. Der Umgang des Chemie„park“-Betreibers und der Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung mit der Katastrophe gehörte dann auch zu den zentralen Kritikpunkten von Podium und Publikum. Auch deckte der große Knall für den Saal das eklatante Versagen der Behörden bei der Kontrolle von störfall-anfälligen Anlagen auf. Zudem machte er deutlich, welche Gefahren es birgt, aus der Müllentsorgung ein lukratives Geschäftsfeld zu machen. Und schließlich führte er das Fehlen scharfer politischer Regelungen vor Augen – ein dem unermüdlichen Lobby-Einsatz von BAYER & Co. geschuldeter Mangel. So lautete das Fazit an dem Abend dann auch: Der Risiko-Faktor Nr. 1 ist eine dem Profit-System folgende Wirtschaftsweise. ⎜

[Hochwasser] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

BAYER & Co. vernachlässigen den Hochwasser-Schutz

Schadstoffe in den Fluten

Die Hochwasser-Katastrophe vom Juli 2021 hat auch die mangelhaften Schutzvorrichtungen von BAYER & Co. offenbart. So lief im Chemie„park“ Knapsack, wo der Global Player Pestizide produziert, die Abwasser-Behandlungsanlage über und setzte Giftstoffe frei.

Von Jan Pehrke

Der Starkregen, der Mitte Juli 2021 Deutschland, Holland, Belgien und die Schweiz heimsuchte, hatte katastrophale Folgen. Durch das Hochwasser, das er auslöste, starben allein in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über 170 Menschen. Unzählige erlitten Verletzungen. Zudem verloren Zehntausende ihr Hab und Gut. Die Schäden an Häusern, Fabriken, Straßen, Brücken und Gleisen gehen in die Milliarden.
Auch im Chemie„park“ Knapsack südwestlich von Köln, wo BAYER Pestizide produziert war „Land unter“. „Durch die extremen Wassermassen kam es zu Erdrutschen und einer vollständigen Überschwemmung des Geländes“, vermeldete der Betreiber YNCORIS. Und zu noch etwas anderem kam es: Die Abwasser-Behandlungsanlage lief über, was den „Abfluss erheblicher Mengen Niederschlagswassers sowie Abwassers“ zur Folge hatte. Die Stadt Hürth setzte daraufhin eine Warnmeldung ab, die das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ aufgriff und weiterverbreitete. „Innerhalb des Stadtgebietes Hürth ist es im Bereich Alt-Hürth und Teilen von Hermülheim zu einem größeren Schadensereignis gekommen. Dabei werden Schadstoffe freigesetzt, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Hautreizungen führen können“, so der Wortlaut. Tatsächlich traten bei einigen AnwohnerInnen solche Krankheitssymptome dann auch auf. Trotzdem wiegelte YNCORIS ab. In der näheren Umgebung des Chemie„parks“ entnommene Proben hätten „keine auch nur annähernd gefährlichen Schadstoff-Gehalte“ ergeben.

Chemie-Fluten
Aus SHELLs Kölner Energie- und Chemie„park“ in Köln-Godorf floss Kohlenwasserstoff in den Rhein. Am BAYER-Standort Bergkamen ist hingegen alles noch einmal gut gegangen. Das Auffangbecken der Kläranlage war zwar „außergewöhnlich belastet“, konnte die Wassermassen aber gerade noch halten. So gelangten keine Chemikalien in die Umwelt. Wie schon 2017 nach heftigen Regenfällen blieb es bei weithin spürbaren Geruchsbelästigungen – die Niederschläge hatten sich mit Hefe-Bakterien und anderen Produktionsrückständen aus der mikrobiologischen Abteilung vermischt und zu Faulgas-Bildungen geführt. „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten durch die Geruchsbildung und arbeiten mit Hochdruck daran, das Wasser zu verarbeiten und zu beseitigen“, bekundete das Unternehmen. Auf dem Wuppertaler Werksgelände musste die Feuerwehr anrücken, um das Wasser abzupumpen. So blieb es bei vollgelaufenen Kellern in den Verwaltungsgebäuden. „Das Produktions-gelände ist nicht betroffen“, gab der Konzern Entwarnung. In Leverkusen lief es ebenfalls glimpflich ab. Am Stammsitz haben sich die Vorsorge-Maßnahmen, auf welche die Politik nach 2002 drängte, ausgezahlt. „Nachdem staatlicherseits nach den letzten großen Rheinhochwasser-Ereignissen die Schutzziele neu definiert wurden, hat der BAYER-Chemie‚park’ Leverkusen seinen Hochwasser-Schutz mit dem Neubau von ortsfesten und mobilen Schutzwänden sowie durch ein Hochwasser-Pumpwerk auf ein 200-jähriges Bemessungshochwasser erweitert“, so beschrieb das Umweltbundesamt im Jahr 2007 die vorgenommenen Veränderungen. Und das reichte offensichtlich aus. In Dormagen passierte ebenfalls nichts. „Uns sind keine Schäden bekannt“, bekundete die CURRENTA, die beide Chem„parks“ unterhält.
Zu den bekannten Schäden jedes Hochwassers zählt indes die Erhöhung der Giftstoff-Konzentration in den Flüssen. Und das nicht nur, weil vermehrt Pestizide von den Feldern in die Gewässer geraten oder die Fluten Chemikalien aus Lagerstätten mitreißen. Durch die Wetter-Ereignisse steigt nämlich die Fließgeschwindigkeit der Gewässer und wirbelt Sedimente auf dem Grund auf, in denen sich Schwermetalle, Dioxine und andere schädliche Substanzen ablagerten. Diese finden sich dann unter anderem in den Auen der Flüsse wieder. So bergen die Böden rund um Wupper und Rhein nach einer Untersuchung des „Ingenieurbüros Feldwisch“ im Auftrag der Stadt Leverkusen bedenkliche Mengen an Quecksilber, Chrom und anderen Rückständen aus der Industrie-Produktion. „Ich habe den Eindruck, dass das Problem der Schadstoffe aus den Altsedimenten in Deutschland und auch in Europa stark unterschätzt wird. Schadstoff-belastete Altsedimente sind aber eine tickende Zeitbombe, die mit jeder Flut hochgehen kann“, sagt der Umwelt-Toxikologe Henner Hollert von der Frankfurter Goethe-Universität.
Überdies unterspült jedes Hochwasser BAYERs Giftmüll-Deponie „Dhünnaue“, und ob allein Brunnen und Sperrwände verhindern können, dass belastetes Wasser bei niedrigeren Pegelständen wieder zurück in den Rhein oder ins Grundwasser fließt, daran haben viele ExpertInnen Zweifel.

Eine lange Geschichte
Bereits 1988 hatte die damals noch nicht sanierte und mit Wohnsiedlungen überbaute Lagerstätte bei einem Hochwasser für Gesundheitsgefährdungen gesorgt. Die Fluten spülten Dioxine, Chrom und andere Stoffe der Altlast in die Keller und lösten bei den AnwohnerInnen Nasenbluten und Übelkeit aus. So wie damals offenbarten sich die Gefahren, die von Chemie-Anlagen und ihren Hinterlassenschaften ausgehen, wenn die Flüsse über die Ufer treten, immer wieder. Im Jahr 1995 wäre es beinahe zu einer Überflutung des Leverkusener Chem‚parks’ gekommen. Das Rhein-Hochwasser stand lediglich zehn Zentimeter unterhalb der Kaimauer-Kante. 2001 havarierte ein mit Salpetersäure für BAYER beladenes Schiff auf dem Rhein. Wegen des hohen Wasserstandes und der starken Strömung drohte es zu bersten, weshalb die Feuerwehr gezwungen war, die Salpetersäure abzupumpen und in den Fluss zu leiten. 2002 trat die Elbe über die Ufer und setzte die tschechische Chemie-Fabrik Spolana Neratovice unter Wasser, so dass Chlorgas und Quecksilber in den Fluss gelangten. Für den elbabwärts gelegenen Bitterfelder Chemie„park“ entstand ebenfalls eine bedrohliche Lage. Dabei hatte der Pillen-Riese aus der Geschichte gelernt – 1954 wurde das gesamte Gelände überflutet – und seine neuen Anlagen auf einem höheren Grund errichtet. Auch baute er auf sicherem Fundament, verzichtete auf Keller und verlegte die Verarbeitung wassergefährdender Substanzen auf höhere Stockwerke. Trotzdem stand eine Umwelt-Katastrophe unmittelbar bevor. Bis an eine unmittelbar neben der Fertigungsstätte gelegene Straße drang das Wasser vor. Nur dem unermüdlichen Einsatz der vielen Helfer*innen war es zu verdanken, dass der den Chemie„park” umgebene Damm hielt. Und hätten nicht Deichbrüche bei Bad Düben das Wasser des Elb-Nebenflusses Mulde in die alten Tagebau-Stollen geführt, wäre auch diese Arbeit nutzlos gewesen. Von einer akuten Gefährdung sprach ein Bundeswehr-Angehöriger damals. Beim Leverkusener Multi aber hieß die Devise, solange es nur irgend ging: „Business as usual”. Ein Runterfahren der Produktion aus Sicherheitsgründen hielt das Unternehmen zunächst für unnötig, weil das ans Geld gegangen wäre. Darüber hinaus war der Global Player erst auf eindringliche Ermahnungen von GREENPEACE hin bereit, draußen auf dem Werksgelände lagernde Chemikalien vor den Fluten in Sicherheit zu bringen.
Die Elbe trug damals bleibende Schäden davon. Die erhöhten Fließgeschwindigkeiten von Mulde und Spittelwasser hatten nämlich die hochbelasteten Altsedimente gelöst und in den größeren Strom gespült.
Für BAYER wiederholte sich 2013 das Spiel. Wie schon 2002 musste die Bundeswehr einen provisorischen Deich errichten, um das Areal zu schützen. „Durch die anhaltenden Niederschläge ist die Hochwasser-Situation im Umfeld der BAYER BITTERFELD GmbH und in der Chemie-Region Bitterfeld sehr angespannt“, erklärte der Konzern.
In den USA trat 2017 derweil der Worst Case ein. Einströmende Wasser-Massen unterbrachen die Stromversorgung einer Chemie-Fabrik in Texas. Die Kühlung versagte, und die Temperatur der eingelagerten Substanzen sank ab. Das löste eine Reihe von chemischen Reaktionen aus, an deren Ende zwei Explosionen standen.

VCI gegen Maßnahmen
Trotz alledem wiegelt der „Verband der Chemischen Industrie“ ab. „Gefahren für Chemie-Anlagen durch Natur-Katastrophen wie Hochwasser sind in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in einem komplexen Sicherheitsmanagement berücksichtigt“, bekundet die Organisation. Darum lehnt sie zusätzliche Maßnahmen ab. So wendet sich der VCI gegen den länderübergreifenden Raumordungsplan für einen verbesserten Hochwasser-Schutz (BRPH), wie ihn CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen haben. Die Parteien beabsichtigen nämlich, den Betrieb von Chemie-Anlagen in Überschwemmungsgebieten zu untersagen, da von diesen im Überflutungsfall ein besonderes Gefährdungspotenzial für die Gesellschaft ausgeht. „Darunter fallen insbesondere jene Anlagen und Tätigkeiten, die im Falle einer Überflutung zur Freisetzung giftiger Stoffe sowie aufgrund thermischer Wirkungen zu Bränden und Explosionen führen können“, heißt es im Raumordnungsplan-Entwurf. Auch nimmt sich dieser vor, neue Risiko-Gebiete auszuweisen. Das alles behagt dem Verband nicht. Schwierigkeiten bei der Errichtung neuer Werke befürchtend, spricht er sich gegen „eigenständige Regelungen auf Bundesebene“ aus. „Da hier auf ‚hochwasser-angepasste Bauweise’ und technische Regeln verwiesen wird, dürfte hier die Begründungs- und Darlegungslast beim Vorhaben-Träger liegen, die von den Behörden eingehend zu prüfen ist. Das führt zu einer weiteren Planungsunsicherheit“, konstatiert der Lobby-Club in der seiner Stellungnahme zu dem Vorhaben. „Soll Deutschland Hightech-Industriestandort bleiben, sollten derartige Regelungen nicht in Kraft gesetzt werden“, so der VCI abschließend.
Der „Bundesverband der Industrie“ (BDI) pflichtete dem bei. Er monierte ebenfalls den Ausschluss bestimmter Gebiete als Bau-Gründe für Anlagen. Zudem sieht der Verband die „Bewirtschaftung und Weiterentwicklung der Flüsse“ durch den BRPH gefährdet. Praktischerweise macht der BDI auch gleich konkrete Streichungsvorschläge. Sein Resümee lautete: „Zusätzliche Regelungen halten wir für nicht erforderlich und lehnen den BRPH in Gänze ab. Sollte der Bundesraumordnungsplan in der aktuellen Fassung verabschiedet werden, hat dieser massive negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Fortbestehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“

Politik hört die Signale
Beinahe hätten BAYER & Co. Vollzug melden und den Plan auf den Müllhaufen der Geschichte bugsieren können. Aber dann kam im Juli die Hochwasser-Katastrophe, die der Politik keine Wahl ließ. Aber die Konzerne erreichten über das Wirtschaftsministerium viele Änderungen, die nicht einmal Innenminister Horst Seehofer geheuer waren. Es gebe Kritik an den Ausnahmen für Unternehmen und Infrastruktur in Risiko-Gebieten erklärte der CSU-Politiker laut Handelsblatt und kündigte an: „Wir schauen uns das Ganze noch mal an.“ Daraus wurde allerdings nichts, und ob die nächste Bundesregierung das tun wird, steht auch in Frage. Das Umweltministerium zeigte sich ebenfalls unzufrieden. „Die zuletzt getroffenen Ausnahmen innerhalb des Plans behindern eine wirksame Hochwasser-Vorsorge“, hielt Staatssekretär Jochen Flassbarth fest und empörte sich über BAYER & Co. Auch der Wirtschaft müsse klar sein, „dass ihre Betriebe direkt vom Hochwasser-Risiko betroffen sein können und dass der Allgemeinheit aber auch ihnen selbst in Zukunft enorme Schäden und Kosten durch Hochwasser drohen“, so Flassbarth.
Der nordrhein-westfälischen Landesregierung indes gelang noch im Frühjahr das Kunststück, den Hochwasserschutz massiv zurückzufahren. Im Rahmen seiner „Entfesselungspolitik“, mit der Armin Laschet auch die ganze Republik hatte beglücken wollen, nahm er sich das rot-grüne Landeswasser-Gesetz vor und fledderte es. „Wasserrechtliche Verfahren sollen dereguliert und verschlankt werden“, verkündete Schwarz-Gelb und verabschiedete im Mai das Gesetz zur Änderung des Landeswasserrechts. Mit diesem begaben sich CDU und FDP freiwillig vieler Möglichkeiten, Vorsorge-Maßnahmen zu treffen, wie etwa den Flüssen durch das Anlegen von Überschwemmungsgebieten mehr Raum zu geben, um die Folgen steigender Wasserstände zu mildern. So strichen die Parteien den Paragrafen, der dem Land bei fluss-nahen Flächen ein Vorkaufsrecht sicherte. Ein Passus, der den staatlichen Stellen die Befugnis einräumte, mehr solcher Retentionsareale auszuweisen, fiel ebenfalls unter das Rubrum „kann wegfallen“.
Und schließlich machten sich die EntfesselungskünstlerInnen auch daran, an einer Regelung herumzuschrauben, welche beabsichtigte, Abwasser-Behandlungsanlagen wie die in Köln-Knapsack gegen Starkregen-Ereignisse zu wappnen.
Die Gefahr eines Abgangs von chemikalien-haltigem Wasser aus den Becken im Falle heftiger Niederschläge ist bereits seit Langem bekannt. Angelika Horster vom BUND NRW vermisste „Maßnahmen gegen einen Abfluss von Abwasser aus Industrie-Kläranlagen“ in den Katastrophen-Plänen von BAYER & Co. bereits 2003; „Gefahrenherd Rhein-Hochwasser – Anlagen von BAYER & Co. nicht hochwasser-sicher“ überschrieb sie ihren SWB-Artikel damals. Im Jahr 2016 reagierte die rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft schlussendlich auf entsprechende Warnungen und änderte das Landeswasser-Gesetz entsprechend. So schrieb der Paragraf 84 im Absatz 3.2 nun vor, neue Abwasser-Anlagen hochwasser-sicher zu bauen und ältere bis Ende 2021 umzurüsten. Der Absatz 3.3 verfügte, Anlagen „nur so zu errichten und zu betreiben, dass wassergefährdende Stoffe durch Hochwasser nicht abgeschwemmt oder freigesetzt werden.“ Aber das ist jetzt Geschichte. Laschet & Co. verlängerten die Modernisierungsfrist für Abwasser-Anlagen kurzerhand bis 2027 und tilgten den Absatz 3.3 ganz.
Auch dem Flächenfraß mit seinen Versiegelungen, der dem Wasser die Möglichkeit nimmt, in die Böden einzusickern, leisten CDU und FDP weiter Vorschub. 22 Hektar pro Tag kommen in Nordrhein-Westfalen so unter die Räder, aber die beiden Parteien hatten nichts Besseres zu tun, als das 5-Hektar-Ziel aus dem Landesentwicklungsplan zu streichen.
Jetzt auf einmal aber gibt Armin Laschet den obersten Deichgrafen. „Wir müssen Dämme bauen, Rückhalte-Becken, Wasser-Reservoirs, Flächen renaturieren – Schutz nicht nur am Rhein, sondern auch an den großen und vielen kleinen Flüssen“, bekundet er. BAYER erkannte ebenfalls Handlungsbedarf: „Die Katastrophe wird sicher dazu führen, dass bestehende Schutz-Konzepte überprüft werden. Und die CURRENTA will im Chem„park“ Leverkusen ihre mobile Hochwasserwand ausbauen. Bei der Ursachen-Forschung hält sich sich die Branche allerdings nicht länger auf. Ein „Ereignis höherer Gewalt“ nennt Knapsack-Betreiber YNCORIS den Starkregen in einem Brief an die AnwohnerInnen des Chemie„parks“. Klimawandel – nie gehört. Dabei strickt die Chemie-Industrie daran kräftig mit. Neben der Stahl- und der Zementbranche zählt sie zu den größten Emittenten von Kohlendioxid. Auf 3,58 Millionen Tonnen kam allein der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020.
Und Armin Laschet zeigt sich da auch nicht einsichtiger. Er, der im Mai 2019 noch verblüfft konstatierte: „Aus irgendeinem Grund ist das Klima-Thema plötzlich ein weltweites Thema geworden“, fühlt sich noch nicht einmal nach dem Hochwasser bemüßigt, es zu seinem eigenen Thema zu machen. „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht seine Politik“, sagte er am 15. Juli in einem Interview mit dem WDR. ⎜

Giftmülldeponie in der Dhünnaue bei Leverkusen

CBG Redaktion

Keine Autobahn auf BAYER-Deponie!

Konzern muss für erhöhte Ausgaben aufkommen / hunderttausende Tonnen Chemie-Müll auf Leverkusener Deponie

Die neue Trasse der A1 soll über die Deponie Dhünnaue führen. In der Altlast des BAYER-Konzerns befinden sich hunderttausende Tonnen Giftmüll, darunter gefährliche Schwermetalle und Chlorverbindungen. Der Bau wäre mit hohen Risiken verbunden: Zehntausende Tonnen giftiger Abfall müssten entsorgt werden, gesundheitsschädliche Gase könnten austreten, Stützpfeiler durch Chemikalien angegriffen werden.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert eine vollständige Sicherung des Geländes auf Kosten von BAYER.

Giftmülldeponie Dhünnaue

CBG Redaktion

Anlässlich der Eröffnung der Landesgartenschau in Leverkusen übten Umweltorganisationen scharfe Kritik an dem „Feigenblatt auf der Dhünnaue“. In der Deponie liegen ca. 900.000 Tonnen Chemie-Müll aus dem BAYER-Werk Leverkusen, darunter hochgefährliche Schwermetalle, PCB und Chlororganika. Bei Stichproben wurden Belastungen gefunden, die den 1000fachen Grenzwerten der Klärschlamm-Verordnung entsprechen. Über Jahrzehnte hinweg waren Chemie-Abfälle in offenen Loren zur Deponie gefahren und verkippt. In der Mitte des Geländes befand sich ein 60 x 150m großer „Chemie-See“.

Ticker 3/20

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Appell zur EU-Ratspräsidentschaft

Am 1. Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO), LOBBYCONTROL, die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und zahlreiche andere Organisationen haben die Befürchtung, dass dabei die großen Konzerne die Marsch-Richtung vorgeben werden. Die Gründe dafür legten die Initiativen in der Studie „Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft – Industrie in der Hauptrolle“ dar. Die Untersuchung zeigt, welch großen Einfluss die Unternehmen auf die Entscheidungen in Berlin haben. Im Einzelnen beschäftigen die AutorInnen sich etwa damit, wie die Auto-Industrie, die Banken, die Pharma-Riesen und die Erdgas-Multis die politische Landschaft pflegen. Die Umtriebe der Chemie-Industrie im Allgemeinen und BAYERs im Besonderen zeichnete die CBG nach. Angesichts dieser Gemenge-Lage appellieren die Gruppen an die Große Koalition: „Die Bundesregierung muss die Vergangenheit hinter sich lassen, sich von Konzern-Interessen frei machen (trotz der massiven Lobby-Aktivitäten, die derzeit unter dem Stichwort „Coronawashing“ laufen) und das Gemeinwohl an die oberste Stelle setzen.“ In diesen Zeiten Individual-Interessen, den Interessen Superreicher oder einseitig den Unternehmen entgegenzukommen, könnte für die Europäische Union weitreichende und zutiefst destruktive Folgen haben, warnen die Initiativen.

Lieferengpässe: AOK wehrt sich

Der Pharma-Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. BAYER und andere große Unternehmen setzen mehr und mehr auf neue, patent-geschützte Pillen, da diese besonders hohe Renditen versprechen. Bei ihrem nicht so viel Geld abwerfenden Alt-Sortiment rationalisieren die Konzerne hingegen nach Kräften. So beziehen sie Vor- und Zwischenprodukte zur Wirkstoff-Herstellung und manchmal auch die komplette Substanz zunehmend aus Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien und China. Dort konzentriert sich die Fabrikation auf immer weniger Anbieter. Und wenn da einmal Störungen im Betriebsablauf auftreten, leiden PatientInnen auf der ganzen Welt unter den Lieferengpässen. Seit einigen Jahren passiert das immer häufiger. Auch Präparate des Leverkusener Multis glänzen in den Apotheken zunehmend durch Abwesenheit. Die Schuld dafür geben die Firmen gerne den Krankenkassen. Diese zwängen die Hersteller durch den Preis-Druck ihrer Rabatt-Verträge, eigene Pharma-Produktionen aus Kosten-Gründen zu schließen und die benötigten Substanzen stattdessen auf dem Weltmarkt einzukaufen. Der AOK-Vorstandschef Johannes Bauernfeind weist die Kritik zurück: „Dieser Argumentationsgang ist ebenso eingängig wie unwahr. Bereits seit den späten siebziger Jahren wich die Wirkstoff-Produktion nach Fernost aus.“ Zudem träten Lieferengpässe auch in Ländern auf, in denen es gar keine Rabatt-Verträge gebe, so Bauernfeind.

Mexiko: Pestizid-Beschwerde

Im Jahr 2017 hatten 43 Personen bei der mexikanischen Menschenrechtskommission CNDH wegen des unkontrollierten Einsatzes hochgefährlicher Pestizide in dem Land eine Beschwerde eingereicht. Unter den inkriminierten Ackergift-Wirkstoffen finden sich zahlreiche, die auch in BAYER-Produkten enthalten sind, wie z. B. Mancozeb, Glyphosat, Atrazin, Deltamethrin, Methamidophos, Imidacloprid, Carbofuran, Endosulfan, Bifenthrin und Carbendazim. Die CNDH gab den Beschwerde-TrägerInnen im Februar 2019 Recht und empfahl der Politik eine Reihe von Maßnahmen. Diese umfassten beispielsweise Vorschläge zu einer strengeren Regulierung der Agro-Chemikalien, zu einem besserem Schutz der LandwirtInnen und LandarbeiterInnen sowie zu einer besseren Ermittlung des Risiko-Potenzials der Substanzen.

MONSANTO-Listen: Die CBG hakt nach

Die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO hat über Jahre hinweg in eigener Regie oder über externe Dienstleister hunderte von JournalistInnen, PolitikerInnen, AktivistInnen und andere Personen ausspioniert. Mit diesem Wissen wollte sie dann unter anderem die Entscheidung der EU über die Zulassungsverlängerung für das Herbizid Glyphosat, die im Herbst 2017 anstand, im Sinne des Konzerns beeinflussen. Im Frühjahr 2019 flog der Skandal dann auf. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) startete sofort eine Reihe von Initiativen, um das ganze Ausmaß der Umtriebe aufzuklären. Unter anderem forderte die Coordination die Datenschutz-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen auf, aktiv zu werden. Das lehnte diese jedoch zunächst ab. Es lägen keine Anhaltspunkte für ein zielgerichtetes Auskundschaften einzelner Personen vor, MONSANTO hätte vielmehr themen-bezogen agiert, lautete die Antwort. Damit gab sich die CBG allerdings nicht zufrieden. In einem weiteren Schreiben zitierte sie aus den Unterlagen des von MONSANTO mit der Observation beauftragten Unternehmens FLEISHMANHILLARD. Diesen Dokumenten zufolge hatte die Agentur bei ihren Ziel-Objekten auch „Freizeit oder andere Interessen (Golf, Tennis, Jagd etc.)“ im Blick. Und mit der Drecksarbeit, „Auskünfte und Informationen zu sammeln, die NICHT (Hervorhebung im Original) öffentlich zugänglich sind“, beauftragte sie die Firma PUBLICIS. Diese Fakten-Lage bewog die Landesdatenschutz-Beauftragte dann, sich in der Sache doch noch mal an BAYER zu wenden. Eine Antwort steht jedoch noch aus.

CBG beim Online-Klimastreik dabei

Wegen der Corona-Pandemie konnte der Klimastreik am 24. April nicht wie gewohnt auf der Straße stattfinden. Trotzdem gab es viele Aktionen. Die Menschen stellten Plakate ins Fenster, bestückten Bäume, Briefkästen und Tor-Eingänge mit Demo-Schildern und legten Transparente vor den Ratshäusern aus. Und um zumindest digital vor Ort präsent zu sein, suchten sie auf der von FRIDAYS FOR FUTURE ins Netz gestellte Deutschland-Karte ihre Stadt und luden da Protest-Fotos hoch. Daran beteiligte sich auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) – zusammen mit 87.000 anderen virtuellen MitstreiterInnen.

Patent-Kampagne erfolgreich

Der BAYER-Konzern hält nicht nur Patente auf gen-manipulierte Pflanzen, sondern auch auf solche aus konventioneller Zucht. Das Europäische Patentamt (EPA) erteilt diese recht freigiebig, rund 200 Anträge genehmigte es. Sogar nach einem im Juni 2017 erfolgten Beschluss des Verwaltungsrates, in dem VertreterInnen aus 38 Ländern sitzen, solche Genehmigungen nicht mehr zu erteilen, wich das Amt nicht von seiner Linie ab. Seine technische Beschwerdekammer bewertete das Verwaltungsratsvotum nämlich als Verstoß gegen EU-Bestimmungen. Daraufhin gewährte das EPA Produzenten, die auf traditionellem Wege eine Tomate mit reduziertem Wassergehalt sowie einen Brokkoli mit angeblich krebs-präventiven Nebenwirkungen entwickelt hatten, Schutzrechte. Das wiederum rief das Europäische Parlament auf den Plan. Die Abgeordneten prüften die Praxis der Behörde und kamen zu einem eindeutigen Ergebnis. In einer Entschließung sprachen sie sich gegen die Verleihung solcher Patente aus. Schließlich musste sich dann die Große Beschwerdekammer des EPA mit der Sache befassen und ein Grundsatz-Urteil fällen. Im Vorfeld reichte ein breites Bündnis aus verschiedenen Organisationen – darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) – und Einzelpersonen Stellungnahmen ein, welche die Kammer bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen muss. Und das blieb offenbar nicht ohne Wirkung. Die Große Beschwerdekammer befand am 14. Mai 2020, dass Pflanzen und Tiere aus „im Wesentlichen biologischen“ Züchtungsverfahren nicht patentierbar sind. Der Beschluss gilt rückwirkend und betrifft alle Anträge, die ab Juni 2017 eingingen. Die Initiative KEINE PATENTE AUF SAATGUT und andere Gruppen begrüßten dieses Votum, allerdings machten sie noch rechtliche Grauzonen aus. „Das aktuelle Urteil kann dazu beitragen, ein Jahrzehnt voller rechtlicher Absurditäten und chaotischer Entscheidungen am EPA zu beenden. Es gibt aber immer noch ein großes Risiko, dass große Konzerne wie BAYER, ehemals MONSANTO, das Patent-Recht dazu missbrauchen, um die Kontrolle über Landwirtschaft und Lebensmittel-Produktion zu erhalten“, so Katherine Dolan von ARCHE NOAH. Beispielsweise besteht für die Unternehmen immer noch die Möglichkeit, zufällige Pflanzen-Mutationen als eigene Erfindungen auszugeben. So hat das EPA bereits kurz nach dem Spruch der Großen Beschwerdekammer einige mit einem Moratorium belegte Patent-Verfahren wieder anlaufen lassen. Darum dringen die Patent-KritikerInnen unter anderem darauf, die Unterschiede zwischen technischen Erfindungen und den Methoden konventioneller Züchtung genauer zu bestimmen. Um der Forderung nach mehr Klarheit in diesem Bereich mehr Nachdruck zu verleihen, setzte die Initiative TESTBIOTECH einen Offenen Brief an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) auf, den neben vielen anderene Organisationen auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN unterschrieben hat.

Kunst gegen Konzerne

Die US-amerikanische Künstlerin Kirsten Stolle setzt sich intensiv mit dem Treiben der Agro-Industrie auseinander. Ihre persönlichen Erfahrungen motivierten sie dazu: „Meine von Pestiziden verursachten Gesundheitsstörungen haben mich dazu gebracht, mich mit der unheilvollen Geschichte von BAYER/MONSANTO und DOW CHEMICAL zu befassen und deren Desinformationspolitik bloßzustellen.“ Im Zuge dessen nahm sich Kirsten Stolle etwa die ganzseitige Glyphosat-Anzeige vor, die BAYER am 4. Juni 2019 in der New York Times geschaltet hatte, um gut Wetter für das Mittel zu machen. Die Künstlerin „überarbeitete“ die Annonce und schwärzte den größten Teil des Textes ein, so dass nur noch Wort-Fetzen wie „likely to be carcinogenic“ übrig blieben. Umgekehrt ging sie bei „Annotated“ vor, da ließ sie den Glyphosat-Text stehen, versah ihn aber mit einer Fülle von Anmerkungen. Auch bei TV-Spots von MONSANTO legte Kirsten Stolle Hand an. Zudem entwickelte sie eine makabre BAYER/MONSANTO-Version des Spiels „Scramble“: Zu den Wörtern, die aus einem Quadrat mit 400 Buchstaben herauszuklauben waren, gehören unter anderem „Auschwitz“, „Vietnam“ und „DDT“.

Anfrage in Sachen „Glyphosat“

Im Streit um das Ackergift Glyphosat, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft, hat sich die Bundesregierung gegen einen sofortigen Stopp entschieden. CDU und SPD beschlossen im September 2019 lediglich eine Minderungsstrategie. Andere Länder gehen da rigoroser vor. So erließ Österreich ein Verbot. Das nahm ein Mitglied der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zum Anlass, sich bei Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nach den Gründen für diese zögerliche Haltung zu erkundigen. „Die Risiko-Bewertung von Glyphosat im Rahmen der Erneuerung der Genehmigung hat unter Zugrundelegung aller verfügbaren Studien ergeben, dass alle gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen für eine erneute Genehmigung gegeben sind“, anwortete das „Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft“ (BMEL). Weder eine krebserregende noch eine nervenschädigende Wirkung habe die „Europäische Chemikalien-Agentur ECHA bei ihrer Prüfung feststellen können, so das BMEL. Der Fragesteller hatte in seinem Brief auf Untersuchungen verwiesen, die zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen waren. Darauf aber ging das Ministerium nicht ein.

KAPITAL & ARBEIT

AktionärInnen-Richtlinie light

Im Jahr 2017 hat die Europäische Union als späte Reaktion auf die Finanz-Krise von 2008 eine neue Richtlinie zum AktionärInnen-Recht erlassen (Ticker 2/20). Unter anderem ermächtigt die Verordnung die AnteilseignerInnen, über die Gehälter der ManagerInnen mitzuentscheiden. „Um sicherzustellen, dass die Aktionäre auch tatsächlich Einfluss auf die Vergütungspolitik nehmen können, sollten sie das Recht erhalten, eine Abstimmung mit verbindlichem oder empfehlenden Charakter über die Vergütungspolitik (...) durchzuführen“, hält die Direktive fest. Und zu den dabei auf den Hauptversammlungen anzulegenden Maßstäben heißt es: „Die Leistung von Mitgliedern der Unternehmensleitung sollte anhand sowohl finanzieller als auch nicht-finanzieller Kriterien, gegebenenfalls einschließlich ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren, bewertet werden.“ Also ausdrücklich nicht nur nach Profit-Kriterien. Ende 2019 hat der Bundestag die Richtlinie 2017/828 in bundesdeutsches Recht überführt. Allerdings fehlen bedeutende Teile. Von sozialen und ökologischen Messgrößen zur Ermittlung des ManagerInnen-Salärs findet sich in dem „Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechte-Richtlinie“ kein Wort mehr, stattdessen heißt es nur noch: „Die Vergütungsstruktur ist bei börsen-notierten Gesellschaften auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten.“

Wenning weg

BAYERs Aufsichtsratschef Werner Wenning gibt sein Amt vorzeitig auf. Die GroßaktionärInnen des Konzerns schassten ihn offenkundig wegen des desaströsen Krisen-Managements des Konzerns in Sachen „MONSANTO“, für das Wenning Mitverantwortung trägt. Vor seiner Zeit als Ober-Aufseher stand er dem Leverkusener Multi lange als Vorstandsvorsitzender vor. Sein Amtsantritt im Jahr 2002 markierte eine Zäsur. Mit ihm gelangte zum ersten Mal ein Finanz-Experte an die Spitze des Leverkusener Multis, und genau das strich der Global Player bei seiner Bestallung auch heraus: „Als ausgewiesener Finanzfachmann besitzt er hohe Akzeptanz auf den internationalen Kapitalmärkten.“ Die besaß Wennings Vorgänger Manfred Schneider nämlich eher nicht. Schneider war Betriebswirt und hat nicht selten sein Befremden über die Finanz-AnalystInnen geäußert. In seinen Augen waren das alles Laien, grüne Jungs, die noch nie ein Unternehmen geführt hatten. Er wusste auch gar nicht so recht, woher diese Leute sich plötzlich das Recht nahmen, ihm etwas sagen zu wollen. Wenning hingegen wusste das nur allzu gut. Schon in seiner Zeit als Finanzchef hatte er BAYER finanzmarkt-kompatibler gestaltet. So führte er beispielsweise das Wertmanagement ein, die konsequente Ausrichtung jeder Unternehmenshandlung, jedes Beschäftigen auf die Steigerung des Aktienkurses. Und Wenning richtete 1998/1999 auch eine eigene Abteilung für „Investor Relations“ ein. Als Vorstandsvorsitzender bestand dann eine seiner ersten Amtshandlungen darin, aus BAYER eine Holding zu machen, um „Werttreiber und Wertvernichter noch leichter identifizieren zu können“. Und mit der Chemie-Sparte hatte er bald auch schon einen „Minderleister“ identifiziert. Im Jahr 2003 trennte sich die Aktien-Gesellschaft von diesem Geschäft und gab damit dem Druck der Kapitalmärkte nach, dem Manfred Schneider noch widerstanden hatte. Von da an setzte sich der Umbau des Konzerns dann munter fort – bis hin zur verhängnisvollen MONSANTO-Akquisition.

Arbeitsplatz-Vernichtung in Berlin

Die Prozesse in Sachen „Glyphosat“ mit ihren millionen-schweren Schadensersatz-Urteilen haben zu einem Absturz der BAYER-Aktie geführt. Großaktionäre wie BLACKROCK mahnten Handlungsbedarf an, und der Leverkusener Multi lieferte. Im November 2018 verkündete er ein großes Rationalisierungsprogramm („Super Bowl“), das unter anderem die Streichung von 12.000 Stellen vorsieht. Dabei kommt es auch am Standort Berlin zu Einschnitten. Dort gibt der Global Player die Forschung auf dem Gebiet klein-molekularer Wirkstoffe auf. Die Firma NUVISAN übernimmt zwar den Bereich, aber längst nicht alle der rund 400 Beschäftigten.

Tarifvertragsquote: 55 Prozent

Weltweit hat BAYER im Geschäftsjahr 2019 nur mit 55 Prozent seiner Beschäftigten Tarifverträge abgeschlossen, 2014 waren es 52 Prozent. In der Region „Europa/Nahost/Afrika“ gibt es solche Vereinbarungen für 80 Prozent der Belegschaften (2014: 87 Prozent), in Lateinamerika beträgt die Quote 54 Prozent (2014: 45 Prozent) und in den USA lediglich zwei Prozent (2014: fünf Prozent).

599 Arbeitsunfälle

Für das Geschäftsjahr 2019 führt BAYER 599 „berichtspflichtige Arbeitsunfälle mit Ausfall-Tagen“ auf. In fünf Prozent der Fälle war dabei der Kontakt mit Chemikalien die Ursache.

34 Fälle von Berufskrankheiten

Im Geschäftsjahr 2019 kam es bei BAYER laut Nachhaltigkeitsbericht zu 34 „arbeitsplatz-bedingten Erkrankungen“. „Sie betrafen u. a. den Bewegungsapparat und Haut-Reaktionen, ohne dass sich klare Risiko-Bereiche abzeichnen lassen“, heißt es darin.

IG FARBEN & HEUTE

Keine Stunde Null

Am 8. Mai vor 75 Jahren befreiten die Alliierten Deutschland vom Faschismus. Das von BAYER mitgegründete Industrie-Konglomerat IG FARBEN war ein wesentlicher Bestandteil des NS-Systems. Der Mega-Konzern hatte sich schon 1932 mit Hitler verbündet und den „Benzinpakt“ geschlossen. Nach der Machtergreifung erstellte er die Blaupause für den Vierjahresplan, mit dem die Nazis die Wirtschaft wehrtüchtig machten. Als es dann 1939 so weit war, vermochte der Multi die Armee fast alleine auszustatten. An der Vernichtungspolitik wirkte die IG FARBEN ebenfalls mit. Sie errichtete in unmittelbarer Nähe von Auschwitz ein Chemie-Werk und unterhielt in der Nähe der Baustelle ein eigenes ZwangsarbeiterInnen-Lager als Arbeitskräfte-Reservoir, während ihre Tochter-Firma DEGESCH den FaschistInnen mit dem Zyklon B die Mordwaffe lieferte. Darum stand die Zerschlagung des Giganten zunächst ganz oben auf der Agenda der Kriegskoalition. „Wenn es die Politik der Alliierten ist, dass ‚Deutschland nie wieder seine Nachbarn oder den Frieden der Welt bedrohen wird’, dann müssen die IG FARBEN zusammen mit ihren kriegswichtigen Anlagen zerstört werden“, hieß es in einem Bericht des US-Finanzministeriums. Aber es sollte anders kommen. Zum einen änderten sich in den USA die politischen Kräfteverhältnisse, sodass die „Tabula Rasa“-Fraktion unter Finanzminister Henry Morgenthau in die Defensive geriet. Zum anderen unterhielt die US-Industrie umfangreiche Geschäftsbeziehungen zu deutschen Unternehmen und verlangte von der Regierung, ihre Absatzgebiete zu sichern. Und schließlich begann der Kalte Krieg, weshalb ein starkes Deutschland gefragt war, das als „Frontstaat“ agieren konnte. Die westlichen Besatzungsmächte beließen es deshalb bei einer mehr als halbherzigen Entflechtung, die BAYER, BASF und HOECHST unbeschadet überstanden. Und bereits 20 Jahre später waren die einstigen IG-Teile allein größer als das damalige Ganze.

IG FARBEN & HEUTE

Benjamin Ferencz wurde 100

Im März 2020 feierte Benjamin Ferencz seinen 100. Geburtstag. Bei den Nürnberger KriegsverbrecherInnen-Prozessen hatte er das Verfahren gegen die Einsatz-Truppen des NS-Regimesgeleitet. In den 1950er Jahren dann verhandelte der Ungar im Auftrag der „Jewish Claims Conference“ mit der Bundesregierung und denjenigen Unternehmen, die während der Nazi-Zeit ZwangsarbeiterInnen beschäftigt hatten, über Entschädigungszahlungen. Die von BAYER mitgegründete IG FARBEN musste nur 27 Millionen DM aufbringen. Da blieb für die ehemaligen SklavenarbeiterInnen nicht viel übrig. „Sogar die strengen Härtefälle unter denen, die die Arbeit für die IG FARBEN in Auschwitz überlebt haben, erhielten jeder nicht mehr als 1.700 Dollar“, klagte Ferencz.

KONZERN & VERGANGENHEIT

100 Jahre Betriebsräte-Gesetz

Die Weimarer Verfassung sah umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten für Betriebsräte vor. Sie billigte den Beschäftigten-VertreterInnen im Artikel 165 das Recht zu, „gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken“. Näheres sollte das Betriebsräte-Gesetz regeln. BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg ersann darum prophylaktisch schon einmal geeignete Gegenmaßnahmen. So plante er unter anderem, die Gesamtzahl an Betriebsratssitzen zu erhöhen, um die Beschäftigten überstimmen zu können. Am Ende erwiesen sich solche Tricks jedoch als unnötig, denn es gelang der Kapital-Seite, die Regelungen massiv zu verwässern. Dementsprechend kritisch standen die KPD sowie Teile von USPD und Freien Gewerkschaften dem Gesetzes-Vorhaben gegenüber. Für den Tag der 2. Lesung des Paragrafen-Werkes riefen sie deshalb zu Protesten auf, bei denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Die Schätzungen reichen von 20 bis hin zu 42 Toten; zudem gab es über 100 Verletzte. Niemals zuvor und niemals wieder hat in der deutschen Geschichte eine Demonstration so viele Opfer gefordert. Von all dem findet sich in BAYERs Firmen-Chronik „Meilensteine“ nichts. In ihr feiert sich der Global Player unter der Überschrift „Schneller als die Gesetze: Mitbestimmung und Mitverantwortung“ hingegen als ein Unternehmen, das seinen Beschäftigten aus freien Stücken schon weit vor dem Betriebsräte-Gesetz und dem 1916 verabschiedeten „Vaterländischen Hilfsdienst-Gesetz“ eine Interessensvertretung zugestanden hatte.

Feine Füße von drüben

Der Fußball-Club BAYER Leverkusen hatte die DDR bereits in den 1980er Jahren als Spieler-Reservoir entdeckt. Wie aus Stasi-Unterlagen hervorgeht, beobachtete er mit Hilfe des in die Bundesrepublik geflohenen Trainers Jörg Berger DDR-Kicker bei Auswärtsspielen und verleitete geeignete Kandidaten wie Falko Götz oder Dirk Schlegel zur Republikflucht (Ticker 3/00). Und nach der Wende legte der Verein in Tateinheit mit anderen Bundesligisten erst so richtig los. „Am 5. Januar 1990 kam ich zum ersten Training nach der Winterpause und wusste nicht, wer überhaupt noch da war“, klagte etwa der Trainer des PSV Schwerin, Manfred Radtke, über das Ausmaß des „Schlussverkaufs“. Im Juni des Jahres bestritt er mit seiner Mannschaft das DDR-Pokalfinale gegen Dynamo Dresden. Der damalige BAYER-Manager Reiner Calmund saß damals auf der Tribüne und lockte Matthias Stammann für 350.000 DM vom PSV weg. Andreas Thom hatte Calmund da schon eingesackt. Am liebsten hätte er auch noch den zu der Zeit bei Dynamo Dresden spielenden Matthias Sammer verpflichtet, aber da war der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl vor. „Sie können die DDR nicht einfach leerkaufen“, redete dieser den Leverkusener ManagerInnen ins Gewissen. Aber BAYER ließ nicht locker und angelte sich dann noch Ulf Kirsten. Unter der Überschrift „‚Go West’– Zwischen Flucht und Mauerfall – Feine Füße von drüben“ handelt der Verein selber das Ost-Kapitel ab.

POLITIK & EINFLUSS

Online-HV nach BAYER-Gusto

Der Leverkusener Multi ergreift stets jede Gelegenheit, um sich die bei seinen Hauptversammlungen notorischen Proteste so gut es geht vom Leib zu halten. Im Jahr 2020 hieß die Gelegenheit „Corona-Pandemie“. Der Leverkusener Multi nutzte die Ungunst der Stunde und flüchtete vor den Konzern-KritikerInnen ins Virtuelle: Er berief eine Online-HV ein. Die rechtliche Handhabe dazu bot ihm das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“. Dessen Passagen zu den AktionärInnen-Treffen erlaubten den Konzernen, statt Reden nur noch Fragen zu gestatten. Sie konnten dabei sogar noch aussieben und Groß-Investoren wie BLACKROCK den Vortritt lassen. Ein Aktivist der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) stellte dazu einige Bundestagsabgeordnete zur Rede und erhielt erhellende Antworten. So schrieb der CDUler Dr. Carsten Brodesser, in den letzten Jahren würden Hauptversammlungen „zunehmend als politisches Forum genutzt, was bei den Abläufen zu teilweise unübersichtlichen Situationen führte“. Das sei in der realen Welt noch zu managen, nicht aber in der virtuellen, und „dem will der Gesetzgeber mit seinem Vorstoß unter anderem Rechnung tragen“. Das Büro des CDU-Parlamentariers Sepp Müller hielt bei nur im Netz stattfindenden Hauptversammlungen hingegen „eine Flut von Fragen und auch – wie bei sozialen Medien nicht unüblich – inhaltlich inakzeptablen Einwürfen“ für denkbar, dem Vorschub geleistet werden müsse. Und dabei halfen BAYER & Co. kräftig mit. Stellungnahmen zum Gesetzes-Entwurf „werden vermutlich auch die Vorstände mancher AGs geschrieben haben“, hielt Brodesser-Mitarbeiter Carl Canzler fest. Sein Kollege aus dem Büro Müller verwies indessen etwas unkonkreter auf „externe Expertise aus allen Bereichen“, die es den Abgeordneten ermöglicht habe, „auch praktische Auswirkungen auf unterschiedliche Akteure abbilden zu können“. Auf der Hauptversammlung selber hat BAYER dann auch eine Einflussnahme über den „Bundesverband der deutschen Industrie“, den „Verband der Chemischen Industrie“ und das „Deutsche Aktieninstitut“ eingeräumt.

Forschungsförderung für BAYER & Co.

Seit Jahr und Tag fordert der BAYER-Konzern die staatliche Förderung von Forschungsaufwendungen. Nun hat die Bundesregierung die Signale erhört. Anfang 2020 trat das „Forschungszulagen-Gesetz“ in Kraft, das jährliche Subventionen in Höhe von 1,27 Milliarden Euro vorsieht. Bis zu 500.000 Euro kann ein einzelnes Unternehmen abgreifen – und im Zuge der Corona-Maßnahmen erhöhte die Große Koalition die Summe dann noch einmal auf vier Millionen. Ursprünglich sollten nur kleine und mittelgroße Firmen in den Genuss der Gelder kommen, aber Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) räumte den Weg für die Multis frei. Dem „Verband der chemischen Industrie“ (VCI) gelang es bei seiner Lobby-Arbeit für BAYER & Co. darüber hinaus sogar noch, finanzielle Unterstützung für Labor-Arbeiten herauszuschlagen, die gar nicht bei den Konzernen selber stattfinden: Auch für Auftragsforschung hält die Große Koalition Mittel bereit.

Verfassungsrichter nach BAYER-Gusto

Der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, ist ein Mann ganz nach dem Geschmack der Leverkusener. Als Anwalt und späterer Partner der Wirtschaftskanzlei SZA hat er nämlich schon zahlreiche Unternehmen wie etwa VW vor rechtlichem Unbill geschützt. Das hat bei SZA eine Tradition, die weit zurückreicht. So tüftelten die beiden Gründer Heinrich Kronstein und Wilhelm Zutt in der Weimarer Republik die rechtliche Konstruktion für die von BAYER mitgegründete IG FARBEN aus, den späteren Mörder-Konzern mit eigenem ZwangsarbeiterInnen-Lager in Auschwitz. Auch bei von BAYER gesponserten Events trat Harbarth schon auf. So hielt der Jurist im Jahr 2018 auf der „German American Conference“, zu deren Förderern außerdem noch SIEMENS und die BOSTON CONSULTION GROUP zählten, eine Rede über den Schutz der Meinungsfreiheit.

MONSANTO verstieß gegen Lobby-Regeln

Die nunmehrige BAYER-Tochter MONSANTO investierte Unsummen, um für ihr umstrittenes Pestizid Glyphosat 2017 eine erneute EU-Zulassung zu bekommen. Die von ihr zu diesem Behufe engagierte PR-Firma FLEISHMANHILLARD scheute dabei vor keinem Mittel zurück. Sie legte umfangreiche Listen von PolitikerInnen, JournalistInnen sowie Behörden-MitarbeiterInnen an und ordnete sie in Kategorien wie „Verbündeter“, „möglicher Verbündeter“, „zu erziehen“ oder „im Auge behalten“ ein (siehe SWB 3/19). Allein in Brüssel bei der EU betrieb FLEISHMANHILLARD mit rund 60 Beschäftigten Einfluss-Arbeit. Die Kosten für die von Oktober 2016 bis Dezember 2018 dauernde „Glyphosate Renewal Campaign“ hat BAYER auf 14,5 Millionen Euro beziffert. Diese Summe findet sich im Lobby-Register der EU allerdings nicht wieder (siehe Ticker 2/20). Dort gab FLEISHMANHILLARD für 2016 lediglich 0,8 Millionen Euro an und MONSANTO für den Zeitraum von September 2016 bis August 2017 bloß 1,45 Millionen Euro. „Diese Zahlen zeigen, dass die Lobby-Macht der Pestizid-Industrie viel größer ist, als offiziell verlautbart (...) Diese Diskrepanz zwischen den angegebenen Aufwendungen und den 14,5 Millionen Euro kann als ein klarer Fall von Desinformation angesehen werden“, konstatierte das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) und reichte eine Beschwerde ein. Daraufhin prüfte das Sekretariat des Lobby-Registers die MONSANTO-Zahlen. Dabei kam heraus, dass der Konzern nur seine Aufwendungen für das Antichambrieren in Brüssel selber aufgeführt und die Lobbying-Investitionen in den Mitgliedsländern ausgespart hatte. Damit verstieß das Unternehmen gegen die Vorschriften. Die Meldungen müssen nämlich alle Ausgaben „zum Zweck der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme auf EU-Organe, unabhängig vom Ort, an dem die Tätigkeiten ausgeführt werden“, enthalten. Eine Strafe will die Europäische Union trotzdem nicht verhängen, sie kündigte lediglich an, die Regeln klarer fassen zu wollen.

Konzerne schreiben neues EEG-Gesetz

Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage ist für die Förderung alternativer Energien bestimmt. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu fiktiven Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen nun verklagt. Der Leverkusener Multi hingegen ist sich keiner Schuld bewusst und beteuert, sich immer an geltendes Recht gehalten zu haben. Betrugsvorwürfe wies BAYER-Chef Werner Baumann auf der Hauptversammlung des Konzerns am 28. April 2020 „entschieden“ zurück. Damit nicht genug, gehen die Firmen in die Offensive. Wie wiederum der Spiegel berichtete, möchten sie eine Gesetzes-Änderung erreichen, die sie vor Strafzahlungen schützt. Dazu haben BAYER & Co. dem Wirtschaftsministerium schon einmal frei Haus die passende Vorlage geliefert und eine „Novellierung Paragraf 104 Absatz 4 Erneuerbare Energien Gesetz (EEG)“ verfasst. Zudem trafen sich AnwältInnen und andere VertreterInnen der Firmen sowie EmissärInnen des „Verbandes der chemischen Industrie“ und anderer Organisationen in der Causa bereits mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Und nach dem Gespräch zeigte sich ein Konzern-Jurist auch hoffnungsfroh, dass „Missverständnisse“ über das Eigenstrom-Privileg bald „zielführend ausgeräumt“ werden.

Baumann kritisiert „Green Deal“

Im Mai 2020 hat die Europäische Union zwei wesentliche Elemente ihres „Green Deals“ vorgestellt: die Biodiversitätsstrategie und die Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“. Letztere gibt nach Ansicht der EU „eine umfassende Antwort auf die Herausforderungen nachhaltiger Lebensmittel-Systeme und erkennt an, dass gesunde Menschen, gesunde Gesellschaften und ein gesunder Planet untrennbar miteinander verbunden sind“. Auf der Agenda steht unter anderem eine Verringerung des Pestizid-Einsatzes bis 2030 um 50 Prozent. Das passt BAYER-Chef Werner Baumann gar nicht. „Es wäre illusorisch zu glauben, wir könnten ohne Pflanzenschutzmittel die bald acht Milliarden Menschen auf der Erde ernähren, die Biodiversität schützen und zugleich keine weiteren Flächen für die Landwirtschaft erschließen“, sagte er in einem Interview mit der FAZ. Ähnlich argumentiert der Konzern seit Jahren. Die Initiative OXFAM spricht in diesem Zusammenhang vom „Welternährungsmythos“. Sie hält die Zahlen, mit denen BAYER & Co. die Notwendigkeit einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion (und damit des Gebrauchs der Ackergifte) begründen, für nicht belastbar. In diese fließt nämlich nicht nur der mutmaßliche Bedarf an Lebensmitteln, sondern auch derjenige an Futtermitteln und Agrar-Rohstoffen zum industriellen Gebrauch ein. Auch zweifelt OXFAM den Zusammenhang zwischen der Menge an vorhandenen Nahrungsgütern und dem Hunger an. „Er suggeriert, dass eine höhere Produktion weniger Hunger bedeutet. Menschen hungern jedoch, weil sie extrem arm sind und sich keine Lebensmittel leisten können“, konstatiert die Organisation. Ihr schlichtes Fazit lautet: „Jenen, die den Welternährungsmythos bemühen, geht es in erster Linie um die Profite von Agrar-Konzernen und weniger um bessere Bedingungen für Hungerleidende.“

„Green Deal“: Klöckner reserviert

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zeigt sich wenig begeistert von der Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“, welche die Europäische Union am 20. Mai 2020 als „Kernstück“ ihres „Green Deals“ vorstellte. Diese sieht nämlich unter anderem eine Reduzierung des Pestizid-Einsatzes um 50 Prozent bis 2030 vor. „Die Vorschläge sind sehr ambitioniert“, konstatierte die CDU-Politikerin und führte weiter – ganz im Sinne von BAYER-Chef Werner Baumann (s. o.) – aus: „Die ausreichende Verfügbarkeit unserer Grundnahrungsmittel und die Ernährungssicherung der EU und global müssen stets im Vordergrund stehen. Und das wird immer Umwelt-Einflüsse haben.“ Klöckner bezeichnete die 24 Seiten lediglich als „Diskussionsgrundlage“ und stimmte schon einmal auf Kontroversen ein. Vielsagend wies sie in ihrer Presseerklärung darauf hin, dass der EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bei der Präsentation der „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie fehlte.

BfR unter Einfluss

Das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) fällt immer wieder durch Entscheidungen im Sinne der Konzerne auf. So stellte es dem von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften BAYER-Pestizid Glyphosat im Rahmen der EU-Entscheidung über die Zulassungsverlängerung eine aus Industrie-Unterlagen zusammengeklaubte Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Das wundert allerdings nicht weiter, denn das Bundesinstitut steht unter Einfluss. So sitzt in der „BfR-Kommission für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände“ neben VertreterInnen von BASF auch der BAYER-Manager Dr. Frank Pierre Laporte.

PROPAGANDA & MEDIEN

VCI macht Schule

BAYER & Co. drängen mit aller Macht in die Schulen, um Einfluss auf die Lehrpläne zu nehmen und ForscherInnen-Nachwuchs zu rekrutieren. Nach einer Studie der „Otto Brenner Stiftung“ haben sie bereits rund 800.000 – natürlich kostenlose – Lehrmaterialien erstellt, die noch nicht einmal die bei normalen Schulbüchern üblichen pädagogischen Eignungstests durchlaufen müssen, ehe sie in den Klassenzimmern landen. Ganz vorne mit dabei: der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI). Mit einem Etat von ca. zwölf Millionen Euro gedenkt er im Jahr 2020 die Schullandschaft zu pflegen. Dabei reicht das Programm von „Finanzmitteln für Experimente über kostenfreie Unterrichtsmaterialien bis hin zu Angeboten für die Lehreraus- und -fortbildung“.

EU ermöglicht Gift-Importe

Die Europäische Union hatte sich vorgenommen, konsequent zu sein und Rückstände von Pestiziden, die sie wegen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkungen verboten hat, auch nicht mehr in Lebensmittel-Importen zu dulden (siehe auch SWB 3/20). Das wussten BAYER & Co. allerdings zu verhindern. Immer wieder trafen EmissärInnen des Leverkusener Multis mit EU-KommissarInnen und/oder deren Kabinettsmitgliedern zusammen, um die Pläne zu vereiteln. So präsentierte der Konzern der Generaldirektion Handel etwa einen Report, der vor großen finanziellen Einschnitten durch die avisierten EU-Maßnahmen warnte. Und der beharrliche Lobby-Einsatz zahlte sich am Ende aus. Die Wünsche der Unternehmen fanden Eingang in die neue EU-Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“. In dem entsprechenden Passus heißt es, Brüssel gewähre „Einfuhr-Toleranzen für Pestizid-Wirkstoffe, die in der EU nicht mehr genehmigt sind“. „Das ist ein Offenbarungseid. Die EU-Kommission räumt den Konzern-Interessen den Vorrang vor der menschlichen Gesundheit ein“, konstatierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in ihrer Presseerklärung.

DRUGS & PILLS

EMA überprüfte CIPROBAY

Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen auslösen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hinaus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachten die MedizinerInnen schon. Da sich in letzter Zeit zudem Meldungen über Schädigungen der Herzklappen durch die Mittel häuften, leitete die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ (EMA) ein Prüfverfahren ein. Dieses bestätigte den Verdacht jedoch nicht. Darum müssen BAYER & Co. die Warnhinweise auf den Beipackzetteln nicht ändern.

Gefährliche Hormonersatz-Therapie

BAYER & Co. ist es gelungen, die Wechseljahre zu einer Krankheit zu erklären, bei der nur eins hilft: die Hormonersatz-Therapie. Was die Konzerne „Menopausen-Management“ nennen, bezeichnen KritikerInnen als „die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen“. Und diese setzt die Patientinnen erheblichen Gesundheitsgefahren aus. Da neue Studien das Brustkrebs-Risiko von Hormonersatz-Therapien zu bestätigen schienen, hatte die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ (EMA) ein Prüfverfahren eingeleitet. Erhöhten Handlungsbedarf sah die EMA nach Vorlage des Berichts jedoch nicht. „Zurzeit keine weiteren Maßnahmen“, verkündete sie.

Mehr Umsatz mit YASMIN & Co.

Verhütungsmittel der dritten und vierten Generation wie die Präparate aus BAYERs YASMIN-Produktreihe stehen seit Jahren wegen des erhöhten Thrombose-Risikos, das von ihnen ausgeht, in der Kritik. Während sich unter YASMIN, YAZ, YASMINELLE & Co. bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen ein Blutgerinnsel bildet, kommt es bei älteren Arzneien mit den Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nur bei 5 bis 7 von 10.000 Frauen dazu. Die Geschäfte des Pharma-Riesen beeinträchtigt das jedoch nicht. Im Geschäftsjahr 2019 stieg sein Umsatz mit diesen Medikamenten gegenüber 2018 um 42 Millionen auf 681 Millionen Euro.

Neue Arznei gegen Prostata-Krebs

BAYER hat gemeinsam mit dem finnischen Unternehmen ORION ein Medikament zur Behandlung von Prostata-Krebs entwickelt. Das Präparat NUBEQA mit dem Wirkstoff Darolutamid ist dabei auf solche Patienten zugeschnitten, die zwar noch keine Metastasen haben, aber erhöhte, nicht auf eine Therapie mit Testosteron-Blockern reagierende PSA-Werte. Bei dieser Gruppe von Kranken stört das Darolutamid angeblich die Arbeit des Androgen-Rezeptors und hemmt so die Bildung von Testosteron, welches das Tumor-Wachstum befördert.

PCOS-Kooperation mit EVOTEC

BAYER hat mit dem Hamburger Biotech-Unternehmen EVOTEC eine Kooperation auf dem Gebiet der Frauen-Heilkunde vereinbart. Die Firma will für den Leverkusener Multi eine Arznei zur Therapie des polyzystischen Ovarial-Syndroms (PCOS) entwickeln. Bei dieser Gesundheitsstörung handelt es sich um eine Erkrankung des Eierstocks, bei der Zysten-Bildungen den Ei-Sprung und so auch mögliche Schwangerschaften verhindern. Daneben forscht EVOTEC für den Global Player noch an Präparaten gegen Gebärmutterschleimhaut-Wucherungen, Husten und Nierenschäden. Die engen Verbindungen zum Pillen-Riesen kommen dabei nicht von ungefähr. Das ehemalige BAYER-Vorstands- und jetzige Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Plischke steht nämlich dem EVOTEC-Aufsichtsrat vor.

Galileo-Studie: Keine Aufklärung

BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO hat viele Risiken und Nebenwirkungen. So kann er beispielsweise schwere Blutungen verursachen, die allzu oft tödlich enden. Trotzdem versucht der Leverkusener Multi unermüdlich, neue Anwendungsfelder für sein Präparat zu finden. Nicht einmal dramatische Zwischenfälle bei den entsprechenden klinischen Prüfungen halten ihn davon ab. So musste der Pharma-Riese im Oktober 2018 die Galileo-Studie abbrechen, weil die Erprobung des Mittels an PatientInnen, die gerade eine künstliche Herzklappe bekommen hatten, gehäuft zu Todesfällen führte (Ticker 1/19). Anfang 2020 publizierten der Konzern und sein US-amerikanischer Vertriebspartner JANSSEN einen Aufsatz über den Arznei-Test in einer Fachzeitschrift. Aber Aufschluss über die hohe Sterberate konnten die beiden Unternehmen nicht geben. „Wir verstehen die Ergebnisse nicht ganz“, gab James List von JANSSEN anlässlich der Veröffentlichung zu Protokoll, vergaß dabei aber nicht, XARELTO eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen. „Da die TeilnehmerInnen am GALILEO-Test sich grundlegend von denen der anderen XARELTO-Tests unterscheiden, bleibt das Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil von XARELTO bei den acht von der FDA (US-amerikanische Gesundheitsbehörde, Anm. Ticker) genehmigten Indikationen positiv“, so der Pharma-Manager.

Zahlreiche XARELTO-Nebenwirkungen

BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO löst immer wieder schwere Gesundheitsstörungen aus. 113.707 Meldungen über gravierende Nebenwirkungen gingen bis zum 30. Mai 2020 bei der Europäischen Datenbank für unerwünschte Arzneimittel-Effekte ein.

XARELTO für junge Erwachsene

Bald läuft das Patent für BAYERs umsatzstärkstes Pharmazeutikum, dem mit vielen Risiken und Nebenwirkungen behafteten Gerinnungshemmer XARELTO, aus. Darum versucht der Konzern fieberhaft, seinem Top-Seller mit dem Wirkstoff Rivaroxaban neue Anwendungsgebiete zu erschließen. So beantragte der Pharma-Riese jetzt in Aussicht auf eine sechsmonatige Patent-Verlängerung eine EU-weite XARELTO-Zulassung zur Behandlung von jungen Thromboembolie-PatientInnen bis 17 Jahre. Dabei ist die Fakten-Lage dünn. Am entsprechenden klinischen Test nahmen nur 500 Kinder und Jugendliche teil. Zudem handelte es sich nicht um eine Doppelblind-Studie. Auch das Ergebnis spricht nicht gerade für das Präparat. Unter dem BAYER-Mittel bekamen 1,2 Prozent der TeilnehmerInnen eine Thromboembolie, unter der Standard-Medikation Heparin mit drei Prozent nicht viel mehr. Zudem traten in der XARELTO-Gruppe mehr Blutungen auf (drei Prozent gegenüber 1,9). Diese seien aber weniger schwer verlaufen, versucht der Leverkusener Multi zu relativieren.

Neue XARELTO-Zulassung

Der BAYER-Konzern hat seinem umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO in den Vereinigten Staaten ein neues – das bisher achte – Anwendungsgebiet erschlossen. Die US-Gesundheitsbehörde FDA erteilte dem Präparat eine Zulassung zur präventiven Behandlung von solchen PatientInnen mit Thromboembolie-Risiko, die wegen akuter internistischer Gesundheitsstörungen wie etwa Schlaganfällen, Infektionskrankheiten oder Herzinsuffienz in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssen.

GLYPHOSAT & CO.

Größeres Krebs-Risiko durch Dicamba

Der von BAYER und anderen Agro-Konzernen vermarktete Pestizid-Wirkstoff Dicamba lässt für LandwirtInnen die Wahrscheinlichkeit steigen, an Leber- und Gallenwegkrebs zu erkranken. Bei FarmerInnen, welche die Substanz intensiv nutzen, stieg das Risiko gegenüber solchen, welche den Stoff nicht einsetzen, um den Faktor 1.8. Die Leukämie-Gefahr nahm ebenfalls zu. Das ergab eine Untersuchung der US-amerikanischen „National Institutes of Health“ (NIH) auf der Basis eines rund 50.000 Bauern und Bäuerinnen umfassenden Daten-Satzes der „Agricultural Health Study“. Auch 20 Jahre nach der Erst-Exposition blieb die erhöhte Gefährdung noch bestehen. Nach dem Fall „Glyphosat“ droht BAYER nun also auch ein Fall „Dicamba“. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte die Bundesregierung in einer Presseerklärung auf, die neuen Erkenntnisse bei den Entscheidungen über Zulassungsverlängerung für dicamba-haltige Produkte zu berücksichtigen. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, hielt die CBG fest.

Notfall-Zulassungen in Deutschland

„Wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist, kann das ‚Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit’ kurzfristig das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung und für maximal 120 Tage zulassen“, heißt es auf der Webpage der Behörde. Und das tut diese immer häufiger. Schon 60 Notfall-Zulassungen gewährte das BVL im laufenden Jahr. Zumeist handelt es sich dabei um die Erlaubnis, die Pestizide in weiteren Kulturen gegen Schadinsekten oder Wildpflanzen nutzen zu können. So verhielt es sich auch bei dem BAYER-Insektizid MOVENTO SC 100. Gleich vier Mal genehmigte das Bundesamt eine Ausweitung der Anwendungszone. So dürfen die bundesdeutschen LandwirtInnen das Mittel mit dem Wirkstoff Spirotetramat zusätzlich gegen die Maulbeer-Schildlaus, die Rote Austern-Schildlaus, den Gemeinen Birnenblatt-Sauger, die Hopfen-Blattlaus, die Apfel-Blutlaus, die Reben-Schildlaus und zahlreiche weitere Tiere einsetzen.

Notfall-Zulassungen in der EU

Nicht nur Deutschland erteilt Notfall-Genehmigungen für Pestizide (s. o.), auch andere europäische Länder tun das. Dabei schrecken einige Staaten nicht einmal davor zurück, bereits auf den Index gesetzte Agro-Chemikalien wie etwa BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO aus der Gruppe der Neonicotinoide kurzzeitig wieder zuzulassen. Finnische, belgische und spanische LandwirtInnen können das Mittel, das die Europäische Union wegen seiner Bienengefährlichkeit im Jahr 2018 aus dem Verkehr gezogen hatte, in diesem Jahr wieder nutzen. Nur in Einzelfällen interveniert die EU. So untersagte sie im Februar 2020 Rumänien und Litauen, die Neonicotinoide wieder aus dem Giftschrank zu holen. Daneben durften sich noch einige Produkte des Leverkusener Multis über eine Ausweitung der Anwendungszone auf bisher verbotene Früchte freuen, so SIVANTO mit dem Wirkstoff Flupyradifuron und RONSTAR (Oxadiazon) in Griechenland, MOVENTO 48 C (Spirotetramat) in Italien und CONVISO ONE (Foramsulfuron und Thiencarbazone-methyl) in der Slowakei. Die einzelnen EU-Mitgliedsländer nutzen das Instrument der Notfall-Zulassungen in unterschiedlichem Maß. Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, strebt die Europäische Union nun eine Harmonisierung der Praxis an. Geschehen ist allerdings bisher noch nichts.

Artensterben durch PONCHO

Die EU hat Pestizid-Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonicotinoide im Jahr 2018 wegen ihrer bienenschädlichen Effekte verboten. In den meisten anderen Ländern der Welt dürfen sich Produkte wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel PONCHO (Wirkstoff: Clothianidin) jedoch weiterhin auf den Feldern tummeln und dort ihr Gefährdungspotenzial entfalten. Und dieses beschränkt sich bei Weitem nicht nur auf Bienen. So haben PONCHO & Co. einen fatalen Effekt auf das Ökosystem „Reisfeld“, wie eine Studie des japanischen Wissenschaftlers Masumi Yamamuro ergab. Die von den Reisbauern und -bäuerinnen eingesetzten Neonicotinoide lösen nämlich eine ganze Ketten-Reaktion aus. Die Mittel töten Libellen ab, die vielen Fischen als Nahrung dienen. Darum ging der Stint-Bestand drastisch zurück, und viele FischerInnen mussten ihren Beruf aufgeben. Der Leverkusener Multi aber bestreitet den Befund und zieht Methodik und Daten-Interpretation Yamamuros in Zweifel. „Es gibt keinen Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Rückgang von Insekten-Populationen und dem Gebrauch von Neonicotinoiden in der Landwirtschaft“, erklärte der Konzern.

PFLANZEN & SAATEN

Pilot-Projekt „Kurzhalm-Mais“

BAYER führt in Mexiko ein Pilot-Projekt mit Kurzhalm-Mais durch. Dem Konzern zufolge erweist sich die gestutzte Pflanze Wetter-Einflüssen gegenüber als stabiler. Zudem braucht die hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete Sorte mit dem Produkt-Namen VITALA weniger Wasser. Auch kommt sie angeblich mit weniger Pestiziden aus, die überdies nicht mehr von der Luft aus versprüht werden müssen. Auf der letzten Hauptversammlung Ende April 2020 gab sich BAYER-Chef Werner Baumann hoffnungsvoll, „dass diese Innovation den Mais-Anbau, und damit den Anbau einer der wichtigsten Kultur-Pflanzen überhaupt, revolutionieren kann.“

GENE & KLONE

Schweine als Ersatzteillager

BAYER setzt sowohl im Pharma- als auch im Agro-Bereich stark auf die „Gentechnik 2.0“, also zum Beispiel auf Gen-Scheren wie CRISPR-Cas9, die das Erbgut angeblich genau an einer vorgegebenen Stelle auftrennen können, um es dann „umzuschreiben“ oder neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einzufügen. Diverse Kooperationsabkommen in Sachen „Genome Editing“ hat der Leverkusener Multi bereits geschlossen. Und Anfang November 2019 investierte er 50 Millionen Dollar in das Start-up eGENESIS. Dieses nimmt sich vor, Schweine als Ersatzteillager für Menschen zu nutzen und in den Tieren Organe für Transplantationen zu züchten. Bisher galten derartige Unterfangen – von moralischen Bedenken ganz abgesehen – als extrem risiko-reich. Im Organismus von Schweinen tummeln sich nämlich viele Viren, sogenannte PERVs (porcine endogenous retrovirus), die das Potenzial haben, gefährliche Krankheiten auszulösen. Die 2009 ausgebrochene Schweinegrippe etwa kostete hunderttausende Menschen das Leben. Aber die eGENESIS-FoscherInnen wollen die PERVs im Erbgut der Tiere einfach mit einer Genschere herausschneiden und damit die Gefahr bannen. „Unser Team wird den PERV-freien Schweinestamm weiterentwickeln, für eine sichere und wirksame Xeno-Transplantation“, so eGENESIS-Mitgründerin Luthan Yang über das Projekt „pig3.0“. Von einer „Sprung-Innovation“ spricht BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich deshalb. Und sein Kollege Dr. Jürgen Eckhardt sekundiert: „Wir glauben, dass eGENESIS den gesamten Markt für Organ-Transplantationen revolutionieren kann.“ Frühere Versuche des Leverkusener Multis, Tiere in Wert zu setzen, erwiesen sich nicht als erfolgreich. Das Klon-Schaf „Dolly“ der schottischen Biotech-Firma PPL THERAPEUTICS, an welcher BAYER einst 8,5 Prozent der Anteile hielt, verstarb vorzeitig. Zudem verweigerten die Tiere auch dem „Gene Pharming“ den Gehorsam. Das vollmundig als „Doing drugs the milky way” angekündigte PPL-Vorhaben, in Euter ein menschliches Gen einzuschleusen und aus ihnen so Reaktoren zur Herstellung eines Wirkstoffes zur Behandlung von Lungenkrankheiten zu machen, scheiterte.

Neue Zulassung, alte Standards

Seit Ende 2013 gelten in der Europäischen Union strengere Standards bei den Import-Genehmigungen für Gen-Pflanzen. Wenn es bloß um die Verlängerungen der Einfuhr-Erlaubnisse geht, will Brüssel diese Maßstäbe jedoch nicht in Anschlag bringen. So erhielt der BAYER-Konzern im Dezember 2019 eine erneute Zulassung für zwei Soja-Arten, obwohl keine bzw. nur mangelhafte Fütterungsstudien vorlagen und die Feldversuche sich nicht an den tatsächlichen Anbau-Bedingungen orientierten. Konkret handelte es sich dabei um das glyphosat-resistente Produkt MON89788 und um die Laborfrucht A2704-12, die immun gegen das jetzt von der BASF vermarktete und in der EU wegen seiner Gesundheitsschädlichkeit nicht mehr zugelassene Pestizid Glufosinat ist. Die Initiative TESTBIOTECH kritisiert die Entscheidung. Nach Ansicht der Organisation bestehen nämlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beschlusses. Sie verweist dabei auf eine EU-Verordnung, in der heißt: „Damit sichergestellt ist, dass Anträge auf Zulassungsverlängerungen in Bezug auf die Prüfverfahren denselben Standards entsprechen, sollten diese Anforderungen auch für Anträge auf Verlängerung der Zulassung von GV-Lebens- und Futtermitteln gelten (GV = gentechnisch verändert, Anm. Ticker)“. Hätte die bisherige Praxis aber trotzdem weiter Bestand, „gäbe es in der EU doppelte Sicherheitsstandards für transgene Pflanzen“, warnt TESTBIOTECH.

WASSER, BODEN & LUFT

CO2-Ausstoß steigt

Der BAYER-Konzern hat erstmals seit vielen Jahren wieder einen separaten Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt. Er hat seine Umweltberichterstattung also nicht reduziert, wie irrtümlicherweise im Ticker 2/20 berichtet. Nur leider gibt es in der Sache selbst kaum Positiveres zu melden, was das Unternehmen hauptsächlich dem „akquirierten Agrar-Geschäft“, also dem MONSANTO-Deal, zuschreibt. So stiegen die Kohlendioxid-Emissionen im Geschäftsjahr 2019 um 830.000 Tonnen auf 3,71 Millionen Tonnen. Ein Großteil dieses Zuwachses ist auf die extrem energie-intensive Glyphosat-Produktion am Standort Soda Springs zurückzuführen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert hier bereits seit Langem Maßnahmen ein, bisher blieb der Global Player allerdings untätig.

BAYER verbraucht mehr Strom

Der im Geschäftsjahr 2019 erstmals vollständig in BAYERs Energie-Bilanz einfließende Strom-Verbrauch des zugekauften MONSANTO-Geschäfts sorgt für eine massive Erhöhung der Zahlen. Der Energie-Einsatz des Konzerns erhöhte sich von 29.903 Terrajoule auf 38.744 Terrajoule.

Mehr Kohle im Strom-Mix

Der BAYER-Konzern verbrauchte im Geschäftsjahr 2019 nicht nur mehr Energie (s. o.), diese kam, was den selbst erzeugten Strom angeht (für den zugekauften Strom macht das Unternehmen keine detaillierteren Angaben), im Vorgleich zum Vorjahr teilweise auch aus schmutzigeren Quellen. So erhöhte sich der Kohle-Anteil am Energie-Mix von 2,38 Prozent auf 13,5 Prozent. Für Flüssigbrennstoffe sanken die Werte hingegen. Sie reduzierten sich von 23,11 Prozent auf 13,44 Prozent. Hauptenergie-Lieferant für den Leverkusener Multi ist mit 66,86 Prozent Erdgas.

Mehr ozon-abbauende Substanzen

Im Geschäftsjahr 2019 haben die BAYER-Werke mehr ozon-abbauende Substanzen ausgestoßen. Der Wert für die „Ozone Depleting Substances“ (ODS) stieg von 9,3 auf 17,8 Tonnen. Und diesmal ist daran nicht MONSANTO schuld. Die Uralt-Dreckschleudern des Konzerns im indischen Vapi sorgten für den Großteil des Zuwachses. An diesem Standort hatte das Unternehmen zwar jahrelang Modernisierungsarbeiten durchgeführt, aber ausgezahlt hat sich das Ganze offenbar nicht.

Mehr flüchtige Substanzen

2019 hat BAYER mehr flüchtige Substanzen in die Luft emittiert als 2018. Von 1.360 Tonnen auf 1.610 Tonnen erhöhte sich der Wert.

Weniger Kohlenmonoxid-Emissionen

Der Kohlenmonoxid-Ausstoß von BAYER ging 2019 gegenüber dem Vorjahr von 3.990 Tonnen auf 3.300 Tonnen zurück.

Mehr Stickstoff-Emissionen

2019 hat der BAYER-Konzern mehr Stickstoff in die Luft emittiert als 2018. Der Wert erhöhte sich von 3.260 auf 4.700 Tonnen.

Mehr Schwefeloxid-Emissionen

2019 hat der BAYER-Konzern mehr Schwefeloxid in die Luft emittiert als 2018. Der Wert erhöhte sich von 730 Tonnen auf 2.310 Tonnen.

Weniger Staub-Emissionen

BAYERs Staub-Emissionen sanken im Geschäftsjahr 2019 gegenüber 2018 von 2.350 Tonnen auf 1.580 Tonnen.

Höhere Abwasser-Frachten

Im Geschäftsjahr 2019 stieg BAYERs Wasserverbrauch gegenüber 2018 von 42 Millionen Kubikmeter auf 59 Millionen Kubikmeter und dementsprechend auch das Abwasser-Aufkommen. Die Gesamtmenge wuchs um 42,1 Prozent auf 26 Millionen Kubikmeter.

Mehr Einleitungen in Gewässer

Im Geschäftsjahr 2019 leitete der BAYER-Konzern mehr schädliche Stoffe in die Gewässer ein als 2018. „2019 stiegen alle Emissionen in das Wasser. Dies ist insbesondere auf die ganzjährige Einbeziehung der Standorte des akquirierten Agrar-Geschäftes zurückzuführen“, heißt es dazu im Nachhaltigkeitsbericht. Die Phosphor-Werte stiegen von 180 auf 510 Tonnen, die Stickstoff-Werte von 390 auf 420 Tonnen, die Schwermetall-Werte von 2,4 auf 2,6 Tonnen, die für organisch gebundenen Kohlenstoff von 600 auf 980 Tonnen und diejenigen für anorganische Salze von 97.000 auf 167.000 Tonnen.

Viele Pestizide in NRW-Gewässern

Die Gewässer in Nordrhein-Westfalen sind stark mit Agro-Chemikalien belastet, wie eine Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen an die CDU/FDP-Landesregierung ergab. Demnach weisen von 351 untersuchten Fluss-Abschnitten des Rheins 207 Pestizid-Rückstände über dem Beurteilungswert auf, der für die WissenschaftlerInnen den Übergang von einem guten in einen mäßigen Zustand markiert. Für die Ems traf dies auf 58 von 59 Bereichen zu, für die Maas auf 47 von 68 und für die Weser auf 65 von 82.

Dormagen: Ein bisschen Umweltschutz

Der BAYER-Konzern baut seine Dormagener Fertigungsanlage zur Herstellung der beiden Fungizide ASCRA XPRO (Wirkstoffe: Bixafen, Prothioconazol, Fluopyram) und ANTRACOL (Wirkstoff: Propineb) nicht nur aus (siehe STANDORTE & PRODUKTION), sondern aus Umweltschutz-Gründen zudem ein wenig um. Das erscheint angesichts der verheerenden Öko-Bilanz des Unternehmens (s. o.) auch dringend geboten. So kündigte die Firma Investitionen in eine leistungstärkere Aufbereitung von Abgasen und Abwässern an. Unter anderem will sie das bei der Prothioconazol-Produktion anfallende Eisen(II)-Clorid zu Eisen(III)-Clorid aufbereiten und wieder in den Herstellungsprozess leiten. Nach Angaben der „Deutschen Energie-Agentur“ sorgt das für eine Reduzierung der Abfall-Ströme um 95 Prozent. Überdies kann der Leverkusener Multi auf diese Art nicht nur den Rohstoff-, sondern auch den Energie-Verbrauch drosseln, was die Kohlendioxid-Emissionen der Fertigungsstätte um rund 9.000 Tonnen pro Jahr reduziert.

PolitikerInnen wollen Geld von BAYER

Die Gewässer Deutschlands sind nicht nur stark mit Pestiziden belastet (s. o.), sondern auch mit Arznei-Rückständen. Den Wasserwerken verursacht das enorme Zusatzkosten bei der Trinkwasser-Aufbereitung. Darum fordern die verantwortlichen PolitikerInnen eine Beteiligung von BAYER & Co. an den Mehraufwendungen. „Nach Auffassung der Umweltministerinnen und -minister sowie der -senatorinnen und -senatoren der Länder gibt es klare Adressaten für eine verursacher-gerechte Kostentragung, da es nur eine geringe Anzahl von Herstellern und Inverkehrbringern von Pflanzenschutzmitteln bzw. von unter Gewässerschutz-Aspekten problematischen Medikamenten gibt“, so die nordrhein-westfälische Landesregierung in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Dementsprechend haben die Bundesländer die Bundesregierung gebeten, „Regelungsperspektiven aufzuzeigen und mögliche nationale und europäische Instrumente zu prüfen“.

Runder Tisch zu Röntgen-Kontrastmitteln

BAYERs Röntgen-Kontrastmittel haben es in sich. Bei deren Inhaltsstoffen handelt es sich nämlich um Abkömmlinge des Schwermetalls Gadolinium. GADOVIST enthält Gadobutrol, PRIMOVIST Gadoxet-Säure und MAGNEVIST Gadopentent-Säure. Diese Substanzen können zahllose Gesundheitsschäden verursachen wie z. B. Herzrhythmus-Störungen, Muskel-Zuckungen, Blutdruck-Schwankungen, Leber-Erkrankungen und Fibrose, ein unkontrolliertes Wachstum des Bindegewebes. Noch dazu zählen die Präparate zu den Arzneimitteln, welche die Gewässer am stärksten belasten. Und auch das liegt an den Schwermetallen, denn diese bauen sich biologisch nur sehr langsam ab. Darum gibt es bereits ein Forschungsprojekt, das bei Röntgen-PatientInnen den Einsatz von Urin-Beuteln testet, um GADOVIST & Co. in den Sondermüll statt in die Kanalisation gelangen zu lassen. Daneben hat die Bundesregierung ein ExpertInnen-Gremium ins Leben gerufen, das die Aufgabe hat, Vorschläge zur Verminderung der Stoff-Einträge von Röntgen-Kontrastmitteln, anderen Medikamenten und Pestiziden zu erarbeiten.

Pilotanlage eliminiert kaum PCB

Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie (SWB 1/14). Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheitsrisiko dar. Von den 1985 in der Bundesrepublik verkauften 72.000 Tonnen landete mehr als ein Sechstel im Bergbau, wo die schweren Gerätschaften viel Hydraulik-Öl zum Schmieren brauchten. „Wir sind mit dem Zeug umgegangen, als wäre es Milch“, zitiert der Spiegel einen Bergmann. Dementsprechend leiden viele seiner KollegInnen heute an den Spätfolgen und zeigen Vergiftungssymptome wie Haut-, Nieren- und Leberschäden. Die Altlasten lagern in Fässern und anderen Behältern, die nicht selten Leckagen aufweisen. Um das PCB nicht in das Grundwasser und die Flüsse gelangen zu lassen, muss der Bergbau-Konzern RAG das Grubenwasser über ein bestimmtes Niveau pumpen. Die kontaminierte Fracht leitet er dann in die Gewässer ein. Das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz entnahm unter anderem an den Bergwerken in Bottrup, Bergkamen und Essen Proben und wies PCB-Belastungen nach, die an manchen Stellen um das Dreifache über den Grenzwerten lagen. Darum hat die RAG jüngst an den Einleitungsstellen „Bergwerke Ost“ und „Ibbenbüren“ Pilotanlagen zum Herausfiltern des PCB aus dem Grubenwasser erprobt. Die Ergebnisse ließen allerdings zu wünschen übrig. Es gelang nur, 30 bis 40 Prozent der Polychlorierte Biphenyle zu eliminieren. Jetzt empfiehlt eine ExpertInnen-Gruppe unter anderem, „zu gegebener Zeit alternative Aufbereitungsverfahren an anderen Einleitungsstellen mit vorhandener Fracht zu testen“.

RAG will fluten

In Nordrhein-Westfalen muss der RAG-Konzern aus seinen stillgelegten Bergwerken das Grubenwasser vollständig abpumpen, um die darin enthaltenen Giftstoffe wie z. B. Polychlorierte Biphenyle – oftmals made by BAYER (s. o.) – nicht ins Grundwasser gelangen zu lassen. Zudem kann so Erd-Erschütterungen vorgebeugt werden. Im Saarland besteht keine Pflicht zu diesen Arbeiten, weil die geographische Lage eine andere ist. Das wollte das Unternehmen ausnutzen und viele Pumpen abstellen. Dagegen klagte jedoch die Gemeinde Nalbach, zu welcher der ehemalige Schacht Primsmulde gehört. Sie erhielt Ende 2019 auch Recht zugesprochen, aber die RAG legte Beschwerde gegen das Urteil ein. Jetzt liegt die Angelegenheit dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zur Entscheidung vor.

Das Rheinbrücken-Fiasko

Durch nichts ließen sich die nordrhein-westfälischen PolitikerIn-nen von CDU, SPD und FDP davon abhalten, Leverkusens marode Rheinbrücke durch einen Neubau zu ersetzen und im Zuge dessen auch die Autobahn A1 auf zwölf Spuren auszubauen, obwohl sie dazu Hand an BAYERs Dhünnaue-Altlast legen mussten. Vergeblich warnten UmweltschützerInnen vor Stoff-Austritten aus der stillgelegten Giftmüll-Deponie und vor Baugrund-Absenkungen durch die fortwährende Zersetzung der organischen Substanzen. Der rot-grünen NRW-Landesregierung unter Hannelore Kraft konnte es gar nicht schnell genug gehen. Der damalige Bau-Minister Michael Groschek (SPD) brachte sogar eine „Lex Leverkusen“ auf den Weg, um Klage-Möglichkeiten gegen das Vorhaben einzuschränken und so die Umsetzung zu beschleunigen. Aus dem gleichen Grund verzichtete er bei der Ausschreibung auf ein Verhandlungsverfahren. Damit vergab sich das Land die Möglichkeit, dem ausgewählten Unternehmen genauere Bedingungen, z. B. zu den Qualitätsstandards, zu stellen. Nur billig sollte alles sein. Und genau das fällt der Politik jetzt auf die Füße. Auf den Stahl, den der General-Unternehmer PORR für die Brücken-Konstruktion von einem chinesischen Subkontraktor bezog, konnte nämlich niemand bauen. 250 bis 600 Mängel pro Bauteil entdeckte der Landesbetrieb „Straßen.NRW“. Nach langem Hin und Her zog die schwarz-gelbe Landesregierung dann die Reißleine. Sie kündigte den Vertrag mit PORR und schrieb die Arbeiten neu aus. Dadurch kommt es nicht nur zu großen Verzögerungen, sondern auch zu erheblichen Kosten-Steigerungen zu Lasten der SteuerzahlerInnen. Für eine Realisierung von Alternativen beim Neustart wie etwa der Tunnel-Lösung, welche die Dhünnaue unangetastet ließe, ist es nach Meinung vieler UmweltschützerInnen allerdings zu spät.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Der Untergang der „Grande America“

Nicht weniger als 25 Transport-Unfälle mit zum Teil als Gefahrgut deklarierter Ladung verzeichnet BAYERs Nachhaltigkeitsbericht für 2019. Der fatalste ereignete sich am 12. März des Jahres. Da geriet das Container-Schiff „Grande America“ rund 330 Kilometer vor der französischen Westküste in Brand und sank. Es bildete sich ein zehn Quadratkilometer großer Ölteppich, der mehr als 250 Vögel das Leben kostete. Neben 2.100 Autos, 62 Tonnen Kunstharz, 16 Tonnen Terpentin-Ersatz und 720 Tonnen Salzsäure befanden sich auch 25 Tonnen BAYER-Fungizide an Bord. Ob die Behälter ausliefen oder mehr oder weniger friedlich auf dem Mee

[Nicht-Entlastung] BAYER-Vorstand nicht entlastet

CBG Redaktion

Ein historischer Tag

Solch eine Hauptversammlung gab es in der ganzen BAYER-Geschichte noch nicht: Vor Beginn eine Kundgebung mit mehreren hundert Teilnehmer*innen, ellenlange Warte-Schlangen vor dem Eingang, 35 Reden von Konzern-Kritiker*innen und 30 weitere, oftmals auch nicht gerade konzern-freundliche von Klein-Aktionär*innen und Fonds-Manager*innen und zu guter Letzt eine mit der Nicht-Entlastung des Vorstands endende Abstimmung.

Von Jan Pehrke

„Zukunft vor Profit“ stand neben einem durchgestrichenen BAYER-Kreuz auf dem Transparent, mit dem hunderte „Fridays For Future“-Demonstrant*innen in die Kundgebung zur BAYER-Hauptversammlung platzten, die auch zuvor schon mit Wort-Beiträgen, internationalen Musik-Darbietungen, Gruß-botschaften aus dem Hambacher Forst und Theater-Einlagen bunt und lebendig war.
Die Schüler*innen zogen bei ihrer Ankunft auf dem Platz der Vereinten Nationen an einem überdimensionalen BAYER-Chef Werner Baumann vorbei, der auf einem Haufen voller Probleme saß, weshalb sein kühner, mangelnde Risikobereitschaft in Deutschland beklagender Spruch „Mit voller Hose gewinnen Sie eben keinen 100-Meter-Lauf“ nun auf ihn selbst zurückfiel, und streiften an den gegen die bienengefährlichen Pestizide des Leverkusener Multis protestierende Imker*innen vorüber. Dann umkurvten sie den Polizei-Kordon, der zeitweilig die Aktionär*innen vor den Kundgebungsteilnehmer*innen abschirmte, und drückten sich schließlich um die symbolischen Grabes-Kreuze für Medikamenten-Opfer und banner-bestückten Trecker der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄU-ER-LICHE LANDWIRTSCHAFT herum, ehe sie haltmachten.
„Es sind Ferien, und wir sind trotzdem hier“, konstatierte ihr Sprecher Felix Pohl in seiner Rede, um die Dringlichkeit des Anliegens zu betonen, das da lautete: „System change, not climate change.“ Aber danach stand dem Agro-Riesen nicht der Sinn. Er verweigerte einigen Schüler*innen trotz gültiger Eintrittskarte den Zutritt zum Aktionär*innen-Treffen. „Das zeigt, dass BAYER Angst hat, und es zeigt, dass Protest was bringt“, resümierten die beiden Schüler*innen Lisa und Noah auf der Kundgebungsbühne trocken.
Pohl hatte es jedoch in die heiligen Hallen geschafft. In seinem Beitrag griff er die klima-schädigende Geschäftspolitik scharf an und stellte detaillierte Fragen zu Kohle und anderen schmutzigen Energie-Trägern des Konzerns. „Zukunft statt Profit“ forderte er zum Schluss und setzte damit das Signal für die Fortsetzung des Demonstrationszuges in kleinerem Rahmen. Mit einem „Fridays for Future“-Transparent zogen eine Handvoll Schüler*innen durch den Saal und versetzten damit den Sicherheitsdienst in Alarmbereitschaft, der dann aber doch lieber auf den Zugriff verzichtete.
Jan Pehrke vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lieferte an dem Tag weitere Details zu BAYERs CO2-Ausstoß, der durch den Erwerb von MONSANTO noch bedenklichere Dimensionen angenommen hatte. „Die klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen erhöhten sich um mehr als 50 Prozent von 3,63 Millionen Tonnen auf 5,45 Millionen Tonnen. Sehr zurecht ist die Hauptversammlung darum zum Ziel einer großen „Fridays for Future“-Demonstration geworden“, so Pehrke.

Der Desaster-Deal
Die zahlreichen anderen negativen Folgen des Desaster-Deals kamen ebenfalls reichlich zur Sprache. Sarah Schneider von MISEREOR und Lena Michelsen von INKOTA machten als Verlierer vor allem die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Lateinamerika und Afrika aus. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann fügte der Liste die BAYER-Beschäftigten hinzu. 12.000 von ihnen verlieren nämlich im Zuge des Rationalisierungsprogramms, welches die Aktien-Gesellschaft auf Druck ihrer Großanleger*innen starten musste, weil der Aktien-Kurs durch die Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ abstürzte, ihren Arbeitsplatz. Eben auf dieses finanzielle Risiko hatte René Lehnherr vom MONSANTO-Tribunal schon auf der letztjährigen HV hingewiesen. „Ich komme mir vor wie ein Hellseher, dem man einfach nicht glauben will“, hielt er deshalb fest. Einer der Pestizid-Geschädigten, der sich in einem Rechtsstreit mit der jetzigen Tochter-Gesellschaft des Leverkusener Multis befindet, ist Paul François. Der französische Landwirt hat vor 15 Jahren durch das Ackergift LASSO massive gesundheitliche Schäden erlitten. Er verklagte MONSANTO deshalb drei Jahre später und errang am 11. April einen ersten Erfolg: Ein Gericht in Lyon sprach BAYER als Rechtsnachfolger des US-Unternehmens die Verantwortung für die Krankheiten zu. Am 26. April nun konfrontierte der Franzose die Aktionär*innen und den Vorstand direkt mit seinem Schicksal – die Initiative SumOfUs hatte ihm die Reise nach Bonn ermöglicht. In seiner Rede, die SumOfUs-Aktivistin Anne Isakowitsch auf Deutsch vortrug, forderte Paul François das Management eindringlich auf, Verantwortung für die Leidtragenden von Agrochemie-Produkten zu übernehmen: „Sie haben heute die Chance, das Richtige zu tun!“
Neben François traten an dem Tag noch zahlreiche andere Geschädigte von BAYER-Produkten vor das Mikrofon. Besonders eindrucksvoll geriet der Auftritt der drei ehemaligen Heimkinder Franz Wagle, Eckhard Kowalke und Günter Wulf, die in den 1960er Jahren gezwungen waren, als Versuchskaninchen für MEGAPHEN, AGEDAL und andere Arzneien des Pharma-Produzenten herzuhalten. Wulf zählte einfach in lakonischem Stil die Verordnungen aus seiner „Kranken-Akte“ auf wie etwa MEGAPHEN, Zwangsjacke, AGEDAL, „geschlossene Anstalt“ und zitierte dann die in den Berichten beschriebenen Effekte, zu denen Krämpfe und Kontrollverlust gehörten.
Eine Einverständnis-Erklärung der Pro-band- *innen oder deren Erziehungsberechtigten für die Medikamenten-Tests, wie sie eigentlich auch damals schon obligatorisch war, lag den Mediziner*innen nicht vor. „Wir waren rechtlos“, resümierte Eckhard Kowalke deshalb und nannte das Kind beim Namen: „Menschenrechtsverletzungen“. Trotzdem appellierte er erneut an den Vorstand, das Angebot zu einem Gespräch und einem Versöhnungsprojekt anzunehmen. „Wenn die Zukunft gestaltet werden will, muss die Vergangenheit aufgearbeitet werden“, so Kowalke.
Insgesamt hielten 35 Konzern-Kritiker*in-nen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Brasilien, England, Frankreich und Holland, auf dem Aktionär*innen-Treffen Reden – so viele hatte die CBG vorher noch nie versammeln können. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Themen setzten sie unter anderem das Bienensterben, BAYERs ehemalige Giftmüll-Deponie „Dhünnaue“, die gefährliche Kohlenmonoxid-Pipeline, doppelte Pestizid-Standards und die unerwünschten Arznei-Effekte von MIRENA, DUOGYNON, JADELLE & Co. auf die Tagesordnung.
Damit nicht genug, gerieten viele der übrigen 30 Rede-Beiträge nicht eben konzern-freundlicher. Bei Katzenjammer über den Wert-Verlust der BAYER-Aktie durch die umstrittene Übernahme blieb es nämlich zumeist nicht. „Kalt, kälter BAYER“ – dieses Führungszeugnis stellte Joachim Kregel von der „Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger“ der Manager*innen-Riege aus. Ingo Speich von DEKA-INVESTMENTS, der Fonds-Gesellschaft der Sparkassen, kritisierte den Vorstand derweil dafür, bei der Transaktion bloß der industriellen Logik gefolgt zu sein, wo doch immer mehr Aktionär*innen sich bei ihren Anlage-Entscheidungen mittlerweile auch von sozialen und ökologischen Maßstäben leiten ließen. Janne Werning von UNION INVESTMENT pflichtete Speich bei: „Reputation ist eine reale Wirtschaftsgröße.“ Die Veränderungen in der Gesellschaft, wie ihn zum Beispiel der Kampf gegen den Klimawandel dokumentiert, hätten spätestens seit dem Pariser Klima-Abkommen auch den Kapitalmarkt durchdrungen, so Werning gegenüber Zeit Online.Baumann aber focht das alles nicht an. Er weigert sich strikt, auf seinem Terrain eine andere als die industrielle Logik gelten zu lassen und verteidigte, bei der Kaufentscheidung für MONSANTO einzig solche Kriterien wie „Wachstums-potenzial“, „Markt-Profitabilität“ und „das Erreichen führender Wettbewerbspositionen“ zugrunde gelegt zu haben. Genau deshalb „war und ist der Erwerb der richtige Schritt für BAYER“, bekräftigte der Vorstandsvorsitzende in seiner Eröffnungsrede: „Und das gilt auch vor dem Hintergrund der Diskussion um Glyphosat.“ Das Total-Herbizid ist nämlich für Baumann nach wie vor „bei sachgerechter Anwendung ein sicheres Produkt“.
Das waren für ihn auch alle anderen Pestizide und Arzneien, deren Schadensbilanz die kritischen Aktionär*innen präsentiert hatten. So wurden nach seiner Aussage „alle Produkte umfangreich auf Bienensicherheit getestet“; und selbstredend besitzt die Hormonspirale MIRENA „ein positives Nutzen/Risiko-Profil“ und kommt der bis Anfang der 1980er Jahre von dem 2006 aufgekauften SCHERING-Konzern vermarktete Schwangerschaftstest DUOGYNON nicht als Ursache für Totgeburten und das Auftauchen von schweren Missbildungen bei Neugeborenen in Frage.
Die ehemaligen Heimkinder haben vom Leverkusener Multi ebenfalls nichts zu erwarten. Werner Baumann sprach ihnen zwar sein Mitgefühl aus, verweigerte aber sowohl eine Entschuldigung als auch eine Entschädigung oder irgendeine andere Art von Entgegenkommen. Und klima-technisch ist ihm zufolge beim Global Player auch alles in Butter: „Seit Jahrzehnten hat Klimaschutz bei BAYER Priorität.“
Bis spät in den Abend hinein gab der Ober-BAYER solche nichtssagenden Antworten. Verständlicherweise waren die Fragesteller*innen damit nicht zufrieden. So konnte Aufsichtsratschef Werner Wenning als Versammlungsleiter die Aussprache nicht wie vorgesehen beenden. Die Aktionär*innen rebellierten, und Baumann musste noch mal in die Bütt, obwohl die Hauptversammlung da in ihrem Zeitplan schon erheblich hinerherhinkte. Und das dicke Ende kam noch: Die Anleger*innen verweigerten dem Vorstand die Entlastung. Mit 55,52 Prozent stimmten sie dagegen – ein einmaliger Vorgang in der deutschen Wirtschaftsgeschichte! Aber der Aufsichtsrat hörte die Signale nicht. Noch in der Nacht hielt er eine Sondersitzung ab und stellte sich hinter Werner Baumann. Einige Großinvestoren, die gegenüber der Presse ihre Identität nicht preisgeben wollten, zeigten sich darüber not amused. Andere wie die DEKA wollen zumindest Veränderungen in Wennings Kontroll-Gremium sehen: Sie forderten aus gegebenem Anlass neue Aufsichtsräte mit Kern-Kompetenzen in den MONSANTO-relevanten Bereichen „Prozess-Wesen“ und „Agrar-Geschäft“.Dem leistete der Aufsichtsratschef zwar nicht Folge, dafür aber kündigte er an, einen beratenden Ausschuss mit Top-Anwält*innen ins Leben zu rufen. Das beruhigte die finanzschwersten Fonds einstweilen. Auch ELLIOT zeigte sich vorerst zufrieden, nicht ohne allerdings eine Aufspaltung des Konzerns ins Spiel zu bringen, sollte die neue Strategie scheitern. Damit nicht genug, machte das BAYER-Beispiel auch noch Schule. Wenige Tage nach der Hauptversammlung des Leverkusener Multis sprachen die Aktionär*innen der Schweizer Bank UBS Vorstand und Aufsichtsrat ihr Misstrauen aus, was die Faz als Zeichen für einen grundlegenden Wandel interpretierte: „Künftig könnten Abstimmungsergebnisse wie bei BAYER oder der UBS häufiger der Fall sein.
Während der Gesamtbetriebsrat Baumann die Absolution erteilte, reagierte die Politik angesichts der „Augen zu und durch“-Mentalität des Managements erbost. Karl Lauterbach von der SPD und Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen forderten den Rücktritt des BAYER-Chefs.
Wie die Sache ausgeht, bleibt einstweilen ungewiss. Was aber feststeht: Die CBG konnte an diesem Tag einen großen Erfolg feiern: Noch nie kamen so viele Menschen zu der traditionellen HV-Kundgebung, noch nie gab es so viele Rede-Beiträge von kritischen Aktionär*innen, noch nie dauerte eine Hauptversammlung bis 23 Uhr und noch nie endete sie mit einem solchen Debakel für das Management. Ohne die zahlreichen Mitstreiter wie COLABORA, IFOAM, INKOTA, DIE LINKE, MISEREOR, ATTAC DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, kollektiv tonali, BUND, MONSANTO-TRIBUNAL, RISIKO-PILLE, ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT, MEINE LANDWIRTSCHAFT, den FRIDAYS FOR FUTURE und anderen wäre das nicht möglich gewesen. Das Projekt „Konzern-Wende“ kann die CBG nach diesem historischen Tag jedenfalls gestärkt angehen. ⎜

Abstimmungsergebnisse
(je Aktie eine Stimme)
Von anwesenden ca. 600 Mio. Aktien stimmten bei den einzelnen Tagesordnungspunkten gegen den Vorstand mit „Nein“:

Gewinnverwendung
Nein-Stimmen 7,7 Mio. 1,3 %
Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen 291,4 Mio. 55,5 %
Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 175,9 Mio. 33,6 %
Wahlen zum Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 73,9 Mio. 12,2 %

Abstimmungen auf Hauptversammlungen der Konzerne werden von wenigen Großaktionär*innen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.) bestimmt. Sie besitzen bis zu 90 und mehr Prozent aller Aktien.
Die mehreren hunderttausend Klein-aktionär*innen halten zu--sammen lediglich fünf bis zehn Prozent der Anteile bei BAYER. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse.
Die Kritischen Aktionär*innen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatten zur Gewinnverteilung, zur Entlastung und zur Wahl alternative Anträge gestellt. Der Erfolg dieser Anträge wird deutlich an den Gegenstimmen zu den Anträgen des Vorstands.
Allerdings ist zu beachten, dass die verheerenden negativen Auswirkungen der MONSANTO-Übernahme sowie die massive internationale Kritik im Hinblick auf die vielen anderen Verbrechen an Mensch und Umwelt zu einer gefährlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens geführt haben. Es bildete sich deshalb bei dieser HV eine bemerkenswerte Allianz aus den ökologisch, sozial und politisch motivierten Kon-zern-Kritiker*innen, vielen Großaktionär*innen (darunter Finanzkonzerne wie BLACKROCK) und den traditionellen Kleinaktionär*innen, die um den Wert ihrer Aktien fürchteten. Im Ergebnis führte das zur historisch einmaligen Nicht-Entlastung des Vorstands.

Schamlose Profite
Das Grundkapital des BAYER-Konzerns beträgt ca. 2,4 Milliarden Euro. Es ist aufgeteilt auf ca. 932 Millionen Aktien. Diese werden von ca. 383.000 Aktionär*innen gehalten.
Der BAYER-Konzern machte im Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von 39,6 Milliarden Euro und einen bereinigten Gewinn von 9,5 Milliarden Euro. Das entspricht 24 Prozent des Umsatzes und fast 400 Prozent des Grundkapitals. Nach Steuern und nach sogenannten Sondereffekten wohlgemerkt!
Rund 2,6 Milliarden Euro des Gewinns wurden an die Aktionär*innen des Konzerns ausgeschüttet. Eine BAYER-Aktie repräsentiert einen Anteil am Gesamtkapital in Höhe von 2,56 Euro. Auf jede Aktie wurde eine Dividende von 2,80 Euro ausgeschüttet. Das entspricht einer Kapitalrendite von sage und schreibe 109,4 Prozent.
Um diese Maßlosigkeit vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, wendet der Leverkusener Multi einen Trick an. Er macht den Kurswert seiner Aktie zur Grundlage der Berechnung der Dividende. An der Börse notierte das Papier zum gegebenen Zeitpunkt bei rund 60 Euro. Damit fällt die Dividende – Hokuspokus – auf lediglich 4,7 Prozent.

[Gegenredner*innen] BAYER in der Defensive

CBG Redaktion

35 Gegenredner*innen

Der Gegenredner*innen-Rekord von 2018 hatte nicht lange Bestand: Die diesjährige Hauptversammlung überbot ihn mit ihren 35 Konzern-Kritiker*innen spielend. Bis 23 Uhr mussten sich Vorstand und Aufsichtsrat anhören, mit welchen Risiken und Nebenwirkungen ihre gnadenlose Profit-Jagd einhergeht.

Von Jan Pehrke

Ganz so als reichte die geballte Konzernkritik in der Hauptversammlung selber nicht, gab es noch ein Vorspiel. Einige Aktivist*innen nutzten am frühen Morgen schon die Kundgebung auf dem Platz der Vereinten Nationen, um dem Leverkusener Multi die Leviten zu lesen. So schrieb Thomas Cierpka von der internationalen Bio-Landwirt*innen-Vereinigung IFOAM das agro-industrielle Modell, das der Global Player mit seiner Übernahme von MONSANTO noch forciert, in seiner Rede als nicht zukunftsfähig ab. „Wir werden die Nachhaltigkeitsziele nicht mit BAYSANTO erreichen“, konstatierte er.
Annemarie Volling von der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL) widmete sich noch einmal dem viel zitierten Satz des Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann: „Mit vollen Hosen gewinnen Sie eben keinen 100-Meter-Lauf“ und listete mit dem MONSANTO-Desaster im Allgemeinen und den Gen-GAUs und den vielen Schadensersatz-Prozessen im Besonderen die Folgen seines Wagemutes auf. Für Volling zeigte dieser Haufen Probleme, den die AbL mitsamt einem ziemlich derangierten Baumann vor dem Bonner „World Conference Center“ auch visuell dargestellt hatte, dass das Gegenteil des von dem Ober-BAYER Behaupteten richtig ist: Wer auf seiner Jagd nach Profit kein Risiko scheut und über Sicherheitsbedenken leichtfertig hinweggeht, der hat am Ende die Hosen voll und gewinnt den Marathon-Lauf für eine gesunde Lebensmittel-Erzeugung auf keinen Fall.

Pestizid-Folgen
Mit Themen wie „MONSANTO“, „unerwünschte Arznei-Effekte“ und „Pestizid-Nebenwirkungen“ hatten Cierpka, Volling und die anderen Redner*innen frühmorgens schon einmal die Agenda für den Tag gesetzt. Welche fatalen Folgen die Ackergifte von BAYER & Co. vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern haben, erfuhren neben den Kundgebungsteilnehmer*innen auch die Aktionär*innen im Saal aus erster Hand. Der Brasilianer Alan Tygel von der PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGRARGIFTE UND FÜR DAS LEBEN berichtete darüber. In dem lateinamerikanischen Staat erhöhte sich ihm zufolge die Zahl der von Glyphosat & Co. verursachten Vergiftungen von 2.726 im Jahr 2007 auf 7.200 im Jahr 2017. Über 2.000 Sterbefälle regi-strierten die Behörden in diesem Zeitraum. Mit ein Grund für die immensen Todes-Raten: BAYER vertreibt in Brasilien zwölf Agro-Chemikalien, die in der EU wegen ihres Gefahrenpotenzials keine Zulassung (mehr) haben. Neben Tygel kritisierte auch Christian Russau vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE diese Politik der doppelten Standards. Ob das alles auch schon zu Klagen in Brasilien oder anderen Ländern des Kontinents und geführt hat, wollte dann die BUND-Aktivistin Daniela Wannemacher vom Vorstand wissen.
Christophe Mailliet von der AKTIONSGEMEINSCHAFT SOLIDARISCHE WELT (ASW) legte den Fokus auf Indien und führte der Hauptversammlung dabei neben den schädlichen Wirkungen von Glyphosat auf die menschliche Gesundheit auch die anderen negativen Begleiterscheinungen des Mittels vor Augen. Den Verlust der Artenvielfalt, die Auslaugung der Böden und die Resistenz-Bildungen zählte er dazu. Darüber hinaus halten die in Kombination mit diesem Ackergift vermarkteten Gen-Pflanzen Mailliet zufolge nicht das, was die BAYER-Manager*innen an Ertragszuwachs versprechen. „In Indien nehmen sich jedes Jahr über 10.000 Bauern das Leben, weil sie auch dadurch dramatisch überschuldet sind“, so der ASW-Aktivist. Darum setzt er sich zusammen mit indischen Partner-Organisation unter anderem für einen Verkaufsstopp von Glyphosat ein und überreichte dem Vorstand eine entsprechende Petition, die 4.500 Menschen unterzeichnet hatten.
Aber nicht nur Glyphosat hat es in sich. Die fatalen Effekte von LASSO (Wirkstoff: Monochlorbenzol) bekam der französische Landwirt Paul François am eigenen Leib zu spüren (siehe S. 22 f.) Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) lenkte die Aufmerksamkeit auf zwei weitere gefährliche Pestizide: Thiacloprid (enthalten unter anderem in den BAYER-Produkten ALANTO, BARIARD, CALYPSO) und Methiocarb (MESUROL). Thiacloprid zum Beispiel hat die Europäische Union als „wahrscheinlich fortpflanzungsschädigend“ eingestuft und unter Krebs-Verdacht gestellt. Darum fragte Clausing: „Wäre die Unternehmensleitung bereit, Thiacloprid in der Europäischen Union freiwillig vom Markt zu nehmen?“
Für Methiocarb – und andere Agro-Chemikalien der beiden höchsten Giftigkeitsklassen 1a und 1b – hatte BAYER gemeinsam der BASF und SYNGENTA im Jahr 2013 einen solchen Verkaufsstopp angekündigt. Nur als Saatgut-Beize und als Mittel gegen den Fransenflügler wollte der Leverkusener Multi das Mittel noch anbieten. Diese Zusage hat der Konzern jedoch nach Clausings Recherchen nicht eingehalten: Auf seiner Jordanien-Website preist der Global Player das Methiocarb-Produkt MESUROL 50 WP zur Bekämpfung von Zwerg-Zikaden, Blattläusen und anderen Insekten an.
Aber auch als Saatgut-Beize ist der Stoff alles andere als harmlos. So trägt er unter anderem zum Bienensterben bei. Den Beweis erbrachte der Imker Christoph Koch: „Im Pollen-Monitoring der ‚Landesanstalt für Bienenkunde’ der Universität Hohenheim wird immer noch das Mais-Beizmittel MESUROL festgestellt.“ Seine Kollegin Annette Seehaus-Arnold, die Vize-Präsidentin des „Deutschen Berufs- und Erwerbsimker-Bundes“, prangerte vor allem das Festhalten des Konzerns an den besonders bienengefährlichen Ackergiften aus der Gruppe der Neonikotinoide an und forderte den Vorstand zu einschneidenden Maßnahmen auf. „Die Firma BAYER wird nur eine Zukunft haben, wenn Sie, sehr geehrter Herr Baumann, endlich die Weichen für eine bienenfreundliche Landwirtschaft stellen“, prophezeite Seehaus-Arnold dem Unternehmenschef.
Noch zahlreiche weitere Imker*innen und Umweltschützer*innen ergriffen auf dem Aktionär*innen-Treffen zu diesem Thema das Wort, aber den Großen Vorsitzenden ließ das ungerührt. „Experten aus aller Welt gehen davon aus, dass die Gesundheit von Bienen von einer Reihe von Faktoren beeinflusst wird (...) Die Hypothese, dass Pflanzenschutzmittel bei ordnungsgemäßer Verwendung dazugehören, wird durch eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen und Monitorings weitgehend widerlegt“, beschied Baumann den Bienenzüchter*innen. Die Neonicotinoide sind für ihn genau so sicher wie MESUROL, LASSO, Glyphosat und all die anderen chemischen Keulen – „bei sachgemäßer Anwendung“, wie er immer wieder betonte. Und den Vorwurf, bei der Vermarktung des Sortiments „doppelte Standards“ anzulegen, versuchte er mit der Bemerkung zu entkräften, „dass wir nur Produkte anbieten, deren Wirkstoffe mindestens in einem OECD-Land registriert sind“. Lediglich in einer Sache gab der BAYER-Chef klein bei: Er konzedierte Peter Clausing, dass die pro-aktive Bewerbung von MESUROL 50 WP in Jordanien gegen Richtlinien verstoße. Und inzwischen landet die entsprechende Such-Anfrage auch im Nichts: „The requested document was not found.“

Arznei-Folgen
Nach den Folgen von Glyphosat & Co. für Mensch, Tier und Umwelt nahmen die Risiken und Nebenwirkungen der BAYER-Arzneien den größten Teil der Schadensbilanz ein, welche die Gegen-Redner*innen der Manager*innen-Riege an diesem Freitag präsentierten. Krank machten dabei vor allem die Pharmazeutika aus dem Bereich „Frauengesundheit“. Eines davon ist der hormonelle Schwangerschaftstest DUOGYNON. Das von der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING in England auch unter dem Namen PRIMODOS vermarktete Präparat hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Missbildungen zur Welt. Auch Marie Lyons Tochter Sarah zählte dazu. Darüber verlor ihre Mutter auf der Hauptversammlung jedoch kein Wort. Die Britin nahm die weite Reise nach Bonn auf sich, um Baumann & Co. mit einer Reihe von firmen-internen Dokumenten zu konfrontieren. Diese belegen eindeutig, dass SCHERING schon früh Kenntnis von der Gefährlichkeit des Produkts hatte. Aus diesem Grund kann BAYER nicht länger Unbedenklichkeitsbescheinigungen für das Mittel ausstellen und muss stattdessen Verantwortung für die Geschädigten übernehmen, lautete das Credo Lyons. Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Gabelmann von der Partei „Die Linke“ teilte diese Einschätzung. „Werden Sie bereit sein, mit den Opfern und deren Angehörigen zu reden und ihnen die Aufklärung zu erleichtern? Und werden Sie sich mit der Bundesregierung zusammensetzen und ihre Bereitschaft erklären, sich finanziell an einer Entschädigungslösung zu beteiligen?“, fragte sie deshalb die Vorstände.
Der Kinderarzt Gottfried Arnold und die Apothekerin Beate Kirk widmeten sich ebenfalls dem Schwangerschaftstest. Der Mediziner thematisierte jedoch daneben auch noch die unerwünschten Arznei-Effekte des Hormon-Präparats CYREN A mit dem Wirkstoff Diethylstilbestrol und die Pharmazeutin die Nebenwirkungen der Hormon-Spiralen MIRENA, JAYDESS und KYLEENA. CYREN A kam lange bei Frauen mit einem erhöhten Fehlgeburten-Risiko zum Einsatz, bis Wissenschaftler*innen auf die fatalen Folgen aufmerksam machten. Bei den weiblichen Nachkommen trat häufig Scheiden-, Gebärmutterhals-, Eierstock- oder Brustkrebs auf und bei den männlichen Nachkommen verursachte das Mittel Fehlbildungen im Genitalbereich. Den Leverkusener Multi aber störte das damals nicht groß, berichtete Arnold, das Unternehmen beschränkte bloß das Anwendungsgebiet ein wenig und machte ansonsten weiter Kasse mit dem Medikament.
Auch MIRENA & Co. vermarktet der Konzern ohne Rücksicht auf Verluste, wie Beate Kirk in ihrem Beitrag kritisierte. So setzen sich Frauen, die mit einer Spirale verhüten, im Vergleich zu denjenigen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, einem höheren Depressions- und Suizid-Risiko aus. Einen entsprechenden Warnhinweis musste der Pharma-Riese Kirk zufolge auf Veranlassung der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA erst jüngst auf dem Beipackzettel anbringen. Darum richtete die Pharmazeutin die Frage an den Unternehmensvorstand: „Welchen Nutzen haben die von BAYER vertriebenen Hormonspiralen, der die (...) demnach wohl zu erwartende höhere Anzahl von Todesfällen bei Frauen rechtfertigen könnte?“
Für eine „höhere Anzahl von Todesfällen“ sind auch die Verhütungsmittel des Leverkusener Multis aus der YASMIN-Familie verantwortlich. Und beinahe hätte Felicitas Rohrer dazugehört. Sie hatte das Verhütungsmittel YASMINELLE mit dem Wirkstoff Drospirenon – eine Pille der 4. Generation – eingenommen und im Juli 2009 eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand erlitten. Nur durch eine Notoperation gelang es den Ärzt*innen damals, ihr Leben zu retten. Deshalb prozessiert die 34-Jährige gegen den Konzern und konfrontiert seine Manager*innen auf den Hauptversammlungen regelmäßig mit der Schreckensbilanz dieser Kontrazeptiva, welche das „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ (BfArM) führt. „Alleine in Deutschland wurden dem BfArM durch Pillen der 3. und 4. Generation 53 Todesfälle und 1.463 thrombo-embolische Vorfälle gemeldet. Wir schätzen die Dunkelziffer weitaus höher, da oft kein kausaler Zusammenhang vermutet wird“, führte Rohrer aus. Beim Vorstand erkundigte sie sich dann nach den weltweiten Zahlen und fragte an, wie viele Prozesse das Unternehmen in dieser Angelegenheit mittlerweile führen muss.
Christopher Stark, Autor des Buches „DIANE, SELINA, LARISSA – Hormonverhütung und die Risiken“ (siehe auch SWB 2/19), sprach ebenfalls zum Gefährdungspotenzial von YASMIN & Co. „Für die Opfer dieser gefährlichen Präparate dürften BAYER-PR-Aussagen wie ‚Patienten-Sicherheit steht für BAYER an erster Stelle’ wie blanker Hohn erscheinen“, hielt er fest. Besonders an der aggressiven und irreführenden Werbung, die von „niedriger dosierten“ Mitteln mit einer nur „lokalen Wirkung“ spricht und von „schöner Gesichtshaut“ durch die Produkte kündet, nahm der Student Anstoß. Und Langzeit-Verhütungsimplantate wie JADELLE exklusiv in Ländern der „Dritten Welt“ in Umlauf zu bringen, rechnete er schlicht „neo-kolonialistischen Aktivitäten“ zu, die auf eine Beschränkung des Bevölkerungszuwachses aus ist.
Den zweiten Schwerpunkt im Pharma-Komplex bildeten die Medikamenten-Versuche mit Heimkindern, die der Leverkusener Multi in den 1950er Jahren begann und bis in die 1970er Jahre hinein fortsetzte. Nicht nur die Betroffenen selber ergriffen dazu das Wort (siehe S. 22 f.). Dr. Klaus Schepker von der Universität Ulm hat sich wissenschaftlich mit den Tests beschäftigt und gab einige Einblicke in die Hintergründe. So hat der Global Player laut Schepker das Landeskrankenhaus Schleswig, in dessen jugendpsychiatrischer Abteilung Eckhard Kowalke und andere Heimkinder „einsaßen“, im Zuge der Markt-Einführung von Psychopharmaka als „Prüfstelle“ genutzt. Anschließend bot der Konzern dann Pharmazeutika wie MEGAPHEN und AOLEPT gezielt für „pädagogische“ Indikationen an und hielt auch gleich „Anstaltspackungen“ bereit. Der Forscher zitierte dazu BAYER-Werbung, welche den Mitteln Eigenschaften wie „emotional und affektiv ausgleichend“, „unterdrückt destruktive und asoziale Tendenzen“ und „fördert die Anpassungsfähigkeit an Familie und Gemeinschaft“ zuschrieb. Als „ethisch fragwürdig“ verurteilte der Universitätslehrer diese Praxis.
Ob es noch ein bisschen mehr war, ließ Sylvia Gabelmann am 14. Dezember 2018 erörtern. Die Politikerin hatte zu diesem Termin im Bundestag ein Fachgespräch zu den Medikamenten-Erprobungen initiiert. Einigkeit über die Strafwürdigkeit des Tuns von BAYER und anderen Pillen-Firmen konnten die Expert*innen damals nicht erzielen, so Gabelmann, gleichwohl habe der Leverkusener Multi in jedem Fall „eine moralische Verantwortung“. Deshalb stellte sie den Vorständler*innen die Frage: „Sind Sie bereit, sich bei den Opfern zu entschuldigen, die unter den Arzneimittel-Studien zu leiden hatten? Und sind Sie bereit, Entschädigungen zu zahlen?“

Das Risiko/Nutzen-Profil
Dazu war Werner Baumann nicht bereit. Auch dem Wunsch von Felicitas Rohrer: „Und bitte unterlassen Sie den ewig gleichen Hinweis auf das positive Risiko/Nutzen-Profil Ihrer Pillen“ entsprach er nicht, obwohl Sanjay Kumar in seiner Rede ebenfalls eine solche Forderung formuliert hatte. Nach Ansicht des Medienwissenschaftlers verbietet es sich, positive und negative Arznei-Effekte gegeneinander aufzurechnen, wenn im schlimmsten Fall Gefahr für Leib und Leben droht. Für Kumar ist der Tod mit nichts aufzuwiegen. „Sind Sie eigentlich im Bilde, dass für eine Risikobewertung Nutzen komplett irrelevant sind?“, fragte er deshalb.
Aber der BAYER-Chef zeigte sich davon unbeeindruckt und brachte wieder die alten Textbausteine in Anschlag: „Sowohl die Hormon-Spiralen als auch die kombinierten oralen Kontrazeptiva von BAYER besitzen bei bestimmungsgemäßen Gebrauch (...) ein positives Nutzen/Risiko-Profil.“ Und überhaupt würden die Pharmazeutika des Konzerns „vor der Zulassung eingehend geprüft“, konstatierte Baumann.
In der Causa „Dhünnaue“ gab er ebenfalls Entwarnung. Obwohl der nordrhein-westfälische Landesbetrieb Straßenbau BAYERs Giftgrab im Zuge eines Autobahn-Baus wieder öffnet und das Abpumpen des verunreinigten Sickerwassers bei Niedrigständen des Rheins wie im letzten Sommers nicht mehr reibungslos funktioniert, beschied der Vorstandsvorsitzende Lars-Ulla Krajewski: „Gefahren bestehen nicht.“ Und selbstverständlich bestehen diese auch bei den neuen Gentechnik-Verfahren nicht, bekam Daniela Wannemacher zu hören. Und dann waren da noch die Nebenwirkungen der juristischen Nebenwirkungen der Glyphosat-Nebenwirkungen auf die Belegschaftsangehörigen, die Klaus Hebert-Okon vom BELEGSCHAFTSTEAM, einer alternativen Betriebsratsgruppe, zur Sprache brachte. „Mit jedem Urteil wächst die Angst“, sagte der Gewerkschaftler und verlieh damit Befürchtungen Ausdruck, der Agro-Riese könnte noch mehr als die bereits angekündigten 12.000 Arbeitsplätze vernichten. Dies verneinte Baumann und war sich im Übrigen bei der Beurteilung der rechtlichen Glyphosat-Risiken keiner Schuld bewusst: BAYER hätte ein Anwaltsbüro aus den Top Ten der US-amerikanischen Großkanzleien im Frühjahr 2016 mit einer Prüfung der Sache betraut und Entwarnung signalisiert bekommen.
35 Konzern-Kritiker*innen und zu allem Übel auch noch zahlreiche andere Redner*innen von Investment-Gesellschaften oder Aktionär*innen-Vereinigungen, die es zumeist auch nicht gerade gut mit dem Konzern meinten – das überforderte die Nehmer-Qualitäten Werner Baumanns an diesem Tag sichtlich. Nur einem Aktionär konnte er an diesem Tag aus vollem Herzen zustimmen. Dieser sah die Hauptversammlung „instrumentalisiert von Leuten, die gar keine echten Aktionäre sind“ und meinte damit offenkundig die Aktivist*innen von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und anderen Organisationen. Diese Empörung konnte der Vorstandsvorsitzende „in gewisser Hinsicht sehr gut nachvollziehen“.

[Glyphosat-Aufmacher] Klage wg. Glyphosat-Aufmacher

CBG Redaktion

BAYER vs. taz

Na, das ist doch mal ein Geschäftsmodell: gleichzeitig die Krankheit und das Heilmittel verkaufen! Der BAYER-Konzern macht’s möglich, hat er doch sogleich das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ bewertete Pestizid Glyphosat und das passende Onkologie-Präparat dazu im Angebot. Unbezahlte Werbung für das „Krebs-Rundumpaket“ machte die Berliner Tageszeitung taz auf dem Cover ihrer Ausgabe vom 24. Oktober. Aber der Leverkusener Multi zeigte sich undankbar. Er zog vor Gericht, kam mit seiner Klage allerdings nicht durch. In der Vergangenheit hatte der Global Player da mit seinen Angriffen gegen die Pressefreiheit oft mehr Glück.

Von Jan Pehrke

Am 24. Oktober 2018 hatte die taz bei BAYER einen neuen Synergie-Effekt ausgehoben. „Der Chemie-Konzern verdient an einem Pestizid, das wahrscheinlich Krebs verursacht – und er verkauft ein teures Medikament, um diesen Krebs zu heilen“, konstatierte die Zeitung. Und wirklich bietet der Global Player die Arznei ALIQOPA als Therapeutikum gegen eben jene Krebsform an, wegen der Glyphosat zurzeit vor Gericht steht: das Non-Hodgkin-Lymphom, eine die Lymphdrüsen befallende Tumor-Art. Als „Krebs-Rundumpaket“ pries das Berliner Blatt deshalb diese Kombination aus dem glyphosat-haltigen ROUNDUP und dem Pharmazeutikum mit dem Wirkstoff Copanlisib auf ihrer Titelseite an. Neben der Sprühflasche mit dem Herbizid blitzte dort der sternförmige Störer „Super: macht Krebs“ auf - und neben dem Heilmittel ein solcher mit der Aufschrift „Super: heilt Krebs“. Ein paar Tage später hatte die taz eine Abmahnung aus Leverkusen auf dem Tisch. Der Agro-Riese forderte die Zeitung auf, nicht weiter zu behaupten, dass Glyphosat Krebs auslöse. Wenn das Blatt die Ausgabe mit dem entsprechenden Titel und dem dazugehörigen Artikel weiter verbreite und im Internet zugänglich halte, sei eine Vertragsstrafe und die Übernahme von BAYERs Anwaltskosten fällig, drohte der Multi. Aber die BerlinerInnen ließen sich nicht einschüchtern und schlugen zurück. Sie reichten eine „negative Feststellungsklage“ ein, die eine Beweislast-Umkehr in Gang bringt. Dieses Rechtsmittel hält die Gerichte nämlich dazu an zu prüfen, ob Unterlassungsansprüche tatsächlich bestehen. „Wenn wir bei der taz eine Abmahnung kriegen, wo wir einerseits meinen, der Gegner ist es wert, andererseits meinen, die ist dreist, dann empfehle ich das eigentlich immer“, so der Anwalt Johannes Eisenberg.
Und die Abmahnung von BAYER empfand er sogar als „ungewöhnlich dreist“, denn die Bild-Montage auf dem Cover sei klar erkennbar eine „Meinungsäußerung in satirischer Form“ und „keine beweispflichtige Tatsachenbehauptung“. Aber nicht nur deshalb empörte sich der Jurist. BAYER müsse „sich als Markt-Teilnehmer kritisch betrachten lassen“, hält Eisenberg fest. Das meint auch taz-Redakteur Jost Maurin. Dementsprechend verurteilte er den Pillen-Riesen für das Zustellen der Abmahnung: „Sie widerspricht den Beteuerungen des Konzerns, er werde stärker auf die Öffentlichkeit zugehen als MONSANTO vor der Übernahme durch BAYER.“
Mit dem juristischen Konter der taz hatte der Leverkusener Multi offenbar nicht gerechnet. Die negative Feststellungsklage bewog ihn, von seinem Vorhaben abzulassen. „Unsere Mandantin verpflichtet sich rechtsverbindlich, gerichtlich nicht gegen die von ihrer Mandantin als Satire eingeordnete Berichterstattung auf dem Titelblatt der taz vom 24.10.2018 vorzugehen“, schrieb BAYER-Rechtsanwalt Gernot Lehr. „Die Beklagte wollte eine kritische Berichterstattung unterbinden und hat jetzt Sorge, dass die Drohung ins Leere geht. Allein deshalb will sie den Prozess nicht. Sie kneift“, erklärte Eisenberg dazu. Der Global Player will das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. „Die taz hat uns unterstellt, es sei das Geschäftsmodell von BAYER, Krebs zu erzeugen und zugleich zu heilen. Nachdem sie nun von sich aus klargestellt hat, dass diese Aufmachung lediglich als ‚Witz’ gemeint war, ist die Sache für uns erledigt“, so Konzern-Pressesprecher Christian Maertin. Das Unternehmen sieht den Zusammenhang nämlich ein bisschen anders. Es stelle Produkte her, „die einerseits dazu beitragen, eine hochwertige Ernährung von Millionen Menschen auf nachhaltige Weise zu sichern, und andererseits schwere Krankheiten zu behandeln“.

Klagen über Klagen
Maßnahmen gegen kritischen Journalismus zu ergreifen, hat beim Leverkusener Multi Tradition. So ging er 1988 gerichtlich gegen den Südwestfunk vor. Ihm passte ein Beitrag des Magazins Report über das BAYER-Ackergift NEMACUR nicht, das die JournalistInnen Dr. Imre Kerner und Dagni Kerner-Radek für schwerwiegende Gesundheitsstörungen im Raum Tübingen verantwortlich gemacht hatten. Besonders skandalös dabei: Der in den Bodenproben nachgewiesene NEMACUR-Wirkstoff Fenamiphos besaß in der Bundesrepublik gar keine Zulassung. BAYER leitete juristische Schritte ein, und das dem Konzern immer schon recht zugeneigte Kölner Landgericht gab der Klage nach Richtigstellung und Unterlassung statt. 2011 erwischte es das schweizerische TV-Magazin 10vor10 nach Reportagen über die Risiken und Nebenwirkungen des Verhütungsmittels YASMIN. Von „manipulativen“ Berichten sprach die Aktien-Gesellschaft und sah das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt, was das Gericht jedoch anders sah.
Beim Internet-Portal Lifegen versuchte das Unternehmen es in der Sache mit einer Abmahnung und scheiterte ebenfalls. Die RedakteurInnen durften den Artikel zu der Pille, den sie von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) übernommen hatten, weiterverbreiten. Auch bei der Webseite duckhome kam BAYER mit dieser Methode nicht zum Ziel: Der Kommentar zu dem Artikel „BAYER – so richtig schmutziger Turbo-Kapitalismus“ verblieb im World Wide Web.

Selbst Buch-Veröffentlichungen hintertrieb der Pharma-Riese schon mit juristischen Mitteln. Gegen das Werk „Der Dormagener Störfall“ von Klas Ewert Everwyn zog er Anfang der 1980er Jahre vor Gericht. Der Verfasser hatte den Literatur-Preis „Dormagener Federkiel“ erhalten, der mit der Auflage verbunden war, sich der Stadt in irgendeiner Form schriftstellerisch zu widmen. Everwyn musste nicht lange nach einem Sujet suchen. Da er im Ort auf die Allgegenwart BAYERs stieß, beschloss er, sich dem Unternehmen zuzuwenden. Von einem nur durch Glück glimpflich ausgegangenen Gift-Austritt in einer Pestizid-Anlage des Unternehmens ließ er sich zu seinem Buch inspirieren. Das rief sofort den Konzern auf den Plan. „Es ist doch etwas anderes, ob man sich mit der Kritik an gegenwärtigen Zuständen auseinanderzusetzen hat oder ob ein Schriftsteller BAYER einfach diffamiert“, meinte er. Der Multi drohte mit einer Prozesslawine und erreichte in einem Vergleich die Streichung des Namens „BAYER“ aus dem Text. Jegliche Ähnlichkeit des im „Dormagener Störfall“ erwähnten Unternehmens mit einem tatsächlich existierenden hatte der Autor als zufällig darzustellen. „Da es sich um ein Auftragswerk der Stadt Dormagen handelt, war es für mich zwingend, das dort ansässige große Chemie-Werk für meine Legende heranzuholen. Ich will weder das Werk noch seine Menschen diffamieren“, lautete die am Anfang des Oeuvres abzudruckende Erklärung. Dem Druck von Seiten BAYERs geschuldet, verschwand das Buch bald in der Versenkung und gelangte nie in den offiziellen Handel – bis die Coordination es 1997 neu herausgab.

Doch die CBG kann es nicht dabei belassen, Unterstützung zu gewähren, wenn BAYER wieder einmal danach trachtet, KritikerInnen mundtot zu machen. Oft genug bot sie dem Leverkusener Multi selbst ein Angriffsziel. 1990 mahnte er ein Titelbild von Stichwort BAYER ab, und 2001 untersagte er die Nutzung eines bestimmten Domain-Namens. Die langwierigste Auseinandersetzung mit dem Konzern um die Meinungsfreiheit begann aber im Jahr 1987. Damals hatte die Coordination einen Aufruf veröffentlicht und in einer „Gefahren für die Demokratie“ überschriebenen Passage konstatiert: „In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt BAYER demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairness. Missliebige Kritiker werden bespitzelt und unter Druck gesetzt, rechte und willfährige Politiker werden unterstützt und finanziert“.

Der Leverkusener Multi mochte das nicht gedruckt wissen und schaltete seine RechtsanwältInnen ein. In den ersten Instanzen bekam das Unternehmen Recht; ein Richter forderte sogar eine dreijährige Haftstrafe für einen CBGler. Die Coordination entschied sich dann nach reiflicher Überlegung, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, obwohl dieser Schritt mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden war. Das erwies sich letztendlich als richtig, denn das BVG unter dem Vorsitz des späteren Bundespräsidenten Roman Herzog entschied zugunsten der CBG. Es hob die früheren RichterInnen-Sprüche auf, da diese „auf einer grundsätzlichen Verkennung der Grundrechte auf Meinungsäußerung und Pressefreiheit“ basieren würden. Was BAYER „mit Bedauern zur Kenntnis“ nahm, feierte CBG-Urgestein Axel Köhler-Schnura als „Erfolg für die gesamte Ökologie-Bewegung“. Der Spiegel maß dem Urteil damals ebenfalls eine große Bedeutung zu. „Es wird Folgen haben, weit über den BAYER-Fall hinaus“, schrieb das Blatt. Und in der Tat hat es für nachfolgende juristische Auseinandersetzungen um die Freiheit des Wortes eine große Bedeutung erlangen können.

„Die Jungs in Hamburg“
Auch unterhalb der juristischen Schwelle stehen dem Agro-Riesen viele Möglichkeiten zur Verfügung, eine missliebige Berichterstattung zu unterbinden. Ein bevorzugtes Mittel dabei ist der Anzeigen-Boykott. So mussten die Magazine Spiegel und Stern nach kritischen Artikeln immer mal wieder auf Annoncen von BAYER verzichten. „Damit die Jungs in Hamburg mal lernen, wer hier das Sagen hat“, hieß es dazu aus der Konzern-Zentrale. Manchmal zeigten diese sich dann auch lernwillig. 1983 etwa zog der Stern das Buch „Es war einmal ein Fluss“ im letzten Moment zurück, da das Magazin die Leverkusener Reaktionen fürchtete – spielte der Multi mit seinem Brunsbütteler Werk in dem Abgesang auf die Elbe doch eine prominente Rolle. Hatte die Zeitschrift die Arbeit seines Autoren Christian Jungblut zunächst als „Das Lehrstück vom Ausverkauf einer Landschaft“ beworben, so kanzelte sie Felix Schmidt von der Chef-Redaktion nun plötzlich gegenüber dem Branchen-Blatt Buchreport als „tendenziöse Auseinandersetzung“ ab und sprach von „konzeptionellen“ Differenzen. Erscheinen konnte die Arbeit von Jungblut aber dennoch: Der Kabel-Verlag sprang ein und veröffentlichte sie.
Düsseldorf musste ebenfalls bereits lernen, „wer hier das Sagen hat“. Nach einem Text über Störfall-Risiken stornierte BAYER kurzerhand die bisher regelmäßig im Stadtmagazin Überblick geschaltete ASPIRIN-Werbung. Äußerst empfindlich bei diesem Thema reagierte der Global Player auch im Jahr 2008. Nach der verheerenden Explosion in einem Werk am US-amerikanischen Standort Institute, die zwei Menschenleben kostete, arbeitete er eine Strategie aus, um nicht genehme Medien zu „marginalisieren“. Zudem kaufte das Unternehmen alle Fotos von dem Unglück auf. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, lautete die Devise. Darum reagierte der Konzern auch äußerst misstrauisch auf einen vom ZDF geplanten TV-Film über einen vertuschten Störfall und verlangte Drehbuch-Einsicht. Die Sendeanstalt verbat sich das, woraufhin die FilmemacherInnen umgehend Schwierigkeiten bei der Motivsuche bekamen. BAYER und andere Chemie-Multis erteilten auf ihren Firmen-Arealen keine Dreh-Genehmigungen.

Selbst den Presserat bemühte der Leverkusener Multi schon. Dort reichte er 2013 eine Beschwerde gegen den Spiegel ein. Wegen eines kritischen Artikels über den Gerinnungshemmer XARELTO wollte er eine Rüge erwirken. Das gelang jedoch nicht. Nach Ansicht des zuständigen Ausschusses hatte das Nachrichtenmagazin weder unangemessen über medizinische Sachverhalte berichtet noch die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt. Erfolgreicher gestaltete sich da schon die Operation gegen den Film „Unser täglich Gift gib‘ uns heute“, der sich mit dem Pestizid-Einsatz in Brasilien beschäftigte. Der Konzern übte Druck auf die Evangelische Kirche als Verleiher aus und sorgte so für ein Verschwinden des Werkes aus dem Programm.

Über den „Heimatsender“ WDR wacht der Gen-Gigant besonders streng. Regelmäßig versucht er, kritische TV-Berichte des Senders zu verhindern, z. B. den Film „Unter tödlichem Verdacht“, der die von BAYER verschwiegenen Risiken der Arznei TRASYLOL enthüllte. Eine Dokumentation des Journalisten Frans van der Meulen über Vergiftungen durch Holzschutzmittel wollte der Multi ebenfalls kippen. Bei einem Monitor-Beitrag über die mit Hilfe eines BAYER-Patents entwickelten chemischen Kampfstoffe VX und VE gelang ihm das 1984 auch. Eine Interview-Anfrage zu dem Thema reichte, um die Rechtsabteilung ein- und den Film auszuschalten. Redakteur Gerd Ruge teilte den Autoren Peter Kleinert und Jörg Heimbrecht mit, der Beitrag könne „leider nicht gesendet werden“, weil BAYER „im Hause interveniert“ hätte, und er sich dem beugen müsse.

Außergewöhnlich großen Anstoß erregte 1990 eine „Montagsreportage“. Darin gab der damalige Werksleiter des Leverkusener BAYER-Werkes, Dietrich Rosahl, nämlich zu, von der Umweltverschmutzung durch die örtliche Altlast-Deponie Dhünnaue gewusst zu haben. Da dieses Geständnis zu einem Strafverfahren führte, intervenierte der Pharma-Riese umgehend beim damaligen WDR-Fernsehdirektor Günter Struve. Die Sendung „Vor Ort“ indessen war zum letzten Mal live vor Ort, als sie über eben den Gusathion-GAU in Dormagen berichtete, der Klas Ewert Everwyn zu seinem Buch inspiriert hatte. Die dort ausgestrahlten Orginal-Töne waren für den Konzern zu schwer zu ertragen. Seither kommen die Lokaltermine aus der Konserve. Aber das nachbarschaftliche Verhältnis blieb gespannt. Nach einem anderen unliebsamen Fernsehbeitrag ließ der Leverkusener Multi gar Tausende von Flugblättern mit der Überschrift: „WDR - Da hilft nur noch abschalten“ verteilen. Den zu der Zeit amtierenden WDR-Intendanten Friedrich Nowottny versuchte BAYER einst über den Rundfunkrat zu stürzen. Und Post aus Leverkusen trudelte bei dem Gremium auch nach einem Hörfunk-Beitrag über „50 Jahre Pille“ ein, denn der Konzern hatte ein nettes Geburtstagsständchen erwartet und störte sich dementsprechend an Auslassungen zum gesundheitsgefährdenden Potenzial seines Verhütungsmittels YASMIN. Dem Hörfunk-Direktor brachte er das ebenfalls zu Gehör.

Nicht einmal die Sport-Berichterstattung ist vor der Aktien-Gesellschaft sicher, gilt es doch, die als „Plastik-Club“ verschriene Fußball-Abteilung vor Anfeindungen zu schützen. Dem Aktuellen Sportstudio warf der Konzern dereinst in dieser Sache „unterlassene Hilfeleistung“ vor, da es den ZuschauerInnen das dem Sportclub bei einem Pokalspiel entgegenschallende Pfeifkonzert nicht erspart hatte. „Wir haben uns immer noch mit einer sehr unangebrachten öffentlich-rechtlichen Arroganz auseinanderzusetzen“, tobte der ehemalige Sportdirektor Jürgen von Einem: „So geht man nicht mit Kunden um“. Ein verräterischer Satz: Als Kunde mit Anspruch auf Dienstleistungen definiert BAYER in aller Offenheit sein Verhältnis zu den Medien.

Ausgesprochen allergisch reagiert der Global Player stets, wenn die CBG in irgendeiner Form Platz in der Berichterstattung erhält. Als 1995 die Eröffnung einer neuen Produktionsanlage in Bitterfeld einen bitteren Beigeschmack zu bekommen drohte, weil ein CBGler im Radio Mephisto über die ökologischen Nebenwirkungen des Werkes und BAYERs Einflussnahme auf die Treuhand bei Gründung der Niederlassung plauderte, rief der damalige Presse-Chef des Konzerns direkt aus London bei der Radiostation an und forderte Sendeplatz – den er natürlich auch prompt bekam. Ein im Express schon fest eingeplanter Bericht über die BAYER-Hauptversammlung und Gegen-Aktivitäten verschwand nach einem kurzen Telefonat im Orkus. Dahin gesellte sich im Jahr 2008 auch ein langer Artikel über den 30. Geburtstag der CBG, den der Journalist Caspar Dohmen für die Süddeutsche Zeitung geschrieben hatte. Selbiges wollte der Leverkusener Multi im Jahr 2010 auch beim Kölner Stadtanzeiger erreichen. Ihm passte nicht, dass es im Video-Portal des Blattes einen Beitrag über die Aktivitäten der Coordination auf der BAYER-Hauptsammlung gab. Darum schrieb das Unternehmen einen Beschwerde-Brief an die Chefredaktion. Die Zeitung ließ sich aber ebenso wenig einschüchtern wie der Filmemacher, der dem Konzern antwortete, er suche sich seine Themen immer noch selber aus.

Das Vorgehen des Agro-Riesen gegen die taz steht also in einer Kontinuität. Bereits vor zehn Jahren nahm die Fall-Sammlung, die das Stichwort BAYER aus gegebenem Anlass – BAYER hatte gerade den Artikel der Süddeutschen Zeitung über die CBG abgewürgt – präsentierte, ein beeindruckendes Ausmaß angenommen. Und inzwischen ist die Liste mit den Angriffen des Konzerns gegen die Pressefreiheit noch einmal bedeutend länger geworden. Längst nicht alle führten zum Erfolg, trotzdem hat er sich nie von seinem Weg abbringen lassen. Darum dürfte selbst die schmetternde juristische Niederlage gegen die tageszeitung kaum erzieherisch wirken.

[Ansteckende Proteste] Hauptversammlung der BAYER-KritikerInnen

CBG Redaktion

Die Kritik an BAYERs MONSANTO-Deal scheint jetzt auch institutionelle Anleger infiziert zu haben: Beim Aktionär-Innen-Treffen am 25. Mai präsentierten nicht nur die Kritischen AktionärInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN die Schadensbilanz einer rücksichtslosen Profitjagd, erstmals setzten auch zahlreiche VertreterInnen von Investment-Fonds die von der MONSANTO-Akquisition, Glyphosat und bienengefährlichen Pestiziden ausgehenden Gefahren auf die Tagesordnung. Die damit verbundenen „Reputationsrisiken“ drohen ihrer Ansicht nach nämlich ökonomische Konsequenzen zu haben.

Von Jan Pehrke

„Für den Vorstand ging es gestern rund: ‚BAYERs neuer Partner ist der Tod’“, mit diesen Worten leitete die überregionale Gazette Rheinische Post aus Düsseldorf ihren Artikel zum diesjährigen Aktionär-Innen-Treff des Leverkusener Multis ein. Anschließend beschrieb die Zeitung ihren LeserInnen, was sich vor dem Bonner „World Conference Center“ (WCCB) abspielte: „Die Aktivisten waren als Paare verkleidet – BAYER als Braut in weiß, MONSANTO als schwarzer, todbringender Bräutigam“, hielt die Journalistin fest.
Das war aber noch längst nicht alles: Das entwicklungspolitische Netzwerk INKOTA machte Action-Theater und ließ SuperheldInnen die gegenwärtig den Agro-Markt überschwemmende Fusionswelle brechen. MEINE LANDWIRTSCHAFT stellte BAYSANTO als gefräßigen Pacman dar, der sich freies Saatgut einverleibt. LandwirtInnen fuhren ihre Trecker mit Bannern wie „Ährensache ohne BAYER“ auf. Und falls Menschen doch noch Illusionen über BAYERs weiße Weste hatten, so belehrten sie die ProtestlerInnen schnell eines Besseren: Medikamenten-Geschädigte konfrontierten die AktionärInnen mit den Risiken und Nebenwirkungen der Pillen des Pharma-Riesen. ImkerInnen setzten mit ihren Rauchgeräten ein deutliches Zeichen gegen die bienengefährlichen BAYER-Pestizide – die letzte Biene trug passend dazu die HonigConnection zu Grabe. Und Transparente zu Themen wie „Dhünnaue“, „Kinderarbeit“ oder „Kartell-Betrüger“ taten ein Übriges. Als heiße Luft erwiesen sich hingegen die blauen Ballons, die mit ihrer „Hier-sind-die Fakten.de“-Aufschrift auf BAYERs Propaganda-Seiten zu Gentech & Co. aufmerksam machen wollten.
Auf der Bühne vor dem HV-Versammlungsgebäude gab es zudem reichlich kritische Redebeiträge. Durch die „Pappnasen Rot-Schwarz“ kam sogar alternative Karnevalsstimmung auf. „D’r Kappetalismus/Dä hätt ene Voll-Schuss/ Einer fängk zu wachse aan/bis jeder mitmuss“, intonierten die Kölner JeckInnen und schmetterten „Wachstumswaahn“ zur Melodie des italienischen Gassenhauers „Ti amo“.

29 Kritische sprachen

Genauere Zahlen zu BAYERs Wachstumswahn präsentierte Jan Pehrke vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) dann im Saal. „Im Falle der Genehmigung der Übernahme käme der Konzern bei den Gen-Pflanzen auf einen Marktanteil von rund 90 Prozent, beim konventionellen Saatgut auf einen von 30 Prozent und bei den Pestiziden auf einen von über 20 Prozent“, rechnete er vor und schilderte die Konsequenzen dieser dominierenden Stellung. „Die LandwirtInnen müssen mit höheren Preisen und weniger Auswahl rechnen und in der Folge auch die VerbraucherInnen. Die Beschäftigten sehen sich von Arbeitsplatz-Vernichtung bedroht. Die Standort-Städte schließlich kostet die Transaktion Einnahmen, denn BAYER kann seine Zukäufe steuermindernd geltend machen“, konstatierte der Journalist.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner, Obmann seiner Fraktion im „Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft“, warnte ebenfalls vor den Folgen einer weiteren Agro-Industrialisierung an-gesichts der jetzt schon immensen Schadensbilanz dieser Art von Bodenbewirtschaftung.
Darüber hinaus beschäftigten sich René Lehnherr vom MONSANTO-Tribunal, Thomas Cierpka von der internationalen Bio-LandwirtInnen-Vereinigung IFOAM und zahlreiche weitere RednerInnen mit dem Mega-Deal.

Von Pestiziden ...

Abermals großen Raum nahm in Bonn das Thema „Bienensterben“ ein. Der Imker Christoph Koch feierte sein 10-jähriges Hauptversammlungsjubiläum und hatte „endlich eine Sicht“. Gewährt hatte ihm diese die Entscheidung der EU, die bienengefährlichen BAYER-Mittel PONCHO, GAUCHO sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam aus dem Verkehr zu ziehen.
Aber Entwarnung bedeutet das Votum Brüssels für ihn ebenso wenig wie für alle anderen BienenzüchterInnen, die nach ihm sprachen. Das Verbot betrifft nämlich nur drei Ackergifte aus der Gruppe der Neonicotinoide. Noch dazu hat der Leverkusener Multi bereits ein alternatives Produkt im Köcher, das sich als alter Wein in neuen Schläuchen zu entpuppen droht. Und dass die nicht zu den Neonicotinoiden gehörenden Pestizide für Bienen auch nicht ohne sind, kommt noch erschwerend hinzu.
Welche Folgen die Agro-Chemikalien für die Menschen haben, führte der Brasilianer Alan Tygel von der PERMANENT CAMPAIGN AGAINST PESTICIDES AND FOR LIFE den AktionärInnen vor Augen. Diese hatten vorher von BAYER-Chef Werner Baumann schon viel von dem südamerikanischen Land gehört – allerdings nur in seiner Eigenschaft als Absatzmarkt, der seit einiger Zeit für BAYER nicht mehr die gewohnten Profite abwirft. „Sie machen sich Sorgen über Brasilien“, hob Tygel deshalb an, aber „keine Sorgen über die Opfer“. Diesen Opfern des „Gewinns um jeden Preis“ widmete er sich deshalb ausführlich. Er berichtete von zahlreichen Pestizid-Vergiftungen und Selbstmorden von LandwirtInnen. Zudem griff er die doppelten Standards an, denen sich der Global Player bei der Vermarktung seiner „Pflanzenschutzmittel“ befleißigt: Zehn in Brasilien erhältliche BAYER-Pestizide darf das Unternehmen in der EU wegen ihrer Gefährlichkeit gar nicht mehr vertreiben.

... und bitteren Pillen

Auch die Liste der gemeingefährlichen Medikamente des Konzerns wurde auf der Hauptversammlung länger. Georg Wehr fügte ihr den Eintrag „Gadolinium“ hinzu. Abkömmlinge dieses Schwermetalls sorgen als Inhaltsstoffe von BAYERs Röntgen-Kontrastmitteln GADOVIST, PRIMOVIST und MAGNEVIST für massive Gesundheitsschäden, wie der Krankenpfleger aus eigener Erfahrung berichten konnte.
Damit nicht genug, setzten die Kritischen AktionärInnen noch zahlreiche weitere Themen auf die Agenda der HV: den Schwangerschaftstest DUOGYNON, die Hormon-Spirale MIRENA, Glyphosat, die Digitalisierung der Landwirtschaft, das Ökolandbau-Paradies Indien, den Manipulationsversuch einer Studie zum Bienensterben, die NS-Vergangenheit BAYERs, die Öffnung von BAYERs Giftmüll-Deponie Dhünnaue sowie die neuen gentechnischen Methoden.
Auf all die vielen Fragen antwortete der Große Vorsitzende von BAYER nach Schema F. Er nutzte wieder die seit Jahren bekannten Textbausteine: „Die Zahl der Bienenvölker hat nicht abgenommen“, „Wir sind nach wie vor von der Umweltsicherheit unserer Mittel überzeugt“, „Es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Schwangerschaftstest und embryonaler Missbildung“, „Die Sicherheit der Produkte hat höchste Priorität“ usw. usf. In der Summe wurde aber immer wieder klar: Für BAYER zählt einzig der Profit, dafür geht der Konzern über Leichen. Über die von Bienen ebenso wie über die von Menschen.
Auch dieses Mal dominierten die Kritiker-Innen wieder die Hauptversammlung. 29 Gegen-RednerInnen (in früheren Veröffentlichungen hatte die CBG 28 gemeldet, Anm. SWB) aus dem Umfeld der CBG traten an diesem Tag ans Mikrofon – so viel wie noch nie. Und der Leverkusener Multi überließ ihnen das Feld.
Vor den Türen des WCCB wies nichts auf das AktionärInnen-Treffen hin, und auch im Saal selber entschied sich der Konzern für ein defensives Design, damit sein Name auf Bildern ja nicht in der „schlechten Gesellschaft“ der AktivistInnen auftaucht. Nur ganz verstohlen zeigte sich das – doch gerade erst runderneuerte – BAYER-Logo am rechten Rand der Bühnen-Dekoration, vor der die Riege der Vorstände und Aufsichtsräte des Unternehmens – mit gehörigem Sicherheitsabstand zu den BesucherInnen – thronte.

Reputationsrisiken

Zu allem Überfluss ließen es auch zahlreiche „normale“ AktionärInnen an harten Worten nicht fehlen. Vor allem aber überraschte das Ausmaß, das Glyphosat, die Neonicotinoide, die Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht in BAYERs Pharma-Produktion und nicht zuletzt MONSANTO in den Reden der VertreterInnen von Geldhäusern und Investment-Gesellschaften einnahmen. „Für sie ist Nachhaltigkeit längst ein Thema“, so die Rheinische Post unter der Schlagzeile „Aktionäre rechnen mit BAYER ab“ in ihrer Berichterstattung über die HV. Die Wirtschaftswoche hatte das schon geahnt. Mit Blick auf das Bienensterben konstatierte das Blatt: „Wenn es hier nicht gelingt, aus der Defensive zu kommen, dürfte der Konzern dauerhaft im Feuer der Umweltverbände bleiben“ und warnte: „Selbst Großaktionäre fragen sich inzwischen inzwischen, ob es die Millionen wert sind, den dauerhaften Image-Verlust zu riskieren.“
Entsprechend forsch traten einige von ihnen dann in Bonn auf. Sie forderten den Vorstand und den Aufsichtsrat auf, am „Reputationsmanagement“ zu arbeiten und dieses als Teil des Risiko-Managements zu betrachten. „Das Geschäft und der zweifelhafte Ruf von MONSANTO schrecken Verbraucher und Investoren ab“, bemerkte etwa Ingo Speich von UNION INVESTMENT. Aber das war für ihn nicht die einzige Baustelle BAYERs. In Sachen „Bienensterben“ verlangte er vom Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann ganz konkret, die Klage gegen das Teilverbot der Mittel nicht weiterzubetreiben und stattdessen „von weiteren rechtlichen Schritten abzusehen“. Und bei den Buchprüfungen im Rahmen von Übernahmen wie der von MONSANTO sollten die ManagerInnen seiner Meinung nach künftig nicht nur auf eine gute Zahlen-Bilanz, sondern auch auf eine gute Menschenrechte-Bilanz des Kauf-Kandidaten achten. „Angesichts der massiven Kritik wirkten die eingespielten Image-Filme über geheilte Krebs-Patienten und glückliche Bauern hilflos“, resümierte die Düsseldorfer Tageszeitung Rheinische Post.

Gute CBG-Bilanz

Vor dem Hintergrund, dass wenige Investment-Gesellschaften der Ultra-Reichen wie etwa BERKSHIRE HATHAWAY von Warren Buffet, BLACKROCK und CAPITAL INVESTMENT satte Mehrheiten für Profite – koste es, was es wolle! – sichern, kamen die BAYER-KritikerInnen bei den Abstimmungen auf erhebliche Stimmenzahlen: Bis zu 14 Millionen Aktien, immerhin Kapital im Börsenwert von 1,4 Milliarden Euro, stimmten mit den Kritischen AktionärInnen der Coordination gegen die Vorschläge von Vorstand und Aufsichtsrat und kreuzten auf den Stimmblöcken jeweils „NEIN“ an. Und obwohl sich der Vorstandsvorsitzende in der Aussprache noch energisch gegen den Vorschlag, die Dividenden zu kürzen und das Geld zu besseren Zwecken zu verwenden, verwahrte (O-Ton Baumann: „Die Aktionäre nicht adäquat am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen, würde das Vertrauen in unser Unternehmen und auch die Investitionen in unsere Aktien missachten“), stimmten noch immer 416.000 Aktien mit den KritikerInnen.
Am 25. Mai fanden die weltweiten Proteste gegen die menschen- und umweltfeindlichen Machenschaften des BAYER-Konzerns, wie sie sich eine knappe Woche vor der Hauptversammlung etwa in den „Marches against MONSANTO and BAYER“ Ausdruck verschafften, ihren krönenden Abschluss. Dahinter stand die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN im Bündnis mit vielen anderen, darunter COLABORA und IFOAM, aber auch ATTAC, HonigConnection, der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, die SDAJ, die Pappnasen Rotschwarz und das kollektiv tonali. Gemeinsam geht die Arbeit weiter: Die Macht der BAYER-Profite muss gebrochen werden, soll es Frieden, Gesundheits- und Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit geben. ⎜

Abstimmungsergebnisse

Von anwesenden 524,1 Mio. Aktien (pro Aktie eine Stimme) stimmten bei den einzelnen Tagesordnungspunkten mit „Nein“:

Gewinnverwendung
Nein-Stimmen 416.288 = 0,1 %
Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen 14.351.684 = 2,8 %
Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 10.406.398 = 2,0 %
Wahlen zum Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 6.736.860 = 1,3 %

Die Abstimmungen auf den AktionärInnen-Hauptversammlungen der Konzerne werden bestimmt von wenigen GroßaktionärInnen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.). Sie sorgen für sichere Mehrheiten von 90 % plus.
Die vielen hunderttausend KleinaktionärInnen hingegen besitzen zusammen lediglich fünf bis zehn Prozent aller Aktien. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse für die Kritischen AktionärInnen der CBG im Rahmen der BAYER-HV 2018. Bis zu 5 % stimmten mit „Nein“ bzw. enthielten sich der Stimme. Wobei der BAYER-Konzern die Enthaltungen bzw. die nicht an den Abstimmungen teilnehmenden Aktien nicht ausdrücklich ausweist.
BAYER hat ca. 360.000 Aktionär-Innen. Die Coordination wird von mehreren Hundert KleinaktionärInnen unterstützt und brachte zur HV 2018 etwa 25.000 Aktien mit.
Damit wird sofort deutlich, dass auf der HV viele andere AktionärInnen mit der CBG gestimmt haben müssen, um die oben dokumentierten Abstimmungsergebnisse zu erzielen.

Schamlose Profite

Eine BAYER-Aktie repräsentiert einen Anteil am Gesamtkapital des Konzerns in Höhe von 2,56 Euro.
Auf jede Aktie wurde eine Dividende von 2,80 Euro ausgeschüttet. Das entspricht einer Kapital-Rendite von sage und schreibe 109,4 Prozent. Ein wahrlich schamloser Profit!
Um diese Schamlosigkeit in der Öffentlichkeit zu verschleiern, wird die Dividende gerne auf den jeweils aktuellen Kurswert der BAYER-Aktie berechnet. Aktuell ist die Aktie mit ca. 113 Euro an der Börse notiert. Damit fällt die Dividende – HokusPokus - auf lediglich 2,4 Prozent.
Achtung: Die Kapital-Rendite darf nicht mit der Dividenden-Rendite verwechselt werden. Während die Kapital-Rendite die Dividende zum Kapitalwert der Aktie (als Anteil am Gesamtkapital) ins Verhältnis setzt, bezieht die Dividenden-Rendite die Dividende auf den Kurswert der Aktie (der entsprechend Angebot und Nachfrage an der Börse schwankt).

[29 Einsprüche] Neuer GegenrednerInnen-Rekord

CBG Redaktion

So viele GegenrednerInnen wie bei der diesjährigen BAYER-Hauptversammlung konnte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN noch nie aufbieten: 29 Konzern-KritikerInnen traten im Bonner World Conference Center ans Mikrofon und konfrontierten Vorstand und Aufsichtsrat mit den Risiken und Nebenwirkungen ihrer rücksichtslosen Profit-Jagd.

Von Jan Pehrke

Den größten Posten in der Schadensbilanz, welche die 29 KritikerInnen dem Konzern am 25. Mai präsentierten, gingen auf das Konto von seiner Agro-Sparte. Die „weißen Männer“, die sich anmaßen, „die Verantwortung für die Ernährung der Welt zu haben“, wie der brasilianische Künstler und Filmemacher Walter Solon es in seiner Gegenrede ausdrückte, mussten sich so einiges anhören. „Insektensterben, Nitrat im Grundwasser, Monokultur statt Vielfalt – all das macht eindringlich klar: Wir brauchen eine Agrarwende“, hielt der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner fest. Aber der Leverkusener Multi geht mit der Übernahme von MONSANTO genau den entgegengesetzten Weg, kritisierte der Politiker: „Statt für neue Lösungen für eine bessere Landwirtschaft steht BAYSANTO für noch mehr von den altbekannten Übeln wie Pestizide, Gentechnik und Klagen gegen Umweltgesetze.“

Tatort Brasilien

Die Länder der „Dritten Welt“ leiden in besonderer Weise unter den Risiken und Nebenwirkungen des agro-industriellen Modells von BAYER & Co. Alan Tygel reiste extra aus Brasilien an, um den AktionärInnen dies vor Augen zu führen. Jahr für Jahr weisen die Statistiken des Staates 6.000 Pestizid-Vergiftungen aus, wobei es nach Ansicht des Aktivisten von der PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGRARGIFTE UND FÜR DAS LEBEN eine hohe Dunkelziffer gibt: „Aber wir wissen, dass die realen Zahlen mit Sicherheit zehnfach größer sind. Denn die Mehrzahl der Vergifteten lebt auf dem Land, dort, wo es keinen oder kaum Zugang zu medizinischer Versorgung gibt. Landwirte begehen Selbstmord, Kinder werden mit Schäden geboren, Babys weisen Anzeichen von Pubertät auf. Alles nachgewiesenermaßen wegen der Agrargifte.“ Nicht zuletzt geht das auf die Politik der doppelten Standards zurück, die BAYER praktiziert. Nach dem Motto „Darf es ein bisschen mehr sein“ offeriert der Konzern in Brasilien toxischere Pestizide als auf dem alten Kontinent. Zehn Pestizide, die das Unternehmen in Europa wegen ihrer Gefährlichkeit nicht mehr vertreiben darf, bietet es in dem Land noch an, rechnete der Umweltaktivist der ManagerInnen-Riege vor. Und es könnte sogar noch schlimmer kommen. Gegenwärtig betreibt der Leverkusener Multi in Tateinheit mit anderen Branchen-Riesen Tygel zufolge nämlich Extrem-Lobbying, um den Einfluss der Umwelt- und Gesundheitsbehörde bei der Zulassung der „Pflanzenschutzmittel“ zu beschneiden. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn BAYER hat einen guten Draht zur Politik. Sechs Mal trafen EmissärInnen des Konzerns jüngst mit dem Landwirtschaftsminister Blairo Maggi bzw. dessen VertreterInnen zusammen.
Nach dem genauen Inhalt der Gespräche fragte Christian Russau den BAYER-Chef Werner Baumann. Der Vertreter des DACHVERBANDs DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE zeichnete ein ähnlich düsteres Bild von der Lage des lateinamerikanischen Landes wie Tygel. Der Staat, der mit seinen Soja- und Mais-Monokulturen hauptsächlich die Tier-Fabriken auf der ganzen Welt beliefert, hat einen einzigartigen Pestizid-Durst. Auf 7,3 Liter pro EinwohnerIn kommt er. Die Folgen schilderte Russau. In den Hauptanbau-Gebieten registrierte die Bundesuniversität von Mata Grossa 1.442 Fälle von Magen-, Speisenröhren- oder Bauchspeicheldrüsen-Krebs gegenüber 53 Fällen in Regionen ohne so riesige Agrar-Fabriken. Und die Umwelt leidet ebenfalls unter den Giften und den anderen Begleiterscheinungen der industrialisierten Landwirtschaft. Sinkende Grundwasser-Pegel, ausgelaugte Äcker und Boden-Erosionen nannte der Konzern-Kritiker als Beispiele.
Zu den Nachhaltigkeitszielen der UN, den Sustainable Development Goals (SDGs), gehört es nicht zuletzt, bis zum Jahr 2030 die Zahl der durch gefährliche Chemikalien verursachten Todesfälle und Erkrankungen zu verringern. Auf BAYER können die Menschen in den großen Agrar-Regionen Lateinamerikas dabei nach Einschätzung von Russaus Dachverbandskollegen Tilman Massa nicht zählen. „Aus unserer Sicht tragen Sie nur unzureichend zum Erreichen der Ziele bei – erst recht mit der Übernahme von MONSANTO“, teilte er dem Vorstand mit. Glyphosat, den unter dem Namen ROUNDUP vermarkteten Top-Seller des US-Unternehmens, machte Massa nämlich als Hauptversucher des massiven Leids der BrasilianerInnen und ArgentinierInnen aus. „Dort sind Menschen auf ganz andere Weise Glyphosat ausgesetzt. Mit Flugzeugen wird das Gift auf den in Monokultur wachsenden Plantagen gesprüht. Wer in einem Dorf wohnt, das an diese Plantagen angrenzt, kommt direkt mit dem Herbizid in Kontakt“, so Massa. Darüber hinaus verkörpert BAYSANTO für ihn das Gegenteil einer nachhaltigen, die Ernährungssouveränität fördernden Landwirtschaft.

BAYSANTO

Thomas Cierpka von der internationalen Bio-LandwirtInnen-Vereinigung IFOAM sieht den Leverkusener Multi ebenfalls weit entfernt von den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. An Lippenbekenntnissen hierzu fehlt es nicht, konstatierte Cierpka. „Ich vermisse allerdings eine dazu passende Geschäftspolitik, die eben diese Ziele, anstatt einzig und allein die wirtschaftliche Dimension des eigenen Wirkens in das Zentrum ihrer Entscheidungen und Aktiviäten stellt“, kritisierte er. Und eine solche Geschäftspolitik steht seiner Ansicht nach mit BAYSANTO noch weniger in Aussicht. „BAYER/MONSANTO arbeiten Richtung Monopol-Stellung. 20 Jahre Gen-Technologie und Patentierung von wenigen Hochleistungssorten zeigen, dass wenige Arten und Sorten an Hilfsmittel wie ROUNDUP gebunden werden. Biologische Vielfalt verschwindet, das Klima verändert sich und immer noch gehen 800 Millionen hungrig zu Bett“, so seine Analyse.
ROUNDUP durfte auch in der Bewertung der Übernahme nicht fehlen, die Silvia Bender vom BUND vornahm. Sie sprach die über 4.000 Klagen von Glyphosat-Geschädigten in den USA an und fragte die Vorstandsriege, ob BAYER für etwaige Schadensersatz-Zahlungen schon Rücklagen gebildet hat. Zudem wollte sie wissen, welche Position der Konzern zu dem von der Bundesregierung geplanten Glyphosat-Ausstieg einnimmt.
Sanjay Kumar beschäftigte sich auch mit dieser chemischen Keule und kritisierte dabei vor allem die Standard-Phrasen wie die von dem „günstigen Nutzen/Risiko-Profil“, mit denen der BAYER-Chef das Pestizid verteidigte. „Sind Sie eigentlich im Bilde, dass für eine Risiko-Bewertung Nutzen komplett irrelevant ist? Es gibt keinen Nutzen, der ein systemisches Risiko wie die Zerstörung der Biodiversität aufwiegen könnte“, so der Medienwissenschaftler.
René Lehnherr vom MONSANTO-Tribunal setzte Glyphosat ebenfalls auf die Tagesordnung der Hauptversammlung, lenkte die Aufmerksamkeit darüber hinaus jedoch noch auf ein zweites Pestizid aus dem Hause MONSANTO: Dicamba. In den USA sorgte die Agro-Chemikalie jüngst für verbrannte Erde. Sie beschränkte ihren Aktionsradius nämlich nicht auf die gegen das Mittel resistenten Genpflanzen, sondern verflüchtigte sich und griff auf Ackerfrüchte über, die nicht gegen den Stoff gewappnet waren und deshalb massenhaft eingingen.
Einer der Hauptgründe für BAYER, MONSANTO zu schlucken, stellte die Produkt-Palette des US-Unternehmens im Bereich der digitalen Landwirtschaft dar. Was der Leverkusener Multi als eine gewinnträchtige Zukunftstechnologie ansieht, erscheint anderen als Horror-Vision einer „schönen neuen Welt“ auf den Bauernhöfen. Bernd Schmitz von der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL) gab in Bonn seiner Furcht vor einer Daten-Krake BAYER Ausdruck, die Zugriff noch auf die letzte Ackerkrume nimmt und den LandwirtInnen keinen Zugang zu den gewonnenen Informationen mehr gewährt. Mute Schimpf von FRIENDS OF THE EARTH EUROPE fühlte derweil den Versprechungen einer computer-gestützten Präzisionslandwirtschaft auf den Zahn, die mit Hilfe von Bits und Bytes den Pestizid-Verbrauch vermindern will, und konnte diese Aussicht nicht mit der Profit-Logik in Einklang bringen: „Wenn tatsächlich weniger Pflanzenschutzmittel vertrieben werden, worin besteht das wirtschaftliche Interesse von BAYER, einen der umsatzstärksten Sektoren abzubauen?“

Bienensterben

Wie bereits in den letzten Jahren nahm der Tagesordnungspunkt „bienengefährliche Pestizide“ den größten Raum in der Hauptversammlung ein. Gleich zehn GegenrednerInnen widmeten sich dem Thema – und noch dazu mehrere VertreterInnen von Investment-Fonds, für die der Umgang des Konzerns mit GAUCHO & Co. „Reputationsrisiken“ barg. Mit dem Ende April 2018 erfolgten EU-Verbot der BAYER-Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam erblickten die ImkerInnen jedoch zum ersten Mal Licht am Ende des Tunnels. „Könnte Ihr Scheitern auf allen Ebenen (Zulassungsbehörde, Kommission, Mitgliedsstaaten und EuGH) vielleicht etwas damit zu tun haben, dass sich der chemische Pflanzenschutz nun endgültig als der falsche Ansatz herausgestellt hat“, fragte Annette Seehaus-Arnold vom „Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund“ den Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann deshalb mit einiger Genugtuung. Wiebke Schröder von SumOf-Us indes erkundigte sich danach, ob der Global Player sich die Niederlage wirklich eingesteht oder aber plant, das Votum der Europäischen Union anzufechten.
Trotz der Entscheidung Brüssels gaben die BienenzüchterInnen jedoch noch keine Entwarnung, denn die Kommission zog nur drei Ackergifte aus dem Verkehr. Der Imker Markus Bärmann etwa warnte vor den Netzmitteln, die den Agro-Chemikalien als Wirkungsverstärker zugesetzt sind und eine Gefahr für die Bienen bedeuten. Sein Kollege Ralph Bertram beschrieb die Risiken und Nebenwirkungen von BAYERs BISCAYA. Karl Bär vom Umweltinstitut München lenkte das Augenmerk schon einmal auf die Neu-Entwicklung SIVANTO, mit welcher der Konzern nach alter Manier plant, alten Wein in neue Schläuche zu füllen, während Michael Aggelidis von der Partei DIE LINKE die AktionärInnen daran erinnerte, mit welch perfiden Methoden der Leverkusener Multi versuchte, WissenschaftlerInnen dazu zu drängen, Imidacloprid und Clothianidin das Testat „ungefährlich“ auszustellen.
Aber auch das Positive kam nicht zu kurz an diesem schönen Frühlingstag. Bernward Geier von der Initiative COLABORA wartete mit Nachrichten aus dem indischen Öko-Paradies Sikkim auf, das er gerade besucht hatte. Dort betreiben 100 Prozent der Bauern und Bäuerinnen ökologischen Landbau. Und sie machen damit Schule. Immer mehr Regionen des Landes folgen dem Beispiel Sikkims. Diese Entwicklung muss nach Ansicht Geiers auch dem Leverkusener Multi zu denken geben: „Ich frage den Vorstand, ob er mittel- oder zumindest langfristig Strategien hat bzw. gedenkt zu entwickeln, die sich der Tatsache stellen, dass inzwischen die Bio-Bewegung weltweit sich das Ziel gesetzt hat, bis zum Jahr 2050 100 Prozent Biolandbau weltweit erreicht zu haben?“

  • Spärliche Antworten

Auf die von Bernward Geier und den anderen Konzern-KritikerInnen vorgelegte umfangreiche Anklageschrift gegen das von BAYER favorisierte Modell der agro-industriellen Landwirtschaft wusste Werner Baumann nur Dürftiges zu entgegnen. Der Ober-BAYER plädierte für „Wahlfreiheit, die Vielfalt fördert“ und sah im Übrigen keinen Widerspruch zwischen ökologischer und konventionell betriebener Landwirtschaft, um dann aber doch für letztere zu optieren, weil sie angeblich ertragreichere Ernten ermöglicht und deshalb flächen-schonend wirkt. Die Nebenwirkungen dieser Praxis, die Alan Tygel am Beispiel der Pestizid-Vergiftungen in Brasilien aufgezeigt hatte, nahm der Große Vorsitzende dabei in Kauf. „Jeder einzelne dieser Fälle ist tragisch“, konzedierte er, ohne daraus allerdings andere Konsequenzen zu ziehen, als für „mehr Vorbeugung“ zu plädieren.
Auf Glyphosat ließ Baumann hingegen nichts kommen: „Ein effizientes und sicheres Mittel“. Doppelte Standards gibt es ihm zufolge im Hinblick auf den südamerikanischen Staat auch nicht. Tygels entsprechendem Vorwurf wich Baumann mit dem Statement aus: „Wir vermarkten in Brasilien ausschließlich Produkte, die allen regulatorischen Anforderungen des Landes genügen.“ Und selbstverständlich kann Agro-Chemie aus seinem Hause keiner Biene etwas zuleide tun. Die „Hypothese“, Agrochemikalien seien für das Bienensterben verantwortlich, hielt er für „weitgehend widerlegt“. Dementsprechend haderte der Vorstandsvorsitzende auch mit dem von der EU beschlossenen Aus für GAUCHO & Co. Als eine „Überinterpretation des Vorsorge-Prinzips“ bezeichnete Werner Baumann den Beschluss.

Pharma-GAUs

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Aber der BAYER-Konzern besteht aus mehr als nur der Landwirtschaftssparte. Und auch in den anderen Bereichen entspricht die Güte der Geschäftsbilanz dem Umfang der Schadensbilanz. Georg Wehr legte davon mit seiner eigenen Person Zeugnis ab. „Auch wenn man es mir auf den ersten Blick nicht ansehen mag, so stehe ich heute als schwerkranker junger Mann vor Ihnen“, bekundete er. Wehr musste vor einer Untersuchung ein gadolinium-haltiges Kontrastmittel von BAYER einnehmen und leidet seither an einem ganzen Bündel von Gesundheitsstörungen wie etwa Herzrhythmus-Störungen, Muskel-Zuckungen, Blutdruck-Schwankungen und Leberschäden. „Wie gedenkt das Unternehmen BAYER Betroffene angemessen zu entschädigen und bei ihrer Behandlung und Rehabilitation zu unterstützen?“, fragte er Vorstand und Aufsichtsrat. Beate Kirk und Gottfried Arnold konfrontierten den Verstand mit den Risiken und Nebenwirkungen der Hormon-Spirale MIRENA sowie des Schwangerschaftstests DUOGYNON. Jan Pehrke informierte die Hauptversammlung über die Schlampereien in BAYERs Leverkusener Pillen-Produktion. Überdies legte er die desaströsen Folgen dar, welche die schmutzigen Pharma-Lieferketten des Konzerns bei ihren ersten Gliedern China und Indien haben. Mit ihren größtenteils ungereinigten Abwasser-Frachten sorgt dort die Billig-Fertigung für den Weltmarkt nämlich für massive Gesundheitsschädigungen und Umweltbelastungen.
Werner Baumann gab sich zu diesem Themen-Komplex nicht redseliger, als er sich bei den Beiträgen zur Landwirtschaft gezeigt hatte. Genauere Auskünfte über die Zulieferer des Unternehmens in Indien und China verweigerte er mit Verweis auf das Betriebsgeheimnis, und die Kritik an den Pharmazeutika wehrte der Manager mit Standard-Phrasen ab. Und an denen fehlte es ihm auch nicht, als es auf Lars-Ulla Krajewski zu reagieren galt, die wie zuvor schon Kenneth Dietrich auf die Risiken und Nebenwirkungen der Öffnung von BAYERs Leverkusener Dhünnaue-Deponie im Zuge der Erweiterung der A1-Autobahn aufmerksam machte.
Und so rückte die Konzern-Kritik am Ende des Tages wieder ganz dicht an den Stammsitz der Aktien-Gesellschaft heran, nachdem sie vorher schon den ganzen Radius des unheilvollen Wirkens des Multis von China über Indien bis nach Brasilien abgeschritten hatte und damit so global agierte wie das Unternehmen selbst.

Ticker 3/18

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG-Anfrage an die Bezirksregierung
Im letzten Jahr hatte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA BAYERs Leverkusener Pharma-Anlagen inspiziert und dabei „signifikante Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis“ festgestellt (siehe auch SWB 2/18). In ihrem „Warning Letter“ listete die „Food and Drugs Administration“ viele gravierende Mängel auf. So hat der Pharma-Riese etwa verschiedene Medikamente in einem Raum gefertigt, ohne die benutzte Ausrüstung und die Arbeitsflächen nach den jeweiligen Durchläufen gründlich zu säubern, was Verunreinigungen von Medikamenten zur Folge hatte. Überdies kontrollierte der Multi der FDA zufolge die Stabilität der Zusammensetzung seiner Pharmazeutika nicht ausreichend. Auch die Toleranz-Grenzen der Apparaturen zur automatisierten Qualitätskontrolle legte der Global Player zu großzügig fest, damit sich der Ausschuss in Grenzen hielt. Darüber hinaus hat er nicht angemessen auf Probleme mit undichten Medikamenten-Packungen reagiert. „Ihre Firma hat es nicht geschafft, eine ordentlich arbeitende Qualitätskontrolle-Abteilung aufzubauen“, resümierte die US-Einrichtung in ihrem Schreiben folglich. In der Bundesrepublik obliegt die Kontrolle der Pillen-Produktion des Konzerns der Bezirksregierung Köln. In einer Anfrage an ihre Adresse wollte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN deshalb unter anderem wissen, warum deren InspektorInnen die Missstände verborgen geblieben sind und wann überhaupt die letzte Kontrolle erfolgte.

Viele Marches
In 428 Städten rund um die Welt fanden im Mai 2018 „Marches Against MONSANTO“ statt. Und vielerorts hießen diese schon „Marches against MONSANTO and BAYER“. So auch in Düsseldorf, wo AktivistInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zu den TeilnehmerInnen zählten. Und in seiner Kundgebungsrede wünschte sich Jan Pehrke vom CBG-Vorstand für das nächste Jahr eine endgültige Umbenennung: „Heute ist es der „March Against MONSANTO, BAYER und BASF“, gestern war es der „March Against MONSANTO“ und 2019 muss es der „March Against BAYER“ sein, damit das alte MONSANTO-Spiel nicht unter neuem Namen ungestört weiterlaufen kann!“

Vandana Shiva kritisiert BAYSANTO
Die bekannte indische Aktivistin Vandana Shiva hatte im Zuge der letzten Hauptversammlung des Leverkusener Multis an den BAYSANTO-Protesten teilgenommen. Am Tag vor dem Aktionär-Innen-Treffen hielt sie bei der Veranstaltung, die dem Thema „Einstieg in den Ausstieg aus der Pestizid-Falle“ gewidmet war, eine Rede und diskutierte anschließend mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Harald Ebner, dem brasilianischen Umweltschützer Alan Tygel und Jan Pehrke von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. Entsprechend erbost reagierte die Wissenschaftlerin auf die knapp zwei Wochen danach erfolgende endgültige Genehmigung des Deals. „Durch die Fusion wird BAYER den Großteil des Saatgut- und Pestizidmarktes beherrschen“, kritisierte sie. Zu den Hauptleidtragenden der letzten Konzentrationswelle im Agro-Business zählt für Shiva die Umwelt, als hätte diese unter dem Status quo ante nicht bereits genug gelitten: „Die Industrialisierung der Landwirtschaft, auch angetrieben durch BAYER und MONSANTO, hat schon 75 Prozent des Planeten zerstört: Die Verarmung von Böden, die Verschmutzung von Gewässern, der Verlust von Biodiversität – das ist die wirkliche Ernte der Chemie.“ Ihrer Ansicht nach hat die Übernahme von MONSANTO durch BAYER nicht zuletzt auch politische Auswirkungen: „Zusammen sind sie größer als irgendeine Regierungseinrichtung. Deshalb ist der Zusammenschluss auch gefährlich für unsere Demokratie, und das nicht nur in Indien.“

Aufruf gegen Saatgut-Patente
„Stoppt die Monopolisierung von Saatgut durch BAYSANTO“, ist der internationale Aufruf der Initiative NO PATENTS NO SEEDS überschrieben. Er wendet sich dagegen, BAYSANTO und anderen Agrar-Konzernen das Recht zu gewähren, Patente auf Pflanzen und Tiere geltend zu machen. „BAYSANTO & Co. beeinflussen maßgeblich, welche Pflanzen gezüchtet, angebaut und geerntet werden, was Saatgut kostet und wie unsere Lebensmittel in Zukunft produziert werden. Diese Markt-Macht basiert zu großen Teilen auf einer stark steigenden Anzahl von Patenten“, so Katherine Dolan von der den Aufruf mittragenden Organisation ARCHE NOAH. Zu den über 40 Gruppen, die den Appell unterzeichnet haben, zählt auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN.

Glyphosat: Petition gegen Bahn
Die DEUTSCHE BAHN gehört zu den Großverbrauchern von Glyphosat. 65 Tonnen des von der Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften Pestizids versprüht das Transport-Unternehmen Jahr für Jahr, um sein Schienennetz frei von Wild-Pflanzen zu halten. Die Initiative SumOfUs hat deshalb eine Online-Petition gegen die Bahn und ihre „33.500 Kilometer voller Glyphosat, die sich wie eine Giftspur durch die ganze Bundesrepublik ziehen“, gestartet. Über 50.000 Menschen haben den Appell bisher schon unterzeichnet (Stand: 22.06.18).

IBEROGAST: Grüne wollen BfArM stärken
Auch Medikamente auf pflanzlicher Basis wie BAYERs Magenmittel IBEROGAST, das 2013 mit dem Kauf von STEIGERWALD in die Produkt-Palette des Pharma-Riesen gelangte, können es in sich haben (siehe auch Ticker 2/18). So schädigt der IBEROGAST-Inhaltsstoff Schöllkraut die Leber. Präparate mit einer hohen Schöllkraut-Konzentration hat das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) deshalb schon aus dem Verkehr gezogen. Von den Herstellern weniger hoch dosierter Produkte verlangte es, einen entsprechenden Warnhinweis auf dem Beipackzettel anzubringen. Der Leverkusener Multi lehnte es aber ab, dieser Aufforderung nachzukommen. Stattdessen zog er vor Gericht – und bleibt damit so lange, wie Justitias Mühlen mahlen, von der Umsetzung der Auflage befreit. Die aufschiebende Wirkung solcher Klagen wollen die Grünen nun aber nicht länger hinnehmen. Sie forderten die Bundesregierung auf, die Rechte des BfArM BAYER & Co. gegenüber zu stärken.

KAPITAL & ARBEIT

Rationalisierungsprogramm „Super Bowl“
Als BAYER-Chef Werner Baumann bei den Investment-Gesellschaften um Zustimmung für den MONSANTO-Deal warb, sah er sich gezwungen, ihnen Kosteneinsparungen zu versprechen, um die mit der Transaktion verbundene Schuldenlast zu drücken. Sonst hätten die Verbindlichkeiten die Rating-Agenturen nämlich dazu bewogen, dem Unternehmen eine äußerst schlechte Note in Sachen „Kreditwürdigkeit“ zu geben. Besonders den neuen Finanzchef des Konzerns, Wolfgang Nickl, sahen die Finanzmarkt-AkteurInnen in der Pflicht. „Herr Nickl muss dafür einstehen, dass BAYER Cash aus jeder möglichen Quelle generiert“, gab etwa der Finanzanalyst Jeremy Redenius vor. Und so kam es im Pharma-Bereich dann zum Effizienz-Programm „Super Bowl“, dem Belegschaftsangehörigen zufolge allein in der Bundesrepublik 1.000 Arbeitsplätze zum Opfer fallen könnten. Besonders die Beschäftigten am Standort Berlin fürchten um ihre Jobs.

POLITIK & EINFLUSS

Neue Kriterien für Hormon-Gifte
Chemische Stoffe haben viele gesundheitsgefährdende Eigenschaften. Eine der unheimlichsten: Manche Substanzen wirken ähnlich wie Hormone und können damit den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln (siehe auch SWB 4/16). Pestizide des Leverkusener Multis wie FOLICUR (Wirkstoff: Tebuconazole), BETANAL (Lenacil), FENOMENAL (Fenamidon) oder Industrie-Chemikalien made by BAYER wie Bisphenol A sind deshalb imstande, Krebs, Diabetes, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit und andere Gesundheitsstörungen auszulösen. Hormonell wirksame Ackergifte wollte die EU eigentlich schon 2009 im Rahmen einer Reform der Zulassungsvorschriften verbieten. Dazu kam es allerdings nicht. Nach Ansicht Brüssels galt es zunächst, genaue Kriterien zur Charakterisierung der Pseudo-Hormone – sogenannter endokriner Disruptoren (EDCs) – zu entwickeln. Mit drei Jahren Verspätung, nicht zuletzt dem Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. geschuldet, legte die Europäische Kommission den entsprechenden Entwurf im Sommer 2016 vor. Dieser ließ viele gefährliche Chemikalien aus dem Raster fallen und enthielt zudem zahlreiche Ausnahme-Regelungen wie z. B. für gezielt das Hormonsystem von Schadinsekten angreifende Ackergifte. Deshalb kritisierten das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN), die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und andere Gruppen die Vorlage scharf. Im Marsch durch die EU-Institutionen gab es dann auch einige Nachbesserungen. So fanden etwa die hormonell wirksamen Insektizide wieder Aufnahme in den EDC-Katalog. Aber wirklich zufriedenstellen können die Ende April endgültig angenommenen und im Oktober in Kraft tretenden Kriterien trotzdem nicht – sie erfassen immer noch nicht alle endokrinen Disruptoren. Zudem legen sie die Schwelle für ein Verbot zu hoch an.

Der Branchen-Dialog „Chemie“
In der letzten Legislatur-Periode hat die damalige Große Koalition Branchen-Dialoge in den Sektoren „Pharma“ und „Chemie“ gestartet. Die Gesprächsrunde zu letzterem bewerteten die Teilnehmer äußerst positiv. Es sei gelungen, „gemeinsam Lösungen für mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln“, hielten das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI), die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE und der „Bundesarbeitgeberverband Chemie“ fest. Und die Ergebnisse können sich für BAYER & Co. wirklich sehen lassen. „BMWi bringt verstärkt Belange der Chemie-Industrie kontinuierlich in die Enterprise Policy Group (Experten-Gruppe der EU-Kommission) ein“, konstatiert der Monitoring-Bericht trocken. Auch in der 7+7-Gruppe, die aus EmissärInnen der Chemie-Verbände und der Wirtschaftsministerien der sieben Länder Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande und Spanien besteht, ist der Einfluss des VCIs der Publikation zufolge gesichert. Zudem erreichte die Organisation in zahlreichen Bereichen Zugeständnisse der Politik. So rang der Lobby-Club dem Wirtschaftsministerium ein Bekenntnis zum Pestizid-Standort Deutschland ab, inklusive fälliger Standortsicherungsmaßnahmen wie etwa beschleunigte Zulassungsverfahren. Bei der Registrierung gefährlicher Chemikalien, welche die EU seit 2007 betreibt, sicherte das Ministerium den Unternehmen ebenfalls regierungsamtliche Hilfe zu, droht hier aus Gründen des vorsorglichen Gesundheitsschutzes doch der „Wegfall von Verwendungen“ oder schlimmer noch „Stoff-Wegfall“. Der Sorge der Konzerne um eine Energie-Wende zu Lasten ihrer ebenso billigen wie schmutzigen Strom-Quellen nimmt sich indes ein informelles Gremium an, das sich mit der „energie-politischen Strategie nach 2020“ befasst und „die aktuellen Gesetzgebungen kontinuierlich weiter beobachtet“. Auch ganz generell hat sich der Branchen-Dialog vorgenommen, eine „Gesetzesfolgen-Abschätzung“ zu initiieren, weil es bisher „keine systematische Betrachtung der Auswirkungen der Regelungsvorhaben auf die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft“ gibt. Eine Innovationsbremse hat die Chemie-Industrie bereits identifiziert: das Arzneimittel-Neuverordnungsgesetz (AMNOG) von 2011, das neuen Medikamenten doch tatsächlich eine Kosten/Nutzen-Prüfung aufbürdet.

NRW: Schwarz-Gelb für BAYER & Co.
Die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bekennt sich freimütig zur Wirtschaft im Allgemeinen und zur Chemie-Industrie im Besonderen – mit entsprechenden Nebenwirkungen für Klima und Umwelt (s. u.). „Christdemokraten und Freie Demokraten stellen sicher, dass die Interessen des Industrie- und Energiestandorts Nordrhein-Westfalen künftig wieder wahrnehmbar gegenüber dem Bund und der Europäischen Union vertreten werden“, heißt es im Koalitionsvertrag. Dabei wollen die PolitikerInnen bevorzugt für eine Branche Lobby-Arbeit betreiben: „Einen besonderen Fokus legen wir auf den Erhalt der Wertschöpfungsketten, der Wettbewerbsfähigkeit, der Arbeitsplätze und der Innovationsfähigkeit der in Nordrhein-Westfalen ansässigen chemischen Industrie.“

Prima Klima in NRW für BAYER & Co.
Das Land Nordrhein-Westfalen trägt fast ein Drittel zu den bundesdeutschen Kohlendioxid-Emissionen bei, woran BAYER alles andere als unschuldig ist. Für die schwarz-gelbe Landesregierung stellt das zur Freude des Leverkusener Multis jedoch keinen Grund zum Umsteuern dar. Sie hat andere Prioritäten: „Wir werden die Energie- und Klimapolitik danach ausrichten, Nordrhein-Westfalen als Energieland Nummer eins zu stärken, um führendes Industrieland, auch für energie-intensive Industrien, zu bleiben und Wertschöpfungsketten zu erhalten“, schreiben die Parteien in ihrem Koalitionsvertrag. Dementsprechend legen sie Hand an das Landes-Klimaschutzgesetz von Rot-Grün und kappen alle Regelungen, die über EU-Maßgaben hinausgehen. Zudem bekennen sich Laschet & Co. zum Klima-Killer Braunkohle („unser einziger heimischer Rohstoff, der wettbewerbsfähig ist und zudem einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leistet“) und drohen an, die Strom-Steuer senken zu wollen.

Klima-Politik: BAYER will mitreden
Der BAYER-Manager Wolfgang Große Entrup gehört dem Wirtschaftsrat der CDU an. Er leitet dort die Bundesfach-Kommission „Umwelt“ und äußert sich dementsprechend oft zu Umwelt-Themen – natürlich auch pro domo. Jüngst ergriff er dazu in einer Beilage der Faz zum Wirtschaftstag – die Zeitung nennt diese vom Wirtschaftsrat ins Leben gerufene Veranstaltung „eines der hochkarätigsten Foren für den Austausch von Wirtschaft und Politik“ – die Gelegenheit. In seinem Beitrag klagte Große Entrup einmal mehr über die angeblich mit der Energiewende einhergehenen hohen Strom-Kosten und wusste auch schon ein probates Mittel dagegen: mehr Mitsprache-Rechte für BAYER & Co. „Dabei sollte die Wirtschaft stärker in die entscheidungsrelevanten Dialog-Prozesse eingebunden werden. Denn eine marktwirtschaftliche Umsetzung der klima- und energiepolitischen Ziele kann nur gemeinsam mit der Wirtschaft erreicht werden“, meinte Große Entrup. Ansonsten trat er in Sachen „Klima“ für „einen internationalen Schulterschluss“ ein, was Leute seines Schlages gern tun, weil sie genau wissen, dass dieser nie zustande kommen wird.

Lobbying für CRISPR/Cas & Co.
Gen-Scheren, die das Erbgut an einer vorgegebenen Stelle auftrennen und dort neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einfügen können, arbeiten nach Ansicht von BAYER & Co. so präzise, dass die von ihnen herbeigeführten Veränderungen sich gar nicht mehr von denjenigen unterscheiden, welche die konventionelle Züchtung zu Wege bringt. Deshalb fallen CRISPR/Cas und andere Verfahren für sie nicht unter „Gentechnik“ und ergo auch nicht unter die entsprechenden Regularien. Davon wollen die Unternehmen auch die EU überzeugen und setzen dabei auf alte Bekannte. So hat Bernd Müller-Röber vom „Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland“ (VBIO) Abgeordnete des Europa-Parlaments jüngst in einem Schreiben davon zu überzeugen versucht, die „Gentechnik 2.0“ nicht als Update der „Gentechnik 1.0“ zu betrachten und sie aus diesem Grund auch vor den für diese geltenden Auflagen zu verschonen. Eigene Patent-Anträge zu DNA-Manipulationen, die sich der neuen Methoden bedienen, verschwieg er dabei allerdings ebenso wie seine Mitarbeit an einigen alten „Gentechnik 1.0“-Patenten von BAYER.

Brexit: VfA will Übergangsfrist
Rund ein Fünftel aller Zulassungsverfahren für Medikamente bearbeitet die britische Arzneimittel-Behörde. Wegen des Brexits wird sie dies allerdings nur noch bis Ende März 2019 tun, was dem von BAYER gegründeten „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VfA) Anlass zur Besorgnis gibt. „Der Brexit könnte die Zulassung von Arzneimitteln in Europa gefährden“, warnt er und fordert Übergangsfristen. Diese müssten „ganz oben auf der Agenda der konkreten Austrittsverhandlungen stehen“, erklärt die Lobby-Organisation.

Kein Glyphosat-Verbot in Frankreich
Der französische Präsident Emmanuel Macron wollte in seinem Land das BAYER-Pestizid Glyphosat verbieten, das die Krebs-Agentur der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft. Der Politiker konnte sich mit diesem Ansinnen allerdings nicht durchsetzen. Die Nationalversammlung lehnte den Antrag ab. Selbst einige Mitglieder von Macrons „En Marche!“ stimmten gegen den Bann.

Ein bisschen weniger Glyphosat
Nach dem Dafürhalten von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner darf es ein bisschen weniger Glyphosat sein – aber nur klitzekleines bisschen. Die Christdemokratin legte im Frühjahr den Entwurf einer entsprechenden Verordnung vor. Diese will den Einsatz des „wahrscheinlich krebserregenden“ BAYER-Pestizids vor allem im HobbygärtnerInnen-Sektor einschränken, obwohl der Bereich nur für zwei Prozent des Glyphosat-Verbrauchs verantwortlich ist. Die Landwirtschaft hat hingegen kaum Einschränkungen zu fürchten. „Für unser gemeinsames Ziel, den Einsatz von Glyphosat grundsätzlich zu beenden, werden weitere Schritte folgen müssen“, sagte deshalb Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), und Toni Hofreiter von BÜNDNIS 90/Die Grünen kritisierte, „kleine, kosmetische Maßnahmen“ seien nicht genug: „Stattdessen muss die Anwendung von Glyphosat in der Landwirtschaft in den nächsten vier Jahren auf Null heruntergefahren werden.“

BAYER & Co. wollen Forschungsförderung
Seit Jahr und Tag fordert der BAYER-Konzern die steuerliche Absetzbarkeit von Forschungsaufwendungen. Jetzt hat seine Interessensvertretung, der „Bundesverband der Industrie (BDI), einen neuen Vorstoß in dieser Richtung unternommen. „Steuerliche Forschungsförderung unverzüglich einführen!“ ist das entsprechende Positionspapier überschrieben. „Im weltweiten Wettbewerb um die Forschungsstandorte in multinationalen Unternehmen und Branchen ist die staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung nicht alles, oft aber der entscheidende Grund, Forschungskapazitäten auszubauen oder neu anzusiedeln“, hält die Lobby-Organisation fest. Einen konkreten Plan für die Umsetzung hat der BDI auch schon ausgearbeitet. Ihm schwebt eine Steuer-Gutschrift pro Beschäftigtem in Höhe von bis zu 6.000 Euro vor. „Maximal 2,5 Milliarden Euro“ würde das den Staat kosten – nach Ansicht von BAYER & Co. ein Schnäppchen.

PROPAGANDA & MEDIEN

Neues Corporate Design
Um das Image BAYERs steht es nicht zum Besten. Darum sah das Management Handlungsbedarf. Da aber gute Taten mit einem der Profit-Logik folgenden Konzern nur schwerlich zu bewerkstelligen sind, entschloss sich der Vorstand stattdessen, am Erscheinungsbild zu feilen. „BAYER will sympathischer werden – und hat deshalb sein Corporate Design überarbeitet“ vermeldete das PR-Fachblatt W&V. Bei diesem Unterfangen hat der Leverkusener Multi dann weder Kosten noch Mühen gescheut. Er befragte 1.500 Menschen aus sechs Ländern zu seiner Reputation und wertete weitere Umfragen zu diesem Thema aus. Die Resultate wiesen BAYERs oberstem Öffentlichkeitsarbeiter Michael Preuss zufolge höhere Kompetenz- als Sympathie-Werte aus. Und da hat die Branding-Agentur LANDOR angesetzt und rechtzeitig zur MONSANTO-Übernahme alles „wärmer und emotional ansprechender“ gestaltet. Aber ob ’s hilft, ist noch die Frage ...

Vertriebskosten: Elf Milliarden Euro
Unter Vertriebskosten verbucht der Leverkusener Multi all das, was es braucht, um seine Produkte loszuschlagen: Werbung, Marketing, KundInnen-Beratung, den Außendienst inklusive Pharma-DrückerInnen und andere Posten. Im Jahr 2017 gab der Konzern dafür rund elf Milliarden Euro aus.

Lobby-Offensive wg. MONSANTO
Der BAYER-Konzern hat 2017 in den USA viel Geld investiert, um Stimmung für die Ziele des Unternehmens zu machen. 10,5 Millionen Dollar steckte er in die Pflege der dortigen politischen Landschaft – mehr Geld für solche Aktivitäten gab in dem Land kein anderes deutsches Unternehmen aus. Unter anderem galt es, die DemokratInnen und RepublikanerInnen vom Sinn der MONSANTO-Übernahme und vom Unsinn der Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel zu überzeugen. Auch die Verbreitung der Mär, dass die Neonicotinoide GAUCHO und PONCHO keiner Biene etwas zu Leide tun können, war dem Unternehmen teuer. Etwas Schlimmes konnte der Konzern an diesem Einsatz nicht finden: „BAYER ist stolz darauf, sich aktiv am politischen Prozess in den USA zu beteiligen, damit auch unsere Stimme gehört wird.“

PR-Offensive wg. MONSANTO
BAYER begleitet die Übernahme von MONSANTO mit einer PR-Offensive. Um die journalistische Landschaft zu pflegen, ließ der Konzern die 40-seitige Broschüre „Landwirtschaft und Ernährung von morgen“ in einer Auflage von 30.000 Exemplaren erstellen und sie Fachmagazinen wie Wirtschaftsjournalist und medium beilegen. Allerdings gab es prompt Ärger mit der Publikation. Der Leverkusener Multi hatte darin nämlich den Schweizer Professor Urs Niggli mit einer positiven Aussage über die neuen Gentechniken zitiert, wogegen dieser sich verwahrte (s. u.). Darüber hinaus richtete der Agro-Riese die Dialog-Plattform „Zukunftsfelder“ ein, die sich allerdings nicht gerade großen Zuspruchs von Umweltverbänden erfreute. Zudem sponserte er die vom Berliner Tagesspiegel ausgerichtete Diskussionsveranstaltung „World Food Conference“, die mit so prominenten Gästen wie der Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) aufwartete, und redete zu Themen wie „Zulassungsverfahren“ auch ein Wörtchen mit.

PR-GAU
„Für Landwirte – auch für Öko-Landwirte – eröffnet die neue Methode viele Chancen“, diese lobende Worte fand Professor Urs Niggli, Direktor des schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau, zu CRISPr-Gas und anderen neuen Gentechniken. Ein gefundenes Fressen für BAYER. Der Leverkusener Multi zitierte die Äußerung in seiner Propaganda-Broschüre „Landwirtschaft und Ernährung von morgen“, hatte dabei aber die Rechnung ohne Niggli gemacht. Dieser verwahrte sich gegen die Übernahme. Vom „Missbrauch meines Namens“ sprach der Agrar-Wissenschaftler und betonte, er habe völlig andere Positionen als der Agro-Riese. Der Konzern musste daraufhin alle noch verbliebenen Exemplare der Schrift in die Tonne klopfen und den Niggli-Satz von seiner Internet-Seite nehmen. Auch auf Beiträge des Professors zur Dialog-Plattform „Zukunftsfelder“ konnte er nicht länger zählen. Er sähe keinen Sinn in Dialogen, die auf die Strategie der Firma BAYER keine Wirkung hätten, erklärte Urs Niggli laut Informationsdienst Gentechnik.

BAYER vs. Vandana Shiva
Auch die bekannte indische Aktivistin Vandana Shiva nahm an den diesjährigen Protesten rund um die BAYER-Hauptversammlung teil (siehe AKTION & KRITIK). Dadurch sah sich der Leverkusener Multi zu einer Reaktion gezwungen. „Herzlich Willkomen, Vandana Shiva!“ begrüßte der Konzern die Wissenschaftlerin auf seiner Internet-Seite, um dann sieben Thesen von ihr einem „Faktencheck“ zu unterziehen. Selbstredend kam da keine einzige heil heraus. Stattdessen gibt es nichts Gesünderes auf der Welt als gentechnisch veränderte Lebensmittel, selbst wenn sie in ihrem Vorleben auf den Äckern ein paar Glyphosat-Duschen abbekommen haben, hat doch „dieser Wirkstoff eine äußerst geringe Giftigkeit“. Und indische LandwirtInnen, die Baumwolle mit einer eingebauten Resistenz gegen den Bacillus thuringiensis (Bt) anpflanzten und sich anschließend wegen der Missernten umbrachten, kennt der Konzern nicht. „Es besteht nachweislich kein direkter Zusammenhang zwischen der Einführung gentechnisch veränderter Baumwolle und der Selbstmord-Rate bei indischen Bauern“, hält er fest und behauptet stattdessen: „Die Einführung von Bt-Baumwolle in Indien war ein Erfolg.“ Und so geht die Märchenstunde dann munter bis zur siebten These weiter, wo BAYERs FaktencheckerInnen sich darin versuchen, dem goldenen Gen-Reis all den Glanz zurückzugeben, den Vadana Shiva ihm geraubt hatte.

BAYER darf mehr Schule machen
Ganz so, als hätten die Konzerne nicht schon genug Einfluss auf die Bildungseinrichtungen, darf es für Schwarz-Gelb in BAYERs Stammland Nordrhein-Westfalen gerne noch ein bisschen mehr sein. „Wir wollen Unternehmen und andere gesellschaftliche Gruppen ermutigen, ihr Personal und ihre besondere Expertise vor allem in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, Anm. Ticker) stundenweise den Schülern zur Verfügung zu stellen“, drohte Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) an. Davon verspricht die Politikerin sich, „den Kindern Kenntnisse direkt aus der Praxis zu vermitteln“. Zudem kann der Leverkusener Multi sich in NRW über das neue Schulfach „Wirtschaft“ freuen.

DRUGS & PILLS

BfArM warnt vor XOFIGO
BAYERs XOFIGO hat bisher eine Zulassung für einen solchen Prostata-Krebs, der bereits die Knochen angegriffen hat und auf eine Hormon-Entzugsbehandlung – Testosteron und andere Androgene haben Einfluss auf das Wachstum der Krebs-Zellen – nicht reagiert. Nun wollte der Leverkusener Multi das strahlen-therapeutische Mittel mit dem Wirkstoff Radium-223-Dichlorid in Kombination mit Abirateronacetat und Prednison bei einer anderen Art des Prostata-Karzinoms zum Einsatz bringen. Er musste die klinischen Tests allerdings abbrechen (Ticker 1/18). Bei den XOFIGO-Probanden, die entweder noch gar keine oder nur schwache Symptome der Krankheit hatten, war nämlich laut BAYER „ein erhöhtes Auftreten von Todesfällen und Frakturen“ zu beobachten. Während die Todesrate in der Gruppe, die mit Abirateronacetat und Prednison ein Placebo einnahm, bei 20 Prozent lag, betrug diese bei den XOFIGO-Patienten 27 Prozent. Und Knochen-Brüche traten unter XOFIGO mehr als drei Mal so häufig auf (24 Prozent zu sieben Prozent). Darum hat die Klinische Prüfung ein Nachspiel. Nach Auskunft des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) untersucht jetzt die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ die Vorfälle, „um die Bedeutung für die zugelassene Anwendung von XOFIGO zu ermitteln“. Und den Pharma-Riesen zwangen die Aufsichtsbehörden, die MedizinerInnen in zwei Rote-Hand-Briefen davor zu waren, das Präparat weiter zusammen mit Abirateronacetat und Prednison zu verordnen.

ASPIRIN mit Warnhinweisen
Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) tritt bereits seit Langem dafür ein, ASPIRIN und andere Schmerzmittel in den Apotheken nur noch dann ohne Rezept auszugeben, wenn die Anwendungsdauer auf vier Tage beschränkt ist. Die Präparate haben nämlich beträchtliche Nebenwirkungen. So kann BAYERs „Tausendsassa“ etwa Magenbluten verursachen. Mit seinem Anliegen konnte sich das BfArM zwar nicht durchsetzen, immerhin aber müssen der Leverkusener Multi und die anderen Hersteller von Schmerzmitteln auf den Schachteln künftig den Warnhinweis anbringen: „Bei Schmerzen und Fieber ohne ärztlichen Rat nicht länger anwenden, als in der Packungsbeilage vorgegeben!“ Leider nur ermangelt es dem Satz an Eindeutigkeit, zudem haben die Pharma-Riesen noch zwei Jahre Zeit, um die Anordnung umzusetzen.

FDA schränkt ESSURE-Vertrieb ein
Bei ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Sterilisationsmittel, handelt es sich um eine kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen. Allzu oft jedoch bleibt das Medizin-Produkt nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden von Organen, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Nebenwirkungen. Das hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde „Food and Drug Admininstration“ (FDA) jetzt zu Maßnahmen veranlasst. „Jede Frau, die dieses Produkt erhält, sollte die damit verbundenen Risiken kennen“, so Scott Gottlieb von der FDA. Deshalb beschränkte die Institution den ESSURE-Vertrieb auf solche ÄrztInnen und Medizin-Einrichtungen, welche die Frauen anhand einer langen Check-Liste eingehend beraten. Zudem drohte die Behörde dem Leverkusener Multi für den Fall, dass er die potentiellen ESSURE-Interessentinnen nicht ausreichend über die Nebenwirkungen der Spirale informiert, rechtliche Schritte an.

BAYER schränkt ESSURE-Vertrieb ein
BAYER stellt den Vertrieb der Sterilisationsspirale ESSURE außerhalb der USA ein. Mit Sicherheits- oder Qualitätsbedenken (s. o.) habe das aber nichts zu tun, betont der Konzern.

EMA prüft CIPROBAY
Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY (Wirkstoff: Ciprofloxacin) haben viele schwerwiegende Nebenwirkungen (siehe auch SWB 3/18). Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA listet von 2002 bis 2017 allein zu Ciprofloxacin 1.116 Todesfälle und 20.353 Meldungen über unerwünschte pharmakologische Effekte auf. Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Überdies hemmen die Fluorchinolone Enzyme, welche die Verstoffwechselung von Arzneien im Körper steuern. Dadurch verbleiben unter Umständen hohe Konzentrationen von Arznei-Stoffen im Organismus, was die Gefahr von unkontrollierbaren Wechselwirkungen heraufbeschwört. Bereits mehrmals haben die Aufsichtsbehörden der verschiedenen Länder deshalb den Anwendungsbereich der Mittel beschränkt und die Hersteller gezwungen, ihre Packungsbeilagen um Warnungen vor bestimmten Gesundheitsschäden zu ergänzen. Und im Februar 2017 stieß das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) bei der EMA ein europäisches Risiko-Bewertungsverfahren für Fluorchinolone an. „Ziel ist eine umfassende Bewertung von schwerwiegenden und persistierenden (dauerhaften, Anm. Ticker) Nebenwirkungen, die überwiegend den Bereich des Bewegungsapparates und des Nervensystems betreffen“, teilt das Institut mit. Mitte Juni findet dazu eine öffentliche Anhörung statt. Einen Monat später will die Arzneimittel-Agentur dann das Ergebnis der Überprüfung verkünden.

BfArM überprüfte YASMIN & Co.
BAYERs Verhütungsmittel wie die Pille YASMIN oder die Hormon-Spirale MIRENA haben zahlreiche Nebenwirkungen. Zum Brustkrebs- und zum Selbstmord-Risiko wertete das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) jetzt neue Studien aus. Danach gab die Behörde Entwarnung. Die Befunde gaben ihrer Ansicht nach keinen Anlass dazu, Maßnahmen zu ergreifen.

Grenzwert-Bestimmung in der Kritik
Die Pharma-Konzerne arbeiten permanent an der Vergrößerung der Zielgruppe für ihre Medikamente. Ein probates Mittel dazu ist es, die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit zu verschieben. So befindet sich etwa der Wert, ab dem der Blutdruck nicht mehr als normal, sondern als zu hoch und damit behandlungswürdig gilt, seit Jahren im Sinkflug (Ticker 1/18). Ähnlich erging es demjenigen zur Diabetes-Bestimmung. Lange Zeit zeigte ein Blutzucker-Spiegel von über 140 mg/dl die Notwendigkeit von medizinischen Maßnahmen an, bereits seit 1997 reichen jedoch 126 mg/dl. Und ganz im grünen Bereich ist mensch auch unterhalb dieses Limits nicht. Das Reich der „Prä-Diabetes“ beginnt nämlich schon ab 100 mg/dl, was den Absatz von BAYERs Zuckerkrankheitspräparat GLUCOBAY nicht unerheblich steigert. Das ExpertInnen-Gremium der „American Diabetes Association“ (ADA) hatte für die neuen Festlegungen plädiert – allerdings nicht aus hehren wissenschaftlichen Motiven. Ökonomische gaben vielmehr den Ausschlag. Kommissonschef James R. Gavin beispielsweise verfügte über lukrative BeraterInnen-Verträge mit BAYER und anderen Pharma-Riesen. Der Kölner Mediziner Prof. Dr. Stefan Wilm hält rein quantitative Angaben, etwa über die Höhe des Blutzucker-Spiegels, generell für keine hinreichenden Kriterien zur Definition einer Gesundheitsstörung und kritisiert die Ausweitung der Krankheitszonen durch die Zahlenspiele vehement. „Je niedriger wir die Grenzwerte ansetzen, (...) umso mehr Medikamente werden verordnet. Aber der Patient hat davon keinen Nutzen“, so der Arzt.

Deal mit LOXO ONCOLOGY
BAYER setzt immer weniger auf eigene Forschungsanstrengungen und kauft stattdessen Innovationen von außen zu. So hat der Konzern mit LOXO ONCOLOGY ein Geschäft abgeschlossen, das ihm die Vertriebsrechte an zwei neu entwickelten Krebs-Wirkstoffen sichert. Dabei handelt es sich um Loxo-195 und Larotrectinib, für den LOXO in den USA gerade einen Zulassungsantrag gestellt hat. Je nach Erfolg der beiden Stoffe hat der Pillen-Riese sich zu Zahlungen von bis zu 1,15 Milliarden Dollar verpflichtet. „Das ist ein strategisch sehr wichtiger Deal für zwei hochinnovative Substanzen“, konstatiert Arznei-Chef Dieter Weinand: „Damit sollte endlich auch die Frage beantwortet sein, ob BAYER angesichts der MONSANTO-Übernahme nicht die Pharma-Sparte vernachlässige.“

„Consumer Health“ schwächelt
Der Leverkusener Multi hat das Geschäft mit den rezeptfreien Arzneien in der letzten Zeit stark ausgebaut und ist in diesem Bereich zur Nr. 2 auf der Welt aufgestiegen. Aber nicht nur die 2014 zugekaufte MERCK-Sparte erfüllte ihre Erwartungen bisher nicht, auch der Absatz der restlichen Produkte schwächelt bereits seit Langem. Im Geschäftsjahr 2017 ging der Umsatz um 1,7 Prozent auf 5,9 Milliarden Euro zurück, und der Gewinn schrumpfte sogar um 13 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro. Im November 2017 kostete das Sparten-Chefin Erica Mann ihren Job.

AGRO & CHEMIE

Aus für GAUCHO, PONCHO & Co.
Im Jahr 2014 hatte die Europäische Union die Pestizid-Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin von BAYER sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam wegen ihrer Bienengefährlichkeit vorläufig aus dem Verkehr gezogen. Ende April 2018 verkündete die EU-Kommission ein dauerhaftes Verbot der Mittel aus der Gruppe der Neonikotinoide. Zum Leidwesen des Leverkusener Multis, der die Entscheidung mit den Worten „ein trauriger Tag für die Landwirte und ein schlechter Deal für Europa“ kommentierte, dürfen PONCHO, GAUCHO & Co. jetzt nicht mehr auf Äckern, sondern nur noch in Gewächshäusern ihr Unwesen treiben. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) betreibt bereits seit 1999 eine Kampagne gegen diese Insektizide und kann nun endlich den Erfolg ihrer Bemühungen verzeichnen. Deshalb begrüßte sie die Entscheidung Brüssels, verlangte allerdings zugleich weitere Maßnahmen: „Dieser Schritt war überfällig. Jetzt gilt es aber auch, konsequent zu sein und die übrigen Stoffe dieser Substanz-Klasse aus dem Verkehr zu ziehen.“ Darüber hinaus forderte die CBG Brüssel auf, diejenigen Pestizide genauer unter Beobachtung nehmen, welche die Industrie als Ersatz für die Mittel vorgesehen hat. Der Leverkusener Multi zum Beispiel bemüht sich in der Bundesrepublik gerade um eine Zulassung von SIVANTO, dessen Inhaltsstoff Flupyradifuron einige WissenschaftlerInnen ebenfalls als schädlich für Bienen einstufen. So hält etwa Michele Colopy von der Organisation POLLINATOR STEWARDSHIP COUNCIL fest: „Die Forschungsergebnisse weisen vielleicht auf keine akute toxische Wirkung bei der ersten Anwendung hin, aber Zweit- und Drittanwendung zeigen eindeutige Effekte auf die Bienensterblichkeit, das Verhalten, die Brut-Entwicklung sowie Pollen und Nektar.“ Und zu ähnlichen Ergebnissen kam jüngst die Universität Würzburg.

EuGH bestätigt GAUCHO-Aus
Nach dem von der Europäischen Kommission verkündeten Aus für GAUCHO und PONCHO (s. o.) setzte BAYER noch Hoffnung auf die Justiz. Der Konzern hatte nämlich 2013 in Tateinheit mit SYNGENTA schon gegen das vorläufige Verbot der Europäischen Union geklagt und erwartete nun eine Entscheidung in seinem Sinne. Aber diese Rechtshilfe blieb aus; der Europäische Gerichtshof stellte sich auf die Seite der EU-Kommission. „Was die im Jahr 2013 beschränkten oder verbotenen Verwendungen betrifft, entscheidet das Gericht, dass die Kommission darlegen konnte, dass in Anbetracht der erheblichen Verschärfung der Anforderungen daran, dass keine unannehmbaren Auswirkungen der Wirkstoffe auf die Bienen vorhanden seien, die von der EFSA (Europäische Lebensmittelbehörde, Anm. Ticker) festgestellten Gefahren den Schluss zuließen, dass die drei fraglichen Wirkstoffe nicht mehr den Zulassungskriterien entsprächen“, lautete das Votum aus Luxemburg. Da musste der Global Player schmollen: „BAYER ist enttäuscht.“

Neue Ackergifte
2018 bringt BAYER zwei neue Agro-Chemikalien auf den Markt, wobei „neu“ relativ ist. In Ermangelung wirklicher Innovationen kombiniert der Leverkusener Multi nämlich nur altbekannte Wirkstoffe und hofft – wie bei den mit Mehrfach-Resistenzen ausgestatteten Gen-Pflanzen –, dass es die Menge macht. So besteht das Fungizid ASCRA Xpro aus den drei Substanzen Bixafen, Prothioconazol und Fluopyram. Das Herbizid LIBERATOR PRO, von dem die LandwirtInnen laut BAYER-Empfehlung ein Liter pro Hektar ausbringen sollen, wartet hingegen mit den Inhaltsstoffen Flufenacet, Diflufenicat und Metribuzin auf. Und ganz ohne sind die nicht: Metribuzin beispielsweise findet sich in der Liste der hochgefährlichen Pestizide, welche das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) im März 2018 veröffentlicht hat.

Verkauf von Bromacil-Pestiziden
Die mit der Übernahme von MONSANTO verbundenen Auflagen zwangen BAYER, einige Pestizide abzustoßen. Aber auch aus freien Stücken trennt sich der Konzern von Zeit zu Zeit von Agro-Chemikalien. So verkaufte der Global Player im Juni 2018 sein USA- und Kanada-Geschäft mit bromacil-haltigen Herbiziden. Neuer Besitzer der Ackergifte, die der Leverkusener Multi unter den Namen HYVAR und KROVAR vermarktet hatte, ist das US-amerikanische Unternehmen AMVAC.

Die „MONSANTO Papers“
Im Zuge der Klagen von US-amerikanischen Glyphosat-Geschädigten (siehe auch RECHT & BILLIG) kamen die Firmen-Unterlagen MONSANTOs zu dem Ackergift ans Licht der Öffentlichkeit. In diesen „MONSANTO Papers“ offenbaren die Konzern-WissenschaftlerInnen selber massive Zweifel an der medizinischen Unbedenklichkeit des unter dem Namen ROUNDUP vermarkteten Pestizides. „Man kann nicht sagen, dass ROUNDUP nicht krebserregend ist“, hält etwa die MONSANTO-Toxikologin Donna Farmer fest: „Wir haben nicht die nötigen Tests mit der Formulierung durchgeführt, um diese Aussage treffen zu können.“ Die Formulierung, also die mit Hilfe von Wirkungsverstärkern und anderen Substanzen erfolgte Weiterverarbeitung des Basis-Stoffes Glyphosat zum fertigen ROUNDUP, bereitete ihrem Kollegen William Heydens’ ebenfalls große Sorgen: „Glyphosat ist OK, aber das formulierte Produkt verursacht den Schaden.“ So hat es beispielsweise negative Effekte auf das Erbgut. Als eine Auftragstudie in dieser Hinsicht nicht genug Entlastungsmaterial liefern konnte, sondern den Befund sogar noch zu bestätigen drohte, schlug Heydens einfach vor, sich willigere WissenschaftlerInnen zu suchen. Wie die MONSANTO-Papers darüber hinaus belegen, griffen die Konzern-ForscherInnen zur Not auch selbst zur Feder, um ihrem Millionen-Seller einen Persilschein auszustellen, und kauften sich anschließend bekannte ExpertInnen ein, die für viel Geld ihren Namen unter den Text setzten. Zudem nutzte das Unternehmen all seinen Einfluss, um die Umweltbehörde EPA daran zu hindern, eine Untersuchung zu Glyphosat zu veranlassen.

BAYER vertreibt Bio-Stimulanzien
Der Leverkusener Multi vertreibt künftig die Bio-Stimulanzien BAYFOLAN, BAYFOLAN ACTIVATOR und COBRE des italienischen Unternehmens SICIT 2000. Eine entsprechende Vereinbarung zu den Produkten auf der Basis von Aminosäuren und Peptiden, die das Wachstum von Pflanzen anregen und ihre Widerstandskraft stärken, schlossen die beiden Unternehmen Ende 2017. Der Konzern baut damit sein Sortiment an Biologicals weiter aus. So hat er bereits die Bio-Pestizide REQUIEM, BIBACT und CONTANS sowie Saatgutbehandlungsmittel auf biologischer Basis im Angebot. Der Leverkusener Multi will wegen BAYFOLAN & Co. jedoch seinen Agrogift-Schrank nicht gleich entsorgen; „best of both worlds“ lautet die Devise. „Wir setzen auf integrierte Angebote für Nutzpflanzen. Also auf die Auswahl des passenden Saatguts und die beste Kombination aus chemischen und biologischen Produkten“, bekundet der Agro-Riese.

GENE & KLONE

Krebsgefahr durch „Gentechnik 2.0“?
BAYER setzt sowohl im Pharma- als auch im Agro-Bereich stark auf die „Gentechnik 2.0“, also zum Beispiel auf Gen-Scheren, die das Erbgut angeblich präzise an einer vorgegebenen Stelle auftrennen und dort neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einfügen können. So hat der Leverkusener Multi 2015 ein Kooperationsabkommen mit CELLECTIS PLANT SCIENCE in Sachen „Genome Editing“ geschlossen und gründete im selben Jahr ein Joint Venture mit dem US-Unternehmen CRISPR THERAPEUTICS. 2016 schließlich traf der Konzern eine Lizenz-Vereinbarung mit der irischen Firma ERS GENOMICS. Diese sichert dem Pharma-Riesen den Zugriff auf mehrere Patente, die ERS auf die Anwendung der Schnippel-Technik CRISPR/Cas9 hält. Und genau diese Methode steht jetzt in Verdacht, Krebs-Erkrankungen zu befördern. Gleich zwei Studien warnen vor dieser „Nebenwirkung“. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht das Protein p53. Dieses flickt gebrochene DNA-Stränge und hemmt gleichzeitig das unkontrollierte, und deshalb Krebs befördernde Zell-Wachstum. Gen-Scheren meiden nach Möglichkeit Zellen mit dem p53-Protein, weil dieses sich unverzüglich daran macht, die Schnitte wieder zuzunähen, und halten lieber nach solchen ohne diesen Eiweiß-Stoff Ausschau. „Indem wir Zellen nehmen, die das beschädigte Gen erfolgreich repariert haben, nehmen wir vielleicht unbeabsichtigt immer gerade solche ohne funktionierendes p53“, erläutert die Wissenschaftlerin Dr. Emma Haapaniemi vom schwedischen Karolinska-Institut. Deshalb warnt sie: „Wenn diese Zellen einem Patienten transplantiert werden, beispielsweise zur Behandlung einer Erb-Krankheit, könnten sie die Krebsgefahr erhöhen, was Fragen zur Sicherheit der CRISPR/Cas9-Therapien aufwirft.“

BAYER will Gentech-Bakterien
Im Frühjahr 2018 hat der BAYER-Konzern seinen zahlreichen Kooperationen auf dem Gebiet der Gentechnik 2.0, dem so genannten Genome Editing (s. o.), eine neue hinzugefügt. Er gründete mit GINKGO BIOWORKS ein Joint Venture. Mit zusätzlichem Geld vom Hedgefonds VIKING GLOBAL versehen, wollen die beiden Unternehmen mit Hilfe der neuen Methoden Bakterien entwickeln, die der Landwirtschaft als Dünger dienen können.

Saatgut per Gentechnik 2.0
Zur Mitgift von MONSANTO gehörte auch eine Kooperation mit dem Startup-Unternehmen PAIRWISE PLANTS. Die Firma will mit Hilfe neuer gentechnischer Methoden, die das Erbgut angeblich präzise an einer vorgegebenen Stelle auftrennen und dort neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einfügen können, Saatgut entwickeln. Auf der Wunschliste stehen unter anderem Soja, Mais, Weizen, Baumwolle, Raps, Kartoffeln und diverse Obst-Sorten.

USA: Kommt die Kennzeichnungspflicht?
Die USA wollen ab 2020 eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel einführen. Während VerbraucherschützerInnen die wenig eindeutigen Text-Vorschläge, die der Gesetzes-Entwurf enthält, kritisieren, betreiben BAYER & Co. schon einmal Extrem-Lobbying gegen die Pläne (siehe auch POLITIK & EINFLUSS).

KOGENATE unter Beobachtung
Im Jahr 2014 machten gleich zwei Studien auf eine bisher unbekannte Nebenwirkung von BAYERs Blutgerinnungspräparat KOGENATE und dem ebenfalls vom Leverkusener Multi entwickelten, jetzt aber von BEHRING vertriebenem Mittel HEXILATE NEXGEN aufmerksam. Neue, vorher nicht behandelte Bluter-Patienten reagieren auf diese beiden Gentech-Mittel der zweiten Generation öfter allergisch als auf Blutprodukte der dritten Generation, so der Befund. Für den Bluter-Weltverband „World Federation of Hemophilia“ legte dieses Ergebnis nahe, die Pharmazeutika Menschen mit frisch diagnostizierter Hämophilie lieber nicht zu verschreiben. Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA reagierte. Sie wies BAYER und BEHRING an, in den Packungsbeilagen auf das erhöhte Risiko von Immun-Reaktionen hinzuweisen. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) beschäftigte sich im Februar 2018 mit KOGENATE & Co. Es sah einstweilen zwar keinen Handlungsbedarf, will die Mittel aber unter Beobachtung halten.

WASSER, BODEN & LUFT

Verwirr-Spiel um CO2-Emissionen
Der Leverkusener Multi treibt ein Verwirr-Spiel um seine klima-schädigende Kohlendioxid-Emissionen. Er berechnet die Menge auf zwei unterschiedliche Weisen, mit der standort-orientierten und mit der markt-orientierten Methode. Zudem gibt er diese einmal unter Einbezug des Chemie„park“-Betreibers CURRENTA an, an dem er eine 60-prozentige Beteiligung hält, und einmal nur für den Konzern selbst . Damit nicht genug, nennt das Unternehmen in seinem neuesten Geschäftsbericht für 2016 mit 4,64 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß auch andere Zahlen als im letzten Jahr, wo es noch 9,87 Millionen Tonnen waren. So ist dem für BAYER-Verhältnisse relativ niedrigen Wert für 2017 von 3,63 Millionen Tonnen kaum zu trauen.

Keine Strommix-Angaben
Wie bei den Angaben zu den Kohlendioxid-Emissionen rechnet der Leverkusener Multi auch bei den Angaben zum Energie-Einsatz seine 60-prozentige Tochter CURRENTA heraus und verschweigt darüber hinaus, in welchem Verhältnis bei dieser die relativ sauberen Strom-Quellen wie Erdgas zu schmutzigen wie Kohle stehen.

BAYER schädigt Ozonschicht
Seit Jahren schon sorgt hauptsächlich ein einziges Werk des Leverkusener Multis für den ganzen Ausstoß an ozon-abbauenden und deshalb ebenso wie Kohlendioxid klima-schädigenden Substanzen, den „Ozone Depleting Substances“ (ODS): die Niederlassung der Agro-Sparte im indischen Vapi. Und seit Jahren schon schraubt der Konzern auch ein bisschen an der Fertigungsstätte rum, so dass die Werte immer ein bisschen sinken. Aber 2017 summierten sie sich trotzdem noch auf 8.6 Tonnen (2016: 8,8).

870 Tonnen flüchtige Substanzen
Auch BAYERs flüchtige organische Substanzen entstammen hauptsächlich dem Werk im indischen Vapi. Den dortigen Sanierungsmaßnahmen sowie dem Verkauf eines Werkes in Frankreich geschuldet, ging der Ausstoß dieser gesundheitsschädlichen Gase 2017 etwas zurück. Von 920 auf 870 Tonnen sank der Wert.

Kaum weniger Stickstoff & Co.
Der Ausstoß von Stickstoffoxiden, Schwefeldioxiden, Staub und Kohlenmonoxid hat sich bei BAYER 2017 gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Die Emissionen von Stickstoffoxiden stiegen von 1.500 Tonnen auf 1.520 Tonnen, während diejenigen von Schwefeldioxiden von 960 auf 920 Tonnen fielen. Bei Kohlenmonoxid reduzierten sich die Werte von 660 auf 610 Tonnen, und Staub wirbelte der Konzern genauso viel wie 2016 auf: 60 Tonnen.

BAYERs Abwasser-Frachten
Im Jahr 2017 sank BAYERs Phosphor-Eintrag in die Gewässer von 50 auf 40 Tonnen und der von organischem Kohlenstoff von 540 auf 390 Tonnen. Auch der Wert für Schwermetalle verminderte sich etwas. Er reduzierte sich von 2,1 auf 1,9 Tonnen. Dagegen legten die Einleitungen von Stickstoff und Anorganischen Salzen zu. Sie stiegen von 300 auf 400 Tonnen bzw. von 184.000 auf 188.000 Tonnen.

BAYER produziert mehr Müll
Im Jahr 2017 produzierte BAYER mehr Müll als 2016. Von 770.000 auf 846.000 Tonnen erhöhte sich die Gesamtmenge. Darunter befanden sich 485.000 Tonnen gefährlicher Abfall. Um 57.000 Tonnen stieg dessen Aufkommen.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Chemikalien-Austritt in Berlin
Auf dem Gelände von BAYERs Berliner Pharma-Standort im Stadtteil Wedding kam es am 30.05.2018 zu einem Unfall. Es trat eine gefährliche Substanz aus, dessen Dämpfe zwei Personen verletzten. Der Leverkusener Multi erklärte, der Stoff hätte sich auf der Ladefläche eines LKWs befunden, der den Konzern belieferte, wäre aber nicht für ihn, sondern für einen anderen Kunden bestimmt gewesen.

IMPERIUM & WELTMACHT

Fragwürdige EU-Genehmigung
Die Europäische Union genehmigte die vom Leverkusener Multi geplante MONSANTO-Übernahme zunächst nur unter Vorbehalt. Hatte sie dem Konzern schon während des Verfahrens zur Auflage gemacht, sich von bestimmten Unternehmensteilen zu trennen, so wollte sie sich vor der endgültigen Zustimmung auch erst noch mal die potentiellen Käufer genauer anschauen. Diesen Prozess schloss Brüssel am 30. April ab. Die Generaldirektion Wettbewerb akzeptierte die BASF als neue Besitzerin von Cropscience-Produkten. Sie sieht in dem Ludwigshafener Unternehmen den geeigneten Kandidaten, um „den von BAYER ausgeübten Wettbewerbsdruck auf diesen Märkten zu ersetzen“. Der Erwerb der Geschäfte mit Gemüse-Samen, konventionellem und gentechnisch manipuliertem Saatgut, dem Pestizid Glufosinat, Saatgutbehandlungsmitteln wie PONCHO sowie mit Entwicklungen der digitalen Landwirtschaft durch die BASF reicht nach Ansicht der Kommission aus, BAYSANTO einzuhegen und für eine ausreichende Konkurrenz auf dem Agrar-Sektor zu sorgen. Dabei war am Tag der Brüsseler Entscheidung das Haltbarkeitsdatum des Veräußerungspakets schon überschritten – wofür die EU selber gesorgt hatte. Sie zog Glufosinat wegen seiner erbgut-schädigenden Wirkung und PONCHO wegen seiner Bienengefährlichkeit nämlich unlängst aus dem Verkehr. Damit fallen sie auf dem Gebiet der Europäischen Union – im Rest der Welt dürfen die Substanzen vorerst weiter ihr Unwesen treiben – als Gegengewichte zur BAYER-Dominanz aus. Eine Erklärung dazu hat die EU-Kommission der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN nicht gegeben. Eine entsprechende Anfrage ließ sie unbeantwortet.

Der Grund für Dekkers’ Abgang
Im Jahr 2014 gab der BAYER-Konzern die Trennung von seiner Kunststoff-Sparte bekannt. Für die beiden verbliebenen Bereiche „Pharma“ und „Agrar“ hatte der damalige Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers eine Vision. Er plante, die beiden Abteilungen unter dem Label „Life-Science“ enger miteinander zu verknüpfen. „In allen Lebewesen, so unterschiedlich sie uns erscheinen mögen, folgen die molekularen Mechanismen gemeinsamen Regeln. Diese Gemeinsamkeiten wollen wir unter einem Dach zu unserem Vorteil nutzen“, erklärte der Holländer. Allerdings teilten viele verantwortliche ManagerInnen seine Vision nicht. Nicht einmal ein gemeinsamer Vorstandsworkshop konnte den Konflikt auflösen. Und diese Auseinandersetzung bewog Dekkers nach Informationen des manager magazins schlussendlich dazu, das Unternehmen vorzeitig zu verlassen.

Der Grund für Dietsch’ Abgang
Viele Investment-Gesellschaften beurteilten BAYERs Plan, MONSANTO übernehmen zu wollen, zunächst skeptisch. Den Fonds-ManagerInnen machte die damit verbundene hohe Schulden-Aufnahme Sorgen. Sie befürchteten eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Konzerns durch die Rating-Agenturen. Die Finanzmarkt-AkteurInnen von der Profitabilität des Coups zu überzeugen, war für den Leverkusener Multi deshalb kein leichtes Unterfangen (siehe auch KAPITAL & ARBEIT). Und den Finanz-Chef Johannes Dietsch kostete das nach Informationen des manager magazins sogar seinen Job. Weil Dietsch als Überzeugungstäter vor den GroßanlegerInnen nach Meinung des Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann keine gute Figur machte, wurde er durch Wolfgang Nickl ersetzt.

ÖKONOMIE & PROFIT

EU will Derivat-Markt beleben
Derivate – eine Art Wette auf Preissteigerungen oder -senkungen von Rohstoffen, Aktien, Währungen, Schulden, Zinsen oder aber von Derivaten selber – hatten 2007 wesentlich mit zum Ausbruch der Finanzkrise beigetragen. Darum regulierte die EU diesen Markt im Jahr 2013 stärker. Sie schrieb für die Verbriefungs-deals eine Absicherung mit Eigenkapital und eine Registrierung vor. Der Leverkusener Multi, der Derivate laut Eigenauskunft „fast ausschließlich zur Absicherung von gebuchten und geplanten Transaktionen“ nutzt, protestierte in Tateinheit mit anderen Konzernen scharf gegen die Maßnahmen. Und 2017 ruderte die Europäische Union tatsächlich wieder zurück und machte sich ans Deregulieren. Sie verkündete eine neue Verbriefungsverordnung, welche den Zweck hatte, „den EU-Verbriefungsmarkt zu beleben, um die Finanzierung der EU-Wirtschaft zu verbessern“. Im Zuge dieser Wiederbelebungsmaßnahme hat Brüssel beispielsweise für bestimmte Derivate das Unbedenklichkeitslabel STS (simple, transparent, standardised) eingeführt und für den Handel mit diesen Papieren die Eigenkapital-Anforderungen gesenkt. Der Vorschlag der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament ging genau in die gegenteilige Richtung. Die PolitikerInnen hatten für die Geschäfte mit den Derivaten eine Kapital-Unterlegung von 25 Prozent der Transaktionssumme gefordert. Zudem wollten sie Weiterverbriefungen unterbinden und es nicht mehr den Banken selber überlassen, die Risiken ihrer eigenen Finanzprodukte zu berechnen. Entsprechend vehement kritisierte Sven Giegold, der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Europa-Parlament, den Europäischen Rat sowie die konservativen, liberalen und euroskeptischen EU-ParlamentarierInnen für die Unterstützung der Regelung. „Sie sind dabei, die Lehren aus der letzten Finanzkrise zu vergessen“, so Giegold.

BAYER verkauft COVESTRO-Aktien
Im Jahr 2015 gab der Leverkusener Multi die Trennung von seinem Kunststoff-Geschäft bekannt. Unter dem Namen COVESTRO brachte er es an die Börse. Seither verringert der Konzern seinen Aktien-Anteil an der ehemaligen Unternehmenssparte peu à peu. Der letzte Verkauf fand im Mai 2018 statt. Das Unternehmen veräußerte in diesem Monat rund 29 Millionen Papiere für 2,2 Milliarden Euro. Damit reduzierte sich die BAYER-Beteiligung an COVESTRO auf rund sieben Prozent. Der Global Player kappt die Verbindung so schnell, weil er Geld braucht, um die für die MONSANTO-Übernahme gemachten Schulden abzubauen.

RECHT & UNBILLIG

Erster Glyphosat-Prozess in den USA
Kaum hatte der Leverkusener Multi die letzten amtlichen Bestätigungen für die Genehmigung der MONSANTO-Übernahme erhalten, da musste er sich auch schon den mit diesem Deal verbundenen juristischen Risiken stellen. Mitte Juni 2018 begann in den USA das erste Schadensersatz-Verfahren in Sachen „Glyphosat“. Der 46-jährige DeWayne Johnson hatte die Klage eingereicht. Der Familien-Vater leidet am Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), einer bestimmten Form des Lymphdrüsen-Krebses, und macht das Herbizid dafür verantwortlich, das er in seinem früheren Beruf als Platzwart häufig einsetzen musste. Mit dieser rechtlichen Auseinandersetzung startet in den Vereinigten Staaten eine wahre Prozess-Lawine. Losgetreten hatte diese die Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation mit ihrer Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“. Daraufhin zogen in den Vereinigten Staaten über 4.000 NHL-PatientInnen, die als LandwirtInnen, LandschaftspflegerInnen oder als Hobby-GärtnerInnen in Kontakt mit der Agro-Chemikalie gekommen waren, vor Gericht. Obwohl der „San Francisco County Superior Court“ die im Zuge anderer Verfahren ans Licht der Öffentlichkeit geratenen Firmen-Unterlagen zu dem Ackergift, die berühmt-berüchtigten MONSANTO-Papers, zur Beweisaufnahme zugelassen hat (siehe auch AGRO & CHEMIE), setzt BAYER auf Sieg. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zeigte sich „BAYER CROPSCIENCE“-Chef Liam Condon zuversichtlich, „das die Gerichte zu dem Schluss kommen werden, dass Glyphosat keine Gefährdung für die Gesundheit darstellt, wenn es vorschriftsmäßig eingesetzt wird“.

Glyphosat-Prozess in Frankreich
Französische ImkerInnen haben den BAYER-Konzern verklagt, weil ihr Honig Rückstände von dessen Pestizid Glyphosat enthielt und sie ihre Ware darum teilweise nicht mehr verkaufen konnten.

Glyphosat-Prozess in den USA
Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA folgte der Einschätzung der Krebs-Agentur der Weltgesundheitsorganisation und nahm das jetzige BAYER- und frühere MONSANTO-Pestizid Glyphosat in seine Liste der wahrscheinlich krebserregenden Substanzen auf. In der Folge verfügte die „Food and Drug Administration“ das Anbringen von Warnhinweisen auf den Produkten und stellte das Einleiten von Glyphosat-Rückständen in Gewässer unter Strafe. MONSANTO klagte gegen die FDA-Entscheidung, konnte sich vor Gericht allerdings nicht durchsetzen.

Bt-Prozess in Indien
Das Oberste Gericht der indischen Hauptstadt New Dehli hat MONSANTO, dessen Rechtsnachfolger BAYER seit dem 7. Juni 2018 ist, das Recht abgesprochen, auf seine gentechnisch veränderte Bt-Baumwolle Patent-Ansprüche zu erheben. Die RichterInnen verwiesen dabei auf das indische Gesetz, das es nicht erlaubt, Saaten, Pflanzen oder Tiere zum geistigen Eigentum von Personen oder Unternehmens zu erklären. Der US-Konzern, der seine Labor-Frucht mit Genen des Bacillus thuringiensis (Bt) bestückt hatte, damit diese die Pflanze vor Schadinsekten schützen, reklamierte in dem Land deshalb in weiser Voraussicht nur für den Bacillus Schutzrechte. Das reichte nach Ansicht der JuristInnen aber nicht aus, um von Saatgut-Firmen Lizenz-Gebühren für die ganze Bt-Baumwolle verlangen können. Deshalb gaben sie der Klage des Unternehmens Nuziveedu statt. Die indische Aktivistin Vandana Shiva (siehe auch AKTION & KRITIK) begrüßte das Urteil als „Sieg für die Saatgut-Freiheit“. Rechtskräftig ist es allerdings noch nicht, da noch eine Berufungsverhandlung ansteht.

GroKo will Umwelt-Klagen einschränken
Mit der Aarhus-Konvention von 1998 fand der Umweltschutz Eingang in das internationale Recht. Seither können Umwelt-Organisationen vor Gericht ziehen, wenn etwa große Infrastruktur-Projekte der Natur zu schaden drohen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeiten dafür in den zurückliegenden Jahren sogar noch erweitert. So müssen die Verbände seit 2011 nicht mehr im Namen der Interessen Einzelner klagen, sondern sind berechtigt, dies auch im Namen der Interessen der Allgemeinheit zu tun und sich damit beispielsweise zu AnwältInnen des Artenschutzes zu machen. Nun aber kündigt die Bundesregierung an, das Rad zurückzudrehen. Prozesse, wie es sie etwa gegen die Öffnung von BAYERs Dhünnaue-Deponie im Zuge der Erweiterung der Autobahn A1 oder gegen die Kohlenmonoxid-Pipeline des Leverkusener Multis gab, verzögern die Bau-Vorhaben nach Ansicht der Großen Koalition zu sehr. Die Devise von CDU und SPD lautet stattdessen „Planungsbeschleunigung“, weshalb die Parteien „das Verbandsklage-Recht in seiner Reichweite überprüfen“ wollen, wie es im Koalitionsvertrag heißt.

2.900 MIRENA-Klagen
BAYERs Hormon-Spirale MIRENA hat Nebenwirkungen wie nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen, Unruhe, Schlaflosigkeit, permanente Bauchkrämpfe und Oberbauchschmerzen. Allein die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erhielt bereits 45.000 Meldungen über unerwünschte MIRENA-Effekte. Darum reichten in den Vereinigten Staaten 2.900 Frauen Klagen gegen den Leverkusener Multi ein (Stand: 30.01. 2018).

22.000 XARELTO-Klagen
BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO mit dem Wirkstoff Rivaroxaban hat gefährliche Nebenwirkungen. Allein bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA gingen bis zum 1.03.2018 mehr als 85.000 Meldungen über unerwünschte Arznei-Effekte ein. In den USA ziehen deshalb immer mehr Geschädigte bzw. deren Hinterbliebene vor Gericht. Mit 22.000 Klagen müssen sich die RichterInnen mittlerweile beschäftigen (Stand: 30.01. 2018).

16.000 ESSURE-Klagen
ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommende Sterilisationsmittel, beschäftigt in den USA zunehmend die Gerichte. Die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen, hat nämlich zahlreiche Nebenwirkungen. Allzu oft bleibt das Medizin-Produkt nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden von Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Gesundheitsschädigungen, über die Frauen berichten. Darum nimmt die Zahl der Klagen immer mehr zu und liegt mittlerweile bei 16.000 (Stand: 30.01. 2018).

Sammelklage gegen BAYER wg. GAUCHO?
BAYERs Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie GAUCHO und PONCHO haben mit für ein massives Bienensterben gesorgt. Kanadische ImkerInnen wollen den Leverkusener Multi deshalb juristisch zur Verantwortung ziehen. In Quebec und Ontario haben sie sich deshalb vor Gericht um die Zulassung von Sammelklagen bemüht.

Asbest-Klagen
Nur in der Bau-Branche kam mehr Asbest zum Einsatz als in der Chemie-Industrie. Der hierzulande seit 1993 verbotene Stoff fand sich in Zement, Abdichtungen und Wärme-Isolierungen wieder. Desweiteren umhüllte die Substanz säure- und laugen-führende Leitungen. Filter, Lacke, Beiz-Wannen, Lager-Behälter und Reaktionsbehältnisse enthielten diese ebenfalls. Der Leverkusener Multi wusste um die Risiken und Nebenwirkungen des Silikat-Minerals, setzte seine Beschäftigten aber trotzdem weiter der Gefahr von Asbest-Vergiftungen aus. „Expositionen gegen Asbest“ zählten deshalb lange Zeit zu den häufigsten Berufskrankheiten bei dem Konzern. Darüber hinaus hat in den USA eine Beteiligungsgesellschaft von BAYER die Rechtsnachfolge von Firmen angetreten, die bis 1976 Asbest-Produkte verkauften. Deshalb sieht das Unternehmen sich dort mit mehreren Klagen konfrontiert. Allerdings mahlen Justitias Mühlen langsam. Bereits seit Jahren führt der Global Player diese gerichtlichen Auseinandersetzungen in seinen Geschäftsberichten unter der Rubrik „rechtliche Risiken“ auf.

Hawaii verbietet Sonnencremes
Durch badende StrandurlauberInnen gelangen große Mengen von Sonnencreme in die Meere. Bestimmte Mittel können dabei Korallen und anderen aquatischen Lebewesen schaden. Darum hat der US-amerikanische Bundesstaat Hawaii Produkte mit den Beistoffen Oxybenzon und Octinoxat, wie etwa BAYER sie unter dem COPPERTONE-Label vertreibt, verboten. Der Leverkusener Multi protestierte umgehend: „Die Verwendungen von Sonnencreme-Ingredienzien zu verbieten, welche die ‚Food and Drug Administration’ (die US-amerikanische Gesundheitsbehörde, Anm. Ticker) als effizient und sicher ansieht, schränkt nicht nur die Wahlfreiheit der Konsumenten ein, sondern unterminiert auch die Hautkrebs-Vorsorge.“

Ticker 2/18

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG auf „Wir haben es satt“-Demo!
Mit über 30.000 Menschen hatte die diesjährige „Wir haben es satt“-Demonstration weit mehr Zulauf als die von 2017. Die TeilnehmerInnen, die am 20. Januar 2018 nach Berlin kamen, unterstrichen damit noch einmal die Dringlichkeit einer Landwende. Sie traten für eine Landwirtschaft ein, die ohne Glyphosat & Co., Massentierhaltung, Antibiotika wie BAYERs BAYTRIL, Insektensterben, Land-Konzentration, Export-Orientierung und – last but not least – BAYSANTO auskommt. „Wir wollen, dass Demokratie sich gegen Konzern-Macht durchsetzt, weltweit“, hieß es in der Erklärung der Veranstalter. „Dämmen Sie die Markt-Konzentration von Großunternehmen ein, weil diese die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung und eine positive ländliche Entwicklung bedroht“, forderten sie deshalb von den PolitikerInnen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) setzte dieses Thema in Berlin ebenfalls auf die Tagesordnung. „Stopp BAYER/MONSANTO“ war der Aufruf überschrieben, den CBG-AktivistInnen auf der ganzen Demo-Strecke verteilten.

CBG beim Kölner Rosenmontagszug
Die alternative Kölner Karnevalstruppe „Pappnasen Rot-Schwarz“ hatte für ihren diesjährigen Rosenmontagsbeitrag das offizielle Motto „Mer Kölsche danze us der Reih“ in „Mer klääve nit am Wachstumswaahn, mer danze us der Reih“ umgestrickt. Sich traditionell als „Zoch vor dem Zoch“ an die Spitze des närrischen Treibens setzend, dichteten sie auch das jecke Liedgut ein wenig um. „D’r Kappetalismus/Dä hätt ene Voll-Schuss/Einer fängk zu wachse aan/bis jeder mitmuss“, inthronierten die rund 80 Alternativ-KarnevalistInnen unter anderem. Und da der BAYER-Konzern ebenfalls ganz dolle von dem Wachstumsvirus befallen ist, wie sein MONSANTO-Übernahmeplan zeigt, durften er und seine Auserwählte bei dem Umzug so wenig fehlen wie AktivistInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. Als „Hochzeit des Todes“ hatte das Horror-Brautpaar seinen Auftritt, ihren kleinen „Glypho-Satan“ im Kinderwagen vor sich her schiebend. Hinter ihnen folgten das BAYSANTO-Monster, „Mad Scientists“ und die Bienen-Leichen, die ihren Weg pflasterten. So vor den ZuschauerInnen an der Strecke vorbeiparadierend, wurden die Pappnasen von einer Tribüne aus sogar schon als „Protest-Zug aus Leverkusen“ begrüßt, obwohl in ihren Reihen auch noch andere Konzerne wie z. B. der Klima-Killer RWE ihr Unwesen trieben.

Proteste vor BAYER-Zentrale
Am 31. Januar 2017 wollte das US-Unternehmen MONSANTO auf seiner Hauptversammlung weitere Vorbereitungen zur Elefanten-Hochzeit mit BAYER treffen. Das von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN initiierte „Stopp BAYER/MONSANTO!“-Bündnis nahm dies zum Anlass, dem Multi vor seiner Leverkusener Zentrale schon einmal die Braut zu präsentieren. Aus Sicherheitsgründen war dazu ein Feuerwehr-Einsatz nötig, denn die Auserkorene hatte gleich ihre Mit-Gift dabei: das laut WHO „wahrscheinlich krebserregende“ Glyphosat, das berühmt-berüchtigte Agent Orange und das Baumwoll-Saatgut, das in Indien so viele LandwirtInnen in den Tod treibt. Für BAYER trübt das die Anziehungskraft jedoch nicht. Im Gegenteil: Der Global Player erkennt darin eine Wahlverwandtschaft, steht es mit seinem Lebenswandel doch ebenfalls nicht zum Besten. Die rund 40 AktivistInnen – unter anderem von ATTAC, FIAN, der ÖkolandwirtInnen-Vereinigung IFOAM und von den PAPPNASEN ROTSCHWARZ – verwiesen darauf symbolisch, indem sie vor der Konzern-Zentrale die letzte Biene zu Grabe trugen, niedergestreckt durch Pestizide des deutschen Agro-Konzerns. Auch der Trauzeuge stellte sich bereits vor. Für diesen Posten hatte sich Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) in Brüssel durch seine Zustimmung zur Glyphosat-Zulassungsverlängerung qualifiziert, die dem Paar in spe die Aussicht auf eine noch praller gefüllte Familien-Kasse eröffnete. Dezent im Hintergrund hielt sich hingegen der vom ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Friedrich Merz vertretene Heiratsvermittler BLACKROCK, der die Partnerschaft mit eingefädelt hatte. Der Hausbesuch, mit dem das Bündnis die diesjährigen Aktionen gegen die von BAYER geplante MONSANTO-Übernahme einleitete, fand breite Resonanz bei Medien und Beschäftigten und vermittelte Zuversicht für den weiteren Verlauf der Kampagne.

Die-In gegen Baysanto
Am 3.3.18 hat die Initiative ALTERNATIBA Rhône am französischen BAYER-Standort Lyon mit einer spektakulären Aktion gegen die von BAYER geplante MONSANTO-Übernahme protestiert. Die Organisation veranstaltete Anfang März 2018 ein Die-in, um die Gesundheitsgefahren plastisch darzustellen, die von dem agro-industriellen Komplex ausgehen, den der Konzern durch die Einverleibung seines US-Konkurrenten noch einmal ein wenig komplexer gestalten will. Und die Ackergifte der beiden Unternehmen leisteten an dem Tag ganze Arbeit: Vor einer zentralen Metro-Station der Stadt lagen nicht nur Menschen darnieder, sondern auch Tiere und Pflanzen – einige AktivistInnen hatten sich nämlich Flora und Fauna anverwandelt.

Warnung vor Bio-Kunststoffen
Die Konzerne stellen Kunststoffe zunehmend aus pflanzlichen Rohstoffen her. So entwickelt die BAYER-Tochter COVESTRO, an welcher der Konzern direkt 14,2 Prozent der Aktien hält und sein Pensionsfonds 8,9 Prozent, etwa Lackhärter mit Biomasse-Anteilen. Zudem forscht die Gesellschaft an vielen anderen Plaste-Produkten auf der Basis von Celluse, Milchsäure oder Zucker. „Die Umweltverträglichkeit wird zur Markt-Erfordernis“, so begründet das Unternehmen den Versuch, Alternativen zur Petrochemie zu finden. Mit der Umweltverträglichkeit der sogenannten Bioplastics ist es allerdings so eine Sache. Aufgrund ihrer komplexen Struktur bauen sie sich in der Natur nur äußerst langsam ab und setzen dabei zu allem Überfluss auch noch das klima-schädliche Gas Methan frei. Das Recycling bereitet wegen ihrer chemischen Zusammensetzung ebenfalls Schwierigkeiten. Da die Bio-Kunststoffe trotzdem unter dem Öko-Label firmieren und so einen Konsum ohne Reue befeuern, sehen FRIENDS OF THE EARTH EUROPE und andere Initiativen die neuen Kunststoffe eher als Teil des Problems denn als Teil der Lösung an. Priorität hat für die Gruppen nach wie vor eine Gebrauchsreduktion von Plastik. Eine solche Strategie forderten sie auch von der Europäischen Union ein. Überdies verlangten sie von Brüssel, den Umgang mit den Bioplastics zu regulieren. Konkret treten die Umweltschützer-Innen für Maßnahmen ein, welche für eine bessere Recycling-Fähigkeit der Materialen sorgen, Nachhaltigkeitskriterien für sie entwickeln und COVESTRO & Co. irreführende Öko-Werbung mit den Stoffen untersagen.

KAPITAL & ARBEIT

Neues Gesetz zur Lohn-Transparenz
Im letzten Jahr hat der deutsche Bundestag das „Gesetz zur Förderung der Entgelt-Transparenz zwischen Frauen und Männern“ verabschiedet. Es soll helfen, die bestehende Ungleichheit in der Bezahlung der beiden Geschlechter zu mildern. So verpflichtet das Paragrafen-Werk die Unternehmen, Berichte über Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen im Allgemeinen und über Maßnahmen zur Herstellung der Entgelt-Gleichheit im Besonderen zu erstellen. Beim Leverkusener Multi hatte der Betriebsrat in der Vergangenheit bei einigen Tochter-Gesellschaften des Konzerns eine Befragung durchgeführt und Gehaltsdifferenzen von 0,7 bis 1,8 Prozent festgestellt. Nach Angaben der stellvertretenden BAYER-Betriebsratsvorsitzenden Roswitha Süsselbeck hat der Konzern auf die Erhebung reagiert und die Löhne angeglichen. Wäre die überdurchschnittlich oft von Frauen ausgeübte und in der Regel schlechter bezahlte Teilzeit-Arbeit mit in die Untersuchung eingeflossen, hätten sich höchstwahrscheinlich weitaus größere Unterschiede ergeben.

ERSTE & DRITTE WELT

Entwicklungshilfe zur Selbsthilfe
Seit einiger Zeit haben die Global Player auf der Suche nach neuen Absatz-Gebieten die „Low-income Markets“ entdeckt (siehe auch SWB 4/13). So entwickelte der Leverkusener Multi bereits 2013 eine „Afrika-Strategie“. Bei der Umsetzung geriert sich der Agro-Riese gerne als Entwicklungshelfer. „BAYER kooperiert mit der gemeinnützigen Organisation ‚Fair Planet’ und wird Teil des Projekts ‚Bridging the Seed Gap’ in Äthiopien. Ziel des Projekts ist es, neue Anbau-Möglichkeiten für Kleinbauern zu schaffen“, vermeldete der Konzern etwa Anfang 2016. Nur handelt es sich leider bei „Fair Planet“ um einen Verband, der sein Geld von BAYER, SYNGENTA, LIMAGRAIN & Co. erhält. Und so sehen die Programme auch aus. Die „Anbau-Möglichkeiten für Kleinbauern“ beschränken sich auf Tomaten, Paprika und Zwiebeln made by BAYER. Zudem handelt es sich um hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete Sorten. Diese nur für den einmaligen Gebrauch bestimmten Arten, deren Preis trotzdem den von konventionellem Saatgut übersteigt, können die FarmerInnen zunächst kostenlos testen. Anschließend müssen sie für die Produkte allerdings die Werbetrommel rühren. „Sie sollen dann weiteren Landwirten in den Dörfern und Regionen die Vorteile dieses Saatguts demonstrieren“, so lautet der Business-Plan des Konzerns. Und der ging bis jetzt offenbar auf. Im Juli 2017 setzten der Global Player und „Fair Planet“ ihre Zusammenarbeit fort.

POLITIK & EINFLUSS

Mehr Innovation, weniger Vorsorge
Die Europäische Union legt bei der Beurteilung möglicher Gesundheitsgefährdungen durch chemische und andere Stoffe das Vorsorge-Prinzip zugrunde. Sie kann theoretisch also schon reagieren, wenn negative Effekte von Substanzen für Mensch, Tier und Umwelt nicht auszuschließen sind, und nicht erst bei zweifelsfreien wissenschaftlichen Belegen für eine solche Wirkung. Die Industrie opponiert schon seit Jahren gegen diese Herangehensweise. So schrieb der damalige BAYER-Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers in der Angelegenheit gemeinsam mit anderen Konzern-Lenkern bereits 2013 einen Offenen Brief an die EU-Kommission. Darin traten die Bosse dafür ein, dem Vorsorge-Prinzip ein Innovationsprinzip zur Seite zu stellen. Ein Gleichgewicht zwischen Gesundheitsschutz und Innovationsförderung sollte Brüssel nach Meinung der Vorstandschefs anstreben, denn: „Innovationen sind per definitionem mit Risiken verbunden.“ Und nun wiederholte der Dekkers-Nachfolger Werner Baumann diese Forderung und verlangte, dass „alle neuen Gesetze auf ihre Folgen für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft sinnvoll überprüft werden müssen“. Scheinheilig stellte er seinen Vorschlag als Ergänzung und nicht etwa als Unterminierung des Vorsorge-Prinzips dar.

Zahmer Aktionsplan
Der Leverkusener Multi hat in seiner Geschichte vielfach gegen Menschenrechte verstoßen. So nutzte er etwa Menschen aus der „Dritten Welt“ ohne deren Wissen als Versuchskaninchen für neue Pharma-Produkte, übte massiven Druck auf GewerkschaftlerInnen aus und griff auf Kinderarbeit zurück. Um solche Rechtsverstöße – entweder von den Global Playern selbst begangen oder aber von den Vertragsfirmen ihrer Lieferketten – besser ahnden zu können, hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vor einiger Zeit „Guiding Principles on Business and Human Rights“ verabschiedet. Die EU hat ihre Mitgliedsstaaten daraufhin angehalten, eigene Aktionspläne zu erstellen. Die vorletzte Große Koalition tat das mit einiger Verspätung: Ihr Nationaler Aktionsplan (NAP) trat erst 2017 in Kraft. Viel zu befürchten haben die Konzerne von ihm auch nicht – ihr Extrem-Lobbyismus zeigte Wirkung. SPD und CDU blieben ihren Ankündigungen treu und setzen lediglich auf „Dialogformate“ und die Unterstützung von Trainingsprogrammen. Haftungsregeln sieht der Plan hingegen nicht vor, da „es sich bei Subunternehmen begrifflich um rechtlich selbstständige Unternehmen handelt, auf die ein anderes Unternehmen keinen gesellschaftsrechtlichen Einfluss ausüben kann“. Die Parteien lehnen es zudem ab, die Klage-Möglichkeiten wegen Verstößen gegen die Leitlinien des Industrieländer-Zusammenschlusses OECD zu verbessern und möchten lieber, „dass die Unternehmen freiwillig und aus eigener Verantwortung gesellschaftliche Verantwortung übernehmen“, wie es 2014 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von BÜNDNIS 90/Die Grünen hieß. Bis zum Jahr 2020 haben BAYER & Co. nun Zeit, um ihre Wertschöpfungsketten hinsichtlich etwaiger Menschenrechtsverletzungen zu kontrollieren und Bericht zu erstatten. Erst danach folgen – eventuell – „weitergehende Schritte“. „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen“, hält der Koalitionsvertrag fest.

BAYER droht May wg. Brexit
Großbritannien stellt für den Leverkusener Multi einen wichtigen Export-Markt dar. Darum war er über den Brexit not amused. Der Chef von BAYERs England-Geschäft, Alexander Moscho, sorgt sich hauptsächlich darum, künftig mehr Schwierigkeiten bei der Besetzung von Top-Positionen zu haben. Zudem befürchtet er, mit Arzneien und Pestiziden nicht mehr so schnell auf den britischen Markt kommen zu können, wenn London künftig EU-Genehmigungen nicht mehr anerkennt und stattdessen eigene Zulassungsbehörden aufbaut. Deshalb baut Moscho, den die mit dem Brexit verbundenen Probleme nach eigenem Bekunden 30 Prozent seiner Arbeitszeit kosten, in Gesprächen mit den politisch Verantwortlichen Druck auf. „Wir teilten der Regierung auch mit, dass unsere Diskussion mit der Konzern-Zentrale sich in letzter Zeit verändert haben. Wenn wir früher über Investitionen redeten, geht es heute eher darum, den Status Quo zu sichern“, sagte er in einem Interview mit the pharmaletter. „Eine subtile psychologische Veränderung“ nannte der Manager das und drohte eine Fortsetzung dieser Entwicklung an, „wenn es der Regierung nicht gelingt, auf einige Schlüsselfragen rund um den Brexit klärende Antworten zu geben“.

PROPAGANDA & MEDIEN

BAYERs „Big Data“-Marketing
Der Leverkusener Multi greift beim Marketing zunehmend auf Big Data zurück. So nutzt seine Veterinär-Sparte die Dienste der Firma CONSUMER ORBIT, um ihre Angebote passgenau auf bestimmte VerbraucherInnen-Gruppen zuzuschneiden. Zusammen mit den eigenen Informationen kommt der Konzern so auf 63 Billionen Daten. Und das versetzt ihn in die Lage, „ein Modell zu entwickeln, das uns zeigt, wie unsere Kunden aussehen, wer unsere Produkte nutzt und was für Gewohnheiten diese Personen haben“, preist Marketing-Leiter Doug Yoder die neuen Werbe-Möglichkeiten.

BAYER unterstützt ASA-Initiative
Wenn medizinische Fachgesellschaften sich Krankheiten widmen, für die BAYER vermeintlich die passenden Arzneien im Angebot hat, können sie immer mit Schecks aus Leverkusen rechnen. Schließlich gilt es für den Konzern, die pharmazeutische Landschaft zu pflegen. So unterstützt der Pillen-Riese auch die „Together to end stroke“-Initiative der „American Stroke Association“ (ASA) und der „American Heart Association“ (AHA), die über die Prävention und Behandlung von Schlag- und Herzanfällen informieren will. Allerdings setzt das Unternehmen bei solchen Kampagnen naturgemäß eigene Schwerpunkte. Nach ein paar Hinweisen über die prophylaktische Wirkung von Sport und gesundem Essen kommt schon der Rat: „Fragen Sie Ihren Doktor nach einer Behandlung mit ASPIRIN.“ Schließlich vermarktet der Global Player seinen Tausendsassa schon seit Längerem auch zur Vorbeugung von Schlag- und Herzanfällen.

DRUGS & PILLS

Liefer-Engpass bei ASPIRIN i. V.
Big Pharma unterwirft seine Produktion immer strengeren Profit-Kriterien. So stellt BAYER viele Wirkstoffe gar nicht mehr selber her, sondern gliedert die Fertigung aus, gerne auch in „Entwicklungsländer“, wo billige Arbeitskräfte und fehlende Umweltauflagen locken (SWB 4/17). Weil so oft genug nur noch ein einziges Unternehmen die Herstellung einer weltweit nachgefragten Substanz verantwortet, gefährdet dieses Produktionsregime die Versorgungssicherheit. Das zeigte sich jetzt im Fall von ASPIRIN i. V. Bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten kann der Pillen-Riese dieses Pharmazeutikum, das NotärztInnen bei Herzinfarkten verwenden und ansonsten bei hohem Fieber und starken Schmerzen zum Einsatz kommt, entweder gar nicht oder nur „in einer angepassten Menge“ liefern. „Ursache des Problems sind qualitätsbedingte Ausfälle bei einem Lohn-Unternehmer in Frankreich, der ASPIRIN i. V. für BAYER herstellt“, teilte der Global Player mit. Er bekundet nun, fieberhaft an einer Lösung zu arbeiten. Schnelle Abhilfe verspricht er indessen nicht: „Das wird noch einige Monate dauern.“

Liefer-Engpass bei PHYTODOLOR
Immer wieder kommt es bei BAYER-Medikamenten zu Liefer-Engpässen (s. o.). Besonders häufig treten diese bei Heilmitteln auf pflanzlicher Basis, den sogenannten Phytopharmaka, auf. So mussten die Apotheken im letzten Jahr lange auf das Rheuma-Präparat PHYTODOLOR verzichten. Nach Angaben des Konzerns haperte es bei der Arznei, die wegen ihres Alkohol-Gehaltes in der Kritik steht, mit der Qualität des Goldruten-, Eschenrinde- und Zitterpappelrinde-Krautes. Zuvor hatten die PatientInnen bereits lange vergeblich auf das zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen zur Anwendung kommende Johanneskraut-Mittel LAIF warten müssen (Ticker 3/16).

Neue LAIF-Rezeptur
Das Johanneskraut-Präparat LAIF bereitete BAYER in letzter Zeit viel Kummer. So traten Liefer-Engpässe wegen mangelhafter Qualität des Rohstoffes auf (s. o.). Ob diese in Zusammenhang mit zu hohen Rückständen von gesundheitsschädlichen Pyrrolizidin-Alkaloiden standen, mochte der Leverkusener Multi damals lieber nicht sagen. Darüber hinaus quollen die feuchtigkeitsempfindlichen Tabletten oft auf. Dagegen hat der Konzern jetzt mit einer neuen Formulierung Abhilfe geschaffen, die einen Eindruck davon vermittelt, wie viel Chemie doch in einem Heilmittel auf pflanzlicher Basis so stecken kann. Der Pharma-Riese fügte der Rezeptur Hyprolose, Hypromellose, mikrokristalline Cellulose, mittelkettige Triglyceride, Sterarinsäure und vorverkleisterte Stärke zu und strich dafür Carboxyethylstärke-Natrium, Eudragit E100 und Natriumhydrogen-Carbonat.

BAYER will Phyto-Sparte ausbauen
Ungeachtet der vielen Schwierigkeiten mit Arzneimitteln auf pflanzlicher Basis (s. o.) will BAYER diese Sparte ausbauen. Zu diesem Behufe hat der Konzern in Darmstadt ein Kompetenz-Zentrum eingerichtet. Er hält die große Nachfrage nach LAIF, IBEROGAST & Co. nämlich für einen nachhaltigen Trend und hofft auf wachsende Renditen in diesem Bereich.

ALKA-SELTZER-Rückruf Nr. 2
Im August 2017 musste BAYER in den USA wegen fehlerhafter Verpackungen einen Rückruf bestimmter ALKA-SELTZER-Produkte starten. Es traten undichte Stellen auf, und die Tabletten drohten feucht zu werden. Im März 2018 erfolgte der „Volontary Recall“ von bestimmten „ALKA-SELTZER PLUS“-Chargen dann, weil die vorne auf den Packungen des Schmerz- und Erkältungsmittels aufgeführten Inhaltsstoffe nicht den auf der Rückseite angegebenen entsprachen. Dies könnte KonsumentInnen, die allergisch auf bestimmte Wirkstoffe reagieren, zur Einnahme der Präparate verleiten und deshalb „ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen“ haben, warnte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA.

85.367 XARELTO-Nebenwirkungen
Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA erreichen immer mehr Meldungen über schwerwiegende Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit der Einnahme von BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO stehen. Bisher hat die Institution bis zum 1.3.18 insgesamt 85.367 Kranken-Akten erhalten. Allein im Februar 2018 gingen bei der Agentur über 1.500 Berichte über unerwünschte Pharma-Effekte ein.

XARELTO: schwankende Gerinnungswerte
In den Klinischen Prüfungen zeigte sich BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO dem altgedienten Marcumar nicht überlegen. Deshalb wirbt der Leverkusener Multi mit den praktischen Vorteilen der Arznei aus der Gruppe der Antikoagulantien wie dem Wegfall der regelmäßigen Blutgerinnungsmessung. Aber selbst damit ist es bei dem Medikament nicht weit her. „Wir sehen häufig bei Patienten, die neue Antikoagulantien einnehmen, dass sie trotzdem derangierte Blutwerte haben“, sagt etwa die Berliner Unfall-Chirugin Hanna Neumann. Ein Wissenschaftler des Pharma-Riesen selber räumte gegenüber dem Handelsblatt ein, dass die Gerinnungswerte unter XARELTO eine erhebliche Schwankungsbreite aufweisen – dementierte diese Aussage jedoch gleich wieder (siehe SWB 2/16). Durch diese Eigenschaft des Mittels steigt die Gefahr plötzlich auftretender, lebensgefährlicher Blutungen enorm – zumal für das Präparat bisher kein blutstillendes Gegenmittel existiert, obwohl der Konzern ein solches Antidot immer wieder ankündigt. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde will nun im Mai 2018 über die Zulassung eines entsprechenden Produkts entscheiden, die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA erst im nächsten Jahr.

Haarausfall unter XARELTO
Die Liste der unerwünschten Arznei-Effekte von BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO wird immer länger. Zu den gefährlichsten zählen Blutungen, die allzu oft einen tödlichen Ausgang nehmen. Aber auch Leber-Schädigungen, Haut- und Blutkrankheiten kann der Milliarden-Seller auslösen. Und unlängst kam noch eine neue Nebenwirkung hinzu, die nicht auf dem Beipackzettel vermerkt ist: Haarausfall. Entsprechende Verdachtsmeldungen dazu gingen bei der Weltgesundheitsorganisation WHO ein.

Neue XARELTO-Studie
Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat das Sicherheitsprofil von BAYERs gefährlichem Gerinnungshemmer XARELTO (Wirkstoff: Rivaroxaban) mit dem von Marcumar (Warfarin) bei PatientInnen mit Vorhof-Flimmern miteinander verglichen. Nach dieser Studie, die auf Daten von 115.000 PatientInnen basierte, besteht unter XARELTO ein höheres Risiko, Blutungen im Magen/Darm-Trakt zu erleiden, während das Risiko, Blutungen im Gehirn oder sogar einen Hirnschlag zu erleiden, unter Warfarin größer ist.

Patent-Verlängerung für XARELTO
Erhalten die Konzerne für neue Entwicklungen ein Patent, so gewährt ihnen das eine Monopol-Stellung in dem betreffenden Markt. Das garantiert den Unternehmen Extra-Profite über viele Jahre hinweg. Und wenn es sich bei den Innovationen um Arzneien oder Pestizide handelt, sieht es sogar noch ein bisschen besser aus. Mit Pharmazeutika und Ackergiften können die Multis nämlich noch mal in die Verlängerung gehen. Sie brauchen für sie lediglich „ergänzende Schutz-Zertifikate“ zu beantragen. Und genau das hat BAYER im Fall von XARELTO getan. So gelang es dem Leverkusener Multi dann, die Schutzfrist für den gefährlichen Gerinnungshemmer (s. o.), die eigentlich im Dezember 2020 ausgelaufen wäre, bis auf den 28. August 2024 auszuweiten.

Wieder Test mit ADEMPAS
Wenn eine von BAYER entwickelte Arznei für eine bestimmte Indikation eine Genehmigung erhalten hat, versucht sich der Konzern umgehend an einer Erweiterung der Anwendungszone. So ging er auch beim zur Behandlung der beiden Lungenhochdruck-Krankheiten CTEPH und PAH zugelassenen Pharmazeutikum ADEMPAS (Wirkstoff: Riociguat) vor, obwohl das Fach-Magazin Arzneimittelbrief die therapeutischen Effekte des Mittels schon bei diesen Gesundheitsstörungen als nur „marginal“ bewertet. Momentan führt der Pharma-Riese gemeinsam mit dem Unternehmen MERCK eine klinische Erprobung bei solchen PAH-PatientInnen durch, die nicht auf die Arznei-Stoffe Sildenafil und Tadalafil ansprechen. Kindern mit Lungenhochdruck will er das Produkt ebenfalls angedeihen lassen. Zudem testet der Global Player ADEMPAS gerade als Medikament gegen die Autoimmun-Krankheit „Systemische Sklerose“. Und damit nicht genug, beabsichtigt er, das Präparat bei Herz-Insuffizienz und Schädigungen der Niere in Anschlag zu bringen.

May zieht DUOGYNON-Bericht zurück
Ein hormoneller Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das unter den Namen DUOGYNON und PRIMODOS vertriebene Medizinprodukt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Missbildungen zur Welt. Geschädigte oder deren Eltern fordern den Leverkusener Multi auf seinen AktionärInnen-Versammlungen seit Jahren dazu auf, die Verantwortung dafür zu übernehmen, bislang allerdings vergeblich. In England konnten sie jedoch die Politik mobilisieren. Das britische Parlament gab im Oktober 2015 eine Untersuchung zum Fall „Primodos“ in Auftrag. Der Abschluss-Bericht bestritt aber einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Test und den Gesundheitsschädigungen. Allerdings weist die Expertise zahlreiche Unstimmigkeiten auf. So berücksichtigt sie beispielsweise nicht alle bisher zugänglichen Dokumente zu dem Medizin-Skandal. Aus diesen Gründen zog die britische Premierministerin Theresa May den Report vorerst zurück und ordnete eine Überprüfung seines Befundes an.

EU will Kosten/Nutzen-Prüfung ändern
Das Arzneimittel-Neuverordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 schreibt für neue Medikamente eine Kosten/Nutzen-Prüfung vor. Diese führt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von MedizinerInnen, Krankenhäusern und Krankenkassen durch. Bescheinigt dieses Gremium dem zu begutachtenden Pharmazeutikum dann eine Überlegenheit gegenüber den bisherigen Mitteln, so können die Hersteller anschließend mit DAK & Co. einen Preis aushandeln. Fällt das G-BA-Votum dagegen negativ aus, müssen die Pillen-Produzenten Preisabschläge in Kauf nehmen. Zu solch einem Urteil kamen die ExpertInnen z. B. bei BAYERs Krebs-Präparat STIVARGA, woraufhin der Leverkusener Multi auf die Vermarktung des Produktes in der Bundesrepublik verzichtete. Dementsprechend kritisch steht nicht nur der Leverkusener Multi, sondern die gesamte Branche diesem Instrument zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen gegenüber. Und entsprechend positiv beurteilen die Pharma-Riesen die Pläne der EU, Brüssel die Zuständigkeit für den Arznei-Check zu übertragen. Johann-Magnus von Stackelberg vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) reagiert dagegen alarmiert: „Wir befürchten die Absenkung der hohen Standards, die wir in Deutschland für die Bewertung von neuen Medikamenten haben.“ Die PolitikerInnen teilen diese Sorgen und weisen das Ansinnen der Europäischen Union, sich zum Wohl von BAYER & Co. in die Gesundheitspolitik der einzelnen Mitgliedsländer einzumischen, zurück: Am 22.3.18 erteilte der Bundestag der EU-Kommission einstimmig eine sogenannte Subsidiaritätsrüge.

Kooperation mit DELSITECH
Medikamente für Augen-Krankheiten zählen zum Kerngeschäft von BAYERs Pharma-Sparte. Darum bemüht sich der Konzern stets, das Segment auszuweiten. Zu diesem Behufe hat er jetzt einen Kooperationsvertrag mit dem Unternehmen DELSITECH geschlossen. Die finnische Firma forscht an medizinisch unproblematischen Träger-Stoffen für die eigentlichen Wirk-Substanzen. Nach der nun getroffenen Vereinbarung übernimmt der Leverkusener Multi die Entwicklungskosten für ein entsprechendes Projekt. Zudem verpflichtet er sich, abhängig von DELSITECHs Fortschritten bei dem Vorhaben, zu weiteren Zahlungen.

Kooperation mit T2
BAYER hat einen Kooperationsvertrag mit der Firma T2 BIOSYSTEMS geschlossen. Die Vereinbarung gewährt dem Leverkusener Multi Zugang zu einer Magnetresonanz-Technologie zur Bestimmung der Blut-Gerinnung.

Kooperation mit LEICA
Die personalisierte Medizin, also die Entwicklung einer passgenauen, auf die jeweiligen Bedürfnisse der PatientInnen ausgerichteten Therapie-Form, erfüllt die in sie gesteckten Erwartungen bisher nicht. „Die Sache ist komplizierter als gedacht“, räumte BAYERs Pharma-Forscher Jörg Müller einmal ein. Insbesondere fehlen Kenntnisse darüber, was sich in den Körpern der einzelnen Kranken auf molekularer Ebene konkret abspielt. Aufschluss darüber versprechen bestimmte Tests zu geben. Darum hat BAYER das Unternehmen LEICA beauftragt, einen solchen auf Basis von Gewebe-Proben zu entwickeln. „Die personalisierte Medizin hat dann Aussicht auf Erfolg, wenn wir mit hochwertigen diagnostischen Tests genau die Patienten-Populationen bestimmen können, die mit größter Wahrscheinlichkeit von der Therapie profitieren werden“, so Jonathan Roy von LEICA. Auch das Hildener Unternehmen Qiagen entwickelt solche Analyse-Verfahren für den Leverkusener Multi.

AGRO & CHEMIE

Aus für Glufosinat
Jahrzehntelang hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN für ein Verbot des erbgut-schädigenden BAYER-Pestizides Glufosinat gestritten. Jetzt kann sie endlich den Erfolg verbuchen: Die EU lässt den Wirkstoff, den der Leverkusener Multi unter anderem unter den Produkt-Namen LIBERTY und BASTA vermarktet, auf ihrem Territorium nicht länger zu. Der Agro-Riese zog seinen Antrag auf Verlängerung der Genehmigung Ende 2017 zurück und begründete dies mit „anhaltenden regulatorischen Unwägbarkeiten innerhalb der EU“. Noch bis zum 1. August 2019 dürfen die LandwirtInnen das Mittel verwenden, dann ist Schluss. Frankreich hatte das Ackergift zuvor schon mit einem Bann belegt und ihm eine Gnadenfrist bis zum 24.10.18 eingeräumt.

Kommt das GAUCHO-Verbot?
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) haben einen wesentlichen Anteil am weltweiten Bienensterben, weshalb die EU einige dieser Agrochemikalien schon mit einem vorläufigen Verkaufsbann für wichtige Kulturen belegt hat. Jetzt rückt die Entscheidung über ein endgültiges Verbot näher. Ende Februar 2018 nämlich legte die Europäische Behörde für Lebensmittel-Sicherheit (EFSA) ihre Risiko-Bewertung der Mittel vor und hielt fest: „Die meisten Anwendungen neonicotinoider Pestizide stellen ein Risiko für Wild- und Honigbienen dar.“ Die Stellungnahme des Leverkusener Multis dazu kam postwendend und fiel erwartungsgemäß aus: „BAYER ist mit den Ergebnissen der Risikobewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittel-Sicherheit (EFSA) für die Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin grundsätzlich nicht einverstanden.“ Aber die EU-Kommission ließ sich davon nicht beirren und präsentierte dem Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel am 22.3.18 einen Vorschlag zum Stopp von GAUCHO & Co. Zu einer Abstimmung kam es jedoch nicht. Einige Länder sahen noch Diskussionsbedarf, darunter wohl auch Deutschland. Die Bundesregierung hat nämlich in dieser Sache keine eindeutige Position – trotz ihres Bekenntnisses aus dem Koalitionsvertrag: „Dabei liegt uns der Schutz der Bienen besonders am Herzen“. Wie schon im Fall von Glyphosat gehen zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsressort die Meinungen auseinander. Dabei hat nach Informationen des Web-Portals EURACTIV im Klöckner-Ministerium nicht zuletzt das Extrem-Lobbying der Zuckerrüben-Industrie meinungsbildend gewirkt, die auf Ausnahme-Regelungen für ihre Ackerfrucht pocht.

GAUCHO & Co.: Teilverbot greift nicht
Seit 2014 gilt innerhalb der Europäischen Union ein Teilverbot für bestimmte Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide. Brüssel hat den LandwirtInnen die Ausbringung der BAYER-Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin sowie der SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam auf bestimmten Kulturen untersagt. Das hatte jedoch kaum Auswirkungen auf die Neonicotinoid-Verkäufe insgesamt. Beliefen sich diese im Jahr vor der EU-Entscheidung auf 200 Tonnen, so stiegen die Zahlen zwölf Monate später auf 207 Tonnen an und erreichten 2015 noch 203 Tonnen. Die großzügigen Ausnahme-Regeln und ein ausreichendes Angebot an legalen Neonicotinoiden machen das möglich. Darum fordert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ein Komplett-Verbot dieser Substanzen für alle Anwendungen.

Kein Mittel gegen Citrus Greening
Gegen immer mehr Pflanzen-Krankheiten können die Pestizide von BAYER & Co. nichts mehr ausrichten. Und bei dem Versuch, Abhilfe zu schaffen, können und wollen die Konzerne sich auch nicht mehr allein auf die eigenen Forschungsabteilungen verlassen. Nicht zuletzt aus Kosten-Gründen kooperieren sie lieber mit öffentlichen Einrichtungen. So sucht BAYER etwa zusammen mit dem „Internationalen Forschungs- und Entwicklungsfonds“ (INREF) nach Mitteln gegen den aggressiven Pilz „Tropical Race 4“ (TH4), der Bananen befällt (Ticker 2/17). In Sachen „Citrus Greening“, eine vom Bakterium Candidatus liberibacter bei Zitronen und Orangen ausgelöste Grün-Färbung, arbeitet der Leverkusener Multi ebenfalls mit anderen Institutionen zusammen. Gemeinsam mit der „Citrus Research and Development Foundation“, die unter anderem von PEPSICO und COCA COLA Geld erhält, forscht er hier nach Lösungen.

Tröpfchenweise weniger Pestizide?
Mittlerweile räumt der Leverkusener Multi selber ein, dass die industriell betriebene Landwirtschaft der Umwelt schadet und obendrein enorme Mengen Wasser verbraucht. Der Konzern versucht sogar, Lösungen zu finden, „mit denen wir die Umwelt-Auswirkungen der Landwirtschaft weiter reduzieren und natürliche Ressourcen einsparen“. Und er glaubt auch schon, eine solche gefunden zu haben. Darum kooperiert der Global Player mit dem israelischen Unternehmen NETAFILM, das die „DripByDrip“-Technologie entwickelt hat. Mittels dieser gelangen die Pestizide Tropfen für Tropfen direkt zu den Pflanzen-Wurzeln, was BAYER zufolge die Ausbring-Mengen und den Wasser-Einsatz reduziert. Über das Versuchsstadium ist dieser Ansatz bisher allerdings nicht hinausgekommen.

Fungizid-Kooperation mit SUMITOMO
Der Leverkusener Multi will seine eigenen Mittel gegen Pilz-Krankheiten von Pflanzen mit einem neuen Produkt des japanischen Chemie-Unternehmens SUMITOMO CHEMICAL mischen und daraus ein Ackergift für Soja-Kulturen entwickeln. Eine entsprechende Vereinbarung unterzeichneten die beiden Konzerne im Sommer 2017.

Neues Insektizid für Grünflächen
Seit einiger Zeit nimmt BAYERs Sparte für Agro-Chemie in den USA den „ornamentals market“ stärker in den Blick und bietet gezielt Pestizide für den Einsatz in Gewächshäusern, Gartencentern und auf großen Grünflächen wie etwa Golf-Plätzen an. Nun hat der Leverkusener Multi mit ALTUS auch ein neues Insektizid für diese Anwendungen herausgebracht. Der Konzern selber bezeichnet den Wirkstoff Flupyradifuron als nicht bienen-gefährdend. Daran bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Die Chemikalie gehört zwar nicht wie die wegen ihrer Bienenschädlichkeit von der EU mit einem vorläufigen Bann belegten BAYER-Substanzen Imidacloprid und Clothianidin zur Gruppe der Neonicotinoide, sie ähnelt diesen jedoch in ihrer Funktionsweise.

PFLANZEN & SAATEN

Zuckerrüben-Lizenz vergeben
BAYER hat im Jahr 2015 zusammen mit KWS eine Zuckerrüben-Art entwickelt, deren Erbgut eine natürliche und durch Züchtung verstärkte Enzym-Veränderung aufweist. Auf diese Weise übersteht die Labor-Frucht eine Behandlung mit solchen Anti-Unkrautmitteln, welche die Acetolactat-Synthese stören, unbeschadet. Allerdings überstehen auch immer mehr Wildpflanzen die Behandlung mit diesen so genannten ALS-Hemmern unbeschadet. Deshalb könnte die neue Rübe, wenn sie 2019 gemeinsam mit dem auf die Pflanze abgestimmten Herbizid CONVISO (Wirkstoffe: Foramsulfuron und Thiencarbazone-methyl) auf den Markt kommt, schon bald ziemlich alt aussehen. Nichtsdestotrotz gelang es BAYER und KWS, mit der belgischen Firma SESVANDERHAVE ins Geschäft zu kommen. Die beiden Unternehmen verkauften dem auf Zuckerrüben-Saatgut spezialisierten Betrieb eine Lizenz für das „CONVISO SMART“-Anbausystem. „Wir möchten so viele Züchter wie möglich für diese Technologie gewinnen. Wenn große Saatgut-Anbieter zusammenarbeiten, um diese Technologie voranzubringen, werden viele Landwirte von ihren Vorteilen profitieren können“, meint der Leverkusener Multi.

GENE & KLONE

Fragwürdige Soja-Zulassung
Ende 2017 hat die EU BAYERs Gen-Soja der Marke BALANCE eine Import-Genehmigung erteilt. Bei der Prüfung des Antrags hat Brüssel es allerdings nicht allzu genau genommen, wie Recherchen der Initiative TESTBIOTEST ergaben. Die Europäische Union erteilte der Labor-Frucht nämlich eine Einfuhr-Erlaubnis, obwohl der Leverkusener Multi die dafür erforderlichen Tests nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat. So setzte der Konzern bei den Versuchen mit der Soja, die gegen die Ackergifte Glyphosat, Glufosinat und Isoxaflutol resistent ist, nur ein Kilogramm Glyphosat pro Hektar statt der sonst in der Praxis üblichen vier bis acht Kilogramm ein. Zudem fand bloß eine einmalige Spritzung statt. In den KundInnen-Empfehlungen von BAYER und MONSANTO werden dagegen zwei bis drei Durchgänge vorgeschlagen. Überdies hat der Leverkusener Multi – angeachtet der vielen Hinweise auf Erkrankungen von Tieren nach dem Verzehr von Soja mit Glyphosat-Rückständen – keine Fütterungsstudien unternommen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Entscheidung der Europäischen Union deshalb scharf. „In der Öffentlichkeit betont BAYER immer wieder die Ungefährlichkeit von Glyphosat, das die Krebsagentur der WHO als ‚wahrscheinlich krebserregend’ eingestuft hat. Bei seinen Testreihen traute das Unternehmen aber offenbar seinen eigenen Worten nicht und ging auf Nummer Sicher“, hieß es in ihrer Presseerklärung.

Moratorium für BAYERs Gen-Senf
2002 hatte BAYER erstmals versucht, in Indien die Genehmigung zum Anbau des gen-manipulierten Senfs DMH 11 zu erhalten. Aber die zuständige Behörde lehnte den Antrag ab. Die Feldversuche hätten, anders als vom Leverkusener Multi behauptet, keinen Nachweis über Ertragssteigerungen durch die Erbgut-Veränderung erbracht, lautete die Begründung. Mehr als zehn Jahre später starteten der Professor Deepak Pental und sein Team von der „University of Delhi“ einen erneuten Anlauf zur Zulassung der Pflanze, die gegen das vom Leverkusener Multi hergestellte, erbgut-schädigende Pestizid Glufosinat resistent ist. Als „BAYERs Trojanisches Pferd“ bezeichneten Zeitungen Pental daraufhin. Und die Gentechnik-Kritikerin Vandana Shiva verlangte vom indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi in einem Offenen Brief, auf eine Offenlegung aller Vereinbarungen des Genforschers mit BAYER und anderen Konzernen zu dringen. Auch andere AktivistInnen und Gruppen opponierten gegen DMH 11. Nicht zuletzt dieser öffentliche Druck hat das „Genetic Engineering Appraisal Committee“ (GEAC) schließlich dazu bewogen, vorerst kein grünes Licht für den Senf zu geben und stattdessen weitere Forschungsarbeiten anzumahnen.

WASSER, BODEN & LUFT

Spatenstich zur Dhünnaue-Öffnung
Am 11. Oktober 2017 hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zwei Klagen gegen die Erweiterung der Autobahn A1 und den Bau einer neuen Rhein-Brücke abgewiesen (Ticker 1/18). Damit machte es dem „Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen“ den Weg frei, im Rahmen der Bau-Maßnahmen BAYERs ehemalige Dhünnaue-Giftmülldeponie wieder zu öffnen. Der Spatenstich zu dem risiko-reichen Manöver erfolgte am 14.12.17 im Beisein des nordrhein-westfälischen Verkehrsministers Hendrik Wüst (CDU). An Ort und Stelle konnte der symbolische Akt allerdings nicht stattfinden, denn da standen schon DemonstrantInnen. Gezwungenermaßen erfolgte er deshalb in einem Zelt. Dieses war allerdings nicht schall-isoliert, weshalb ein Trillerpfeifen-Konzert und ein lauthals skandiertes „Kein Eingriff in die Deponie“ in die Ohren der geladenen Gäste drang und die feierlichen Reden draußen bleiben mussten.

BAYER entsorgt sich selbst
Dem Leverkusener Multi ist das Kunststück gelungen, mit seinem eigenen Müll ein Geschäft zu machen. Seine Tochter-Gesellschaft CURRENTA, an welcher der Konzern 60 Prozent der Anteile hält, sicherte sich nämlich den Auftrag, all das kontaminierte Erdreich zu entsorgen, das seit dem 14.12.17 bei der Öffnung seiner alten Dhünnaue-Deponie anfällt. An diesem Tag nämlich hat der „Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen“ trotz massiver Proteste der LeverkusenerInnen damit begonnen, im Zuge des Baus der neuen Rhein-Brücke und der Erweiterung der Autobahn A1 BAYERs Gift-Grab teilweise wieder auszuheben.

Dhünnaue-Experte warnt
Der Ingenieur, der jahrelang als Projekt-Leiter für die Abdichtung von BAYERs alter Dhünnaue-Deponie verantwortlich war, hat im Leverkusener Anzeiger eindringlich vor den Gefahren der Öffnung des Gift-Grabes im Zuge der Brücken- und Autobahnausbau-Arbeiten (s. o.) gewarnt. „Wenn Sie mich fragen: Sie sollen die Finger davon lassen“, rät der lieber anonym bleiben wollende Mann dem „Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen“. Er fürchtet, der Eingriff könne die hochkomplexe unterirdische Sicherheitsarchitektur aus Trenn- und Drainage-Schichten, Erde und Folien zerstören und die bösen Geister der toxischen Abfälle von Quecksilber über Arsen und Chrom bis hin zu Blei wieder zum Leben erwecken. Schon die Probe-Bohrungen zur Erkundung des Bodens hält der ehemalige Projekt-Leiter der Sanierung für ein riskantes Unternehmen. „Haben sie den Bohrer etwa einfach mit Gewalt durch die Folie hindurchgestoßen?“, fragt er alarmiert. Auch den Plan, die Bohrlöcher lediglich mit Ton-Granulat wieder zu verschließen, lehnt der Experte ab: „Aber einfach nur Ton genügte uns damals nicht als Dicht-Material.“ Aus all diesen Gründen schließt er sich der „Tunnel statt Stelze“-Fraktion an und meint: „Ein langer Tunnel unter dem Rhein wäre ein schönes Leuchtturm-Projekt für die Bau-Branche geworden.“

Kein Notfall-Plan
Die Öffnung von BAYERs alter Dhünnaue-Deponie im Zuge der Arbeiten an der neuen Rheinbrücke und an der Autobahn A1 ist mit vielen Risiken verbunden. Deshalb hat die im Leverkusener Rat vertretene Bürgerliste die Erstellung eines Notfall-Plans eingefordert. Das Stadt-Parlament lehnte dies aber ebenso ab wie die Bezirksregierung Köln. Das Gift-Grab falle nicht unter die Störfall-Verordnung, dekretierte letztere. „Somit ist aus Sicht der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr kein externer Notfallplan erforderlich“, antwortete die Behörde der Bürgerliste. Jetzt bleibt nur noch die Hoffnung, dass ein solches „Worst Case Scenario“ über den Gerichtsweg kommt, denn die Wählergemeinschaft hat in der Sache Klage bei der Staatsanwaltschaft Köln eingereicht.

RAG untersucht Bergleute auf PCB
Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie (SWB 1/14). Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheitsrisiko dar. Von den 1985 in der Bundesrepublik verkauften 72.000 Tonnen landete mehr als ein Sechstel im Bergbau, wo die schweren Gerätschaften viel Hydraulik-Öl brauchten. „Wir sind mit dem Zeug umgegangen, als wäre es Milch“, zitiert der Spiegel einen Bergmann. Dementsprechend leiden viele seiner KollegInnen heute an den Spätfolgen und zeigen Vergiftungssymptome wie Haut-, Nieren- und Leberschäden. Der Bergbau-Konzern RAG hat jetzt angekündigt, 200 Kumpel der Jahrgänge 1947 bis 1968 auf PCB-induzierte Krankheiten hin untersuchen zu lassen, wiegelte aber im gleichen Atemzug schon ab. Anlass zur Besorgnis wegen aufgetretener Erkrankungen gebe es bisher nicht, erklärte das Unternehmen wider besseren Wissens.

Neue Trinkwasser-Richtlinie der EU
Der Leverkusener Chemie-Multi trägt durch seine Herstellungsprozesse und viele seiner Produkte massiv zur Verschmutzung der Gewässer bei (siehe auch SWB 1/18). Einigen Substanzen droht jetzt die neue Trinkwasser-Richtlinie der Europäischen Union das Leben schwerer zu machen. So sieht der im Winter 2018 vorgelegte Entwurf schärfere Grenzwerte für Blei und Chrom vor. Zudem will Brüssel erstmals Kontrollen für Plastik-Teilchen und hormonell wirksame Stoffe wie BAYERs Industrie-Chemikalie Bisphenol A und den Arznei-Wirkstoff Beta-Estradiol (enthalten in ANGELIQ, einem Mittel gegen Wechseljahres-Beschwerden) vorschreiben. Da kommt also viel Lobby-Arbeit auf den Global Player zu.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

Kein Bisphenol-Verbot in der EU
Viele Chemikalien enthalten Wirkstoffe, die in ihrem chemischen Aufbau Hormonen ähneln. Zu diesen endokrinen Disruptoren zählt im BAYER-Sortiment unter anderem Bisphenol A (BPA). Rund eine Millionen Tonnen dieses Stoffes, der z. B. in Lebensmittel-Verpackungen Verwendung findet, stellt der Leverkusener Multi jährlich her. Vom menschlichen Körper aufgenommen, kann das Bisphenol Fehlsteuerungen im Organismus auslösen und zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen. Die EU hat deshalb bereits die Verwendung in Babyflaschen untersagt. Zudem verkündete Brüssel für 2019 das BPA-Aus in Thermo-Papieren wie etwa Kassenzetteln und erließ schärfere Grenzwerte. Aber nach einer Expertise der Europäischen Chemikalien-Agentur gab es zusätzlichen Handlungsbedarf. Die ECHA stufte das Bisphenol A nämlich als „besonders besorgniserregende Substanz“ ein, die „ernsthafte Gesundheitsauswirkungen“ habe, wobei die Effekt „dauerhaft und irreversibel“ seien. Einige EU-ParlamentarierInnen wie der Grünen-Politiker Martin Häusling forderten deshalb ein Total-Verbot für Anwendungen im Nahrungsmittel-Bereich. Dazu kam es allerdings nicht. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte im Januar 2018 einem Vorschlag der EU-Kommission zu, die eine nochmalige Absenkung der Grenzwerte für Rückstände in Lebensmitteln um den Faktor 12 (von 0,6 Milligramm pro Kilogramm auf 0,05 Milligramm) vorsieht und den BPA-Bann auf Schnabel-Tassen für Kinder erweitert. Dem Extrem-Lobbying von BAYER & Co. in Brüssel ist es offenbar gelungen, das Schlimmste zu verhindern.

Bisphenol-Kombinationswirkungen
Die Gefährlichkeit der Chemikalie Bisphenol A (s. o.) kann sich potenzieren, wenn die Substanz in Kontakt mit anderen Stoffen kommt. Das ergab eine Studie von Pierre Gaudriault und anderen WissenschaftlerInnen, die in der Fach-Zeitschrift Environ Health Perspect erschienen ist. Demnach stört das Bisphenol den Testosteron-Stoffwechsel 10 Mal so stark, wenn es nicht allein, sondern in Kombination mit weiteren Substanzen wie etwa Pharma-Wirkstoffen oder Acker-Giften auftritt.

Neue EU-Richtlinie zum Arbeitsschutz
Die Europäische Union hat ihre „Richtlinie 2004/37/EG“ verändert, die den Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch krebserregende und erbgut-schädigende Stoffe regelt. Elf Substanzen bezog Brüssel zusätzlich in die Direktive ein und legte Belastungslimits für sie fest. Unter anderem handelt es sich dabei um Acrylamid, Hydrazin, Bromethylen und 1,3-Butadien. Für Vinylchlorid-Monomer und Hartholz-Stäube verschärfte die EU überdies die Grenzwerte. Neun Jahre hat es bis zur Verabschiedung der Regelung durch das Europäische Parlament gedauert – nicht zuletzt „dank“ der Interventionen von BAYER und anderen Unternehmen. Aber den LobbyistInnen der Konzerne gelang es nicht nur, den legislativen Prozess immer wieder zu verzögern, sie erreichten auch bedeutende Änderungen. So gelang es ihnen beispielsweise, die Neuaufnahmen zu begrenzen. Ursprünglich standen neben Acrylamid bis zu 49 weitere Stoffe auf der Liste. Die Strategie der Multis: Das Anzweifeln von Studien und der Verweis auf die EU-Maxime der „Better regulation“, die vorsieht, bei allen neuen Initiativen die Auswirkungen auf die Wirtschaft mit zu berücksichtigen. Allerdings könnte sich die Regelungszone der Richtlinie doch noch ausweiten. Es steht nämlich ein EU-Vorschlag zur Aufnahme von sieben weiteren Substanzen zur Diskussion.

PRODUKTION & SICHERHEIT

Mängel in der Pillen-Produktion
Bei einer Betriebsinspektion von BAYERs Leverkusener Pharma-Anlagen hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA gravierende Mängel festgestellt (siehe auch SWB 2/18), die ein Gesundheitsrisiko für die PatientInnen darstellen. Sowohl die Produktion von ADALAT als auch die von ASPIRIN CARDIO, AVELOX und LEVITRA beanstandeten die PrüferInnen. Von „signifikanten Verstößen gegen die gute Herstellungspraxis (CGMP)“ spricht die „Food and Drug Administration“. Unter anderem hat der Pillen-Riese verschiedene Medikamente in einem Raum gefertigt, ohne die benutzte Ausrüstung und die Arbeitsflächen nach den jeweiligen Durchläufen gründlich zu säubern, was zu Verunreinigungen von Medikamenten führte. Überdies kontrollierte der Multi der FDA zufolge die Stabilität der Zusammensetzung seiner Pharmazeutika nicht ausreichend. Die Mess-Geräte ließen ihrer Ansicht nach viel zu große Schwankungsbreiten zu. Die Apparaturen zur automatisierten Qualitätskontrolle stellte der Global Player ebenfalls so ein, dass sich der Ausschuss in Grenzen hielt. Zudem hat er nicht angemessen auf Probleme mit undichten Medikamenten-Packungen reagiert. „Ihre Firma hat es nicht geschafft, eine ordentlich arbeitende Qualitätskontrolle-Abteilung aufzubauen“, resümiert die FDA in ihrem „Warning Letter“. Nun muss der Pharma-Gigant die Fertigung umfassend neu organisieren, will er den Zugang zum US-Markt nicht verlieren. Ein normaler Betrieb ist in dieser Zeit nicht möglich, weshalb BAYER große finanzielle Einbußen erleidet. Die „Liefer-Ausfälle durch Korrektur-Maßnahmen in der Produktion“, wie der der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann das auf der Bilanz-Pressekonferenz im Februar 2018 ausdrückte, kosten das Unternehmen rund 300 Millionen Euro.

STANDORT & PRODUKTION

BAYER baut Standort Basel aus
Der Leverkusener Multi baut den Baseler Hauptsitz seiner Sparte „Consumer Health“ aus, in der er die Geschäfte mit den in den Apotheken ohne Rezept erhältlichen Pharmazeutika wie ASPIRIN, BEPANTHEN und ALKA-SELTZER bündelt, aus. 20 Millionen Franken investiert der Konzern am Standort. Zudem kündigte er die Schaffung von 100 Arbeitsplätzen an.

IMPERIUM & WELTMARKT

EU genehmigt MONSANTO-Deal
Am 21. März 2018 hat die Europäische Union BAYERs Antrag auf Übernahme von MONSANTO genehmigt. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) verurteilte diese Entscheidung auf Schärfste. „Mit ihrem Genehmigungsbescheid hat die EU ohne Not einem Oligopol im Landwirtschaftssektor mit BAYER an der Spitze ihren amtlichen Segen erteilt. Fortan trägt sie Mitverantwortung für die von dem Quartett verantworteten Geschäftspraktiken“, hieß es in ihrer Presseerklärung. Die von Brüssel gemachten Auflagen ändern an der neuen Markt-Macht des Leverkusener Multis kaum etwas. Auch mit den von der Generaldirektion Wettbewerb verlangten Verkäufen von Unternehmensteilen erreicht der Konzern im Pestizid-Bereich noch einen Markt-Anteil von mehr als 20 Prozent und beim konventionellen Saatgut einen Markt-Anteil von ca. 30 Prozent. Beim gen-manipulierten Saatgut beträgt dieser sogar 90 Prozent. Diese dominierende Stellung bedroht die Landwirtschaft, da die LandwirtInnen mit höheren Preisen rechnen müssen und überdies weniger Auswahl haben. Auch die VerbraucherInnen können beim Einkauf nicht mehr zwischen so vielen Sorten wählen, wenn der Leverkusener Multi mit seinem Vorhaben wirklich zum Ziel kommen sollte. Und der Mega-Deal hätte noch weitere Folgen. So sehen sich die Beschäftigten mit Arbeitsplatz-Vernichtungen durch die bei solchen Gelegenheiten immer viel beschworenen Synergie-Effekte konfrontiert. Und schließlich stehen den Standort-Städten im Fall des Falles finanzielle Einbußen ins Haus, denn BAYER pflegt seine Shopping-Touren immer von der Unternehmenssteuer abzusetzen. Bisher haben allerdings noch längst nicht alle Kartell-Behörden ihr Prüf-Ergebnis bekannt gegeben. Nicht zuletzt darum wird die CBG ihre Kampagne gegen das Milliarden-Geschäft mit unverminderter Kraft fortsetzen.

Pharma-Standort Russland
Im Jahr 2011 hat die russische Regierung eine „Pharma 2020“-Strategie entwickelt. Ziel des Programmes ist es, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu verbessern und die Entwicklung einer heimischen Pharma-Industrie voranzubringen. Von diesem Zeitpunkt an konnten die Global Player der Branche ihre Medikamente nur noch in dem Staat vertreiben, wenn sie dort auch selber produzierten und/oder sich vor Ort Partner suchten. Und das machte der Leverkusener Multi dann auch. „Lokale Fertigung ist ein strategischer Schritt vorwärts in der Entwicklung des Unternehmens, der BAYERs Unterstützung der ‚Pharma 2020’-Strategie bekräftigt“, verkündete der Russland-Chef des Konzerns, Niels Hessmann. So ging der Pillen-Riese etwa eine Partnerschaft mit MEDSINTEZ zur Fertigung des Antibiotikums AVELOX ein. Den umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO und seine Röntgenkontrast-Mittel GADOVIST, MAGNEVIST und ULTRAVIST stellt er mittlerweile in Kooperation mit POLYSAN her. Und Krebs-Mittel will die Aktien-Gesellschaft bald ebenfalls in dem Land selber zusammenbrauen.

ÖKONOMIE & PROFIT

BAYER verkauft COVESTRO-Aktien
Im Jahr 2015 gab BAYER die Trennung von seinem Kunststoff-Geschäft bekannt. Unter dem Namen COVESTRO brachte er es an die Börse. Seither reduzierte der Konzern seine Anteile an der ehemaligen Unternehmenssparte peu à peu. Der letzte Verkauf fand im Januar 2018 statt. Der Konzern veräußerte in jenem Monat weitere 10,4 Prozent der Papiere und strich dafür 1,8 Milliarden Euro ein. Momentan hält der Agro-Riese selbst noch 14,2 Prozent des COVESTRO-Kapitals und sein Pensionsfonds weitere 8,9 Prozent. Der Global Player will seine Aktien möglichst schnell losschlagen, weil er für die MONSANTO-Übernahme Geld braucht. Täte der Konzern dies nicht, könnte er nur schwer die Kreditwürdigkeit erhalten, weil die Rating-Agenturen seine Bonität herabstufen würden.

BAYSANTO & MONBAYER

Ernte-Ausfälle durch Dicamba
Das Ackergift Dicamba findet in den USA hauptsächlich in Kombination mit Genpflanzen von MONSANTO, BASF und DUPONT Verwendung, die gegen das Mittel resistent sind. Aber auch der Leverkusener Multi setzt auf die Agro-Chemikalie, die in den Vereinigten Staaten jetzt massive Ernte-Schäden verursacht hat. Sie bleibt nämlich nach dem Ausbringen nicht einfach an Ort und Stelle, sondern verflüchtigt sich. Und vom Winde verweht machte die Substanz sich auf die Reise von den gegen das Mittel resistenten Genpflanzen hin zu den konventionellen Ackerfrüchten, die nicht gegen den Stoff gewappnet waren und deshalb eingingen. Auf einer Fläche von 1,25 Millionen Hektar starben Pflanzen durch das Pestizid ab, das die Konzerne in Ermangelung neuer Herbizid-Wirkstoffe in ihren Labors wieder aus der Mottenkiste geholt hatten. Die Bundesstaaten Arkansas und Missouri verhängten deshalb Sprüh-Verbote. MONSANTO zog dagegen sofort – allerdings vergeblich – vor Gericht und landete in der Sache selber auf der Anklagebank: Geschädigte FarmerInnen reichten nämlich eine Sammelklage gegen das Unternehmen ein. Auch gegen BASF und DUPONT leiteten die Bauern und Bäuerinnen juristische Schritte ein.

RECHT & UNBILLIG

IBEROGAST: BAYER verklagt BfArM
Auch Medikamente auf pflanzlicher Basis wie BAYERs Magenmittel IBEROGAST, das 2013 mit dem Kauf von STEIGERWALD in die Produkt-Palette des Pharma-Riesen gelangte, können es in sich haben. So schädigt der IBEROGAST-Inhaltsstoff Schöllkraut die Leber. Arzneien mit einer hohen Schöllkraut-Konzentration hat das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) deshalb schon aus dem Verkehr gezogen. Vom Leverkusener Multi verlangte es, diese Nebenwirkung auf dem Beipackzettel zu vermerken. Der Konzern lehnte es aber ab, dieser Aufforderung nachzukommen. Für ihn ist die „hohe Sicherheit“ des Präparates „durch eigene Daten vollständig belegt“. Darum zeigt er sich auch nicht bereit, den Widerspruch zurückzunehmen, den STEIGERWALD vor zehn Jahren gegen die Anordnung eingelegt hatte. Und selbst nach dem Scheitern dieses Widerspruchs zeigt das Unternehmen keine Einsicht. „Das Nutzen/Risiko-Profil zu IBEROGAST bleibt unverändert positiv“, behauptet der Global Player in schon aus unzähligen Hauptversammlungen bekannten Worten – und ließ Taten folgen. Er klagte gegen den Stufenplan-Bescheid des BfArMs zur Änderung der Packungsbeilage. Dabei käme das Präparat auch ohne Schöllkraut aus, worauf unlängst der Pharmakologe Gerd Glaeske mit Verweis zwei Studien (Rösch et al. 2002; Madisch et al. 2004) hinwies. Die Weigerung des Pillen-Riesen, vor den möglichen Leberschäden zu warnen, stieß auf massive Kritik. „Dass der Hersteller BAYER das nicht in seine Packungsbeilage aufnimmt und auf seinem Internet-Auftritt im Zusammenhang mit der Einnahme von IBEROGAST während der Schwangerschaft die angeblich ‚gute Verträglichkeit’ des ‚rein pflanzlichen’ Arzneimittels betont, ist ein Skandal!“, meinte etwa die Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen.

XARELTO-Urteil aufgehoben
BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO mit dem Wirkstoff Rivaroxaban hat gefährliche Nebenwirkungen – im Jahr 2016 gingen allein beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) 117 Meldungen über Todesfälle ein. In den USA ziehen deshalb immer mehr Geschädigte bzw. deren Hinterbliebene vor Gericht. Mittlerweile liegen dort 20.500 Klagen vor (Stand: Oktober 2017), und auch in Kanada bahnen sich juristische Auseinandersetzungen an. Nachdem der Leverkusener Multi die ersten vier Prozesse für sich entscheiden konnte, verlor er im Dezember 2017 den fünften. Der „Philadelphia State Court“ gab einer Frau recht, die reklamierte, durch XARELTO schwerwiegende Blutungen erlitten zu haben, und verurteilte den Pharma-Riesen zu einer Strafzahlung in Höhe von 28 Millionen Dollar. Der Konzern ging allerdings in Berufung und konnte sich durchsetzen: Im Januar 2018 hob ein Richter das Urteil wieder auf.

Patent-Streit mit DOW
Bereits seit Langem tobt zwischen dem Leverkusener Multi und DOW CHEMICAL ein Rechtsstreit um bestimmte Gentechnik-Patente. Im Jahr 1992 hatte eine inzwischen vom US-Unternehmen geschluckte Firma vom bundesdeutschen Konzern das Recht erworben, Pflanzen mit Resistenz-Genen gegen das BAYER-Pestizid Glufosinat bestücken zu dürfen. 2007 dann stellte DOW der Firma MS Technologies Sublizenzen zur Nutzung der fünf Patente aus. 2012 ging BAYER dagegen gerichtlich vor und kündigte die Vereinbarung mit der US-amerikanischen Aktien-Gesellschaft. Der bundesdeutsche Agro-Riese brachte den Fall vor das Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer (ICC) und bekam 455 Millionen Dollar zugesprochen. DOW CHEMICAL focht das Urteil vor heimischen Gerichten an, scheiterte aber bisher schon dreimal. Zuletzt lehnte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, der U.S. Supreme Court, die Klage des Agro-Riesen ab.

Patent-Streit mit TEVA
Der Leverkusener Multi gehen routinemäßig gegen Pharma-Hersteller vor, die nach Ablauf der Patent-Frist von BAYER-Pillen erschwinglichere Nachahmer-Produkte auf den Markt bringen wollen. So hofft der Konzern sich die lästige Billig-Konkurrenz möglichst lange vom Leibe halten zu können. Deshalb leitete er auch gegen das Unternehmen TEVA, das eine Generika-Version von STAXYN – der Schmelztabletten-Form der Potenz-Pille LEVITRA – vorbereitet, juristische Schritte wegen Verletzung des geistigen Eigentums ein. Der TEVA-Anwalt William Jay bezeichnete dieses Vorgehen als den „Standard-Versuch eines Pharmazeutika-Herstellers, um die Patentlaufzeit eines profitablen Marken-Produkts zu verlängern“. Die RichterInnen sahen das offenbar ähnlich: Sie wiesen die Klage des bundesdeutschen Global Players ab.

Kritik an STIVARGA-Patent
Erhalten die Konzerne für neue Pharmazeutika ein Patent, so garantiert ihnen das eine Monopol-Stellung und entsprechende Extra-Profite. Andere Firmen dürfen so lange nicht mit dem entsprechenden Wirkstoff experimentieren, bis die Schutzrechte abgelaufen sind. Das behindert den wissenschaftlichen Fortschritt immens. Genau das kritisierte jetzt Dr. David Tran von dem Biotech-Startup FUSTIBAL. Die Firma arbeitet an der Weiterentwicklung gängiger Krebs-Mittel etwa durch die Nano-Technologie und hätte das gerne auch mit BAYERs STIVARGA getan. Aber zu diesem Präparat bleibt der Firma der Zugang versperrt. BAYER kann auf dessen Wirk-Substanz Regorafenib nämlich noch geistiges Eigentum reklamieren, obwohl diese nur ein einziges kleines Fluor-Atom von dem Inhaltsstoff NEXAVARs – dem anderen Tumor-Therapeutikum des Leverkusener Multis – unterscheidet. „Wir glauben, dass das in Rede stehende Patent ungültig ist und den Forschungsgeist behindert“, sagt Tran. Deshalb beantragte er beim „Patent Trial and Appeal Board“ (PTAB) eine Überprüfung des Anspruchs. Dieses Begehr hat das Gremium jedoch abgelehnt.

[A1-Ausbau] Bundesverwaltungsgericht weist Klage ab

CBG Redaktion

Straßen.NRW darf für A1-Ausbau Giftgrab öffnen

Das Bundesverwaltungsgericht hat heute zwei Klagen gegen den Ausbau der Autobahn A1 zwischen Köln-Niehl und dem Autobahn-Kreuz Leverkusen-West abgewisen. Damit machte es für den „Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen“ den Weg frei, im Rahmen der Bau-Maßnahmen BAYERs ehemalige Dhünnaue-Giftmülldeponie wieder zu öffnen. „Es ist unverantwortlich von den RichterInnen, Straßen.NRW Hand an BAYERs Giftgrab legen zu lassen, in dem Millionen Tonnen toxischer Abfälle von Quecksilber über Arsen und Chrom bis hin zu Blei schlummern, und Mensch, Tier und Umwelt damit unkalkulierbaren Gefahren auszusetzen“, kritisiert Jens Wegener von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die Entscheidung.

Für das Fundament der Trasse plant Straßen.NRW, eine Erdschicht von 2,70 Meter Tiefe, die rund 90.000 Kubikmeter Giftmüll birgt, abzutragen. Was das Leipziger Gericht „vertretbar“ nannte, weil „die Risiken, die mit der Öffnung der Altablagerung verbunden sind, hinreichend ermittelt und beurteilt“ worden seien, charakterisierte der Straßenbetrieb bei dem Erörterungstermin Anfang Juli 2016 selbst als einen nur „beschränkt optimierten Eingriff“. Ein Techniker bezeichnete damals stattdessen die Auskofferung des ganzen Giftgrabes ganz offen als die „optimale Gründung“ für die A1. In den Altlasten rumort es nämlich bisweilen noch kräftig. Der organische Anteil des Mülls zersetzt sich, weshalb das Volumen abnimmt und mit Boden-Absenkungen zu rechnen ist. Das tut auch Straßen.NRW. In ihren Planungen gehen die IngenieurInnen vorsichtshalber schon einmal von einstürzenden Neubauten aus. „Eine ggf. erforderliche vorzeitige Instandsetzung des Oberbaus ist berücksichtigt“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Landesbetriebs zu der Einwendung, welche die CBG im Rahmen des Genehmigungsverfahrens bei der Bezirksregierung eingereicht hatte.

Die Coordination plädierte stattdessen immer für eine Tunnel-Lösung. Gegen diese aber opponierte BAYER frühzeitig. Angebliche lasse nur eine oberirdische Streckenführung Gefahrgut-Transporte zu, behauptete der Konzern, was ein Gutachten später widerlegen sollte. Bereits im Juli 2013 schrieb die

CURRENTA, ein Tochter-Untenehmen des Multis, einen Brandbrief an den Bundesverkehrsminister, den Landesverkehrsminister und Straßen.NRW. „Eine Tunnel-Lösung im Verlauf der A1, wie sie derzeit in Leverkusen diskutiert wird, würde sich negativ auf unsere Standorte auswirken“ hieß es in dem Schreiben, das eine eindeutige Forderung enthält: „Im Interesse aller an diesen Standorten produzierenden Unternehmen bitten wir Sie daher, von einer derartigen Planung abzusehen.“ Und die Politik hörte die Signale. Der Ministerialrat Michael Heinze sagte den Managern laut Kölner Stadtanzeiger zu, dass „eine Tunnel-Lösung für Leverkusen nicht vorgesehen sei“. Als „eine fein abgestimmte Vorgehensweise“ apostrophierte Gerd Deimel vom „Verband der Chemischen Industrie“ diesen Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Politik in der WDR-Sendung „Westpol“. Und auf die Frage des Journalisten: „Dann kann man Ihnen natürlich jetzt Lobbyismus vorwerfen“ antwortete er: „Das könnte man tun, ja.“

„Es ist ein Skandal, dass das Leipziger Bundesverwaltungsgericht diese Mauscheleien jetzt höchstrichterlich beglaubigt“, so CBG-Geschäftsführer Jens Wegener. Die Coordination werde sich auch nach dem Urteil gemeinsam mit den Bürgerinitiativen weiterhin für einen Tunnel einsetzen, bekräftigte er.

BAYER-JHV

CBG Redaktion

Aktion & Kritik

Hauptversammlung gestürmt

BAYER-Festung hält nicht stand

Das hatte sich der Leverkusener Multi fein ausgedacht: Er verlegte seine Hauptversammlung kurzerhand von Köln nach Bonn ins „World Conference Center“, um die schon für die Dom-Stadt anberaumten Proteste gegen die MONSANTO-Übernahme auszubremsen. Dort meinte der Konzern, die idealen Standort-Bedingungen für einen AktionärInnen-Treff unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorzufinden. Und für den Rest sollte das Zauberwort „Terror-Gefahr“ sorgen. Aber der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gelang es, die BAYER-Pläne zu durchkreuzen und den Weg für die AktivistInnen freizumachen. Sie rückten unter anderem mit Treckern, einer LKW-Bühne, dem Ungetüm eines historischen Kartoffeldämpfers sowie einer Popcorn-Maschine an und wandelten den „Platz der Vereinten Nationen“ zu einer bunten Bühne für Konzern-Kritik um.

Von Jan Pehrke

„Ob als Bienen verkleidete Aktivisten, die gegen Insektizide protestieren, oder Umweltschützer, die BAYER für die Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikmüll verantwortlich machen: Der Vorstand des Leverkusener Pharma- und Chemiekonzerns ist turbulente Hauptversammlungen gewohnt. Nun ist noch ein Aufreger-Thema dazu gekommen“, schrieb Börse Online. Dabei handelte es sich natürlich um den BAYER-Plan, MONSANTO zu übernehmen und damit zum größten Agro-Konzern der Welt zu werden.
Ein sichtbares Zeichen gegen dieses Vorhaben setzten in Bonn vor dem World Conference Center (WCCB) Bauern und Bäuerinnen von der Organisation MEINE LANDWIRTSCHAFT mit einem historischen Kartoffeldämpfer. Und dieser konnte sich sogar noch von seiner praktischen Seite zeigen: Er diente dazu, Übernahme-Verträge und Patent-Urkunden zu verbrennen. Zudem hatten die LandwirtInnen Traktoren aufgefahren, die aus gegebenem Anlass Transparente statt der sonst üblichen Heuballen aufspießten. Auch zahlreiche andere Initiativen brachten ihren Protest gegen den Mega-Deal zum Ausdruck. Damit nicht genug, stimmten Rede-Beiträge und mexikanische Musik von der LKW-Bühne die rund 300 KundgebungsteilnehmerInnen zusätzlich auf „Stop BAYER/MONSANTO“ ein. Und die Stammgäste der Aktionärs-Treffen durften natürlich ebenfalls nicht fehlen: ImkerInnen, Medikamenten-Geschädigte, GegnerInnen der Kohlenmonoxid-Pipeline und AktivistInnen, die sich gegen die Öffnung von BAYERs Giftgrab „Dhünnaue“ im Zuge eines anvisierten Autobahn-Ausbaus wenden, konfrontierten die Aktien-HalterInnen mit ihren Anliegen.

Rechtsbruch

Aber all das hätte eigentlich nicht sollen sein. Der Leverkusener Multi hatte nämlich vor, die Hauptversammlung (HV), auf der mit der MONSANTO-Übernahme eine der umstrittensten Entscheidungen der Unternehmensgeschichte auf der Tagesordnung stand, unter Ausschluss der kritischen Öffentlichkeit abzuhalten. Dafür hatte der Agro-Riese sein AktionärInnen-Treff extra in den Bonner World Conference Center (WCCB) verlegt. Der Standort-Vorteil des neuen Tagungsortes bestand in den Augen des Konzerns nämlich darin, den Protest gegen den Milliarden-Deal bei entsprechenden Vorkehrungen weit draußen vor der Tür halten zu können. Entsprechend teilte die Polizei der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Woche vor der HV mit, die Kundgebung an dem dafür vorgesehenen Ort nicht zu erlauben und stattdessen ins Niemandsland weit weg vom WCCB-Eingang zu verlegen.
Die Coordination wandte sich sofort an einen Rechtsanwalt und reichte Klagen ein. Der Konzern hielt mit Terror-Gefahr dagegen und spannte dabei den Bogen weit. Von Sprengsatz-Zündungen aus Habgier wie beim Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund über Ankündigungen der CBG, es am 28. April nicht zu einem HV-Business as usual kommen zu lassen, bis hin zu den Rauch-Bläsern, mit denen ImkerInnen auf früheren Hauptversammlungen gegen bienenschädliche Pestizide protestiert hatten (O-Ton BAYER: „Gas-Angriff von Vermummten“), reichte die für die Hauptversammlung vom Unternehmen skizzierte Bedrohungslage.
In der juristischen Auseinandersetzung errang die Coordination dann einen Teilerfolg. Sieben der acht Auflagen der Polizei kippten die Gerichte. Der Bruch der Verfassung – konkret des Versammlungs- und Hoheitsrechts, das die Festsetzung einer Gefahrenlage der Polizei und nicht einem Unternehmen überantwortet – blieb allerdings unbeanstandet. Mit dem Argument, die Sicherheit der AktionärInnen gehe vor, begründete die Gerichtssprecherin Stefanie Seifert die Entscheidung der RichterInnen. „Bedenklich“ nannte hingegen die taz dieses Urteil. Die Zeitung prophezeite: „Jeder Konzern kann sich künftig auf eine drohende Terror-Gefahr berufen, um missliebige Demonstrationen zu verhindern“ und warnte davor, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit den Konzern-Interessen zu opfern.
BAYER aber besaß zu allem Übel auch noch die Dreistigkeit, auf seinem als Bannmeilen-Bollwerk dienenden Zelt, das auf dem Rechtsweg nicht rückbaubar war, ein Transparent mit der Aufschrift „Liebe Demonstranten, nutzt doch mal ‚Fakten statt Vorurteile’“ anzubringen. Der Schuss ging jedoch nach hinten los, denn „Fakten, Fakten, Fakten“ lieferten auf der Hauptversammlung nur die Konzern-KritikerInnen.

26 kritische Redebeiträge

Bevor die Vorstandsriege diese im Saal „New York“ allerdings abholen konnte, hatte sie sich erst einmal mit einer anderen Art der Protest-Kultur auseinanderzusetzen. So wurde die Eingangsrede des BAYER-Vorsitzenden Werner Baumann bereits nach fünf Minuten und auch danach noch mehrfach durch Sprechchöre wie „Ihr vergiftet unsere Böden!“ unterbrochen. Den 2.500 anwesenden AktionärInnen schallte außerhalb und innerhalb der Halle immer wieder die Aufforderung entgegen: „Stimmen Sie mit Nein.“ Zudem enterten zwei DemonstrantInnen das Vorstandspodium; andere AktivistInnen brachten auf der Empore das Transparent „Menschenrechte statt Profite“ an.
Und ab dem frühen Nachmittag folgten dann die Fakten der 26 kritischen BAYER-AktionärInnen. Jan Pehrke vom Vorstand der CBG kritisierte in seiner Rede den Versuch, die HV vor den Protesten abzuschirmen, vehement: „BAYER instrumentalisiert die Terror-Gefahr in infamer Weise.“ Anschließend führte der Journalist dem Publikum das mit dem Kauf von MONSANTO verbundene Schreckensszenario noch einmal drastisch vor Augen. „Käme der Deal vollumfänglich zustande, betrüge der Markt-Anteil beim gen-manipulierten Saatgut weit über 90 Prozent, bei den konventionellen Saaten läge er bei 30 Prozent und bei den Pestiziden ungefähr bei 25 Prozent“, so Pehrke. Anschließend beschrieb er die Risiken und Nebenwirkungen, welche die Transaktion für die LandwirtInnen, VerbraucherInnen, Beschäftigten und Standorte-Städte hätte. Aber zu Ende bringen durfte er seinen Beitrag nicht. Der Global Player hatte da nämlich schon die Redezeit begrenzt und drehte dem CBGler kurzerhand das Mikrofon ab. Aber der Leverkusener Multi hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon viel zur avisierten MONSANTO-Akquisition anhören müssen, und es folgte noch eine Menge nach.
Wohlweislich hatte der Konzern dieses Mal nicht nur wie gewohnt draußen auf alle BAYER-Embleme verzichtet und die Fahnen eingezogen, um nicht zusammen mit ProtestlerInnen fotografiert zu werden, sondern sich auch bei der Dekoration des „New York“-Saals selber auf rein graphische Elemente beschränkt, statt die Bühnen-Wand wie üblich mit seinem Slogan „Science for a better life“ zu schmücken. Der Global Player wollte nämlich den Gegen-RednerInnen keinen Anreiz mehr bieten, auf diese Maxime Bezug zu nehmen und ihr die harte Konzern-Wirklichkeit gegenüberzustellen. Michael Slaby von der Initiative MELLIFERA hielt das jedoch nicht davon ab, sich den Leitspruch dennoch vorzunehmen. „‚Science for a better life’ – mit diesem Slogan wirbt die BAYER AG“, hob er an und fuhr fort: „Meine Frage dazu lautet: Wem verschaffen Sie denn ein besseres Leben mit Ihren Pestiziden, Ihren gentechnisch veränderten Pflanzen und der geplanten Übernahme von MONSANTO? Dem indischen Kleinbauern, der in den Ruin und vielleicht auch den Selbstmord getrieben wird, weil er den hundertfachen Preis für das von MONSANTO patentierte, gentechnisch veränderte Baumwoll-Saatgut sowie die nötigen Pflanzenschutz- und Düngemittel zahlen muss und in eine Schuldenspirale gerät, aus der er nicht mehr herauskommt? Die von der Honig-Produktion lebende indigene Gemeinde in Mexiko, deren Lebensgrundlage durch den Anbau von transgenen ROUND-UP-READY-Sojapflanzen bedroht wird, deren Pollen sich dann im Honig wiederfinden?“
Das, was BAYER als Grund für die geplante MONSANTO-Übernahme angibt, nämlich das Wohl der Welternährung befördern zu wollen, hielt Slaby für eine reine PR-Story. „Habe ich nicht recht, an den Beitrag Ihres Konzern zur Lösung des globalen Hunger-Problems glauben Sie doch selbst nicht. Es handelt sich hierbei doch nur um eine Verschleierungstaktik, um Ihrem Streben nach Kontrolle des globalen Agrarsektors einen noblen Anstrich zu geben. Herr Baumann, wie wollen Sie diesen Eindruck entkräften?“ fragte er.
Markus Arbenz von IFOAM, der weltweiten Bewegung für den biologischen Landbau, pflichtete Slaby bei. „BAYER/MONSANTO arbeiten in Richtung ‚Monopol-Stellung’. 20 Jahre Gentechnologie und Patentierung zeigen, dass wenige Sorten an Hilfsmittel wie ROUND UP (das Pestizid Glyphosat, Anm. SWB) gebunden werden. Biologische Vielfalt verschwindet, das Klima verändert sich und immer noch gehen 800 Millionen hungrig ins Bett“, resümierte der Schweizer.
Das berühmt-berüchtigte Glyphosat setzte nicht nur Arbenz auf die Agenda der HV. Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) legte – gestützt auf Studien – noch einmal eindrücklich dar, warum das Ackergift als „wahrscheinlich krebserregend“ gilt. Heike Moldenhauer vom BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ (BUND) machte derweil auf die zunehmende Unwirksamkeit des Mittels aufmerksam.
Anton Hofreiter von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließlich schilderte in drastischen Worten den Kahlschlag bei Wild-Pflanzen und Insekten, für den dieses Total-Herbizid verantwortlich zeichnet, und führte dem BAYER-Management die Konsequenzen vor Augen. „Mit dem Einbruch der Artenvielfalt zerstören Sie das Netz des Lebens und zerstören damit unsere Lebensgrundlagen mit.“
Seine Partei-Kollegin Renate Künast sprach derweil über die Folgen der im großen Maßstab betriebenen Landwirtschaft, die mit ihren Monokulturen einen Raubbau an den Böden betreibt und mit ihren Pestiziden Mensch, Tier und Umwelt schädigt. Und auch sie ordnete das Argument von BAYER, der Mega-Deal sei nötig, um die Welternährung zu sichern, dem Reich der Mythen zu. Die Politikerin stützte sich dabei auf den Weltagrarbericht, der ganz im Gegensatz zum Leverkusener Multi gerade im Ausbau der kleinbäuerlichen Landwirtschaft eine wirksame Maßnahme zur Sicherung der Lebensmittel-Versorgung sieht.
Renate Künasts Anwesenheit in Bonn hatte einen bestimmten Grund: Sie ist nämlich die deutsche Botschafterin des MONSANTO-Tribunals, das im letzten Herbst in Den Haag stattgefunden und sich vorgenommen hatte, wenigstens ein paar der rechtsfreien Räume zu schließen, die dem US-Unternehmen das Leben so leicht machen.
Die Kritik Baumanns an dem Gremium – von „Schauprozessen“ hatte der BAYER-Chef gesprochen – verbat sich die Grüne ausdrücklich. Sie unterstrich die große Bedeutung dieser Institution für die Verteidigung der BürgerInnen-Rechte gegen die Macht der Konzerne und hob, auf das Russell-Tribunal als Vorläufer des MONSANTO-Tribunals verweisend, die lange zivilgesellschaftliche Tradition hervor, in der die Den Haager RichterInnen stehen.
Deren juristisches Gutachten, das MONSANTO auf der Basis der Vernehmung zahlreicher ZeugInnen wie LandwirtInnen, BiologInnen, MedizinerInnen und TierzüchterInnen den Bruch von UN-Abkommen zum Recht auf Nahrung, auf Gesundheit und auf eine saubere Umwelt nachweist, veröffentlichte die Jury knapp eine Woche vor der BAYER-Hauptversammlung. Und der Tribunal-Mitarbeiter René Lehnherr hatte es passenderweise an dem Freitag aus Den Haag mitgebracht und ließ es Werner Baumann aushändigen.

Nur Profit zählt

Den Vorstandsvorsitzenden focht das alles nicht an. Um dem Vorwurf von Michael Slaby zu begegnen, der Konzern strebe mit der MONSANTO-Übernahme die Kontrolle des gesamten Nahrungsmittelmarktes an, gab Werner Baumann wieder mal den Märchen-Onkel. Der Vorstandsvorsitzende erzählte die wundersame Story vom Weltenretter BAYER, der sich anschickt, das Ernährungsproblem durch ein beherztes „Weiter so“ zu lösen und den Mühseligen und Beladenen mit stabilen Wertschöpfungsketten, der „digitalen Landwirtschaft“ und Produktivitätssteigerungen beizuspringen gedenkt. „Letztlich geht es darum, auch in Zukunft eine große Auswahl an sicheren und qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu erschwinglichen Preisen sicherzustellen“, fasste der Ober-BAYER zusammen und wähnte sich damit aus dem Schneider. Sich direkt an Michael Slaby wendend, plädierte er für Freispruch in eigener Sache: „Das ist im Übrigen (...) das Gegenteil des von Ihnen erhobenen Vorwurfs, den globalen Agrar-Sektor beherrschen zu wollen. Insofern denke ich, dass Ihre Unterstellung jeder Grundlage entbehrt.“
Der konkreten Frage Pehrkes, ob BAYER im Zuge der MONSANTO-Übernahme Preis-Erhöhungen plane oder solche für die nächsten zwei Jahre ausschließen könne, wich Baumann aus. Er kündigte lediglich „eine angemessene Preis-Politik“ an. Um Mehreinnahmen durch solche Manöver gehe es im Übrigen bei dem Deal nicht, sondern um Wachstum und Innovation. Warum der Konzern, wenn ihm Innovationen doch so sehr am Herzen liegen, nicht seinen Forschungsetat auffüllt, anstatt mit dem Geld in den USA auf Shopping Tour zu gehen – darauf blieb Baumann eine Antwort schuldig. Zu möglichen Arbeitsplatzvernichtungen als Folge der Transaktion mochte er wegen schwebender Genehmigungsverfahren ebenfalls nichts sagen, und für die Weigerung, die AktionärInnen zum MONSANTO-Kauf zu befragen, lieferte der BAYER-Boss nur fadenscheinige Begründungen. Dafür war er ganz offenherzig, was das Sparen von Steuern durch den Großeinkauf angeht: „Finanzierungskosten im Zusammenhang mit der Akquisition sind Betriebsausgaben und werden nach den gesetzlichen Regeln in den Ländern, in denen dann diese Zins-Lasten anfallen, auch steuerlich im erlaubten Umfang zum Abzug gebracht.“
Die „Reputationsrisiken“, die einige VertreterInnen von AktionärInnen-Verbänden mit MONSANTO auf den Leverkusener Multi zukommen sahen, wies Baumann nicht von der Hand. Er stellte diese allerdings als „ein Ergebnis massiver Kampagnen“ dar und hielt fest: „Den Machern dieser Kampagnen ist es gelungen, MONSANTO zu einem Symbol zu machen. Für viele ist MONSANTO heute der Inbegriff einer bestimmten Form von Landwirtschaft, die sie ablehnen.“ Als ein Instrument solcher Kampagnen wertete der Ober-BAYER offensichtlich auch das MONSANTO-Tribunal. Dieses hatte es ihm so richtig angetan. Immer wieder kam er darauf zurück. Aus der Tatsache, dass das RichterInnen-Gremium in keine bestehende Rechtsordnung eingebunden ist, weil es diese ja gerade ergänzen und auch Konzern-Verbrechen justiziabel machen will, drechselte Werner Baumann den Vorwurf mangelnder Legitimität. Auch mangelnde Transparenz bei der Finanzierung und Bestallung der JuristInnen monierte er. Deshalb sah der Manager nicht nur keine Veranlassung, sein Unwort für die Einrichtung zurückzunehmen. Er hob es in seiner Antwort auf die Rede von Renate Künast sogar noch einmal ausdrücklich hervor: „Selbsternannte Tribunale und auch politisch vorgeprägte Schauprozesse, und ich erwähne ausdrücklich ‚Schauprozesse’ lehnen wir (...) ab.
Und Werner Baumann sprach auch aus, worum es bei der Übernahme wirklich geht. Der Konzern will ihm zufolge durch den Erwerb von MONSANTO „langfristig erheblichen zusätzlichen Wert schaffen“. Nähere Ausführungen zum Profit-Prinzip im Allgemeinen machte der Konzern-Chef in seiner Antwort auf eine entsprechende Frage von Felix Pohl, der für die BONNER JUGENDBEWEGUNG sprach und in seiner Rede zusätzlich zu den Risiken und Nebenwirkungen von Pestiziden auch die ökonomischen Antriebe des Unternehmens auf die Tagesordnung setzte. „Sie wollten (...) wissen, warum der Profit, also der Gewinn, eine wichtige Planziffer ist“, mit diesen Worten wandte Baumann sich an Pohl und begann dann BAYERs Version des „Kapitals“ zu erzählen. In seiner Darstellung mutierte dieses zu einer veritablen sozialen Veranstaltung. „Ohne Gewinne können wir weder Gehälter an Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bezahlen, neue Produkte entwickeln noch soziale oder auch karikative Projekte (...) fördern und finanzieren. Gewinne sind also das Ziel einer jeden unternehmerischen Tätigkeit, und das ist auch gut so“, soweit seine Mär zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen von BAYERs wundersamer Geldvermehrung.
Problem-Felder jenseits der beabsichtigten MONSANTO-Übernahme benannte an diesem Tag jedoch nicht nur Pohl. Zahlreiche weitere kritische AktionärInnen schrieben die Schadensbilanz der glänzenden Geschäftsbilanz fort. So ganz nebenbei machten sie damit auch deutlich, dass BAYER und MONSANTO in dem Schmieren-Stück keinesfalls als „Die Schöne und das Biest“ auftreten und es bei der Transaktion deshalb nicht darum geht, dass eine kleine nette Firma von nebenan beabsichtigt, einen bösen, großen US-Konzern zu resozialisieren. Von risiko-reichen Projekten wie der Kohlenmonoxid-Pipeline über gesundheitsschädliche Chemikalien und bienengefährliche Ackergifte bin hin zu BAYERs Politik der doppelten Standards in der „Dritten Welt“ reichten die neuerlichen Einträge ins „Schwarzbuch BAYER“.
Besonders beeindruckten dabei wie jedes Jahr die Medikamenten-Geschädigten mit ihren Leidensgeschichten, weil diese Menschen eine personifizierte Anklage an den Konzern sind. Auf deren Beiträge reagierte der neue BAYER-Vorstandsvorsitzende Baumann wie die alten Konzern-Chefs: zynisch und kaltschnäuzig. Egal wie groß und schlimm die angeprangerten Gesundheitsschäden auch waren, immer stellte er dem in Rede stehenden Medikament eine positive „Risiko/Nutzen-Bilanz“ aus. Und ebenso wie seine Vorgänger verweigerte er den Geschädigten eine Entschuldigung. Deutlich wurde einmal mehr: Beim Global Player ist einzig der Profit entscheidend. Solange Produkte trotz Entschädigungszahlungen und Prozesskosten noch Gewinne bringen, gibt es für das Unternehmen keinen Anlass, sie vom Markt zu nehmen.
Nur konsequent also, wenn die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN das Diktat der Profite brandmarkt und einmal mehr fordert, dass BAYER unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt werden muss und dabei auf die Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen verweist, die eine solche Möglichkeit durchaus vorsieht.

Viele Gegenstimmen

Bei den Abstimmungen zur Gewinn-Verteilung und zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zeigte sich, dass die menschenverachtende Haltung der BAYER-Verantwortlichen nicht nur von den Kritischen AktionärInnen verurteilt wird. Mehrere Hundert KleinaktionärInnen unterstützten die CBG bereits im Vorfeld der Hauptversammlung und übertrugen Zehntausende von Aktien. Und im Saal selbst votierten viele Zehnmillionen Aktien zu den verschiedenen Tagesordnungspunkten mit den Kritischen AktionärInnen für ein „Nein“. Auf besonders viel Ablehnung stießen dabei die Vorschläge des Konzerns zur Besetzung des Aufsichtsrats. Das Ansinnen des Unternehmens, dem ehemaligen ALLIANZ-Manager Paul Achleitner zu einer vierten Amtsperiode zu verhelfen und damit seinen eigenen, gerade erst eingeführten Regel-Kodex zu brechen, der eigentlich ein Aus nach drei Runden vorsieht, straften viele AktionärInnen ab. Auch an Colleen A. Goggins fanden sie keinen rechten Gefallen, hatte die Dame bei ihrem früheren Arbeitgeber JOHNSON & JOHNSON doch ihren Posten räumen müssen, weil sie einen Skandal um Arzneien, die mit Metallspänen und Bakterien verunreinigt waren, vertuschen wollte. Selbst beim Antrag der Coordination, die Gewinnausschüttung auf zehn Cent zu begrenzen und die Milliarden stattdessen für Umweltschutz, Menschenrechte, soziale Sicherheit sowie für eine gerechte Entschädigung der BAYER-Opfer einzusetzen, stimmten noch knapp eine Millionen Aktien mit der CBG.
Entsprechend zog die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN eine andere Bilanz als die Wirtschaftspresse: Angesichts der Tatsache, dass einige wenige GroßaktionärInnen mit ihrem gigantischen Besitz von Hunderten Millionen Aktien regelmäßig für satte Mehrheiten und für die Ausschüttung immer neuer Rekord-Dividenden sorgen, sind die NEIN-Ergebnisse von Tausenden KleinaktionärInnen, die mit der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) stimmten, ein beachtliches Signal gegen das Diktat des Profits und für Umweltschutz, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. So hatte die ganze Veranstaltung für die ManagerInnen des Unternehmens noch nicht einmal einen versöhnlichen Abschluss – eine Erfahrung, die zunehmend auch ihre KollegInnen von anderen Aktien-Gesellschaften machen, wie die Faz festhält. Konnten sich die Bosse früher nach den ganzen Gegen-Reden auf eines verlassen: „Wenn die abendliche Abstimmung naht, hat der Vorstand meist hohe Zustimmung sicher“, geht der Zeitung zufolge auch diese Gewissheit „zunehmend verloren“.
Trotz aller Anstrengungen, den Protest kleinzuhalten, musste der BAYER-Konzern also am 28. April auf allen Ebenen realisieren, wie groß und breit der Widerstand gegen seinen Übernahme-Coup ist. „So turbulent war eine Hauptversammlung von BAYER noch nie“, urteilte beispielsweise die Rheinische Post. Damit markierte der Tag den Höhepunkt einer ganzen Aktionswoche. Sie begann am 25. 4. mit einer Kick-Off-Veranstaltung in der Bonner Universität. Das unter anderem mit VertreterInnen der Gewerkschaftsjugend, der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT, der von Vandana Shiva ins Leben gerufenen Initiative NAVDANYA und der CBG besetzte Podium beleuchtete noch einmal die ganzen Probleme des agro-industriellen Komplexes und zeigte Alternativen auf. Zwei Tage später nahm ein Townhall Meeting an der Universität Köln die Diskussion wieder auf und hob sie auf eine internationale Ebene. So berichtete etwa der ehemalige Präsident der paraguayischen Saatgut-Behörde, Miguel Lovera, aus erster Hand über das gegenwärtige Landwirtschaftsmodell. Dieses zwingt sein Land zum Anbau von „cash crops“ für den Export und verdrängt Nahrungsmittel-Pflanzen von den Äckern, so dass Lebensmittel importiert werden müssen. Der australische Öko-Bauer und Präsident von IFOAM ORGANICS INTERNATIONAL, Andre Leu, machte indes Mut. Er wertete die gegenwärtigen Turbulenzen in diesem Sektor mit seinen ganzen Übernahmen und Fusionen als ein Zeichen für die Schwierigkeiten des Agrar-Business’ und sah die Chancen für eine Landwende steigen. Auf diese Weise eingestimmt, schritten dann am nächsten Tag alle in Bonn zur Tat. Doch damit nicht genug: Am 29. April formierte sich Widerstand gegen den Mega-Deal auch in Berlin: Rund 400 Menschen nahmen in der Bundeshauptstadt an der „Stop BAYER/MONSANTO“-Demo teil.

So gelang der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und ihren zahlreichen Kooperationspartnern mit der „Stop BAYER/MONSANTO“-Kampagne ein großer Erfolg, der Mut macht für den weiteren Weg.

Kasten

  • 1

Schamlose Profite
Eine BAYER-Aktie hat am Kapital des Konzerns einen Anteil von 2,56 Euro. Auf jede Aktie wurde eine Dividende von 2,70 Euro ausgeschüttet. Das entspricht einer Kapitalrendite von sage und schreibe 105,5 Prozent. Um diese Schamlosigkeit in der Öffentlichkeit zu verschleiern, wählt der Global Player als Berechnungsgrundlage jedoch den jeweils aktuellen Kurswert seiner Aktie. Dieser beträgt zurzeit etwa 113 Euro. Damit fällt die Dividende – HokusPokus - auf lediglich 2,4 Prozent.

Kasten

  • 2

Abstimmungsergebnisse
BAYER hat ca. 360.000 AktionärInnen, doch die Abstimmungen auf den Hauptversammlungen des Konzerns dominieren wenige GroßaktionärInnen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.). Sie sorgen für sichere Mehrheiten von 90 Prozent plus. Die vielen hunderttausend KleinaktionärInnen hingegen besitzen zusammen lediglich fünf bis 10 Prozent der Aktien. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse für die Kritischen AktionärInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bei BAYER. Mehrere Hundert KleinaktionärInnen unterstützten die CBG und brachten 25 Tsd. Aktien zur HV 2017 mit. Damit wird deutlich, dass auf dem AktionärInnen-Treff mehrere Tausend KleinaktionärInnen mit der CBG gestimmt haben müssen, um die dokumentierten Stimmergebnisse zu erzielen.

Von anwesenden 489 Mio. Aktien (je Aktie eine Stimme) stimmten bei den einzelnen Tagesordnungspunkten
mit Nein:

Gewinn-Verwendung
Nein-Stimmen 888.293 (0,1 %)

Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen 15.495.950 (3,3 %)

Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 21.760.129 (4,7 %)

Wahlen zum Aufsichtsrat
Nein-Stimmen: je Kandidat/in bis zu 80 Mio. Aktien bzw. 16,9 %

BAYER-JHV-Gegenreden

CBG Redaktion

Aktion & Kritik

Schuldig in 26 Fällen

Das BAYER-Tribunal

Rekord eingestellt: Wie schon im vergangenen Jahr boten auch 2017 wieder 26 Gegen-RednerInnen dem BAYER-Management Paroli und dominierten so die Hauptversammlung. Und nicht nur gegen die geplante MONSANTO-Übernahme trugen sie gewichtige Argumente vor. Von gefährlichen Infrastruktur-Projekten wie der Kohlenmonoxid-Pipeline und den Risiken und Nebenwirkungen von Pestiziden über die Geschäftspolitik des Konzerns in Ländern der sogenannten Dritten Welt bis hin zu gesundheitsschädlichen Chemikalien und Medikamenten reichte ihr Themen-Spektrum.

Von Jan Pehrke

In früheren Zeiten zelebrierten die BAYER-Hauptversammlungen geschlossen das Hochamt für den Profit. Ab 1983 änderte sich dies allerdings. Von da an brachte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ketzerische Töne in die AktionärInnen-Treffen ein. Und seit geraumer Zeit fallen mehr und mehr vom Glauben ab und entweihen so die heiligen Hallen weiter: Die Zahl der vor die Mikrofone tretenden Konzern-KritikerInnen übersteigt diejenige der Konzern-LaudatorInnen verlässlich um ein Vielfaches. Wovon aber die CBG nach der letzten HV selbst kaum zu träumen wagte, wiederholte sich 2017: Wieder meldeten sich 26 Gegen-RednerInnen zu Wort.
Viele von ihnen widmeten sich der von BAYER geplanten Übernahme von MONSANTO. Aber auch andere Risiken und Nebenwirkungen des agro-industriellen Komplexes standen auf der Tagesordnung wie z. B. die Gefahren, die von Pestiziden ausgehen. Die Brasilianerin Verena Glass, die für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo arbeitet und sich in einer Initiative gegen Agro-Chemikalien engagiert, berichtete vom verheerenden Ausmaß des Gift-Einsatzes in ihrem Land. Nirgendwo auf der Welt bringen die LandwirtInnen so viele Pestizide aus wie in Brasilien. In einigen Regierungsbezirken sind es rund 400 Liter pro EinwohnerIn. Mit entsprechenden Folgen: In den Teilen des Staates mit einer intensiv betriebenen Landwirtschaft übertreffen die Krebsraten diejenigen der Gebiete ohne endlose Mais- und Soja-Felder um ein Vielfaches.

Doppelte Standards

Einen nicht geringen Anteil an den vielen Krankheitsfällen haben ganz bestimmte Ackergifte. Vielfach handelt es sich dabei nämlich um solche, die wegen ihrer Gefährlichkeit in der Europäischen Union gar nicht mehr zugelassen sind oder es nie waren, wie Carbendazim, Cyclanilide, Disulfoton, Ethiprole, Ethoxysulfuron, Ioxynil, Thiadiazuron oder Thiodicarb. Christian Russau vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE brachte dies der Hauptversammlung zu Gehör. Als Beispiel nannte er den Wirkstoff Thiodicarb: Während die EU die Substanz gar nicht erst zuließ und die USA sie aus dem Verkehr zogen, vertreibt der Leverkusener Multi Thiodicarb in Brasilien ohne Rücksicht auf Verluste unter dem Namen LARVIN. Ein klarer Fall von doppelten Standards also, was BAYER jedoch abstreitet. Von Russau schon vor der HV um eine Stellungnahme zum Sachverhalt gebeten, fand der Konzern eine originelle Erklärung für „die feinen Unterschiede“, die er beim Verkauf seiner Produkte macht. Der Agro-Riese begründete sie mit den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort, „was die lokal angebauten Kulturen, Böden, Vegetationszonen, Anbau- und Klimabedingungen sowie das Auftreten von Schadinsekten, Unkräutern und Pflanzen-Krankheiten angeht“. Da Kaffee, Reis und Zuckerrohr in Europa kaum heimisch wären, wären es die dafür benötigten Agro-Chemikalien auch nicht, weshalb der Global Player für sie in Brüssel – „auch aus wirtschaftlichen Gründen“ – keine Zulassung beantragt habe. „Tja, so kann man das auch formulieren. Wenn man will. Statt ‚verboten’ sagen Sie einfach, BAYER habe für diese Mittel keine Zulassung in europäischen Ländern beantragt“, resümierte Russau.
Auch in Indien befleißigt sich die Aktien-Gesellschaft doppelter Standards, wie Sarah Schneider von MISEREOR mit Verweis auf Vorort-Recherchen des EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR) monierte. So vermarktet der Leverkusener Multi das Ackergift NATIVO (Wirkstoffe: Trifloxystrobin und Tebuconazole) dort ohne den Warnhinweis an Schwangere, dass es werdendes Leben schädigen kann, während sich ein entsprechender Vermerk in Europa auf jeder Packung findet. Weil BAYER damit gegen internationale Handelsrichtlinien und das bundesdeutsche Pflanzenschutz-Gesetz verstößt, hatte das ECCHR bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen – allerdings erfolglos – eine Klage eingereicht. Und auch die indischen Behörden ermitteln in der Sache, teilte Schneider mit.
Zudem vernachlässigt es der Konzern dem ECCHR zufolge, die LandwirtInnen im Umgang mit den Mitteln zu schulen und sie über Sicherheitsvorkehrungen wie etwa das Tragen von Schutzkleidung zu informieren. Darum reiste im April 2017 eine Gruppe von FAO-ExpertInnen nach Neu Delhi und konfrontierte BAYER mit unangenehmen Fragen. „Gibt es bereits Empfehlungen vom Gremium?“ und „Wurden bereits Maßnahmen getroffen, um die möglichen Verletzungen des internationalen Kodex und der indischen Gesetzgebung zu beheben und in Zukunft zu vermeiden?“, wollte Schneider deshalb von Werner Baumann wissen.
Der Vorstandsvorsitzende beließ es allerdings bei vagen Auskünften. Es „wurde die Intensivierung von Schutzmaßnahmen diskutiert“ beispielsweise durch „die Zurverfügungstellung persönlicher Schutzkleidung“, teilte er mit und darüber gesprochen, „wie Kleinbauern in Indien noch besser in der effizienten und sicheren Anwendung von Pflanzenschutzmitteln trainiert werden können.“ Den LandwirtInnen wichtige Informationen über die Risiken und Nebenwirkungen von NATIVO vorenthalten zu haben, stritt er Schneider gegenüber schlicht ab: „In Bezug auf unsere Produkte folgen wir dem internationalen Verhaltenskodex der Welternährungsorganisation FAO.“
Eine besonders gefährliche Eigenschaft von Pestiziden wie NATIVO besteht darin, hormon-ähnlich zu wirken. Sie sind deshalb imstande, den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderzuwirbeln und Krebs, Diabetes, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit sowie andere Gesundheitsstörungen auszulösen. Wie diese sogenannten endokrinen Disruptoren das genau machen, legte der Kinderarzt Gottfried Arnold dar. „Stellen Sie sich einen werdenden Jungen in einem Schwangerschaftsalter von ca. acht Wochen vor: Er ist wenige Gramm schwer und ca. drei Zentimeter lang. Jetzt schon beginnen seine eigenen winzigen Hoden die Menge von männlichem Geschlechtshormon zu bilden (...) Bringen die östrogen-artig wirkenden Fremdhormone in dieser frühen Phase dieses System aus dem Gleichgewicht, kann es einerseits zu Fehlbildungen der Geschlechtsorgane wie z. B. Hodenhochstand oder Fehlmündung der Harnröhre kommen. Andererseits kann sich statt eines männlichen ein weibliches Gehirn entwickeln mit der Folge der Störung der sexuellen Identität.“
Auf einer von der EU erstellten und nicht einmal vollständigen Liste mit Pestiziden, welche diese hormonellen Effekte haben, befinden sich elf von BAYER, rechnete Susanne Smolka vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) der Vorstandsregie vor: „Das sind 34 Prozent!“ Und damit nicht genug, stellt der Konzern auch noch andere Produkte wie etwa die Industrie-Chemikalie Bisphenol A her, die unter die Kategorie „Pseudo-Hormone“ fallen. Bereits seit 2009 schickt sich die Europäische Union an, für diese Stoffe strengere Regelungen zu treffen bzw. sie ganz aus dem Verkehr zu ziehen, aber da ist der Leverkusener Multi vor, wie die PAN-Mitarbeiterin berichtete. „Wir wissen, dass sich die BAYER AG aktiv dafür eingesetzt hat, dass die Umsetzung dieser demokratisch vereinbarten Regelungen über Jahre von der EU-Kommission verschleppt wurden“, so Smolka.
Das stellte BAYER-Chef Baumann jedoch in Abrede: „Unternehmen und Verbände haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass eine Regulierung sogenannter endokriner Disruptoren selbstverständlich notwendig ist.“ Lediglich über den Weg dahin, „zu praktikablen Regulierungskriterien zu gelangen, die es erlauben, die wirklich relevanten Substanzen auch sicher zu identifizieren“, bestände nicht immer Einigkeit zwischen Industrie, Politik und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen, behauptete er.

Bienensterben

Großen Raum nahm auf der Hauptversammlung wieder ein weiterer bitterer Effekt vieler Pestizide ein: Ihre bienenschädliche Wirkung. Gleich vier ImkerInnen hatten den Weg nach Bonn gefunden, um die verhängnisvollen Folgen der BAYER-Produkte PONCHO (Wirkstoff: Clothianidin) und GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) zu beschreiben. Diese Ackergifte aus der Gruppe der Neonicotinoide können nämlich eine ganze Kettenreaktion in Gang setzen. Heike Holzum führte dies den AktionärInnen vor Augen. Die Bienenzüchterin machte ihnen deutlich, wie immens wichtig die Bienen für die Bestäubung der Nutzpflanzen und somit für die Ernten sind. Mit ihnen steht also auch die Zukunft der Nahrungsmittel-Versorgung auf dem Spiel. Die EU hat PONCHO & Co. nicht zuletzt deshalb mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt. Dagegen klagt der Leverkusener Multi allerdings, hält er doch seine Mittel für unschuldig am Bienensterben. Zum Beweis verweist der Konzern dabei unter anderem auf eine neue Studie mit dem Saatgutbehandlungsmittel PONCHO. An deren Seriösität meldete Holzum allerdings massive Zweifel an. Auch ihre Kollegin Annette Seehaus-Arnold, die Vorsitzende des ImkerInnen-Kreisverbandes Rhön-Grabfeld, kritisierte die Untersuchung, die in Mecklenburg-Vorpommern stattfand. Ihrer Ansicht nach produziert bereits das Studien-Design entlastende Resultate. So waren etwa auch die Bienen aus der Kontrollgruppe Ackergiften ausgesetzt, was einen seriösen Vergleich massiv erschwert. Trotz dieser günstigen Bedingungen konnten die ForscherInnen die Pestizid-Effekte allerdings nicht ganz negieren. So maßen sie einen Clothianidin-Rückstand im Nektar von 3,5 Mikrogramm/kg. Das alles hielt den BAYER-Manager Dr. Richard Schmuck jedoch nicht davon ab, Entwarnung zu geben: „Die Ergebnisse zeigen, dass die früher behördlich zugelassene Behandlung von Raps-Saatgut mit Clothianidin Honigbienenvölkern und den getesteten Wildbienen-Arten keinen Schaden zufügt.“ Schleierhaft blieb Seehaus-Arnold eine solche Schlussfolgerung.
Markus Bärmann versuchte indessen, BAYER schon aus einem Eigeninteresse heraus zu einer Umkehr in Sachen „Neonicotinoide“ zu bewegen. Bienenwachs ist nämlich ein wichtiger Grundstoff für die pharmazeutische Industrie, und eine Verunreinigung kann doch eigentlich nicht im Interesse des Produzenten liegen, meinte der Imker. Christoph Koch vom „Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund“ legte derweil den Zusammenhang zwischen der durch eine Milbe übertragenen Bienenkrankheit Varroatose, welche der Konzern immer für die Dezimierung der Bestände verantwortlich macht, und der Ausbringung von PONCHO & Co. dar. Durch deren Einwirkung sinkt nämlich die Brutnest-Temperatur, was die Vermehrung des Parasiten beflügelt. „Seit die Neonics verwendet werden, gehen unsere Bienen an der Varroa kaputt“, hielt er fest.
Aber der Imker, der schon zum neunten Mal bei einer BAYER-Hauptversammlung sprach, erweiterte diesmal die Perspektive. Koch kritisierte nicht nur das ganze Konzept der durchindustrialisierten Landwirtschaft, wobei er überraschenderweise sogar Unterstützung von Seiten der „Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft“ in Anspruch nehmen konnte, sondern griff auch das dahinterstehende Prinzip an: „Meine Damen und Herren Aktionäre, bei meinen Reden ging es immer nur um die Bienen. Das, was BAYER mit uns Menschen macht, weil es bei den Aktien immer nur ums Geld geht, sogar um sehr viel Geld, das ist das wirklich Schreckliche! Die Honigbienen sind nur der Anfang.“
Werner Baumann jedoch leugnete bereits den reinen Tatbestand des Bienensterbens. Er hatte stattdessen sogar eine wundersame Vermehrung der Bestände um 60 Prozent ausgemacht. Und auf die Pestizide aus seinem Hause ließ er auch nichts kommen: „Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass Neonicotinoide keine Gefahr für die Bienengesundheit darstellen, wenn sie ordnungsgemäß angewendet werden.“

CO & Co.

Aber nicht nur mit Pestiziden bedroht BAYER Mensch, Tier und Umwelt, und nicht nur bei den Agro-Chemikalien leugnet der Konzern diesen Tatbestand. Gottfried Arnold, der in seiner Rede neben dem Gefahren-Potenzial von Ackergiften unter anderem auch dasjenige der Kohlenmonoxid-Leitung des Unternehmens thematisierte, musste diese Erfahrung machen. Nachdrücklich warnte der Kinderarzt vor der Inbetriebnahme des zwischen den Standorten Dormagen und Krefeld verlaufenden Röhrensystems. „Wissen die Aktionäre, welches Hochrisiko-Projekt Sie betreiben mit einer Giftgas-Pipeline, die eine so schlechte Leck-Erkennung hat, dass Hunderte oder Tausende verletzt oder getötet sein könnten, bevor der erste Alarm in der BAYER-Sicherheitszentrale ausgelöst werden kann?“, fragte er.
Dieter Donner, der Presse-Koordinator der Stopp-BAYER-CO-Pipeline-Initiativen, appellierte ebenfalls eindringlich an den Vorstand, von dem Projekt abzulassen: „Bei dem Giftgas CO, das schon mit der Menge eines Weinglases – das sind 100 Milliliter – eingeatmet einen erwachsenen Menschen ohnmächtig und bewegungsunfähig macht und letztlich tötet, sind Transporte unverantwortlich.“ Donner plädierte deshalb dafür, den „ehernen Grundsatz der Chemie“ zu befolgen und die Substanz vor Ort zu produzieren. Auch nach der Weigerung des Bundesverfassungsgerichts, die Verfassungsgemäßheit des Gesetzes, das den Weg für die Pipeline freimachte, zu überprüfen, sieht er keine Zukunft für das Vorhaben. Seiner Meinung nach wird die Entscheidung der Karlsruher RichterInnen, den Fall wieder dem Oberverwaltungsgericht Münster zu übergeben, das Verfahren noch weiter verzögern. Zudem hat Donner zufolge „noch immer das Urteil aus dem Jahr 2011, in dem das Projekt als rechtswidrig (...) beurteilt wurde“, Bestand. Mit Verweis auf den damals von den RichterInnen nicht akzeptierten Antrag, die zahlreichen die Sicherheit zusätzlich gefährdenden Abweichungen vom genehmigten Plan, die sich im Zuge der Arbeiten ergaben, nachträglich abzusegnen, bezeichnete er die Kohlenmonoxid-Leitung als „Schwarzbau“.
Der BAYER-Chef tat jedoch so, als ob er mit alldem nichts mehr zu tun habe. Weil der Leverkusener Multi im Begriff ist, sich von seiner Kunststoff-Sparte zu trennen, gliederte er die Fragen nach der Sicherheit der Kohlenmonoxid-Leitung gleich mit aus. Obwohl der Konzern aktuell noch 44,8 Prozent der Anteile an dem Geschäft mit Plaste & Elaste hält, betonte Werner Baumann, „dass die CO-Pipeline ein Projekt des rechtlich unabhängigen Unternehmens COVESTRO ist, so dass wir uns dazu nicht im Detail äußern können“. Ganz entrückt erschien ihm das Röhren-Werk schon. Auskünfte dazu musste er angeblich bei der BAYER-Tochter einholen. Was er dort zur Gefährlichkeit des Vorhabens vernahm, beruhigte ihn aber völlig. „Insofern sehen wir das von ihnen angedeutete Risiko nicht“, beschied der Ober-BAYER Gottfried Arnold scheinheilig.
Ein anderes umstrittenes Infrastruktur-Projekt setzte Michael Aggelidis von der Partei „Die Linke“ auf die Agenda der Hauptversammlung. Der Bonner Rechtsanwalt sprach über den Plan, die Autobahn A1 in Leverkusen auf bis zu 12 Spuren zu erweitern und eine neue Rheinbrücke zu errichten, was es nötig macht, BAYERs erst zur Landesgartenschau 2005 einigermaßen abgedichtetes Giftgrab „Dhünnaue“ wieder zu öffnen. Als hochgefährlich empfand es der Jurist, die Totenruhe von Quecksilber, Arsen, Chrom, Blei & Co. zu stören – und unnötig noch dazu. Es gibt ihm zufolge nämlich die Alternative, den Verkehr statt über eine Mega-Brücke unterirdisch durch einen Tunnel zu führen und so die Deponie unangetastet zu lassen.
Vom BAYER-Chef erbat Aggelidis die Information, wie er die Altlasten denn zu entsorgen gedenke und wer im Falle des Falles die Haftung für Kontaminationen übernimmt. Der Angesprochene fühlte sich aber wieder mal nicht zuständig. „Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Landesbetrieb Straßenbau NRW, ist hier Bauherr. Daher müssen Fragen zu eventuellen Haftungen dorthin und nicht an BAYER gerichtet werden. Auch zu Fragen der Abfall-Entsorgung sowie Teil-Abtragung von Abfällen sind die zuständigen Behörden in diesem Fall die richtigen Ansprechpartner.“ Ansonsten versicherte Werner Baumann, Straßen.NRW bei den Neubau-Planungen nach Kräften zu unterstützen. In der Diskussion um „Tunnel oder Stelze“ schien er sich zunächst nicht positionieren zu wollen. „Entgegen Ihrer Annahme haben wir selber keine favorisierte Variante“, teilte er dem kritischen Aktionär mit, um dann jedoch zu einem „aber“ anzuheben: „Aber wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit des Gefahrgut-Transportes gewährleistet sein muss“. Und das sieht der Global Player eben bei einem Tunnel nicht gewährleistet. Obwohl ein Gutachten für ein solches Unterfangen unlängst praktikable Vorschläge machte, mochte das Unternehmen die Ergebnisse nicht akzeptieren. „Für uns ist wichtig, dass der Gefahrgut-Verkehr über eine Autobahn-Trasse möglich ist“, erklärte ein Sprecher von BAYERs Tochter-Firma CURRENTA im März 2017.

Bittere Pillen
Gewohnt umfangreich fiel bei der Hauptversammlung auch wieder die Schadensbilanz von BAYERs Pharma-Sparte aus. Den ersten Eintrag nahm der Internist Dr. Jan Salzmann aus Aachen vor. Er widmete sich in seiner Rede dem Gerinnungshemmer XARELTO und schilderte die Probleme, die dieses Medikament in der Praxis bereitet. Weil Blutungen zu den häufigsten Nebenwirkungen der Arznei gehören und es dafür kein Gegenmittel gibt, zögern die Krankenhäuser Operationen von XARELTO-PatientInnen oftmals aus Angst vor Komplikationen hinaus, obwohl die Eingriffe eigentlich dringlich wären, informierte der Mediziner. Schon an den Zulassungsstudien erhob er Zweifel, hatte der Leverkusener Multi die ProbandInnen doch handverlesen und nur Personen unter 70 Jahre mit gesunden Nieren ausgesucht, um positivere Resultate zu erreichen. „Post-faktisch“ nannte Salzmann daher, was der Global Player gerne unter „Science for a better Life“ subsummiert. Und der Mediziner wusste auch, warum der Konzern zu solchen lebensgefährlichen Tricks greift: aus reiner Profit-Gier.
Es war dann eine Betroffene selbst, die die Schadensbilanz fortschrieb. Dr. Beate Kirk schilderte ihre Erfahrungen mit dem levonorgestrel-haltigen Verhütungsmittel MIRENA. „Mein Fazit: Für meine Psyche war die Verwendung der Hormonspirale eine Katastrophe. Wie viele andere Frauen litt ich unter der Hormonspirale an heftigen Depressionen, weder Antidepressiva noch Gesprächstherapie halfen. Erst nach dem Entfernen der Hormonspirale ging es ständig aufwärts“, so Kirk. Den verkaufsfördernden Verweis auf die lediglich lokale Wirkung der MIRENA muss BAYER mittlerweile in Anführungszeichen setzen, merkte die Apothekerin an. Auch räumt der Konzern ihr zufolge inzwischen selber ein, dass sich das Levonorgestrel im Blutkreislauf nachweisen lässt. Allerdings ist diese Kunde noch längst nicht bis zu allen FrauenärztInnen vorgedrungen, und Beate Kirk ahnte auch schon, weshalb: „Ich persönlich frage mich, welche Informationen die Pharma-Referenten des Arzneimittel-Herstellers den Mitarbeitern der gynäkologischen Praxen vermitteln.“
Natürliche nur „sachliche, wissenschaftliche Informationen“, vermeldete Werner Baumann. Ansonsten ging er bei der Konfrontation mit einer Pharma-Geschädigten wieder nach dem alten Muster vor. Er drückte ob der erschütternden Krankengeschichte sein Mitgefühl aus, blieb in der Sache aber hart. „Wir bedauern es sehr, dass Sie persönlich eine Beeinträchtigung ihrer Gesundheit erlitten haben, die Sie in Zusammenhang mit der Verwendung unseres Produktes bringen. Das Nutzen/Risiko-Profil von MIRENA ist allerdings positiv“, so der Ober-BAYER. Nur leider musste der Manager einräumen, dass die Aufsichtsbehörden sich dieses Profil derzeit genauer anschauen – und zwar gerade im Hinblick auf die von Beate Kirk so leidvoll erfahrene Nebenwirkung „Depression“.
Thomas Gabel buchte dann den nächsten Posten in die Schadensbilanz ein. Er sprach für die Betroffenen des AIDS-Skandals der 1980er Jahre. Damals hatten BAYER & Co. Blutprodukte auf den Markt gebracht und sich aus Profit-Gründen gespart, die Präparate Virus-Inaktivierungsverfahren zu unterziehen. In der Folge infizierten sich Gabel und Zehntausende Bluter sowie andere auf Blutkonserven angewiesene PatientInnen mit AIDS und/oder Hepatitis-C. „Wie wurden in der BAYER AG die Verantwortlichen für die HIV-Infektionen zur Rechenschaft gezogen?“, wollte der Bluter deshalb vom Vorstand wissen. Er zählt zu den nur noch 550 Überlebenden in der Bundesrepublik. Oftmals können sie nicht mehr voll oder gar nicht mehr arbeiten und sind deshalb auf das – magere – Zubrot der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ angewiesen. An der Gründung dieser Einrichtung im Jahr 1995 hatten sich BAYER und andere Unternehmen beteiligt. Aber die Kranken lebten länger, als die Konzerne einkalkuliert hatten, und so versuchten sie in der Folge permanent, ihren Anteil am Etat zu drücken. Auch in diesem Frühjahr liefen wieder Verhandlungen mit der Bundesregierung, die sich schwierig gestalteten. Darum fragte Gabel: „Warum gibt es von Seiten der BAYER AG noch immer keine konkrete Zusage für Zustiftungen in den nächsten Jahren?“
„Wir sind mit dem Gesundheitsministerium in konstruktiven Gesprächen über die weitere Beteiligung der Pharma-Industrie an der Sicherung der Zukunft der Stiftung“, antwortete ihm Werner Baumann – wider besseren Wissens. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich der Ausstieg der Konzerne aus dem Hilfsfonds längst beschlossene Sache. Ohnehin sah er in dem Mitwirken an dem Unterstützungswerk nur einen Akt der Barmherzigkeit, aber längst kein Schuldeingeständnis: „BAYER bestreitet (...) ein Fehlverhalten bei der Herstellung und Vermarktung dieser Produkte.“
Dies sollte Baumann auch bei dem Präparat tun, welches das Pharma-Kapitel im „Schwarzbuch BAYER“ schloss: DUOGYNON. Dieser hormonelle Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Missbildungen zur Welt. Gleich zwei Frauen berichteten in Bonn von diesem schweren Einschnitt in ihrem Leben. Valerie Williams war dazu extra aus England angereist. Sie hat nie wie andere Mütter mit Freude erleben dürfen, „wie die Kinder älter werden, wie sie Freundschaften schließen und Erfahrungen machten“, erzählte sie und nannte den Umgang mit dem Medikament „vorsätzlichen Kindesmord“. Margret-Rose Pyta war Zeugin eines solchen: Ihre beiden Kinder starben in jungen Jahren. „Zwei Kinder, die hätten leben können. Sie wurden ums Leben gebracht, weil mir mein Frauenarzt DUOGYNON gegeben hat“, klagte sie an und wendete sich an den Vorstandsvorsitzenden: „Ich möchte, dass Sie Verantwortung übernehmen!“ Das mochte der Angesprochene jedoch nicht: „Wir schließen DUOGYNON als Ursache für embryonale Missbildungen aus“, hatte Baumann schon in seiner Reaktion auf die Rede Gottfried Arnolds klargestellt.
Eigentlich sollte sich der BAYER-Chef an diesem Tag noch mehr über den Schwangerschaftstest anhören müssen. Auf der RednerInnen-Liste stand nämlich ursprünglich der Name von Petra Marek. Da die Ratzeburgerin auf einen Rollstuhl angewiesen ist und eine so lange Veranstaltung nur unter großen Anstrengungen durchsteht, hat die Coordination im Vorfeld Kontakt mit den BAYER-Verantwortlichen aufgenommen und von ihnen auch die Zusicherung erhalten, die Medikamenten-Geschädigte frühzeitig ans RednerInnen-Pult zu rufen. Dies ist jedoch nicht geschehen, und irgendwann am späten Nachmittag zwangen ihre angeschwollenen Beine Petra Marek, unverrichteter Dinge wieder die Heimreise anzutreten. Offenbar wollte der Konzern sich und seinen AktionärInnen den Anblick eines Menschen ersparen, den DUOGYNON in den Rollstuhl brachte. In der Absicht, einen versöhnlichen Abschluss der Hauptversammlung zu inszenieren, ließ BAYER lieber Joachim Kregel von der „Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger“ den Endpunkt setzen. Dieser aber konnte die 26 kritischen AktionärInnen, die vor ihm geredet und die Folgen der unerbittlichen Profit-Gier so eindringlich beschrieben hatten, nicht so einfach vergessen machen.

[A1] Verkehrsplaner BAYER

CBG Redaktion

Wasser, Boden & Luft

Die kurzen Dienstwege des Konzerns

Verkehrsplaner BAYER

Bereits seit Jahren tobt in Leverkusen ein Streit über die Pläne, die marode Autobahn-Brücke über den Rhein zu ersetzen und die A1 in dem Aufwasch gleich auf bis zu zwölf Spuren zu erweitern. „Tunnel oder Stelze“ lautet die Alternative. Wie positioniert sich BAYER in diesem Konflikt?

Von Jan Pehrke

Vom Kölner Stadtanzeiger an Silvester gefragt, welche Erwartungen er mit dem kommenden Jahr verknüpft, musste Dr. Erich Grigat von der BAYER-Tochter CURRENTA nicht lange überlegen. „Für 2017 wünsche ich dem Chem-„Park“ und den Leverkusener Bürgern den Start des Brücken-Neubaus, damit das Verkehrs-Chaos in absehbarer Zeit besser wird“, so der Leiter des Leverkusener Chemie-„Parks“. Dieses Projekt nebst des Ausbaus der A1 auf bis zu zwölf Spuren treibt ihn nämlich schon lange um. „Wenn nicht schnellstmöglich Abhilfe geschaffen wird, fürchten wir, dass die Industrie verlagert wird. Damit ist das langsame Sterben der chemischen Industrie in Deutschland vorprogrammiert“, malt er schon seit einiger Zeit schwarz.
Die Abhilfe, die der Landesbetrieb Straßenbau NRW jetzt schaffen will, hat es allerdings in sich. Die IngenieurInnen wollen für das Vorhaben nämlich BAYERs erst zur Landesgartenschau 2005 einigermaßen abgedichtetes Giftgrab „Dhünnaue“ wieder öffnen. 6,5 Millionen Tonnen Abfälle schlummern dort – mehr oder weniger friedlich – unter der Erde, davon fast eine Million Tonnen gefährliche Rückstände aus der Chemie-Produktion wie Quecksilber, Arsen, Chrom und Blei. Und den Schlaf von rund 160.000 Tonnen, darunter 32.000 Tonnen höher belastetes Erdreich, plant Straßen.NRW jetzt zu stören und für das Fundament der Autobahn-Trasse abzutragen. Da sogar aus der eigentlich abgedichteten Deponie noch Gas austritt, beabsichtigt der Landesbetrieb mit viel Aufwand eine Absaugvorrichtung zu installieren und alle ArbeiterInnen mit Schutzanzügen auszustatten. Und damit weder Gas noch Gift von der Baustelle unkontrolliert an andere Orte gelangt, müssen die Lastwagen, die den Müll in besonders gesicherten Containern abtransportieren, erst einmal eine Art Waschstraße durchfahren, ehe sie das Gelände verlassen. Vielen KritikerInnen erscheint das trotzdem zu risikoreich. Zudem warnen sie vor unkalkulierbaren chemischen Reaktionen durch den Eingriff und „Einstürzende Neubauten“, denn der organische Anteil des Mülls zersetzt sich, weshalb das Volumen abnimmt und mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist. Darum plädiert das Bürgerinitiativen-Bündnis „LEV muss leben“ für eine Kombi-Lösung: einen langen Tunnel als Alternative zur „Megastelze“, der einen Großteil der Verkehrsströme aufnimmt, sowie eine Instandsetzung der alten Brücke.
Doch Ernst Grigat will davon nichts wissen. Bedenken, die „Büchse der Pandora zu öffnen, kennt er keine. Zudem belässt der Chef des Chem-„Parks“ es nicht bei frommen Wünschen. Er hat in der Vergangenheit bereits so einiges für deren Verwirklichung getan. In Tateinheit mit dem CURRENTA-Geschäftsführer Günter Hilken schrieb er bereits im Juli 2013 einen Brief an den Bundesverkehrsminister, den Landesverkehrsminister und Straßen.NRW, um vor dem Tunnel zu warnen. „Eine Tunnel-Lösung im Verlauf der A1, wie sie derzeit in Leverkusen diskutiert wird, würde sich negativ auf unsere Standorte auswirken“ hieß es in dem Schreiben, das eine eindeutige Forderung enthält: „Im Interesse aller an diesen Standorten produzierenden Unternehmen bitten wir Sie daher, von einer derartigen Planung abzusehen.“ Und die Politik hörte die Signale. Der Ministerialrat Michael Heinze sagte den CURRENTA-Managern laut Kölner Stadtanzeiger zu, dass „eine Tunnel-Lösung für Leverkusen nicht vorgesehen sei“. Die Rahmenbedingungen ließen „nicht erkennen, wie ein Tunnel bautechnisch und verkehrstechnisch umgesetzt werden könnte“, so der Beamte. „Da schreibt ein Unternehmen einen Brief an den Verkehrsminister und an die Planungsbehörde, dass eine Tunnel-Lösung ja so schlecht für das Geschäft ist. Und schon werden alle Anstrengungen für die Tunnel-Lösung fallen gelassen. Da sieht man mal wieder, dass der Profit wichtiger ist, als die Gesundheit und Lebensqualität tausender Leverkusener Bürger“, erboste sich ein Leser des Kölner Stadtanzeigers daraufhin.
Das Hauptargument der CURRENTA gegen den Tunnel: Dieser lässt keine Gefahrgut-Transporte zu. Die BefürworterInnen der Kombi-Lösung bestreiten das allerdings. Ernst Grigat regte daraufhin in einem Gespräch mit dem Leverkusener Oberbürgermeister Uwe Richrath an, zur Klärung dieser Frage ein Gutachten zu beauftragen. Das tat die Stadt dann auch. Anfang März 2017 lag das Resultat vor. Und die ExpertInnen vom Ingenieur-Büro VÖSSLING und von der PTV TRANSPORT CONSULT hielten es durchaus für möglich, gefährliche Güter durch die Röhre zu führen, wenn dafür bestimmte Vorrichtungen geschaffen würden wie etwa zusätzliche Notausgänge und Flucht-Treppenhäuser. Also bräuchte die BAYER-Tochter sich eigentlich auch bei dieser Variante keine Sorgen um die rund 200 LKWs zu machen, die täglich mit explosivem und/oder giftigem Material den Chemie-„Park“ verlassen. Entsprechend froh stimmte die Expertise die Bürgerinitiativen. Aber die CURRENTA ließ die Hochstimmung nicht lange währen, denn ergebnis-offen agierte das Unternehmen in der Sache nicht. Da die GutachterInnen anders als vom Konzern erwartet urteilten, blieben Grigat & Co. einfach bei ihrer Position. „Unabhängig von einer konkreten Lösung: Für uns ist wichtig, dass der Gefahrgut-Verkehr über eine Autobahn-Trasse möglich ist“, verlautete aus der CURRENTA-Zentrale.
Die Realisierung dieser Möglichkeit böte dem Betreiber des Chemie-„Parks“ en passant noch die zauberhafte Gelegenheit, sich der Verantwortung für einen Teil der Altlast zu entledigen. Die Haftung geht nämlich an den „Zustandsstörer“ über, wie es das BürokratInnen-Deutsch verklausuliert, also an Straßen.NRW. Im Klartext: Die SteuerzahlerInnen kommen im Fall des Falles für den Schaden auf. Erhard Schoofs von der Bürgerliste wollte im Leverkusener Stadtrat deshalb genauer wissen, was die BAYER-Tochter da gemeinsam mit der Stadt und dem Land NRW vereinbart hat. Da der Kommunalpolitiker glaubt, die CURRENTA habe viel mehr Giftmüll-Fläche an Stadt und Land abgetreten, als für den Autobahn-Bau quer durch die Dhünnaue eigentlich nötig wäre, stellte er einen Antrag auf Offenlegung des Vertrags. Dafür bekam er allerdings nicht die notwendige Mehrheit.
Und noch eine Chance tut sich für die Gesellschaft, an der BAYER 60 Prozent der Anteile hält, im Zuge des Projekts auf: Absurderweise kann sie sich auch noch Hoffnung auf ein Geschäft mit den eigenen giftigen Hinterlassenschaften machen, hat sie mit ihren haus-eigenen Müllverbrennungsanlagen doch Entsorgungsdienstleistungen im Programm.
Der ohnehin nicht gerade gute Ruf von BAYER am eigenen Stammsitz hat durch das Agieren von Mutter- und Tochtergesellschaft in der Frage des A1-Ausbaus noch mehr gelitten. Leverkusens Bundestagstagsabgeordneter Karl Lauterbach (SPD) etwa äußerte seine Verärgerung darüber, dass der Konzern „erwartet, die Infrastruktur soll in der Stadt vorhanden sein, aber BAYER trägt nichts dazu bei, noch nicht einmal Steuern an die Stadt. Das ist nicht die Haltung, die ich von einem Welt-Konzern mit Standort-Bekenntnis erwarte.“ Ob sich die Erwartungen des Unternehmens im Hinblick auf die Mega-Stelze erfüllen, bleibt vorerst im Unklaren. Die Bezirksregierung hatte zwar grünes Licht für das Vorhaben gegeben, aber die Bürgerinitiativen reichten gegen den Beschluss Klage ein. Mit der Entscheidung des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts über den Einspruch ist für den September zu rechnen.

[Editorial] STICHWORT BAYER 01/2017

CBG Redaktion

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Die von BAYER avisierte MONSANTO-Übernahme, zu der die AktionärInnen des US-Unternehmens am 13. Dezember kurz vor dem Redaktionsschluss von Stichwort BAYER ihren Segen gegeben haben, hält uns immer noch in Atem. Aber es gibt dazu auch Erfreuliches zu vermelden. Bei dem „Betriebsausflug“ der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN nach Den Haag zum MONSANTO-Tribunal und zur angegliederten People’s Assembly gelang es uns, viele Initiativen und Einzelpersonen als Mitstreiter gegen den Mega-Deal zu finden. Das SWB war natürlich mit vor Ort und berichtet gleich in doppelter Ausführung aus Holland.
Und während unser Karikaturist Berndt Skott sich in diesem Heft noch zeichnerisch von unserem alten Geschäftsführer Philipp Mimkes verabschiedet, kann die Redaktion zum ersten Mal seinen Nachfolger Toni Michelmann als Autoren präsentieren. Aus gegebenem Anlass widmet sich der Chemiker dem neuen US-Präsidenten Donald Trump. Der Leverkusener Multi hatte nämlich bei seiner Wahlkampf-Unterstützung ganz auf die Republikaner gesetzt und aus dem dafür bereitgestellten und mit 555.500 Dollar gefüllten Topf zu 80 Prozent KandidatInnen dieser Partei bedacht.
Auch auf anderen Kontinenten verfolgt der Konzern seine Geschäftsinteressen gnadenlos. In Afrika und Asien versteht er es dabei sogar noch, das als Entwicklungshilfe auszugeben. Gemeinsam mit dem „Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung“ betreibt er dort Landwirtschaftsprojekte, die ihm lediglich als Türöffner dazu dienen, seinen Pestiziden neue Märkte zu erschließen. Oxfam hat sich einige dieser Vorhaben für diese Ausgabe einmal etwas genauer angeschaut.
Im Gegensatz zu Oxfam hält der Agro-Riese seine Pestizide für unbedenklich. Sachgemäß angewandt, könnten sie der Gesundheit nicht schaden, betont er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Das entsprechende Sicherheitsprofil erstellt BAYER auf der Basis von Tierversuchen. Wie viele Unsicherheitsfaktoren das birgt, erläutert für das SWB Lars Neumeister, der unter anderem GREENPEACE, den BUND und den WWF wissenschaftlich berät.
Aber der Global Player unternimmt nicht nur Tier-, sondern auch Menschenversuche. Und bis in die 1970er Jahre hinein fanden in bundesdeutschen Kinderheimen und Jugend-Psychiatrien Tests mit Psychopharmaka des Unternehmens statt. Wir schlagen in dieser Nummer die Akten des Landeskrankenhauses Schleswig auf. Schließlich wäre da noch die unendliche Dhünnaue-Geschichte. Die Bezirksregierung Köln fügte der Auseinandersetzung um BAYERs Giftmüll-Deponie im November 2016 ein weiteres Kapitel zu. Sie gab grünes Licht für den Ausbau der Autobahn A1 nebst neuer Brücke, obwohl der „Landesbetrieb Straßenbau NRW“ dafür das Chemie-Grab öffnen muss.
Also wieder viel Lesestoff bis zur letzten Seite – buchstäblich. Diese möchte ich Ihnen besonders ans Herz legen. Dort setzt sich nämlich der bekannte Liedermacher Konstantin Wecker für die CBG ein und bittet darum, unser Netzwerk finanziell zu unterstützen, denn es warten im Jahr 2017 so einige große Aufgaben auf uns. So planen wir etwa, die nächsten BAYER-Hauptversammlung am 28. April zu einem Forum für die internationalen Proteste gegen die MONSANTO-Übernahme zu machen und dazu auch die nächste People’s Assembly nach Köln zu holen. Dazu demnächst mehr, jetzt aber erst einmal eine anregende Lektüre wünscht

[A1-Ausbau] STICHWORT BAYER 01/2017

CBG Redaktion

Wasser, Boden & Luft

Unter dem Pflaster liegt BAYERs Giftmüll

Grünes Licht für A1-Ausbau

Am 11. November 2016 hat die Bezirksregierung Köln dem landeseigenen Straßenbetrieb die Genehmigung erteilt, für den Ausbau der A1-Autobahn BAYERs Dhünnaue-Deponie wieder zu öffnen.

Von Jan Pehrke

„Im Rahmen des Anhörungsverfahrens hat die Bezirksregierung Köln alle vorgetragenen Einwendungen und Stellungnahmen sorgfältig geprüft und über den Antrag des Landesbetriebs Straßenbau NRW positiv entschieden“, erklärte die Behörde am 11. November 2016. Für den Ausbau der Autobahn A1 erlaubte sie Straßen.NRW, BAYERs Giftmüll-Deponie Dhünnaue, die erst zur Bundesgartenschau 2005 in langjähriger Arbeit halbwegs gesichert wurde, wieder zu öffnen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) protestierte scharf gegen den Beschluss. „Es ist unverantwortlich von der Bezirksregierung, Straßen.NRW Hand an BAYERs Giftgrab legen zu lassen, in dem Millionen Tonnen toxischer Abfälle von Quecksilber über Arsen und Chrom bis zu Blei schlummern. Aus reinen Kosten-Erwägungen heraus beschwört sie damit Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt herauf“, hieß es in der entsprechenden Presseerklärung.
Für das Fundament der Trasse hat Straßen.NRW vor, eine Erdschicht von zwei Metern Tiefe, die 87.820 Kubikmeter Giftmüll birgt, abzutragen. Bei dem Erörterungstermin, der Anfang Juli 2016 in der Stadthalle von Köln-Mülheim stattfand, wertete der Straßenbetrieb das selbst als einen nur „beschränkt optimierten Eingriff“. Ein Ingenieur bezeichnete stattdessen die Auskofferung des ganzen Giftgrabes ganz offen als die „optimale Gründung“ für die A1. Eine solche Auskofferung hatten die CBG und andere Initiativen schon gefordert, als Anfang der 1990er Jahre die Debatte um die Sanierung der Dhünnaue anhob. Aus Kostengründen erfolgte jedoch nur eine Abdichtung, was Ernst Grigat von der 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA nun bedauert. Der Leverkusener Chempark-Leiter nannte es gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger einen Fehler, damals die giftigen Hinterlassenschaften nicht geborgen und verbrannt zu haben.
Diese geben nämlich keine Ruhe. In der Deponie rumort es bisweilen noch kräftig. Der organische Anteil des Mülls zersetzt sich und das Volumen nimmt ab, weshab mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist. Das tut auch Straßen.NRW. In ihren Planungen gehen die IngenieurInnen vorsichtshalber schon einmal von einstürzenden Neubauten aus. „Eine ggf. erforderliche vorzeitige Instandsetzung des Oberbaus ist berücksichtigt“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Landesbetriebs zu der Einwendung, welche die CBG im Rahmen des Planfeststellungsverfahren eingereicht hatte.
Aber auch nach der Entscheidung der Bezirksregierung kann der Straßenbetrieb des Landes nicht einfach loslegen, denn die Initiativen haben gegen den Planfeststellungsbeschluss eine Klage eingereicht. Und die Proteste gehen ebenfalls weiter. So luden sich Umweltverbände, die CBG und andere Gruppen am 7 Dezember 2016 selbst zur Feier zu „125 Jahre BAYER in Leverkusen“ ein und vermiesten dem Global Player, seiner Gratulantin Hannelore Kraft und den anderen Gästen gehörig die Stimmung.

[Ticker] STICHWORT BAYER 01/2017

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG-Jahrestagung 2016
Aus gegebenem Anlass widmete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihre diesjährige Jahrestagung dem Thema: „BAYER/MONSANTO – Tod auf den Äckern, Gifte im Essen“. Zu Beginn referierte Uli Müller von LobbyControl über die vielfältigen Möglichkeiten der Agro-Riesen., Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP, das die EU und die USA zurzeit verhandeln, hatten die Konzerne Müller zufolge „auf beiden Seiten die Finger im Spiel“. Über ihre Lobby-Organisationen wie die „European Crop Protection Association“ oder „Croplife America“ versuchten die Multis beiderseits des Atlantiks, niedrigere Auflagen für Pestizide und Gen-Pflanzen durchzudrücken. Und Brüssel diente sich ihnen dabei zu allem Übel auch noch als williger Helfer an. Dies belegte der Politikwissenschaftler mit Zitaten aus Briefwechseln. So erbat die Europäische Kommission von BAYER & Co. etwa Informationen darüber, „wie wir die Rahmenbedingungen für die Industrie verbessern können“. Der grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold widmete sich anschließend dem Agrar-Markt der EU. Am Beispiel einer Studie über Saatgut zeichnete er die Entwicklung zu einer immer größeren Konzentration der Anbieter nach, die mit den angekündigten Zusammenschlüssen von BAYER/MONSANTO, DOW/DUPONT und SYNGENTA/CHEMCHINA einem vorläufigen Höhepunkt zustrebt. Die bei der Europäischen Kommission für die Prüfung der Deals verantwortliche Wettbewerbskommissarin Margrethe Verstager versicherte dem einstigen ATTAC-Aktivisten, die Untersuchung werde bei dem Verfahren eine Rolle spielen. Giegold setzt auf solche Einflussmöglichkeiten und plädierte im Übrigen für eine Arbeitsteilung zwischen parlamentarischen und außerparlamentarischen Initiativen: „Den Lärm müsst ihr machen.“ Dazu erklärte sich der neue CBG-Geschäftsführer Toni Michelmann zu Beginn seines Vortrags auch gerne bereit. Mit dem Bekenntnis: „Ich bin zum Krawall machen hier“ begann er seinen Vortrag. Dann skizzierte er die ungeheure Macht des Leverkusener Unternehmens und gab ein Bild davon, was der Menschheit blüht, wenn es dem Global Player gelingen sollte, sich MONSANTO einzuverleiben: Eine durch Glyphosat & Co. vergiftete Welt mit grünen Wüsten, auf denen nichts mehr kreucht und fleucht. Der Chemiker zeigte sich jedoch guter Hoffnung, dass es nicht so weit kommt. Er berichtete vom Den Haager MONSANTO-Tribunal und der angegliederten People’s Assembly, wo die CBG viele Kontakte knüpfte und zur nächsten BAYER-Hauptversammlung bereits konkrete Aktionen gegen die „Hochzeit des Todes“ verabredete. Und so traten die rund 60 BesucherInnen der CBG-Jahrestagung ihre Heimreise am Abend dann in dem Bewusstsein an, dem Monopoly-Spiel der Agro-Riesen nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

ForscherInnen für GAUCHO-Stopp
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) haben einen wesentlichen Anteil am weltweiten Bienensterben. Die EU hat einige dieser Agrochemikalien deshalb schon mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt. Vielen WissenschaftlerInnen reicht dies jedoch nicht aus. In einer „Resolution zum Schutz der mitteleuropäischen Insektenfauna, insbesondere der Wildbienen“ fordern 77 BiologInnen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) deshalb auf, „ein vollständiges Verbot von Neonicotinoiden, mindestens aber ein vollständiges, ausnahmsloses Moratorium für ihren Einsatz bis zum wissenschaftlich sauberen Nachweis ihrer Umweltverträglichkeit“ zu erlassen. Zudem verlangen die ForscherInnen in dem Schriftstück Maßnahmen zur Erhöhung der Strukturvielfalt von Kulturlandschaften und ein Insekten-Langzeitmonitoring.

Aktion bei BAYER in Belgien
Am 4. November 2016 schlug am BAYER-Sitz im belgischen Diegem die Natur zurück. Verkleidet in Tier-Kostüme, statteten AktivistInnen der Initiative EZLN der Niederlassung des Leverkusener Multis einen Besuch ab und gestalteten die Eingangshalle mit etwas Laub, Erde und Geäst um. Zudem brachten die EZLNlerInnen ein Transparent mit der Aufschrift „BAYER-MONSANTO – TTIP kills life“ an. Damit protestierten sie gegen das zwischen der EU und den USA geplante Freihandelsabkommen, das niedrigere Standards bei der Regulierung von Pestiziden, hormon-wirksamen Substanzen und anderen Stoffen vorsieht und aus eben diesen Gründen von den Konzernen mit aller Lobby-Macht vorangetrieben wird. „Es ist dringend nötig, die Einflussnahme des Privatsektors auf die Politik zu stoppen“, erklärte die Organisation, dabei nicht nur auf TTIP, sondern auch auf die Obstruktion des Klimaschutzes verweisend.

Petition gegen Hormon-Gifte
Chemische Stoffe haben viele gesundheitsgefährdende Eigenschaften. Eine der unheimlichsten: Manche Substanzen wirken ähnlich wie Hormone und können damit den menschlichen Organismus gehörig durcheinander wirbeln (siehe auch SWB 4/16). Pestizide des Leverkusener Multis wie RUNNER, PROVOST OPTI, FOLICUR und NATIVO oder Industrie-Chemikalien made by BAYER wie Bisphenol A sind deshalb imstande, Krebs, Diabetes, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit und andere Gesundheitsstörungen auszulösen. Hormonell wirksame Ackergifte wollte die EU eigentlich schon 2009 im Rahmen einer Neuordnung der Zulassung verbieten. Dazu kam es allerdings nicht. Nach Ansicht Brüssels galt es zunächst, genaue Kriterien zur Definition der Pseudo-Hormone – sogenannter „endokriner Disruptoren“ (EDCs) – zu entwickeln. Mit drei Jahren Verspätung legte die Europäische Kommission den entsprechenden Entwurf im Sommer 2016 vor. Die Bestimmungen kehren jedoch die Beweislast um und fordern eindeutige Belege für die gesundheitsschädliche Wirkung der EDCs; ein plausibler Verdacht reicht Juncker & Co. nicht aus. Da dies nicht dem Vorsorge-Prinzip entspricht, hat das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK die Online-Petition „Gesundheit geht vor – Hormon-Gifte stoppen“ initiiert, welche der BUND, die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und zahlreiche andere Initiativen mittragen. So konnte das Bündnis der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks am 30.11.2016 rund 100.000 Unterschriften übergeben.

Petition gegen CIPROBAY & Co.
BAYERs CIPROBAY hat ebenso wie andere Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone zahlreiche Nebenwirkungen (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Am häufigsten treten Gesundheitsstörungen im Bereich der Sehnen, Knorpel, Muskeln und Knochen oder des Nervensystems auf. Aber auch Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten und Leber- oder Nierenversagen zählen zu den Risiken. Bundesdeutsche Geschädigte haben nun auf der „We act“-Plattform des Aktionsnetzwerks CAMPACT eine Petition veröffentlicht. Darin fordern sie das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) und die europäische Arzneimittel-Behörde EMA auf, mehr Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Sie verlangen von den Institutionen, den Einsatz der zu den Reserve-Antibiotika zählenden Mittel auf lebensbedrohliche Situationen zu beschränken. BAYER & Co. müssten zudem zum Anbringen eines Warn-Symbols auf den Packungen und zu Unverträglichkeitstests vor dem Verschreiben der Arzneien gezwungen werden, so die AktivistInnen. Anfang Oktober 2016 hatten schon über 2.000 Personen die Petition unterschrieben.

KAPITAL & ARBEIT

Entlassungen in Mission Bay
BAYER stellt am Standort Mission Bay nahe San Francisco die Forschungen zu Blut- und Augenkrankheiten ein und streicht die Stellen der WissenschaftlerInnen, die auf diesen Gebieten gearbeitet haben.

Werksfeuerwehr-Leute bessergestellt
Seit Jahren kämpft die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE um eine Besserstellung der Beschäftigten bei den Werksfeuerwehren. Schon im Jahr 2014 kam es in der Sache zu einer Protest-Veranstaltung vor dem BAYER-Casino. Aber die Chemie-Industrie schaltete immer auf stur. Darum musste sich eine höhere Instanz damit befassen: Zum ersten Mal seit 20 Jahren traten die „Tarifpartner“ der Branche in ein Schlichtungsverfahren ein. Und erst im Zuge dieses Prozederes zeigten sich BAYER & Co. zu Zugeständnissen bereit. Sie garantieren nun den Feuerwehr-Leuten – allein bei der 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA arbeiten rund 360 – Ersatz-Arbeitsplätze, wenn diese aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sein sollten, die anspruchsvolle Tätigkeit auszuüben. Auch Zuschläge für Nacht-Einsätze und sonntägliche Dienste zahlen die Unternehmen jetzt.

KONZERN & VERGANGENHEIT

Arzneitests in Kinderheimen
Ausgehend von den Recherchen der Pharmazeutin Sylvia Wagner machen seit einiger Zeit Meldungen über Arznei-Tests in Kinderheimen und Jugend-Psychiatrien Schlagzeilen, die zwischen den 1950er und 1970er Jahren stattfanden. Ende November 2016 stießen ReporterInnen des NDR auf Unterlagen des Landeskrankenhauses Schleswig, die Versuche auch mit BAYER-Medikamenten dokumentieren (siehe auch SWB 1/17). So erprobten MedizinerInnen der jugendpsychiatrischen Abteilung zwei Pharmazeutika des Pillen-Riesen, ohne dafür eine Einwilligung der ProbandInnen oder ihrer Erziehungsberechtigten eingeholt zu haben. Das Neuroleptikum MEGAPHEN mit dem Wirkstoff Chlorpromazin testeten die ÄrztInnen als Therapeutikum gegen zu „zappelige“ SchülerInnen. 23 „anstaltsgebundenen Sonderschul-Kindern“ verabreichten sie es. Das Neuroleptikum AOLEPT mussten sogar 141 Kinder und Jugendliche schlucken. Dabei zeigten sich gravierende Nebenwirkungen wie etwa „Muskelverkrampfungen an den Augen, des Rückens und der mimischen Muskulatur“. Die Kieler Medizin-Ethikerin Alena Buyx hält die Praxis sogar nach damaligen Maßstäben für höchst problematisch. „Das ist ethisch unzulässige Forschung“, urteilte sie in dem NDR-Bericht.

IG FARBEN & HEUTE

IG-Manager bleibt KIT-Ehrensenator
Über ihren Nachruhm können sich viele Manager des von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzerns IG FARBEN nicht beklagen. So lebt etwa Carl Wurster nicht nur im Straßenbild von Ludwigshafen weiter, wo ein Platz nach dem ehemaligen Wehrwirtschaftsführer benannt ist. Beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat es der Chemiker, der für die IG im Aufsichtsrat des Zyklon B-Produzenten DEGESCH saß, sogar zum Ehrensenator gebracht. Davon ließ sich das KIT nicht einmal durch massive Proteste abbringen. Es bedauert zwar, „dass es Ehrungen von Personen gab, die in Aktivitäten des nationalsozialistischen Unrechtsstaats verstrickt waren“, ist aber dennoch „der vorherrschenden Rechtsauffassung gefolgt, dass die Ehrung als höchstpersönliches Recht mit den Tod des/der Geehrten erlischt und damit eine nachträgliche Aberkennung faktisch nicht mehr möglich ist“.

POLITIK & EINFLUSS

Hannelore Kraft bei BAYER
Am 7. Dezember 2016 feierte der BAYER-Konzern das 125-jähriges Bestehen am Standort Leverkusen. Zu den GratulantInnen in seinem Erholungshaus konnte das Unternehmen auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft begrüßen. Wie bereits 2013 zum 150-jährigen Firmen-Jubiläum hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die Ministerpräsidentin aufgefordert, in ihrem Geburtstagsständchen das lange Sündenregister des Global Players nicht auszuklammern. „Obwohl die Stadt Leverkusen Stammsitz eines der größten Konzerne der Welt ist, erlebt sie eine Rekord-Finanznot. Bei Schulen, Kinderbetreuung, Gesundheit und Freizeit – überall ist der Mangel spürbar. Die Kommune ist sogar auf die Unterstützung des Landes aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen angewiesen. Und das alles, weil BAYER sich durch „tausend legale Steuertricks“ um Abgaben in Millionen-Höhe drückt. Statt Lobreden erwarten wir deshalb Kritik von Hannelore Kraft“, hieß es in der Presseerklärung der CBG. Auch zu anderen dunklen Kapiteln aus der Firmen-Geschichte wie etwa der Rolle im Nationalsozialismus dürfe Kraft nicht schweigen, mahnte die Coordination. Aber die Sozialdemokratin entpuppte sich als Wiederholungstäterin und sprach die heiklen Themen wie schon 2013 nicht an. Stattdessen stand sie in Treue fest zu BAYER. „Wir sind ein Industrieland. Und wir wollen es bleiben“, konstatierte Hannelore Kraft. Die Ministerpräsidentin versprach, den Leverkusener Multi auch in Zukunft vor allem Unbill zu schützen. Vor allem dasjenige, das aus Richtung der EU droht, wie etwa der Plan, den Ausstoß des klima-schädlichen Kohlendioxids durch eine Verteuerung der Verschmutzungsrechte stärker zu sanktionieren, hatte sie dabei im Blick. „Wir kämpfen weiter für den Industrie-Standort, auch in Brüssel“, erklärte Kraft.

EU fördert Geheimniskrämerei
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hat schon so einige leidige Erfahrungen mit BAYERs Geschäftsgeheimnissen machen müssen. So weigerte sich der Leverkusener Multi unter Berufung auf ebendiese erfolgreich, Einblick in den mit der Universität Köln geschlossenen Forschungskooperationsvertrag zu gewähren. Auch auf den Hauptversammlungen nutzt er gern diese Ausrede, um Fragen zu den Verkaufszahlen umstrittener Produkte unbeantwortet zu lassen. Nichtsdestotrotz will die EU diese Geheimniskrämerei der Konzerne künftig noch weiter fördern. In einer neuen Richtlinie „über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb und rechtswidriger Nutzung und Offenlegung“ erklärt sie jede Information für sakrosankt, deren Veröffentlichung den Unternehmen zu ökonomischem Schaden gereichen könnte. Vergeblich hatte der Whistleblower Antoine Deltour, der den LuxLeaks-Steuerskandal aufgedeckt hatte, an die Europäische Union appelliert, das Vorhaben fallenzulassen. Auch die Kritik von JournalistInnen-Verbänden und Gewerkschaften, die durch das Paragrafen-Werk „in erheblichen Umfang die Meinungs- und Pressefreiheit“ beschränkt sahen, fand kein Gehör.

Wenning im FDP-Wirtschaftsforum
„Fast 70 Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft unterstützen das Comeback der Freien Demokraten. Sie haben sich dazu im FDP-Wirtschaftsforum organisiert, um die Parteiführung zu beraten“, vermeldet die FDP. Zu diesen ManagerInnen, deren Zahl mittlerweile auf 77 angestiegen ist, gehört auch BAYERs Aufsichtsratschef Werner Wenning. Er und seine KollegInnen haben der Partei bisher unter anderem „einfache Unternehmensgründungen“, „eine leistungsfähige Infrastruktur für Verkehr und Datenübertragung“ und nicht zuletzt „ein Steuerrecht, das Wachstumsbremsen löst, anstatt sie weiter anzuziehen“ auf die Agenda gesetzt.

PROPAGANDA & MEDIEN

Neues Media Center schafft Akzeptanz
„Mangel an gesellschaftlicher Akzeptanz wurde in einer Studie des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) als eines der Top-Hemmnisse für Innovationen benannt“, konstatiert Denise Rennmann, die bei BAYER den Bereich „Public & Governmental Affairs“ leitet. Die zunehmende Kritik an der Gentechnik und anderen neuen Hervorbringungen der Industrie bereitet dem Leverkusener Multi schon länger Sorge. Darum hat er sich Gedanken über eine „intensivere Wissenschaftskommunikation“ gemacht und die Idee ausgebrütet, ein „Science Media Center“ zu gründen. Dieses soll nach britischem Vorbild JournalistInnen mit „objektiven“ Informationen zu strittigen Themen aus dem Forschungsbereich versorgen. Im Jahr 2012 lud der Global Player zu diesem Behufe interessierte Kreise nach Berlin ein. Anschließend betraute er eine Arbeitsgruppe mit der Entwicklung eines Konzepts für eine solche Unternehmung und warb parallel dazu bei anderen Firmen, Zeitungen und Forschungseinrichtungen um Unterstützung. 2015 schließlich war es soweit. Die „Science Media Center Germany gGmbH“, getragen von der Stiftung des SAP-Mitgründers Klaus Tschira, nahm ihre Arbeit auf. „Wenn Journalisten den öffentlichen Diskurs mit verlässlichem Wissen und kompetenten Stellungnahmen bereichern wollen, dann steht ihnen das SMC Germany dabei zur Seite“, heißt es auf der Website. Einige Stichproben konnten das allerdings nicht bestätigen. Zu den Themen „Bienensterben“ oder „hormon-ähnliche Chemikalien“ findet sich beim SMC nichts. Und während der Eintrag zu Glyphosat einigermaßen ausgewogen daherkommt, lässt das Center bei den Informationen zur neuen Gentechnik CRISPR/Cas kritische Positionen unter den Tisch fallen.

14 Millionen für US-MedizinerInnen
Im Jahr 2015 standen 2.400 bundesdeutsche ÄrztInnen auf der Gehaltsliste von BAYER. Der Leverkusener Multi engagierte sie unter anderem als RednerInnen auf Kongressen, BeraterInnen oder lud sie zu Fortbildungsveranstaltungen ein. 7,5 Millionen Euro gab der Konzern dafür aus. In den USA ließ er sich das noch mehr kosten. Wie die US-Plattform ProPublica recherchierte, investierte der Pharma-Riese dort von August 2013 bis Dezember 2014 14 Millionen Dollar in die Pflege der medizinischen Landschaft.

1,3 Millionen für Fachgesellschaften
BAYER lässt sich die Pflege der medizinischen Landschaft so einiges kosten. Der Leverkusener Multi bedenkt nicht nur ÄrztInnen und Krankenhäuser mit Millionen-Beträgen (siehe oben und Ticker 4/16), sondern auch die medizinischen Fachgesellschaften. Rund 1,3 Millionen Euro erhielten diese im Jahr 2015. Und wenn sich die Tätigkeit der Organisationen auf ein Gebiet erstreckt, für das der Konzern die passende Arznei im Angebot hat, überweist er ihnen besonders viel Geld. So konnte sich die „Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit“ über 253.000 Euro freuen – und der Pharma-Riese bestimmt bald über mehr Rezepte für seine umstrittenen Testosteron-Präparate (siehe DRUGS & PILLS). Zur Umsatz-Steigerung seines risiko-reichen Gerinnungshemmers XARELTO investierte er indessen 189.000 Euro in die „Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung“ und 122.000 Euro in die „Gesellschaft für Thrombose und Hämostase-Forschung“.

PR für NEBIDO & Co.
Eigentlich sollten die Pharma-Firmen Medikamente für bestimmte Krankheiten entwickeln. Manchmal gehen sie jedoch den umgekehrten Weg und entwickeln Krankheiten für bestimmte Medikamente. So hat BAYER die männlichen Wechseljahre erfunden, um einen größeren Markt für NEBIDO und andere Hormon-Präparate zu schaffen. Praktischerweise hat der Konzern dafür auch gleich noch einen Fachbegriff in Beschlag genommen, der eigentlich nur einen wirklich krankhaften Testosteron-Mangel beschreibt: Hypogonadismus. Allerdings stehen NEBIDO & Co. seit einiger Zeit wegen ihrer zahlreichen Risiken und Nebenwirkungen in der Kritik. Deshalb geht der Leverkusener Multi nun in die Offensive. Beim europäischen Kongress für Männergesundheit, den die von ihm großzügig alimentierte „European Academy of Andrology“ in Rotterdam ausrichtete, sponserte er ein Symposion, das sich mit der Frage befasste: „Long-term treatment of hypogonadism – just a risky lifestyle intervention?“ Die vom Leverkusener Multi engagierten „Mietmäuler“ Abraham Morgentaler, Farid Saad, Kevin S. Channer und Linda Vignozzi antworteten natürlich unisono: „Nein.“

Mehr PR für DR SCHOLL’S & Co.
In den USA hat BAYER dieses Jahr größere Anstrengungen unternommen, um die Werbetrommel für seine rezeptfreien Medizin-Produkte, die so genannte „Over the Counter“-Ware (OTCs), zu rühren. Vor allem mit dem Bekanntheitsgrad der Sonnenschutzmittel aus der COPPERTONE-Reihe und der Fußpflege-Artikel der DR SCHOLL’S-Familie, die mit dem Kauf der OTC-Sparte von MERCK ins Portefeuille des Leverkusener Multis gelangten, zeigten sich die Konzern-StrategInnen unzufrieden (siehe auch ÖKONOMIE & PROFIT). „Ich hoffe, die Leute werden in den nächsten Jahren lernen, dass BAYER mehr ist als ASPIRIN“, so Phil Blake, der US-Chef des Pharma-Riesen, zum Sinn der Übung. Der Konzern lässt dabei keinen Kanal ungenutzt. Von TV und Zeitungen über FACEBOOK und INSTAGRAM bis hin zu TWITTER erstreckt sich die Kampagne.

BAYERs Shitstormer
Rund 500 Beschäftigte arbeiten in BAYERs PR-Abteilung. Das reicht allerdings nicht, um gegen den notorisch schlechten Ruf des Unternehmens anzukämpfen. Deshalb bedient sich der Konzern zusätzlich externer Kräfte. Gilt es etwa, im Zuge eines Skandals vertrauensbildende Maßnahmen einzuleiten, so greift der Leverkusener Multi gerne auf die Dienste von Christian Schwerg zurück. Dieser hat nämlich die Krisen-Kommunikation zu seinem Spezialgebiet auserkoren – den „Shitstormer“ nennt Die Zeit ihn deshalb. „Wir können nichts ungeschehen machen. Ab einer bestimmten medialen Verbreitung kann man nur offensiv vorgehen und das Thema in die Rehabilitationsstrategie integrieren“, sagt er über seine Arbeitsweise. Schwerg bietet für BAYER & Co. sogar vorbeugende Maßnahmen an, um deren ÖffentlichkeitsarbeiterInnen zu lehren, gut mit „bad news“ umzugehen. „Wir simulieren auch gerne mal Nachrichten auf News-Portalen oder geben uns als Journalisten aus, rufen an und senden E-Mails mit Vorwürfen“, plaudert der PR-Profi aus dem Nähkästchen.

TIERE & VERSUCHE

Tierversuchs-Richtlinie verwässert
Bei der Ausarbeitung der Tierversuchs-Richtlinie der EU hatten PolitikerInnen aus Deutschland BAYER & Co. vor allzu strengen Auflagen bewahrt. Und bei der Umsetzung in bundesdeutsches Recht musste das Paragrafen-Werk noch einmal gehörig Federn lassen. So unterliegen zu Bildungszwecken vorgenommene Tier-Experimente keiner Genehmigungspflicht mehr, sondern nur noch einer Meldepflicht. Auch ein Verbot besonders leidvoller Erprobungen fehlt in der deutschen Version. Der Jurist Dr. Christoph Maisack stellte in einem Gutachten insgesamt 18 Abweichungen vom ursprünglichen Text fest, die es dem Leverkusener Multi leichter machen, seine Tierversuche – im Geschäftsjahr 2015 waren es 133.666 – nicht zu reduzieren. Der Verein ÄRZTE GEGEN TIERVERSUCHE hat bei der EU-Kommission wegen der Aufweichung der Richtlinie eine Beschwerde eingereicht.

DRUGS & PILLS

30.000 ESSURE-Geschädigte
Bei ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation, handelt es sich um eine kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen. Allzu oft jedoch bleibt das Medizin-Produkt nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Nebenwirkungen. 30.000 Meldungen über solche unerwünschten Arznei-Effekte hat BAYER bereits erhalten.

NICE nicht nice zu NEXAVAR
Das britische „National Institute for Health and Care Excellence“ (NICE) hat eine Kosten/Nutzen-Analyse von BAYERs NEXAVAR zu Behandlung von Leberkrebs durchgeführt und der Arznei kein gutes Zeugnis ausgestellt. „Es bleiben signifikante Unsicherheiten“, konstatierte die Behörde. Selbst eine vom Pillen-Riesen vorgenommene Preissenkung konnte die PrüferInnen nicht erweichen, dem „National Health Service“ die Übernahme der Therapie-Kosten zu empfehlen. Aber der Leverkusener Multi gibt sich noch nicht geschlagen und hofft weiter auf ein positives NICE-Votum in Sachen „NEXAVAR“.

Alzheimer durch ANTRA
Protonenpumpen-Hemmer mit dem Wirkstoff Omeprazol wie BAYERs ANTRA steigern das Alzheimer-Risiko. Das ergab eine Studie der Universität Bonn. Der Untersuchung zufolge setzen sich ANTRA-PatientInnen einer um 44 Prozent höheren Gefährdung aus, diese Krankheit zu bekommen, als Menschen, welche die Mittel nicht einnehmen. Die Präparate, die hauptsächlich bei Sodbrennen, aber auch zum Schutz vor Blutungen der Magenschleimhaut zum Einsatz kommen, haben jedoch noch mehr Nebenwirkungen. Da die Arzneien die Magensäure-Produktion fast komplett unterbinden, verschaffen sie Bakterien ein gedeihlicheres Klima, was den Ausbruch von Infektionen fördert. Zudem stören die Medikamente die Kalzium-Gewinnung aus der Nahrung und schwächen so die Knochen. Wegen solcher Gegenanzeigen warnen bundesdeutsche MedizinerInnen bereits seit Langem vor einem zu sorglosen Umgang mit ANTRA & Co. Allerdings fruchteten ihre Warnungen nicht – seit einiger Zeit sind diese Medikamente nicht einmal mehr verschreibungspflichtig. Und nicht zuletzt deshalb verfünffachte sich ihre Einnahme in den letzten Jahren.

Blockbuster EYLEA
EYLEA, das BAYER-Präparat zur Behandlung der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zur Blindheit führen kann – erschließt nicht gerade medizinisches Neuland. Laut Konzern zeigte das Pharmazeutikum in Tests lediglich „eine vergleichbare Wirkung (‚Nicht-Unterlegenheit’) gegenüber der Behandlung mit LUCENTIS“. Einen Zusatznutzen mochte das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWIG) dem Gentech-Medikament deshalb nicht zu bescheinigen. Trotzdem entwickelt sich die Arznei dank BAYERs massivem Werbeaufwand zu einem Blockbuster. Dem „Innovationsreport 2016“ der Techniker Krankenkasse zufolge verzeichnete es die größten Umsatz-Zuwächse aller hierzulande im Jahr 2012 neu zugelassenen Medikamente. 2014 kam das Präparat auf fast 18 Millionen Euro – ein Plus von 458 Prozent gegenüber 2013.

USA: mehr Auflagen für NEBIDO & Co.
Mit großer Anstrengung arbeitet der Leverkusener Multi daran, die „Männergesundheit“ als neues Geschäftsfeld zu etablieren und Hormon-Präparaten wie NEBIDO oder TESTOGEL neue, nur selten zweckdienliche Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. Zu diesem Behufe hat der Pharma-Riese die Krankheit „Testosteron-Mangel“ erfunden und sie zu „männlichen Wechseljahresstörungen“ erhoben. Studien warnen allerdings vor den Gefahren der Mittel. So können die Arzneien neuesten Untersuchungen zufolge das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöhen, was die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA zu einer Reaktion veranlasste. Sie zwang BAYER & Co., auf den Packungen vor diesen möglichen Nebenwirkungen zu warnen. Überdies müssen die Pharma-Firmen nun darauf hinweisen, dass die Pharmazeutika nur bei krankhaftem Testosteron-Mangel und nicht bei einem rein altersbedingten Rückgang der Hormon-Produktion Anwendung finden dürfen.

Neues Nahrungsergänzungsmittel
Menschen, die sich ausgewogen ernähren, brauchen keine zusätzliche Vitamine, Mineralien oder andere Stoffe. Deren Einnahme kann in manchen Fällen sogar schaden. Trotzdem hat BAYER eine Unmenge an Vitamin-Präparaten und Nahrungsergänzungsmitteln im Angebot. SANATOGEN, SUPRADYN, BEROCCA, CAL-D-VITA, ELEVIT, REDOXON und vieles mehr findet sich in der Produkt-Palette des Konzerns. Allein unter dem Markennamen ONE-A-DAY verkauft er Dutzende unterschiedlicher Pillen. Da die Geschäfte vor allem in den USA gut laufen, schmeißt der Pharma-Riese dort jetzt noch ein neues Mittelchen auf den Markt: TRUBIOTICS. Das mit den Mikroorganismen Lactobacillus acidophilus und Bifidobacterium animalis bestückte Probiotikum soll angeblich gute Werke im Verdauungstrakt verrichten.

ASPIRIN nur noch für vier Tage?
Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) tritt bereits seit Langem dafür ein, ASPIRIN und andere Schmerzmittel in den Apotheken nur noch dann ohne Rezept abzugeben, wenn die Anwendungsdauer auf vier Tage beschränkt ist. Die Präparate haben nämlich beträchtliche Nebenwirkungen; ASPIRIN kann vor allem Magenbluten verursachen. „Selbst bei den niedrigen Dosierungen, die zur Prävention von Schlaganfall und Herzinfarkt dienen sollen“, besteht dem ehemaligen BfArM-Präsidenten Walter Schwerdtfeger zufolge dieses Risiko. Der „Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht“ lehnte die Forderung nach einer Verkleinerung der Packungen zwar bereits 2012 ab, aber endgültig vom Tisch ist die Sache noch nicht. „Die Studien-Ergebnisse werden zur Zeit ausgewertet“, ließ sich das Bundesgesundheitsministerium in der TV-Dokumentation „Angst vor Schmerzen“ vernehmen.

ASPIRIN im Freizeitsport
SportlerInnen verlangen ihrem Körper viel ab und überschreiten dabei oft die Schmerzgrenze. Deshalb greifen nicht wenige von ihnen zu Schmerzmitteln wie ASPIRIN (Wirkstoff: Acetylsalicylsäure) – und das nicht nur Profis. Nach einer Untersuchung der WissenschaftlerInnen Pavel Dietz und Antje Dresen nimmt auch eine große Zahl von Freizeit-SportlerInnen die Präparate ein. Den ForscherInnen zufolge schluckt die Hälfte aller TeilnehmerInnen von Langstrecken-Rennen ASPIRIN oder andere Analgetika. „Wir waren überrascht, dass es in so einer Häufigkeit ein Thema ist“, so Antje Dresen. Die LäuferInnen setzen sich damit erheblichen Gesundheitsrisiken aus, denn durch die körperliche Belastung können die Nebenwirkungen der Mittel – im Fall von BAYERs „Tausendsassa“ ist das hauptsächlich das Magenbluten – noch mehr durchschlagen. Die Stöße, die während des Langstrecken-Laufs auf den Magen einwirken, erhöhen nämlich die Durchlässigkeit der Organ-Wände für die Acetylsalicylsäure.

YASMIN hilft nicht mehr gegen Akne
Frauen, die drospirenon-haltige Pillen wie BAYERs YASMIN zur Empfängnis-Verhütung einnehmen, tragen im Vergleich zu solchen, die levonorgestrel-haltige Kontrazeptiva bevorzugen, ein bis zu dreimal so hohes Risiko, eine Thromboembolie zu erleiden. Trotzdem bewirbt der Leverkusener Multi die Mittel als Lifestyle-Präparate, die etwa gegen Akne helfen. In der Schweiz darf er das jetzt jedoch nicht mehr tun. Mit Verweis auf das Gefährdungspotenzial der Pharmazeutika untersagte die eidgenössische Aufsichtsbehörde Swissmedic BAYER und anderen Herstellern, weiter Reklame für die angeblichen dermatologischen Qualitäten von YASMIN & Co. zu machen.

FDA zweifelt nicht an XARELTO-Tests
Bei der Klinischen Erprobung von BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO erhielt die Kontrollgruppe den marktgängigen Wirkstoff Warfarin (MARCUMAR). Das Gerät, das bei diesen ProbandInnen die Blutgerinnung bestimmte, arbeitete jedoch nicht korrekt. Es zeigte geringere Werte als die wirklichen an. Deshalb bekamen die TeilnehmerInnen mehr Warfarin als nötig – und in der Folge auch mehr gesundheitliche Probleme als die PatientInnen, die das orale Antikoagulans des bundesdeutschen Pharma-Riesen schluckten. Das schmälert die Aussagekraft des zur Zulassung von XARELTO eingereichten Rocket-AF-Tests erheblich, was in der Fachwelt für einige Empörung sorgte. „Es lässt an den Ergebnissen zweifeln, die benutzt wurden, um den Gebrauch des weltweit meistverkauften neuen oralen Antikoagulans zu befördern“, sagt etwa Dr. Deborah Cohen. Gemeinsam mit den anderen Mitherausgebern des British Medical Journal kritisierte sie die Studie in einem Artikel massiv. Der Leverkusener Multi hielt jedoch an dieser fest. Schon unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Unstimmigkeiten hatte er eine Nachuntersuchung in Auftrag gegeben, die erwartungsgemäß die Rocket-Resultate bestätigte. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA gab Anfang Februar 2016 ebenfalls Entwarnung. Und die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA prüfte zwar bedeutend länger als ihr EU-Pendant, schloss sich dann aber im Oktober 2016 dem EMA-Votum an.

BAYER setzt auf Krebs-Arzneien
Krebs-Medikamente versprechen den Pharma-Riesen den größten Profit. Das „IMS Institute for Healthcare Informatics“ rechnet für das Jahr 2018 mit einem 100-Milliarden-Dollar-Markt. Schon jetzt fressen die Präparate – ohne die Lebenszeit der PatientInnen entscheidend verlängern zu können – in der Bundesrepublik rund ein Viertel des Medikamenten-Budgets der Krankenkassen. Folgerichtig setzt BAYER ganz auf dieses Segment. Mit NEXAVAR, STIVARGA und XOFIGO bietet das Unternehmen bereits drei Onkologie-Präparate an; zudem befinden sich 17 Wirkstoffe in der klinischen Erprobung. Die Konkurrenz hat jedoch noch mehr im Köcher. So testet ROCHE zurzeit 34 Arzneien. Der Schweizer Konzern lässt sich das alles auch mehr kosten als der Leverkusener Multi. Im Jahr 2014 gab er mit 8,4 Milliarden Dollar 6,4 Milliarden mehr für die Pillen-Forschung aus als der Leverkusener Multi.

Schnellere Arznei-Zulassungen?
Wie unzureichend die Genehmigungsverfahren für Arzneimittel sind, belegen die zahlreichen Todesfälle, die unter anderem BAYER-Pharmazeutika wie YASMIN und XARELTO verursacht haben. Das ficht die europäische Arzneimittel-Behörde EMA allerdings nicht an. Sie beabsichtigt, das Prozedere noch einmal zu beschleunigen und will künftig Zulassungen schon nach dem erfolgreichen Absolvieren von zwei Phasen der Klinischen Prüfungen ermöglichen. Was bisher die dritte Stufe war, sollen jetzt Praxis-Tests richten. „Real World Data“ lautet das Zauberwort. Und das alles, obwohl die Erprobungen der Kategorie 2 sich auf einen kleineren ProbandInnen-Kreis beschränken und ohne Vergleichsgruppe auskommen. Nicht umsonst bleibt gegenwärtig an der dritten Hürde noch einmal rund die Hälfte der Medikamenten-Kandidaten hängen. Die Arznei-Behörde hat jedoch nur das Wohlergehen der Pillen-Produzenten im Sinn. „Die potenziellen Vorteile für die Hersteller wären ein früherer Einkommensfluss als bei konventionellen Zulassungswegen und weniger teure und kürzere klinische Studien“, erklärt der EMA-Mann Georg Eichler frank und frei. Bei den Vorbereitungen zu den Schnelltests und den Pilotprojekten arbeiteten die willigen Helfer der Arznei-Branche dann auch an führenden Stellen mit. Trotzdem behauptet der von BAYER gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) steif und fest, die geplante „Reform“ sei „klar an medizinischen Zielen ausgerichtet und kein ökonomisches Entgegenkommen gegenüber den Unternehmen“. Das nimmt ihm jedoch kaum jemand ab. So kritisierte die ÄrztInnen-Organisation MEIN ESSEN ZAHL ICH SELBST (MEZIS) das Vorhaben scharf: „Klar erkennbar ist bei diesem Vorstoß der zu erwartende ökonomische Nutzen der Pharma-Industrie – auf Kosten der Sicherheit der PatientInnen.“ Die BUKO-PHARMA-KAMPAGNE und die gesetzlichen Krankenkassen lehnen das Projekt ebenfalls ab.

Lieferengpässe bei Arzneien
In der Bundesrepublik kommt es in letzter Zeit verstärkt zu Liefer-Engpässen bei Arzneimitteln. Auf der aktuellen Fehl-Liste des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ findet sich mit dem Mittel NIMOTOP, das die Gehirn-Durchblutung fördert, auch ein BAYER-Medikament. „Probleme bei der Herstellung“ gibt der Leverkusener Multi als Grund an. Und die gab es in der Vergangenheit auch schon beim Krebsmittel XOFIGO. Schätzungen zufolge sind bis zu 60 Pharmazeutika kurz- oder längerfristig nicht erhältlich. Die „Probleme bei der Herstellung“ treten oftmals deshalb auf, weil die Pharma-Riesen die Fertigung gnadenlos rationalisiert haben. So versuchen sie etwa verstärkt, „just in time“ zu produzieren und auf diese Weise Lager-Kapazitäten abzubauen. Überdies gliedern sie gerne die Wirkstoff-Herstellung aus oder verlegen diese in Drittwelt-Länder. „In den letzten Jahren ist (...) meiner Ansicht nach etwas in der Unternehmensphilosophie einiger Pharmazeutischer Hersteller verloren gegangen: Verantwortungsbewusstsein, was zugunsten der Profit-Maximierung abgebaut wurde“, kritisiert deshalb Rudolf Bernhard, der Leiter der Krankenhausapotheke im Münchner „Klinikum rechts der Isar“. Um gegen die Missstände anzugehen, fordert der Pharmazeut unter anderem eine Meldepflicht bei Liefer-Problemen – bisher informieren BAYER & Co. nur auf freiwilliger Basis – und einen Zwang, bestimmte Arznei-Mengen immer auf Lager zu haben. Die Große Koalition sieht da jedoch keinen Handlungsbedarf, wie aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ hervorgeht. „Es liegen der Bundesregierung keine Anzeichen vor, dass die Register nicht die wesentlichen Lieferengpässe der relevanten Arzneimittel abdecken“, heißt es in dem Schriftstück. Dass etwa BAYERs Johanniskraut-Präparat LAIF zur Behandlung von milden Depressionen dort nicht verzeichnet ist, ficht Merkel & Co. offenbar nicht an. Den Pharma-Riesen zur Auflage zu machen, einen Vorrat an Medikamenten anzulegen, lehnen CDU und SPD ebenfalls ab. Ihrer Ansicht nach reicht es, wenn die Apotheken und Pillen-Großhändler die Arzneien immer parat haben: „Eine darüber hinausgehende Bevorratung durch den Pharmazeutischen Unternehmer ist daher nicht notwendig.“

„Consumer Health“ schwächelt
Der Leverkusener Multi hat das Geschäft mit den rezeptfreien Arzneien in der letzten Zeit stark ausgebaut und ist in diesem Bereich zur Nr. 2 auf der Welt aufgestiegen. Aber nicht nur die 2014 zugekaufte MERCK-Sparte erfüllte ihre Erwartungen bisher nicht (siehe ÖKONOMIE & PROFIT), auch der Absatz der restlichen Produkte schwächelt. Im 3. Quartal 2016 machte der Leverkusener Multi gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Verlust von 20 Millionen Euro. Dazu trug vor allem die schlechtere ökonomische Lage in Russland, China und Brasilien bei – diese Schwellenländer hatten zwischen 2012 bis 2014 noch 70 Prozent zum Umsatzwachstum von BAYER in diesem Markt-Segment beigetragen.

AGRO & CHEMIE

GAUCHO & Co. gefährden Wildbienen
Immer neue Studien belegen die Bienengefährlichkeit von Pestiziden aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin). So hat der britische Insektenforscher Ben Woodcock vom „Zentrum für Ökologie und Hydrologie“ (NERC) die Auswirkungen dieser Wirkstoff-Gruppe, welche die EU bereits mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt hat, auf Wildbienen untersucht. Er kam zu einem alarmierenden Befund: Waren die Tiere GAUCHO & Co. ausgesetzt, so beschleunigte sich das Schrumpfen der Populationen im Vergleich zu denjenigen, die nicht in Kontakt mit den Giften kamen, um den Faktor drei. Der Leverkusener Multi hatte bisher immer die Validität von wissenschaftlichen Arbeiten zu Neonicotinoiden angezweifelt, die unter Laborbedingungen entstanden. Von „unrealistischen Expositionsbedingungen“ sprach er stets und von Expositionsdosen, „die unter realistischen Feld-Bedingungen in dieser Form niemals auftreten würden“. Das traf zwar auf kaum eine Studie zu, verfehlte aber seine Wirkung nicht. Da Woodcock jedoch auf freier Wildbahn zu seinen Ergebnissen kam, stößt diese Verteidigungsstrategie des Konzerns nun auch an ihre Grenzen. Diese will er jedoch nicht wahrhaben. Von Mitgliedern der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN mit den Resultaten des Wissenschaftlers konfrontiert, meinte der Global Player auf einmal darauf hinweisen zu müssen, dass „auch Feld-Untersuchungen ihre Tücken haben, da sie sehr komplex und mitunter nicht leicht zu interpretieren sind“. Und – fast unnötig zu betonen – hatte die Woodcock-Arbeit nach Ansicht des Unternehmens solche Tücken.

Top bei Grenzwert-Überschreitungen
Bei Grenzwert-Überschreitungen von Pestizid-Rückständen in Lebensmitteln toppen Ackergifte made by BAYER alles. Nach den neuesten verfügbaren Zahlen, die aus den Jahren 2012 und 2013 stammen, finden sich nach Angaben der Bundesregierung unter den sieben „am häufigsten beanstandeten Wirkstoffen“ mit Imidacloprid (s. o.), Ethephon und Carbendazim drei, die auch in Produkten des Leverkusener Multis enthalten sind.

Pestizide in Orangen
Das Delmenhorster „Labor für Chemische und Mikrobiologische Analytik“ untersuchte für die WDR-Sendung Markt Orangen auf Rückstände von Pestiziden. In allen Proben stießen die WissenschaftlerInnen auf Spuren der Ackergifte. Diese blieben zwar unter den Grenzwerten, stellen aber trotzdem eine Gefahr dar. In den Früchten fanden sich nämlich bis zu fünf Agrochemikalien gleichzeitig, was Kombinationseffekte hervorrufen kann. Auch BAYER-Pestizide wiesen die ForscherInnen nach. So enthielten die Orangen Chlorpyrifos, das der Leverkusener Multi unter den Produktnamen BLATTANEX, PROFICID und RIDDER vermarktet, Fenhexamid (TELDOR), Imazalil (BAYTAN und MANTA PLUS) sowie Pyrimethanil (CLARINET, FLINT STAR, MYSTIC, MYTHOS, SCALA, SIGANEX, VISION und WALABI).

Parkinson keine Berufskrankheit
Pestizide können viele Gesundheitsschädigungen auslösen. Frankreich hat deshalb Krebs und Parkinson bei LandwirtInnen als Berufskrankheiten anerkannt. In der Bundesrepublik steht das vorerst nicht an, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ hervorgeht. Merkel & Co. stützen sich dabei auf einen Sachverständigenbeirat, der die Sachlage bei Parkinson 2011 und 2012 geprüft hat und befand: „Im Ergebnis war die Studien-Lage heterogen.“ „Erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf eine eindeutige Diagnose-Stellung“ machten die ExpertInnen fest. Im Moment werten diese allerdings neue Untersuchungen aus. In Sachen „Krebs“ haben es immerhin Erkrankungen in die Liste der Berufskrankheiten geschafft, welche die in vielen Agro-Chemikalien enthaltenen Halogen-Kohlenwasserstoffe auslösen können. Die „Anerkennung im Einzelfall“ hängt jedoch der Großen Koalition zufolge von vielen Parametern wie der Tumor-Art, dem gebrauchten Pestizid und der Dauer der Anwendung ab.

WASSER, BODEN & LUFT

Gerupfter Klimaschutzplan
Im Übereinkommen von Paris hatten sich die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen 2015 darauf verständigt, die Erd-Erwärmung deutlich unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten. Im Vorfeld hatten sich die EU-Länder bereits geeinigt, die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 zu verringern. Den bundesdeutschen Beitrag zur Umsetzung dieser Ziele wollte die Große Koalition mit dem „Klimaschutzplan 2050“ festlegen. Um diesen Plan entbrannte jedoch heftiger politischer Streit. Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI), der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI), die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) und die industrie-freundliche nordrhein-westfälische Landesregierung taten alles dafür, BAYER & Co. vor allzu drastischen Anforderungen zu bewahren. Ein „fester Beitrag zur Erreichung eines nationalen Klimaschutz-Ziels“ sei nicht im Voraus bestimmbar, dekretierte etwa der VCI. Maßnahmen zur Verteuerung der derzeit zum Schnäppchen-Preis erhältlichen Kohlendioxid-Verschmutzungsrechte lehnte der Verband ebenfalls ab. Und so kam es, dass Umweltministerin Barbara Hendricks den schon fertiggestellten Klimaschutzplan nach einer Intervention von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wieder in die Tonne kloppen musste. In der überarbeiteten Fassung bekennt sich die Bundesregierung nun dazu, „ein zentrales Augenmerk auf den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“ zu legen. Darum senkte sie die Spar-Vorgaben für die Industrie gegenüber den ursprünglichen Plänen um zehn Millionen Tonnen CO2 auf 140 bis 143 Millionen Tonnen bis 2030 ab und bürdete das Quantum kurzerhand der Wohnungswirtschaft auf. Auch setzte die Große Koalition hinter die Regelungen zur Reform des Emissionshandels – ganz wie vom VCI gefordert – den Vermerk „kann wegfallen“. Jetzt braucht der Leverkusener Multi, der 2015 fast zehn Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstieß, seine Wirtschaftsweise nicht groß zu ändern. Für die Zukunft des Planeten bedeutet das allerdings nichts Gutes. „Die geplanten Maßnahmen sind nicht ehrgeizig genug, um die Klima-Ziele bis zur Mitte des Jahrhunderts zu erreichen“, konstatierte der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel von Bündnis 90/Die Grünen besorgt.

Die Deponie unter der Deponie
Anfang November 2016 hat die Bezirksregierung Köln dem Landesbetrieb Straßenbau NRW die Genehmigung erteilt, BAYERs Dhünnaue-Deponie wieder zu öffnen, um darauf das Fundament für die Erweiterung der A1-Autobahn und des Neubaus der Rheinbrücke zu gründen (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Damit beschwor sie Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt herauf. Und diese dürften nach Recherchen des WDR-Magazins Westpol sogar noch größer sein, als selbst die KritikerInnen des Projektes angenommen haben. Über einem 13 Hektar großen Teil des erst zur Landesgartenschau 2005 halbwegs abgedichteten Giftgrabs liegt nämlich die noch in Betrieb befindliche Sondermüll-Deponie Bürrig der BAYER-Tochter CURRENTA. Eine Absicherung nach unten hin existiert nicht, weshalb die Aufschüttungen auf die Altlast drücken und zu chemischen Reaktionen führen könnten. Trotzdem spielte Bürrig bei der Sicherheitsanalyse von Straßen.NRW keine Rolle und fand auch in den Antragsunterlagen zur Genehmigung keine Erwähnung. „Die aktive Deponie ist von den Planungen nicht betroffen“, antwortet die Bezirksregierung Köln auf eine Anfrage des WDR. Harald Friedrich, der ehemalige Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium, teilt diese Einschätzung nicht: „Man hätte eine Gefährdungsabschätzung machen müssen.“

BAYTRIL fördert Methan-Ausstoß
Rinder, die Antibiotika wie BAYERs BAYTRIL verabreicht bekommen, geben mehr klimaschädigende Methan-Gase an die Umwelt ab als solche, welche die Präparate nicht schlucken müssen. Das ergab eine Studie, welche die Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B veröffentlichte. Den ForscherInnen um Tobin J. Hammer zufolge stieg die Methan-Freisetzung um den Faktor 1,8. Die WissenschaftlerInnen vermuten, dass BAYTRIL & Co. die Gas-Produktion fördern, indem sie Einfluss auf im Verdauungstrakt der Tiere wirkenden Mikrobakterien nehmen.

Plastik in Speisefischen
Immer mehr Plastikabfälle gelangen in die Weltmeere und bedrohen so das aquatische Ökosystem. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums finden sich die Rückstände mittlerweile in 330 Tierarten wieder. Als einer der weltgrößten Kunststoff-Produzenten trägt BAYER maßgeblich zu diesem Umweltverbrechen bei. ForscherInnen des „Alfred-Wegener-Institutes“ wiesen jetzt sogar Plaste-Reste in Speisefischen aus der Nord- und Ostsee nach. Zumeist stießen die BiologInnen in den Verdauungsorganen der Tiere auf die Partikel. Obwohl die Heringe, Dorsche, Makrelen und Flundern vor der Lieferung an den Lebensmittel-Zwischenhandel ausgenommen werden, mochten die WissenschaftlerInnen Chemie-Rückstände in ihren Körpern nicht ausschließen: „Wir sind mit der Erforschung der Effekte noch ganz am Anfang.“

IMPERIUM & WELTMACHT

Abschreibungen in Venezuela
Die sinkenden Öl-Preise haben Venezuela in eine tiefe Krise gestürzt. Unter anderem leidet das Land an einer hohen Inflation, weshalb die heimische Währung gegenüber dem Dollar immer mehr an Boden verliert. Auch bei den Pharma-Firmen hat die Nation immense Schulden. Um diese wenigstens teilweise zu tilgen, hat die Regierung BAYER, SANOFI und NOVARTIS nun Anleihen der staatlichen Öl-Gesellschaft PDVSA übertragen.
Diese notieren zwar in Dollar und nicht in Bolívar, haben gegenüber ihrem Nennwert jedoch viel verloren. Die Konzerne nehmen die Verluste jedoch in Kauf und verkaufen trotzdem. NOVARTIS etwa erhielt für seine 200-Millionen-Dollar-Bonds nur 73 Millionen, und der Leverkusener Multi dürfte seine Papiere mit ähnlich hohen Abschlägen veräußert haben.

ÖKONOMIE & PROFIT

Synergie-Defekte beim MERCK-Deal
Schicken sich Unternehmen an, ihre Konkurrenten zu übernehmen oder Geschäftsteile von ihnen zu erwerben, preisen sie stets die mit den Deals angeblich verbundenen Synergie-Effekte. Im Fall des geplanten Kaufs von MONSANTO wusste BAYER diese sogar schon genau zu taxieren: 1,5 Milliarden Dollar per anno schon drei Jahre nach dem Vollzug der Transaktion. Allerdings können sich die Konzerne dabei auch verkalkulieren. Beispielsweise zahlte sich der 2014 vorgenommene Kauf einer MERCK-Sparte für den Leverkusener Multi bis jetzt nicht in dem erhofften Maß aus. So lag der Umsatz des Sortiments um 100 Millionen Dollar niedriger, als von MERCK angegeben. Auch erwies sich die Entwicklungspipeline als „nicht annähernd so gut wie präsentiert“, wie der Global Player beklagt. Zudem musste er mehr Geld als erwartet in Werbung für die Fußpflege-Artikel aus der DR SCHOLL’S-Reihe oder die COPPERTONE-Sonnenschutzmittel investieren, was sich obendrein nicht immer auszahlte: Im dritten Quartal des Jahres 2016 ging der COPPERTONE-Umsatz gegenüber dem Vergleichszeitraum um fünf Prozent zurück. Die 2001 erfolgte AVENTIS-Akquisition blieb ebenfalls lange hinter den Erwartungen zurück. Wegen falscher Angaben des AVENTIS-Managements über den Wert der Agro-Abteilung zog BAYER damals sogar vor Gericht.

Steuern sparen mit Lizenzen
Das Steuerrecht ermöglicht es den Konzernen, Geschäfte mit sich selber zu machen, um ihre Abgabenlast zu senken. So können einzelne Unternehmensteile von anderen Abteilungen Lizenzen erwerben, und die Kosten dafür senken den zu versteuernden Ertrag. Der Leverkusener Multi hat für solche Operationen die Tochter-Gesellschaft BAYER INTELLECTUAL PROPERTY (BIP) ins Leben gerufen, die Standorte in Monheim, Eschborn und Schönefeld hat. Wie hoch diese steuer-mindernden Lizenz-Gebühren z. B. für Marken-Rechte ausfallen, lassen die Zahlungen erahnen, welche der Global Player für die darauf entfallenden Einnahmen allein im bundesdeutschen Steuerparadies Monheim an das Finanzamt leistet: rund 20 Millionen Euro.

Monheim – einfach paradiesisch
Die Stadt Monheim wirbt mit einem Gewerbesteuer-Hebesatz von 300 Punkten – dem niedrigsten in ganz Nordrhein-Westfalen – um Industrie-Ansiedlungen. BAYER ließ sich das nicht zweimal sagen. Der Agro-Riese verlegte nicht nur einen Teil seiner Patent-Abteilung dorthin (s. o.), sondern auch die CROPSCIENCE BETEILIGUNGSGESELLSCHAFT, deren Haupttätigkeit „im Bereich Verwaltung und Führung von Unternehmen und Betrieben“ liegt.

COVESTRO spart Steuern
Letztes Jahr brachte der Leverkusener Multi seine Kunststoff-Sparte COVESTRO an die Börse. Und im Zuge des Loslösungsprozesses sucht sich das Unternehmen nach dem Vorbild der Muttergesellschaft schon einmal besonders günstige Steuerstandorte. Wie BAYER ist es dabei unter anderem in Monheim (s. o.) und in Belgien fündig geworden. Zusätzlich hat die Plaste-Gesellschaft sich jedoch noch die Schweiz auserkoren, wirbt doch das Nachbarland damit, dass es „international weiterhin auf Rang 8 der steuergünstigsten Standorte steht“. Die COVESTRO INTERNATIONAL SA mit Sitz im Kanton Fribourg hält Beteiligungen an überall auf der Welt verstreuten Niederlassungen. Ein Großteil von deren Erträgen wandert so an den eidgenössischen Steuerstandort zurück, wo die Finanzämter unschlagbare Konditionen bieten: „Holding-Gesellschaften sind von kantonalen Gewinn-Steuern ganz befreit, der Kapitalsteuersatz ist reduziert“.

BAYSANTO & MONSAYER

MONSANTO-HV stimmt Übernahme zu
Am 13. Dezember 2016 haben die MONSANTO-AktionärInnen der Übernahme des Konzerns durch BAYER zugestimmt. Die großen Anteilshalter wie BLACKROCK und andere Finanzinvestoren sorgten für das klare Ergebnis von 99 Prozent Zustimmung für das Angebot des Leverkusener Multis, pro MONSANTO-Papier 128 Dollar zu zahlen. Grünes Licht für den Deal hat der bundesdeutsche Konzern aber auch damit noch nicht. Rund 30 Kartellbehörden müssen die Transaktion noch genehmigen.

Klage gegen Übernahme scheitert
Im November 2016 hatten einige MONSANTO-AktionärInnen eine Klage gegen die Übernahme des Konzerns durch BAYER eingereicht. Sie warfen den ManagerInnen des US-Unternehmens eine Verletzung ihrer Treue-Pflichten vor, weil diese den Global Player ihrer Meinung nach zu billig hergegeben hatten. Kurz vor der entscheidenden MONSANTO-Hauptversammlung (s. o.) wies ein Richter das Begehren jedoch ab. Allerdings besteht für die Aktien-HalterInnen noch die Möglichkeit, in Delaware, dem Stammsitz des Agro-Riesen, ein Gericht anzurufen.

Grüne schreiben Offenen Brief
Die Grünen haben die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in einem Offenen Brief dazu aufgefordert, der Übernahme MONSANTOs durch BAYER die Zustimmung zu verweigern. Der Fraktionschef Anton Hofreiter und weitere Bundestagstagsabgeordnete appellierten stattdessen an die Dänin, „die Spirale der Hochfusionierung im Agrochemie-Markt zu stoppen“. Unter anderem befürchtet die Partei durch den Deal höhere Preise für LandwirtInnen und VerbraucherInnen.

RECHT & UNBILLIG

13.800 XARELTO-Klagen
BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO mit dem Wirkstoff Rivaroxaban hat gefährliche Nebenwirkungen – im Jahr 2015 gingen allein beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) 137 Meldungen über Todesfälle ein. In den USA ziehen deshalb immer mehr Geschädigte bzw. deren Hinterbliebene vor Gericht. Das Aufkommen der Klagen erhöhte sich von Ende Januar 2016 bis Mitte Oktober von 4.300 auf 13.800.

Über 1.000 ESSURE-Klagen
ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation, beschäftigt in den USA zunehmend die Gerichte. Die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen, hat nämlich zahlreiche Nebenwirkungen. Allzu oft bleibt das Medizin-Produkt nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Gesundheitsschädigungen, über die Frauen berichten. Über 1.000 von ihnen haben in den Vereinigten Staaten deshalb schon eine Klage gegen BAYER eingereicht.

CIPROBAY vor Gericht
Das Antibiotikum CIPROBAY, das zur Gruppe der Fluorchinolone gehört, hat zahlreiche Nebenwirkungen. So registrierte die US-Gesundheitsbehörde FDA zwischen 1998 und 2013 3.000 Todesfälle, die im Zusammenhang mit fluorchinolon-haltigen Medikamenten stehen. Insgesamt erhielt die Institution rund 50.000 Meldungen über unerwünschte Arznei-Effekte. Am häufigsten treten Gesundheitsschäden im Bereich der Sehnen, Knorpel, Muskeln und Knochen auf. Die Pharmazeutika stören nämlich das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln, weil sie die Weiterleitung des Neurotransmitters Acetylcholine behindern. Auch Störungen des zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit und anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachten die MedizinerInnen. Darüber hinaus sind CIPROBAY & Co. für Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen verantwortlich. Bei Cheryl Tigley löste CIPROBAY, das BAYER in den USA unter dem Namen AVELOX vertreibt, eine Schädigung des peripheren Nervensystems aus. Deshalb zog die US-Amerikanerin vor Gericht und verklagte den Leverkusener Multi auf Schadensersatz.

CIPROBAY nicht vor Gericht
Kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kam es in den USA durch per Post verschickte Milzbrand-Erreger zu fünf Todesfällen. Die Regierungsstellen trafen daraufhin Vorsorge-Maßnahmen und kauften große Mengen von BAYERs Antibiotikum CIPROBAY als Gegenmittel. Zudem hoben sie das Verbot auf, die Arznei Kindern zu verabreichen – der Leverkusener Multi hatte für die Gewährung des exklusiven Vermarktungsrechtes lediglich Unbedenklichkeitsstudien nachzureichen. Bei diesen Untersuchungen hat der Pharma-Riese allerdings massive Manipulationen vorgenommen. Der an den Klinischen Prüfungen beteiligte Mediziner Dr. Juan Walterspiel wirft dem Unternehmen vor, Daten gefälscht zu haben, um Nebenwirkungen wie Muskelschwäche und Knorpelschäden zu verbergen. BAYER habe lange Datenkolonnen einfach in die Berichtsbögen eingefügt, so Walterspiel: „Diese Zahlen wiederholten sich endlos.“ Zudem haben die Erprobungen in den USA Walterspiel zufolge auffallend mehr Risiken und Nebenwirkungen zu Tage gefördert als solche, die der Konzern in Mexiko und anderen ärmeren Ländern durchgeführt hat. Die Versuche des Arztes, wegen der unsauberen Tests gerichtlich gegen den Leverkusener Multi vorzugehen, gestalten sich jedoch schwierig. So hat es der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, im Juli 2016 abgelehnt, Walterspiel als Whistleblower gerichtlichen Beistand zu gewähren.

Pestizid-Klage in Indien
Das indische Agrar-Ministerium hatte 2015 ein ExpertInnen-Gremium damit beauftragt, die Risiken und Nebenwirkungen von 66 Pestiziden zu bewerten, die andere Länder längst verboten haben. Da in dem Ausschuss auch Industrie-VertreterInnen saßen, fiel die Empfehlung moderat aus. Die Kommission legte dem Staat nahe, 13 Agro-Chemikalien sofort aus dem Verkehr zu ziehen, darunter mit Fenthion und Methyl Parathion auch solche Wirkstoffe, die in BAYER-Produkten enthalten sind. Darüber hinaus schlug sie vor, die Zulassung für sechs Ackergifte 2020 auslaufen zu lassen und 27 im Jahr 2018 noch einmal in Augenschein zu nehmen. Aber der Regierung ging selbst das zu weit. Sie machte keine Anstalten, die Ratschläge zu befolgen. Deshalb sehen sich Modi & Co. nun mit einer Klage konfrontiert.

USA verbieten primäres Mikroplastik
Immer mehr Plastik-Abfälle gelangen in die Weltmeere und bedrohen so das aquatische Ökosystem. Durch Wellenbewegungen und Sonnen-Einwirkung kleingemahlen oder gleich in winziger Form als primäres Mikro-Plastik in das Wasser geraten, nehmen Fische und andere Tier-Arten die Partikel auf und setzen sich so großen Gesundheitsgefahren aus. Als einer der weltgrößten Kunststoff-Produzenten trägt BAYER maßgeblich zu diesem Desaster bei. Die USA hat jetzt jedoch erste Schritte zum Schutz der Wasser-Lebewesen eingeleitet. Sie verbot die Herstellung von primärem Mikro-Plastik, den sogenannten Microbeads, wie sie sich unter anderem in einigen Sorten des Durethan-Kunststoffs der BAYER-Tochter COVESTRO finden.

PCB: Kein Verfahren gegen RAG
Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie (SWB 1/14). Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheitsrisiko dar. Von den 1985 in der Bundesrepublik verkauften 72.000 Tonnen landete mehr als ein Sechstel im Bergbau, wo die schweren Gerätschaften viel Hydraulik-Öl brauchten. „Wir sind mit dem Zeug umgegangen, als wäre es Milch“, zitiert der Spiegel einen Bergmann. Dementsprechend leiden viele seiner KollegInnen heute an den Spätfolgen und zeigen Vergiftungssymptome wie Haut-, Nieren- und Leberschäden. Die Altlasten lagern in Fässern und anderen Behältern, die nicht selten Leckagen aufweisen. Nicht zuletzt deshalb gelangt jetzt PCB mit dem abgepumpten Grubenwasser aus den kontaminierten Stollen in die Flüsse. Das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz entnahm unter anderem an den Bergwerken in Prosper-Haniel, Bergkamen und Essen Proben und wies PCB-Belastungen nach, die an manchen Stellen um das Dreifache über den Grenzwerten lagen. Der BUND reichte deshalb eine Strafanzeige gegen den Bergbau-Konzern RAG ein. Anfang September stellte die Bochumer Staatsanwaltschaft die Ermittlungen allerdings ein. Das Unternehmen hätte wasserrechtliche Genehmigungen für die Einleitungen, und die Gewässer hätten kein Schaden genommen, erklärte Oberstaatsanwalt Paul Jansen zur Begründung. Er behauptete sogar, das Unternehmen hätte immer die Grenzwerte eingehalten.

Klage wg. Diskriminierung
Anfang Dezember 2016 hat eine US-amerikanische BAYER-Angestellte den Konzern wegen Diskriminierung verklagt. Dr. Irene Laurora, welcher der Leverkusener Multi 2012 noch den Titel der „Working Mother of the Year“ verliehen hatte, wirft dem Unternehmen vor, sie wegen ihres Einsatzes für Frauenrechte entlassen zu haben. Die Pharmakologin hatte 2015 eine schwangere Frau in ihr Projekt geholt, wogegen Lauroras Vorgesetzter wegen des bevorstehenden Mutterschaftsurlaubs allerdings Einspruch erhob. Die Wissenschaftlerin protestierte gegen die Intervention ihres Chefs, was zu Zurückstufungen und schließlich zur Kündigung führte. „Anstatt Dr. Lauroras Anstrengungen zu unterstützen, gegen die Diskriminierung Schwangerer vorzugehen, versuchte BAYER sie rechtswidrig durch eine Freisetzung mundtot zu machen“, kritisiert der Rechtsanwalt der Klägerin. Beim Pharma-Riesen ist das nicht der erste Fall dieser Art: Bereits im Jahr 2011 hatten acht weibliche Angestellte rechtliche Schritte gegen den Konzern wegen frauenfeindlichen Verhaltens eingeleitet (siehe SWB 3/11).

Auch Uni Mainz darf weiter mauern
Am 18. August 2015 hatte das Oberverwaltungsgericht Münster der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die Einsichtnahme in den Vertrag verwehrt, den BAYER mit der Universität Köln geschlossen hatte. Antworten auf Fragen zur finanziellen Ausgestaltung der Kooperation, zu den Verwertungsrechten, zu den Forschungsvorgaben des Leverkusener Multis und zum Umgang mit negativen Forschungsergebnissen bleiben der Öffentlichkeit damit verwehrt. Der Richter Sebastian Beimesche hatte sich bei seinem Urteil auf die Paragrafen des nordrhein-westfälischen Informationsfreiheitsgesetzes und des Hochschulzukunftsgesetzes gestützt. Die entsprechenden Abschnitte entbinden Forschung & Lehre von der Transparenz-Pflicht. Und der Jurist legte diese so „weitreichend“ aus, dass sie auch die Forschungsplanung einbeziehen. Mit dem Verweis auf eine ähnliche Ausnahme-Regelung in den rheinland-pfälzischen Gesetzen bewahrte das Verwaltungsgericht Mainz Mitte September 2016 nun auch die Universität Mainz und BOEHRINGER davor, Details ihrer Zusammenarbeit offenlegen zu müssen.

Grünes Licht für Autobahn-Ausbau
Die Bezirksregierung Köln hat dem Landesbetrieb Straßen.NRW Anfang November 2016 die Genehmigung erteilt, die Autobahn A1 zwischen Köln-Niehl und dem Autobahn-Kreuz Leverkusen-West auszubauen und dafür auch eine neue Rheinbrücke zu errichten (siehe auch SWB 1/17). Dass der „Vorhaben-Träger“ dafür BAYERs erst zur Landesgartenschau 2005 in langjähriger Arbeit halbwegs gesicherte Dhünnaue-Deponie wieder öffnen muss, focht die Behörde bei ihrer Entscheidung nicht an. Sie setzte sich mit ihrem Beschluss über 300 Einwendungen verschiedener Initiativen und Einzelpersonen – auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hatte im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens eine Beschwerde eingereicht – und über massiven BürgerInnen-Protest hinweg.. Die GegnerInnen des Projektes verstummen dennoch nicht. So luden sich Umweltverbände, die CBG und andere Gruppen am 7. Dezember 2016 einfach selbst zur Feier von „125 Jahre BAYER in Leverkusen“ ein und vermiesten dem Global Player, seiner Gratulantin Hannelore Kraft und den anderen Gästen gehörig die Stimmung. Zudem wollen einige Organisationen gegen den Planfeststellungsbeschluss klagen.

FORSCHUNG & LEHRE

Kooperation mit der Uni Hamburg
BAYER hat mit der Universität Hamburg eine Forschungskooperation auf dem Gebiet der „Digitalen Landwirtschaft“ vereinbart. GeologInnen und InformatikerInnen der Hochschule wollen für den Leverkusener Multi im Rahmen dieser Zusammenarbeit ein Modell zur Erhebung von Wetter- und Bodendaten entwickeln, um „die Nutzung bestehender landwirtschaftlicher Ressourcen weiter zu optimieren“.

Kooperation mit der Uni Göttingen
Der Leverkusener Multi lagert immer größere Bereiche seiner Forschungsarbeiten aus. Rund 20 Prozent seines über 4,3 Milliarden Euro schweren Forschungsetats steckt er mittlerweile in Kooperationen mit Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten. Der Göttinger Georg-August-Universität hat er gleich zwei Aufträge erteilt. Das dortige „Department für Nutzpflanzen-Wissenschaften“ ergründet für den Global Player zum Preis von 141.250 Euro, warum das Pestizid Flufenacet Wildgräsern nichts mehr anhaben kann. Das andere, nicht näher bezeichnete Agrochemie-Projekt läuft Ende 2016 aus und kommt BAYER mit 180.000 Euro noch teurer zu stehen.

BAYER stiftet Lehrstuhl
BAYER pflegt die akademische Landschaft nicht nur hierzulande mit Stiftungsprofessuren, sondern auch im Ausland. So hat der Leverkusener Multi der Universität Manitoba in Tateinheit mit den Nachkommen eines Arztes einen Lehrstuhl zur Erforschung von Blut-Krankheiten spendiert.