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Beiträge verschlagwortet als “HIV/AIDS”

Die unendliche Geschichte

Marius Stelzmann

BAYERs Blut-Skandal

Mit einem neuen Untersuchungsbericht über die verheerenden Folgen virus-haltiger Blut-Produkte von BAYER & Co. in England findet ein Skandal seine Fortsetzung, der Anfang der 1980er Jahre seinen Ausgang nahm.

Von Jan Pehrke

3.000 Tote, 30.000 mit HIV und/oder Hepatitis C infizierte Personen von 1970 bis 1998 in England durch verseuchte Blut-Präparate von BAYER & Co. – so die Bilanz des am 20. Mai 2024 veröffentlichten Untersuchungsberichts. Vor allem Bluter zählten zu den Opfern eines der größten Medizin-Skandale der letzten Jahrzehnte. „Ich muss berichten, dass dies weitgehend, wenn auch nicht vollständig, hätte vermieden werden können“, sagte der ehemalige Richter Sir Brian Langstaff bei der Vorstellung der über 2.500 Seiten starken „Infected Blood Inquiry“. „[J]-ene, die die Verantwortung hatten, die Ärzte, die Blutbanken und mehrere aufeinanderfolgende Regierungen“ klagt er an. Die Pillen-Riesen hingegen verschont Langstaff mit seiner Kritik. So bleibt es Zeitungen wie The Guardian vorbehalten, von der „Gier der pharmazeutischen Unternehmen“ zu sprechen. Eine Strafverfolgung hält die Zeitung eher für unwahrscheinlich, obwohl es in England seit 2007 den Straftatbestand „Totschlag durch Unternehmen“ (Corporate Manslaughter) gibt. „Eine Organisation, auf die dieser Abschnitt Anwendung findet, macht sich einer Straftat schuldig, wenn die Art und Weise, in der ihre Tätigkeiten ausgeübt oder organisiert werden (a) den Tod einer Person verursacht und das (b) auf eine grobe Verletzung einer relevanten Sorgfaltspflicht der Organisation gegenüber dem Verstorbenen zurückzuführen ist“, heißt es im Gesetzestext. Und falls es doch Ermittlungen geben sollte, dann dürften eher die Blutbanken oder die britische Gesundheitsbehörde NHS ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft geraten als BAYER & Co.

Der Leverkusener Multi plädiert in Sachen „Kapitalverbrechen“ natürlich auf unschuldig. Er spricht in seinem Statement zu dem Report vielmehr von schicksalshaften Ereignissen: „BAYER bedauert zutiefst, dass es zu dieser tragischen Situation gekommen ist und dass Therapien, die von Tochter-Unternehmen BAYERs entwickelt und von Ärzten verschrieben wurden, um Leben zu retten und erträglicher zu gestalten, schlussendlich so viel Leid verursacht haben.“ Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) stellte das in ihrer Presseerklärung zum Untersuchungsbericht umgehend richtig. „BAYER & Co. haben wissentlich viren-belastete Blut-Präparate verkauft“, hielt die CBG fest.

In dem betreffenden Zeitraum hatte BAYERs US-Tochter CUTTER bei den Gerinnungsprodukten für Bluter eine marktbeherrschende Stellung inne. Das SpenderInnen-Blut für KOGENATE mit dem Blutgerinnungsfaktor VIII und andere Medizin-Produkte bezog sie vornehmlich von Risiko-Gruppen wie Strafgefangenen, Prostituierten und Drogenabhängigen. Die Firma unterhielt in Haftanstalten und in Vierteln mit vielen Prostituierten und Drogenabhängigen sogar eigene Blutabnahme-Stellen.

Bis zu 400.000 Blutspenden führte sie in einem Pool zusammen, was das Auftreten von Kontaminationen fast unvermeidlich machte. Bereits Ende 1982 wusste das Unternehmen um diese Gefahren. „Es gibt klare Belege, die nahelegen, dass AIDS durch (…) Plasma-Produkte übertragen wird“, hieß es in einem internen Firmen-Dokument. Auch forderten einzelne Beschäftigte Maßnahmen, wie aus einem Memo an den CUTTER-Chef Jack Ryan hervorgeht, auf das die „Infected Blood Inquiry“ in dem Kapitel „Das Wissen um das AIDS-Risiko“ verweist. So drang ein Angestellter darauf, auf den Packungsbeilagen entsprechende Warnhinweise anzubringen.

Die Geschäftsleitung reagierte auf solche Appelle nicht. Sie weigerte sich ebenfalls, Tests zum Aufspüren von Hepatitis-Erregern einzuführen, die Hinweise auch auf eine mögliche HIV-Infektion geliefert hätten. Und als eine Methode zur Abtötung der Viren durch Hitze-Behandlung aufkam, tat der Konzern gemeinsam mit anderen Pharma-Riesen alles, um deren Zulassung so lange wie möglich hinauszuzögern, denn er fürchtete, auf seinen Lager-Beständen mit den Faktor-VIII-Präparaten sitzenzubleiben. Zudem schreckte CUTTER vor den Anlaufkosten für die Produktionsumstellung zurück. An langfristige Liefer-Verträge zu festgelegten Preisen gebunden, hätte dies nämlich die Rendite geschmälert. Deshalb startete das Unternehmen eine großangelegte Desinformationskampagne. „AIDS hat in einigen Ländern irrationale Reaktionen hervorgerufen“, schrieb die BAYER-Tochter in einem Brief an LieferantInnen aus Frankreich und 20 anderen Staaten und sprach darin von „substanzlosen Spekulationen, dass das Syndrom durch einige Blut-Produkte übertragen werden könnte“. Sogar per Gericht versuchte sie die Fakten zu bestreiten.

Ab dem Sommer 1984 musste sich CUTTER dann aber ins Unvermeidliche fügen. Immer mehr westliche Industrie-Nationen machten das Hitze-Verfahren obligatorisch. Für die ManagerInnen stellte sich damit das Entsorgungsproblem. „Wir haben noch Unmengen von nicht erhitzten Beständen“, stöhnten sie und entschieden, nochmals „die internationalen Märkte zu beobachten, um zu bestimmen, ob mehr von dem Produkt verkauft werden kann“. Es konnte. Ende des Jahres hatte die BAYER-Tochter bereits 400.000 alte Faktor-VIII-Einheiten in den Fernen Osten geliefert und 300.000 nach Argentinien. Insgesamt exportierte sie noch 25 Millionen Chargen im Wert von vier Millionen Dollar vornehmlich nach Asien und Lateinamerika.

Nicht einmal als das Hongkonger Gesundheitsministerium den Vertriebs-Chef von CUTTER vorlud, weil die Patienten immer mehr Druck machten und auch die Medien auf das Thema aufmerksam wurden, änderten die Verantwortlichen ihre Haltung. Ihre einzige Reaktion: „Wir haben den Universitätsärzten (...) 350 Flaschen des neuen, hitze-behandelten KOATEs besorgt (...) für jene Patienten, die am lautesten jammern.“ In Japan verfiel das Pharma-Unternehmen sogar darauf, die Zulassung des hitze-behandelten KOATE HT hinauszuzögern, um noch möglichst viel von der Altware absetzen zu können. Dem Journalisten Egmont R. Koch gegenüber zeigte ein CUTTER-Beschäftigter späte Reue: „Ich denke, ich habe Fehler gemacht. Ich denke, ich hätte Dinge besser machen können. Und ich denke, unter diesen Umständen, wenn man die Folgen sieht, bin ich froh, jetzt darüber reden zu können“.

Die CBG begleitet der Blut-Skandal bereits seit Jahrzehnten. 1997 nahm sie erstmals Kontakt zu Betroffenen in den USA auf. Im gleichen Jahr erschien im Stichwort BAYER ein Interview mit Todd Smith. Er berichtete dort von dem zähen Ringen der Betroffenen um ein Schuld-Eingeständnis BAYERs und Entschädigungen. „Die meisten von uns konnten sich zunächst gar nicht vorstellen, dass Firmen, die so bedeutende Medikamente produzieren, geradezu schreckliche, von reiner Gier geprägte Entscheidungen fällen könnten“, so Smith. Dann aber machten sie viel Druck. Ab dem Sommer 1996 hielten die Geschädigten im Wochen-Rhythmus Kundgebungen vor dem Konzern-Standort Berkeley ab. „BAYER got profits - we got AIDS“ war auf ihren Schildern etwa zu lesen. Auch der Bluter-Vereinigung „National Hemophilia Foundation“ statteten sie Besuche ab, denn sie tat fast nichts, wofür nicht zuletzt üppige Zuwendungen von BAYER & Co. gesorgt hatten.

Dem Bluter zufolge hat der Leverkusener Multi bei den Auseinandersetzungen um Kompensationszahlungen die Linie vorgegeben: „BAYER, die größte Hersteller-Firma für Gerinnungspräparate in den USA, hat die juristischen Weichen für die ganze Branche bestimmt. Die drei anderen Firmen sind sozusagen Mitläufer. Denn BAYER bestimmte die Gerichtsstrategie.“

Ein Jahr später stellte Todd Smith den damaligen Vorstandsvorsitzenden Manfred Schneider und dessen VorstandskollegInnen auf der BAYER-Hauptversammlung direkt zur Rede. „Viele meiner bluterkranken Mitmenschen in den USA – Tausende – wurden durch BAYER-Produkte infiziert, und Tausende weitere sind weltweit infiziert. Viele von ihnen sind an AIDS gestorben, und viele haben auch miterlebt, wie Ehefrauen und Kinder starben, die unwissentlich von ihren Partnern infiziert wurden. Und das alles durch ein Produkt, das sicher hätte sein können und auch müssen. Herr Schneider, warum hat der BAYER-Konzern seine Kunden bis heute nicht gewarnt, dass sie sich durch seine Produkte mit dem AIDS-Virus infizieren könnten oder dass bei der Herstellung in vollem Wissen auf Blut von Hochrisikospendern zurückgegriffen wurde?“, fragte er damals. Und am Ende gab Smith selbst die Antwort: „So lange Profite wichtiger sind als Sicherheit, werden Menschen ihr Leben verlieren. Tausende tote Bluter sind der Beweis dafür.“

Todd Smith starb im Jahr 2012. Aber den Kampf um Entschädigungen gewann er noch. 1997 kam es zu einem Vergleich zwischen ihm und rund weiteren 6.200 Klägern mit BAYER, ALPHA THERAPEUTICS, ARMOUR PHARMACEUTICAL und BAXTER HEALTH CARE. Die Unternehmen willigten ein, 600 Millionen Dollar zu zahlen, wovon der Leverkusener Multi mit 290 Millionen den größten Teil zu tragen hatte. Nach Abzug der Kosten für die Rechtsbeistände blieben jedem Betroffenen rund 100.000 Dollar. JapanerInnen bekamen höhere Summen, rund 315.000 Euro pro Kopf. Zudem rangen sie dem Global Player eine Entschuldigung ab. In anderen Ländern konnte er sich zu einer solchen Geste allerdings nicht entschließen. Sie entspräche den speziellen Gepflogenheiten in dem Staat, so der Konzern. „In Japan ist es in einer solchen Situation üblich, die Gefühle offen auszusprechen“, erklärte der BAYER-Manager Theo Plitschke. Die damalige Unternehmenssprecherin Christiana Sehnert verwies ebenfalls auf die „kulturellen Gegebenheiten“ in Japan und lehnte eine Wiederholung ab. „Wenn wir uns in Deutschland entschuldigen, ist doch gleich von Schuld die Rede“, so Sehnert. Hierzulande musste BAYER noch nicht einmal die Portokasse antasten. Der Staat übernahm zum größten Teil die Kosten für die monatlichen Renten-Zahlungen an die Betroffenen in Höhe von 750 bis 1.500 Euro. Und in Großbritannien will die Regierung die angekündigten elf Milliarden Euro Entschädigungen auch dem Steuertopf entnehmen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird jedoch alles dafür tun, dem Konzern eine Beteiligung abzutrotzen. ⎜

BAYER muss Verantwortung übernehmen!

CBG Vorstand

Kontaminierte Blutpräparate in Großbritannien

Presse-Information vom 22.05.2024

Von Anfang der 1970er Jahre bis in die 1990er Jahre hinein starben in Großbritannien 3.000 Menschen an verunreinigen Blutprodukten von BAYER und anderen Herstellern. Darüber hinaus infizierten sich 30.000 PatientInnen mit AIDS oder Hepatitis C. Zu diesem Ergebnis kommt der Anfang der Woche vorgelegte Untersuchungsbericht des Richters Sir Brian Langstaff. „Ich muss berichten, dass dies weitgehend, wenn auch nicht vollständig, hätte vermieden werden können“, so sein Resümee bei der Vorstellung des Reports. „Langstaff hat Recht. BAYER & Co. haben wissentlich viren-belastete Blut-Präparate verkauft; ‚tragisch‘, wie der Leverkusener Multi in einem aktuellen Statement behauptet, ist das Ganze keineswegs“, konstatiert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

BAYERs US-amerikanische Tochter-Gesellschaft CUTTER hatte im Bereich der Gerinnungspräparate für Bluter eine marktbeherrschende Stellung inne. Das SpenderInnen-Blut für die Medizin-Produkte bezog sie vornehmlich von Risiko-Gruppen wie Strafgefangenen, Prostituierten und Drogenabhängigen. Bereits Anfang 1983 wusste das Unternehmen um die damit verbundenen Gefahren. „Es gibt klare Belege, die nahelegen, dass AIDS durch (…) Plasma-Produkte übertragen wird“, hieß es in einem internen Firmen-Dokument. Aber eine Reaktion erfolgte nicht. Und als eine Methode zur Abtötung der Viren durch Hitze-Behandlung aufkam, versuchte der Konzern deren Zulassung so lange wie möglich hinauszuzögern, fürchtete er doch, auf seinen Alt-Vorräten sitzenzubleiben. 

Auch schreckten die ManagerInnen vor den Anlaufkosten für die Produktionsumstellung zurück. Weil sie auf langfristigen Liefer-Verträgen zu festgelegten Preisen saßen, hätte das nämlich ihre Kalkulation zur Makulatur gemacht. Deshalb startete CUTTER eine großangelegte Desinformationskampagne. „AIDS hat in einigen Ländern irrationale Reaktionen hervorgerufen“, schrieb die BAYER-Tochter in einem Brief an Lieferanten aus Frankreich und 20 anderen Staaten und sprach darin von „substanzlosen Spekulationen, dass das Syndrom durch einige Blut-Produkte übertragen werden könnte“. 

Sukzessive aber schrieben immer mehr Gesundheitsbehörden in den westlichen Industrie-Nationen die Anwendung der Inaktivierungsverfahren vor. CUTTER vernichtete daraufhin aber die Lagerbestände nicht einfach, sondern exportierte die unbehandelten Chargen nach Asien und Lateinamerika – mit tödlichen Folgen. 

„Der BAYER-Konzern ging für seine Profite buchstäblich über Leichen. Darum muss er jetzt Verantwortung übernehmen. Es ist nicht einzusehen, warum die britischen SteuerzahlerInnen allein für die Entschädigungen aufkommen sollen, die die Regierung nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts zugesagt hat“, fordert Stelzmann.

In den USA zwangen die Gerichte BAYER, Alpha, Armour und Baxter bereits 1997 zu Zahlungen. Ein Vergleich mit den Geschädigten bzw. deren Hinterbliebenen kostete die Unternehmen 600 Millionen Dollar, wovon der Leverkusener Multi mit 290 Millionen den größten Teil zu tragen hatte. Auf den Hauptversammlungen haben Betroffene den Pharma-Riesen immer wieder direkt mit ihren Leiden konfrontiert und ein Eingestehen der Schuld sowie Entschädigungen eingefordert, die Vorstände jedoch zeigten keinerlei Reaktion.

[CUREVAC] Der CUREVAC-Deal

CBG Redaktion

BAYER steigt ins Impfstoff-Geschäft ein

Anfang Januar 2021 vereinbarte der BAYER-Konzern eine Kooperation mit dem deutschen Impfstoff-Entwickler CUREVAC. Damit ist er nun auch ein bedeutender Player auf dem Corona-Markt.

Von Jan Pehrke

„Ich bin sehr froh, dass ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, dass die BAYER AG mit diesen Lichtblick erzeugt hat, der mit diesem Impfstoff verbunden ist“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet Mitte Februar 2021 bei einem Besuch des Wuppertaler BAYER-Werks. Gerade auch, weil der Ruf der Branche nicht der beste ist, zeigte sich der christdemokratische Politiker erfreut über die Kooperation des Leverkusener Multis mit CUREVAC in Sachen „Covid-19-Impfstoff“: „Es hat sich in den letzten Jahren so eingebürgert, dass man immer auf die Pharma-Industrie schimpft.“ Laschet hingegen will sie hegen und pflegen. „Ich glaube, unser Ziel muss sein, dass Deutschland wieder der Spitzen-Standort für Pharma-Technologie wird“, meint der CDU-Vorsitzende. Schon aus Gründen der Versorgungssicherheit ist das für ihn von größter Wichtigkeit: „Wir sind froh für jedes Unternehmen, dass hier ist und dass nicht irgendwo in anderen Teilen der Welt so seine Produktion verlagert, dass wir im Ernstfall keinen Zugriff darauf haben.“

Am 7. Januar des Jahres hatte der Agro-Riese seine Zusammenarbeit mit CUREVAC bekanntgegeben. Bei der Durchführung der Klinischen Studien, dem Zulassungsprozedere, der späteren Überwachung der Sicherheit des Vakzins sowie bei der Organisation der Lieferkette für die benötigten Zusatzstoffe will er „sein Fachwissen und seine etablierte Infrastruktur“ einbringen, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Zudem hat die Aktien-Gesellschaft sich die Option gesichert, das Vakzin in Ländern außerhalb Europas selbst zu vermarkten.
Rund einen Monat später erweiterten die beiden Firmen ihre Verbindung noch einmal. Sie erstreckt sich nun auch auf den Produktionsprozess. Es brauchte für diesen Schritt allerdings einen Anstoß von außen. „In Gesprächen mit der Bundesregierung ist deutlich geworden, dass die Verfügbarkeit von Impfstoffen weiter erhöht werden muss“, erläuterte Pharma-Vorstand Stefan Oelrich. Dementsprechend positiv reagierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf die Meldung: „Wir freuen uns, dass mit CUREVAC und BAYER zwei deutsche Unternehmen diese Partnerschaft eingegangen sind und weiter vertiefen.“

Natürlich trieb BAYER nur die reine Menschlichkeit zu der Kollaboration. „Aus finanziellen Gründen tun wir das nicht. Wir sehen die große Notwendigkeit“, sagte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in einem Interview mit dem Nachrichtensender ntv. Der Moderator mochte an eine solche Selbstlosigkeit allerdings nicht so recht glauben. „Jetzt standen Sie ja lange mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat in der öffentlichen Kritik. Sind Sie eigentlich froh, dass Sie jetzt einmal mit einem Thema in Verbindung gebracht werden, was positiver belegt ist?“, fragte er. Da musste der Ober-BAYER dann ganz schön weit ausholen, um nicht zu antworten. „Unsere Vision ist die Gesundheit der Menschen, aber auch die gesunde Ernährung der Menschen sicherzustellen. Das sind beides ganz, ganz tolle Aufträge, die im Zentrum dessen stehen, was für die Menschen wichtig ist. Und insofern möchte ich da auch nicht differenzieren. Beide Themen sind wichtig, in beiden Bereichen sind wir als verantwortungsvolles Unternehmen ich glaube sehr, sehr gut unterwegs, um die Dinge zu tun, die wir auch im Dienste der Gesellschaft tun können, inklusive der Nachhaltigkeit. Und dazu gehört auch der Pflanzenschutz, und dazu gehört auch Glyphosat“, lavierte Baumann herum.

Verlängerte Werkbank
Die FAZ zeigte sich gleich gewillt, zum Image-Wandel des Global Players beizutragen. „Die Welt hofft jetzt auf Wuppertal“, meinte das Frankfurter Blatt ausgemacht zu haben. Das Handelsblatt hingegen reagierte weniger euphorisch auf den Deal, den PFIZER in ähnlicher Form mit BIONTECH abgeschlossen hatte. „Die Pharma-Branche erlebt eine bedenkliche Verschiebung der Macht. In der Corona-Krise werden etliche Pharma-Konzerne zur verlängerten Werkbank der Impfstoff-Pioniere – eine Entwicklung, die ‚Big Pharma’ und ihren Investoren zu denken geben sollte“, mahnte die Wirtschaftszeitung.

Auch CUREVAC-Gründer Ingmar Hoerr sieht BAYER & Co. in der Defensive. „Ich bin davon überzeugt, dass Covid einen völligen Paradigmen-Wechsel mit sich bringt, weg von der Big-Pharma-Industrie, wie sie bisher war“, sagte er in einem FAZ-Interview. „Die großen Pharma-Konzerne müssen immer ihre Märkte und Krankheiten im Auge behalten und die Technologien, die sie anbieten können“, so der Biologe.
Er hatte vor 20 Jahren mit der Forschung an einem neuen Impfstoff begonnen, der nicht mehr die ganze DNA eines Virus enthält, um den menschlichen Organismus zur Bildung von Antikörpern anzuregen, sondern nur noch die mRNA. Daher bildet sie den Erreger auch nicht mehr komplett nach, was die Gesundheitsgefahren reduzieren soll. „Kein Konzern hat einen so langen Atem, um eine Vision zu verfolgen, hält Hoerr fest. Der Wissenschaftler hat ursprünglich selber eine Position bei den Großen der Branche angestrebt, entschied sich dann aber um, weil er dort zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten für sich ausmachte. „Wenn ich meinem Abteilungsleiter aber gesagt hätte, ich habe hier etwas Spannendes auf RNA-Ebene entdeckt, hätte er wohl geantwortet: Ja, das ist schon spannend, aber wir kümmern uns erst mal um die Programme, die wir besprochen haben“, denkt der Forscher.

Werner Baumann antwortete auf die Frage, warum BAYER nicht selbst in die Impfstoff-Entwicklung eingestiegen ist: „Wir sind traditionell kein Impfstoff-Hersteller, und es gibt für die traditionelle Impfstoff-Herstellung einige sehr große, auch mit großer Expertise ausgestattete Wettbewerber. Und dann für uns in dieser Situation aus der Position eines in diesem Bereich bisher nicht tätigen Unternehmens diese Expertise aufzubauen, hätte überhaupt keinen Sinn gemacht.“ Tatsächlich verfügte der Leverkusener Multi einmal über diese Expertise. Im Jahr 2004 aber wickelte er das Geschäftsfeld „Infektionskrankheiten“ gemeinsam mit den Sektionen „Asthma“ und „Urologie“ ab. Der Konzern vollzog zu dieser Zeit einen Strategie-Wechsel. Er wollte sich fortan auf viel Gewinn versprechende „High priority“-Projekte wie etwa Krebs-Therapeutika konzentrieren und nicht länger ein umfassendes Arznei-Angebot bereitstellen.

Andere große Arznei-Unternehmen stellten die Arbeit an Impfstoffen ebenfalls ein. Mittel gegen Infektionskrankheiten zu entwickeln, die vielleicht alle zehn, fünfzehn Jahre mal ausbrechen, vielleicht aber auch nicht, bietet Big Pharma kaum Aussicht auf verlässliche Renditen. Darum gibt es heute nur noch vier große Anbieter auf dem Markt. Und von den bisher zugelassenen Vakzinen gegen Corona entstammt keines ihren Laboren. Hochschul-WissenschaftlerInnen oder kleine Start-Ups haben sie entwickelt, Die Pillen-Riesen kamen stets erst später dazu, wenn sich die Risiken als überschaubar erwiesen und sie kaum eigenes Geld zu investieren brauchten.

Das kam hauptsächlich von der öffentlichen Hand oder aus privaten Quellen. Bei CUREVAC ist der SAP-Gründer Dietmar Hopp der Hauptförderer. Er hält auch die Mehrheit der Aktien. Von der Bundesregierung erhielt die Tübinger Firma 251 Millionen Euro an Subventionen und BIONTECH sogar 375 Millionen. So ganz uneigennützig geschah das natürlich nicht. „Von den Firmen wurde im Gegenzug erwartet, dass sie einen angemessenen Anteil der Produktion eines zugelassenen COVID-19-Impfstoffes für die bedarfsgerechte Versorgung in Deutschland zugänglich machen“, konstatieren CDU und SPD in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Und CUREVAC konnte noch mehr Gelder akquirieren. Die von Deutschland mitgetragene internationale Impfstoff-Allianz CEPI, zu der außerdem noch Einrichtungen wie die Weltgesundheitsorganisation und die „Bill & Melinda Gates Foundation“ (BMGF) gehören, gab 34 Millionen Dollar und die BMGF allein noch einmal 46 Millionen Euro. Überdies unterstützt die Europäische Investitionsbank den Aufbau der Vakzin-Produktion mit einem Darlehen von 75 Millionen Euro.

Aber Merkel & Co. gingen noch weiter. Als Gerüchte um einen Börsengang der Firma in den USA sowie um das Bemühen Donald Trumps, CUREVAC in die USA zu locken, die Runde machten, stieg der Bund direkt bei der Tübinger Firma ein. Für 300 Millionen Euro erwarb er Mitte Juni 2020 23 Prozent der Anteile an dem Unternehmen; nach einer Kapital-Erhöhung schrumpfte die Beteiligung dann auf rund 17 Prozent. Es gelte, „elementare Schlüsselindustrien am Standort zu erhalten und zu stärken“ sowie die industrielle Souveränität Deutschlands zu wahren, erklärte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) damals zum Sinn der Übung.

Das Objekt der Begierde
Was da konkret die Begehrlichkeiten weckt, steckt noch in der Phase der klinischen Erprobung. Trotzdem hat die Europäische Union schon einen Liefer-Kontrakt mit CUREVAC abgeschlossen und dabei alle Risiken auf sich genommen. „Die Vertragsparteien erkennen an, dass die beschleunigten Entwicklungszeiten für die Durchführung der mit der EMA (Europäische Arzneimittel-Behörde, Anm. SWB) vereinbarten klinischen Prüfung und des Folge-Programms bedeuten, dass der Auftragnehmer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses APA (Advance Purchase Agreement = Kauf-Vereinbarung, Anm. SWB) unter keinen Umständen garantieren kann oder die Haftung dafür übernimmt, dass das Produkt letztendlich verfügbar sein oder die gewünschten Ergebnisse erzielen wird, d. h. eine ausreichende Wirksamkeit zur Verhinderung einer COVID-19-Infektion aufweist oder ohne akzeptable Nebenwirkungen ist“, heißt es in dem Dokument.

Die EU stellt CUREVAC also einen Blanko-Scheck aus. 225 Millionen Dosen des Impfstoffes CVnCoV zu einem Einzelpreis von zehn Euro hat sie vorab erworben. Darüber hinaus sicherte sich Brüssel eine Option auf 180 Millionen weitere Impf-Dosen von CUREVAC.

Deutschland erhält aus diesem Kontingent 54,1 Millionen Dosen. Zudem hat die Bundesregierung mit CUREVAC einen Vertrag über eine Option auf 20 Millionen weitere CVnCoV-Dosen abgeschlossen. „Das Mandat für die Impfstoff-Beschaffung auf EU-Ebene sieht vor, dass die teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten keine eigenen Abschlüsse einer Abnahme-Garantie für den Impfstoff mit demselben Hersteller einleiten. Art. 7 ESI-Agreement verbietet indes nicht den Abschluss von Absichtserklärungen“, erklärt die Große Koalition zu ihren kleinen Sonderwegen bei der Vorratsbeschaffung.

Die Nebenwirkungen
Die Resultate aus der Zulassungsstudie kündigt CUREVAC für die Mitte des 2. Quartals 2021 an. Im Moment befindet sich der Impfstoff noch in der letzten Phase der Erprobung. Wie die anderen Vakzine auch, durchläuft CVnCoV ein beschleunigtes Verfahren, bei dem zweiter und dritter Teil der Arznei-Prüfung zusammengelegt sind. Das birgt viele Gefahren, besonders weil es sich bei CVnCoV & Co. um Gentech-Produkte handelt, also um solche, die tief und unrückholbar in organische Prozesse eingreifen und überdies in diesem Bereich noch nie zur Anwendung kamen. Dementsprechend liegen noch keinerlei Erfahrungen zu ihren – möglicherweise auch langfristigeren – Risiken und Nebenwirkungen vor. Und die bisherigen klinischen Prüfungen können da nicht eben als vertrauensbildende Maßnahmen gelten. So musste etwa JOHNSON & JOHNSON im Oktober 2020 seine Studie mit Ad26.COV2.S nach einer „unerklärten Erkrankung“ eines Probanden für vier Wochen unterbrechen.

Besonders die Tests von ASTRAZENECA werfen viele Fragen auf. Eine größere Studie mit nur einer Dosis erbrachte keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis. Daraufhin führte der Konzern mehrere kleine Untersuchungen mit zwei Dosen durch, variierte aber den Abstand zwischen den Verabreichungen von sechs bis hin zu 23 Wochen. Zudem hat die Firma aus mehreren Untersuchungen ein „Best of“ kompiliert. Ein „heilloses Durcheinander“ nannte das der Pharmazeut Thomas Dingermann. Zwei dieser Erprobungsreihen akzeptierte die EMA dann auch nicht, und im März diesen Jahres meldete die zuständige US-amerikanische Behörde NIAID ebenfalls ernsthafte Zweifel ob der Belastbarkeit der Daten an. In der Praxis hatte das ernsthafte Konsequenzen: Es traten mit Thrombosen lebensgefährliche Nebenwirkungen auf, die in den Studien-Protokollen nicht vermerkt waren und zu einer zeitweiligen Aussetzung der Impfungen führte.

Zum CUREVAC-Präparat liegen bisher nur zur ersten Phase der Klinischen Erprobung Resultate vor. Da testete das Unternehmen die Verträglichkeit der Arznei an 250 ProbantInnen. An Nebenwirkungen registrierten die WissenschaftlerInnen 19 Fälle von Schwindel, 15 Fälle von Herzrasen, Nacken- oder Unterleibsschmerzen, 13 Fälle von Herzklopfen, Halsentzündung, Geschmacksstörungen oder Müdigkeit, sechs Fälle von Parästhesien, also Symptome wie Haut-Kribbeln, Jucken oder Schwellungsgefühle, sowie drei Fälle von Brustschmerzen und Durchblutungsstörungen. Reaktionen, die der Definition nach als schwere Nebenwirkungen einzustufen sind, verzeichneten die ForscherInnen nicht.
Aussagekräftigere Angaben zu den Risiken der mRNA-Impfstoffe erlauben die Daten, die das „Paul Ehrlich Institut“ (PEI) über die beiden bisher zugelassenen Substanzen Comirnaty von BIONTECH/PFIZER und COVID-19-Vaccine Moderna von MODERNA zusammengetragen hat. Im Zusammenhang mit den 5.378.703 Millionen Comirnaty-Impfungen gingen in dem Zeitraum vom 27. Dezember 2020 bis zum 26. Februar diesen Jahres 8.368 Meldungen über Nebenwirkungen ein. Bei den 168.189 MODERNA-Impfungen traten 484 Mal Komplikationen auf. Mit 1,6 bzw. 2,9 Fällen pro 1.000 Impfungen lagen die beiden mRNA-Vakzine damit unter dem Wert des Stoffes von ASTRAZENECA, der auf eine Zahl von 7,6 kommt.

Nebenwirkungen mit Todesfolge zählte das Institut bei Comirnaty 269, wobei es relativiert: „Der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und dem tödlichen Ereignis variierte zwischen einer Stunde und 34 Tagen nach der Impfung.“ In Verbindung mit dem MODERNA-Vakzin registrierte die Behörde lediglich einen Todesfall. Allergische Schock-Reaktionen, sogenannte Anaphylaxien, wie sie generell bei Impfstoffen gefürchtet sind, verzeichnete das PEI bei den mRNA-Präparaten bisher nicht. Es verwies aber auf Zahlen aus den USA, die bei Comirnaty 4,7 Anaphylaxien pro eine Million Impfdosen ausweisen und bei MODERNA 2,5. Insgesamt führt die Einrichtung bei Comirnaty 1.705 schwerwiegende Nebenwirkungen auf und bei der MODERNA-Substanz 107. Zu den häufigsten unerwünschten Reaktionen zählen bei den beiden Arzneien Kopfschmerzen, Fieber, Gliederschmerzen, grippe-ähnliche Symptome und Schmerzen an der Einstich-Stelle.
Überdies berichtet der Gen-ethische Informationsdienst von Erfahrungen mit mRNA-Vakzinen, die gegen HI- und Zika-Viren zum Einsatz kamen und Ödeme sowie multiple Entzündungsprozesse auslösten. Auch schlugen einige der durch den Impfstoff erzeugten Antikörper aus der Reihe und riefen schwere Lungenentzündungen hervor, indem sie Gedächtniszellen aktivierten, die ihren Ursprung früheren Infektionen verdanken. Zur Entstehung solcher Gedächtniszellen können die mRNA-Substanzen auch selber beitragen.

Ein großes Problem stellt ferner die Anforderung dar, die Stabilität der Stoffe zu gewährleisten. Schon die bei manchen Produkten nötige extreme Kühlung ist ein Indiz für den Aufwand, der dazu getrieben werden muss. Unterlagen der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA, die nach einem Hackerangriff an die Öffentlichkeit gelangten, wirken da nicht eben vertrauenserweckend. So war bei den zum Verkauf bestimmten Chargen des Impfstoffes von BIONTECH nur 55 Prozent der mRNA intakt; die bei den Zulassungsstudien verwendeten Substanzen kamen immerhin auf einen Anteil von etwa 78 Prozent. Das berichtete die Medizin-Journalistin Serena Tinari im British Medical Journal nach Sichtung des Materials. „Große Sorgen“ machte dieser Befund den EMA-BegutachterInnen den Dokumenten zufolge. Die Bedenken verschwanden dann aber relativ schnell wieder, als PFIZER zusicherte, das Qualitätsmanagement zu verbessern. Die neuen Vakzine bestanden dann wieder zu 70 bis 75 Prozent aus unversehrter mRNA, was der Amsterdamer Behörde schließlich für die Zulassung reichte. CUREVAC kennt diese Schwierigkeiten angeblich nicht. Stabilitätstests bezüglich der Temperatur, aber auch der Rüttelfestigkeit hätten sehr gute Ergebnisse gezeigt, bekundete das Unternehmen der FAZ zufolge.

Europe first
Wie die Komplikationen bei der Fertigung von Comirnaty zeigten, funktionierte PFIZER nicht einmal als verlängerte Werkbank reibungslos. Bei anderen Herstellern traten ähnliche Mängel auf. Und damit begann das Gerangel um das kostbare Gut. Die Sonntagsreden mit ihren Beteuerungen, die ärmeren Länder bei der Versorgung mit den Arzneien nicht zu vergessen, gerieten darüber schnell in Vergessenheit. Hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Mai 2020 noch beteuert, Brüssel arbeite daran, dass Vakzine „in jede Ecke der Welt zu einem fairen und erschwinglichen Preis verteilt werden“, so erklärte sie im März 2021: „Jetzt gibt es erstmal einen ziemlichen Druck in den Mitgliedsstaaten, selbst Impfstoff zu bekommen.“ „Impfstoff-Nationalismus“ hieß das Gebot der Stunde, und Export-Verbote standen zur Debatte.

Während sich einige Staaten wie z. B. Kanada bereits das Fünffache des Bedarfs gesichert haben, gingen zahlreiche Nationen leer aus. „Gerade einmal zehn Länder haben 75 Prozent aller COVID-19-Impfstoffe verabreicht. Gleichzeitig haben mehr als 130 Länder noch keine einzige Dosis erhalten“, kritisierte der UN-Generalsekretär António Guterres am 17. Februar in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dann auch. Ende März waren es noch 36 Staaten.

Es ist an China, die Armutsregionen mit Vakzinen zu versorgen. Das Reich der Mitte will seine Vakzine rund 150 Staaten zum Selbstkostenpreis liefern. Im Westen indes gibt es zur Zeit kaum frei verfügbare Substanzen. Für den größten Teil dessen, was in diesem Jahr noch die Fabriken von PFIZER & Co. verlässt, existieren bereits Kauf-Verträge. Dementsprechend hat die Impfstoff-Initiative COVAX, von der Weltgesundheitsorganisation, CEPI und der EU ins Leben gerufen, um für eine global gerechte Distribution des Impfstoffes zu sorgen, das Nachsehen. Gerade einmal 200 Millionen Dosen hat sie bislang für die mehr als 90 ärmeren Länder mit einer Gesamtbevölkerungszahl von rund vier Milliarden Menschen erwerben können. Und Schwellenländer fallen ganz durchs COVAX-Raster, obwohl sie wie Kolumbien an ihre Grenzen stoßen, wenn MODERNA etwa 30 Dollar pro Dosis verlangt. Nur ASTRAZENECA vermarktet sein Produkt in Pandemie-Zeiten zum Selbstkosten-Preis und tut über seine Kooperation mit dem Konzern SERUM INSTITUTE OF INDIA auch einiges für die gerechte Verteilung.

CUREVAC hingegen zeigt sich in dieser Beziehung deutlich zurückhaltender. Der Kontrakt, den die Firma mit der Europäischen Union geschlossen hat, erlaubt dieser zwar die Weitergabe von CVnCoV an bedürftige Staaten, aber Brüssel braucht dafür das Ja-Wort aus Tübingen. Auch wenn die EU-Kommission darum vorerst nicht anhalten wird – Ursula von der Leyen hat Spenden erst einmal ausgeschlossen – ist eine solche Zustimmungsklausel nach Einschätzung des FDP-Politikers Andrew Ullmann nicht ohne. Dadurch könne es zu gefährlichen Verzögerungen kommen, warnt er laut Tagesspiegel. Und bei dieser Kritik blieb es nicht. Im Dezember 2020 landete CUREVAC beim Impffairness-Test der Initiative ONE mit einem von fünfzehn möglichen Punkten auf dem letzten Platz. Die Nicht-Beteiligung an COVAX sowie die Weigerung, CVnCoV zu erschwinglichen Preisen anzubieten und sich auf politischer Ebene für Verteilungsgerechtigkeit einzusetzen, führten zu der schlechten Bewertung. Inzwischen hat die Aktien-Gesellschaft jedoch noch einmal punkten können. Zudem gibt es erste Gespräche mit COVAX.

Patente töten
Die Liefer-Probleme treten auf, weil die Herstellungskapazitäten nicht ausreichen. Auch CUREVAC hatte darunter zu leiden. „Es gab einen Riesenansturm auf die Ausrüstung“, klagte der Unternehmensleiter Hans-Werner Haas bei einer Anhörung im Europa-Parlament. Da es unter dem gegenwärtigen Produktions- und Preisregime offensichtlich nicht möglich ist, allen Menschen auf der Welt Zugang zu den Impfstoffen zu verschaffen, fordern die ärmeren Länder ein zeitweises Aussetzen der Patente, um so die Fertigung anzukurbeln. Einen entsprechenden Antrag haben Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation eingereicht. Der südafrikanische WTO-Bevollmächtigte Mustaqueem De Gama sieht in der temporären Aufhebung der Schutzrechte ein probates Mittel gegen den „Impf-Nationalismus“ der reicheren Staaten. „50 Prozent der bis zum 22. Februar injizierten 200 Millionen Impfdosen verabreichten die USA, Großbritannien und die EU“, so De Gama.

Die Initiative fand breite Unterstützung. Mehr als 100 Staaten stellten sich hinter Südafrika und Indien. Auch der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, und Winnie Byanyima vom AIDS-Programm der UN begrüßten den Vorstoß. „Wir sollten nicht wiederholen, was bei der AIDS-Krise in der Welt geschehen ist. Wir haben zehn Jahre verloren und Millionen HIV-Positive sind gestorben, weil wir auf Zugeständnisse der Pharma-Industrie gewartet haben“, erklärte sie. Susan Bergner, bei der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ für globale Gesundheitsfragen zuständig, spricht sich ebenfalls dafür aus: „Die Länder des globalen Südens müssen dringend Produktionskapazitäten für Impfstoffe aufbauen können. Da würde eine zeitweise Aussetzung der Patentrechte der Pharma-Konzerne helfen.“

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) teilt diese Auffassungen und ging am 23. Januar 2021 für die Freigabe der Patente auf die Straße. Überdies zählt sie mit zu den UnterzeichnerInnen des Aufrufs „Patente töten“, den die BUKO PHARMA-KAMPAGNE gemeinsam mit anderen Organisationen gestartet hat. „Das Patent-System hat die Wissensproduktion im medizinischen Bereich auf Gewinn-Maximierung und Kapitalerträge ausgerichtet und nicht auf die Erforschung und Entwicklung lebensrettender Medikamente und deren gerechte Verteilung“, heißt es darin. Dementsprechend entwickelt die Pharma-Industrie dem Appell zufolge hauptsächlich Arzneien, die viel Profit auf den rentablen Märkten der Wohlstandsländer abwerfen. „Den globalen Gesundheitsbedürfnissen wird sie dabei nicht gerecht. Und das Patent-System sorgt dafür, dass auch jene Medikamente hochpreisig gehalten werden, deren Entwicklung auf öffentlich finanzierter Forschung basiert“, kritisieren die Gruppen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erhielt in der Sache einen Offenen Brief, der die CDU-Politikerin dazu anhielt, sich für die Aufhebung des Schutzes des geistigen Eigentums an den Corona-Impfstoffen ein-zusetzen: „Angesichts einer globalen Gesundheitslage, in der Forschung und Entwicklung durch große Mengen öffentlicher Gelder finanziert wurden, ist es einfach unverschämt, dass diese wenigen Pharma-Unternehmen von ihren Patent-Monopolen profitieren, während die Welt leidet.“

CUREVAC bekam ebenfalls Post. Die BUKO PHARMA-KAMPAGNE, ONE, OXFAM und andere wandten sich an den Firmen-Leiter Franz-Werner Haas. „Wir sind der Überzeugung, dass diese massive öffentliche Unterstützung auch mit der Verpflichtung einhergeht, Menschen weltweit Zugang zu Covid-19-Impfstoff zu gewähren. Wir bitten Sie daher darzulegen, welche konkreten Maßnahmen Sie hinsichtlich der wichtigen Aspekte Transparenz, Bezahlbarkeit, Lizenzierung, Technologie-Transfer und garantiertem gerechten Zugang ergreifen werden, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden“, forderten die Absender ihn in dem Brief auf.

Tatsächlich sprach Haas sich in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung für eine befristete Aufhebung der Patente aus. Praktische Konsequenzen hatte das allerdings bisher nicht. Und den Leverkusener Multi dürfte der Pharma-Manager dafür kaum gewinnen können. Der Konzern lehnt eine solche Sonder-Regelung rigoros ab. „Eine Art Not-Impfstoffwirtschaft bringt überhaupt nichts“, so BAYER-Chef Werner Baumann. Dabei stößt er auf eine breite Unterstützung der Branche. „Es muss dabei bleiben, dass die Unternehmen Eigentümer ihrer Entwicklungen bleiben“, dekretiert Han Steutel, Präsident des von BAYER gegründeten „Verbandes der Forschenden Arzneimittel-Hersteller“ VFA. Auch dessen europäische und internationale Pendants, der EPFIA und der IFPMA, verwehren sich gegen eine solche Maßnahme. Und als die Universität Oxford im April letzten Jahres erklärte, den von ihr entwickelten Corona-Impfstoff jedem Unternehmen zur Verfügung stellen wollen, das ihn produzieren kann, intervenierte die „Bill & Melinda Gates Foundation“ erfolgreich. Schlussendlich schloss die Hochschule mit ASTRAZENECA einen Exklusiv-Vertrag ab.

Die Politik steht dabei hinter den Pillen-Riesen. „Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass Fragen des geistigen Eigentums ein echtes Hindernis auf den Zugang zu Covid-bezogenen Technologien darstellen“, erklärte die EU-Kommission. Und die Große Koalition hielt in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ fest: „Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass der Zugang zu einem zukünftigen Impfstoff gegen COVID-19 ein öffentliches Gut ist, die Zugangsproblematik allerdings nicht auf die Frage der Schutzrechte vereinfacht werden darf, sondern nur ein ganzheitlicher Ansatz erfolgversprechend ist.“ Darum trägt sie den WTO-Antrag Südafrikas und Indiens auch nicht mit und weiß sich darin mit den Staatsoberhäuptern der meisten Industrie-Staaten einig, weshalb die Chancen für eine Aussetzung der Schutzrechte nicht groß sind.

Also mal wieder blendende Zeiten für die Pillen-Konzerne. Sie können ihre Patente behalten und trotzdem Subventionen ohne Ende einstreichen, erhalten obendrein noch Abnahme-Garantien für Medikamente, die ihren Nutzen noch gar nicht erwiesen haben – so viel Planwirtschaft darf sein – und müssen für ihre Arzneien noch nicht einmal haften, wenn mit ihnen etwas schief geht. Und was bieten sie für ihre risiko-lose Profit-Vermehrung? Nichts. „Im Gegenzug sollte die Welt einfach darauf vertrauen, dass sie sich anständig verhalten“, wie die Organisation CORPORATE EUROPE WATCH bemerkt.

Die Coordination braucht 500 neue Mitglieder

CBG Redaktion

Unterstützung von Konstantin Wecker, Nina Hagen und Wilfried Schmickler

Die Existenz der Coordination gegen BAYER-Gefahren steht weiter auf dem Spiel. Sozialabbau und Wirtschaftskrise haben die Spenden in den letzten Jahren stark sinken lassen, bei ständig steigenden Kosten. Zugleich erhalten wir keinerlei Förderung aus staatlichen oder kirchlichen Quellen - der Preis unserer konzernkritischen Ausrichtung. Doch ein weltweit aktives Netzwerk kommt ohne Geld nicht aus, auch nicht bei weitgehend ehrenamtlicher Arbeit.

BHOPAL MAHNT: STOPPT DIE GEFAHREN CHEMISCHER GROSSPRODUKTION! BEI BAYER UND ANDERSWO.

CBG Redaktion

Am 3. Dezember 1984 fand in Bhopal/Indien die größte Chemiekatastrophe in der bisherigen Geschichte der Menschheit statt. Innerhalb weniger Stunden kamen aufgrund eines Austritts hochgiftigen METHYLISOCYANAT-Gases in der Pestizid-Produktion des US-Multis UNION CARBIDE ca. 2‚000 Menschen ums Leben, mehr als eine halbe Million Menschen wurden gesundheitlich geschädigt.
Noch heute, 10 Jahre nach der Katastrophe, sterben täglich Opfer an den Folgen dieses Chemie-Desasters. Mittlerweile mußten rund 10‘000 Menschen ihr Leben lassen.

HIV-belastete Blutprodukte

CBG Redaktion

Tödliche Blutpräparate

Zu Beginn der 1980er Jahre wurde AIDS erstmals beschrieben. Relativ schnell wurde klar, dass die Krankheit auch durch Blutprodukte übertragen wird. Die BAYER-Tochter Cutter, der damalige Weltmarktführer, versuchte zunächst, die Risiken zu verharmlosen. Trotz Kenntnis der verheerenden Folgen verkaufte sie den unsicheren Gerinnungsfaktor weiter, obwohl bereits erster Test- und Inaktivierungsverfahren vorlagen. Tausende Bluter bezahlten mit Ihrem Leben.

[Menschenversuche] BAYERs Menschenversuche

CBG Redaktion

Arznei-Tests an Heimkindern

BAYERs Menschenversuche

In den 1950er und 1960er Jahren haben BAYER, MERCK & Co. Psychopharmaka und andere Medikamente an Heimkindern testen lassen, ohne dass Einverständnis-Erklärungen zu den Erprobungen vorlagen. An den Folgen leiden die ehemaligen Versuchskaninchen teilweise bis heute. Trotzdem zeigt sich der Leverkusener Multi weder zu einer Entschuldigung noch zu Entschädigungszahlungen bereit.

Von Jan Pehrke

„Da hat dich einer festgehalten, wenn er kräftig genug war, wurde die Nase zugehalten, Mund auf, und weg ist das Zeug“, so plastisch erinnert sich der heute 52-jährige Franz Wagle noch an das Prozedere bei den Arznei-Tests bzw. -Gaben in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landeskrankenhauses Schleswig-Hesterberg. Ab den 1950er Jahren bis weit in die 1960er Jahre hinein erprobten BAYER und andere Pharma-Firmen dort ihre neuen Medikamente, bevorzugt Neuroleptika, und bestückten die Einrichtungen nach der erfolgten Zulassung postwendend mit mega-großen „Anstaltspackungen“. Pharmazeutika wie MEGAPHEN (Wirkstoff: Chlorpromazin) oder AOLEPT (Periciazin) kamen dort unter anderem zum Einsatz, aber auch Antidepressiva wie AGEDAL (Noxiptilin) oder Schlafmittel wie LUMINAL (Phenobarbital). Rund 1.000 Kindern applizierten die MedizinerInnen die Präparate. Darüber hinaus erhielten noch einmal ca. 2.500 ProbandInnen aus der benachbarten Erwachsenen-Psychiatrie Schleswig-Stadtfeld die Mittel.

Die Arznei-Konzerne ließen ihre Medikamente darüber hinaus auch noch in anderen Häusern testen. BAYER begann damit nicht erst in den 1950er Jahren. Schon in der Weimarer Republik ließ der Leverkusener Multi seine Pharmazeutika an Kindern erproben. Aber erst die NationalsozialistInnen ermöglichten ihm die Möglichkeit, seinem Forscher-Drang ohne Rücksicht auf Verluste nachzugehen. Die Konzentrationslager galten dem Unternehmen dabei als Reservoir für seine Versuchskaninchen. In Auschwitz hatte es unter anderem den berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele in seinen Diensten.

Nach dem Krieg ging es dann bruchlos weiter mit den Pillen-Prüfungen. Die Aktien-Gesellschaft nutzte dafür unter anderem die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg, die Rheinische Landesklinik Bonn, die Landeskinderheilstätte Mammolshöhe, die Universitätskliniken Erlangen-Nürnberg, Mainz, Marburg, Münster und Tübingen, die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, die Landesklinik Landeck, die Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunsdorf sowie in Berlin die Landesklinik Wittenau, die Nervenklinik „Waldhaus“ sowie die Psychiatrische und Neurologische Klinik der Freien Universität.Und für das seit 2006 zu BAYER gehörende Unternehmen SCHERING führten damals beispielsweise die Behinderten-Einrichtung der Diakonie Kork und die Göttinger Universitätsklinik Tests durch. Zusätzlich zu den Arzneien, welche die MedizinerInnen den schleswiger ProbandInnen wider Willen verabreichten, fanden noch Versuche mit dem Neuroleptikum CIATYL, Polio-Impfstoffen, Tuberkulose-Präparaten sowie mit dem den Geschlechtstrieb dämmenden Mittel ANDROCUR statt.

Vor allem die Neuroleptika hatten es dabei in sich. „Du weißt ja gar nicht, was es ist. Du weißt nur, dass Du irgendwann dann nicht mehr Herr deiner Sinne bist“, erzählt Wagle in einem NDR-Interview: „Du warst immer benaschelt und betäubt.“ Sein Leidensgenosse Günter Wulf beschreibt ähnliche Erfahrungen nach der Verabreichung der Substanzen: „Ich konnte nur noch lallen.“ Nach Erprobungen von MEGAPHEN in einer Kombination mit anderen Medikamenten waren zu dieser Zeit in der Forschungsliteratur sogar schon Todesfälle aktenkundig. Viola Balz berichtet darüber in ihrem Buch „Zwischen Wirkung und Erfahrung – eine Geschichte der Psychopharmaka“. Aber auch solo sorgt das Neuroleptikum mit dem Wirkstoff Chlorpromazin für unerwünschte Arznei-Effekte en masse. Unter anderem zählen Kreislauf-Zusammenbrüche, epileptische und Ohnmachts-Anfälle, Atemnot, Gelbsucht, Hirnstrom-Veränderungen sowie Muskelverkrampfungen und parkinson-ähnliche Gesundheitsstörungen zu den Risiken und Nebenwirkungen.

Die schweizer Psychiater Cécile und Klaus Ernst von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die im Jahr 1954 einen Selbstversuch mit MEGAPHEN unternahmen, heben vor allem die völlige Apathie hervor, in die das Medikament sie versetzte. Die Pharmazeutin Sylvia Wagner, die das Thema „Medikamenten-Versuche an Heimkindern“ mit den Recherchen für ihre gerade erschienene Dissertation in die Öffentlichkeit gebracht hatte, zitiert in ihrer Arbeit den Aufsatz von Klaus Ernst über die Erfahrung des Ehepaars. „Ich war in einer verdrossenen, unbeweglich-trockenen Stimmung, die Erlebnisfähigkeit war auf die banalsten Geschehnisse, die Interessensphäre auf einen winzigen Kreis kleiner Bequemlichkeiten zusammengeschrumpft“, schreibt der Mediziner. Seine Frau bemerkt an sich eine „Verletzung der Integrität des Körpers“ und eine völlige Unlust, mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten und soziale Beziehungen zu unterhalten. Später schlug die Wirkung des Präparats dann teilweise ins Gegenteil um: Es machte rastlos und löste einen kaum zu stillenden Bewegungsdrang aus.

Soziale Medikation

Von all dem ist in dem 1958 erschienenen Aufsatz des Arztes Rolf Jacobs über seine Versuche mit Heimkindern im Schleswiger Landeskrankenhaus nicht die Rede. „Schlimmstenfalls ganz flüchtige Nebenwirkungen“ konnte der Herr Medizinalrat nach der Gabe von BAYERs MEGAPHEN, dem PROMONTA-Produkt PACATAL und dem CIBA-Pharmazeutikum SERPASIL beobachten. Zu solchen Effekten zählte er vermehrten Speichelfluss, Zittern, Bewegungsstörungen, verlangsamten Herzschlag, Gefäßerweiterungen, Schweißausbrüche und Schwindel. „Bei uns haben sich jedenfalls MEGAPHEN- bzw. PACATAL-Kuren bestens bewährt“, resümiert Jacobs und schließt: „Aufrichtig möchte ich den BAYER-Werken und den CIBA-Werken für die großzügige Überlassung von Versuchsmengen danken.“

„Zur Pharmako-Therapie von Erregungszuständen und Verhaltensstörungen überhaupt bei oligophrenen, anstaltsgebundenen Kindern und Jugendlichen“ setzte der Psychiater die Mittel ein. Den Begriff „Oligophrenie“ definierte er dabei als ein „Minus an Seele“; für ihn bedeutete das Wort jedoch etwas anderes. „Wir gebrauchen es eigentlich mehr für Menschen, die ein Zuwenig im Bereich ihrer Intelligenz aufzeigen. Allerdings sind erfahrungsgemäß auch immer die übrigen psychischen Gebiete mitbetroffen“, so der Mediziner. Im Verlauf des Textes wird er dann deutlicher und bezeichnet seine Versuchskaninchen einfach als „Schwachsinnige“, die allerdings in allen möglichen Verpuppungen auftreten können. Der Arzt präsentiert mit Verweis auf Kurt Schneider eine völlig abstruse Typologie, die von faulen Genießern, sturen Eigensinnigen, kopflos Widerstrebenden und verstockten Duckmäusern über heimtückische Schlaue, selbstsichere Besserwisser und chronisch Beleidigte bis hin zu treuherzig Aufdringlichen, prahlerischen Großsprechern und aggressiven Losschimpfern reicht.

Und im Umgang mit den „faulen Genießern“ und ihren SpießgesellInnen haben MEGAPHEN & Co. „nicht nur ihm, sondern auch dem pflegenden Personal die Arbeit wesentlich erleichtert“, vermerkt Jacobs. Ein verräterischer Satz. Er offenbart, wem die Behandlung mit den Präparaten eigentlich gilt. „Nicht der einzelne Mensch war Adressat der Arzneimittel-Wirkung, sondern das soziale System der Einrichtung“, schreibt Sylvia Wagner und nennt diese Praxis „soziale Medikation“. Jacobs selbst spricht von „einer möglichst reibungslosen Eingliederung“ schwieriger jüngerer PatientInnen in die Anstaltsgemeinschaft. An der versuchten sich auch die PychiaterInnen des Essener Franz-Sales-Hauses mit Hilfe der Neuroleptika. Mit Erfolg – wie ein MERCK-Vertreter nach einem Besuch der Einrichtung verzeichnet. „Mit MEGAPHEN und/oder RESERPIN (...) erzielt man in den meisten Fällen gute Ruhigstellung“, gibt er in seinem Bericht die Einschätzung des leitenden Arztes wieder. Das vom Darmstädter Pillen-Riesen produzierte DECENTAN bekam ebenfalls ein gutes Zeugnis: „Die Schwestern fordern laufend die 4 mg-Dragees nach, da sie somit endlich Ruhe auf den Stationen haben, und die Kinder auch tadellos schulfähig gehalten werden.“
Aber Jacobs testete das MEGAPHEN Wagner zufolge auch noch für andere Zwecke. „Über einen MEGAPHEN-Versuch, gedacht als Beitrag zum Thema: Behandlung des nervösen Schulkindes in unseren Tagen“ verfasste er einen Fachaufsatz.

Verzweifelte Notrufe aus den Reihen der Lehrerschaft“ hatten ihn und seinen Co-Autoren Herbert Kiesow angeblich dazu bewogen, „schwachsinnige (überwiegend debile) den Disharmonitätstypen zugehörige anstaltsgebundene Sonderschul-Kinder beiderlei Geschlechts“ mit dem BAYER-Präparat zu traktieren. Der Effekt ließ dann nicht lange auf sich warten. Die Versuchskaninchen wurden „pädagogisch wesentlich lenkbarer“. Zudem herrschte bald eine „wohltuende Ruhe auf den Abteilungen“. Die Wirkung hielt jedoch nicht lange genug an. Deshalb probierten die beiden Psy-chiater MEGAPHEN zusätzlich noch in Kombination mit Schlafmitteln und anderen Medikamenten aus. Hier sahen sie aber noch weiteren Forschungsbedarf. Dieses wäre „eine dankenswerte Aufgabe für die Arzneimittel-Industrie und die entsprechenden Fachkrankenhäuser“, meinten Jacobs und Kiesow. Bis dahin empfahlen die MedizinerInnen der LehrerInnenschaft MEGAPHEN als ein „ihr erziehliches (sic!) Bemühen wirksam unterstützendes Medikament“. „MEGAPHEN wirkt bei allen Kindern sofort in gleicher Weise sedativ. Durch die weitgehende Beruhigung wird die Schularbeit wesentlich erleichtert“, lautete ihr Resümee. Auch über BAYERs AOLEPT verbreitete sich Rolf Jacobs in Fachzeitschriften. Er testete es bei solchen von ihm als schwachsinnig bezeichneten Kindern und Jugendlichen, die „akute bzw. bedenklich anhaltende, mit dem Gemeinschaftsleben nicht zu vereinbarende, soziale Anpassungsschwierigkeiten“ hatten wie etwa „auflehnende Disziplinlosigkeit, Aggressivität und völlige Hemmungslosigkeit“. Und siehe da: Bei 103 von 141 ProbandInnen schlug das Mittel laut Jacobs an – ein „gutes, ein wirklich ermutigendes Resultat“. Muskelkrämpfe, Keislaufkollapse und andere Nebenwirkungen galt es dabei zu vernachlässigen. Und einen lebensgefährlichen Epilepsie-Anfall mochte er „nicht dem Präparat zur Last“ legen.

Die Test-Spirale

Solche Veröffentlichungen besaßen für die Firmen eine enorme Wichtigkeit. Da es eine gesetzlich geregelte Arzneimittel-Genehmigung noch nicht gab, kamen die positiven Urteile der MedizinerInnen quasi einer Lizenz zur Vermarktung gleich. Ein geregeltes Verfahren zur Prüfung von Medikamenten mit wissenschaftlich belastbaren Effektivitätsnachweisen und einer Analyse der Risiken und Nebenwirkungen machte die Bundesrepublik erst im Jahr 1978 zur Pflicht, obwohl Fachleute bereits 1962 „die Flut zum Teil ganz unzureichender Beobachtungspublikationen“ kritisierten. Zu allem Übel legten die Pillen-Riesen bei diesen manchmal auch noch selbst mit Hand an. So gaben einige ÄrztInnen an, ihre Texte gemeinsam mit „dem Ressort Medizin der BAYER AG Wuppertal“ verfasst zu haben. Und MERCK schrieb ebenfalls kräftig mit.

Unmittelbar nach dem Erscheinen der Berichte warf der Leverkusener Multi die Propaganda-Maschine an. Den MEGAPHEN-Artikel des Psychiaters Hans-Hermann Meyer von 1953 über Erprobungen an Erwachsenen der Heidelberger Universitätsklinik kopierte der Konzern 3.000 Mal und verschickte ihn dann an ÄrztInnen. Und drei Jahre später erhielten diese wieder Post in Sachen „MEGAPHEN“. „Ein idealer, stummer Assistent in der Kinderpraxis kann Ihnen unser MEGAPHEN sein. Gerade nervöse, reizbare und streitsüchtige Kinder können schon durch Gaben von nur 0,5 mg/kg Körpergewicht so weitgehend beruhigt werden, dass die ärztliche Betreuung für beide Teile kein Problem mehr ist“, mit diesen Worten diente der Pharma-Riese den MedizinerInnen die Arznei an.

Auch nach Jacobs’ „erfolgreicher“ AOLEPT-Erprobung reagierte der Konzern postwendend und kreierte eine Annonce. „AOLEPT erleichtert das Zusammenleben“ war die Anzeige überschrieben. Die Abbildung zeigte dann einen Knaben, der nicht mehr die erste Geige spielen will, sondern sich stattdessen vorbildhaft in ein musikalisches Quartett einfügt – dank AOLEPT. Das Medikament unterdrückt laut BAYERs Werbetext nämlich „destruktive und asoziale Tendenzen“ und fördert bei jungen Erwachsenen, die wahlweise „querulantorisch, reizbar, jähzornig, aggressiv, erregt, impulsiv, gesperrt, kontaktgestört, unproduktiv, hypochondrisch, klagsam, ängstlich“ sind, die „Anpassungsfähigkeit an Familie und Gemeinschaft“. Sogar kleine Filme über die verschiedenen Anwendungsbereiche von MEGAPHEN & Co. produzierte das Unternehmen.

„Von der Erprobung zum Markt und zurück“ – so beschreibt Viola Balz die Geschäftspolitik bei der Vermarktung der Neuroleptika. Nicht selten entpuppten sich die Klinik-ÄrztInnen dabei selbst als PharmazeutInnen: Kombinationspräparate z. B. hätte es ohne „sachdienlichen Hinweise“ wie die von Jacobs und Kiesow kaum gegeben. Den Grundstein für eine solche vertrauensvolle Zusammenarbeit hatte der Leverkusener Multi Balz zufolge schon vor dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut. Über einen ganzen Stamm von Medikamenten-TesterInnen konnte er auf diese Weise stets verfügen.

Offenbar floss dabei auch Geld. „Wie aus den Unterlagen im Archiv der Firma MERCK hervorgeht, scheint eine Vergütung der Ärzte für Prüfungen damals üblich gewesen zu sein“, konstatiert Sylvia Wagner. Sie stieß auf ein Dokument, das eine Honorierung für ENCEPHABOL-Tests ausweist. Ursprünglich beabsichtigte das Darmstädter Unternehmen, die beiden Autoren jeweils mit 1.000 DM zu bedenken, der federführende Verfasser schlug dann allerdings noch 500 DM mehr heraus.
Der Düsseldorfer Medizin-Historiker Heiner Fangerau zitiert derweil den Fall des Leiters der Nervenklinik Landeck, der beim Land Rheinland-Pfalz als Träger der Einrichtung Rechenschaft über die von den Medikamenten-Herstellern finanzierten Untersuchungen ablegen musste. Ergebnis der Anhörung: Das Land Rheinland-Pfalz wollte das Haus „nicht zu einer Versuchsanstalt für die pharmazeutische Industrie“ verkommen sehen und stoppte die Praxis. Und am Landeskrankenhaus Wunstorf erhielten die TesterInnen dem NDR zufolge ebenfalls Zuwendungen von der Pharma-Industrie. Definitive Aussagen darüber, ob BAYER & Co. immer mit Schecks für die Erprobungen winkten, mochten Fangerau und Wagner dem Stichwort BAYER gegenüber allerdings nicht machen, dafür sei die Quellenlage zu dürftig.
Manchmal traten die PsychiaterInnen sogar selbst an die Pillen-Unternehmen heran und baten um frische Kreationen aus den Laboren.

Dabei hatten sie nicht vorrangig eine Entlastung ihres Medikamenten-Budgets im Sinn. Vielmehr hofften sie, durch die neuen Pharmazeutika Fortschritte in ihrem Fach ausweisen zu können. MEGAPHEN war nämlich das erste Neuroleptikum überhaupt, und einige ForscherInnen sahen durch den Stoff eine „Revolution in der Psychiatrie“ eingeläutet. Nicht wenige hofften sogar, in der Substanz eine Alternative zu den körperlichen Behandlungsformen wie Gehirn-Operationen und Elektroschocks gefunden zu haben.

Die MEGAPHEN-Geschichte

Bis MEGAPHEN seinen Weg in die Heime und Kinder- und Jugendpsychiatrien zu Franz Wagle und seinen LeidensgenossInnen fand, hatte es schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Sie begann mit dem 1876 entwickelten Farbstoff Methylenblau. Der Mediziner Paul Ehrlich gebrauchte ihn unter anderem zur Behandlung von Malaria. Eine Nutzung als Pestizid sowie als Tier-Arznei folgten. 1899 setzte der italienische Arzt Pietro Bodoni den Methylenblau-Abkömmling Phenothiazin dann erstmals in der Psychiatrie ein. Obwohl er in einem Aufsatz Erfolge bei der Therapie von psychotischen PatientInnen vermeldete, fand die Substanz in diesem Bereich zunächst keine Anschluss-Verwendung. Stattdessen konzentrierten sich die WissenschaftlerInnen darauf, die Phenothiazine als Mittel gegen Allergien und den anaphylaktischen Schock zu erproben. Dabei zeigte sich eine Nebenwirkung, die später in den Psychiatrien zur Hauptwirkung mutieren sollte: der sedierende Effekt. Diesen wollte sich Henri Laborit zunutze machen. Da das Phenothiazin zudem die Körpertemperatur absenkte und die Stoffwechsel-Funktionen herunterdimmte, testete er den Einsatz bei Operationen zur Verstärkung der Narkose. Daran knüpfte wiederum RHÔNE-POULENC an. Das Pharma-Unternehmen braute den Wirkstoff Chlorpromazin zusammen und schickte ihn Laborit zurück. Der kreierte daraus in Kombination mit anderen Substanzen ein Präparat zur Einleitung eines „künstlichen Winterschlafs“ und empfahl die Prüfung von Anwendungsgebieten in der Psychiatrie. Und die erfolgte dann in den nächsten Jahren nicht zu knapp, während parallel dazu Indikationen wie „Schwangerschaftsübelkeit“, „Brechreiz“, „See-Krankheit“, „Schluckauf“ und „Geburtsschmerz“ die Verschreibungszone erweiterten. Wegen dieses breiten Wirk-Profils wurde das Chlorpromazin in den USA dann auch unter dem Namen LARGOCTIL vermarktet.

Vor allem der Spiegel rührte immer wieder die Werbetrommel für das „Wundermittel“. Das „Pulver 4560“ wirke wie „ein Vorhang gegen den Schmerz“, hielt das Magazin 1955 fest und schilderte den Fall eines 73-jährigen krebskranken Engländers. „Ich fühle mich wohl“, antwortete dieser dem Arzt auf die Frage nach seinem Befinden. Und als der Mediziner nachbohrte und wissen wollte, ob er denn keine Schmerzen mehr habe, antwortete der Mann: „Doch, aber das kümmert mich nicht.“ In einem anderen Artikel schrieb der Spiegel dem Pharmazeutikum das Potenzial zu, die damals vor allem in den USA bei Menschen mit schweren Seelenleiden häufig als Mittel der Wahl erscheinenden Hirn-OPs ersetzen zu können, da es jetzt die „Pille fürs Gehirn“ gebe. Einige Geisteskrankheiten vergingen dank MEGAPHEN sogar buchstäblich wie im Schlaf. Das Pulver 4560 – „raffiniert mit Beruhigungsmitteln und anderen Nervenblockern kombiniert“ – senkte die Körper-Temperatur der PatientInnen, indem es das Wärme-Zentrum im Zwischenhirn ausschaltete und versetzte sie über Tage in einen leichten Schlummer. Und oh Wunder: „Nach dieser Dämmerschlaf-Kur schienen viele Patienten geheilt zu sein, die Symptome der Geisteskrankheit waren verschwunden.“

Die Begeisterung hielt jedoch nicht lange vor. Bereits Anfang der 1960er Jahre gerieten die unerwünschten Arznei-Effekte der Neuroleptika immer stärker in den Blickpunkt. „Begleitwirkungen und Misserfolge der psychiatrischen Pharmako-Therapie“ lautete 1964 der Titel eines Symposions der Universität Mainz. Viola Balz zufolge mochten einige ForscherInnen dort schon gar „nicht mehr von Nebenwirkungen sprechen, sondern erst der Medikamenten-Einsatz habe ‚überreizte Menschen’ in klinisch behandlungsbedürftige Fälle verwandelt“. Im Jahr 1967 schließlich schaltete sich die „Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“ (AkdÄ) ein. Sie mahnte die MedizinerInnen dringlich, sich die allzu oft fatalen Folgen der Mittel stärker ins Bewusstsein zu rufen. Überdies kritisierte die AkdÄ die häufige Verwendung von MEGAPHEN & Co. auch außerhalb psychiatrischer Einrichtungen. Und der Psychiater Heinrich Kranz monierte vor allem die Verschreibung der Präparate schon bei leichten Angst- und Unruhezuständen. Da werde „mit Kanonen auf Spatzen geschossen und oft genug vorbeigeschossen, so Kranz.

Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre vollzog dann auch der Spiegel eine Kehrtwendung. „Pillen in der Psychiatrie – Der sanfte Mord“ kündete es am 17. März 1980 vom Titelblatt. Das Nachrichten-Magazin ließ psychisch Kranke zu Wort kommen, die beschrieben, was die in früheren Artikeln so bejubelten „Pillen fürs Gehirn“ dortselbst so alles anrichteten. „In ein Trümmerfeld“ haben die Mittel das Denkorgan verwandelt, es in ein „Nichts“ gerissen und den „Geist zerfetzt“, beklagt sich eine Patientin. Andere fühlten sich wie „gelähmt“ und vermeinten, sich bloß noch „wie unter Wasser“ fortbewegen zu können. „Was die Drogen im menschlichen Gehirn anrichten, lässt sich bislang eher an den fatalen Nebenwirkungen ablesen, weniger an dem gewünschten wahndämpfenden Effekt“, konstatierte die Zeitschrift. Sogar von Todesfällen berichtete sie. Das durch MEGAPHEN & Co. in Aussicht gestellte Ende der Elektro-schock-Behandlungen trat indes nicht ein. Auch leerten sich die Psychiatrien nicht wie erwartet. Vielmehr stellte sich oftmals ein Drehtür-Effekt ein. „Waren waren die ersten Neuroleptika – Abkömmlinge des Wirkstoffes Chlorpromazin – Anfang der fünfziger Jahre gerade euphorisch begrüßt worden (...)“, so der Spiegel aus naheliegenden Gründen lieber das Passiv wählend, „begann in der Folgezeit die anfängliche Begeisterung der Psychiater dahinzuschwinden. Obwohl die Neuroleptika-Produktion – in der Bundesrepublik rund 7,4 Millionen Packungen jährlich – unaufhaltsam wuchs, geriet das Pharma-Wunder nach und nach in den Verdacht, eine Täuschung zu sein.“

Für MEGAPHEN läutete das 1976 verabschiedete und 1978 in Kraft getretene Arzneimittel-Gesetz das Ende ein. Das Paragrafen-Werk forderte nämlich endlich Wirksamkeit und Verträglichkeit auf der Basis einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Klinischen Prüfung ein. Und diesen Nachweis konnte oder wollte BAYER nicht erbringen. Kurz vor Toresschluss – der Leverkusener Multi schöpfte die gewährte Übergangsfrist von zwölf Jahren für Alt-Medikamente noch fast voll aus – verschwand das Medikament 1988 schließlich vom Markt.
Für Franz Wagle, Günter Wulf und all die anderen kam das viel zu spät. Sie leiden größtenteils noch heute an den Nachwirkungen der Tests und der Dauer-Medikation in den Einrichtungen. Wagle sucht die Zeit in Schleswig vor allem im Schlaf heim. „Dann hast Du so einen Traum, dann liegst Du da: Wenn der Arzt von hinten kommt, dir die Spritze in den Rücken knattert oder wenn Du festgehalten wirst, irgendwas einschmeißen musst. Dann bist Du immer schweißgebadet, bist Du kerzengerade im Bett“, erzählt er in dem NDR-Interview. Aber das ist längst nicht alles. Franz Wagle ist bereits seit neun Jahren Frührentner. Chronische Schmerzen, vor allem in der Hüfte und im Rücken, plagen ihn. Folgen einer frühen Traumatisierung, wie sein Arzt meint.

Günter Wulf hat dieser Abschnitt seiner Biografie ebenfalls für immer geprägt. „Das gestohlene Leben“ überschrieb er einen Artikel, der auf seine Jahre im Lübecker Kinderheim Vorwerk und im Landeskrankenhaus Schleswig zurückblickt. „Manchmal denke ich darüber nach, was aus mir hätte werden können, wenn ich als Kind günstigere Bedingungen zum Aufwachsen gehabt hätte. Wenn ich z. B. eine freundliche Adoptiv-Familie gefunden hätte, wie es meiner Mutter versprochen wurde, als man mich ihr wegnahm“, schreibt er.

Sie war alleinerziehend, wie auch die Mutter von Franz Wagle, und oftmals reichte dies den Behörden schon als Motiv, galten solche Frauen doch als „sittlich und moralisch nicht gefestigt“ und als ungeeignet, ihren Kindern Halt geben zu können. „Verwahrlosung“ drohte und gemahnte zum Einschreiten. Es ging aber noch niedrigschwelliger: Schon Bockigkeit, Unehrlichkeit, Unordnung, Genussleben, Schule schwänzen oder Vagabondage galten den Behörden als Symptome der Verwahrlosung und zog Einweisungen nach sich.

Und mit dem Eintritt in die Institution begann dann in der Regel ein langer, von Gewalterfahrungen geprägter Leidensweg. Die medizinische Gewalt, die Franz Wagle und seine LeidensgenossInnen erlitten, stellt dabei neben der körperlichen und psychischen Gewalt nur eine Spielart dar.

Ethisch unzulässig

Über die Bewertung der Arznei-Erprobungen herrscht heute weitgehend Einigkeit. „Das ist ethisch problematische Forschung. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: ‚Das ist ethisch unzulässige Forschung’“, sagt die Kieler Medizin-Ethikerin Alena Buyx. Selbst damaligen Standards habe das Vorgehen der ÄrztInnen nicht entsprochen, konstatiert die Wissenschaftlerin. Sowohl der Nürnberger Kodex von 1947 als auch die Deklaration von Helsinki aus dem Jahre 1964 hielten die MedizinerInnen nämlich an, Medikamenten-Tests nur durchzuführen, wenn die ProbandInnen bzw. deren Erziehungsberechtigte einwilligten. Und Erklärungen dieser Art lagen weder im Landeskrankenhaus Schleswig noch in den anderen Einrichtungen vor.

Regelungen zu den Pillen-Prüfungen greifen bereits bis ins Jahr 1900 zurück. Nach Syphilis-Versuchen, zu denen der Breslauer Dermatologe Albert Neisser 1892 zum Teil auch Kinder herangezogen hatte, erfolgte in Preußen eine „Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten“, ohne Einwilligung der Betroffenen oder deren Eltern keine „medizinische Eingriffe zu anderen als diagnostischen, Heil- und Immunisierungszwecken“ vorzunehmen.
In der Weimarer Republik machten die Erprobungen und vorschnellen Pharmazeutika-Einführungen jedoch weiter Schlagzeilen. So testete der Mediziner Hermann Vollmer vom Berliner „Kaiserin Auguste Viktoria“-Haus das von BAYER und MERCK gemeinsam entwickelte Vitamin-D-Präparat VIGANTOL „an einem Material von etwa 100 Ratten und 20 Kindern“, wobei er Mensch und Tier unter „ungünstigen Diät- und Lichtbedingungen“ hielt, um eine anderweitige Zufuhr des Vitamins auszuschließen. Nach dem Lübecker Impf-Unglück von 1930, bei dem 77 Kinder durch ein verunreinigtes Serum starben, entschloss sich die Politik dann endgültig zu neuen Maßnahmen. Das Reichsministerium des Inneren erließ „Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“. „Das Prinzip der informierten Einwilligung wurde ebenso festgeschrieben wie methodische Mindeststandards“, hält Dr. Niklas Lenhard-Schramm in seiner für den nordrhein-westfälischen Landtag erstellten Studie zu den Medikamenten-Tests fest.

Dabei handelte es sich aber jeweils nur um Anweisungen und Gebote ohne bindende Rechtskraft. Wie es um ihre Geltung bestellt war, zeigte sich exemplarisch 1947 bei dem Verfahren gegen den Mediziner Werner Catel, das vor einem ärztlichen Ehrengericht stattfand. Der Kinderarzt musste sich vor dem Gremium verantworten, weil bei seinen Tests mit BAYERs Tuberkulose-Arznei TB 698 in der Heilanstalt Mammolshöhe vier Kinder starben. Der Mann einer Kollegin Catels hatte die Ärztekammer unter Verweis auf den gerade beendeten Nürnberger Ärzte-Prozess gegen Hitlers willige MedizinerInnen und den mit dem Urteil verkündeten „Nürnberger Kodex“ angerufen. „Die Öffentlichkeit wurde durch den Nürnberger Ärzte-Prozess darüber aufgeklärt, dass gefahrbringende Versuche am Menschen, soweit sich diese nicht ganz umgehen lassen, nur mit ausdrücklicher Einwilligung der auf die eventuellen Gefahren aufmerksam gemachten Patienten ( bei Kindern deren Eltern bzw. der Vormund) durchgeführt werden dürfen“, hieß es in dem Begleitschreiben. Aber Catel, im „Dritten Reich“ einer der HauptakteurInnen der Kinder-„Euthanasie“, entging trotzdem einer Strafe. Ein befreundeter Professor, der bereits beim Nürnberger Ärzte-Prozess alles in seiner Macht stehende zur Rettung der brauen Weißkittel unternommen hatte, stellte ihm einen Persilschein in Form eines Entlastungsgutachtens aus.

Bis eine wirklich bindende Rechtsvorschrift solche Manöver nicht mehr erlaubte, sollte noch viel Zeit vergehen. Erst 1976 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein entsprechendes Gesetz, das auch Vorschriften zu Klinischen Prüfungen von Arzneien enthielt. Das exkulpiert Rolf Jacobs vom Landeskrankenhaus Schleswig und die anderen MedizinerInnen jedoch keinesfalls: Sie haben eindeutig gegen ihre Standespflichten verstoßen. Und nicht nur das. So heißt es im Abschlussbericht des „Runden Tisches Heimerziehung“: „Wenn es im Rahmen der Heimerziehung zu generellen und kollektiven Behandlungen bzw. Sedierungen gekommen ist, die weniger den Kindern und Jugendlichen als der Disziplin im Heimalltag oder gar der Erforschung von Medikamenten zuträglich waren, ist dies als Missbrauch zu beurteilen und erfüllt ggf. den Tatbestand der (schweren) Körperverletzung – auch nach damaligen Maßstäben.“

Für das Land Schleswig-Holstein als Träger der Einrichtung in Schleswig hat sich Sozialminister Heiner Garg (FDP) bereits bei den unfreiwilligen ProbandInnen von BAYER & Co. entschuldigt. Medizinethiker Fangerau fordert eine entsprechende Geste auch von den Pillen-Riesen und den MedizinerInnen ein. „Die beteiligten Pharma-Firmen und Ärzte sind moralisch verpflichtet, sich zu entschuldigen und sogar eine Entschädigungsleistung zu übernehmen“, so der Wissenschaftler. Bei einem öffentlichen Fachgespräch der Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“, das die Abgeordnete Sylvia Gabelmann Ende 2018 im Bundestagsgebäude initiiert hatte, schloss sich dem auch Heide Dettinger vom „Verband ehemaliger Heimkinder“ an.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nahm ebenfalls an der Veranstaltung teil und traf dort auf Franz Wagle und seinen Leidensgenossen Eckhard Kowalke. Die Coordination verabredete mit beiden eine Zusammenarbeit, und im Frühjahr 2019 ergab sich die erste Gelegenheit dazu: Die CBG reichte gemeinsam mit den zwei Ex-Heimkindern einen Gegenantrag zur Hauptversammlung des Leverkusener Multis ein. Dieser appellierte an die AktionärInnen, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern, weil die ManagerInnen-Riege sich nicht mit seinen Versuchskaninchen von einst ins Benehmen setzen wollte. „Ich habe alle Pharma-Firmen, die Versuche angeordnet haben, angeschrieben – nur BAYER hat nicht geantwortet“, hielt Wagle fest. Und Kowalke formulierte in der Presseerklärung zum Gegenantrag gleich ein konkretes Anliegen: „Wir verlangen vom BAYER-Konzern, dass er uns Entschädigungen zahlt. Das Unternehmen hat Millionen-Profite gemacht mit den Medikamenten, die es ohne unsere Zustimmung an uns getestet hat. BAYER muss seiner moralischen Verantwortung uns gegenüber gerecht werden.“
Auf dem AktionärInnen-Treffen selbst konfrontierten Franz Wagle und Eckhard Kowalke das Management des Pharma-Riesen direkt mit ihrer Leidensgeschichte. Gleiches tat auch Günter Wulf. Darüber hinaus ergriffen zu der Causa noch der Medizin-Historiker Dr. Klaus Schepker, der seit längerer Zeit zu dem Thema forscht, und Sylvia Gabelmann das Wort. Damit nicht genug, setzte CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann die Test-Reihen ebenfalls auf die Tagesordnung. Aber BAYER-Chef Werner Baumann wollte von all dem nichts wissen. „Wie bereits erwähnt, haben wir im Rahmen unserer internen Recherchen keine Dokumente gefunden, die auf eine Durchführung von Studien in Kinderheimen hinweisen. Die Aufarbeitung der Vorgänge werden wir so weit wie möglich unsererseits natürlich unterstützen“, antwortete er Stelzmann.

Wie diese Unterstützung im Einzelnen aussieht, musste der Journalist Charly Kowalczyk erfahren. Er recherchierte zu Versuchen mit triebhemmenden Mitteln im Behindertenheim Kork. Ein ehemaliger Pfleger meinte sich sogar noch daran erinnern zu können, welche Bezeichnung das Medikament trug: SH-08714. Also fragte Kowalczyk beim Leverkusener Multi nach. Er wurde aber zunächst enttäuscht: „Nach umfangreicher interner Recherche in den Archiven der SCHERING AG hat sich ergeben, dass es mit derzeitigem Wissensstand keine Substanz oder Formulierung einer Substanz mit der Nummer SH-08714 gibt.“ So weit – so gut. Die betreffende SH-Nummer gab es wirklich nicht, dafür jedoch die Substanz. Das „Document Management“ hatte sie aufgespürt. „Das dürfte die Angelegenheit klären und beenden“, vermeldete es, machte jedoch noch darauf aufmerksam, dass bei der SH-Nummer die Reihenfolge der Ziffern nicht ganz stimmte. Kowalczyk war offensichtlich ein Zahlendreher unterlaufen. Die PR-Abteilung wollte allerdings nicht so einfach „klären und beenden“, sie war nämlich ebenfalls auf etwas gestoßen. „Wir haben in der Zwischenzeit auch recherchiert und den Journalisten gefunden, hier seine Website, die auf kritische investigative Berichterstattung hindeutet“, schrieb sie der Dokumentationsabteilung zurück. Also Alarmstufe Rot! Da dekretierte die für die Öffentlichkeitsarbeit der Sparte „Forschung & Entwicklung“ zuständige Dame kurzerhand: „Die angefragte Substanz gibt es nicht, und in Absprache mit Herrn (...) (Name der Redaktion bekannt, Anm. SWB) sollten wir die Antwort zum jetzigen Zeitpunkt darauf beschränken.“ Auch anderen JournalistInnen gegenüber zeigt sich der Konzern nur wenig auskunftsfreudig. Und zu Entschädigungszahlungen erklärte sich der Leverkusener Multi bisher so wenig wie irgendein anderes Unternehmen aus der Branche bereit. Weder dem „Fonds Heimerziehung“ noch der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ flossen Mittel aus der Industrie zu. Dabei hatte es zunächst ganz gut ausgesehen. Ende 2017 nämlich signalisierte der damalige stellvertretende Hauptgeschäftsführer des „Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller“ (BAH), Hermann Kortland, Handlungsbereitschaft. „Da gehe ich mal ins Wort: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Unternehmen in so klaren Fällen, wo es auch nachgewiesen ist und wo sie es auch zugeben, einer Entschädigung nicht zustimmen“, versicherte er. Aber daraus wurde nichts. Kortland hatte sich offensichtlich zu weit vorgewagt. Er hat seinen Posten zwar immer noch inne, musste aber inzwischen nicht nur die Ressorts „Politik“ und Öffentlichkeitsarbeit“ aufgeben, sondern auch die Leitung des Hauptstadt-Büros des BAH.

Entsprechend erbost über die ausbleibenden Reaktionen von Seiten der Pillen-Produzenten zeigt sich Heiner Garg. Konkret warf er BAYER eine „unverschämte Abwehrhaltung“ vor. Auch in einer Radio-Sendung machte er seiner Wut Luft: „Was ich inzwischen unglaublich finde, und was mich auch, obwohl ich ein sehr ruhiger Mensch bin, zur Weißglut treibt, ist die Haltung der pharmazeutischen Industrie.“ Der Forderung der ehemaligen Heiminsassen „Die Politik muss uns und die Vertreter der Firmen an einen Tisch bringen“, versucht der Sozialminister so gut es geht nachzukommen. Der FDP-Politiker hat sich sogar persönlich mit einem Brief an den Global Player gewandt. Bisher jedoch zeigen seine Bemühungen noch keine Ergebnisse.
Und die wird es auch nur geben, wenn BAYER genug Druck verspürt. Darum bemüht sich die Kampagne, welche die CBG im Verbund mit den Betroffenen durchführt, auch kontinuierlich darum, diesen aufzubauen – um den Konzern schlussendlich doch zum Handeln zu bewegen.

Die Akte „Glyphosat“

CBG Redaktion

Am 27. November 2017 verlängerte die EU die Zulassung des gesundheitsgefährdenden Pestizid-Wirkstoffs Glyphosat um weitere fünf Jahre. Den Ausschlag dafür gab das positive Votum Deutschlands. Die Absprachen der Großen Koalition brechend, räumte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) MONSANTO und BAYER den Weg für weitere Geschäfte mit dem umstrittenen Produkt frei. Im Vorfeld hatten unzählige Initiativen die PolitikerInnen davon zu überzeugen versucht, das Mittel aus dem Verkehr zu ziehen. Dazu zählte auch der Offene Brief, den Dr. Gottfried Arnold, Kinderarzt im Ruhestand, geschrieben hatte. Stichwort BAYER dokumentiert das Schriftstück, das wichtige Argumente gegen das Herbizid zusammenträgt, denn geschlossen ist die Akte „Glyphosat“ noch nicht. Vorerst gilt es jetzt, für Verbote auf nationaler Ebene zu streiten.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Frau Umweltministerin Hendricks,
sehr geehrter Herr Agrarminister Schmidt,
sehr geehrter Herr Schulz, sehr geehrter Herr Lindner,
sehr geehrte Frau Göring-Eckart, sehr geehrter Herr Özdemir,
sehr geehrte Frau Kipping, sehr geehrter Herr Riexinger,

als mitdenkende und um Demokratie bemühte Bürger und Fachleute wenden wir uns an Sie mit der entschieden vorgetragenen Bitte, die anstehende Entscheidung über die Fortsetzung der Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat unter besonderer Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung zu treffen. Glyphosat ist nach unserer wissenschaftlich begründeten Meinung gesundheitsschädlich und umweltgiftig.
Die chemische Industrie der Pestizid-Hersteller hat – sicher nicht ohne Grund - das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das dem deutschen Landwirtschaftsminister untersteht, als Berichterstatter für die Glyphosat-Bewertung ausgewählt. Die dahinter zu vermutende Nähe der Agrarchemie-Produzenten zum BfR (1) hat offenbar die Glyphosat-Bewertung (2) beeinflusst. Anders können wir uns nicht erklären, wie ein so großer Unterschied zwischen der Beurteilung der Wissenschaft mit ihren Gift-, Hormon-, Umweltforschern und den Behörden zustande kommen kann.
Insbesondere ist für uns nicht nachvollziehbar, wieso die folgenden Fakten von der Behörde, die für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung vor industriell produzierten Chemikalien federführend zuständig ist, nicht anerkannt werden:
1. die wissenschaftliche Betrachtung aller Komponenten des jeweiligen Glyphosat-Produktes
2. die Anreicherung von Glyphosat oder Resten von Glyphosat-Produkten im Menschen und in der Umwelt (Akkumulation)
3. die Hormon-Schädigung durch den Unkraut-Vernichter
4. die erbgut-schädigende Wirkung von Glyphosat (Mutagenität)
5. die mögliche Krebserzeugung (Kanzerogenität).

1. Die Inhaltsstoffe
Im wissenschaftlichen Bereich gibt es nicht den geringsten Zweifel daran, dass man bei der Beurteilung der Giftigkeit, der gesundheitlichen oder Umwelt-Risiken alle Komponenten eines Gemisches oder Produktes betrachten muss. Dass bei glyphosat-basierten Herbiziden (GBH) anders verfahren werden soll, ist eine absolute Ausnahme und mit wissenschaftlichen Kriterien nicht vereinbar. Insofern muss man die Beschränkung der Überprüfung bei der Zulassung von glyphosat-haltigen Pestiziden auf die „aktive“ Substanz (Glyphosat) und die Nichtberücksichtigung der z. T. giftigeren Zusatzstoffe (3) Netzmittel als Entgegenkommen von Politikern und Behörden an die Pestizid-Hersteller werten. Eine Fülle von Arbeiten hat nachgewiesen, dass viele GBH giftiger sind als Glyphosat allein, das als Bewertungsgrundlage ausgewählt wurde. Schließlich können Hersteller so zu sehr viel geringeren Kosten verschiedene Produkte auf den Markt bringen. Mit Gesundheitsschutz für die Bevölkerung hat das allerdings nichts zu tun. In diesem Sinne werden alle glyphosat-basierten Herbizide von den beurteilenden Behörden BfR, EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) und ECHA (Europäische Chemikalien-Agentur) ... wissenschaftlich nicht korrekt beurteilt, wenn sie sich auf Glyphosat allein beziehen.

2. Die GBH-Anreicherung
In den letzten 20 – 30 Jahren hat sich Glyphosat zu dem am häufigsten angewendeten Pestizid weltweit entwickelt. Es ist global verteilt worden in der Umwelt, angekommen in Luft und Regen, in den Böden, auf dem Getreide, im Oberflächenwasser (in der Ostsee oberhalb des Grenzwertes) und im Grundwasser. Dadurch ist der Unkrautvernichter über unsere Nahrung in kleinen, aber gesundheitlich bedeutungsvollen Mengen in den menschlichen Körper gelangt und hat sich dort in fast allen Organen verteilt. Daten über die Verteilung und Anreicherung im menschlichen Organismus und seinen Organen haben weder die Glyphosat-Hersteller vorgelegt, (...) noch der Berichterstatter BfR – das ist eine nicht hinnehmbare Wissenslücke für die Bewertung des Pestizids!
Dies ist jedoch auch ein schwerwiegendes Versäumnis, da auf diese Weise keine Beobachtung stattfinden konnte, ob und wie sich der Anstieg in verschiedenen Körper-Bestandteilen entwickelt hat. Die Behörden, insbesondere das Agrarministerium und das BfR, hätten mit einer frühzeitigen Erhebung eine mögliche Anreicherung in der Anfangsphase kontrollieren müssen, um zu überprüfen, ob die Aussage der Hersteller, es gäbe bei Glyphosat und AMPA (das Abbauprodukt Aminomethylphosphonsäure) keine Akkumulation, korrekt ist. Nach 15 Jahren Zulassung in Deutschland ist Glyphosat in Lebensmitteln, Futtermitteln, Tieren und Menschen so weit verteilt, dass man bei keiner Kontrollgruppe für statistische Vergleiche eine Nullbelastung (kein Glyphosat) voraussetzen darf. Dieses Problem wurde bei Tier-Fütterversuchen erstmals von der französischen Arbeitsgruppe von Prof. Seralini dargelegt, die nachwies, dass bei Untersuchungen von Umweltchemikalien wie z. B. Glyphosat systematische Fehler dann auftreten können, wenn Futter und Trinkwasser der Tiere nicht auch auf solche „versteckten“ Produkte untersucht werden.
Bei neugeborenen Schweinen, die im Alter von einem Tag wegen Fehlbildungen verstarben oder getötet werden mussten, wurde Glyphosat in praktisch allen Organen gefunden. Diese und andere Untersuchungen an verschiedenen Tierarten zeigen, dass Glyphosat die bedeutungsvolle Blut-Hirn-Schranke passiert. Beim Menschen gibt es hierzu keine Untersuchungen, obwohl bei Ratten Hirnschädigungen durch Pestizid-Gemische mit u. a. Glyphosat nachgewiesen wurden – ebenfalls eine bedenkliche Wissenslücke.
Als Hinweis auf eine unkritische Einstellung des Agrarministeriums und des BfR gegenüber den Pestizid-Herstellern kann man bei wohlwollender Interpretation die Tatsache werten, dass alle der nachfolgend zusammengefassten Untersuchungen zu Glyphosat-Vorkommen im menschlichen Körper nicht von der zuständigen Behörde (Ausnahme: Umweltbundesamt) veranlasst wurden, sondern von Bürgern, Umweltorganisationen oder Bundestagsabgeordneten der Grünen. Eher handelt es sich aber doch um eine juristisch zu bewertende Vernachlässigung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung (...)
2015 entdeckte Frau Prof. Krüger (Auftrag: Grüne) erstmals in Deutschland in allen 16 Muttermilch-Proben Glyphosat, während das BfR 2016 in keiner von 114 Frauenmilch-Proben Glyphosat fand. Allerdings belegen die glyphosat-freien Ergebnisse der Muttermilch-Untersuchungen des BfR und der USA (MONSANTO) keineswegs, dass in diesen Proben kein Glyphosat enthalten war, sondern lediglich, dass die Untersuchungsmethode ungenauer war als die mit positiven Ergebnissen. Statt also aus Vorsorge-Gründen im genaueren Bereich der Mess-Ergebnisse von Frau Prof. Krüger zu suchen, gab das BfR Gelder für eine Untersuchung mit einer ungenaueren Methode aus, nur um vorzugeben, es sei „kein Glyphosat in der Muttermilch“ zu finden. Unten wird ausgeführt, warum dieser niedrige, vom BfR nicht erfasste Mess-Bereich aus medizinischen Gründen wichtig ist (→ 3. Hormonschädigung).
Dass Glyphosat die Plazenta (Mutterkuchen) passieren kann, ist lange bekannt. Warum bisher das Nabelschnur-Blut von Neugeborenen nur in einer kleinen kanadischen Studie untersucht wurde, scheint wie ein Akt des bewussten Wegguckens. Wenn man als Behörde eine Beurteilung über ein global verteiltes, erbgut-schädigendes und wahrscheinlich krebs-erzeugendes Produkt/Gemisch abgeben soll, ist die Prüfung der Frage nach der Wirkung auf ungeborene Kinder zwingend erforderlich. Diese schwerwiegende Wissenslücke ist erstmals seit April 2017 durch eine thailändische Studie teilweise reduziert worden. Erstaunlicherweise sind die Glyphosat-Werte in der deutschen Muttermilch ähnlich hoch wie die Blutwerte der thailändischen Neugeborenen. Völlig unbekannt ist aber, welche Auswirkungen diese auf die Gehirn- (fehlende Blut-Hirn-Schranke!) und Gesamt-Entwicklung des Kindes in der Schwangerschaft und damit auf das spätere Erwachsenenalter haben.
Ein Vergleich von Glyphosat-Werten bei Neugeborenen mit angeborenen Fehlbildungen ist nirgendwo zu finden, obwohl in Südamerika in den GBH-Anwendungsgebieten eine Zunahme von Wirbelsäulen-Fehlbildungen mit „offenem Rücken“ (meist mit angeborener Querschnittslähmung) und vermehrtes Auftreten von Krebs bei Kindern berichtet wurde.
Die wichtigen Auswertungen von Frau Prof. Krüger einer von Bürgern initiierten und bezahlten Urin-Untersuchung („Urinale 2015“) ergaben nicht nur, dass 99,6 % der Urin-Proben Glyphosat enthielten, sondern auch, dass die höchsten Glyphosat-Belastungen in der jüngsten Altersgruppe (0 - 9 Jahre) 4 vorkamen! Das BfR bleibt – bei aller berechtigten Kritik an der Studie – die Antwort auf dieses wichtige Problem schuldig. Stattdessen versucht das BfR, mit einer scheinbar wissenschaftlichen Berechnung anhand der selbst erstellten ADI-Werte (Acceptable Daily Intake = erlaubte tägliche Aufnahme) die Tatsachen zu verniedlichen (s. u.). Ungleich bedeutungsvoller ist doch die damit abgeblockte Frage, ob die aufgenommene Glyphosat-Menge im Urin einen negativen Effekt auf die Gesundheit hat und welche Ursache und welche Auswirkungen diese Höchstwerte bei den Kindern (5) für ihre Nierenfunktion (6) langfristig haben. Hier treten Wissenslücken bei den Abbau-Wegen von Glyphosat zutage: Eine einzige Untersuchung legt die Vermutung nahe, die Halbwertszeit könnte im Gegensatz zur Ratte mit 33 Std. beim Menschen 3 - 4 Std. dauern; über Verteilung oder Anreicherung in bestimmten Organen gibt es keine Informationen. Außerdem wurde das von Prof. Krüger angesprochene Problem auch in einer kürzlich erschienenen dänischen Studie mit verblüffend ähnlichen Messwerten beobachtet, die ebenfalls belegen, dass der Urin von Schulkindern im Alter von 6 -11 Jahren signifikant stärker mit Glyphosat belastet ist als der ihrer Mütter.
Die fehlende Erklärung für dieses mehrfach beobachtete und für die Entwicklung der Kinder möglicherweise bedeutungsvolle Phänomen wiegt schwer. Denn bisher ist in mindestens 8 Staaten (7) bevorzugt bei jungen Agrar-Arbeitern ein unerklärtes Nierenversagen (CKDu = chronische Nierenerkrankung unbekannter Ursache) aufgetreten, wahrscheinlich durch das Zusammenwirken von Glyphosat und Schwermetallen (8). In Sri Lanka sind ca. 20.000 Menschen daran verstorben, so dass Sri Lanka und El Salvador glyphosat-basierte Herbizide verboten haben.

3. Die Hormonschädigung
Studien an Zellkulturen zeigen, wie wenig Roundup (GBH von MONSANTO) in wie kurzer Zeit ausreicht, um eine hormonelle Wirkung zu erzielen. Beachtenswert ist auch, dass die geringen Glyphosat-Mengen in deutscher Muttermilch (Krüger, 2015) und im Blut thailändischer Neugeborener in einem Größenordnungsbereich liegen, der Studien zufolge genügt, um ein Wachstum hormon-abhängiger Brustkrebszellen auszulösen.
Bei Tier-Studien überrascht, dass so viele Arbeiten im Bereich oder sogar unterhalb des „No Observed Adverse Effect Levels“ (NOAEL) – unter dem angeblich keine schädlichen Nebenwirkungen gefunden werden – gesundheitsschädigende Auswirkungen auf das Zwischenhirn, die Hirnanhang-Drüse und sehr viele Hormon-Drüsen der getesteten Ratten hatten! Der Widerspruch löst sich für die Verbraucher auch nicht auf durch den Hinweis, dass sich der NOAEL-Wert auf reines Glyphosat bezieht, denn Verbraucher sind den Produkten ausgesetzt. Reines Glyphosat gibt es nur im Labor.
Diese Beispiele sind aber auch ein Beleg für die wissenschaftliche Unvollkommenheit der Grenzwert-Erstellung von ADI- und NOAEL-Werten, die aus wenigen Mess-Werten auf einen „Null-Wirkungs-Bereich“ zurückschließt, dabei aber wesentliche Wirkungen im Niedrigdosis-Bereich und die oft U- oder V-förmigen, nicht-monotonen Dosis-Antwort-Kurven hormonell wirksamer Substanzen nicht berücksichtigt (d. h. hier stimmt der Grundsatz „Die Dosis macht das Gift“ nicht, Anm. SWB).
Außerdem wird in diesen Beispielen nur die Wirkung einer einzelnen Substanz (Glyphosat) oder eines Gemisches (GBH) in diesen unvollkommenen wissenschaftlichen Blick genommen. Es gibt fast keine exakten wissenschaftlichen Untersuchungen zur Kombinationswirkung etwa aller hormon-artig, z. B. östrogen-artig wirkenden Chemikalien in unserer Lebenswelt: Persistente, also schwer abbaubare Fremd-Östrogene aus PCB-, Dioxin-, DDT- und Flammschutzmittel-Rückständen sowie weniger persistente hormonschädigende Substanzen aus Plastik-Weichmachern, Kosmetika und Pestiziden wie Glyphosat.
Besonders zu beachten ist bei den Tierversuchen, zu welchem Zeitpunkt die GBH-Einwirkung erfolgte (Schwangerschaft, um die Geburt herum, im Erwachsenenalter) und in welchem Alter die Ergebnisse festgestellt wurden: So zeigen Dallegrave (9), Romano (10) und de Souza (11) dauerhafte Auswirkungen von GBH, das in der Schwangerschaft und um die Geburt herum verabreicht wurde, auf das gesamte Erwachsenenalter!
Auch beim Menschen gibt es deutliche Hinweise darauf, dass östrogen-artige Fremdhormone in der Schwangerschaft bei Jungen Hodenhochstand, Fehlmündung der Harnröhrenöffnung (Hypospadie), bei erwachsenen Männern zu beeinträchtigter Fruchtbarkeit und evtl. Hodenkrebs führen können. Ob das ebenfalls östrogen-artig wirkende Glyphosat bzw. GBH eine solche Wirkung hat oder unterstützt, ist bisher nicht untersucht worden, obwohl es naheliegend ist. Entsprechend muss bei Mädchen/Frauen darüber nachgedacht werden, ob eine erhöhte Menge von Östrogenen in der Frühschwangerschaft eine Ursache für die bisher ungeklärte erhebliche Zunahme (12) von Brustkrebs in Deutschland/weltweit ist. Zwar gibt es nach mehr als 30 Jahren wissenschaftlicher Beobachtung jetzt den Nachweis, dass DDT in der Schwangerschaft Brustkrebs bei erwachsenen Frauen fördert, für Glyphosat oder GBH gibt es keine Untersuchungen, sondern nur drängende offene Fragen.

4. Die Erbgut-Schädigung
Ein möglicher Mechanismus der Krebs-Entstehung durch Glyphosat ist die (...) Erbgutschädigung, die an Zellkulturen im „Reagenzglas“ (in vitro) oder an lebenden menschlichen Zellen (in vivo: weiße Blutkörperchen, Wangenschleimhaut) untersucht wurde. Obwohl fast alle unabhängigen Wissenschaftler, incl. der Krebsforscher der WHO (IARC), die gentoxische Wirkung von Glyphosat/GBH für eindeutig nachgewiesen halten an Pflanzen, Tieren und Menschen, bewerten das BfR und die ECHA in ihrer abschließenden Beurteilung Glyphosat als „nicht mutagen“. Dabei wurde u. a. von Clausing (13) darauf hingewiesen, dass die mit dem Ames-Test gelieferten Gegenbeweise deshalb nicht zählen, weil Glyphosat ein Breitband-Antibiotikum (S.18ff von 70) ist und dadurch Bakterien abgetötet werden können, an denen die Erbgut-Schädigung geprüft werden sollte. Auch diese Fakten streitet das BfR immer noch ab, um gegen die Mutagenität von Glyphosat argumentieren zu können.

5. Die Kanzerogenität

Die Krebsforscher der WHO (IARC) haben in ihrer zusammenfassenden Beurteilung von Glyphosat hervorgehoben ((http:monographs.iarc.fr/ENG/Monographs/vol112/mono112-10.pdf), dass:
1. Glyphosat erbgutschädigend (mutagen, gentoxisch: S.78) ist
2. Glyphosat bei Tieren eindeutig krebserzeugend (kanzerogen: S.78) ist
3. Glyphosat nach den WHO-Kriterien wahrscheinlich krebserzeugend beim Menschen (S.78) ist.

Der IARC zählt als mögliche Mechanismen, wie Glyphosat krebsauslösend wirkt, die Erbgutschädigung und den oxidativen Stress auf ((Stoffwechsel-Schädigungen z. B. durch freie Radikale, Anm. SWB).
Der unabhängige Toxikologe Dr. Peter Clausing hat seit Jahren die Diskussion über Glyphosat kritisch verfolgt, war u. a. als Experte beim MONSANTO-Tribunal (2016) und als Beobachter anwesend bei der Verhandlung der Europäischen Chemikalien-Agentur (ECHA), die die letzte Beurteilung zu Glyphosat (14) abgeben musste vor der jetzt anstehenden Entscheidung über eine weitere Zulassung. In seinem detaillierten und präzise begründeten Artikel führt Clausing aus, warum er – wie auch der ehemalige Direktor des „US National Center for Environmental Health“ und der „US Agency for Toxic Substances and Disease Registry“, Prof. Christopher Portier (15) – Glyphosat als krebserzeugend ansehen im Sinne der 1 B-Klassifikation der EU (...): Nach der EU-Verordnung EG 1272/2008 genügen 2 voneinander unabhängige Tier-Studien mit Krebs-Befunden, um eine Substanz als krebserzeugend einzuordnen, für Glyphosat liegen aber bereits (...) 7 Studien mit positiven Krebsbefunden vor.
Ferner ist nach der Pestizid-Verordnung der EU von 2009 die Zulassung nicht gesetzes-konform wegen seiner „schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen“, auf die hier in ausreichendem Maße hingewiesen wurde.
Eine Zunahme von Krebs-Erkrankungen hat sich in den letzten 20 – 30 Jahren deutlich gezeigt u. a. bei:

a) Brustkrebs bei Frauen um 13 % in Deutschland zwischen 2003 u. 2013 (16). Ursachen für den Anstieg von ca. 1 % pro Jahr werden mehr in Umweltfaktoren gesehen, zumal Migrantinnen aus Japan mit seltenerem Brustkrebs-Vorkommen nach Umsiedlung in die USA sich innerhalb von wenigen Generationen angleichen.
b) Prostatakrebs: rückläufig in Deutschland um 14 % zwischen 2003 u. 2013 (siehe Anm. 16, Bericht zum Krebsgeschehen, S. 40); in Großbritannien seit den frühen 1990ern: + 44%, zwischen 2003 und 2014: + 6 %
c) Hodenkrebs: siehe dort Diagramm Fig. 2.2, S. 59 (=87/289) Nord-EU und weltweit: siehe dort Fig. 4
d) „Lymphdrüsenkrebs“ (18)
bei Frauen: + 7 % in Deutschland zwischen 2003 u. 2013 (dort S. 44);
bei Männern: +10 %
Werte zum Non-Hodgkin-Lymphom in Großbritannien liefern genaue Zahlen zu dem in epidemiologischen Studien bei Menschen (19) im Zusammenhang mit Glyphosat aufgetretenem „Lymphdrüsenkrebs“: + 39% seit den frühen 1990er Jahren.

6. Abschließende Überlegung und Forderungen

Entgegen den Ankündigungen der Hersteller bzw. Anbieter wie BASF, MONSANTO und BAYER haben sich Glyphosat bzw. GBH in der unbelebten Natur, in Tieren und Menschen in erheblichen Mengen angesammelt infolge eines ungebremsten weltweiten Einsatzes zur scheinbar kostengünstigen (20) Arbeitserleichterung in der Agrarwirtschaft. Die in Abhängigkeit geratene Landwirtschaft nimmt weiter die Pflanzen-Fruchtbarkeit negativ beeinflussende Unkrautvernichter hin und muss für steigende Pestizid-Mengen zahlen, denn eine Resistenz-Entwicklung ist längst eingetreten.
Der Gesellschaft sind dadurch aber nicht nur scheinbar kostengünstige Nahrungsmittel angeboten worden, sondern es sind bisher nicht komplett erfasste Kosten entstanden durch den erheblichen Rückgang der Artenvielfalt (Nahrungskette Insekten-Vögel), die Pestizid-Beseitigung aus unserer Umwelt (Bsp. Wasser) und eine nicht hinreichend zugeordnete Zunahme von Krankheitskosten (...)
Die Zunahme von Erkrankungen in den letzten 20 – 30 Jahren ist lautlos erfolgt. Politiker und Behörden haben versäumt, Forschungsgelder bereitzustellen, um den Zusammenhang zwischen der erbgutschädigenden, hormon-artigen Wirkung der am häufigsten angewendeten Pestizide (GBH) und der Zunahme von Erkrankungen hersteller-unabhängig wissenschaftlich zu überprüfen.

Dabei liegen für diesen Zeitraum z. T. Zahlen vor für einen Anstieg von

1. Krebserkrankungen: s. o.

2. chronischem Nierenversagen mit Dialyse-Pflichtigkeit um ca. 50 % zwischen 1996 und 2006
(s. o. Glyphosat-Verbot Sri Lanka u. El Salvador)

3. Angeborenen Fehlbildungen (mindestens über die hormon-artige Wirkung):
a) Hodenhochstand: S. 61 (=89/289) in der EU und weltweit (21)
b) Hypospadie (Fehlmündung der männl. Harnröhrenöffnung): S. 29 (=37/93) ff (22)
c) Beeinträchtigungen von Fruchtbarkeit/Samenqualität: Fig. 1 u. 2. (23)

Auch wenn eine genaue mengenmäßige Zuordnung nicht bis ins Detail geklärt ist, kann ein genereller ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Erkrankungen und Glyphosat nicht abgestritten werden aufgrund folgender Hinweise:

1. der Nachweis aus Zellkulturen und Tierversuchen von vielfältigen Auswirkungen von Glyphosat/GBH auf unterschiedliche Hormonsysteme:

a) Nebennieren-Hypophysen-Achse mit Cortisol und ACTH
b) Geschlechtshormone Östrogen, Progesteron, Testosteron und deren übergeordnete Regulatoren (Gonadotropine)
c) Schilddrüsenhormone und TSH (übergeordnetes Schilddrüsen-Hormon)

2. diese glyphosat-bedingten Hormon-Störungen haben bei Tieren, obwohl nur zeitweise in der Schwangerschaft, um die Geburt herum oder in der Stillzeit angewendet, zu lebenslangen, irreversiblen gesundheitlichen Problemen oder Erkrankungen im späteren bzw. Erwachsenenalter geführt:

a) vorzeitiger Pubertätsbeginn im Jugendalter der Tiere
b) verändertes Sexualverhalten bei erwachsenen Tieren
c) verminderte Spermien-Zahl und vermehrt fehlgebildete Spermien
d) Störung der Schilddrüsen-Regulation

3. zusätzlich zu gutartigen Tumoren wurde durch Glyphosat/GBH eine Förderung folgender Krebsarten bei Mäusen und/oder Ratten nachgewiesen:

a) „Lymphdrüsen-Krebs“ (maligne Lymphome) – mehrere Studien (24), (25), (26), (27)
b) Blutgefäß-Krebs (Hämangiosarkom) – mehrere Studien( 28), ( 29)
c) Bauchspeicheldrüsen-Krebs (30)
d) Nieren-Krebs (31)

4.Wissenschaftler aus dem medizinischen und naturwissenschaftlichen Bereich haben wiederholt auf den Zusammenhang hingewiesen zwischen Krankheiten

a) und Glyphosat/GBH: Portier (32), Benbrook (s. a. Projekt) (33), Myers (34)
b) und hormonschädigende Substanzen:

Endocrine Society (35): weltweite Vereinigung der Hormonwissenschaftler
Figo: Weltverband der Gynäkologen u. Geburtshelfer (36)
TENDR 2016 (37), 2017 (38): Projekt von Kinderärzten u. Toxikologen zum Schutz der körperlichen und geistigen Entwicklung von Kindern (USA) vor Umweltchemikalien.

FORDERUNGEN:
1. Anwendung des geltenden EU-Rechtes, das den Gefährdungsgedanken (globales Glyphosat-Vorkommen, Gefährlichkeit der Substanz) und das Vorsorgeprinzip ausdrücklich hervorhebt:

a) nach der Chemikalien-Verordnung von 2008 und der Pestizid-Verordnung von 2009 muss Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen, basierend auf Tierversuchen (Kategorie 1B der Krebsgefährdung) eingeordnet werden und wegen genügender Evidenz (bösartige Tumore „in mindestens 2 voneinander unabhängigen validen Tier-Studien“ Article 3.6.2.2.3.b eingeordnet und dementsprechend verboten werden. Entsprechendes gilt wegen der Giftigkeit (Toxizität) auch nach Anhang II der Pestizid-Verordnung, 3.7.2.3. (S.43/50)
b) für die Erbgutschädigung (Mutagenität) und die
c) Fortpflanzungsschädlichkeit (Reproduktionstoxizität)

2. Umstrukturierung oder Abschaffung einer Behörde (BfR), die wie im Falle von Glyphosat jahrelang im Einvernehmen mit den Pestizidherstellern (u. a. BAYER, MONSANTO), aber im Widerspruch zu unabhängigen Wissenschaftlern und entgegen ihrem Auftrag die Menschen in der EU den Gesundheitsgefahren durch eine erbgut-schädigende, hormon-schädigende, krebs-erregende Substanz aussetzt. Dabei ist sie nicht in der Lage, einen Interessenkonflikt zu erkennen und zu kontrollieren.

3. Die Einführung einer standardmäßigen Nach-Beobachtung
a) zur Frage der Verteilung in der Umwelt
b) zur Giftigkeit, incl. Krebs-Erzeugung zu bestimmten Zeiten nach der ersten Zulassung durch unabhängige Wissenschaftler zu Lasten der Hersteller, die bis dahin eine Menge Gewinne erzielt haben.

4. Wie in unserer Gesellschaft bei jeder wissenschaftlichen Arbeit üblich, muss es auch in Zukunft für Firmen- oder Behördenmitarbeiter verbindlich sein, Pressemitteilungen, Anordnungen oder sonstige Schriftsätze als Einzelperson oder als Team mit den Unterschriften aller Verantwortlichen zu versehen.

5. Geheime oder unveröffentlichte Zulassungsstudien (siehe Fußnoten 24-31) darf es in Zukunft nicht mehr geben.

Aus den genannten Gründen muss die Zulassung für glyphosat-basierte Herbizide mit sofortiger Wirkung beendet werden.

Mit freundlichem Gruß
Dr. Gottfried Arnold, Kinderarzt Es besteht kein Interessenkonflikt.

ANMERKUNGEN

(1) Ein kleiner Ausschnitt mit wortwörtlichem Vergleich ist veröffentlicht beim Umwelt-Institut München.
(2) Burtscher-Schaden, H., Die Akte Glyphosat - Wie Konzerne die Schwächen des Systems nutzen und damit unsere Gesundheit gefährden. Kremayr & Scheriau, Wien, 2017. http:
www.kremayr-scheriau.at/bucher-e-books/die-akte-glyphosat-918
(3) Mit dem Hinweis auf das „Betriebsgeheimnis“ dürfen Pestizid-Produzenten nach deutschem und EU-Recht bestimmte Zusatzstoffe aus der Deklarationspflicht herausnehmen.
(4) 1.58 ng/mL = Mittelwert von Glyphosat im Urin der Kinder unter 9 Jahre = ca. 16 x höher als oberer Grenzwert für Glyphosat im Trinkwasser
(5) Besonders drängend erscheint diese Frage innerhalb der EU für portugiesische Kinder zu sein, wenn man die Spitzenwerte im Urin in Portugal betrachtet
(6) In Deutschland ist chronisches Nierenversagen (Nieren-Insuffizienz) zwischen 1996 und 2006 um ca. 50 % gestiegen.
(7) Sri Lanka, Indien, El Salvador, Costa Rica, Nicaragua, Ägypten, Tunesien, Bulgarien
(8) Über die Chelat-Bildung, wodurch auch die Halbwertszeit stark verlängert werden kann, haben sowohl Krüger:
Einfluss von Glyphosat und AMPA auf Boden, Pflanzen, Tiere
(https:www.naturland.de/images/Erzeuger/Fachthemen/Fachveranstaltungen/Pflanzenbau/2015/Sigoelveranstaltung/EinflussvonGlyphosatundAMPAaufBodenPflanzenTiereProfemDrMonikaKrueger.pdf) 14ff und Samsel und Seneff: Gyphosate, pathways to modern diseases IV: cancer and related pathologies (www.researchgate.net) als auch Burtscher-Schaden (Die Akte Glyphosat, S.26) sich geäußert
(9) Pre- and postnatal toxicity of the commerical glyphosate formulation in Wistar rats, Dallegrave, Eliane et. al.; Archives of Toxicology. Archiv für Toxikologie; Heidelberg Vol. 81, Iss. 9, (Sep. 2007: 665-73)
(10) Glyphosate impairs male offspring reproductive development by disrupting gonadotropin expression, Romano MA et. al.; Archives of Toxicology, 2012 April; 86 (4): 663-73
(11) Perinatal exposure to glyphosate-based herbicide alters the thyrotrophic axis and causes thyroid hormone homeostasis imbalance in male rats, de Souza JS et. al.; Toxicology; 2017 Feb 15; 377: 25-37
(12) Anstieg von Brustkrebs bei Frauen zwischen 2003 und 2013 um 13 %: Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016 (S. 36 =38 von 274: „aktueller Trend“ 1,3 %/Jahr)
http:
edoc.rki.de/documents/rki_fv/renGkGzAqwKc2/PDF/28oaKVmif0wDk.pdf
(13) Glyphosat und Krebs: Systematischer Regelbruch durch die Behörden, Peter Clausing; www.pan-germany.org
(14) ECHA, Rapporteur appointed by RAC: Christine Bjørge, Opinion of the Committee for Risk Assessment on a Dossier proposing harmonised Classification and Labelling at EU Level/glyphosate (ISO), 15 March 2017. https:echa.europa.eu/documents/10162/2d3a87cc-5ca1-31d6-8967-9f124f1ab7ae
(15) Portier, C. J., Letter to Jean Claude Juncker, President of the European Commission
28 May 2017. http:
www.gmwatch.org/files/Letter_Juncker_28_May_2017.pdf
(16) Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016; S.36, Tabelle links oben, aktueller Trend
http:edoc.rki.de/documents/rki_fv/renGkGzAqwKc2/PDF/28oaKVmif0wDk.pdf
(17) State of the science of endocrine disrupting chemicals – 2012, www.who.int
(18) Ein genauer Vergleich zu dem von der WHO in Zusammenhang mit Glyphosat als Ursache gebrachten Non-Hodgkin-Lymphom ist leider für Deutschland nicht möglich
(19) Non-Hodgkin lymphoma and occupational exposure to agricultural pestizide chemical groups and active ingredients, Shinasi L.; Leon ME; International Journal of Environmental Research and Public Health; 2014 Apr. 23; 11 (4): 4449-527. Siehe dort u. a. Table 5: der Wert von 0 % belegt eine hohe Konsistenz für einen Zusammenhang zwischen NHL-Subtyp B-Zell-Lymphom und Glyphosat.
(20) Die tatsächlichen Kosten müssten mindestens die Beseitigung von Glyphosat/GBH aus der Umwelt, die beeinträchtigte Bodenfruchtbarkeit, die ökologischen Schäden und Krankheitskosten durch die Gesundheitsschädigung berücksichtigen. Für hormonschädigende Substanzen in der EU hat Trasande eine Berechnung vorgelegt: Estimating Burden and Disease Costs of Exposure to Endocrine-Disrupting Chemicals in the European Union; The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism; 2015 April; 100 (4): 1245-1255
(21) State of the science of endocrine disrupting chemicals – 2012, S. 61(=89/289); www.who.int
(22)Endocrine disrupters and child health;
http:
apps.who.int/iris/bitstream/10665/75342/1/9789241503761_eng.pdf
(23)Male Reproductive Disorders and Fertility Trends: Influence of Environment and Genetic Susceptibility, Niels E. Skakkebaek et. al.; Physiological Reviews; Jan 2016; S. 55-97
(24) Atkinson, D., Unpublished Study, 1983
(25) Sugimoto, Unpublished Study, 1997
(26) Carcinogenicity Study with Glyphosate Technical in Swiss Albino Mice, Kumar, D.; Toxicology Department Rallis Research Centre, Rallis India Limited, Unpublished, 2001
(27) Wood, B., Unpublished, 2009
(28) Atkinson, D., 1983
(29) Sugimoto, Y., 1997
(30) A lifetime feeding study of glyphosate (Roundup technical) in rats, Lankas, G., Unpublished report, Bio/Dynamics, Inc., East Millstone, 1981
(31) A chronic feeding study of glyphosate (Roundup technical) in mice, Knezevich AL et al.; Unpublished Report, Bio/Dynamics, Inc., East Millstone, 1983
(32) Differences in the carcinogenic evaluation of glyphosate between the International Agency for Research on Cancer (IARC) and the European Food Safety Authority (EFSA), Christopher J Portier et. al.; Journal of Epidemiology and Community Health; 2016 Aug; 70 (8): 741-745
(33) Trends in glyphosate herbicide use in the United States and globally, Charles M. Benbrook; Environment Science Europe; (2016) 28:3
(34) Concerns over use of glyphosate-based herbicides and risks associated with exposures: a consensus statement, John Peterson Myers et. al.; Environmental Health (2016) 15: 19
(35) EDC-2: The Endocrine Society’s Second Scientific Statement on Endocrine-Disrupting Chemicals, A. C. Gore et. al.; Endocrine Reviews; (2015) Dec 36 (6)
(36) International Federation of Gynecology and Obstetrics opinon on reproductive health impacts of exposure to toxic environmental chemicals, Gian Carlo Di Renzo et. al.; International Journal of Gynecology & Obstetrics; Volume 131, Issue 3 (2015) Dec 219-225
(37) Project TENDR: Targeting Environmental Neuro-Developmental Risk. The TENDR Consensus Statement; Environ Health Perspect; DOI: 10.1289/EHP358
(38) Targeting Environmental Neurodevelopmental Risks to Protect Children, Deborah Hirtz et. al.; Pediatrics; Feb 2017, Volume 139/Issue 2

KASTEN

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lehnt Tierversuche ab. Auch im Fall von Glyphosat haben diese sich als unzuverlässig erwiesen. Hätten die verantwortlichen Fachgremien sich bei der Beurteilung des Antiunkraut-Mittels auf epidemologische Studien gestützt, so wäre der Beweis für die Gefährlichkeit des Stoffes eindeutig ausgefallen. Nicht zuletzt wegen ihrer zweifelhaften Aussagekraft stellt sich die CBG gegen Experimente am „Tier-Modell“und setzt sich stattdessen für Alternativen wie etwa Tests mit menschlichen Zell-Kulturen ein.

[Ticker] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion

EDCs: CBG macht Druck
Viele Pestizide und andere Stoffe von BAYER wirken wie Hormone. Diese sogenannten endokrinen Disruptoren (EDCs) können deshalb den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln und Krankheiten wie Krebs oder Diabetes auslösen. Bereits seit 2009 schickt sich die Europäische Union an, die EDCs strenger zu regulieren bzw. sie ganz aus dem Verkehr zu ziehen, aber der Leverkusener Multi hat es in Tateinheit mit anderen Konzernen immer wieder geschafft, den Prozess hinauszuzögern. Gemeinsam mit dem PESTIZID AKTIONS-NETZWERK und anderen Organisationen hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die Bundesregierung deshalb jetzt aufgefordert, in Brüssel auf eine zügige Vereinbarung zu den Hormongiften zu drängen und insbesondere keine Ausnahmen für hormonell wirksame Agro-Chemikalien zuzulassen.

Protest gegen Afrika-Konferenz
Bereits seit einiger Zeit betreibt die Bundesrepublik eine Privatisierung der Entwicklungshilfe und setzt dabei auf eine Kooperation mit BAYER und anderen Konzernen. So wirkt das Unternehmen etwa an dem Projekt „Better Rice Initiative in Asia“ mit und nutzt es als Vehikel, um seine Reis-Saaten besser zu vermarkten. Auf eine neue Stufe stellte die Bundesregierung diesen Schulterschluss allerdings im Juni 2017. Im Rahmen ihrer G20-Präsidentschaft lud sie in Berlin zu einer Afrika-Konferenz. Dort boten Merkel & Co. Ländern des Kontinents, die sich bereit zeigten, günstige Bedingungen für Investoren zu schaffen, privilegierte Partnerschaften an. Und passenderweise konnten BAYER, BASF, COCA COLA & Co. dabei schon ein Wörtchen mitreden, denn sie nahmen am Konferenz-Tisch Platz. Aber glücklicherweise ging das alles nicht ohne Kritik über die Bühne. Ein breites Bündnis aus Geflüchteten-Initiativen, Gewerkschaften und linken Gruppen unternahm eine Fahrrad-Rallye gegen die G20-Afrika-Konferenz und machte dabei auch vor einer Niederlassung des Leverkusener Multis Station. „Wir besuchen BAYER und andere Profiteure sowie verantwortliche Institutionen, die u. a. für die Zerstörung der bäuerlichen Landwirtschaft in Afrika verantwortlich sind“, erklärten die ProtestlerInnen. Und selbstverständlich strampelten bei der Tour auch AktivistInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN mit.

Widerspruch gegen BVL-Bescheid
Immer wieder kritisiert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die hohen Antibiotika-Gaben in der Tiermast im Allgemeinen und die Verwendung von BAYERs BAYTRIL im Besonderen. Dieses Pharmazeutikum gehört nämlich zur Gruppe der Fluorchinolone und damit zu den Reserve-Antibiotika, die in der Humanmedizin nur zum Einsatz kommen, wenn andere Mittel bereits versagt haben. Durch die Dauerdröhnung in den Ställen aber gewöhnen sich die Krankheitserreger zunehmend an die Präparate. Gelangen die Keime dann in den menschlichen Organismus, ist kein Kraut mehr gegen sie gewachsen. Auch im letzten August vermeldete das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit“ (BVL) wieder einen massiven Anstieg des Fluorchinolone-Gebrauchs in der Massentierhaltung. Später korrigierte es die Zahlen dann allerdings nach unten. Ein Unternehmen habe falsche Daten übermittelt, hieß es. Gemeinsam mit den ÄRZTEN GEGEN MASSENTIERHALTUNG, GERMAN WATCH und anderen Gruppen wollte die CBG nun wissen, um welche Firma es sich handelte. Diese Auskunft hat das Bundesamt jedoch mit Verweis auf das Betriebsgeheimnis verweigert. Auch antwortete es nicht auf die Frage, in welchen Mengen TierärztInnen bestimmte Antibiotika erhalten. Darum haben die Initiativen Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt.

KAPITAL & ARBEIT

Weniger BAYER-Beschäftigte
Bei BAYER ging 2016 die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr um 1,2 Prozent auf 115.200 zurück.

US-Werke ohne GewerkschaftlerInnen
In den USA haben die Gewerkschaften traditionell eine schweren Stand, bei BAYER allerdings einen noch schwereren: Während der Organisationsgrad in den Betrieben durchschnittlich bei 6,7 Prozent liegt, betrug er 2016 in den US-Niederlassungen des Leverkusener Multis nur fünf Prozent. Diesen „Erfolg“ können sich die dortigen ManagerInnen gutschreiben, denn sie versuchen mit allen Mitteln, die Gründung von Beschäftigten-Vertretungen zu hintertreiben. So schüren sie etwa die Angst, Betriebszellen würden den jeweiligen Standort und damit auch die Jobs gefährden. In Emeryville hat der Konzern GewerkschaftlerInnen vor den Beschäftigten sogar als Schmarotzer diffamiert, die es nur auf die Mitgliedsbeiträge der Betriebsangehörigen abgesehen hätten. Und schließlich müssen beim Pharma-Riesen organisierte Belegschaftsmitglieder im Falle von Entlassungen immer als erste dran glauben.

ERSTE & DRITTE WELT

JADELLE bereitet Probleme
Bei BAYERs JADELLE handelt es sich um ein speziell für die Bevölkerungspolitik geschaffenes, fünf Jahre lang unfruchtbar machendes Hormon-Implantat, das die Devise des früheren US-Präsidenten Lyndon B. Johnson in die Praxis umsetzt: „Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar.“ Konsequenterweise bietet der Pharma-Riese das Mittel deshalb in den Industrie-Nationen gar nicht erst an – ein typisches Beispiel für doppelte Standards. Dankbarer Abnehmer ist hingegen die „Bill & Melinda Gates Foundation“: Sie erwarb im Jahr 2013 27 Millionen Einheiten des Medizin-Produkts. Dabei hat das Kontrazeptivum mit dem Wirkstoff Levonorgestrel nicht nur zahlreiche Nebenwirkungen wie etwa Kopfschmerzen, Depressionen, Gewichtszunahme, Sehstörungen und Migräne, es kommt auch immer wieder zu Komplikationen beim Einsetzen und Rausholen der Präparate. Der Gates-Stiftung graust es deshalb schon vor dem nächsten Jahr, wenn in Afrika das Entnehmen von 5,8 Millionen Implantaten ansteht. „Eine beunruhigende Zahl, angesichts der schon jetzt vorhandenen Probleme beim Entfernen“, heißt es in einem Bericht der Einrichtung.

IG FARBEN & HEUTE

85 Jahre Benzin-Pakt
Das Projekt der von BAYER mitgegründeten IG FARBEN, aus deutscher Braunkohle Benzin gewinnen zu wollen, erwies sich Anfang der 1930er Jahre als gigantische Fehlinvestition. Immer mehr ManagerInnen plädierten deshalb dafür, das Vorhaben einzustellen. Im Sommer 1932 aber kam die Wende. Die IGler Heinrich Bütefisch und Heinrich Gattineau trafen sich mit Hitler und schlossen mit ihm den Benzin-Pakt: Der NSDAP-Vorsitzende stellte dem Unternehmen Absatz-Garantien für den Rohrkrepierer in Aussicht, sollte er an die Macht kommen. Daraufhin fasste das IG-Direktorium umgehend den Entschluss, mit der Kohle-Hydrierung fortzufahren. „Wir wissen heute, dass diese Eile historisch notwendig war, schrieb Bütefisch 1941. Sonst hätte der Diktator es mit seinen Kriegsplänen nämlich nicht so einfach gehabt. „Die beruhigende Gewissheit, in der Treibstoff-Versorgung für die Luftwaffe und die wichtigsten Teile der übrigen Wehrmacht in Deutschland von fremder Zufuhr unabhängig zu sein, wäre ohne diese Eile in Frage gestellt gewesen“, konstatierte das Vorstandsmitglied des Mörder-Konzerns. Der Publizist Otto Köhler hat dieses Zitat ausgegraben. Er widmete dem Benzin-Pakt anlässlich seines 85-jährigen Jubiläums in der jungen Welt einen langen Artikel. Und Köhler schilderte darin auch, wie der ehemalige BAYER-Pressesprecher Gottfried Plumpe versuchte, die IG FARBEN zu exkulpieren. Bevor er beim Leverkusener Multi anheuerte, hatte Plumpe die Entscheidung des Unternehmens, weiter auf die Produktion von synthetischem Benzin zu setzen, noch historisch korrekt auf den Juli 1932 datiert und damit nach dem Treffen mit Hitler stattfinden lassen. In BAYER-Diensten stehend, verlegte er sie dann einfach vor, um den Treibstoff-Deal auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen zu können.

POLITIK & EINFLUSS

Bilderberger Baumann
Die globale Macht-Elite aus Wirtschaft und Politik trifft sich einmal im Jahr zur Bilderberg-Konferenz, um aus herrschaftlicher Perspektive über die Weltlage zu beraten. Dieses Mal fand das Meeting Anfang Juni im US-amerikanischen Chantilly statt. Auf der Tagesordnung standen unter anderem die Trump-Regierung, die transatlantischen Beziehungen, China, Russland, das Schicksal der EU, die Zukunft der Globalisierung und der Populismus. Und mit von der Partie: BAYER-Chef Werner Baumann und BAYER-Aufsichtsrat Paul Achleitner. Für den Leverkusener Multi stellt die Teilnahme an der illustren Runde jedoch kein Novum dar. Schon frühere ManagerInnen des Konzerns zählten zu den berühmt-berüchtigten BilderbergerInnen.

EPA unter Einfluss
Im Gegensatz zur Weltgesundheitsorganisation WHO stufte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA das Pestizid Glyphosat, das hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz kommt, aber auch in BAYER-Mitteln wie GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE enthalten ist, nicht als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Interne Unterlagen MONSANTOs, die im Zuge eines Prozesses von Glyphosat-Geschädigten ans Licht der Öffentlichkeit gelangten, nähren allerdings erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit des Votums. Der bei der EPA für das Verfahren zuständige Jess Rowland stand nämlich in engem Kontakt mit dem US-Unternehmen und erwies ihm einen nicht gerade kleinen Freundschaftsdienst. Er tat alles in seiner Kraft stehende, um das US-amerikanische Gesundheitsministerium an einer Studie zu den Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat zu hindern. „Wenn ich es schaffe, das zu killen, sollte ich eine Medaille bekommen“, schrieb Rowland MONSANTO. Und er schaffte es: Die Untersuchung kam nie zustande. Auch hat der EPA-Mitarbeiter einer Toxikologin der Behörde zufolge Abschlussberichte zugunsten der Industrie verändert und Druck auf Beschäftigte ausgeübt, die BAYER & Co. keine Persilscheine ausstellen wollten.

Agrar-Subventionen für Bauer BAYER
Die EU bedenkt den Leverkusener Multi seit geraumer Zeit mit Agrar-Subventionen. Im Jahr 2016 strich die BAYER REAL ESTATE GmbH 108.893 Euro aus Brüssel ein, die BAYER CROPSCIENCE AG 32.391 Euro und die BAYER CROPSCIENCE GmbH 11.345 Euro.

BAYER klagt über Strom-Kosten
Und ewig klagt der Leverkusener Multi über die angeblich zu hohen Strom-Preise. In einer Sonderbeilage der Faz zum Wirtschaftstag 2017 stimmte der Konzern-Manager Wolfgang Große Entrup die alte Leier an. „Teuer erkauft“ nennt er die Energie-Wende da und meint damit: zu teuer erkauft. „Die im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Energie-Kosten gefährden Deutschlands Zukunft als Industrie-Standort“, warnt Große Entrup und konstruiert einen Zusammenhang zwischen diesen Aufwendungen und dem Rückgang von Investitionen im Land. Der BAYER-Mann, der dem CDU-Wirtschaftsrat angehört und dort der Bundesfachkommission „Umweltpolitik“ vorsteht, fordert deshalb: „Angesichts explodierender Kosten ist eine marktwirtschaftliche und europäische Neuausrichtung der Energie- und Klimapolitik zwingend notwendig.“

PROPAGANDA & MEDIEN

Die Grenzen des Dialogs
„BAYER ist dafür bekannt, den Dialog auch mit besonders kritischen NGOs zu suchen“, meint das prmagazin beobachtet zu haben. Allerdings verlässt den Konzern dabei nach Meinung des Branchenblattes von Zeit zu Zeit das Finderglück. „Michael Preuss stößt im Dialog mit manchen NGOs an Grenzen“, heißt es in einem langen Artikel über den obersten Öffentlichkeitsarbeiter des Leverkusener Multis. Nach den Gründen befragt, antwortet Preuss: „Es wird immer Gruppen geben, deren Geschäftszweck es ist, uns zu kritisieren. Dann ist es relativ schwierig, auf irgendeinen gemeinsamen Nenner zu kommen.“ Damit meint er offensichtlich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. In ähnlichen Worten hatte sich nämlich schon Preuss’ Vorgänger Herbert Heitmann über die Coordination geäußert. Mit dem BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ (BUND) kam der Konzern ebenfalls nicht ins Gespräch. Er wollte mit der Umwelt-Organisation eigentlich über die geplante MONSANTO-Akquisition reden. Der BUND forderte aber erst einmal Informationen über die voraussichtlichen Markt-Anteile des Unternehmens bei Pestiziden und Saatgut nach Abschluss der Transaktion ein – und hörte dann nichts mehr von BAYER. Ein Tête-à-Tête mit VertreterInnen von NABU und WWF erfolgte hingegen. Ergebnisse allerdings waren nach Angaben der Umweltverbände am Ende des Tages nicht zu verzeichnen.

BAYERs Landwirtschafts-PR
Das zynische Monopoly-Spiel um Übernahmen und Fusionen, das zurzeit den Landwirtschaftssektor heimsucht, hat das Image des agro-industriellen Komplexes weiter ramponiert. Dem beabsichtigt der Leverkusener Multi jetzt entgegenzuarbeiten. „Um zur Versachlichung beizutragen“, wie das prmagazin fadenscheinig meint, will der Leverkusener Multi „verstärkt in eine gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft einsteigen.“

BAYERs MIRENA-Netzwerk
BAYERs Hormonspirale MIRENA mit dem Wirkstoff Levonorgestrel steht seit Jahren wegen ihrer vielen Nebenwirkungen in der Kritik. Nicht zuletzt, um den Vorbehalten gegenüber den sogenannten Intrauterinsystemen entgegenzuarbeiten, hat der Leverkusener Multi im Gesundheitswesen ein umfangreiches Netzwerk aufgebaut. So hält er sich diverse medizinische Mietmäuler. Der Frauenheilkundler Dr. Thomas Römer etwa strich vom Leverkusener Multi 2015 56.000 Euro und 2016 rund 20.000 Euro ein. Dafür leitet er unter anderem ein ÄrztInnen-Gremium, das eindeutige Empfehlungen ausspricht. „Die Verhütung mit dem Levonorgestrel-Intrauterinsystem ist für viele Frauen eine gute Option und bietet gegenüber alternativen Methoden zahlreiche Vorteile“, heißt es in dem Konsensus-Statement „deutscher Experten aus Gynäkologie und Endokrinologie“. Kai J. Bühling hingegen zeigte sich für sein Berater-Geld erkenntlich, indem er sich für ein Werbe-Interview zur Verfügung stellte. „Hormonspirale & Co. passen perfekt ins Leben moderner Frauen“, tönt er etwa in dem Gespräch, das dann die auf „strategische Online- und Social Media PR“ spezialisierte GOERKE PUBLIC RELATIONS GmbH unter die Leute brachte. Zudem sponserte der Leverkusener Multi die zum „Berufsverband der Frauenärzte“ gehörende „Frauenärztliche Bundesakademie“. 194.210 Euro strich die Einrichtung, die unter anderem GynäkologInnen-Kongresse veranstaltet, vom Konzern 2015 nach Angaben des Recherche-Zentrums Correctiv ein. So viel zahlte ihr kein anderes Unternehmen. Und auch die „Deutsche Gesellschaft für Frauengesundheit“ erhielt 2015 einen Scheck vom Pillen-Riesen: 51.000 Euro überwies BAYER der Gesellschaft.

Marketing-Ausgaben steigen weiter
BAYER gibt immer mehr Geld für Marketing und Vertrieb aus. 2016 stiegen die Zahlen gegenüber dem Vorjahr von 12,27 auf 12,47 Milliarden Euro. Obwohl das mehr als 26 Prozent des Gesamtumsatzes entspricht, verweigert der Konzern der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf den Hauptversammlungen seit Jahren eine genauere Aufschlüsselung dieser Ausgaben.

DRUGS & PILLS

HIV-Stiftung ohne BAYER
In den 1980er Jahren haben Blut-Produkte von BAYER & Co. zehntausende Bluter und andere PatientInnen mit AIDS und/oder Hepatitis C infiziert. Aus Profit-Gründen haben die Konzerne die Einführung von Virus-Inaktivierungsverfahren hinausgezögert und trotz aller Warnungen lange Zeit weiter das Blut von Risiko-Gruppen zur Herstellung ihrer Präparate verwendet. Darum blieb dem Leverkusener Multi in der Bundesrepublik kaum etwas anderes übrig, als sich 1995 gemeinsam mit anderen Pillen-Riesen und dem Deutschen Roten Kreuz finanziell an der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ zu beteiligen. Die Unternehmen rechneten dabei mit einem zeitlich befristeten Engagement. Diese Einschätzung erwies sich jedoch als falsch – die AIDS-Kranken lebten länger als erwartet. Darum gingen die Konzerne in der Folge dazu über, immer wieder um ihren Anteil am Etat zu feilschen. Mit Erfolg: Er sank mit den Jahren von 39 auf 22 Prozent. Jetzt aber erschien ihnen offensichtlich sogar das zu viel. Obwohl BAYER-Chef Werner Baumann auf der letzten Hauptversammlung dem Bluter Thomas Gabel noch versicherte, „mit dem Gesundheitsministerium in konstruktiven Gesprächen über die weitere Beteiligung der Pharma-Industrie an der Sicherung der Zukunft der Stiftung“ zu sein, stellten die Firmen de facto ihr Mitwirken ein. Deshalb war die Bundesregierung gezwungen, das HIV-Hilfegesetz zu überarbeiten. Der entsprechende Änderungsantrag lautete: „Die Nummern 1 bis 4 werden gestrichen. Eingefügt wird der Satz ‚Die Mittel für die finanzielle Hilfe werden vom Bund aufgebracht.’“ Und zur Begründung hieß es: „Da es zunehmend schwieriger wird, weitere Finanzierungszusagen von den pharmazeutischen Unternehmen und dem DRK zu erhalten (...), soll der Bund die Finanzierung zukünftig sicherstellen.“

AGRO & CHEMIE

Glyphosat: Kalifornien handelt
Es gibt eindeutige Belege dafür, dass das Pestizid Glyphosat Krebs auslösen kann. Dennoch ist es MONSANTO & Co. – nicht zuletzt durch gekaufte WissenschaftlerInnen – gelungen, Zweifel daran zu säen. Der US-amerikanische Bundesstaat Kalifornien hat sich in dem Streit um den Wirkstoff, der auch in vielen BAYER-Produkten enthalten ist, jetzt eindeutig positioniert. Er stufte die Substanz als potenziell karzinogen ein, weshalb die Hersteller vermutlich bald entsprechende Warnhinweise auf den Packungen aufbringen müssen. MONSANTO nannte die Entscheidung wenig überraschend „ungerechtfertigt auf der Basis von Wissenschaft und Gesetz“ und kündigte rechtliche Schritte an.

GENE & KLONE

BAYER & MONSANTO vs. Indien
Die indische Regierung hat im Juni 2017 ein Gesetz zur Senkung der Lizenz-Gebühren für gen-manipuliertes Baumwoll-Saatgut erlassen. Erwartungsgemäß laufen MONSANTO, BAYER & Co. dagegen Sturm. MONSANTO kündigte an, in Zukunft keine neuen Produkte mehr in dem Land zu vermarkten. Und der Leverkusener Multi mahnte: „Ein förderliches politisches Umfeld, starke Unterstützung durch die Regierung und ein verlässlicher Schutz des geistigen Eigentums sind sehr wichtig für ein Forschungsunternehmen wie BAYER.“

Persilschein für BAYER-Baumwolle
Die EU prüft zurzeit eine Import-Zulassung für BAYERs Gentech-Baumwolle „GHB119“, die der Leverkusener als Lebens- und Futtermittel vermarkten will. Und die Europäische Lebensmittel-Behörde EFSA stellte der Labor-Frucht in ihrer Risiko-Bewertung einen Persilschein aus. Das Gentech-Erzeugnis, das gegen das gesundheitsschädliche Herbizid Glufosinat resistent ist und den für Insekten tödlichen Bacillus thuringiensis (Bt) enthält, wirft nach Meinung der WissenschaftlerInnen keinerlei Sicherheitsfragen auf. Den ExpertInnen zufolge unterscheidet das Gewächs sich gar nicht von herkömmlicher Baumwolle. Die ihm mittels Gentechnik eingepflanzten Proteine haben laut EFSA nicht das Potenzial, giftig zu wirken und/oder Allergien auszulösen. Auch die Gefahr von Auskreuzungen sieht die Behörde nicht. Die Initiative TESTBIOTEST kommt dagegen zu einer ganz anderen Einschätzung. So verweist sie auf die Ergebnisse von Feldversuchen mit der Pflanze, in denen ForscherInnen sie mit den Eigenschaften ihres konventionellen Pendants verglichen und bis zu 24 Abweichungen festgestellt haben. Überdies schenkten die EFSA-WissenschaftlerInnen den Effekten der Bt-Toxine – wie zum Beispiel Wechselwirkungen mit anderen Stoffen – nach Ansicht von TESTBIOTEST nicht genügend Aufmerksamkeit. Zudem verweist die Organisation auf Studien, die den Toxinen sehr wohl ein allergenes Potenzial attestierten. Die Risiken, die von möglichen Glufosinat-Rückständen in der Baumwolle ausgehen, haben in der Bewertung ebenfalls keine Rolle gespielt, moniert TESTBIOTEST. Und schließlich werfen die Gentech-KritikerInnen der EFSA vor, Forschungen zu Auskreuzungen von gen-manipulierter Baumwolle ignoriert zu haben.

Stammzellen-Forschung mit BLUEROCK
„Die Möglichkeiten sind grenzenlos“, so schwärmte im Jahr 2001 BAYERs damaliger Chef-Pharmazeut Wolfgang Hartwig über die Chancen, die Stammzellen bieten. Aus ihnen wollten die GenforscherInnen des Konzerns zahlreiche Zelltypen oder Gewebe-Arten für medizinische Anwendungen entwickeln. Aber es hat sich rasch Ernüchterung über das Potenzial dieses Forschungszweigs eingestellt, und der Leverkusener Multi stoppte bald alle Aktivitäten auf diesem Gebiet. Jetzt jedoch wagt er einen neuen Anlauf. Der Pharma-Riese gründete gemeinsam mit der Investment-Gesellschaft VERSANT VENTURES das Unternehmen BLUEROCK THERAPEUTICS und stattete es mit 225 Millionen Dollar aus. Dafür erhofft sich der Global Player die Entwicklung von „zell-basierten Therapien“ für Herz/Kreislauf-Erkrankungen, Alzheimer und Parkinson.

WASSER, BODEN & LUFT

BAYER schädigt Ozonschicht
Seit Jahren schon sorgt hauptsächlich ein einziges Werk des Leverkusener Multis für den ganzen Ausstoß an ozon-abbauenden und deshalb klima-schädigenden Substanzen: die Niederlassung der Agro-Sparte im indischen Vapi. Und seit Jahren schon schraubt der Konzern auch ein bisschen an der Fertigungsstätte rum, so dass die Werte immer ein bisschen sinken. Aber 2016 summierten sie sich trotzdem noch auf neun Tonnen (2015: 11,7).

1.120 Tonnen flüchtige Substanzen
Auch BAYERs flüchtige organische Substanzen entstammen hauptsächlich dem Werk im indischen Vapi. Im Zuge der „Work in Progress“-Sanierung ging der Ausstoß dieser gesundheitsschädlichen Gase ebenso wie derjenige der ozon-abbauenden Stoffe (s. o.) 2016 etwas zurück. Von 1.610 auf 1.120 Tonnen sank der Wert.

Kaum weniger Stickstoff & Co.
Der Ausstoß von Stickstoffoxiden, Schwefeldioxiden, Staub und Kohlenmonoxid hat sich bei BAYER 2015 gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Die Emissionen von Stickstoffoxiden fielen geringfügig von 2.420 Tonnen auf 2.360 Tonnen ebenso wie diejenigen von Schwefeldioxiden. Diese reduzierten sich von 1.170 Tonnen auf 990 Tonnen. Der Konzern wirbelte auch weniger Staub auf. Die Werte sanken von 230 auf 160 Tonnen. Dafür erhöhte sich jedoch der Kohlenmonoxid-Ausstoß um 70 auf 1.000 Tonnen.

BAYERs großer Durst
Der Leverkusener Multi hat einen enormen Wasser-Durst. Auf 330 Millionen Kubikmeter bezifferte er seinen Konsum im Jahr 2014, in den zwölf Monaten zuvor waren es sogar 346 Millionen gewesen. Zum Vergleich: Das ist mehr als das Dreifache dessen, was die ganze Stadt Köln verbraucht. Rund drei Viertel des Wassers gehen als Kühlwasser drauf, ein Viertel verwendet der Konzern in der Produktion. Und erschwerend kommt noch hinzu, dass die Wiederaufbereitungsquote verschwindend gering ist: Mit 11,8 Millionen Kubikmetern recycelte das Unternehmen gerade einmal vier Prozent des Kühlwassers.

BAYERs Abwasser-Frachten
2016 produzierte der Leverkusener Multi mit 60 Millionen Kubikmetern Abwasser eine Million weniger als 2015. Der Phosphor-Eintrag sank von 100 auf 90 Tonnen und der von organischem Kohlenstoff von 1.160 auf 1.140 Tonnen. Auch Schwermetalle fanden sich etwas weniger im Wasser. Der Wert reduzierte sich von 64 auf 54 Kilogramm. Dagegen legten die Einleitungen von Stickstoff und Anorganischen Salzen zu. Sie stiegen von 560 auf 570 Tonnen bzw. von 927.000 auf 931.000 Tonnen.

BAYER produziert mehr Müll
Im Jahr 2016 produzierte BAYER mehr Müll als 2015. Von 940.000 auf 958.000 Tonnen erhöhte sich die Gesamtmenge. Darunter befanden sich 547.000 Tonnen gefährlicher Abfall. Um 6.000 Tonnen stieg dessen Aufkommen.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

Brandgefährliche Wärmedämmung
79 Menschen starben im Juni 2017 bei dem verhängnisvollen Hochhaus-Brand im Londoner Stadtteil North Kensington. Eine fatale Rolle bei dem Feuer im Grenfell Tower spielte die Fassaden-Dämmung. Sie bestand aus Polystyrol, besser bekannt als Styropor, das als Brandbeschleuniger wirkte. Wärmedämmungsmaterialien aus Kunststoff bietet auch die BAYER-Tochter COVESTRO an. Sie setzt dabei jedoch nicht auf Polystyrol, sondern auf Polyurethan. Diese Substanz bildet unter großer Hitze-Einwirkung zwar nicht wie das Polystryrol brennenden Tropfen, die das Feuer weiterverbreiten können, aber sie hat es ebenfalls in sich. Die Polyurethane gehören mit „normal entflammbar“ oder „schwer entflammbar – je nach Verarbeitung oder Präparierung – nämlich denselben Brandschutz-Klassen an wie die Polystyrole. Und wie die Polystyrole wirkten sie bereits dabei mit, aus Hochhäusern flammende Infernos zu machen, so etwa im Jahr 2010 beim Brand eines Wolkenkratzers in Shanghai, bei dem 58 Menschen starben, und 2009, als sich in Peking der noch im Bau befindliche TV- und Kultur-Center entzündete. Auch in Kensington selber waren die Substanzen mit im Spiel. Sie steckten als Isolationsmaterial in dem Kühlschrank, der das Feuer auslöste, und sorgten für eine schnellere Verbreitung der Flammen. Weil in England jährlich rund 300 Haus-Brände auf das Konto von mit diesen Kunststoffen bestückten Eisschränken oder Gefriertruhen gehen, hat die „London Fire Brigade“ die Politik zum Handeln aufgefordert. Sie verlangte unter anderem das Verbot der Verwendung von Polyurethanen als Isoliermaterial in Haushaltsgeräten.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Vier tödliche Arbeitsunfälle
Insgesamt ereigneten sich im Jahr 2016 bei BAYER 489 meldepflichtige, also schwerwiegendere Arbeitsunfälle. Vier davon verliefen tödlich. Zwei Belegschaftsangehörige des Leverkusener Multis kamen durch Verkehrsunfälle ums Leben, und zwei Beschäftigte von Fremdfirmen starben durch Stürze.

14 anerkannte Berufskrankheiten
Lange Zeit machte BAYER überhaupt keine Angaben zu Berufskrankheiten mehr. Im Geschäftsbericht von 2016 hingegen nennt der Konzern wieder eine Zahl. 14 im Berichtszeitraum gemeldete Fälle zählt er auf und gibt vor allem Gesundheitsstörungen, die „den Bewegungsapparat betrafen (z. B. durch Computer-Arbeit oder Heben)“ an. Es dürften jedoch viel mehr sein, denn der Global Player erwähnt nur die von den Berufsgenossenschaften als arbeitsplatz-bedingt anerkannten Erkrankungen – und das sind nicht viele. 80 Prozent der Anträge lehnen die Einrichtungen, in deren Beschluss-Gremien die Unternehmen über die Hälfte der Stimmen verfügen, ab.

Entzündlicher Stoff tritt aus
Am 3.4.16 ereignete sich am BAYER-Standort Kiel ein Umfall. In dem Werk, das veterinär-medizinische Produkte hergestellt, trat entzündlicher flüssiger Abfall aus.

Leckage in Wuppertal
Am 18.4.16 kam es im Wuppertaler Pharma-Betrieb BAYERs zu einem Unfall. An einem Kanal-Schacht entstand eine Leckage, aus der eine größere Menge Abwasser in einen Fluss gelangte.

Diesel im Abfluss-Kanal
Am pakistanischen BAYER-Standort Karachi geschah am 23.6.16 beim Umfüllen von Diesel ein Unfall, in deren Folge 2.000 Liter des Treibstoffs in einen Abfluss-Kanal gerieten.

Lösemittel-Austritt in Antwerpen
Im Antwerpener Werk der BAYER-Tochter COVESTRO trat am 28.7.16 bei der Inbetriebnahme einer Pumpe ein Lösemittel aus. Nach Angaben des Leverkusener Multi wurde es „nach Absprache mit den Behörden fachgerecht entsorgt“.

Viele Transport-Unfälle
Beim Transport von gefährlichen BAYER-Gütern kam es 2016 zu 12 „Ereignissen“, wie der Leverkusener Multi die Beinah-Katastrophen zu bezeichnen beliebt. Und damit nicht genug der Sprach-Kosmetik, spricht der Konzern seit Neuestem auch nur noch von „Produkt-Austritten“, wo er in früheren Geschäftsberichten noch die Substanz nannte, die ins Freie gelangte.

BAYSANTO & MONSAYER

Kritik an Fusionskontrolle

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Die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT, das FORUM UMWELT UND ENTWICKLUNG, die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und weitere Verbände haben massive Zweifel daran, ob die EU-Wettbewerbsbehörde willens und in der Lage ist, mit den geeigneten Mitteln auf BAYERs Plan, MONSANTO zu schlucken, zu reagieren. Darum haben die Initiativen gemeinsam eine Streitschrift gegen die Ohnmacht der Wettbewerbskontrolle herausgegeben, die den Titel „Fusion von BAYER & MONSANTO“ trägt. Untersagt hat die Europäische Union der Publikation zufolge im Jahr 2015 nämlich keinen einzigen der 300 von ihr überprüften Deals. Nur in 18 Fällen erfolgten Auflagen. Auch spielten die Auswirkungen der Transaktionen auf die Belegschaften und auf die Umwelt keinerlei Rolle. Überdies analysierten die WettbewerbshüterInnen nicht die möglichen Effekte der Übernahmen und Fusionen auf Länder des globalen Südens. „Eine Verschärfung der Fusions- und Missbrauchskontrolle ist unerlässlich, um die Markt-Macht der Multis zu begrenzen“, lautet deshalb das Resümée der AutorInnen. Sie fordern unter anderem ein Trennungsgebot, das es den Unternehmen nicht länger erlaubt, gleichzeitig dominierende Stellungen im Saatgut-, Gentechnik- und Pestizid-Bereich aufzubauen. Auch verlangen sie, die gehaltenen Patente in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Und schließlich tritt die Streitschrift für die Einrichtung einer Welt-Kartellbehörde ein.

Kritik an Fusionskontrolle

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Bei den bisherigen Genehmigungsverfahren zu den Mega-Deals in der Agro-Branche hat die Wettbewerbsbehörde der EU außer-ökonomischen Kriterien zu wenig Beachtung geschenkt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten, das Dr. Boris P. Paal von der Universität Freiburg im Auftrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erstellt hat. Nach Ansicht Paals bietet die Fusionskontroll-Verordnung (FKVO) eine ausreichende Handhabe dafür, um bei der Prüfung der Übernahmen und Fusionen beispielsweise ökologischen Aspekten mehr Geltung zu verschaffen. Der Jurist verweist dazu besonders auf den Artikel 2 der Verordnung. BAYERs Plan, MONSANTO zu übernehmen, droht Paal zufolge nämlich das, was dort unter „wirksamer Wettbewerb“ gefasst ist, in Bezug auf die Ernährungssicherheit, die Biodiversität und den Gesundheitsschutzes zu gefährden. „Die EU-Kommission ist somit (auch) im Fall BAYER/MONSANTO gehalten, außer-ökonomische Ziele in das Fusionskontroll-Verfahren mit einzubeziehen“, hält der Gutachter fest. Und nach Artikel 21 der FKVO besteht laut Paal sogar für die Bundesregierung eine Handlungsmöglichkeit, denn gemäß dieses Paragrafens können die Mitgliedsstaaten „geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen als derjenigen treffen, die in der FKVO selbst berücksichtigt werden“. Und nicht nur die Umwelt braucht Schutz vor Baysanto. Auch die Beschäftigten, die LandwirtInnen und die VerbraucherInnen benötigen ihn.

CCI hat Nachforderungen
Der indischen Wettbewerbsbehörde CCI reichten die Unterlagen nicht aus, die BAYER zur Genehmigung der MONSANTO-Akquisition eingereicht hatte. Sie forderte den Global Player deshalb auf, Informationen nachzuliefern. „Wir sind mit der Antitrust-Behörde im Dialog über die Vollständigkeit des Daten-Paketes“ – mit diesen Worten kommentierte der Leverkusener Multi das Schreiben der CCI und wollte sich zu näheren Details nicht äußern.

Kritik an Mega-Deals

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Zwei US-amerikanische Landwirtschaftsverbände haben massive Kritik an den Fusionen und Übernahmen geübt, die BAYER und andere Unternehmen zurzeit planen. „Zutiefst beunruhigende Auswirkungen“ werden die Deals nach Einschätzung des Verbandes der afro-amerikanischen LandwirtInnen „National Black Farmers Association“ (NBFA) und der Geflügel-FarmerInnen von der „Contract Poultry Growers Association of the Virginias“ (CPGAVA) haben. Von einem „Desaster für die US-amerikanischen Landwirte und Konsumenten, die sich auf höhere Lebensmittelpreise und weniger Innovationen einstellen müssen“ sprechen John Boyd Jr. von der NBFA und Mike Weaver von der CPGAVA. Besonders vor „Baysanto“ haben die beiden Angst. „Dieses Unternehmen hätte eine enorme Macht“, schreiben sie in der Online-Publikation The Hill. Mit Verweis auf die seit den 1980er Jahren eh schon immens gewachsenen Kosten für Soja-Saatgut, denen nur gering gestiegene Ernte-Einnahmen gegenüberstehen, warnen Boyd und Weaver vor einer Existenz-Gefährdung der FarmerInnen durch das Vorhaben des Leverkusener Multis, den US-Konzern zu schlucken. „Die geplante Fusion zwischen BAYER und MONSANTO könnte der Todesstoß sein“, so die Verbandschefs.

Kritik an Mega-Deals

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Nach einer Umfrage, die SumOfus und FRIENDS OF THE EARTH in Auftrag gegeben haben, lehnen über 80 Prozent der US-AmerikanerInnen – darunter auch ein Großteil der Trump-WählerInnen – BAYERs Plan, MONSANTO zu übernehmen, ab. Einhellig befürchten die Befragten negative Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, die Situation der LandwirtInnen, die Nahrungsmittel-Qualität und die Umwelt.

Kritik an Mega-Deals

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Auch der diesjährige Evangelische Kirchentag, der vom 24. bis zum 28 Mai in Berlin und Wittenberg stattfand, beschäftigte sich mit der von BAYER geplanten Übernahme des US-Unternehmens MONSANTO und anderen Mega-Deals in der Agro-Branche. Die AGRAR KOORDINATION sammelte dort, unterstützt von AktivistInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, eifrig Unterschriften für eine Resolution gegen die ganzen Transaktionen. Und wirklich kamen auch genug UnterzeichnerInnen zusammen, so dass es vom Kirchentag aus heißen konnte: „Wir rufen die Europäische Kommission und das Kartellamt auf, die aufgeführten Zusammenschlüsse, auch unter hohen Auflagen, NICHT ZU GENEHMIGEN! Die Bundesregierung rufen wir auf, die Regeln für den Wettbewerb auch in Deutschland zu verbessern und solche Markt-Konzentrationen nicht zu erlauben.“

BAYER verkauft LIBERTY
Von vornherein hatte BAYER damit gerechnet, sich im Zuge der geplanten MONSANTO-Übernahme von Unternehmensteilen trennen zu müssen, um von den Kartell-Behörden die Genehmigung für den Deal zu erhalten. Kalkulierte der Leverkusener Multi als Opfergabe zunächst ein Sortiment in einem Umfang von bis zu 1,6 Milliarden Dollar Umsatz ein, so erhöhte er den Betrag später noch einmal auf 2,5 Milliarden. Im Frühjahr 2017 benannte er dann erstmals einzelne Produkte. So stellte die Aktien-Gesellschaft ihre Gentech-Pflanzen der LIBERTY-Produktreihe mitsamt dem auf sie abgestimmten Herbizid Glufosinat zur Disposition. Auch Raps-und Baumwoll-Saatgut steht zum Verkauf. Aber all das ändert nichts daran, dass der Global Player durch die Zusammenlegung der Geschäfte mit dem US-Konzern eine markt-beherrschende Position im Agrar-Sektor erlangen würde.

Schlechte Agro-Geschäfte
Auf dem Townhall-Meeting in der Kölner Universität, das am 27. April im Rahmen der Hauptversammlungsaktionen gegen den Plan des Leverkusener Multis, MONSANTO zu übernehmen, stattfand, wertete der australische Öko-Bauer und Präsident von IFOAM ORGANICS INTERNATIONAL, Andre Leu, die vielen Übernahmen und Fusionen im Agrar-Bereich als Zeichen der Schwäche von BAYER & Co. Und tatsächlich hat die Branche bereits seit Jahren mit schlechten Zahlen zu kämpfen. So musste BAYER-Chef Werner Baumann in seiner Hauptversammlungsrede festhalten: „Für unsere Division Crop Science blieb das Markt-Umfeld im vergangenen Jahr weiterhin schwach, vor allem in Lateinamerika.“ Sowohl die Umsätze als auch die Gewinne gingen nominell von 10,1 auf 9,9 Milliarden Euro bzw. 2,6 auf rund 2,3 Milliarden Euro zurück und konnten nur dank positiver Währungseinflüsse marginal zulegen. Unter anderem wegen solcher Bilanzen hoffen die Konzerne auf profit-steigernde Synergie-Effekte durch Akquisitionen.

Von MONSANTO lernen
BAYER-Chef Werner Baumann hat an der Unternehmenspolitik von MONSANTO nichts auszusetzen. Für die Praxis des US-Konzerns, LandwirtInnen Lizenz-Verträge für Saatgut aufzuzwingen, findet er nur Worte des Lobes. „MONSANTO hat ein völlig neues Geschäftsmodell etabliert und marktfähig gemacht“, konstatiert der Vorstandsvorsitzende. Er findet auch nichts dabei, die Gerichte zu bemühen, falls die Bauern und Bäuerinnen das Saatgut im nächsten Jahr wieder aussäen, ohne zu zahlen. „Wenn man ein solches Verhalten als Unternehmen toleriert, entzieht man dem Geschäftsmodell die Basis. MONSANTO hat nur seine Rechtsposition verteidigt“, meint der Große Vorsitzende. Und gegen Glyphosat hat Baumann ebenfalls nichts. Auch der Leiter von BAYERs Pharma-Sparte, Dieter Weinand, hält große Stücke auf die Firma aus St. Louis und drohte an, deren Expertise für Neuentwicklungen im Pharma-Bereich zu nutzen. „Unsere Wissenschaftler können da etwas von MONSANTO lernen“, sagte Weinand. Und das Knowhow des Agro-Riesen auf dem Sektor des „Digital Farming“ will er ebenfalls auf Drugs & Pills übertragen.

BAYERs MONSANTO-PR
BAYERs Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, die rund 400 Beschäftigte zählt, hat sich schon Monate vor der Bekanntgabe des Konzern-Vorhabens, MONSANTO schlucken zu wollen, auf den Coup vorbereitet und eine Medien-Strategie ausgearbeitet. Die Text-Bausteine, die seither immer wieder aus dem Munde des Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann quellen – die Übernahme trage zur Sicherheit der globalen Lebensmittel-Versorgung bei; BAYER wisse um das schlechte Image des US-Unternehmens; der Konzern wolle niemandem die Gentechnik aufzwingen; die Akquisition bedrohe den Wettbewerb nicht; es gehe bei dem Deal nicht um Kosten-Senkung, sondern um Wachstum – hatten die ÖffentlichkeitsarbeiterInnen bereits lange bevor die Kauf-Pläne im Mai 2016 publik wurden, fertiggestellt. „Die minutiöse Vorbereitung erwies sich als großer Vorteil, denn nachdem die Übernahme-Gespräche bestätigt waren, ließ sich die PR-Maschine schnell anwerfen“, lobt das Fachblatt prmagazin.

BAYER interveniert beim WDR
Immer wieder setzt der Leverkusener Multi Presse, Funk und Fernsehen unter Druck, weil er sich falsch dargestellt wähnt. Aktuell passte dem Konzern die journalistische Arbeit des WDR in Sachen „BAYER-Hauptversammlung“ nicht. „Viele Medien berichteten ausgewogen über die Proteste, der WDR allerdings veröffentlichte einen Film-Beitrag, der ohne jede Einordnung nur die Position der Demonstranten wiedergab“, klagt der Global Player in seiner Haus-Postille direkt. Darum intervenierte er umgehend bei der Pressestelle des Senders.

RECHT & UNBILLIG

Klage wg. SIVANTO
BAYER hat als Alternative zu den wegen ihrer Bienengefährlichkeit von der EU mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegten Pestiziden GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) das Produkt SIVANTO entwickelt. Dessen Inhaltsstoff Flupyradifuron gehört zwar nicht wie Imidacloprid und Clothianidin zur Gruppe der Neonicotinoide, er ähnelt diesen Substanzen jedoch in seiner Funktionsweise. Wie diese Chemikalien wirkt Flupyradifuron systemisch, also gegen eine Vielzahl von Schadinsekten. Und wie diese Neonicotinoide blockiert das zu den Butenoliden zählende Mittel bei den Tieren die Reiz-Weiterleitung an den Nervenbahnen. Deshalb bestehen massive Zweifel daran, ob SIVANTO wirklich so „bienenfreundlich“ ist, wie der Leverkusener Multi behauptet. Trotzdem erhielt er für das Produkt in den USA bereits eine Genehmigung. Nach Informationen des Münchner Umweltinstituts hat der Agro-Riese auch in der Bundesrepublik einen Antrag eingereicht. Genauere Informationen dazu rückt das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ aber nicht raus. Darum hat das Umweltinstitut die Behörde jetzt verklagt.

BAYER-JHV-Gegenreden

CBG Redaktion

Aktion & Kritik

Schuldig in 26 Fällen

Das BAYER-Tribunal

Rekord eingestellt: Wie schon im vergangenen Jahr boten auch 2017 wieder 26 Gegen-RednerInnen dem BAYER-Management Paroli und dominierten so die Hauptversammlung. Und nicht nur gegen die geplante MONSANTO-Übernahme trugen sie gewichtige Argumente vor. Von gefährlichen Infrastruktur-Projekten wie der Kohlenmonoxid-Pipeline und den Risiken und Nebenwirkungen von Pestiziden über die Geschäftspolitik des Konzerns in Ländern der sogenannten Dritten Welt bis hin zu gesundheitsschädlichen Chemikalien und Medikamenten reichte ihr Themen-Spektrum.

Von Jan Pehrke

In früheren Zeiten zelebrierten die BAYER-Hauptversammlungen geschlossen das Hochamt für den Profit. Ab 1983 änderte sich dies allerdings. Von da an brachte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ketzerische Töne in die AktionärInnen-Treffen ein. Und seit geraumer Zeit fallen mehr und mehr vom Glauben ab und entweihen so die heiligen Hallen weiter: Die Zahl der vor die Mikrofone tretenden Konzern-KritikerInnen übersteigt diejenige der Konzern-LaudatorInnen verlässlich um ein Vielfaches. Wovon aber die CBG nach der letzten HV selbst kaum zu träumen wagte, wiederholte sich 2017: Wieder meldeten sich 26 Gegen-RednerInnen zu Wort.
Viele von ihnen widmeten sich der von BAYER geplanten Übernahme von MONSANTO. Aber auch andere Risiken und Nebenwirkungen des agro-industriellen Komplexes standen auf der Tagesordnung wie z. B. die Gefahren, die von Pestiziden ausgehen. Die Brasilianerin Verena Glass, die für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo arbeitet und sich in einer Initiative gegen Agro-Chemikalien engagiert, berichtete vom verheerenden Ausmaß des Gift-Einsatzes in ihrem Land. Nirgendwo auf der Welt bringen die LandwirtInnen so viele Pestizide aus wie in Brasilien. In einigen Regierungsbezirken sind es rund 400 Liter pro EinwohnerIn. Mit entsprechenden Folgen: In den Teilen des Staates mit einer intensiv betriebenen Landwirtschaft übertreffen die Krebsraten diejenigen der Gebiete ohne endlose Mais- und Soja-Felder um ein Vielfaches.

Doppelte Standards

Einen nicht geringen Anteil an den vielen Krankheitsfällen haben ganz bestimmte Ackergifte. Vielfach handelt es sich dabei nämlich um solche, die wegen ihrer Gefährlichkeit in der Europäischen Union gar nicht mehr zugelassen sind oder es nie waren, wie Carbendazim, Cyclanilide, Disulfoton, Ethiprole, Ethoxysulfuron, Ioxynil, Thiadiazuron oder Thiodicarb. Christian Russau vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE brachte dies der Hauptversammlung zu Gehör. Als Beispiel nannte er den Wirkstoff Thiodicarb: Während die EU die Substanz gar nicht erst zuließ und die USA sie aus dem Verkehr zogen, vertreibt der Leverkusener Multi Thiodicarb in Brasilien ohne Rücksicht auf Verluste unter dem Namen LARVIN. Ein klarer Fall von doppelten Standards also, was BAYER jedoch abstreitet. Von Russau schon vor der HV um eine Stellungnahme zum Sachverhalt gebeten, fand der Konzern eine originelle Erklärung für „die feinen Unterschiede“, die er beim Verkauf seiner Produkte macht. Der Agro-Riese begründete sie mit den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort, „was die lokal angebauten Kulturen, Böden, Vegetationszonen, Anbau- und Klimabedingungen sowie das Auftreten von Schadinsekten, Unkräutern und Pflanzen-Krankheiten angeht“. Da Kaffee, Reis und Zuckerrohr in Europa kaum heimisch wären, wären es die dafür benötigten Agro-Chemikalien auch nicht, weshalb der Global Player für sie in Brüssel – „auch aus wirtschaftlichen Gründen“ – keine Zulassung beantragt habe. „Tja, so kann man das auch formulieren. Wenn man will. Statt ‚verboten’ sagen Sie einfach, BAYER habe für diese Mittel keine Zulassung in europäischen Ländern beantragt“, resümierte Russau.
Auch in Indien befleißigt sich die Aktien-Gesellschaft doppelter Standards, wie Sarah Schneider von MISEREOR mit Verweis auf Vorort-Recherchen des EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR) monierte. So vermarktet der Leverkusener Multi das Ackergift NATIVO (Wirkstoffe: Trifloxystrobin und Tebuconazole) dort ohne den Warnhinweis an Schwangere, dass es werdendes Leben schädigen kann, während sich ein entsprechender Vermerk in Europa auf jeder Packung findet. Weil BAYER damit gegen internationale Handelsrichtlinien und das bundesdeutsche Pflanzenschutz-Gesetz verstößt, hatte das ECCHR bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen – allerdings erfolglos – eine Klage eingereicht. Und auch die indischen Behörden ermitteln in der Sache, teilte Schneider mit.
Zudem vernachlässigt es der Konzern dem ECCHR zufolge, die LandwirtInnen im Umgang mit den Mitteln zu schulen und sie über Sicherheitsvorkehrungen wie etwa das Tragen von Schutzkleidung zu informieren. Darum reiste im April 2017 eine Gruppe von FAO-ExpertInnen nach Neu Delhi und konfrontierte BAYER mit unangenehmen Fragen. „Gibt es bereits Empfehlungen vom Gremium?“ und „Wurden bereits Maßnahmen getroffen, um die möglichen Verletzungen des internationalen Kodex und der indischen Gesetzgebung zu beheben und in Zukunft zu vermeiden?“, wollte Schneider deshalb von Werner Baumann wissen.
Der Vorstandsvorsitzende beließ es allerdings bei vagen Auskünften. Es „wurde die Intensivierung von Schutzmaßnahmen diskutiert“ beispielsweise durch „die Zurverfügungstellung persönlicher Schutzkleidung“, teilte er mit und darüber gesprochen, „wie Kleinbauern in Indien noch besser in der effizienten und sicheren Anwendung von Pflanzenschutzmitteln trainiert werden können.“ Den LandwirtInnen wichtige Informationen über die Risiken und Nebenwirkungen von NATIVO vorenthalten zu haben, stritt er Schneider gegenüber schlicht ab: „In Bezug auf unsere Produkte folgen wir dem internationalen Verhaltenskodex der Welternährungsorganisation FAO.“
Eine besonders gefährliche Eigenschaft von Pestiziden wie NATIVO besteht darin, hormon-ähnlich zu wirken. Sie sind deshalb imstande, den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderzuwirbeln und Krebs, Diabetes, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit sowie andere Gesundheitsstörungen auszulösen. Wie diese sogenannten endokrinen Disruptoren das genau machen, legte der Kinderarzt Gottfried Arnold dar. „Stellen Sie sich einen werdenden Jungen in einem Schwangerschaftsalter von ca. acht Wochen vor: Er ist wenige Gramm schwer und ca. drei Zentimeter lang. Jetzt schon beginnen seine eigenen winzigen Hoden die Menge von männlichem Geschlechtshormon zu bilden (...) Bringen die östrogen-artig wirkenden Fremdhormone in dieser frühen Phase dieses System aus dem Gleichgewicht, kann es einerseits zu Fehlbildungen der Geschlechtsorgane wie z. B. Hodenhochstand oder Fehlmündung der Harnröhre kommen. Andererseits kann sich statt eines männlichen ein weibliches Gehirn entwickeln mit der Folge der Störung der sexuellen Identität.“
Auf einer von der EU erstellten und nicht einmal vollständigen Liste mit Pestiziden, welche diese hormonellen Effekte haben, befinden sich elf von BAYER, rechnete Susanne Smolka vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) der Vorstandsregie vor: „Das sind 34 Prozent!“ Und damit nicht genug, stellt der Konzern auch noch andere Produkte wie etwa die Industrie-Chemikalie Bisphenol A her, die unter die Kategorie „Pseudo-Hormone“ fallen. Bereits seit 2009 schickt sich die Europäische Union an, für diese Stoffe strengere Regelungen zu treffen bzw. sie ganz aus dem Verkehr zu ziehen, aber da ist der Leverkusener Multi vor, wie die PAN-Mitarbeiterin berichtete. „Wir wissen, dass sich die BAYER AG aktiv dafür eingesetzt hat, dass die Umsetzung dieser demokratisch vereinbarten Regelungen über Jahre von der EU-Kommission verschleppt wurden“, so Smolka.
Das stellte BAYER-Chef Baumann jedoch in Abrede: „Unternehmen und Verbände haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass eine Regulierung sogenannter endokriner Disruptoren selbstverständlich notwendig ist.“ Lediglich über den Weg dahin, „zu praktikablen Regulierungskriterien zu gelangen, die es erlauben, die wirklich relevanten Substanzen auch sicher zu identifizieren“, bestände nicht immer Einigkeit zwischen Industrie, Politik und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen, behauptete er.

Bienensterben

Großen Raum nahm auf der Hauptversammlung wieder ein weiterer bitterer Effekt vieler Pestizide ein: Ihre bienenschädliche Wirkung. Gleich vier ImkerInnen hatten den Weg nach Bonn gefunden, um die verhängnisvollen Folgen der BAYER-Produkte PONCHO (Wirkstoff: Clothianidin) und GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) zu beschreiben. Diese Ackergifte aus der Gruppe der Neonicotinoide können nämlich eine ganze Kettenreaktion in Gang setzen. Heike Holzum führte dies den AktionärInnen vor Augen. Die Bienenzüchterin machte ihnen deutlich, wie immens wichtig die Bienen für die Bestäubung der Nutzpflanzen und somit für die Ernten sind. Mit ihnen steht also auch die Zukunft der Nahrungsmittel-Versorgung auf dem Spiel. Die EU hat PONCHO & Co. nicht zuletzt deshalb mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt. Dagegen klagt der Leverkusener Multi allerdings, hält er doch seine Mittel für unschuldig am Bienensterben. Zum Beweis verweist der Konzern dabei unter anderem auf eine neue Studie mit dem Saatgutbehandlungsmittel PONCHO. An deren Seriösität meldete Holzum allerdings massive Zweifel an. Auch ihre Kollegin Annette Seehaus-Arnold, die Vorsitzende des ImkerInnen-Kreisverbandes Rhön-Grabfeld, kritisierte die Untersuchung, die in Mecklenburg-Vorpommern stattfand. Ihrer Ansicht nach produziert bereits das Studien-Design entlastende Resultate. So waren etwa auch die Bienen aus der Kontrollgruppe Ackergiften ausgesetzt, was einen seriösen Vergleich massiv erschwert. Trotz dieser günstigen Bedingungen konnten die ForscherInnen die Pestizid-Effekte allerdings nicht ganz negieren. So maßen sie einen Clothianidin-Rückstand im Nektar von 3,5 Mikrogramm/kg. Das alles hielt den BAYER-Manager Dr. Richard Schmuck jedoch nicht davon ab, Entwarnung zu geben: „Die Ergebnisse zeigen, dass die früher behördlich zugelassene Behandlung von Raps-Saatgut mit Clothianidin Honigbienenvölkern und den getesteten Wildbienen-Arten keinen Schaden zufügt.“ Schleierhaft blieb Seehaus-Arnold eine solche Schlussfolgerung.
Markus Bärmann versuchte indessen, BAYER schon aus einem Eigeninteresse heraus zu einer Umkehr in Sachen „Neonicotinoide“ zu bewegen. Bienenwachs ist nämlich ein wichtiger Grundstoff für die pharmazeutische Industrie, und eine Verunreinigung kann doch eigentlich nicht im Interesse des Produzenten liegen, meinte der Imker. Christoph Koch vom „Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund“ legte derweil den Zusammenhang zwischen der durch eine Milbe übertragenen Bienenkrankheit Varroatose, welche der Konzern immer für die Dezimierung der Bestände verantwortlich macht, und der Ausbringung von PONCHO & Co. dar. Durch deren Einwirkung sinkt nämlich die Brutnest-Temperatur, was die Vermehrung des Parasiten beflügelt. „Seit die Neonics verwendet werden, gehen unsere Bienen an der Varroa kaputt“, hielt er fest.
Aber der Imker, der schon zum neunten Mal bei einer BAYER-Hauptversammlung sprach, erweiterte diesmal die Perspektive. Koch kritisierte nicht nur das ganze Konzept der durchindustrialisierten Landwirtschaft, wobei er überraschenderweise sogar Unterstützung von Seiten der „Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft“ in Anspruch nehmen konnte, sondern griff auch das dahinterstehende Prinzip an: „Meine Damen und Herren Aktionäre, bei meinen Reden ging es immer nur um die Bienen. Das, was BAYER mit uns Menschen macht, weil es bei den Aktien immer nur ums Geld geht, sogar um sehr viel Geld, das ist das wirklich Schreckliche! Die Honigbienen sind nur der Anfang.“
Werner Baumann jedoch leugnete bereits den reinen Tatbestand des Bienensterbens. Er hatte stattdessen sogar eine wundersame Vermehrung der Bestände um 60 Prozent ausgemacht. Und auf die Pestizide aus seinem Hause ließ er auch nichts kommen: „Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass Neonicotinoide keine Gefahr für die Bienengesundheit darstellen, wenn sie ordnungsgemäß angewendet werden.“

CO & Co.

Aber nicht nur mit Pestiziden bedroht BAYER Mensch, Tier und Umwelt, und nicht nur bei den Agro-Chemikalien leugnet der Konzern diesen Tatbestand. Gottfried Arnold, der in seiner Rede neben dem Gefahren-Potenzial von Ackergiften unter anderem auch dasjenige der Kohlenmonoxid-Leitung des Unternehmens thematisierte, musste diese Erfahrung machen. Nachdrücklich warnte der Kinderarzt vor der Inbetriebnahme des zwischen den Standorten Dormagen und Krefeld verlaufenden Röhrensystems. „Wissen die Aktionäre, welches Hochrisiko-Projekt Sie betreiben mit einer Giftgas-Pipeline, die eine so schlechte Leck-Erkennung hat, dass Hunderte oder Tausende verletzt oder getötet sein könnten, bevor der erste Alarm in der BAYER-Sicherheitszentrale ausgelöst werden kann?“, fragte er.
Dieter Donner, der Presse-Koordinator der Stopp-BAYER-CO-Pipeline-Initiativen, appellierte ebenfalls eindringlich an den Vorstand, von dem Projekt abzulassen: „Bei dem Giftgas CO, das schon mit der Menge eines Weinglases – das sind 100 Milliliter – eingeatmet einen erwachsenen Menschen ohnmächtig und bewegungsunfähig macht und letztlich tötet, sind Transporte unverantwortlich.“ Donner plädierte deshalb dafür, den „ehernen Grundsatz der Chemie“ zu befolgen und die Substanz vor Ort zu produzieren. Auch nach der Weigerung des Bundesverfassungsgerichts, die Verfassungsgemäßheit des Gesetzes, das den Weg für die Pipeline freimachte, zu überprüfen, sieht er keine Zukunft für das Vorhaben. Seiner Meinung nach wird die Entscheidung der Karlsruher RichterInnen, den Fall wieder dem Oberverwaltungsgericht Münster zu übergeben, das Verfahren noch weiter verzögern. Zudem hat Donner zufolge „noch immer das Urteil aus dem Jahr 2011, in dem das Projekt als rechtswidrig (...) beurteilt wurde“, Bestand. Mit Verweis auf den damals von den RichterInnen nicht akzeptierten Antrag, die zahlreichen die Sicherheit zusätzlich gefährdenden Abweichungen vom genehmigten Plan, die sich im Zuge der Arbeiten ergaben, nachträglich abzusegnen, bezeichnete er die Kohlenmonoxid-Leitung als „Schwarzbau“.
Der BAYER-Chef tat jedoch so, als ob er mit alldem nichts mehr zu tun habe. Weil der Leverkusener Multi im Begriff ist, sich von seiner Kunststoff-Sparte zu trennen, gliederte er die Fragen nach der Sicherheit der Kohlenmonoxid-Leitung gleich mit aus. Obwohl der Konzern aktuell noch 44,8 Prozent der Anteile an dem Geschäft mit Plaste & Elaste hält, betonte Werner Baumann, „dass die CO-Pipeline ein Projekt des rechtlich unabhängigen Unternehmens COVESTRO ist, so dass wir uns dazu nicht im Detail äußern können“. Ganz entrückt erschien ihm das Röhren-Werk schon. Auskünfte dazu musste er angeblich bei der BAYER-Tochter einholen. Was er dort zur Gefährlichkeit des Vorhabens vernahm, beruhigte ihn aber völlig. „Insofern sehen wir das von ihnen angedeutete Risiko nicht“, beschied der Ober-BAYER Gottfried Arnold scheinheilig.
Ein anderes umstrittenes Infrastruktur-Projekt setzte Michael Aggelidis von der Partei „Die Linke“ auf die Agenda der Hauptversammlung. Der Bonner Rechtsanwalt sprach über den Plan, die Autobahn A1 in Leverkusen auf bis zu 12 Spuren zu erweitern und eine neue Rheinbrücke zu errichten, was es nötig macht, BAYERs erst zur Landesgartenschau 2005 einigermaßen abgedichtetes Giftgrab „Dhünnaue“ wieder zu öffnen. Als hochgefährlich empfand es der Jurist, die Totenruhe von Quecksilber, Arsen, Chrom, Blei & Co. zu stören – und unnötig noch dazu. Es gibt ihm zufolge nämlich die Alternative, den Verkehr statt über eine Mega-Brücke unterirdisch durch einen Tunnel zu führen und so die Deponie unangetastet zu lassen.
Vom BAYER-Chef erbat Aggelidis die Information, wie er die Altlasten denn zu entsorgen gedenke und wer im Falle des Falles die Haftung für Kontaminationen übernimmt. Der Angesprochene fühlte sich aber wieder mal nicht zuständig. „Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Landesbetrieb Straßenbau NRW, ist hier Bauherr. Daher müssen Fragen zu eventuellen Haftungen dorthin und nicht an BAYER gerichtet werden. Auch zu Fragen der Abfall-Entsorgung sowie Teil-Abtragung von Abfällen sind die zuständigen Behörden in diesem Fall die richtigen Ansprechpartner.“ Ansonsten versicherte Werner Baumann, Straßen.NRW bei den Neubau-Planungen nach Kräften zu unterstützen. In der Diskussion um „Tunnel oder Stelze“ schien er sich zunächst nicht positionieren zu wollen. „Entgegen Ihrer Annahme haben wir selber keine favorisierte Variante“, teilte er dem kritischen Aktionär mit, um dann jedoch zu einem „aber“ anzuheben: „Aber wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit des Gefahrgut-Transportes gewährleistet sein muss“. Und das sieht der Global Player eben bei einem Tunnel nicht gewährleistet. Obwohl ein Gutachten für ein solches Unterfangen unlängst praktikable Vorschläge machte, mochte das Unternehmen die Ergebnisse nicht akzeptieren. „Für uns ist wichtig, dass der Gefahrgut-Verkehr über eine Autobahn-Trasse möglich ist“, erklärte ein Sprecher von BAYERs Tochter-Firma CURRENTA im März 2017.

Bittere Pillen
Gewohnt umfangreich fiel bei der Hauptversammlung auch wieder die Schadensbilanz von BAYERs Pharma-Sparte aus. Den ersten Eintrag nahm der Internist Dr. Jan Salzmann aus Aachen vor. Er widmete sich in seiner Rede dem Gerinnungshemmer XARELTO und schilderte die Probleme, die dieses Medikament in der Praxis bereitet. Weil Blutungen zu den häufigsten Nebenwirkungen der Arznei gehören und es dafür kein Gegenmittel gibt, zögern die Krankenhäuser Operationen von XARELTO-PatientInnen oftmals aus Angst vor Komplikationen hinaus, obwohl die Eingriffe eigentlich dringlich wären, informierte der Mediziner. Schon an den Zulassungsstudien erhob er Zweifel, hatte der Leverkusener Multi die ProbandInnen doch handverlesen und nur Personen unter 70 Jahre mit gesunden Nieren ausgesucht, um positivere Resultate zu erreichen. „Post-faktisch“ nannte Salzmann daher, was der Global Player gerne unter „Science for a better Life“ subsummiert. Und der Mediziner wusste auch, warum der Konzern zu solchen lebensgefährlichen Tricks greift: aus reiner Profit-Gier.
Es war dann eine Betroffene selbst, die die Schadensbilanz fortschrieb. Dr. Beate Kirk schilderte ihre Erfahrungen mit dem levonorgestrel-haltigen Verhütungsmittel MIRENA. „Mein Fazit: Für meine Psyche war die Verwendung der Hormonspirale eine Katastrophe. Wie viele andere Frauen litt ich unter der Hormonspirale an heftigen Depressionen, weder Antidepressiva noch Gesprächstherapie halfen. Erst nach dem Entfernen der Hormonspirale ging es ständig aufwärts“, so Kirk. Den verkaufsfördernden Verweis auf die lediglich lokale Wirkung der MIRENA muss BAYER mittlerweile in Anführungszeichen setzen, merkte die Apothekerin an. Auch räumt der Konzern ihr zufolge inzwischen selber ein, dass sich das Levonorgestrel im Blutkreislauf nachweisen lässt. Allerdings ist diese Kunde noch längst nicht bis zu allen FrauenärztInnen vorgedrungen, und Beate Kirk ahnte auch schon, weshalb: „Ich persönlich frage mich, welche Informationen die Pharma-Referenten des Arzneimittel-Herstellers den Mitarbeitern der gynäkologischen Praxen vermitteln.“
Natürliche nur „sachliche, wissenschaftliche Informationen“, vermeldete Werner Baumann. Ansonsten ging er bei der Konfrontation mit einer Pharma-Geschädigten wieder nach dem alten Muster vor. Er drückte ob der erschütternden Krankengeschichte sein Mitgefühl aus, blieb in der Sache aber hart. „Wir bedauern es sehr, dass Sie persönlich eine Beeinträchtigung ihrer Gesundheit erlitten haben, die Sie in Zusammenhang mit der Verwendung unseres Produktes bringen. Das Nutzen/Risiko-Profil von MIRENA ist allerdings positiv“, so der Ober-BAYER. Nur leider musste der Manager einräumen, dass die Aufsichtsbehörden sich dieses Profil derzeit genauer anschauen – und zwar gerade im Hinblick auf die von Beate Kirk so leidvoll erfahrene Nebenwirkung „Depression“.
Thomas Gabel buchte dann den nächsten Posten in die Schadensbilanz ein. Er sprach für die Betroffenen des AIDS-Skandals der 1980er Jahre. Damals hatten BAYER & Co. Blutprodukte auf den Markt gebracht und sich aus Profit-Gründen gespart, die Präparate Virus-Inaktivierungsverfahren zu unterziehen. In der Folge infizierten sich Gabel und Zehntausende Bluter sowie andere auf Blutkonserven angewiesene PatientInnen mit AIDS und/oder Hepatitis-C. „Wie wurden in der BAYER AG die Verantwortlichen für die HIV-Infektionen zur Rechenschaft gezogen?“, wollte der Bluter deshalb vom Vorstand wissen. Er zählt zu den nur noch 550 Überlebenden in der Bundesrepublik. Oftmals können sie nicht mehr voll oder gar nicht mehr arbeiten und sind deshalb auf das – magere – Zubrot der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ angewiesen. An der Gründung dieser Einrichtung im Jahr 1995 hatten sich BAYER und andere Unternehmen beteiligt. Aber die Kranken lebten länger, als die Konzerne einkalkuliert hatten, und so versuchten sie in der Folge permanent, ihren Anteil am Etat zu drücken. Auch in diesem Frühjahr liefen wieder Verhandlungen mit der Bundesregierung, die sich schwierig gestalteten. Darum fragte Gabel: „Warum gibt es von Seiten der BAYER AG noch immer keine konkrete Zusage für Zustiftungen in den nächsten Jahren?“
„Wir sind mit dem Gesundheitsministerium in konstruktiven Gesprächen über die weitere Beteiligung der Pharma-Industrie an der Sicherung der Zukunft der Stiftung“, antwortete ihm Werner Baumann – wider besseren Wissens. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich der Ausstieg der Konzerne aus dem Hilfsfonds längst beschlossene Sache. Ohnehin sah er in dem Mitwirken an dem Unterstützungswerk nur einen Akt der Barmherzigkeit, aber längst kein Schuldeingeständnis: „BAYER bestreitet (...) ein Fehlverhalten bei der Herstellung und Vermarktung dieser Produkte.“
Dies sollte Baumann auch bei dem Präparat tun, welches das Pharma-Kapitel im „Schwarzbuch BAYER“ schloss: DUOGYNON. Dieser hormonelle Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Missbildungen zur Welt. Gleich zwei Frauen berichteten in Bonn von diesem schweren Einschnitt in ihrem Leben. Valerie Williams war dazu extra aus England angereist. Sie hat nie wie andere Mütter mit Freude erleben dürfen, „wie die Kinder älter werden, wie sie Freundschaften schließen und Erfahrungen machten“, erzählte sie und nannte den Umgang mit dem Medikament „vorsätzlichen Kindesmord“. Margret-Rose Pyta war Zeugin eines solchen: Ihre beiden Kinder starben in jungen Jahren. „Zwei Kinder, die hätten leben können. Sie wurden ums Leben gebracht, weil mir mein Frauenarzt DUOGYNON gegeben hat“, klagte sie an und wendete sich an den Vorstandsvorsitzenden: „Ich möchte, dass Sie Verantwortung übernehmen!“ Das mochte der Angesprochene jedoch nicht: „Wir schließen DUOGYNON als Ursache für embryonale Missbildungen aus“, hatte Baumann schon in seiner Reaktion auf die Rede Gottfried Arnolds klargestellt.
Eigentlich sollte sich der BAYER-Chef an diesem Tag noch mehr über den Schwangerschaftstest anhören müssen. Auf der RednerInnen-Liste stand nämlich ursprünglich der Name von Petra Marek. Da die Ratzeburgerin auf einen Rollstuhl angewiesen ist und eine so lange Veranstaltung nur unter großen Anstrengungen durchsteht, hat die Coordination im Vorfeld Kontakt mit den BAYER-Verantwortlichen aufgenommen und von ihnen auch die Zusicherung erhalten, die Medikamenten-Geschädigte frühzeitig ans RednerInnen-Pult zu rufen. Dies ist jedoch nicht geschehen, und irgendwann am späten Nachmittag zwangen ihre angeschwollenen Beine Petra Marek, unverrichteter Dinge wieder die Heimreise anzutreten. Offenbar wollte der Konzern sich und seinen AktionärInnen den Anblick eines Menschen ersparen, den DUOGYNON in den Rollstuhl brachte. In der Absicht, einen versöhnlichen Abschluss der Hauptversammlung zu inszenieren, ließ BAYER lieber Joachim Kregel von der „Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger“ den Endpunkt setzen. Dieser aber konnte die 26 kritischen AktionärInnen, die vor ihm geredet und die Folgen der unerbittlichen Profit-Gier so eindringlich beschrieben hatten, nicht so einfach vergessen machen.

HIV-Stiftung

CBG Redaktion

Drugs & Pills

Der Skandal nach dem Skandal

HIV-Stiftung ohne BAYER

In den 1980er Jahren haben Blut-Produkte von BAYER & Co. Zehntausende Bluter und andere PatientInnen mit AIDS und/oder Hepatitis C infiziert, weil die Konzerne aus Profit-Gründen unter anderem die Einführung von Virus-Inaktivierungsverfahren hinausgezögert haben. Und damit nicht genug, entziehen sich die Unternehmen jetzt ihrer Verantwortung für die noch Lebenden: Sie tragen die Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ nicht länger mit.

Von Jan Pehrke

Der 1. Juni 2017 war ein langer Tag für die BundestagsabgeordnetInnen. Bis weit nach Mitternacht sollte die 237. Sitzung des Bundestags dauern. Unzählige Gesetze, Beschluss-Empfehlungen und Berichte waren zu beraten. Fast ganz am Schluss stand auch das Gesetz „zur Fortschreibung der Vorschriften für Blut- und Gewebe-Zubereitungen und zur Änderung anderer Vorschriften“ auf der Tagesordnung. Darin wiederum fand sich der Änderungsantrag 14 zum HIV-Hilfegesetz, der lautete: „Die Nummern 1 bis 4 werden gestrichen. Eingefügt wird der Satz ‚Die Mittel für die finanzielle Hilfe werden vom Bund aufgebracht.’“ Zur Begründung hieß es: „Da es zunehmend schwieriger wird, weitere Finanzierungszusagen von den pharmazeutischen Unternehmen und dem DRK zu erhalten (...), soll der Bund die Finanzierung zukünftig sicherstellen.“
Die SteuerzahlerInnen bringen also zukünftig die Mittel für die Überlebenden des Blut-Skandals auf, für diejenigen Bluter und andere PatientInnen, die BAYER, BEHRING & Co. durch ihre Blutprodukte ohne Not mit AIDS und/oder Hepatitis C infizierten. Zu dieser späten Stunde haben davon kaum noch AbgeordnetInnen und JournalistInnen Notiz genommen. Dementsprechend berichteten die Medien nur äußerst spärlich. Und auch die die Presseerklärung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, die das Ausscheiden von BAYER & Co. aus der Stiftung einen „Skandal nach dem Skandal“ genannt hatte, stieß auf keine große Resonanz.
Der „Skandal vor dem Skandal“ begann in den frühen 1980er Jahren. Trotz der AIDS-Gefahr brachten die BAYER-Tochter CUTTER, BEHRING und eine handvoll anderer Unternehmen, die das globale Blutprodukte-Oligopol bildeten, ihre Faktor-VIII- und Faktor-IX-Präparate aus Profit-Gründen ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen auf den Markt. CUTTER ging dabei im Dezember 1982 sogar über die Empfehlung von jemandem hinweg, der es wissen musste. Der frühere Firmen-Besitzer Ed Cutter, zu der Zeit noch als Berater für den Blutprodukte-Hersteller tätig, legte dem Vorstand dringend nahe, die ÄrztInnen über die Gesundheitsgefährdung durch HIV zu informieren. „Es scheint mir ratsam, in unsere Literatur zu Faktor IX und Faktor VIII einen Warnhinweis zu AIDS aufzunehmen“, schrieb er. Es geschah jedoch nichts, und wenig später war es dann so weit. Im Januar 1983 erfuhr der Konzern vom ersten AIDS-Fall unter seinen SpenderInnen. Aber selbst das veranlasste ihn nicht zu einem Umdenken. Er ließ für sein Blutgerinnungspräparat KOATE – entgegen anderslautenden Bekundungen gegenüber den Aufsichtsbehörden – nach wie vor Angehörige von Risiko-Gruppen zur Ader. Auch vermischte CUTTER weiterhin das Blut von bis zu 400.000 SpenderInnen miteinander, obwohl schon eine einzige kontaminierte Spende ausreichte, um den Erreger in der ganzen Charge zu verbreiten. Darum plädierten ExpertInnen seinerzeit dafür, den Pool zu verkleinern. Dem verweigerte sich das Unternehmen jedoch; „ökonomisch entmutigend“ lautete der Akten-Vermerk zu dem Vorschlag schlicht.
Trotz eines eigenen worst case scenarios, das eine „gigantische Epidemie“ mit 2.000 AIDS-infizierten Blutern allein in den USA für möglich hielt, betrieb die Firma weiter „Business as usual“. Mit allen Mitteln sträubte CUTTER sich dagegen, eine Erfindung von BEHRING zu übernehmen und die Viren per Hitze-Behandlung zu deaktivieren. Und zwar nicht nur, weil das Lizenz-Gebühren gekostet hätte. „Die bestehende Technik wurde nicht eingesetzt, da sich bei dem Verfahren die Menge des Plasmas auf ein Viertel reduziert hätte. Dementsprechend wären auch die Profite der Firma BAYER geschrumpft“, hielt der inzwischen verstorbene Bluter Todd Smith der Vorstandsriege im Jahr 1998 auf der Hauptversammlung vor. „Finanzielle Gründe waren also wichtiger als die Sicherheit der Patienten. Diese Entscheidung hat Tausenden von Blutern das Leben gekostet“, resümierte er damals.
Die Aufsichtsbehörden mussten BAYER & Co. bei ihrem Treiben nicht fürchten. In Dennis Donohue von der US-amerikanischen „Food and Drug Administration“ (FDA) fanden sie einen willigen Helfer, der sich auf ihre Hinhalte-Taktik einließ und sogar Außenpolitik im Sinne der Multis betrieb. So reiste er nach Europa, um seinen dortigen KollegInnen wider besseren Wissens zu versichern, dass die Pharma-Industrie in seinem Land kein Blut von Risiko-Gruppen verwendet. Im Vorfeld hielt CUTTER dazu fest, Donohue fliege, „um dort unsere Strategie zu verteidigen. Er erbittet deshalb Unterstützung von uns, damit er drüben beruhigend wirken kann, dass wir alles täten, AIDS-Infizierte von der Plasma-Spende auszuschließen“.
In der Bundesrepublik verhielt es sich ähnlich. Die Pillen-Riesen gingen im Bundesgesundheitsministerium ein und aus, hatten ihre Leute in wichtigen Gremien sitzen und verstanden sich bestens mit den Bediensteten. Und kleine Geschenke erhielten die Freundschaft. So spendierte BAYER dem Behörden-Chef Karl Überla auch schon mal eine Flugreise nach Israel. Bei einer Anhörung zur AIDS-Krise im Herbst 1983 zeigte sich dann, was die Industrie in dem Epidemologen hatte. Es ging dort nämlich nicht um „Kopf und Kragen“, wie die Unternehmen fürchteten, sondern darum, ob es sich bei der Krankheit überhaupt um eine Infektion handele und sie nicht eher auf eine allergische Reaktion, genetische Faktoren oder Umwelteinflüsse zurückzuführen sei. ExpertInnen, die eine andere Meinung vertraten, ließ Überla nicht zu Wort kommen, und sogar die AIDS-Arbeitsgruppe seines eigenen Hauses verurteilte er zum Schweigen. All das trug wesentlich dazu bei, die Einführung von wirksamen Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit der Blut-Produkte zu Darum überlebte das Bundesgesundheitsamt den AIDS-Skandal auch nicht. Der damalige Gesundheitsminister Horst Seehofer löste es auf und schasste den Industrie-Amigo Überla.
Und selbst als die meisten westlichen Staaten dann endlich die Hitze-Behandlung von KOATE & Co. gesetzlich vorschrieben, war die Gefahr noch nicht gebannt. BAYER verkaufte die alten Chargen einfach nach Asien weiter. Der Pharma-Riese hatte sich in langfristigen Verträgen nämlich zu einem Festpreis verpflichtet und dachte nicht daran, das in der Herstellung teurere KOATE HT zu diesen Konditionen abzugeben. Zudem hieß es in internen Dokumenten: „Wir müssen die Lagerbestände aufbrauchen.“ In Japan galt es dazu allerdings, in die Portokasse zu greifen. Der Konzern zahlte einem Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums in Tateinheit mit BAXTER und anderen Unternehmen 409.524 Dollar, damit dieser die Tür für die medizinischen Zeitbomben offen hielt.
Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zu den verseuchten Blutpräparaten, Gerhard Scheu (CSU) nannte das Treiben von BAYER & Co. Anfang der 1990er Jahre den „zynischsten Umgang mit Menschenleben seit Contergan“. Nicht zuletzt deshalb lautete der letzte Satz der CBG-Presseerklärung zur Veränderung des HIV-Hilfegesetzes: „Wir kritisieren heute den Rückzug von BAYER aus der Finanzierung der Stiftung, aber eigentlich wäre es nötig, dem Konzern Gravierenderes anzulasten, Totschlag nämlich, und auch Gravierenderes einzufordern: eine strafrechtliche Verfolgung.“

HIV-Hilfegesetz

CBG Redaktion

1. Juni 2017

HIV-Hilfegesetz

BAYER & Co. müssen zu ihrer Verantwortung stehen!

Am heutigen Donnerstag beschließt der Bundestag wichtige Änderungen am HIV-Hilfegesetz. Nach dem Willen von CDU und SPD tragen künftig allein die SteuerzahlerInnen die finanzielle Last der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“. BAYER, BAXTER und die anderen Pharma-Firmen, welche die Mittel in den 1980er Jahren ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen auf den Markt gebracht und damit den Tod Zehntausender Bluter, Unfall-Opfer und anderer auf Blutprodukte angewiesener Menschen verursacht haben, verlassen die 1995 ins Leben gerufene Einrichtung. Auch das ebenfalls schwerer Versäumnisse schuldige „Deutsche Rote Kreuz“ (DRK) scheidet als Stifter aus.

Schon bei den Verhandlungen zur Gründung der Stiftung gelang es den Arznei-Herstellern, ihren Beitrag lediglich als „humanitäre Hilfe“ erscheinen zu lassen. Auch setzten sie einen Passus durch, wonach der Fonds sich auflösen muss, wenn ihm das Geld ausgeht. BAYER & Co. rechneten ganz offensichtlich mit einem schnellen Tod der unterstützten HIV-Infizierten. Diese Einschätzung erwies sich jedoch als falsch – die AIDS-Kranken lebten länger als erwartet. Darum gingen die Konzerne in der Folge dazu über, permanent um ihren Anteil am Etat zu feilschen. Mit Erfolg: Er sank mit den Jahren von 39 auf 22 Prozent. Jetzt aber erschien ihnen offensichtlich sogar das zuviel.

„Aus dem jahrelangen Hickhack um das Budget der Stiftung zieht die Bundesregierung nicht die Konsequenz, mehr Druck auf BAYER und die anderen Unternehmen auszuüben, sondern entlässt sie aus ihrer Verantwortung. Das ist der Skandal nach dem Skandal“, kritisiert Axel Köhler Schnura vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG).

Erst jetzt, nach dem Ausscheiden der Konzerne, zahlt die Stiftung die Beträge an die Blutpräparate-Geschädigten unbefristet aus. Auch passt sie die Zahlungen ab 2019 an die Inflationsrate an. „Diese ansatzweise ausgleichende Gerechtigkeit ist aber nicht nur seit Jahrzehnten überfällig, sondern auch aktuell noch nicht gänzlich ausgereift – bis 2019 werden weitere Betroffene sterben, die von den paar Euro mehr im Monat faktisch ncht profitieren können“, konstatiert Lynn Sziklai von der BLUTSKANDAL-KAMPAGNE. Überdies fordert sie einen rückwirkenden Inflationsausgleich. „Das könnten die Pharma-Konzerne locker aus ihrer Portokasse bestreiten“, so Sziklai.

Die Stiftung versäumt es zudem weiterhin, durch KOATE und andere Produkte mit Hepatitis C (HCV) infizierte Menschen zu unterstützen. Der Ansteckungsweg sei nicht zweifelsfrei nachzuweisen, verlautet dazu aus dem Bundesgesundheitsministerium. Allerdings dürfte der Kostenfaktor – ExpertInnen gehen von bis zu 55 Millionen Euro aus – die Hauptrolle für die Weigerung gespielt haben, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu erweitern.

„Wer ernsthaft der Meinung ist, der Übertragungsweg bei Hepatitis C wäre auch im Fall eines Bluters, der sich im Alter von einem Jahr sowohl mit HIV als auch mit HCV infizierte, nicht eindeutig belegbar, hat eindeutig den Sinn für die Realität verloren. 4.000 HCV-Infektionen, vor allem bei Hämophilen, kommen nicht aus dem Nichts“, sagt Lynn Sziklai denn auch. Als „Armutszeugnis“ bezeichnet sie es, die Konzerne und das DRK für ihr Verhalten nicht haftbar gemacht zu haben und den Hepatitis-Patienten bis jetzt eine Unterstützung zu verweigern. „Bei HIV Zahlungen zu leisten, stellte damals den günstigsten Kompromiss dar. Heute aber sind die Schäden einer HCV-Infektion weitaus verheerender als die einer HIV-Infektion“, gibt Sziklai zu bedenken.

Auf der diesjährigen BAYER-Hauptversammlung am 28. April 2017 hatte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann dem Bluter Thomas Gabel noch versichert, mit dem Bundesgesundheitsministerium „in konstruktiven Gesprächen“ über eine weitere Beteiligung am Hilfe-Fonds zu sein. Das entsprach offensichtlich nicht der Wahrheit. Wider besseren Wissens stritt Baumann in seiner Antwort auf Fragen Gabels, der in Bonn die BLUTSKANDAL-KAMPAGNE und ROBIN BLOOD vertrat, noch dazu jegliches schuldhaftes Verhalten des Unternehmens ab.

Dabei hatten Beschäftigte von BAYERs US-amerikanische Tochter-Firma CUTTER, die in den 1980er Jahren zu einem marktbeherrschenden Blutprodukte-Quartett gehörte, ein solches längst eingeräumt. CUTTER nutzte in dem betreffenden Zeitraum nicht nur preiswertes Blut von Hochrisiko-Gruppen als „Rohstoff“, der Ableger des Leverkusener Multis weigerte sich aus Kostengründen auch lange, seine Erzeugnisse einer viren-abtötenden Hitze-Behandlung zu unterziehen. Und obwohl der Pharma-Riese wusste, dass die Präparate verseucht sein konnten, drückte er sie weiter in den Markt. Dabei schreckte er nicht einmal vor Bestechung zurück. So schmierte BAYER in Tateinheit mit BAXTER und anderen Unternehmen etwa den japanischen Gesundheitsminister Takeshi Abe mit 409.524 Dollar, damit dieser die Tür für die medizinischen Zeitbomben offen hielt.
Der Konzern entwickelte das neue hitze-behandelte Präparat KOATE HT erst, als die Aufsichtsbehörden ein solches Verfahren vorschrieben. Chargen des alten KOATE verkaufte er jedoch einfach nach Asien weiter. Die Aktien-Gesellschaft hatte sich in langfristigen Verträgen mit den Behörden nämlich zu einem Festpreis verpflichtet und dachte nicht daran, das in der Herstellung teurere KOATE HT zu diesen Konditionen abzugeben. Zudem galt Akten-Vermerken zufolge die Devise: „Wir müssen die Lagerbestände aufbrauchen.“

„Wir kritisieren die Weigerung des BAYER-Konzerns, für seine Verbrechen die Verantwortung zu übernehmen und stattdessen aus der Finanzierung der Stiftung auszusteigen. Aber eigentlich wäre es nötig, dem Unternehmen Gravierenderes anzulasten, Mord nämlich, und auch Gravierenderes einzufordern: eine strafrechtliche Verfolgung“, so Köhler-Schnura abschließend.

[125 Jahre] 125 Jahre Werk Leverkusen

CBG Redaktion

Presse Information vom 5.12.2016

Coordination gegen BAYER-Gefahren e. V.

Jubiläumsfeier bei BAYER / Grußwort von Hannelore Kraft

Konzerngeschichte nicht weißwaschen!

Am kommenden Mittwoch feiert der BAYER-Konzern sein 125-jähriges Bestehen am Standort Leverkusen. Zu den GratulantInnen wird auch die NRW-Landeschefin Hannelore Kraft gehören. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) fordert die Ministerpräsidentin auf, in ihrer Laudatio das lange Sündenregister des Unternehmens nicht auszuklammern.

„Obwohl die Stadt Leverkusen Stammsitz eines der größten Konzerns der Welt ist, erlebt sie eine Rekord-Finanznot. Bei Schulen, Kinderbetreuung, Gesundheit und Freizeit – überall ist der Mangel spürbar. Die Kommune ist sogar auf die Unterstützung des Landes aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen gewiesen. Und das alles, weil BAYER sich durch tausend legale Steuertricks um Abgaben in Millionen-Höhe drückt. Statt Lobreden erwarten wir deshalb Kritik von Hannelore Kraft“, erklärt Antonius Michelmann, Geschäftsführer der CBG.

Auch die dunklen Kapitel aus der Vergangenheit des Pharma-Riesen muss die Politikerin nach Ansicht der Coordination ansprechen. „BAYERs selbst schweigt gerne zu Themen wie Pestizid-Vergiftungen, Medikamenten-Skandalen, chemische Kampfstoffen, ZwangsarbeiterInnen oder generell der Rolle des Unternehmens im Nationalsozialismus. Wir fordern Frau Ministerpräsidentin Kraft dazu auf, bei dieser Weißwaschung nicht mitzumachen!“, so CBG-Vorstand Jan Pehrke.

Und Mitvorstand Axel-Köhler-Schnura ergänzt: „Bereits im 19. Jahrhundert gab es zudem massiven Widerstand von AnwohnerInnen und Belegschaft gegen die anhaltende Luft- und Wasserverschmutzung. In vielen Fällen konnte hierdurch ein besserer Arbeits- und Umweltschutz erkämpft werden. Der Widerstand gegen die zumeist rücksichtslose Konzern-Politik gehört untrennbar zur Geschichte von BAYER.“

BAYER war als Teil der IG FARBEN an den grässlichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte beteiligt: die IG FARBEN lieferten Zyklon B für die Gaskammern, unternahmen Menschenversuche in den KZs und ließen sich in Auschwitz eine riesige Fabrik von SklavenarbeiterInnen bauen. Im konzern-eigenen Konzentrationslager Auschwitz-Monowitz kamen zehntausende ZwangsarbeiterInnen ums Leben. Trotz dieser Verbrechen hat BAYER nie eine unabhängige Untersuchung der Firmen-Historie veranlasst.
Einige weitere Hintergründe zur BAYER-Geschichte:

=> Zeitgleich mit dem Schmerzmittel ASPIRIN brachte der Konzern HEROIN auf den Markt, u. a. als Hustenmittel für Kinder. Schon kurz nach der Markteinführung wiesen Ärzte auf das Suchtpotential hin. Trotzdem führte BAYER fünfzehn Jahre lang eine globale Werbekampagne für das neue Präparat durch. Während an den Siegeszug von ASPIRIN mit Ausstellungen und Forschungspreisen erinnert wird, wird das Stiefkind HEROIN heute verleugnet.

=> Der langjährige BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg beteiligte sich im 1. Weltkrieg persönlich an der Entwicklung von Giftgas und setzte den völkerrechtswidrigen Einsatz an der Front durch. Duisberg war mitverantwortlich für die Deportation zehntausender belgischer ZwangsarbeiterInnen und forderte die Annexion von Belgien, Nordfrankreich sowie von (so wörtlich) „deutschem Lebensraum“ in Polen und Russland.

=> Die IG FARBEN, der Zusammenschluss der deutschen Chemie-Industrie, waren eng in den Eroberungskrieg des Dritten Reichs eingebunden. Der Konzern folgte der Wehrmacht in die eroberten Länder Europas und übernahm meist innerhalb weniger Wochen die dortige Chemie-Industrie, Kohlegruben und die Ölförderung.

=> In den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen beschäftigte sich ein eigenes Verfahren mit den IG FARBEN. Dabei wurde z. B. festgestellt: „Unstreitig sind verbrecherische Experimente von SS-Ärzten an Konzentrationslager-Häftlingen vorgenommen worden. Diese Experimente sind zu dem ausdrücklichen Zweck erfolgt, die Erzeugnisse der IG FARBEN zu erproben.“

=> Die in Nürnberg verurteilten Manager konnten nach Verbüßung ihrer Haftstrafe ihre Karrieren ungehindert fortsetzen. So wurde Fritz ter Meer Aufsichtsratsvorsitzender von BAYER. Gegenüber den ZwangsarbeiterInnen in Auschwitz äußerte er wenig Mitgefühl; ihnen sei „kein besonderes Leid zugefügt worden, da man sie ohnedies getötet hätte“. BAYER hielt das nicht davon ab, einer Studien-Stiftung den Namen „Fritz-ter-Meer-Stiftung“ zu geben.

=> In den Laboren von BAYER wurde auch im Dritten Reich an chemischen Kampfgasen geforscht. Der Erfinder von SARIN und TABUN, Dr. Gerhard Schrader, leitete nach dem Krieg die Pestizid-Abteilung von BAYER.

=> Etwa die Hälfte aller Bluter weltweit wurde in den 80er Jahren mit HIV infiziert, ein Großteil durch Produkte von BAYER. Jahrelang setzte der Konzern die existierenden Inaktivierungsverfahren aus Kostengründen nicht ein. Noch nach dem Verbot unbehandelter Blutprodukte in den USA und Europa wurden übriggebliebene Chargen nach Lateinamerika und Asien exportiert. Tausende Bluter bezahlten dies mit ihrem Leben.

=> Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt die Zahl der jährlichen Pestizidvergiftungen auf bis zu 20 Millionen. Rund 200.000 Fälle verlaufen tödlich, dazu kommt eine hohe Dunkelziffer. Für einen großen Teil der Vergiftungen ist BAYER verantwortlich; die Firma ist mit einem Weltmarktanteil von 17 Prozent der zweitgrößte Pestizid-Hersteller der Welt. Mit der MONSANTO-Übernahme würden es sogar 27 Prozent sein. Obwohl das Unternehmen einräumt, dass „der sachgerechte Umgang mit Pflanzenschutzmitteln unter bestimmten Bedingungen in einigen Ländern der Dritten Welt nicht immer gewährleistet ist“, verkauft BAYER weiterhin hochgiftige Wirkstoffe, vor allem in Entwicklungsländern.

Weitere Informationen zur BAYER – Geschichte.

[Duogynon Mord] STICHWORT BAYER 04/2016

CBG Redaktion

Recht & Unbillig

Hormon-Präparat mit tödlichen Nebenwirkungen

Anklage: Mord

Contagan, Teil 2 – so bezeichnen Betroffene den DUOGYNON-Skandal. Aber während der Pharma-GAU „Contagan“ zu trauriger Berühmtheit gelangte, erhielt der Fall „DUOGYNON“ nie eine vergleichbare Aufmerksamkeit. Dabei hat der hormonelle Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt und unzählige Gesundheitsstörungen hervorgerufen. Die Verantwortlichen wurden dafür nie zur Rechenschaft gezogen, aber jetzt versucht es Gisela Clerc noch einmal: Sie hat eine Strafanzeige wegen Mordes erstattet.

Von Jan Pehrke

„Meine Tochter, die ich hier vertrete, ist zu schwach, um über ihr Schicksal zu reden. Sie bat mich, es an ihrer Stelle zu tun“, mit diesen Worten wandte sich Gisela Clerc 2012 in der BAYER-Hauptversammlung an die AktionärInnen. Anschließend berichtete sie, was ihr nach der Einnahme des Schwangerschaftstests DUOGYNON widerfuhr. „Kurze Zeit später bekam ich einen Blutsturz, der zwei Tage anhielt und starke Unterleibsschmerzen. Trotzdem war ich schwanger und bekam 1969 eine schwer missgebildete Tochter. Sie hatte am und im Herzen: ductus botalli, Aorten-Stenose an der Herzscheidewand und zwei defekte Herzklappen.“ Am Schluss ihrer Rede forderte die Rentnerin den Leverkusener Multi auf, die Konzern-Unterlagen zu dem Mittel freizugeben. Gisela Clerc wollte in Erfahrung bringen, wie viel die ManagerInnen damals selber über die Risiken und Nebenwirkungen des Präparates wussten. Aber der Pharma-Riese weigerte sich, Einsicht in die Dokumente des Unternehmens SCHERING zu gewähren, das er 2006 erworben hatte. Der DUOGYNON-Geschädigte Andre Sommer reichte deshalb eine Auskunftsklage ein. Diese scheiterte jedoch ebenso wie ein Prozess um Entschädigungen. Die Ansprüche seien verjährt, entschieden die RichterInnen jeweils.

Gisela Clerc ist gerichtlich auf diesem Wege allerdings nicht zu stoppen. Sie hat nach dem Tod ihrer Tochter, die Anfang des Jahres im Alter von nur 47 Jahren an den DUOGYNON-Spätfolgen starb, nämlich eine Strafanzeige wegen eines Deliktes erstattet, für das der Gesetzgeber keine Verjährung vorgesehen hat. Mit nichts geringerem als Mord „durch Unterlassen in Verdeckungsabsicht in einer unbekannten Zahl von Fällen“ hat sich die Berliner Staatsanwaltschaft im Fall von DUOGYNON nun zu beschäftigen.

Die 74-Jährige kann sich dabei auf neues Beweis-Material stützen, denn Andre Sommer fand beim Stöbern im Berliner Landesarchiv alte SCHERING-Akten aus einem früheren Verfahren. Und diese zeigen eindeutig, wie gut der Konzern über die Risiken und Nebenwirkungen seines Medizin-Produktes informiert war. „Ein Zusammenhang zwischen den gefundenen Anomalien und der Substanz-Applikation kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden“, hielt ein Wissenschaftler beispielsweise nach desaströsen Tierversuchen fest. Ein anderer Forscher stufte DUOGYNON als „hochgradig embryo-toxisch“ ein, und ein Kollege vermochte sogar genaue Angaben über den Grad zu machen. Er meldete der Berliner Zentrale, „dass bei denen, die einen hormonellen Test gehabt hätten, ein relatives Risiko von 5:1 bestehe, ein missgebildetes Kind zu bekommen.“

Nach Meinung der Anwälte von Gisela Clerc hätten diese Befunde SCHERING veranlassen müssen, das Pharmazeutikum sofort vom Markt zu nehmen und nicht erst Anfang der 1980er Jahre. „Dies unterließen sie jedoch und nahmen den Tod der Kinder zumindest billigend in Kauf“, urteilen Detlev Stoffels und Jörg Heynemann.

Statt umgehend zu reagieren, suchte der Konzern nach Mitteln und Wegen, an dem Präparat festhalten zu können. Dafür traf er sich mit ExpertInnen und arbeitete Strategien für Schadensersatz-Prozesse aus. So plante SCHERING unter anderem, vor Gericht bei der Kausalitätsfrage anzusetzen und systematisch Zweifel an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Medikament und den unerwünschten Arznei-Effekten zu säen. Das Unternehmen erwog sogar, mit dem Rechtsanwalt einen BeraterInnen-Vertrag zu schließen, der die Firma Grünenthal in Sachen „Contergan“ vor Entschädigungszahlungen bewahrt hatte. Und es gelang dem Pillen-Produzenten Ende der 1970er Jahre dann auch wirklich, die juristische Auseinandersetzung mit der INTERESSENSGEMEINSCHAFT DUOGYNON-GESCHÄDIGTER zu gewinnen.

Vom damaligen Bundesgesundheitsamt (BGA) hatte die Aktien-Gesellschaft ebenfalls nichts zu befürchten. Sie hatte dort nämlich jemanden sitzen, der sich selbst als „Advokat der Firma SCHERING“ bezeichnete. Der Herr Professor schmuggelte entlastende Unterlagen in die Behörde und hielt den Konzern immer über die Vorgänge im BGA auf dem Laufenden. Und das gewährte dem Mittel dann auch Bestandsschutz. In England, wo er den Schwangerschaftstest unter dem Namen PRIMODOS in Umlauf brachte, hatte der Konzern auch beste Beziehungen zu den EntscheidungsträgerInnen. So traf der Pharma-Riese sich mit einem Mitarbeiter der englischen Gesundheitsbehörde zu einem netten Plausch auf den Bermudas, wo der Mann dem Berliner Unternehmen zusicherte, eine DUOGYNON-kritische Untersuchung zu vernichten. Zur Sicherheit aber eruierte SCHERING zusätzlich noch die politische Stimmung im Unterhaus und ließ PolitikerInnen-Dossiers anfertigen. Über einen Mandatsträger hieß es darin beispielsweise: „Ein führender linker Flügelspieler, unnachgiebig, sehr klug, ein gewaltiger Gegner, vollkommen unbestechlich“.

Auf diese Weise hielt der Multi das Medizin-Produkt in England bis 1978 und in Deutschland sogar bis 1981 auf dem Markt. Und nach Ansicht von BAYER könnte es sogar heute noch in den Apotheken stehen. Wie der Global Player zur Strafanzeige von Gisela Clerc erkärte, schließt er „DUOGYNON nach wie vor als Ursache für embryonale Missbildungen aus“.

Der mutige Schritt der Rentnerin ist der vorerst letzte Akt einer Auseinandersetzung, welche die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) mit angestoßen hat. Vor acht Jahren wurde sie auf die Aktivitäten von britischen Betroffenen aufmerksam und lud zwei von ihnen zur BAYER-Hauptversammlung ein. In ihren Reden konfrontierten Karl Murphy und Valerie Williams den Vorstand zum ersten Mal direkt mit dem Schicksal der DUOGYNON-Geschädigten. Das verschaffte dem Thema in Deutschland eine breitere Öffentlichkeit und ließ auch die bundesdeutschen LeidensgenossInnen von Murphy und Williams aufhorchen. Motiviert von den beiden EngländerInnen, begannen jene sich alsbald zu vernetzen, suchten die AktionärInnen-Treffen auf und planten gemeinsam weitere Schritte. Dabei gelang es sogar, die Musikerin Nina Hagen als Fürsprecherin zu gewinnen. „Ich bin entsetzt über die Ignoranz und Dreistigkeit der verantwortlichen Konzerne gegenüber den leidgeprüften DUOGYNON-Opfern und ihren Eltern. Ich hoffe sehr, dass die deutsche Gerichtsbarkeit gerecht urteilen wird und dass die Opfer endlich eine Entschuldigung und gerechte Entschädigung bekommen“, sagte sie 2010.

Nina Hagens Hoffnungen haben sich bisher nicht erfüllt, und ob sich das im Fall der Strafanzeige von Gisela Clerc ändern wird, steht auch dahin. Aber BAYER droht noch von anderer Seite Ungemach. In England beschäftigt sich zurzeit nämlich ein parlamentarischer Gesundheitsausschuss mit dem Schwangerschaftstest. Und auf den Faktor „Zeit“ kann der Leverkusener Multi dabei nicht setzen. Auf der Insel gelten nämlich andere Verjährungsfristen.

Duogynon

CBG Redaktion

Presseinfo im Fall Duogynon
9. Januar 2016

Ein zweiter Fall Contergan?

Evtl. tausende Missbildungen durch Duogynon in den 60er und 70er Jahren? Medien und Wissenschaftler haben Einsicht in die Akten im Landesarchiv in Berlin!

Neue Dokumente, bestehend aus mehr als 7.000 Seiten, aus dem Landesarchiv in Berlin werfen ein dunkles Licht auf Schering bzw. Bayer. Der Konzern schien mehr gewusst zu haben und hat nicht gehandelt. Bis heute versucht Bayer die Ausmaße der damaligen Schering zu vertuschen. Die vertraulichen Dokumente des Pharmakonzerns sind der Öffentlichkeit noch nicht zugänglich, aber Medien und Wissenschaftler können die Dokumente im Landesarchiv in Berlin einsehen. In England findet seit Herbst 2015 eine öffentliche Untersuchung statt! Bayer kann hier noch verklagt werden!

Es ist eine britische Kinderärztin, die 1967 erstmals über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Medikament Duogynon des Arzneimittelherstellers Schering und Fehlbildungen bei Ungeborenen schreibt. Kinder kamen mit offenen Rücken, Herzfehlern, fehlenden Gliedmaßen, deformierten Därmen oder Genitalien zur Welt. Der Verdacht, den viele Mütter der geschädigten Kinder bis heute haben: Duogynon könnte Schuld sein an ihrem Leid.

Vertrauliche Dokumente zeigen nun, dass Schering Chemicals Limited, das britische Tochterunternehmen des Berliner Pharmakonzerns Schering, damals einen externen Statistiker beauftragte, die Ergebnisse der Wissenschaftlerin zu überprüfen.

Er befand ihren Bericht für „an sich korrekt“ und riet zu weiteren Untersuchungen. Doch die Forschungsabteilung lehnte ab: „Es bestünde die Gefahr, dass eine derart ausgedehnte Studie erst recht die Aufmerksamkeit auf den Verdacht lenken und so zu unerwünschtem Aufsehen führen würde.“
André Sommer ist einer der Betroffenen, er wird 1976 mit einer Blasenekstrophie geboren, seine Harnblase ist außen am Bauch angewachsen. Heute ist er 39 Jahre alt und will wissen, was diese Fehlbildungen verursacht haben könnte. Schätzungsweise gab es europaweit Tausende Betroffene.
Die TAZ zeichnet am Wochenende anhand der Unterlagen das Psychogramm einer der einst mächtigsten Firmen der Bundesrepublik, der spätestens seit Mitte der sechziger Jahre Zweifel an ihrem Produkt bekannt waren. Die sich aber dennoch weigerte, Konsequenzen zu ziehen – vielleicht auch, weil sie gewiss sein konnte, gesetzeskonform zu handeln. Marie Lyon und Andre Sommer waren Detektive in eigener Sache im Landesarchiv in Berlin.

Duogynon war in den Sechzigern eine Innovation. Der Pharmakonzern Schering stellte es als Injektion und Dragee her. Es wurde bei Menstruationsstörungen und als hormoneller Schwangerschaftstest empfohlen – wenn die Regel nach der Einnahme des Mittels nicht einsetzte, galt die Patientin als schwanger. Zweimal klagte André Sommer als Betroffener gegen die heutige Bayer AG auf Akteneinsicht. Zweimal hat er wegen Verjährung verloren. Auch Marie Lyon ist auf der Suche nach Erklärungen. Die heute 69-Jährige brachte 1970 ihre Tochter Sarah zur Welt, deren linker Unterarm fehlt, die Finger wachsen aus dem Ellenbogen. Auch sie hatte während der Schwangerschaft Duogynon genommen.

Im Frühsommer 2015 erhalten Sommer und Lyon wegen persönlicher Betroffenheit schließlich eine Sondererlaubnis, die mehr als 7.000 Seiten mit vertraulicher Korrespondenz des Pharmakonzerns im Landesarchiv Berlin einzusehen.
„Duogynon“, sagt André Sommer, „das ist vielleicht ein zweites Contergan.“ 15 Operationen hat er heute hinter sich, allein wegen des künstlichen Harnausgangs am Bauch. Sommer will Antworten. Wann hatte Schering erstmals Hinweise darauf, dass das Medikament embryonale Fehlbildungen verursachen könnte? Und falls es sie gab: Warum nahm der Konzern das Medikament nicht früher vom Markt? Warum verbot er nicht den Einsatz als Schwangerschaftstest?

Bis heute antwortet der Hersteller nicht auf diese Fragen. Es gibt auch keine Rechtsgrundlage, die Antworten zu erzwingen. Denn, das scheint unbestritten: Das Unternehmen hat nicht gegen geltendes Recht verstoßen.
Deutschland hinkte hinterher.

Doch die vertraulichen Dokumente zeigen, dass es auch intern Beunruhigung über die Wirkung von Duogynon gab. Zwei britische Schering-Mitarbeiter forderten in einem Schreiben schon 1968 weitere Untersuchungen. Ohne Erfolg. 1975, schrieb einer der beiden erneut an die Muttergesellschaft in Berlin: In den „letzten fünf Jahren hat die Arzneimittelüberwachung an Schwangeren ergeben, daß bei denen, die einen hormonalen Test gehabt hätten, ein relatives Risiko von 5:1 bestehe, ein missgebildetes Kind zu bekommen“.

Und auch als die Pillen 1978 in Großbritannien wegen Fehlbildungsgefahr schließlich vom Markt genommen werden, änderte sich in Deutschland wenig. Schering nahm für Duogynon nur die Empfehlung als Schwangerschaftstest zurück und benannte das Präparat um. Erst 1981 wurde es aus dem Handel genommen – mit der Begründung, die Behandlung mit dem Medikament sei überholt.

Infos zur Kampagne

[Ticker] STICHWORT BAYER 01/2016 – TICKER

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG-Jahrestagung 2015
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) widmete ihre diesjährige Jahrestagung dem Thema „Die Plastik-Flut – ein Öko-Desaster made by BAYER & Co.“ Der Meeres-Chemiker Prof. Dr. Gerd Liebezeit zeichnete in seinem Eingangsvortrag ein verheerendes Bild von der Lage. Millionen Tonnen Plastik-Müll verunreinigen die Ozeane. Ein großer Teil der Fische und Seevögel hat Spuren von Plaste & Elaste im Körper, und an den Küsten schwemmen Kadaver von Tieren an, die einen vollen Magen hatten und trotzdem verhungert sind, weil sie nur Fischernetze, PET-Flaschen und andere Plastik-Teile als „Nahrung“ zu sich genommen hatten. Liebezeit kritisierte deshalb die Bundesregierung, die im Gegensatz zu „Entwicklungsländern“ wie Bangladesh oder Ruanda nicht einmal willens war, durch ein Verbot von Plastiktüten zu einer Reduktion der Kunststoff-Produktion beizutragen. Marijana Toben vom BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ gab dagegen ein wenig Hoffnung. Sie stellte die erfolgreiche BUND-Kampagne gegen Mikroplastik in Kosmetika und Körperpflege-Produkten vor, die für viele der gesundheitsschädlichen Winzlinge das Ende bedeutete. Toben warnte jedoch davor, den Bekenntnissen der Industrie blindlings zu vertrauen – es gelte, ihren Umstieg auf unbedenklichere Alternativen ganz genau zu beobachten. CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes ging das Problem in bewährter Coordinationsmanier grundsätzlich an. Er begann mit der energie-intensiven Kunststoff-Herstellung, widmete sich hiernach mit Bisphenol A einem besonders gefährlichen Stoff, kritisierte dann BAYERs Nachhaltigkeitsstrategie als reine PR-Maßnahme und skizzierte abschließend Grundzüge einer Chemie-Wende. Durch die lebhaften, fachkundigen und nicht selten von persönlichem Engagement auf dem Gebiet geprägten Diskussionsbeiträge trugen die BesucherInnen das Ihrige zum Gelingen der Veranstaltung bei, so dass am frühen Abend alle angeregt und zufrieden die Heimreise antreten konnten.

Viele CBG-Vorträge
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) erhält immer wieder Anfragen zu Vorträgen, denen sie auch gerne nachkommt. So berichtete CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes bei der „Linken Medien-Akademie“ in Berlin über die vielfältigen Lobby-Aktivitäten BAYERs. Am Konzern-Stammsitz Leverkusen versorgte er die TeilnehmerInnen des „Klima-Pilgerwegs“ mit Informationen über den immensen Kohlendioxid-Ausstoß des Global Players. Bei der „Offenen Akademie“ in Gelsenkirchen referierte Mimkes über die Auseinandersetzungen um die Offenlegung des Kooperationsvertrages, den der Leverkusener Multi mit der Universität Köln vereinbart hatte. Und in Bremen ging der CBGler auf Einladung der „Volkshochschule Delmenhorst“ und des „Labors für Chemische und Mikrobiologische Analytik“ über die Marathon-Distanz und legte in zweieinviertel Stunden die Geschichte der deutschen Chemie-Industrie dar.

„Stoppt die alte CO-Pipeline!“
Nicht nur die zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld verlegte Kohlenmonoxid-Pipeline wirft Sicherheitsfragen auf. Auch die in den 1960er Jahren zwischen Dormagen und Leverkusen gebaute Verbindung weist gravierende Mängel auf. Das offenbarte sich der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, nachdem sie bei der Bezirksregierung Köln Einsicht in die entsprechenden Unterlagen genommen hatte. Besonders an dem Rhein-Düker, mittels dessen die Pipeline den Fluss unterquert, zeigen sich Korrosionsschäden, also Abnutzungserscheinungen an den Bau-Bestandteilen. Die CBG veröffentlichte den Befund, und kurz danach kündigte BAYER einen Düker-Neubau an. Dieses Vorhaben beseitigt die Gefahr jedoch nicht, die von dem Transport gefährlichen Giftgases quer durch Nordrhein-Westfalen ausgeht. Darum lehnt die Coordination es ab und hat auch bereits eine Einwendung gegen das Projekt formuliert. Der Leverkusener Multi aber will es unbedingt durchdrücken. Er hat aus dem PR-Desaster bei seiner anderen Pipeline-Baustelle gelernt und versucht nun, durch Dialog-Formate Akzeptanz für die Düker-Arbeiten zu schaffen. Aus diesem Grund beauftragte er die Agentur JOHANSSEN + KRETSCHMER mit der Ausrichtung einer Informationsveranstaltung. Sie fand am 10. November in der Bürgerhalle Leverkusen-Wiesdorf statt. Die COORDINATION ließ sich an dem Tag aber nicht einbinden. Sie hielt vor dem Eingang eine Kundgebung ab, auf der sie die Stilllegung der Alt-Pipeline forderte. „Für ergebnis-offene Diskussionen stehen wir gerne zur Verfügung, nicht aber für Alibi-Veranstaltungen zur Akzeptanz-Förderung“, erklärte die CBG. Allzu viele andere standen dafür auch sonst nicht zur Verfügung. Nur rund 15 BürgerInnen fanden sich im Saal ein.

MedizinerInnen gegen alte CO-Leitung
Auch ÄrztInnen wenden sich gegen die alte, zwischen Dormagen und Leverkusen verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline, der momentan eine Teil-Renovierung bevorsteht (s. o.). Da bei einem möglichen Gas-Austritt wegen der akuten Toxizität des Gases kaum Ansatzpunkte für ärztliche Notfall-Maßnahmen bestehen, forderten 94 MedizinerInnen eine sofortige Stilllegung der Leitung. „Wir sind nicht länger gewillt, dieses Hochrisiko-Projekt außerhalb des Werksgeländes von BAYER hinzunehmen, nur damit das Unternehmen eine unverantwortlich große Menge an CO vorhalten kann. Daher verlangen wir, die CO-Pipeline von Dormagen nach Leverkusen schnellstens zu stoppen“, erklärte Dr. Gottfried Arnold für die Gruppe.

Ein Musical gegen die CO-Pipeline
BAYERs umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline schaffte es jetzt sogar auf die Theater-Bühne. Am 23. Oktober 2015 hatte „Rheinheim – das Katastrophen-Musical“ Premiere. Kinder und Jugendliche aus Monheim und Langenfeld führten das Stück auf; für die Co-Produktion taten sich Monheimer Schulen und Kindergärten, die Musikschulen Monheim und Langenfelds sowie das Hitdorfer Matchbox-Theater zusammen. Und das Stück um die böse Frau Dr. Blöker von der Reichol AG, den in die Jahre gekommenen Action-Helden Briece Wullis, einen zerstreuten Professor, Werkschutz-AgentInnen und vier junge ReporterInnen mit Spürsinn für Industrie-Skandale kann sogar mit einem Happy End aufwarten. Im echten Leben ist hingegen das dicke Ende für die Giftgas-Leitung leider noch nicht gekommen.

Offener Brief an National Geographic
Der Leverkusener Multi gehört mit seiner unökologischen Produktionsweise und Hervorbringungen wie gefährlichen Industrie-Chemikalien und Pestiziden zu den großen Umweltsündern. Um das zu kaschieren, betreibt er Greenwashing, indem er mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen und Umwelt-Organisationen Kooperationen eingeht. Mit der „National Geographic Society“, die unter anderem die Zeitschrift National Geographic herausgibt, arbeitet das Unternehmen nun schon zum zweiten Mal zusammen. Im Oktober 2015 ließ die Gesellschaft sich für die ganz auf den agro-industriellen Komplex setzende Landwirtschaftssparte des Konzerns einspannen. Gemeinsam mit BAYER CROPSCIENCE präsentierte sie das Online-Spiel „Top Crop“, das sich angeblich den „komplexen Problemen beim Anbau von Nahrungsmitteln für eine wachsende Weltbevölkerung“ widmet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisierte die Partnerschaft in einem Offenen Brief an die „National Geographic Society“ scharf. „BAYER ist der zweitgrößte Hersteller von Pestiziden und einer der zentralen Anbieter von gentechnisch verändertem Saatgut. Die von BAYER propagierte Landwirtschaft, die auf einem intensiven Einsatz von Agro-Chemikalien und Dünger basiert, schädigt Böden und Biodiversität irreversibel und gefährdet dadurch die Ernährungssicherheit. National Geographic sollte sich nicht dafür hergeben, Geld aus der Portokasse von BAYER anzunehmen und dadurch zum ‚Greenwashing’ des Konzerns beizutragen“, hieß es darin etwa.

Virtueller MIRENA-Flashmob
BAYERs Hormon-Spirale MIRENA hat Nebenwirkungen wie nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen, Unruhe, Schlaflosigkeit, permanente Bauchkrämpfe und Oberbauchschmerzen. Allein die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erhielt bereits 45.000 Meldungen über unerwünschte MIRENA-Effekte. Darum setzen sich immer mehr Frauen zur Wehr. Sie verklagen den Leverkusener Multi – in den USA gibt es bereits über 2.000 Prozesse – und führen Aktionen durch. So kam eine bundesdeutsche Gruppe zu einem virtuellen Flashmob auf BAYERs Facebook-Seite zusammen und forderte dort unter anderem aussagekräftigere Beipackzettel und einen Widerruf der Aussage, MIRENA würde nur lokal wirken.

Neues von der Duisberg-Kampagne
Am 29. September 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele Menschen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund und Lüdenscheid hatte das schon Erfolg (siehe auch SWB 1/15). Andere Orte wie z. B. Frankfurt und Marl haben noch keine Entscheidung gefällt. Der Bürgermeister des BAYER-Standortes Dormagen beauftragte das Stadtarchiv mit einer Prüfung. Diese fiel nicht eben zu Gunsten Duisbergs aus. CDU, FDP und die Zentrumspartei wollten jedoch trotzdem keine Initiative ergreifen, die SPD blieb gespalten. Darum schlug der Bürgermeister vor, die AnwohnerInnen selbst über die Sache entscheiden zu lassen. Und da diese sich hauptsächlich von praktischen Erwägungen leiten lassen dürften, wird es wohl keine Adress-Änderungen in Dormagen geben. Bonn und Waldshut-Tiengen haben sich ebenfalls gegen einen neuen Namen entschieden. Auch die Universität Marburg hielt an Duisberg fest und ließ ihm seine Ehrendoktor-Würde. In Bergisch-Gladbach hingegen stand die Straßen-Bezeichnung zwar nicht zur Debatte, die Stadt hat aber ein Straßennamen-Buch herausgegeben, das auch einen kritischen Artikel zu Duisberg enthält.

UN-Kritik an BAYER
Bei seinem Deutschland-Besuch im Herbst 2015 beanstandete der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Buskat Tuncak, die von den Chemie-Konzernen betriebene Politik der doppelten Standards. „Gefährliche Pestizide, die in der EU zur Verwendung verboten sind, werden von einigen deutschen Unternehmen immer noch in Länder exportiert, die nicht über ein angemessenes System zur Kontrolle dieser Pestizide verfügen“, so Tuncak. Ganz konkret kritisierte er dabei auch den Leverkusener Multi. „BAYER hat zugegeben, dass noch hochgefährliche Pestizide hergestellt werden, hat aber auch eingeräumt, dass daran gearbeitet wird, nach und nach aus den Produkten auszusteigen. Mich befriedigt allerdings nicht, dass es keinen konkreten Zeitplan dafür gibt“, sagte der Sonderberichtserstatter. Das PESTIZID-AKTIONS-NETZWERK (PAN) machte bei seiner letzten Inventur im Jahr 2012 64 hochgefährliche Ackergifte in den Beständen des Konzerns aus. 15 davon verkauft er nur in Afrika, Asien und Lateinamerika; elf Substanzen dieser Gruppe wie etwa Fipronil, Mancozeb und Diuron sind hierzulande gar nicht (mehr) zugelassen (SWB 3/12).

ESSURE-Protest in den USA

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ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation, zieht immer mehr Kritik auf sich. Die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen, kann nämlich beträchtliche Gesundheitsschädigungen hervorrufen. Allzu oft bleibt die Spirale nicht an ihrem vorgesehenen Ort, wandert vielmehr im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Nebenwirkungen. Aktionsgruppen in den USA riefen deshalb den 15. Juli 2015 zum landesweiten Protesttag aus. Mit Parolen wie „Don’t be sure with ESSURE“ oder „BAYER stole my uterus – people before profits“ gaben Frauen auf den Straßen ihren Unmut über das Medizin-Produkt Ausdruck.

ESSURE-Protest in den USA

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Die unerwünschten Arznei-Effekt von BAYERs Sterilisationsspirale ESSURE (s. o.) bewogen den republikanischen Politiker Mike Fitzpatrick, einen Verbotsantrag in den Kongress einzubringen, den „E-Free Act“. „Die durch ESSURE verursachten Schäden sind gut dokumentiert und reichen weit. Trotz all dieser Fakten bleibt das Medizinprodukt auf dem Markt, mit einem Zulassungsstempel der FDA (US-Gesundheitsbehörde, Anm. Ticker) versehen. Das ist unakzeptabel für mich und die Zehntausenden von ‚ESSURE Sisters’, die mit den Nebenwirkungen leben müssen“, sagte Fitzpatrick zur Begründung. Ursprünglich versicherte ihm mit Rosa DeLauro sogar eine Demokratin ihren Beistand, ein ungewöhnlicher Akt angesichts der aktuellen Grabenkämpfe zwischen den beiden Parteien. Die Abgeordnete aus Connecticut zog ihre Unterstützung jedoch wieder zurück, weshalb der „E-Free Act“ kaum Chancen hat, Gesetzeskraft zu erlangen.

Transparenz für Stiftungsprofessuren?
Der Leverkusener Multi unterhält diverse Stiftungsprofessuren. In Niedersachsen muss der Konzern über die genauen Modalitäten bei der Einrichtung der Lehrstühle künftig vielleicht etwas genauer Auskunft geben. Das Bundesland bereitet nämlich ein Informationsfreiheitsgesetz vor, das Transparenz-Regelungen für die entsprechenden Vereinbarungen vorsieht. So kann die Öffentlichkeit dann etwa erfahren, wie viele Wörtchen die Konzerne bei der Berufung der Hochschul-LehrerInnen mitzureden haben. Den Landtag passiert hat das Paragrafen-Werk allerdings noch nicht.

Transparenz bei Beobachtungsstudien
Erkenntnisse werfen die Beobachtungsstudien zu Arzneien, die MedizinerInnen mit ihren PatientInnen durchführen, kaum ab. Das ist auch gar nicht Sinn der Übung. Die Anwendungsuntersuchungen – wie sie BAYER etwa zu seinem Multiple-Sklerose-Präparat BETAFERON in Auftrag gegeben hat – verfolgen nur den Zweck, die Kranken auf das getestete Präparat umzustellen. Und dafür zahlen die Pharma-Riesen den ÄrztInnen viel Geld. „Fangprämien“ nannte ein ehemaliger Vorsitzender der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ diese Zuwendungen einst. Genauere Informationen zu den Anwendungsbeobachtungen (AWB) müssen die Unternehmen den Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ (BfArM) übermitteln. Die Deutschland-Sektion von TRANSPARENCY INTERNATIONAL wollte sich diese Unterlagen einmal genauer ansehen und stellte einen Antrag auf Einsichtnahme. Von den drei angesprochenen Institutionen stellte sich nur das BfArM quer. Erst nach zwei Klage-Verfahren gelang es Transparency, Zugang zu den Dokumenten zu erhalten. Der Grund für das Blockade-Verhalten erschloss sich gleich nach Lektüre der Akten. Das BfArM war nämlich seinem gesetzlichen Auftrag, die Anwendungsbeobachtungen zu beobachten, mitnichten nachgekommen. Die Einrichtung versah das Material meistens nur mit einer Posteingangsnummer und heftete es ab. Unstimmigkeiten, die Transparency gleich ins Auge stachen wie etwa unvollständige Meldungen, fehlende Beobachtungspläne und fehlende Angaben zu den Honoraren, bemerkte das Bundesinstitut folglich nicht. Auch verglich es die erhaltenen Angaben nicht mit denen, die BAYER & Co. gegenüber den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemacht hatten, so dass die stark differierenden Auskünfte über die Anzahl der AWB nicht weiter auffielen. „Es erfolgte offensichtlich seitens der Institutionen kein Abgleich untereinander, auch gegenüber den Meldenden wurden kaum Beanstandungen erhoben. Ebenso wenig interessierte man sich für den Verlauf oder die Ergebnisse der AWB, vor allem hinsichtlich der Arzneimittel-Sicherheit“, kritisiert TRANSPARENCY INTERNATIONAL. Das Resümee der Organisation lautet deshalb: „Der wissenschaftliche Nutzen von AWB für die Allgemeinheit ist also gleich Null.“ Der Nutzen für die MedizinerInnen ist hingegen hoch. Die 126.764 von 2008 bis 2010 an den Beobachtungsuntersuchungen beteiligten ÄrztInnen erhielten für ihre Arbeit mit den über eine Million PatientInnen im Durchschnitt 19.000 Euro. Zehnmal stellte dabei der Leverkusener Multi den Scheck für „Studien“ mit insgesamt 6.500 Menschen aus. Als Konsequenz aus dem Studium der Unterlagen fordert Transparency nun strengere Auflagen für die Anwendungsuntersuchungen.

Protest gegen SIVANTO
BAYER preist das Pestizid SIVANTO mit dem Inhaltsstoff Flupyradifuron als Alternative zu den bienengefährlichen Substanzen GAUCHO und PONCHO an. SIVANTO zählt zwar nicht wie GAUCHO (Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) zu den Neonicotinoiden, sondern zu den Butenoliden, aber es wirkt wie die beiden Agro-Gifte systemisch und blockiert ebenso wie diese die Reiz-Weiterleitung an den Nervenbahnen. Deshalb bestehen massive Zweifel daran, ob der Stoff wirklich so „bienenfreundlich“ ist, wie der Leverkusener Multi behauptet. So hält Michele Colopy von der Organisation POLLINATOR STEWARDSHIP COUNCIL fest: „Die Forschungsergebnisse weisen vielleicht auf keine akute toxische Wirkung bei der ersten Anwendung hin, aber Zweit- und Drittanwendung zeigen eindeutige Effekte auf die Bienensterblichkeit, das Verhalten, die Brut-Entwicklung sowie Pollen und Nektar.“ Trotzdem erteilten die US-Behörden dem Produkt die Zulassung. Kanada hat noch nicht über eine Genehmigung entschieden, aber im Vorfeld regt sich bereits heftiger Widerstand gegen SIVANTO. HEALTH CANADA, SumOfUs und die „DAVID SUZUKI FOUNDATION“ rufen dazu auf, dem Pestizid kein grünes Licht zu erteilen, und haben eine Kampagne gestartet.

Gen-Soja: TESTBIOTEST kritisiert EU
Die Europäische Kommission entscheidet demnächst über die Einfuhr-Genehmigung von BAYERs Gen-Soja FG72. Dank Manipulationen an ihrem Erbgut übersteht die Laborfrucht Heimsuchungen durch die Pestizide Isoxaflutol und Glyphosat, während Wildkräuter den Agro-Giften erliegen. Bei Isoxaflutol haben die „ZukunftstechnologInnen“ auf einen 20 Jahre alten Inhaltsstoff zurückgegriffen, der ebenso wie sein Pendant Glyphosat im Verdacht steht, Krebs zu erregen. Die Organisation TESTBIOTEST hat die EU wegen dieser Risiken und Nebenwirkungen aufgefordert, eine detaillierte Untersuchung zu den Chemikalien durchzuführen, ehe sie ihre Entscheidung fällt. „Es ist Aufgabe der EU-Kommission, für eine Risiko-Prüfung zu sorgen, die den Anforderungen der EU-Gesetze genügt. Diese basieren auf dem Vorsorge-Prinzip und fordern hohe wissenschaftliche Standards. Die Risiko-Bewertung muss daher auch die gesundheitlichen Auswirkungen von speziellen Mischungen von Spritzmittel-Rückständen einbeziehen“, so der Testbiotestler Christoph Then. Brüssel lehnte seine Forderung jedoch ab.

Warnung vor Testosteron-Mitteln
Mit großer Anstrengung arbeitet der Leverkusener Multi daran, die „Männergesundheit“ als Geschäftsfeld zu etablieren und Hormon-Präparaten wie NEBIDO oder TESTOGEL neue und nur selten zweckdienliche Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. Zu diesem Behufe hat der Pharma-Riese die Krankheit „Testosteron-Mangel“ erfunden und sie zu „männlichen Wechseljahresstörungen“ erhoben. Studien hingegen warnen wegen Nebenwirkungen wie Herzinfarkt, Harntrakt-Schädigungen, Schrumpfung des Hoden-Gewebes, Beeinträchtigung der Zeugungsfähigkeit, Brust-Wachstum, Bluthochdruck, Blutverdickung, Ödeme und Leberschäden vor den Mitteln (siehe auch Ticker 4/15). Ungeachtet dessen verschreiben MedizinerInnen die Pharmazeutika immer häufiger – die Pharma-DrückerInnen von BAYER & Co. machen offenbar ganze Arbeit. Dr. Thomas Vögeli, Leiter der Aachener „Klinik für Urologie“ kritisiert den Umgang mit NEBIDO & Co.: „Es kommen Patienten zu uns, die halbwegs normale Testosteron-Werte haben – und trotzdem von Urologen oder Hausärzten Hormone verabreicht bekommen“, so Vögeli: „Das ist unverantwortlich.“

KAPITAL & ARBEIT

Grenzach: BAYER streicht 200 Stellen
Der Leverkusener Multi vernichtet in seinem Grenzacher Werk 200 der 660 Arbeitsplätze. Der Konzern stellt an dem Standort die Salben BEPANTHOL und BEPANTHEN her und befüllt Fertigspritzen und Injektionsfläschchen für andere Pharma-Unternehmen. Mit ausbleibenden Aufträgen von diesen Fremdfirmen begründet der Pillen-Riese nun die Stellen-Streichungen, die LeiharbeiterInnen ebenso betreffen wie Beschäftigte mit befristeten und unbefristeten Verträgen. „Die Kollegen sind spürbar entsetzt, fassungslos und enttäuscht“, hält der Betriebsratsvorsitzende Armin Schranz fest und kritisiert die Verantwortungslosigkeit des Personals in den Top-Rängen. „Erfahrene Manager, die uns bis dahin geführt haben und die wir eigentlich in diesen schwierigen Zeiten dringend benötigen, verließen uns nach und nach und ließen uns mit unseren Sorgen und Problemen alleine“, so Schranz. Er verweist auch auf die – sich nun als sinnlos erweisenden – Opfer, welche die Belegschaft erbracht hatte, als BAYER die Produktionsstätte im Zuge des Kaufs von ROCHEs „Consumer Health“-Sparte übernahm, und warnt vor weiteren Einschnitten. „Nachdem altgediente Mitarbeiter nach dem Betriebsübergang von ROCHE zur BAYER AG zur Sicherung des Standortes große Verluste der Betriebsrenten-Ansprüche hinnehmen mussten, dürfen weitere Einbußen keinesfalls folgen“, mahnt Schranz. Um das sicherzustellen, will der Betriebsratschef bei den laufenden Verhandlungen mit dem Global Player eine Standortsicherungsvereinbarung durchsetzen.

500 Euro Monatslohn in China
Das Reich der Mitte hält für BAYER viele Standort-Vorteile bereit. So braucht der Leverkusener Multi in der Pharma-Produktion beschäftigten Frauen nur einen Monatslohn von umgerechnet 500 Euro zu zahlen. Auch mit den Sozialleistungen kann sich der Konzern zurückhalten. Mutterschutz gewährt er nur wenige Wochen. Grund genug für den Pharma-Riesen, die Pillen-Produktion in Peking auszuweiten. 100 Millionen Euro investiert er in den Ausbau des dortigen Werkes.

Klagen über Arbeitsverdichtung
Am Wuppertaler Pharma-Standort von BAYER leidet die Belegschaft unter einer massiven Arbeitsverdichtung. „Die Mitarbeiter beklagen die hohe Taktzahlen“, „Man hat nur noch zu funktionieren“, „Bei der Urlaubsabsprache kommt man sich vor wie ein Bittsteller“ – diese Stimmen aus der Produktion zitiert die Wuppertaler BELEGSCHAFTSLISTE, eine Gruppe kritischer Chemie-GewerkschaftlerInnen im Wuppertaler BAYER-Werk. Dem Belegschaftsinfo zufolge lässt der Pillen-Riese Schichten mit zwei statt wie eigentlich vorgesehen mit vier Beschäftigten fahren und bürdet durch die heißlaufenden Maschinen vor allem den SchlosserInnen und dem Kontroll-Personal viele Lasten auf. Darüber hinaus arbeiten Belegschaftsangehörige bis zu 17 Tage ohne Pause durch und häufen Überstunden ohne Ende an. „Hier muss Abhilfe geschaffen werden“, fordert die BELEGSCHAFTSLISTE.

Feine Unterschiede beim Bonus
Von seinem 2014er Rekord-Gewinn gab BAYER mit 420 Millionen Euro auch bisschen was an die 18.200 Tarif-Beschäftigten in der Bundesrepublik weiter. Bei BAYER HEALTH CARE profitierten davon jedoch nicht alle in gleichem Maße. Die in der Produktion arbeitenden Belegschaftsangehörigen erhielten nicht so viel wie diejenigen aus dem Bereich „Forschung & Entwicklung“. „Wieso bekommen unsere Produktionskollegen weniger als ‚Forschung und Entwicklung?“, fragte die im Wuppertaler BAYER-Werk aktive alternative Gewerkschaftsgruppe BELEGSCHAFTSLISTE deshalb kritisch und stellte fest: „Die Kollegen haben sicher nicht weniger zum überragenden Geschäftserfolg beigetragen!“

Neuer Tarifvertrag in Berkeley
Das BAYER-Werk in Berkeley gehört zu den wenigen US-Niederlassungen des Konzerns mit einer organisierten Arbeiterschaft, aus anderen Werken vertrieb der Leverkusener Multi die Gewerkschaften erfolgreich. 2012 hatte es an dem kalifornischen Standort nahe San Francisco noch harte Tarif-Verhandlungen gegeben, die von Solidaritätsaktionen im ganzen Land begleitet waren. 2015 hingegen blieben die großen Auseinandersetzungen aus. Der Konzern einigte sich mit den GewerkschaftlerInnen relativ schnell auf einen neuen Tarif-Vertrag mit 4-jähriger Laufzeit. Offenbar hat sich das Unternehmen mit der Existenz der Beschäftigten-Vertretung abgefunden.

DRITTE WELT

Aus für die „Food Partnership“
Im Jahr 2012 rief der damalige Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel die „German Food Partnership“ (GFP) ins Leben. BAYER, BASF, SYNGENTA und weitere Firmen beteiligten sich an der Kooperation. „Mit ihrem Kapital, vor allem aber ihrem Know-how und ihrer Wertschätzung für Umwelt- und Sozialstandards trägt die Privatwirtschaft ganz wesentlich zu entwicklungspolitischen Fortschritten bei“, so begründete der FDP-Politiker die Zusammenarbeit damals. Der Leverkusener Multi wirkt an dem GFP-Projekt „Better Rice Initiative in Asia“ mit. Er nutzt es als Vehikel, um seinen nach einer agro-industriellen Produktionsweise verlangenden, sich nicht zur Wiederaussaat eignenden Hybrid-Reis zu vermarkten. Zur Erhöhung der Versorgungssicherheit und Stärkung der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen trägt die Unternehmung hingegen nichts bei. Darum kritisierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN die Liasion zwischen dem „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) und der Industrie scharf. Andere Verbände wie OXFAM und FIAN protestierten ebenfalls gegen die Entwicklungshilfe für multinationale Konzerne. Das Engagement hatte jetzt Erfolg. Das BMZ beendet die „German Food Partnership“. Die Reis-Initiative und andere Programme laufen jedoch weiter. Andere Formen dessen, was Niebel einst „Schulterschluss mit der Privatwirtschaft“ nannte, brauchen sich um die Überweisungen aus Berlin auch keine Sorgen zu machen. Die „Neue Allianz für Ernährungssicherung“ von MONSANTO, BAYER & Co., kann sich ebenso nach wie vor über hohe Subventionen freuen wie develoPPP, in dessen Rahmen der Leverkusener Multi an einem Vorhaben zur Behebung der Mangelernährung von afrikanischen Frauen teilnimmt. Und für die „Grünen Innovationszentren“, für die der Agro-Riese in Indien gerade eine Messstation zur Erfassung von Pilz-Sporen baut, gilt das Gleiche.

Kenia: Streit um Parallel-Importe
In manchen afrikanischen Ländern kosten bestimmte Medikamente bis zu 50 Mal mehr als in anderen Staaten auf der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt als Beispiel BAYERs Antibiotikum CIPROFLOXACIN, von dem eine Packung mit 100 Tabletten in Mozambik zu einem Preis von 740 Dollar erhältlich ist, während InderInnen dafür nur 15 Dollar zahlen müssen, weil die Arznei dort Konkurrenz in Form von billigen Nachahmer-Produkten hat. Die WHO hält deshalb die Einfuhr dieser günstigeren Präparate („Parallel-Import“) ausdrücklich für ein legitimes und auch nicht die Regeln der Welthandelsorganisation WTO verletzendes Mittel, um die Medikamenten-Versorgung sicherzustellen. Genau zu diesem Instrument will jetzt das kenianische Gesundheitsministerium greifen, aber die Industrie-Vereinigung „Pharmaceutical Society of Kenya“ sträubt sich dagegen.

POLITIK & EINFLUSS

Konzerne kritisieren Klima-Abkommen
Auf der Pariser Klima-Konferenz kamen die Teilnehmer-Länder überein, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad zu begrenzen. Einen verbindlichen Fahrplan zum Erreichen dieses Zieles haben die Staaten allerdings nicht beschlossen. Aber nicht daran stören sich BAYER & Co. Die Konzerne kritisieren die Vereinbarung, weil diese sie nicht vor den Wettbewerbsnachteilen schützt, die ihnen die aus ihrer Sicht zu ambitionierte Politik der EU auf diesem Gebiet beschert hat. Der Präsident des „Bundesverbandes der deutschen Industrie“, Ulrich Grillo, beklagte die angeblich unfaire Lastenverteilung und forderte ein Klimaschutz-Moratorium. „Es ist jetzt nicht die Zeit, überstürzt über neue EU-, geschweige denn nationale Ziele nachzudenken“, so Grillo. Sein Kollege Holger Lösch aus der BDI-Geschäftsführung leitete aus den Pariser Beschlüssen die Schlussfolgerung ab, „dass Deutschland und Europa auch weiterhin ihre Industrien vor ungleichen Wettbewerbsbedingungen schützen müssen“, und der Hauptgeschäftsführer des „Verbandes der Chemischen Industrie“, Utz Tillmann, wusste dafür sogar schon ein erstes Betätigungsfeld zu nennen. Die Europäische Union dürfe den Unternehmen bei der anstehenden Reform des Emissionshandels keine neuen Auflagen machen, meinte Tillmann.

Offene Bundestagstüren für BAYER
In wichtigen Hauptstädten wie Berlin, Brüssel, Washington und Peking unterhält der Leverkusener Multi so genannte Verbindungsbüros für seine Lobby-Arbeit. Patricia Solaro, welche die Dependance am bundesdeutschen Regierungssitz leitet, beschreibt ihre Tätigkeit allerdings ein wenig anders: „Wir sind Dienstleister für die Politiker, das bedeutet, wir müssen komplexe Sachverhalte aus den Bereichen ‚Pharma‘, ‚Gesundheit‘ und ‚Chemie‘ verständlich darstellen“. Und dazu hat BAYER soviel Gelegenheit wie kaum ein anderes Privat-Unternehmen. Gleich sieben Beschäftigte des Konzerns verfügen über Hausausweise für die Bundestag, nur die Lobby-Agentur EUTOP besitzt mehr. Ausgestellt hat die Dokumente für den Pharma-Riesen ausnahmslos die CDU-Fraktion. Die hatte dann auch ebenso wenig wie die SPD ein Interesse daran, dass die Liste mit den privilegierten Konzernen, Organisationen und Verbänden ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Es war eine Klage des Tagesspiegels nötig, um die Parteien zur Preisgabe der Unterlagen zu zwingen.

Steinmeier preist BAYER & Co.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat für die Neuausgabe des „Lexikons der deutschen Weltmarkt-Führer“ ein Grußwort verfasst und lobt BAYER & Co. darin in den höchsten Tönen. „Der Erfolg deutscher Weltmarkt-Führer speist sich aus mehr als einem ausgeprägten Gespür für Marktchancen und herausragender Innovationskraft. Vernunft, Verantwortung und langfristige Orientierung – das sind die Werte, die das Handeln dieser Unternehmen bestimmen“, schreibt der Sozialdemokrat und schwärmt von seinen Besuchen der Firmen-Standorte im In- und Ausland. Dass es mittlerweile kaum noch einen nicht vorbestraften Dax-Konzern gibt und nicht nur das Sündenregister von BAYER kaum noch zu überblicken ist, ficht ihn dabei nicht an.

Schmidt knickt vor BAYER & Co. ein
Viele TierzüchterInnen verwenden Gentech-Pflanzen als Futtermittel. Darum fordern Gentechnik-GegnerInnen schon seit Langem eine Kennzeichnungspflicht für tierische Produkte, in denen Labor-Früchte von BAYER & Co. stecken. Auch die Bundesregierung bekannte sich in ihrem Koalitionsvertrag zu einer solchen Maßnahme. Jetzt schrieb die Große Koalition das Projekt allerdings ab. Das Vorhaben „finde derzeit keine ausreichende Unterstützung seitens der Europäischen Kommission und der Mitgliedsstaaten“, hieß es kurz und knapp in dem von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt CSU vorgelegten agrarpolitischen Bericht. „Die Bundesregierung betrügt die Bürgerinnen und Bürger, die Gentechnik im Essen und auf den Äckern mehrheitlich ablehnen, ein weiteres Mal“, kritisierte Harald Ebner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Duin im Chemie-Mobil
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) hat eigentlich nichts gegen die gefährliche Kohlenmonoxid-Pipeline, die zwischen den BAYER-Standorten Krefeld und Dormagen verläuft und immer noch ihrer Inbetriebnahme harrt. Er warf dem Leverkusener Multi nur vor, die BürgerInnen bei der Entscheidung nicht eingebunden zu haben. Deshalb mahnte er eine bessere Öffentlichkeitsarbeit an. Frucht dieser Offensive ist nun das Chemie-Mobil des nordrhein-westfälischen „Verbandes der Chemischen Industrie“, das im Herbst 2015 Stadtfeste und Märkte heimsuchte. Der Minister ließ es sich dann auch nicht nehmen, dem Gefährt seine Aufwartung zu machen, für einen Foto-Termin zur Verfügung zu stehen und Zitierfähiges kundzutun. „Die Menschen vor Ort können sich so über die Vielfalt und Bedeutung der Produkte der chemischen Industrie informieren. Das schafft Vertrauen und legt die Basis für ein lebendiges Miteinander“, lobte der Sozialdemokrat die Propaganda-Aktion.

Peking: Kraft besichtigt BAYER-Werk
Auf ihrer China-Reise im Frühjahr 2015 begleitete die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) eine 40-köpfige Delegation mit Wirtschafts-, Wissenschafts- und MedienvertreterInnen. Darunter befand sich auch der BAYER-Vorstand Michael König. Damit nicht genug, stattete Kraft überdies noch BAYERs Pharma-Werk in Peking einen Besuch ab und verlieh der Fertigungsstätte ministrielle Weihen. „Wir sind wirklich beeindruckt, mit welchen Standards hier produziert wird“, ließ sich die Sozialdemokratin vernehmen.

BAYER & Co. fordern Maßnahmen
Mitte März 2015 kamen der „Bundesverband der deutschen Industrie“ und andere Wirtschaftsverbände mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen. Im Vorfeld des Treffens veröffentlichten BAYER & Co. eine lange Wunschliste. Darin forderten die Konzerne Maßnahmen zur Stärkung des Standortes Deutschland durch mehr Investitionen in die Infrastruktur, „Bürokratie-Abbau“ und bessere Anlage-Bedingungen für Wagnis-Kapital. Darüber hinaus klagten die Unternehmen über hohe Strom-Kosten und warnten vor zusätzlichen Belastungen etwa durch die von der EU geplante Neuregelung des Handels mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Statt mit einem „verschärften Ordnungsrecht“ zu operieren, müsse die Energie-Politik Anreize setzen und auf das Prinzip „Freiwilligkeit“ vertrauen, hielten die Multis darüber hinaus fest. Auch ein Wiederaufschnüren des Gesetzes-Pakets mit den Hartz-„Reformen“ verbaten die Firmen sich. „Die Bundesregierung darf die Reform-Uhr auf dem Arbeitsmarkt nicht immer weiter zurückdrehen. Das gilt gerade für die Zeitarbeit und Regulierung von Werk- und Dienstverträgen“, heißt es in der „Gemeinsamen Erklärung“.

BAYER & Co. vs. Hillary Clinton
Hierzulande kritisierte Karl Lauterbach jüngst in seinem Buch „Die Krebs-Industrie“ die Mondpreise für Onkologie-Medikamente scharf. In den USA wächst der Unmut über die hohen Kosten für die Pharmazeutika ebenfalls (siehe SWB 1/16). So protestierten schon PatientInnen-Verbände und ÄrztInnen gegen die Profit-Sucht von Big Pharma. Und kurz nachdem 118 Krebs-ExpertInnen einen Maßnahmen-Katalog zur Reduzierung der Arznei-Ausgaben vorgelegt hatten, veröffentlichte auch Hillary Clinton von der demokratischen Partei einen Plan zur Reduzierung der Renditen nicht nur bei Krebs-, sondern auch bei Alzheimer- und Parkinson-Therapeutika. BAYERs US-amerikanischer Lobby-Verband PhRMA reagierte postwendend und tischte die altbekannten Argumente für die Beibehaltung des lukrativen Status Quos auf: „Secretary Clintons Vorschlag würde die Uhr des medizinischen Fortschritts zurückdrehen und den Fortschritt im Kampf gegen diejenigen Krankheiten bremsen, welche die Menschen am meisten fürchten.“

Steuerbefreiung in Mishawaka
In den USA macht BAYER es sich zur Gewohnheit, vor Investitions- oder Deinvestitionsentscheidungen zu eruieren, ob die Standorte zu Steuer-Reduzierungen bereit sind (siehe auch TICKER 2/15). Mit Mishawaka ging nun erneut eine Gemeinde auf die Erpressung ein. Gegen die Versicherung des Konzerns, 50 bis 60 Arbeitsplätze zu schaffen, stellte die Stadt dem Global Player gehörige Nachlässe in Aussicht. Im ersten Jahr will Mishawaka ihm aller Abgaben erlassen, im zweiten 90 Prozent, anschließend 80 Prozent und so weiter, bis der Leverkusener Multi nach einer Dekade dann wieder normal zahlen muss.

PROPAGANDA & MEDIEN

XARELTO-Kampagne mit Ballack
Da der Gesetzgeber in der Bundesrepublik direkte Werbung für Arzneien nicht gestattet, greift BAYER zu indirekten Methoden. Die Reklame für seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO – allein im Jahr 2014 gingen beim „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ 161 Meldungen über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Mittel ein – tarnt der Leverkusener Multi beispielsweise als Aufklärungskampagne zum Thema „Schlaganfall“. Bereits seit vier Jahren läuft die PR-Aktion „Rote Karte für den Schlaganfall“ mit dem ehemaligen BAYER-Leverkusen-Fußballer Michael Ballack als prominentes Gesicht. Als Kooperationspartner mit dabei: Die PatientInnen-Organisation „Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe“, die dem Global Player den Kontakt zur Zielgruppe sichert.

Große Tierarznei-Verkaufsshow
Bei der Vermarktung von Tier-Arzneien stoßen BAYER & Co. auf noch weniger Grenzen als bei der Verkaufsförderung von humanmedizinischen Produkten. Das nutzen die Unternehmen weidlich aus. So veranstaltete die Branchen-Vereinigung „American Veterinary Medical Association“ im Dezember 2014 eine 4-tägige Messe, die rund 9.000 VeterinärInnen besuchten. Mit freien Mahlzeiten, kleinen, die Freundschaft erhaltenden Geschenken, Rock-Konzerten und anderen Events hielten die Konzerne ihre Kundschaft bei Laune. So bot der Leverkusener Multi einen Magier auf, um einen Vortrag mit „Produkt-Informationen“ einzuleiten und belohnte die ZuhörerInnen anschließend mit einem USB-Ladegerät.

BAYER sponsert Jugend-Agrar-Gipfel
Der Leverkusener Multi investierte in die Zukunft seines Landwirtschaftsgeschäfts und rief deshalb den Jugend-Agrar-Gipfel ins Leben. Gemeinsam mit der JunglandwirtInnen-Organisation „Future Farmers Network“ lud BAYER Ende August 2015 „rund 100 junge Vordenker aus aller Welt“ ins australische Canberra ein, um ihnen nahezubringen, was ein Agro-Riese so unter einer nachhaltigen Acker-Bewirtschaftung versteht.

BAYER sponsert ÄrztInnen-Kongresse
Zur Pflege der medizinischen Landschaft sponsert der Leverkusener Multi auch ÄrztInnen-Kongresse. Im November 2015 „unterstützte“ er nach Informationen der Initiative BIOSKOP den Kongress der „Deutschen Hochdruck-Liga“ zu „Hypertonie und Prävention“ mit 18.000 Euro und die Arbeitstagung der „Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie“ mit 5.000 Euro. Im Oktober konnte sich die „Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Urologen“ über 2.000 Euro freuen, und auch die Veranstaltungen des Geriatrie-Forums und der „European Association of Nuclear Medicine“ bedachte der Leverkusener Multi. Am meisten ließ er sich jedoch den Kongress der „Deutschen Gesellschaft für Neurologie“ (DGN) kosten, der vom 23. bis zum 26. September in Düsseldorf stattfand. Über 180.000 Euro investierte der Konzern hier – gut angelegtes Geld, denn diese Medizin-Gesellschaft zählt zu den einflussreichsten Verfechtern des umstrittenen BAYER-Gerinnungshemmers XARELTO. So widersprach die DGN ausdrücklich der XARELTO-Kritik der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ und empfiehlt das Medikament in seinen Leitlinien.

BAYER sponsert Fortbildungen
Der Gesetzgeber verpflichtet die MedizinerInnen darauf, ihre Kenntnisse ständig zu erweitern. Die betreffenden Fortbildungsmaßnahmen unterliegen allerdings dem Einfluss von BAYER & Co. 60 bis 70 Prozent der Angebote finanziert Big Pharma. Der Leverkusener Multi arbeitet dabei besonders eifrig daran, das Wissen der ÄrztInnen über seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO zu mehren und bietet zu diesem Behufe Veranstaltungen wie „ThromboVision 2015“ und Vorträge wie „Die neuen Antikoagulantien im perioperativen Umfeld“ an. Eigentlich müssten die ÄrztInnenkammern prüfen, ob ihre KollegInnen bei solchen Gelegenheiten der unrechtmäßigen Einflussnahme von BAYER & Co. unterliegen, aber den Standes-Organisationen reicht meist die unverbindliche Erklärung der AusrichterInnen, es würden keine kommerziellen Interessen verfolgt. „Solche Formen der Fortbildung müssten verboten werden“, fordert TRANSPARENCY INTERNATIONAL deshalb. Das dürfte jedoch kaum geschehen, obwohl die Bundesregierung gerade ein Paragrafen-Werk zur Unterbindung der Korruption im Gesundheitswesen vorbereitet. Dieses hat nämlich nur Käuflichkeit durch Bestechung im Blick, nicht aber die indirekteren Wege, die MedizinerInnen auf Konzern-Kurs zu bringen, wie sie z. B. Vorteilsgewährungen eröffnen. Christiane Fischer von der ärztlichen Antikorruptionsinitiative MEIN ESSEN ZAHLE ICH SELBST beklagt diese Gesetzeslücke: „Der größte Teil der Korruption im Gesundheitswesen läuft über Vorteilsnahme und Vorteilsgabe.“

VDMJ verleiht BAYER-Preis
Der Leverkusener Pillen-Riese versucht, Medizin-JournalistInnen an sich zu binden. Zu diesem Behufe kooperiert er mit dem „Verband Deutscher Medizin-Journalisten“ (VDMJ) und lobt mit ihm gemeinsam den „Deutschen Medizinjournalisten-Preis“ aus. 2014 ging die Auszeichnung an Andreas Wenderoth für einen Artikel über einen Demenz-Kranken.

TIERE & ARZNEIEN

Falsche Antibiotika-Statistik
Ende März 2015 vermeldete das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ (BVL): „Antibiotika-Abgabe in der Tiermedizin sinkt weiter.“ Das war an sich schon eine fragwürdige Aussage. Da die Präparate nämlich immer effektiver wirken, sagen die nackten Zahlen nur wenig aus: Während eine Tonne des Alt-Antibiotikums Tetracyclin gerade einmal für 39.000 Mastschweine langt, vermögen die LandwirtInnen mit einer Tonne von BAYERs BAYTRIL 2,2 Millionen Tiere zu versorgen. Jetzt aber kommen noch mehr Zweifel an den Angaben auf, denn die BVL-Statistik weist beträchtliche Lücken auf. Sie erfasste längst nicht alle Betriebe; allein aus Baden-Württemberg fehlen Daten von mehr als der Hälfte aller Tier-Fabriken. Und die Behörde setzte diese Leerstellen einfach mit Null gleich und verbuchte sie unter „kein Antibiotika-Verbrauch“, was das Bild natürlich entsprechend verzerrte. „Wir brauchen hier einen ganz schnellen Neustart, mit diesen Zahlen können wir überhaupt nichts anfangen“, forderte der agrar-politische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, deshalb.

Viele Antibiotika-Überdosen
Ein 2014 erlassenes Gesetz schreibt MassentierhalterInnen vor, den Behörden ihre Antibiotika-Gaben zu melden. In Niedersachsen lag der Verbrauch von BAYTRIL & Co. in 6.000 von 21.000 Betrieben so hoch, dass die UnternehmerInnen einen Reduktionsplan erstellen mussten.

Antibiotika-Zahlen bleiben geheim
Die Bundesregierung hat die MassentierhalterInnen 2014 per Gesetz angewiesen, den Behörden Zahlen über ihre Antibiotika-Gaben zu liefern (s. o.). Das Bundeslandwirtschaftsministerium möchte die Daten allerdings unter Verschluss halten. Es hat die Landesregierungen angewiesen, ParlamentarierInnen und JournalistInnen die entsprechenden Informationen nicht zur Verfügung zu stellen. Offenbar fürchtet Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) die Wahrheit über die Medikamenten-Exzesse in den Ställen und über ZüchterInnen, die sich der Meldepflicht entziehen. Peter Sauer von der Initiative ÄRZTE GEGEN MASSENTIERHALTUNG schätzte das ähnlich ein: „Da drängt sich der Verdacht auf, dass es etwas zu verbergen gibt.“

Zulassung für ZELNATE
Im Jahr 2008 hatte BAYER von JUVARIS BIOTHERAPEUTICS die Lizenz zur exklusiven Nutzung einer Immun-Therapie im Veterinär-Bereich erworben. Sieben Jahre später erhielt der Leverkusener Multi in den USA die Genehmigung für die Vermarktung des auf dieser Basis entwickelten Immun-Stimulans ZELNATE. Das Präparat soll bei Rindern mit Atemwegserkrankungen begleitend zu Antibiotika zum Einsatz kommen und so helfen, die Gaben dieser umstrittenen Mittel (s. o.) zu reduzieren.

DRUGS & PILLS

Immer noch viele YASMIN-Rezepte
Frauen, die drospirenon-haltige Pillen wie BAYERs YASMIN zur Empfängnis-Verhütung nehmen, tragen im Vergleich zu solchen, die levonorgestrel-haltige Kontrazeptiva bevorzugen, ein bis zu dreimal so hohes Risiko, eine Thromboembolie zu erleiden. Trotzdem verschreiben die MedizinerInnen diese Mittel nach wie vor häufig, wie aus dem „Statusbericht zu oralen Kontrazeptiva“ der Techniker Krankenkasse hervorgeht. Von AIDA setzte der Leverkusener Multi 2014 155.000 Packungen ab; in der Liste der meistverordneten Kontrazeptiva belegt das Präparat damit Platz 26. Von YAZ verkauften sich 153.000 Einheiten (Rang 27), von YASMINELLE 124.000 (34) und von YASMIN 104.000 (37). BAYERs MAXIM mit dem Wirkstoff Dienogest, der die Thromboembolie-Gefahr für die Frauen im Vergleich zu Levonorgestrel um den Faktor 1,7 erhöht, führt die Liste an. Über zwei Millionen Mal ging das Produkt über die Apotheken-Ladentische. „Die Markt-Dominanz der Pillen mit dem höheren Risiko ist ein Beispiel dafür, dass wir noch nicht verstehen, wie Risiko-Kommunikation wirksam funktioniert. Und andererseits scheint es effektive Strategien zu geben, diese Risiken geringfügig erscheinen zu lassen“, hält die Krankenkasse dazu mit Verweis auf die Marketing-Methoden von BAYER & Co. fest. Dagegen hebt sie positiv das Vorgehen der französischen Behörden hervor, welche die Kosten für die besonders gefährlichen Verhütungsmittel nicht mehr erstatten, was zu einem Rückgang der Lungenembolie-Fälle bei Frauen um bis zu 27,9 Prozent führte.

Neue Tests mit ADEMPAS
Bisher haben die Behörden BAYERs ADEMPAS zur Behandlung der beiden Lungenhochdruck-Krankheiten CTEPH und PAH zugelassen. Der Leverkusener Multi will jedoch die Indikationen erweitern und hat mit der klinischen Erprobung des Mittels zur Therapie von Kindern mit Lungenhochdruck begonnen. Und obwohl das Fach-Magazin Arzneimittelbrief die therapeutischen Effekte schon bei dieser Krankheit nur als „marginal“ bewertet, hält der Konzern zusätzlich noch nach ganz anderen Anwendungsgebieten Ausschau. So testet er ADEMPAS gerade als Arznei gegen die systemische Sklerose, eine Autoimmun-Krankheit. Und darüber hinaus beabsichtigt er, das Pharmazeutikum bei Herz-Insuffizienz und Schädigungen der Niere in Anschlag zu bringen.

ALEVE: Mehr Warnhinweise
Entzündungshemmende Schmerzmittel wie BAYERs ALEVE (Wirksubstanz: Naproxen) steigern das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere Herz-Kreislauf-Krankheiten mit möglicher Todesfolge. Darum mussten die Hersteller die Packungen auch mit entsprechenden Warnhinweisen versehen. Der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde „Food and Drug Administration“ (FDA) reichte das jedoch noch nicht. Neuere Studien, die das Gefährdungspotenzial der Mittel noch einmal höher einschätzen, bewogen die FDA dazu, die Pharma-Riesen aufzufordern, die von ALEVE & Co. ausgehenden Gefahren noch deutlicher als bisher herauszustellen.

Prophylaxe mit ASPIRIN gefährlich
In den USA schlucken fast 40 Prozent der Menschen über 50 Jahre ASPIRIN, um damit Herzinfarkten und anderen Gesundheitsschädigungen vorzubeugen. Diese Zahl alarmiert MedizinerInnen, weil die prophylaktische Wirkung mit einer größeren Gefahr von Blutungen erkauft ist. Sie empfehlen die regelmäßige Einnahme von ASPIRIN nur Personen zwischen 50 und 59 mit einem erhöhten Risiko für Herz/Kreislaufkrankheiten. Dies- und jenseits dieser Altersgrenze überwiegen den WissenschaftlerInnen zufolge die Nachteile. Auch den Einsatz des „Tausendsassas“ zur Verhinderung von Krebs empfehlen die ForscherInnen nicht. Sie halten die Untersuchungen, die entsprechende ASPIRIN-Effekte nahelegten, für nicht belastbar. „Die beschriebene Wirkung war ein Zufallsfund aus Studien, in denen es eigentlich um Herz/Kreislauf-Leiden ging“, relativiert Bernd Mühlbauer von der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ das Ergebnis einer dieser Arbeiten: „Der unabhängige Befund, dass ASPIRIN vor Krebs schützt, steht noch aus.“

Deutlichere CIPROBAY-Warnhinweise
Die Liste der Nebenwirkungen von BAYERs Antibiotikum CIPROBAY ist lang. Die Arznei aus der Substanzklasse der Fluorchinolone kann unter anderem Sehnen-Entzündungen, Sehnenrisse, die Autoimmun-Krankheit „Myasthenia gravis“, Netzhaut-Ablösungen, die Herzstörung „QT-Syndrom“ und Nervenleiden wie die periphere Neuropathie auslösen. Der Leverkusener Multi muss diese Gegen-Anzeigen zwar auf den Medikamenten-Schachteln bzw. im Beipackzettel aufführen, aber das reichte der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA nicht. Nach einer Anhörung mit ExpertInnen und PatientInnen beschloss die Einrichtung, BAYER zu deutlicheren Formulierungen zu veranlassen. Nicht wenige MedizinerInnen votierten sogar dafür, in einigen Fällen zur höchsten Alarmstufe, der „Black Box Warning“, zu greifen. Zudem übersteigt nach Meinung des Gremiums das Risiko von CIPROBAY und anderen Fluorchinolonen in manchen Anwendungsbereichen den Nutzen. Deshalb plädierte es dafür, die Mittel für Indikationen wie Nasennebenhöhlen-Entzündungen (s. u.), Blaseninfektionen und bakterien-induzierte chronische Bronchitis nicht länger zuzulassen.

CIPROBAY hilft nicht bei Sinusitis
CIPROBAY und andere Medikamente aus der Substanzklasse der Fluorchinolone helfen nicht bei der Behandlung von Nasennebenhöhlen-Entzündungen. Das ergab eine Auswertung von neun Studien mit insgesamt 2.547 Sinusitis-PatientInnen. CIPROBAY & Co. brachten nicht nur das Kunststück fertig, weniger zu helfen als Placebos, sie malträtierten nicht wenige ProbandInnen überdies noch mit gefährlichen Nebenwirkungen (s. o.).

Mehr Antibiotika, mehr Resistenzen
Einer neuen Untersuchung zufolge nimmt der Antibiotika-Verbrauch weltweit zu und damit auch die Anzahl der Krankheitserreger, die Resistenzen gegen die Mittel herausbilden. Zwischen 2000 und 2010 erhöhte sich der Absatz von 50 auf 70 Milliarden Einheiten – eine Steigerung von über 30 Prozent. Das „Center for Disease Dynamics, Economics & Policy griff für die Studie „The State of World’s Antibiotics 2015“ auf Daten aus 71 Staaten zurück und beobachtete gerade auch in Entwicklungs- und Schwellenländern hohe Steigerungsraten. BAYERs CIPROBAY profitiert sehr von dem Boom und ist dementsprechend auch für dessen Kehrseite verantwortlich: Das Präparat kann einer immer größeren Zahl von Bakterien nichts mehr anhaben. In Uganda, Tansania und Ghana zeigt es sich etwa wirkungslos gegen den Keim Neisseria gonorrhoeae, Auslöser der Geschlechtskrankheit Gonorrhoe. Gegen in Geflügel nachgewiesene Krankheitserreger kommt das Pharmazeutikum ebenfalls kaum noch an, denn sein veterinär-medizinisches Pendant BAYTRIL findet in allzu vielen Ställen der Fleisch-Industrie Anwendung. Gegen Salmonellen versagte CIPROBAY in 10 bis 98 Prozent der Fälle, gegen den Campylobacter spp in 55 bis 69 Prozent der Fälle und gegen Escherichia coli in 56 Prozent der Fälle. Befällt dieses Bakterium Schweine, so muss die Arznei in 31 Prozent der Fälle kapitulieren. Gegen E.coli-Isolate aus Rindern richtete es in 36 Prozent der Fälle nichts mehr aus und gegen solche aus Hühnern in 19 bis 28 Prozent der Fälle. So vermögen E.coli & Co. dann über den Fleischverzehr ungestört in den menschlichen Organismus zu gelangen und dort Krankheiten auszulösen, gegen die kein Kraut mehr gewachsen ist. Ein WissenschaftlerInnen-Team von der Princeton University um die Humanbiologin Aude Teillant hat diesen Zusammenhang genauer analysiert. Wenn prophylaktisch zum Einsatz kommende Antibiotika zehn Prozent ihrer Wirksamkeit einbüßen, wächst die Zahl der Infektionen um 40.000 und die der Todesfälle um 6.300. Verlieren die Präparate gar 70 Prozent ihrer Durchschlagskraft, nimmt die Zahl der Infektionen um 280.000 und diejenige der Todesfälle um 15.000 zu.

Marketing-Nebenwirkung „Resistenzen“
Die aggressive Vermarktung von Antibiotika hat der BUKO PHARMA-KAMPAGNE zufolge einen großen Anteil an der Ausbreitung von Resistenz-Bildungen. So bewirbt der Leverkusener Multi etwa sein Produkt AVELOX in MedizinerInnen-Zeitschriften mit dem Slogan „Verlieren Sie keine Zeit, wenn Sie Atemwegsinfektionen bei Erwachsenen behandeln“, obwohl der zur Gruppe der Fluorochinolone gehörende Wirkstoff Moxifloxacin zu den Reserve-Antibiotika zählt. Diese sollten eigentlich nur zum Einsatz kommen, wenn andere Substanzen versagen. Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern finden AVELOX & Co. reißenden Absatz. In Mexiko beispielsweise unterliegen die Präparate nicht der Verschreibungspflicht, weshalb Apotheken schon in ihren Schaufenstern für BAYERs Fluorochinolon-Therapeutikum CIPROBAY und andere Mittel Reklame machen. Und in Indien kritisieren WissenschaftlerInnen die gängige Praxis der ÄrztInnen, bereits bei Durchfall Rezepte für Antibiotika auszustellen.

BAYER vermarktet neues Antibiotikum
Im Jahr 2011 erwarb BAYER von dem Unternehmen TRIUS die Vermarktungsrechte an dem Antibiotikum Tedizolid für die Regionen Asien, Afrika, Lateinamerika und Mittlerer Osten. Unter dem Produktnamen SIVEXTRO will der Leverkusener Multi die Substanz künftig als Mittel gegen das MRSA-Bakterium in Umlauf bringen. Darüber hinaus testet der Pharma-Riese den Wirkstoff gemeinsam mit MERCK & Co. als Therapeutikum gegen eine bestimmte Art von Lungenentzündung.

Zweifel an XARELTO-Tests
Die Zuverlässigkeit der Tests, mit denen der Leverkusener Multi eine Zulassung für seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO erlangt hat, steht in Zweifel, wie das Handelsblatt berichtete. Nach Angaben der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA benutzten die WissenschaftlerInnen bei den Klinischen Prüfungen ein defektes Gerät zur Bestimmung der Gerinnungswerte der ProbandInnen, was die Ergebnisse verzerrte. Nach dem Erscheinen des Artikels verlor die BAYER-Aktie sofort drei Prozent an Wert und sackte damit so tief wie kein anderes Papier an diesem Tag. In einer umgehend veröffentlichten Erklärung verwies der Pharma-Riese auf Kontroll-Untersuchungen mit einem anderen Monitor-System, das die ursprünglichen Resultate angeblich bestätigte. Trotzdem überprüfen jetzt sowohl die EMA als auch ihr US-Pendant FDA die vom Global Player eingereichten Unterlagen. „BAYER arbeitet eng mit den Gesundheitsbehörden zusammen, um mögliche Fragen zu klären“, heißt es dazu aus der Konzern-Zentrale. Mit welchen Risiken die Einnahme des Präparats verbunden ist, belegen Zahlen des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte“. Es erhielt allein im Jahr 2014 161 Benachrichtigungen über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Mittel; insgesamt erfolgten rund 2.000 Meldungen wegen unerwünschter Pharma-Effekte.

XARELTO: schwankende Gerinnungswerte
In den Klinischen Prüfungen zeigte sich BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO dem altgedienten Marcumar nicht überlegen. Deshalb wirbt der Leverkusener Multi mit den praktischen Vorteilen der Arznei wie dem Wegfall der regelmäßigen Blutgerinnungsmessung. Aber selbst damit ist es nicht weit her. So räumte ein Konzern-Wissenschaftler gegenüber dem Handelsblatt ein, dass die Gerinnungswerte unter XARELTO eine erhebliche Schwankungsbreite aufweisen. Wegen des damit verbundenen Blutungsrisikos lässt das Kontrollen dringend angeraten erscheinen. Erst später relativierte der BAYER-Mediziner seine Aussage wieder – es habe ein „Irrtum“ vorgelegen.

BAYER nutzt AMNOG-Lücke aus

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Nach dem Arzneimittel-Neuverordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 müssen neue Medikamente eine Kosten/Nutzen-Prüfung durchlaufen. Schaffen die Arzneien es dann in diesem Prozess, ihre Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Pharmazeutika unter Beweis zu stellen, können die Hersteller in den Verhandlungen mit den Krankenkassen einen besonders hohen Preis für die Präparate verlangen. Gelingt es den Medikamenten hingegen nicht, den Nachweis über ihre besondere Qualität zu erbringen, so haben sich die Therapie-Kosten an denjenigen zu orientieren, welche die bislang verfügbaren Produkte verursachen. Viele Konzerne geben sich von vornherein mit der zweiten Option zufrieden, weil ihnen auch der Normalpreis ein gutes Auskommen sichert. Deshalb legen sie es gar nicht darauf an, einen Zusatznutzen bestätigt zu bekommen, und reichen dem „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) unvollständige Dossiers ein oder verzichten ganz auf Dokumente aus klinischen Tests. So ging BAYER beispielsweise bei dem Magenkrebs-Mittel STIVARGA mit dem Wirkstoff Regorafenib vor. Der Global Player rechtfertigte sein Vorgehen zu allem Überfluss auch noch mit ethischen Motiven. STIVARGA hätte in den Versuchen so gut angeschlagen, dass die MedizinerInnen es den Kranken aus der Placebo-Gruppe nicht vorenthalten wollten und die Versuche vorzeitig abbrachen. Deshalb konnten aber leider keine Aussagen über den Zusatznutzen mehr erhoben werden. Ein fadenscheiniges Argument, das auch andere Konzerne gerne nutzen, um neue Arzneien auf den Markt schleusen, die keinen echten Vorteil für die PatientInnen bieten. Darum wächst auch die Kritik an diesem Schlupfloch des Arzneimittel-Neuverordnungsgesetzes. „Falls das AMNOG ernst gemeint ist, müsste es eine Verpflichtung geben, Dossiers abzugeben“, sagt etwa Wolfgang Becker-Brüser von der industrie-unabhängigen Fachzeitschrift arzneimittel-telegramm. Die Große Koalition sieht jedoch aktuell keinen konkreten Handlungsbedarf. Aber die Bundesregierung beobachte die Vorgänge aufmerksam und werde die Initiative ergreifen, sollte sie „zu der Überzeugung kommen, dass eine gesetzliche Änderung erforderlich ist“, wie es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ heißt.

BAYER nutzt AMNOG-Lücke aus

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Der Leverkusener Multi profitiert noch von einer weiteren Lücke des Arzneimittel-Neuverordnungsgesetzes (AMNOG). Diese tat sich mit dem Regierungswechsel 2013 auf. Die neu an die Macht gekommene Große Koalition beschloss nämlich, schon länger zugelassene Medikamente von einer Kosten/Nutzen-Bewertung auszunehmen und den entsprechenden AMNOG-Passus zu streichen. Ulrike Faber, die als PatientInnen-Vertreterin an den Überprüfungen der Arzneien teilnimmt, kritisierte diese Verschonung des Bestandsmarkts gerade auch im Hinblick auf die Gerinnungshemmer XARELTO (Wirkstoff: Rivaroxaban) von BAYER und PRADAXA (Wirkstoff: Dabigatran) von BOEHRINGER. „Ebenso skandalös ist die Nichtbewertung der neuen oralen Antikoagulantien (Dabigatran, Rivaroxaban) – bei explodierenden Verordnungszahlen, extremen Kosten und nicht bewertetem Zusatznutzen“, schrieb sie in der vom VEREIN DEMOKRATISCHER ÄRZTINNEN UND ÄRZTE herausgegebenen Zeitschrift Gesundheit braucht Politik.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Immer mehr Pestizide
Die Agro-Riesen setzen immer mehr Pestizide ab. Global stiegen ihre Umsätze im Jahr 2014 um 4,5 Prozent auf 56,7 Milliarden Dollar. In der Bundesrepublik konnten die Konzerne sogar einen Zuwachs von 6,2 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro verzeichnen. BAYERs Ackergift-Geschäft lag dabei noch über dem Schnitt. Das Unternehmen nahm in diesem Segment mit 6,6 Milliarden Euro 7,2 Prozent mehr ein als 2013.

Neonics-Teilverbote ohne Wirkung
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie die BAYER-Wirkstoffe Imidacloprid (GAUCHO) und Clothianidin (PONCHO) haben einen erheblichen Anteil am weltweiten Bienensterben. Darum erfolgten auf nationaler Ebene 2008 und EU-weit Ende 2013 Anwendungsbeschränkungen. Gebracht haben die Maßnahmen jedoch kaum etwas, wie eine Kleine Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ergab (siehe SWB 1/16). Die Verbrauchsmengen gingen nämlich nicht zurück. Das „Bundesministerium für Landwirtschaft“ begründete das gegenüber der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wie folgt: „Die Absatzmengen von Neonicotinoid-Wirkstoffen umfassen die in Deutschland abgegebene Menge aller Neonicotinoid-Wirkstoffe und damit mehr Wirkstoffe, als die auf EU-Ebene Verordnung (EU) Nr. 485/2013 verbotenen Wirkstoffe Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. In Deutschland sind zwar die Anwendungen als Saatgut-Behandlungsmittel bei bienen-attraktiven Kulturen und die Anwendungen im nicht-beruflichen Anwender-Bereich verboten und die Zulassungen entsprechend eingeschränkt, diese Anwendungsbereiche fallen mengenmäßig jedoch weit weniger ins Gewicht als z. B. Wirkstoffe in Spritz-Anwendungen.“ Die CBG forderte die verantwortlichen Stellen deshalb auf, bei der demnächst anstehenden EU-Entscheidung über die weitere Zukunft von GAUCHO & Co. die Konsequenzen aus diesem Befund zu ziehen und die Neonicotinoide komplett zu verbieten.

Neonics gefährden nicht nur Bienen
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie die BAYER-Produkte GAUCHO und PONCHO (s. o.) gefährden nicht nur Honigbienen, sondern auch andere Tiere. Darauf hat jetzt die EASAC, das von den Wissenschaftsakademien der EU-Staaten gebildete BeraterInnen-Gremium, hingewiesen. Mehrere Studien, die Gefahren für Hummeln, Wildbienen, Schmetterlinge und Nachtfalter durch GAUCHO & Co. ausgemacht hatten, bestätigen diese Einschätzung der EASAC.

Propaganda-Studie zu GAUCHO & Co.
Professor Harald von Witzke, der an der Berliner Humboldt-Universität einen Lehrstuhl für „Internationalen Agrarhandel und Entwicklung“ innehat, gründete 2009 den Thinktank „Humboldt Forum for Food and Agriculture e. V. (HFFA), dabei geschickt auf den Renommee-Transfer durch den Namen Humboldt setzend. Zu den Partnern des Forums zählen BAYER, BASF, NESTLÉ, E.ON und KWS SEED – und so sehen die Expertisen der Denk-Fabrik dann auch aus. Witzke greift den Agro-Multis nämlich bevorzugt mit Untersuchungen unter die Arme, die es dann unter Überschriften wie „Studie belegt Wohlstandsgewinn durch moderne Landwirtschaft“ in die Presse schaffen. BAYER erteilt dem HFFA da natürlich gerne Aufträge. Jüngst bestellte der Leverkusener Multi beim Forum eine Ehrenrettung der als bienengefährlich verschrienen Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide, zu der unter anderem die BAYER-Produkte PONCHO und GAUCHO gehören. Nach Meinung des Pestizid-Experten Lars Neumeister unterliefen dem HFFA dabei allerdings jede Menge Fehler. Nicht weniger als 15 Punkte umfasst seine Mängelliste. So belegten die Autoren etwa ihre These, das Verbot von PONCHO & Co. würde zu Ernte-Verlusten in Höhe von bis zu 23 Milliarden Euro führen, nicht mit empirischem Material. Zudem arbeiteten sie mit unrealistischen Modellen und nahmen die wissenschaftliche Literatur zum Thema nur unzureichend zur Kenntnis. Als „Corporate science fiction“ bezeichnet Neumeister die Arbeit deshalb.

Leverkusener Bienensterben
2014 verendeten in Leverkusen, nicht weit entfernt von den Pestizid-Versuchsfeldern des Agro-Multis, Millionen Bienen. Als Todesursache stellten die Behörden dann auch zweifelsfrei BAYERs Ackergift Clothianidin fest. Aber einen Zusammenhang zwischen den Feldversuchen des Konzerns und den verendeten Bienenvölkern konnte das beauftragte Labor dann überraschenderweise nicht ausmachen, obwohl AugenzeugInnen noch unmittelbar vor dem großen Sterben einen massiven Spritz-Einsatz beobachtet hatten. Auf eine kritische Nachfrage hin stritten die WissenschaftlerInnen jedoch einseitige Untersuchungsmethoden ab. Man empfinde BAYER gegenüber keine Loyalität, sei unabhängig und hätte sorgfältig getestet, hieß es.

Glyphosat schädigt Darmflora
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat, der hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz kommt, aber auch in BAYER-Mitteln wie GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE enthalten ist, gilt als gesundheitsgefährdend. So hat die Weltgesundheitsorganisation die Substanz im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Darüber hinaus schädigt der Stoff nach Forschungen von Stefanie Seneff und Anthony Samsel das Immunsystem. Er hemmt die Produktion von CYP-Enzymen, die im Zusammenspiel mit der Darmflora eine wichtige Rolle bei Entgiftungsprozessen spielen. Den WissenschaftlerInnen zufolge kann das nicht nur zu Krebs, sondern auch zu Herz-Krankheiten, Depressionen, Diabetes, Alzheimer und Unfruchtbarkeit führen.

Glyphosat schädigt Lungen
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat (s. o.) kann bei Kindern Schädigungen der Atemwege und der Haut hervorrufen. Zu diesem Ergebnis kommt eine argentinische Studie. Die WissenschaftlerInnen verglichen den Gesundheitszustand von 50 Kindern in ländlichen Regionen, wo auf den Feldern viel Glyphosat zum Einsatz kommt, mit demjenigen von 25 AltersgenossInnen, die in Städten aufwachsen. Das Resultat: Die Landkinder litten deutlich öfter an Atemwegsbeschwerden und Hautkrankheiten.

PAN dokumentiert Abdrift-Fälle
Wenn LandwirtInnen Pestizide ausbringen, dann bleiben die Stoffe nicht einfach auf den Feldern. Der Wind trägt sie teilweise weit fort. Abdrift nennen WissenschaftlerInnen dieses Phänomen, das bei den AnrainerInnen der Äcker oft zu gesundheitlichen Problemen führt. Das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) dokume

Bluter

CBG Redaktion

Film bis 1. Januar hier in der Mediathek ansehen

Presse Info vom 2. Dezember 2015

ARD, 20.15 Uhr: TV-Film zum Bluter-Skandal

„Industrie hat HIV-Infektionen billigend in Kauf genommen“

Die ARD sendet heute um 20.15 Uhr den Film „Unter der Haut“, der sich mit der HIV-Infektion Tausender Bluter in den achtziger Jahren befasst. Weltmarktführer für Gerinnungshemmer zu diesem Zeitpunkt war der deutsche BAYER-Konzern, der rund die Hälfte der Infektionen verursachte. Weitere wichtige Hersteller waren die Firmen Baxter und Alpha. Die Firmen kannten das Risiko, setzten den Verkauf der Präparate jedoch über Jahre hinweg fort.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Es ist zu begrüßen, dass der Film das Leid der Opfer veranschaulicht und die Rolle der Industrie kritisch beleuchtet. Die firmeninternen Warnungen vor einer Epidemie, die Einschüchterung von Kritikern, die Exporte unbehandelter Chargen nach Asien – all das hat es wirklich gegeben. Schade, dass wie schon beim ZDF-Film „Blutgeld“ vor zwei Jahren der BAYER-Konzern nicht beim Namen genannt wird. Offenbar müssen selbst die öffentlich-rechtlichen Sender vor den Rechtsabteilungen der Konzerne zittern“. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren, die seit über 25 Jahren mit den Geschädigten kooperiert, hat die Recherchen zu dem ARD-Film unterstützt.

Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags war 1994 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mehrzahl der Infektionen hätte verhindert werden können, da seit 1982 alle notwendigen Erkenntnisse über HIV vorlagen. Auch existierten Sterilisierungsverfahren, um die Blutkonserven von Viren zu befreien. Aus Profitgründen widersetzte sich die Industrie jedoch der Umstellung ihrer Produktion und der Vernichtung ungetesteter Präparate.

Die BAYER-Tochterfirma Cutter benannte das Risiko in firmeninternen Memos frühzeitig, verzichtete jedoch aus Kostengründen auf den Einsatz der Sterilisierungsverfahren. Darüber hinaus überzeugte Cutter die übrigen Hersteller, ebenfalls von einem Wechsel auf sicherere Verfahren abzusehen, und erreichte bei den Behörden, solche nicht verbindlich vorzuschreiben (dies führte 1994 zur Schließung des Bundesgesundheitsamts). Noch nach dem Verbot unbehandelter Blutprodukte in Europa und den USA exportierte Cutter übrig gebliebene Chargen nach Lateinamerika und Asien und verursachte damit wissentlich den Tod zahlreicher Bluter.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert Entschädigungen für die Opfer und ihre Hinterbliebenen, eine strafrechtliche Verfolgung der Konzern-Verantwortlichen sowie eine Übernahme der vollen Behandlungskosten durch die Firmen. „Die Verursacher der Infizierung Tausender Bluter profitieren bis heute vom Verkauf teurer Plasma-Medikamente und wälzen gleichzeitig die Behandlungskosten der von ihnen geschädigten Bluter auf die Allgemeinheit ab“, so Mimkes weiter. BAYER machte im vergangenen Jahr allein mit dem Bluter-Präparat Kogenate einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro.

Hintergründe zum Aids/Bluter-Skandal

[Dormagen] Carl Duisberg

CBG Redaktion

Presse Info vom 20. November 2015

Umbenennung der Carl Duisberg-Straße in Dormagen:

„Stadtrat muss Farbe bekennen“

Der Dormagener Planungs- und Umweltausschuss konnte sich in seiner Sitzung am Dienstag zu keiner Entscheidung über den Umgang mit belasteten historischen Personen durchringen. Stattdessen sollen die Anwohner der Carl-Duisberg-Straße und der Hindenburgstraße selber über eine mögliche Umbenennung entscheiden. Sowohl die Grünen als auch die Piraten hatten einen Antrag auf Namensänderung gestellt.

Vor der Debatte hatte der Kreisarchivar eine detaillierte Stellungnahme zum Leben Carl Duisbergs erstellt. Darin werden einige positive Aspekte wie „soziale Akzente“ sowie Duisbergs Unterstützung der Wissenschaft genannt. Ausführlich werden jedoch auch die Aspekte, die zur Forderung nach einer Umbenennung führten, dokumentiert - insbesondere Duisbergs Unterstützung für rechtsextreme Parteien, seine Forderung nach einem Einsatz von Zwangsarbeiter/innen (gerade auch in Dormagen) sowie seine Verantwortung für die Verwendung chemischer Kampfstoffe. Unter Duisbergs Leitung war die Firma BAYER zudem zum größten Sprengstoff-Produzenten Deutschlands aufgestiegen.

Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Duisberg ist ein klassischer Kriegsgewinnler, der für den mörderischen Verlauf des 1. Weltkriegs mitverantwortlich ist. Die Dormagener Stadtspitze sollte ein Zeichen setzen und sich für eine Namensänderung einsetzen. Stattdessen hofft sie offenbar, dass die Anlieger den Antrag wegen der damit verbundenen Unannehmlichkeiten ablehnen werden. Nun muss der Stadtrat Farbe bekennen und eine Umbenennung beschließen.“ Mimkes schlägt vor, dass die Stadt den Anwohnerinnen und Anwohnern alle Gebühren erlässt, die mit einer Umbenennung verbunden sind, zum Beispiel bei der Beschaffung neuer Ausweispapiere.

Andere Städte zeigten mehr Geschichtsbewusstsein als Dormagen. So hatten die politischen Gremien in Dortmund und Lüdenscheid Ende letzten Jahres beschlossen, die örtlichen Carl Duisberg-Straßen umzubenennen.

Hintergrund
=> Im 1. Weltkrieg entwickelte Carl Duisberg Giftgase wie „Grünkreuz“ und „Senfgas“, testete diese erstmals an der Front und verlangte vehement ihren Einsatz. Die Firma BAYER baute er zum größten deutschen Sprengstoff-Produzenten um.

=> Gegenüber den Generälen Hindenburg und Ludendorff beklagte Duisberg den Mangel an Arbeitskräften und forderte mit dem Ausspruch „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“ den Einsatz von Zwangsarbeitern. Das Reichsamt des Inneren griff Duisbergs Vorschlag auf und ließ zehntausende Belgier deportieren; mehrere Tausend starben.

=> Duisberg war Mitglied der rechtsradikalen und antisemitischen Deutschen Vaterlandspartei. Duisberg setzte sich vehement für die Annexion Belgiens und großer Gebiete in Osteuropa ein.

=> Carl Duisberg war die treibende Kraft beim Zusammenschluss der deutschen Chemie-Industrie zur IG FARBEN im Jahr 1925. Während der Weimarer Republik organisierte Duisberg Spenden an nationalistische Parteien, spätestens seit 1930 auch an die NSDAP. Kein anderes Unternehmen kollaborierte in der Folgezeit so eng mit dem Dritten Reich.

Das Dortmunder Stadtarchiv kam zu dem Ergebnis: „Duisberg gehörte zu den führenden deutschen Industriellen, die während des Krieges die - auch nach dem damals geltenden internationalen Kriegsrecht illegale - Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland durchsetzten. (…) Als Patriarch lehnte er bis zu seinem Tod Gewerkschaften entschieden ab.“

Das Lüdenscheider Stadtarchiv schrieb in seinem Votum: „Während des Ersten Weltkriegs wurde unter Duisbergs Vorsitz bei Bayer Giftgas für den Kriegseinsatz produziert. Abfallprodukte der Chemischen Industrie, die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfte, dienten als Rohstoffe. In Leverkusen war das u. a. Phosgen, ein Gas, das besonders grausam wirkt“.

weitere Informationen:
=> Die Stellungnahme des Kreisarchivars
=> Informationen zu Carl Duisberg

Duogynon

CBG Redaktion

Die tageszeitung berichtet heute über den möglichen Zusammenhang von der Einnahme hormoneller Schwangerschafts-Tests und Fehlbildungen von Babys. Mitarbeiter von Schering hatten frühzeitig vor den Risiken gewarnt. Die Coordination unterstützt seit Jahren die Betroffenen (mehr Infos).

Fehlbildungen bei Babys

Ein Test und seine Folgen

Wusste ein deutscher Pharmakonzern frühzeitig von der schädigenden Wirkung seines Präparats? Die Bayer AG streitet alle Vorwürfe ab.

7. Oktober 2015 -- Über Jahre glaubte Marie Lyon, es liege an ihr, ihr und ihren Genen, dass ihre Tochter Sarah im Oktober 1970 mit nur einem halben linken Arm zur Welt gekommen war – Sarahs Finger wuchsen am Ellbogen heraus, der Unterarm und die Hand fehlten. „Es waren schreckliche Vorwürfe, die ich mir gemacht habe“, erinnert sich die heute 69 Jahre alte Engländerin.
Sie sitzt in einem Berliner Hotelzimmer, eine blond gefärbte, elegant gekleidete Frau, deren Stimme auch dann unaufgeregt bleibt, wenn es um sehr persönliche Fragen geht. Fragen, auf deren Beantwortung sie seit Jahrzehnten vergeblich wartet: Warum mein Kind? Und vor allem: Warum übernimmt bis heute niemand Verantwortung?
Es ist ein sonniger Tag in der deutschen Hauptstadt, vor Marie Lyon steht ein Aktenordner. Darin: Kopien vergilbter Schriftwechsel aus den 60er Jahren zwischen Mitarbeitern des ehemaligen Pharmaherstellers Schering aus Berlin und britischen Wissenschaftlern – sowie Protokolle über tierexperimentelle Prüfungen, ebenfalls bald 50 Jahre alt.
Es geht um die Risiken eines einzigen Medikaments, genauer gesagt eines hormonellen Schwangerschaftstests: Der hieß in Deutschland Duogynon und in England Primodos, und Marie Lyon gibt ihm heute die Schuld für das Leid ihrer Tochter: „Den durchschlagenden Beweis haben wir noch nicht gefunden“, sagt sie. „Aber wir haben auch noch 20 Ordner unausgewerteter Akten vor uns.“
Deswegen ist sie mit ihrem Mann Michael Lyon nach Berlin gereist. In die Stadt also, in der der – längst vom Markt genommene – Hormontest seinerzeit von der Firma Schering erfunden wurde. Beim Berliner Landesarchiv hat Marie Lyon – als Mutter eines mutmaßlich medikamentengeschädigten Kindes – erfolgreich „Antrag auf Benutzung von fristgeschütztem Archivgut“ gestellt.
Das Material, das sie, ihr Mann und Mitglieder einer Duogynon-Selbsthilfegruppe aus Deutschland dieser Tage sichten, stammt hauptsächlich aus einem 1980 in Berlin eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Pharmakonzern; für die allgemeine Öffentlichkeit ist es noch unzugänglich.

Tausende Babys mit Fehlbildungen
Die Lyons und ihre Mitstreiter sind guter Dinge, Indizien zu finden. Indizien, die darauf hinweisen könnten, dass Pharmahersteller, Forscher und Gesundheitsbehörden in Deutschland wie in Großbritannien bereits in den 60er Jahren wussten von den gesundheitlichen Risiken und von der fruchtschädigenden Wirkung, die von dem Medikament ausgingen – und es dennoch weitere Jahre am Markt ließen.
Marie Lyon war, als ihre Tochter Sarah 1970 geboren wurde, nicht die Einzige, die rätselte, weshalb sie ein Kind mit Missbildungen bekommen hatte –mehrere Tausend Babys wurden in Großbritannien, Deutschland und anderen europäischen Ländern mit körperlichen Fehlbildungen in den 60er und 70er Jahren geboren. Offene Rücken, Herzschäden, missgebildete innere Organe, Hirnschädigungen – die Beeinträchtigungen waren erheblich.
Acht Jahre nach der Geburt ihrer Tochter erfuhr Marie Lyon immerhin durch den Telefonanruf einer Selbsthilfegruppe, dass sie und viele andere Frauen mit geschädigten Kindern, mit denen sie sich inzwischen vernetzt hatte, eine Gemeinsamkeit hatten: Alle hatten zu Beginn ihrer Schwangerschaft von ihren Ärzten das Hormonpräparat Primodos bekommen – als oralen Schwangerschaftstest. Alle sagten, dass sie vor der Einnahme keine Hinweise auf etwaige Risiken für die Ungeborenen erhielten.
Der ungeheuerliche Verdacht, der sich seither gegen die Firma Schering beziehungsweise die Bayer AG als deren Nachfolgerin richtet, hat ab Anfang der 1980er Jahre in Deutschland wie in Großbritannien zu strafrechtlichen Ermittlungen und Zivilprozessen geführt – alle jedoch wurden eingestellt oder von den Klägern aus Gründen der Verjährung verloren. In Deutschland hatte zuletzt ab 2010 der bayerische Grundschullehrer André Sommer, der 1976 mit schweren Missbildungen geboren wurde und dessen Mutter in der Schwangerschaft Duogynon eingenommen hatte, auf Akteneinsicht geklagt – erfolglos.
Jetzt aber gibt es neue Hoffnung: Der britische Premierminister David Cameron hat zugesagt, den Fall Primodos/Duogynon ganz neu untersuchen zu lassen. Am 7. Oktober werden die Repräsentanten der britischen Arzneimittelbehörde Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) und die Mitglieder des parlamentarischen Gesundheitsausschusses ihre Arbeit offiziell aufnehmen.

Zusammenhang untersuchen
Konkret sollen die Experten die medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Einnahme von Primodos und die seinerzeit diskutierten embryonalen Missbildungen überprüfen. Daneben soll der Ausschuss Hinweise zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Hormontests während der Schwangerschaft und angeborenen Missbildungen bei Kindern untersuchen. Und schließlich soll das Gremium bewerten, ob sich die Ergebnisse dieser Überprüfungen auf derzeit zugelassene medizinische Produkte in Großbritannien und anderswo auswirken könnten.
Die Arzneimittelbehörde hat dazu – neben der pharmazeutischen Industrie – medizinisches Fachpersonal, Wissenschaftler sowie Frauen, die Hormon-Schwangerschaftstests verwendet haben, aufgerufen, etwaige Nachweise einzureichen. Ein Durchbruch. Der auch international Auswirkungen haben könnte: Denn in Deutschland etwa hat das Parlament es bislang abgelehnt, die Geschichte von Duogynon – auch unter dem Aspekt der politischen Verantwortung – aufzuarbeiten.
„Alle Fakten werden auf den Tisch kommen“, sagt Marie Lyon. Sie klingt zufrieden. Dass sich die britischen Parlamentarier nach Jahrzehnten des Wegschauens nun immerhin mit den möglicherweise schädigenden Folgen des Medikaments befassen wollen, ist auch ihr Verdienst.
Marie Lyon, inzwischen Präsidentin der britischen Selbsthilfeorganisation Association for children damaged by hormone pregnancy tests, war in den vergangenen zwei Jahren bei zahlreichen britischen Parlamentariern vorstellig geworden. Mitunter harrte sie über Stunden vor ihren Büros aus, um ihr Anliegen persönlich vorzubringen: „Uns, die inzwischen alternden Eltern der geschädigten Kinder, treibt die Sorge um, dass viele dieser Kinder völlig hilflos dastehen werden, wenn wir eines Tages nicht mehr leben“, sagt sie.
Viele könnten nicht allein für sich und ihren Lebensunterhalt sorgen. „Es geht uns nicht um horrende Entschädigungssummen“, betont sie. „Es geht darum, dass Unternehmen, Behörden und Regierung endlich zu ihrer Verantwortung stehen.“ Dazu könne auch gehören, sagt Lyon, dass ein Staats- oder Stiftungsfonds eingerichtet werde, aus dem die Geschädigten dann Geld bekommen könnten – ähnlich wie es das in Deutschland für Contergan-Geschädigte gibt.

Kenntnis, Schuld, Verantwortung
Doch dazu, sie weiß das, müssten tatsächlich zunächst Fragen von Kenntnis, Schuld und Verantwortung geklärt werden.
Die Bayer AG beteuert, mit all dem nichts zu tun zu haben: „Die von Ihnen übermittelten Fragen beruhen auf der Unterstellung, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen embryonalen Missbildungen und Primodos bestehe“, schreibt ein Sprecher der taz. „Diese unterstellte Arbeitsthese ist jedoch unzutreffend. Nach wie vor ist Primodos als Ursache für embryonale Missbildungen auszuschließen.“
Bereits in den 1970er und 1980er Jahren seien „umfangreiche Untersuchungen und Gutachten namhafter Experten zur Aufklärung möglicher Ursachen“, unter anderem in Deutschland, England und in den USA, durchgeführt worden. Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Primodos und den damals gemeldeten Fällen hätten sich nie ergeben, schreibt der Firmensprecher.
Dennoch stehe Bayer mit der britischen Arzneimittelbehörde in Kontakt. Allerdings, auch das stellt der Sprecher klar: „Weder die Bayer Pharma AG noch ein anderes Unternehmen der Bayer-Gruppe hat in Großbritannien oder irgendeinem anderen Land im Zusammenhang mit Primodos Vergleiche abgeschlossen oder Zahlungen geleistet. Für derartige Zahlungen gibt es weiterhin keinen Anlass.“
Marie Lyon lässt sich von derlei Aussagen weder einschüchtern noch von ihrem Vorhaben abbringen. Wichtig sei zunächst, sagt sie in ihrem Berliner Hotelzimmer, „dass alle Dokumente von damals ausgewertet werden“. Deswegen hat sie Kopien sämtlicher Akten aus dem Berliner Landesarchiv beantragt. Die Arbeit, die vor ihr liegt, könnte Jahre dauern. „Was soll‘s“, sagt Marie Lyon, „die Wahrheit muss ans Licht.“ Nicht nur in Großbritannien und Deutschland – als nächsten Schritt plant Marie Lyon, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit Primodos und Duogynon zu beschäftigen. Von Heike Haarhoff

[Marburg] Carl Duisberg

CBG Redaktion

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren forderte die Theologische Fakultät der Uni Marburg auf, die Ehrendoktorwürde von Carl Duisberg zu entziehen. Die Fakultät veröffentlichte daraufhin eine Stellungnahme. Beide Schreiben sind anbei dokumentiert. Die örtliche Presse berichtete über die Diskussion. Ausführliche Informationen zu Carl Duisberg finden sich hier.

20. Juli 2015

Stellungnahme des Fachbereichs Evangelische Theologie

Fachbereich regt Forschungen zu Carl Duisberg an

Anlässlich des Festakts zum 400-jährigen Bestehen der Philipps-Universität am 30.7.1927 wurde unter anderem Prof. Dr. h.c. mult. Carl Duisberg, damals Aufsichtsratsvorsitzender der IG-Farben, von der Evangelisch- Theologischen Fakultät ein Ehrendoktor verliehen. Begründet wurde dies mit seinem großen sozialen Engagement für die Arbeiterschaft seiner angestammten Firma Bayer und mit seiner Förderung studentischen Lebens und der Wissenschaft. 1920 koordinierte er beispielsweise die Gründung des „Stifterverbandes der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“, und er engagierte sich für die wenig später entstehende „Dahrlehenskasse der Deutschen Studentenschaft“. In der damaligen Fakultät fand ferner Duisbergs Interesse für aufkommende ökumenische Fragen ein positives Echo.

Der Fachbereich Evangelische Theologie wurde kürzlich aufgerufen, die Ehrendoktorwürde zurückzunehmen, da Duisberg im 1. Weltkrieg die Entwicklung und Produktion chemischer Giftstoffe vorantrieb und den Einsatz belgischer Zwangsarbeiter befürwortete. In der Tat war Duisberg aus heutiger Sicht eine ambivalente Persönlichkeit: Herausragendes soziales Engagement steht Positionen gegenüber, die aus ethischer Sicht heute klar zu verurteilen sind.

Der Fachbereich Evangelische Theologie zeichnet sich durch eine lange Tradition einer liberalen und auch der eigenen Geschichte gegenüber kritischen Theologie aus. Vor allem die Marburger Theologie im Nationalsozialismus ist gut erforscht. Deshalb erscheint es angemessen, im vorliegenden Fall den Weg einer differenzierten Beleuchtung der eigenen Geschichte weiter zu verfolgen. Dies hat gegenüber einem einmaligen Akt der Aberkennung einer Ehrendoktorwürde den Vorteil der Nachhaltigkeit. Der Fachbereich regt daher zur wissenschaftlichen Erforschung des Themenkomplexes an: der Rolle Carl Duisbergs als Unterstützer der Universität, seiner Rolle im Kontext der Theologie sowie der Verflechtungen von Politik und Theologie zur Zeit der Weimarer Republik.

Prof. Dr. Bärbel Beinhauer Köhler
Dekanin des Fachbereichs Evangelische Theologie Marburg

Theologische Ehrendoktorwürde von Carl Duisberg

2. Juli 2015

Dekanat der Theologischen Fakultät
Lahntor 3
35032 Marburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

in den 80er Jahren habe ich an der Philipps-Universität studiert. Nun stieß ich in der Publikation „Carl Duisberg – Briefe eines Industriellen“ von Dr. Kordula Kühlem auf die Information, dass der Chemiker Carl Duisberg im Jahr 1927 in Marburg einen Ehrendoktor für Theologie erhielt.

Carl Duisberg ist in keiner Weise als Vorbild für künftige Generationen geeignet. In mehreren Städten wurde in den letzten Monaten eine Umbenennung von Duisberg-Straßen beschlossen. Daher möchte ich Sie bitten, ein Verfahren zur Aberkennung der Ehrendoktorwürde einzuleiten.

zur Begründung des Antrags:
Im November 2014 wurde in Dortmund eine Umbenennung der dortigen Carl-Duisberg-Straße beschlossen. Zur Begründung schreibt das Dortmunder Stadtarchiv: „Duisberg gehörte zu den führenden deutschen Industriellen, die während des Krieges die - auch nach dem damals geltenden internationalen Kriegsrecht illegale - Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland durchsetzten. (…) Als Patriarch lehnte er bis zu seinem Tod Gewerkschaften entschieden ab. Er war von Beginn an Gegner der Weimarer Demokratie.“ Die vollständige Stellungnahme finden Sie unter http://www.cbgnetwork.org/downloads/Stellungnahme_Stadtarchiv_Dortmund.pdf

Am 8. Dezember folgte der Stadtrat von Lüdenscheid und beschloss eine Umbenennung des dortigen Duisbergwegs. Das Lüdenscheider Stadtarchiv schreibt unter anderem: „Während des Ersten Weltkriegs wurde unter Duisbergs Vorsitz bei Bayer Giftgas für den Kriegseinsatz produziert. Abfallprodukte der Chemischen Industrie, die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfte, dienten als Rohstoffe. In Leverkusen war das u. a. Phosgen, ein Gas, das besonders grausam wirkt“, siehe: http://www.cbgnetwork.org/downloads/Duisberg_Stadtarchiv_Luedenscheid.pdf

In Frankfurt am Main wurde ebenfalls ein Verfahren zur Umbenennung der dortigen Duisbergstraße eingeleitet. Wie Sie vielleicht wissen, wurde auch in Marburg intensiv über die Umbenennung des Carl-Duisberg-Hauses diskutiert. An dem Gebäude wurde inzwischen eine Gedenktafel angebracht, siehe: http://www.studentenwerk-marburg.de/?id=78

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte Carl Duisberg die Vermarktung von Heroin als angeblich harmlosem Hustenmittel betrieben. Als Wissenschaftler das Suchtpotential des Präparats anprangerten, äußerte Duisberg, man müsse die „Gegner mundtot schlagen“. Obwohl sich rasch die Gefahr der Abhängigkeit herausstellte, führte die Firma Bayer den Verkauf von Heroin über Jahrzehnte hinweg fort.

Im 1. Weltkrieg beklagte Duisberg gegenüber den Generälen Hindenburg und Ludendorff den Mangel an Arbeitskräften. Mit dem Ausspruch „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“ forderte er den Einsatz von Zwangsarbeitern. Das Reichsamt des Inneren griff Duisbergs Vorschlag auf und ließ 1916 zehntausende Belgier deportieren. Mehrere Tausend starben.

Zur selben Zeit entwickelte Carl Duisberg gemeinsam mit Fritz Haber Giftgase wie „Grünkreuz“ und „Senfgas“, testete diese erstmals an der Front und verlangte vehement ihren Einsatz - wissentlich gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßend.

1917 wurde Duisberg Mitglied der rechtsextremen Deutschen Vaterlandpartei. Zudem war er Vorstandsmitglied des „Unabhängigen Ausschuß für einen deutschen Frieden“, einer Gründung des antisemitischen Alldeutschen Verbands. Duisberg forderte die Annexion der besetzten Gebiete in Belgien und Nordfrankreich und etwas später auch “deutschen Lebensraum” in Polen und Russland. Duisberg hatte beste Kontakte zur Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff und mischte sich offensiv in die Kriegszielplanung ein. Auch forderte er den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und setzte sich erfolgreich für die Absetzung des (angeblich zu nachgiebigen) Kanzlers Bethmann-Hollweg ein.

Der Weimarer Republik stand Duisburg von Anfang an ablehnend gegenüber. Duisburg organisierte Spenden an nationalistische Parteien, spätestens seit 1930 auch an die NSDAP. 1931 forderte Duisberg, der mittlerweile Aufsichtsratsvorsitzender der IG FARBEN geworden war: „Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, dass er keine Hemmungen hat, so muss diesem Mann unbedingt Folge geleistet werden.“

Im Gegenzug für ihre Millionen-Spenden erhielt die IG FARBEN von den Nationalsozialisten Absatzgarantien für synthetischen Treibstoff und Kautschuk. Kein anderes Unternehmen kollaborierte in der Folgezeit so eng mit dem Dritten Reich. Anlässlich seiner Pensionierung frohlockte Carl Duisberg denn auch: „Ich freue mich auf einen Lebensabend unter unserem Führer Adolf Hitler.“

Aus meiner Sicht ist ein Kriegstreiber, der persönlich den Einsatz von Giftgasen und die Deportation von Zwangsarbeitern forciert hat, nicht geeignet, mit einer theologischen Ehrendoktorwürde ausgezeichnet zu werden. Bitte informieren Sie mich über die weiteren Schritte.

Mit herzlichen Grüßen,

Philipp Mimkes
Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG)
Postfach 15 04 18
40081 Düsseldorf