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Beiträge verschlagwortet als “SWB 04/2009”

[Yasmin] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Kein Verbot für BAYERs YASMIN

„Wir müssen damit leben“

Im September 2009 forderte ein Verhütungsmittel aus BAYERs YASMIN-Produktfamilie ein weiteres Todesopfer: eine 21-jährige Schweizerin starb an einer Lungenembolie. Nach diversen Meldungen über Risiken und Nebenwirkungen (SWB 3/09) gelangten die Pillen so erneut in die Schlagzeilen und sorgten für Angst und Schrecken. Nur die Verantwortlichen bei den Aufsichtsbehörden blieben ganz cool. Sie sehen keinen größeren Handlungsbedarf und wollen es dabei belassen, BAYER zu deutlicheren Warnhinweisen auf den Packungsbeilagen zu verpflichten.

Von Jan Pehrke

„Die Ärzte wussten im ersten Moment nicht, was sie machen sollten: Da lag ein 25-jähriges Mädchen mit akutem Herzversagen und sie wussten nicht, woher (...). Mir wurde das Brustbein durchgeschnitten, und dann haben sie gesehen, dass die Lunge voll war von Thromben, beide Lungenflügel, also eine doppelte Lungenembolie. Und dann musste es halt ganz schnell gehen“, so beschreibt das YASMINELLE-Opfer Felicitas Rohrer in einem Fernseh-Interview die dramatischen Stunden ihrer Rettung.
Seit jenem Tag ist nichts mehr so wie vorher. Die Tierärztin hat einen dauerhaften Gefäßschaden erlitten. Immer noch trägt sie in ihrem linken Bein ein Blutgerinnsel mit sich herum, das die MedizinerInnen nicht entfernen konnten. Die junge Frau muss nun Stützstrümpfe tragen und jeden Morgen ihre Blutwerte kontrollieren. Die Angst ist jetzt ihr dauerhafter Begleiter, die sie mit Hilfe eines Psychologen zu bändigen hofft.
„Wir haben nur die Pille genommen, um nicht schwanger zu werden. Wir wollten doch nicht unser Leben riskieren!“, hadert Felicitas Rohrer mit ihrem Schicksal und klagt an: „Meine körperliche Unversehrtheit hat BAYER mir genommen“.
Der 21-jährigen Yvonne hat BAYER noch mehr genommen: Das Leben. Die Schweizerin, die seit zehn Monaten mit der drospirenon-haltigen Pille YAZ verhütet hatte, erlag im September 2009 einer Lungenembolie. Der Leverkusener Multi jedoch weist alle Verantwortung von sich und hält solche Spontanmeldungen „aus methodischen Gründen grundsätzlich nicht geeignet für einen Risiko-Vergleich“. „So ein Todesfall ist natürlich immer tragisch, aber es ist bekannt, dass es in ganz seltenen Fällen zu Embolien kommen kann. Das steht auch in der Packungsbeilage“, erklärte eine Unternehmenssprecherin und machte dabei en passant noch auf die wahre Funktion des Beipackzettels aufmerksam. Indem dieser die Risiken und Nebenwirkungen der Präparate aufzählt, erspart er BAYER & Co. zugleich rechtliche Risiken und Nebenwirkungen. „Wir haben ja schon frühzeitig auf Gefahren hingewiesen!“, vermögen die Pharma-Riesen dann nämlich immer zu ihrer Verteidigung zu sagen.

BAYERs PR-Offensive
Diese juristischen Spitzfindigkeiten waren natürlich ebenso wenig geeignet, die Öffentlichkeit zu beruhigen wie der Verweis auf die Singularität des Ereignisses. Zu viele schlagzeilenträchtige Einzelfälle hatte es in letzter Zeit gegeben. Im Mai schockierte ein Bericht über die 18-jährige, nach einer Lungenembolie zum Pflegefall gewordene Céline das schweizer Fernsehpublikum, und im Herbst erlangte die Leidensgeschichte von Felicitas Rohrer große Publizität, nachdem die Frau sich an die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gewandt und die CBG auf ihren Fall aufmerksam gemacht hatte. Als Folge dieser Resonanz stieg auch das Bewusstsein für die von den Pillen ausgehenden Gesundheitsschädigungen. Allein in der Schweiz kamen zu den 691 ab 2005 dokumentierten Meldungen über unerwünschte Verhütungsmittel-Wirkungen seit des gestiegenen Medien-Interesses im Mai noch einmal 70 dazu.
BAYER reagierte und startete eine große PR-Offensive. Der Konzern sah sich zu einer „Stellungnahme zu aktuellen Medienberichten im Zusammenhang mit der Einnahme oraler hormoneller Kontrazeptiva“ gezwungen und befand: „Das Sicherheitsprofil von Drospirenon-haltigen Pillen ist unverändert positiv“. Zudem lud der Leverkusener Multi die Presse zu einem Hintergrundgespräch. Dort präsentierte er mit dem Professor Dr. Michael Ludwig auch gleich jemand, der aus berufenem Munde Entwarnung geben sollte. Qualifiziert hatte Ludwig sich für diesen Job durch treue (und teure) BAYER-Dienste auf Symposien, wo er „die Vorteile der neuen Pille“ pries und durch Auftritte auf vom Pharma-Riesen organisierten Gynäkologen-Kongressen.
Dem willigen Mediziner oblag es nun, zwei neuere Studien in Zweifel zu ziehen, die Drospirenon-Pillen ein weit ungünstigeres Risiko-Profil ausstellten als älteren Verhütungsmitteln und im Gegenzug eine von BAYER finanzierte und zu einem weit positiveren Befund kommende Untersuchung als über jeden Zweifel erhaben darzustellen.
Die Ergebnisse der Expertise des niederländischen Mediziners Frits Rosendaal von der Universität Leiden hält Ludwig „statistisch für nicht signifikant“. Den Faktor 6,3, um den die Thrombose-Gefahr bei YASMIN & Co. nehmenden Frauen gegenüber nicht hormonell Verhütenden steigt, hätten die ForscherInnen als Mittelwert aus Zahlen abgeleitet, die zwischen 2,9 und 13,7 und damit zu breit variieren, so der Vorwurf. Die dänische Studie hingegen hat Ludwig zufolge nicht sauber zwischen Erst- und Langzeit-Anwenderinnen differenziert, was die Daten zuungunsten der neueren Präparate verfälsche, weil es in der ersten Zeit der Verschreibung zu den meisten Zwischenfällen komme. Diesen feinen Unterschied hat die von BAYER gesponsorte Euras-Untersuchung auch nicht gemacht. Das hinderte den Hormonmediziner aber nicht daran, ihr eine bessere Methodik zu bescheinigen und das Resultat für die BAYER-Pillen - ein „mehr oder weniger in der gleichen Größenordnung“ wie das der älteren Präparate liegendes Gefährdungsprofil - zu beglaubigen. Aber letztendlich versteht der Herr Professor die ganze Aufregung um die Verhütungsmittel gar nicht, die in gut und weniger gut informierten Kreisen entstanden ist: „Schließlich ist das absolute Thrombose-Risiko durch Antibabypillen bei Frauen ohne zusätzliche Risikofaktoren verschwindend gering“.
Der Leverkusener Multi jedoch hatte, was er haben wollte. Mit „Aktuelle Studiendaten wurden in den Medien zum Teil falsch interpretiert“ konnte er seine nachfolgende Pressemeldung überschreiben. Und nach Ansicht des Konzerns interpretierten die Medien noch so manch anderes falsch im Zusammenhang mit den Pillen. Um das zu belegen, gab das Unternehmen bei der Universität Zürich eine Untersuchung in Auftrag. Der „Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft“ analysierte 90 Presse-Meldungen zu den Risiken und Nebenwirkungen der BAYER-Kontrazeptiva und stellte den Beiträgen ein schlechtes Zeugnis aus. Einen emotionalisierten Journalismus auf vager Fakten-Grundlage ohne eigenen Recherche-Anteil konstatierten die AuftragsforscherInnen pflichtgemäß und fanden sogleich bei der einflussreichen Neuen Zürcher Zeitung Gehör. Mit der Anfälligkeit gegenüber Grippeviren verglich das konservative Organ die flächendeckende publizistische Reaktion auf den Fall Céline und riet dem Global Player sogar zu einer Klage.

Swissmedic leidensfähig
Auch eine andere schweizer Institution zeigte sich BAYER gefällig: Die Aufsichtsbehörde „Swissmedic“. Sie hatte nach dem großen Medienecho auf den TV-Bericht über die nach der Einnahme von YASMIN schwerstbehinderte Céline angekündigt, die neuesten Studien zu den Verhütungsmitteln zu überprüfen und dann eventuell Maßnahmen einzuleiten. Ende Oktober 2009 gab das Heilmittelinstitut das Ergebnis bekannt. Ganz im Gegensatz zu Michael Ludwig verortet „Swissmedic“ die methodischen Mängel bei der Euras-Studie und nicht bei den Untersuchungen aus Dänemark oder Holland, denn jene hat sich bevorzugt Thrombose-gefährdete Patientinnen als Probandinnen ausgesucht. Das „reduziert tendenziell eine möglicherweise bestehende Risiko-Erhöhung durch KOK (kombiniertes orales Kontrazeptivum, Anm. SWB)“, befinden die SchweizerInnen.
Die Resultate der anderen beiden Studien, die diese Risiko-Erhöhung für YASMIN belegten, zweifelt die Behörde hingegen nicht an. Die niederländische Untersuchung hatte gegenüber nicht hormonell verhütenden Frauen eine um den Faktor 6,3 gestiegene Gefährdung ausgemacht; während dieser bei Pillen der 2. Generation nur 3,6 und bei solchen der 3. Generation je nach Präparat zwischen 5,6 und 7,3 schwankt. Trotzdem sah „Swissmedic“ keinen Handlungsbedarf und konstatierte: „Antibabypillen, die den Wirkstoff Drospirenon enthalten, sind im Risikobereich der anderen auf dem Markt befindlichen Präparate“.
Aber immerhin rät die Institution zur Vorsicht. So sollen die MedizinerInnen künftig beim Verschreiben von YASMIN-Produkten die Thromboembolie-Gefahr besonders beachten und gefährdeten Frauen eine nicht-hormonellen Schwangerschaftsverhütung vorschlagen. Einen Einsatz von Drospirenon-haltigen Pillen legen die ExpertInnen nur nahe, wenn die Frauen unter Hautkrankheiten leiden. Zudem verlangt „Swissmedic“ eine Änderung des Beipackzettels, welche die Ergebnisse der neuen Studien berücksichtigt.
Eine andere Packungsbeilage - das ist auch das einzige, wozu der Pillen-GAU in der Bundesrepublik führen dürfte. Mehr erachtet der beim „Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) für die Arzneimittelsicherheit zuständige Dr. Ulrich Hagemann nicht für notwendig. Professor Hans-Peter Zahradnik von der Universität Freiburg, der sich auch schon für BAYER verdingt hat, pflichtete ihm in einem Beitrag des TV-Magazins WISO über Felicitas Rohrer bei: „Jeder Fall, der als Nebenwirkung auftritt, ist ein tragischer Fall. Aber es ist im Rahmen der Einnahme dieser Medikamente eben eine Nebenwirkung, die wir kennen. Die müssen wir nicht unbedingt akzeptieren, aber wir müssen damit leben“. Viele YASMIN-Opfer wollen das jedoch nicht. In den USA steigt die Zahl der Klagen kontinuierlich. Bis Anfang Oktober waren es 300.

=> alle Infos zur Kampagne

[Wahlgeschenke] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Wahlsieger BAYER

„Ein positives Signal“

Nicht nur zur Weihnachtszeit: Die neue schwarz-gelbe Koalition hat BAYERs Wunschliste in ihrem Regierungsprogramm konsequent abgearbeitet.

Von Jan Pehrke

Ein bisschen BAYER musste auch direkt an den Koalitionsverhandlungen von CDU und FDP beteiligt sein: In den Präsentkörben, die den PolitikerInnen helfen sollten, die langen Nächte durchzustehen, fanden sich neben Schokoriegeln und Frucht-Mixen auch ASPIRIN-Packungen. Aber es lag wohl nicht nur daran, dass die Begehrlichkeiten des Leverkusener Multis der neuen Regierung kaum Kopfschmerzen bereiteten: Merkel & Co. kamen fast allen Wünschen des Unternehmens nach. So kann sich nun die Steuerabteilung des Konzerns ebenso über die im Koalitionsvertrag festgelegte Politik freuen wie die Pharma-, Gentechnik-, Kunststoff- und Pestizid-Sparte.

Noch weniger Unternehmenssteuern
„Wir wollen eine Steuerpolitik, die für die Unternehmen in Deutschland Rahmenbedingungen schafft, die ihr auch in Zeiten der Globalisierung ihre starke Stellung ermöglicht“, erklären CDU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag. Also setzten die beiden Parteien die Tradition von Rot/Grün und Schwarz/Rot fort und beschenkten die Konzerne abermals mit einer Unternehmenssteuerreform. Die im so genannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz zusammengefassten Maßnahmen ersparen BAYER & Co. Abgaben in Höhe von ca. 2,4 Milliarden Euro. Perfiderweise hebeln die PolitikerInnen zu diesem Behufe gerade eine der Regelungen aus, welche zumindest teilweise zur Gegenfinanzierung der letzten Bescherung diente und so die Öffentlichkeit besänftigt hatte: die Zinsschranke.
Diese Zinsschranke war jedoch nicht nur aus finanziellen Gründen ein sinnvolles Instrument. Sie hat nämlich den Gepflogenheiten der Multis ein Ende bereitet, ihren Zinsaufwand in der Bundesrepublik steuerlich geltend zu machen, während sich ihre ausländischen Tochterfirmen die Zinserträge gutschreiben ließen. Auch die Einkaufstouren der Global Player verbilligte die Regelung; BAYER etwa sparte beim Erwerb einer ROCHE-Sparte. In Basel ansässig und steuerpflichtig, tauchte diese bei den hiesigen Finanzämtern nur als Kostenfaktor auf, weil BAYER die fälligen Zinsen für den zum Kauf nötigen Kredit steuerlich geltend machte. Jetzt beginnt dieses muntere Spiel dank Merkel & Co. von vorn. Bis zu einer Höhe von drei Millionen sind Zinszahlungen wieder abzugsfähig.
Aber die KoalitionärInnen schaffen noch weitere Kaufanreize. Künftig dürfen die Unternehmen bei Übernahmen nämlich die Verlustvorträge der erworbenen Firmen - also die Verrechnung von aktuellen Verlusten mit früheren Gewinnen - nutzen, was erkleckliche Steuerrückzahlungen verspricht. Dieses im Konjunkturpaket II auf zwei Jahre befristete Steuersparmodell stellt das Konjunkturpaket III nun auf Dauer. Auch bei Rationalisierungen hilft künftig das Finanzamt. Schwarz/Gelb will nämlich „den Abzug von Verlusten bei Umstrukturierungen innerhalb verbundener Unternehmen - soweit erforderlich - wieder zulassen (...)“. Neben dieser passenderweise „Konzernklausel“ genannten „Wachstumsbeschleunigung“ erleichtert die Regierungskoalition den Firmen zudem die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten ihrer Tochter-Gesellschaften. Auch ihre Mietzahlungen können sie in größerem Umfang als bisher als gewerbesteuerlich wirksame Kosten zu verbuchen.
BAYER & Co. hatten die Wirtschaftskrise als günstige Gelegenheit genutzt, mit düsteren Zukunftsprognosen Steuer-Vergünstigungen zu verlangen und hatten mit ihrem Alarmismus Erfolg. „Da Betriebe durch die Zinsschranke, durch Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer und die eingeschränkte Verlustverrechnung in Insolvenzgefahren geraten, brauchen wir sofort wirksam werdende Korrekturen bei der Unternehmenssteuerreform“, bauchredete FDP-Chefunterhändler Hermann Otto Solms im Verlauf der Koalitionsvertragsverhandlungen und machte sich ans Werk.
„Die zukünftige Regierungskoalition hat die krisenverschärfende Wirkung zentraler Elemente der Unternehmenssteuerreform 2008 erkannt“, lobte der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) daraufhin und stellte trocken fest: „Sie decken sich im Wesentlichen mit den vom BDI formulierten Nachbesserungsvorschlägen“.
Nur einer dieser „Nachbesserungsvorschläge“, den gerade BAYER bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit einbrachte, findet sich nicht im Papier wieder: die steuerliche Begünstigung von Forschungsausgaben. „Dies würde die Kreativität und den Erfindergeist in der Wirtschaft unterstützen und Investitionen in die Arbeitsplätze von morgen belohnen“, hatte BAYER-Chef Werner Wenning in Aussicht gestellt. Doch die Politik scheute davor zurück, sich noch stärker an den Forschungsaufwändungen der Konzerne zu beteiligen als sie es ohnehin schon tut - der Anteil beträgt momentan ca. sechs Prozent - und gestand nur mittelständischen Betrieben bei ihren Labor-Aktivitäten ein steuerliches Entgegenkommen zu.
Auch so kommt das Konjunkturpaket III, in dem die Bundesregierung Profitbeschleuniger für BAYER & Co. mit Steuersenkungen für Familien und anderen „Reformen“ zusammengefasst hat, damit die Konzern-Beglückung nicht so auffällt, die SteuerzahlerInnen teuer genug. 8,5 Milliarden Euro hat Angela Merkel dafür veranschlagt. Und während die Unternehmen sich die Hände reiben, bricht bei den MinisterpräsidentInnen der Länder wegen der zu erwartenden steuerlichen Mindereinnahmen die Panik aus. „Ihr habt sie ja wohl nicht mehr alle“, polterte etwa der schleswig-holsteinische Landesvater Peter Harry Christiansen. Nur mit erheblichen Zugeständnissen dürfte Merkel ihn und seine KollegInnen zu einem „Ja“ im Bundesrat bewegen.

Medizin für Pharma-Profite
Auch die einzelnen BAYER-Sparten profitieren vom Regierungswechsel, denn die Wachstumsbeschleuniger aus Berlin kennen keine Risiko-Technologien. „Moderne Technologien sind keine Bedrohung, sondern eine Chance für Deutschland“, heißt es im Koalitionsvertrag. Deshalb bekennen sich CDU und FDP in dem Dokument dazu, die Nanotechnologie, die Biotechnologie sowie die Entwicklung neuer chemischer Produkte weiter zu fördern und halten darüber hinaus fest: „in der Pharmaforschung muss langfristig investiert werden können“.
Zu diesem Behufe möchten Merkel & Co. die Profit-Aussichten für „innovative Arzneimittel“ stärken - allerdings ohne die Finanzkraft der Krankenkassen noch weiter zu schwächen. „Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern können ein Weg sein, um dieses Ziel zu erreichen“, steht im Koalitionsvertrag. Das hatte im Vorfeld noch anders geklungen. Da wollten die GesundheitspolitikerInnen BAYER & Co. noch das Recht nehmen, die Preise für neue Arzneien selber festzulegen. „Wir wissen, wie es im Haifisch-Becken zugeht“, gab sich die CDUlerin Annette Widmann-Mauz kämpferisch. Aber als Big Pharma einmal kurz die Zähne zeigte, schreckten die GesundheitsexpertInnen doch vor der Beschneidung der Fanggründe zurück und setzten auf eine Verhandlungslösung zwischen Krankenkassen und Pillen-Produzenten.
Außerdem kündigt die CDU/FDP-Regierung an, den Arzneimittelmarkt neu zu gestalten und angebliche „Überregulierungen“ abzubauen. Auch für das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWIG), das Kosten/Nutzen-Analysen von Arzneimitteln durchführt und dabei nach Meinung von BAYER & Co. allzu oft zu negativen Ergebnisse kommt, hat die christlich-liberale Koalition neue Pläne. Sie will die Arbeit des IQWIG „unter dem Gesichtspunkt stringenter und transparenter Verfahren überprüfen und damit die Akzeptanz (...) verbessern“. Dazu soll nach Informationen des Spiegel auch die Maßnahme beitragen, den bisherigen Chef Dr. Peter Sawicki abzulösen, was der vom Leverkusener Pharma-Riesen gegründete „Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller“ (VFA) seit langem fordert, nicht nur weil der Mediziner sich in der Vergangenheit immer wieder kritisch über die Risiken und Nebenwirkungen von BAYER-Arzneien wie GLUCOBAY, ADALAT und TRASYLOL geäußert hatte.
Der VFA begrüßte dann auch die gesundheitspolitische Agenda der neuen Regierung als „Zeichen der Vernunft“. „Die Teilhabe aller Patientinnen und Patienten am medizinischen Fortschritt zu sichern, ist erfreulicherweise die politische Leitlinie der Koalitionäre. Die forschenden Pharma-Unternehmen werden sich ihrer Verantwortung bei der Erreichung dieses Ziels stellen. Sie sind bereit, auf besondere Versorgungsqualität zielende Verträge mit Kassen zu schließen, die dem Wettbewerbsrecht unterliegen. Ebenso stehen die Hersteller zur Kosten-Nutzen-Bewertung, wenn sie künftig nach klaren, eindeutigen Kriterien erfolgt“, schrieb die Lobby-Organisation in ihrem Kommentar zum fertigen Koalitionsvertrag.

Mehr Chancen für Gentech
Die grüne Gentechnik betrachtet Schwarz/Gelb als „wichtige Zukunftsbranche“, deren glänzende Aussichten abermals nur „Überregulierungen“ trüben. Warnungen vor der Risiko-Technologie verweisen CDU und FDP ins Reich der irrationalen Ängste. Eine „stärkere Wissenschaftsorientierung“ schreiben sich die KoalitionärInnen deshalb für die Zukunft auf die Fahnen - und eine stärkere Wirtschaftsorientierung durch „effizientere Zulassungsverfahren“.
Den aus dem bösen Brüssel stammenden „Ineffizienzen“ der Vergangenheit sollen derweil auf ihrem Weg nach Berlin ins bundesdeutsche Recht noch einige verborgene Effizienz-Reserven erschlossen werden. So wollen die Christlich-Liberalen für eine „praktikable Anwendung“ der EU-Richtlinie, die Rückstände nicht zugelassener Gentech-Pflanzen in Lebensmitteln verbietet, das Gentechnikgesetz und das EU-Gentechnik-Durchführungsgesetz ändern. Was einmal der größte Gentech-GAU der Nuller-Jahre war, der Fund von nicht zugelassenem Gentech-Reis made by BAYER in ganz normalen Supermarkt-Packungen von UNCLE BEN & Co., wäre damit künftig kein Skandal mehr - zumindest kein offizieller.
Merkel & Co. scheuen im Koalitionsvertrag nicht einmal davor zurück, sich offen zu bestimmten Gentechnik-Produkten wie der genmanipulierten Kartoffel AMFLORA von BASF zu bekennen und ließen den gentech-freundlichen Worten auch alsbald Taten folgen. Am 18. November brach die CDU/FDP-Koalition mit der Tradition der Vorgängerregierung, sich bei Entscheidungen über den Import von genmanipulierten Ackerfrüchten in die EU zu enthalten, und stimmte für den SYNGENTA-Mais „Mir 604“.
Auch sonst haben CDU und FDP noch so manche „Überregulierung“ erspäht. Aus diesem Grund haben die beiden Parteien vor, EU-Richtlinien künftig nur noch 1:1 zu übernehmen. Im Pestizidbereich beabsichtigt die Koalition, das Zulassungsprocedere zu vereinfachen und zu beschleunigen, natürlich nur „zum besseren Schutz von Mensch, Tier und Umwelt“. Biozide und Chemikalien haben es bei den Behörden ebenfalls bald leichter, Und wenn sich die Bundesregierung ganz generell zur „Vereinfachung“ von Genehmigungsverfahren bekennt, dann geschieht das unter dem Signum des „Bürokratieabbaus“.

Weitere Geschenke
Daneben verspricht der Koalitionsvertrag noch weitere geldwerte Vorteile für den Chemie-Multi. Der Emissionshandel, der den Konzernen nur ein bestimmtes Kontingent an Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten zugesteht, um diese zu Investitionen in den Klimaschutz zu bewegen, müsste für BAYER und andere energie-intensive Unternehmen weiterhin kosten- und damit folgenlos bleiben, meinen die freien und christlichen DemokratInnen.
Bei der europäischen Chemikalien-Verordnung REACH, die eine Untersuchung von Substanzen auf ihre gesundheitsgefährdenden Wirkungen hin vorschreibt, kann der Leverkusener Multi vielleicht bald ebenfalls sparen, denn die Koalitionspartner streben eine Senkung der Gebühren an, die bei der Registrierung der Stoffe anfällt.
Zudem braucht sich der Konzern nicht mehr an den steigenden Gesundheitskosten beteiligen, für die er durch seine immer teureren Medikamente zu einem Gutteil selber sorgt: Die Regierungsparteien haben freundlicherweise den Arbeitgeberanteil an der Krankenkassen-Finanzierung eingefroren. Die Quittung dafür bekamen die ArbeitnehmerInnen schon, als die Tinte des Koalitionsvertrages noch kaum trocken war. Am 1. Dezember kündigte die DAK als erste Kasse an, einen Zusatzbeitrag zu erheben.
Sogar Entwicklungshilfe für den Global Player steht in Aussicht. Nach Meinung des neuen verantwortlichen Ministers Dirk Niebel (FDP) ist diese nämlich „auch interessen-geleitet. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht. Entwicklungszusammenarbeit muss nicht schädlich für deutsche Unternehmen sein“. Und sein FDP-Kollege Rainer Brüderle vertritt BAYER derweil als Außendienst-Mitarbeiter in den Regionen mit höherem Bruttosozialprodukt. „Ich verstehe mich als Türöffner der deutschen Wirtschaft“, sagte er in einem Faz-Interview.

„Positives Signal“
Glänzende Aussichten halten die frisch gewählten PolitikerInnen und ihr Programm also für den Pharma-Riese bereit. Als im „Ergebnis sehr ordentlich“ begrüßt BAYER-Chef Werner Wenning dann auch den schwarz-gelben Koalitionsvertrag: „Ich glaube sogar, dass von diesem Vertrag ein positives Signal ausgehen kann. Der Vertrag betont den Charakter Deutschlands als Industrieland, er rückt Innovation und Wachstum in den Mittelpunkt. Das halte ich für ganz wichtig. Es wird allzu oft übersehen, wie wichtig die Industrie für unser Land ist. Sie ist die Basis unseres Wohlstands und unserer Arbeitsplätze. Wir müssen also den Industrie-Standort Deutschland stärken - und da sehe ich gute Ansätze“.
„Gute Ansätze“ und im „Ergebnis sehr ordentlich“ - bei aller Zufriedenheit kann Wenning sich den gönnerhaften Oberlehrer-Ton nicht verkneifen und demonstriert damit einmal mehr, wer wirklich das Sagen hat im Lande.

[Editorial] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

Repression ist leider eine Reaktion der vom Protest betroffenen staatlichen oder wirtschaftlichen Institutionen, die weder neu noch sonderlich verwunderlich ist. Und dennoch bewerten wir Gesellschaften danach, wie sie mit politischem Dissens umgehen und wie offen sie für Einspruch und Veränderungen sind. Während über mediale Inszenierungen die Niederschlagung von Protesten außerhalb Europas oder der USA teilweise skandalisiert wird – wenigstens das noch, so muss man fast sagen – applaudiert die Öffentlichkeit der stärksten Industrienationen der Verfolgung und Unterdrückung emanzipatorischer Bewegungen in den eigenen Ländern. Die Umweltbewegung und die Tierrechtsbewegung stehen dabei besonders am Pranger. Green Scare (Grüne Angst) nennen KritikerInnen in den USA bereits die Hatz der politisch-wirtschaftlichen Allianz auf Tierrechts- und UmweltaktivistInnen, angelehnt an den antikommunistischen Red Scare der McCarthy-Ära.
Auch heute werden politisch Andersdenkende zu Sondergruppen gemacht, diese überwacht, infiltriert, von innen zu zersetzen versucht und von außen bekämpft – erneut auch unter Zuhilfenahme eines Feindstrafrechts, das sich dezidiert gegen die politischen Partizipationsformen und teils sogar gegen die Ziele der Protestbewegungen richtet. Im Falle der Tierrechtsbewegung ist dies z. B. der bereits 1992 in den USA klammheimlich erlassene „Animal Enterprise Protection Act“, der nach 9/11 semantisch in „Animal Enterprise Terrorism Act“ (AETA) umgedeutet wurde, um noch größere Spielräume bei der Verfolgung von TierbefreiungsaktivistInnen zu haben.
„Ökoterrorismus“ ist das Stigma, das den betroffenen AktivistInnen einen Teil ihrer Grund- und Freiheitsrechte raubt. Als TerroristIn verurteilt werden kann jede Person in den USA, die versucht, einem Tierausbeutungsunternehmen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, gleich mit welchen Mitteln. Die Recherche, unter anderem die Sicherung von aussagekräftigen Schriftdokumenten und das Erstellen von Foto- und Videoaufnahmen zum Beispiel in einem Tierversuchslabor, kann laut AETA ebenso als terroristischer Akt gewertet werden wie das Verteilen von Flugblättern, wenn dies zum wirtschaftlichen Schaden der Unternehmen gereicht.
Deutlicher kann die Ökonomie ihre Macht zum Bestandsschutz und zur vollkommenden Immunisierung gegen sozialen Protest nicht ausdrücken. 2006 wurden sechs AktivistInnen der SHAC-Kampagne gegen das weltweit zweitgrößte Tierversuchsauftragslabor HUNTINGDON LIFE SCIENCES (HLS) nach diesem Gesetz zu Haftstrafen von bis zu 6 Jahren verurteilt – dafür, dass sie eine Kampagne gegen das Testlabor geführt haben. Die Kampagne, die in England begann und dort im Januar diesen Jahres Haftstrafen bis zu 11 Jahren für sieben AktivistInnen nach sich zog, richtet sich nicht nur gegen HLS, sondern weltweit auch gegen alle seine GeschäftspartnerInnen. Zu diesen gehören BAYER und andere Unternehmen, welche die Tierversuche in Auftrag geben.
Die Erfahrung, dass die Ökonomie im Zeichen wirtschaftlicher Umbrüche, die mit veränderten Legitimationserfordernissen wirtschaftlichen und staatlichen Handelns einhergehen, nun zu neuen Formen der Sozialkontrolle greift – im Moment: langjährige Wegsperrung der politischen DissidentInnen – sollte alle emanzipatorische Bewegungen veranlassen, gemeinsam Gegenstrategien zu entwickeln. Auch wenn die Wirtschaft nicht in allen Ländern etwas Vergleichbares wie den AETA wird durchsetzen können, der Wege gibt es viele, wie zum Beispiel England und jüngst auch Österreich zeigen. In dem Alpenland werden Anfang kommenden Jahres zehn TierrechtlerInnen aufgrund ihrer teils erfolgreichen Kampagnenarbeit wegen vermeintlicher „Bildung einer kriminellen Organisation“ (§278a StGB) vor Gericht stehen. Diese und ähnliche Gesetze eignen sich deswegen so gut als politisches Repressionsinstrumentarium, weil kein konkreter Tatvorwurf erbracht und keine Straftat nachgewiesen werden muss, sondern allein die behauptete Zugehörigkeit zu einer so genannten Risikogruppe für die Verfolgung ausreichend ist. Repression als Risikomanagement – auch das ist nicht verwunderlich in Zeiten der totalitären Ökonomie.

Dipl.-Soz.Wiss. Melanie Bujok ist langjährige Tierbefreiungsaktivistin und lehrt im Bereich der Human-Animal-Studies.

[Greenpeace] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

CBG im greenpeace magazin

„BAYER-Watch ist ein Fulltime-Job“

Das greenpeace magazin hat der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) anlässlich ihres 30-jährigen Dienstjubiläums einen ausführlichen Artikel gewidmet.

Von Jan Pehrke

„Der Pestizid-Weltmarktführer BAYER produziert hochgefährliche Chemikalien. Eine kleine Organisation überwacht die riskanten Geschäfte und alarmiert Öffentlichkeit und Behörden“ - so leitet das greenpeace magazin seinen „BAYER-Watch“ überschriebenen Artikel über die mittlerweile 30 Jahre währende Arbeit der CBG ein. Von der Gründung der Coordination 1978 nach einem „Störfall“ im Wuppertaler BAYER-Werk über den Einsatz gegen gesundheitsgefährdende Pestizide und Medikamente bis hin zu den aktuellen Auseinandersetzungen um Kohlekraftwerke und die Kohlenmonoxid-Pipeline skizziert der Text den Werdegang des Netzwerks. Und eine ihm beigestellte Liste mit den größten Unfällen beim Chemie-Multi von 1976 bis heute unterstreicht zusätzlich noch einmal die Dringlichkeit konzern-kritischen Engagements. „BAYER-Watch ist ein Fulltime-Job“, lautet deshalb das Resümee der Zeitschrift, die CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes dann auch gleich auf der Pirsch am BAYER-Stammsitz in Leverkusen ablichtete.

Beizeiten hat die CBG auch Job-Sharing betrieben und gemeinsam mit GREENPEACE Aktionen durchgeführt - „der altbekannte Gegner“ schreibt deshalb das greenpeace magazin über den Global Player. Näher kam man sich vor allem beim Kampf gegen BAYERs Dünnsäure-Einleitungen in die Nordsee. Dabei wirkte die Umweltschutz-Initiative wie ein Geburtshelfer der Coordination. Die 1982 und 1985 organisierten Blockaden in Leverkusen und Antwerpen brachten die CBG nämlich mit Gruppen aus vielen verschiedenen Ländern in Kontakt und zeigten, wie wichtig eine internationale Vernetzung ist. Eine Erfahrung, auf der die Coordination seither aufgebaut hat - sehr zum Leidwesen von BAYER.

Der Leverkusener Multi machte daher gegenüber dem greenpeace magazin auch wenig Anstalten, seine Einsilbigkeit in Sachen „CBG“ aufzugeben. Wie es die journalistische Sorgfaltspflicht verlangt, hatte die Zeitschrift den Pharma-Riesen um eine Stellungnahme zum Treiben seines langjährigen Begleiters aufgefordert, aber das Unternehmen rief nur die alten Textbausteine ab. „Die so genannte COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ist eine antiindustriell und antikapitalistisch ausgerichtete Protestgruppe, mit der ein Dialog nicht möglich ist“, konstatierte Konzern-Sprecher Dirk Frenzel in knappen Worten.

Der Artikel im vollen Wortlaut

[IGBCE] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Die IG BCE mit neuer Führung

Kuschelkurs 3.0

Neuer Mann, alte Politik: Michael Vassiliadis, der frisch gekürte Vorsitzende der INDUSTRIEGEWERKSCHAFT BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) setzt den unternehmerfreundlichen Kuschelkurs seiner Vorgänger Hubertus Schmoldt und Herrmann Rappe fort. Angesichts stetig sinkender Mitgliederzahlen schließt dies inzwischen die Gefahr des Untergangs der Gewerkschaft mit ein.

Von Paul Kranefeld-Wied

Kolleginnen und Kollegen, die den neuen IG BCE-Vorsitzenden in den 80er Jahren als Mitglied der Gesamtjugendvertretung der BAYER AG kennenlernten, berichten, schon damals habe der junge Gewerkschafter die Karriere fest im Blick gehabt. Der Förderung - zunächst durch den BAYER-Betriebsratsvorsitzenden Erhard Gipperich und dann durch den Gewerkschaftschef Hubertus Schmoldt - habe er sich immer sicher sein können.
Während andere junge Gewerkschafter oppositionelle Listen gründeten und die verstaubte Politik der ewigen Anpassung an die Unternehmerseite ablehnten, war Vassiliadis schon in jungen Jahren ein angenehmer Verhandlungspartner für die BAYER-Vorstandsriege. Auch die dürfte früh erkannt haben, dass da einer vom Schlage der Schmoldt und Rappe heranwächst, mit dem man immer werde „reden“ können. Öffentliche Förderung hat es gleichwohl nie gegeben, denn die wäre kontraproduktiv gewesen.
Bereits im Alter von 16 Jahren war Michael Vassiliadis 1980 Mitglied der IG BCE-Vorgängerin IG CHEMIE, PAPIER, KERAMIK geworden. Er absolvierte eine Lehre als Chemielaborant und war danach drei Jahre lang in diesem Beruf tätig. Bereits 1986 wurde er hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. Das dürfte auch eine Belohnung dafür gewesen sein, dass er erfolgreich den Versuch der IG Metall abwehrte, beim Kamera- und Filmproduzenten AGFA einzusteigen. Mit der kämpferischen Metaller-Gewerkschaft wäre die spätere Abwicklung der AGFA durch die BAYER AG sicher schwieriger geworden. Damals soll Hubertus Schmoldt nach Informationen der Tageszeitung Die Welt (11. 10. 2009) auf Vassiliadis aufmerksam geworden sein.
Vassiliadis wurde zunächst Sekretär der IG CHEMIE-PAPIER-KERAMIK in der Verwaltungsstelle Leverkusen, ab 1990 im Bezirk Nordrhein-Westfalen und von 1994 bis 1997 Geschäftsführer der Verwaltungsstelle in Leverkusen. In das Ende seiner Leverkusener Amtszeit fielen die bundesweit ersten Verhandlungen über den sogenannten Standortsicherungsvertrag, der 1997 abgeschlossen wurde. Inhalt des Vertrages waren weitgehende Zugeständnisse des Betriebsrats und der Gewerkschaft in puncto Flexibilität bei Arbeitszeit und -platz, beim Abbau nichttariflicher Lohnbestandteile und bei der Betriebsausgliederung. Im Gegenzug sicherte die BAYER AG zu, nicht betriebsbedingt zu kündigen. Diese damals völlig neue Vertragsform wurde hundertfach - nicht nur in der Chemiebranche - übernommen.
Vassiliadis verließ dann 1997 Leverkusen. Er wurde auf dem ersten Gewerkschaftstag der neuen IG BCE zum Vorstandssekretär gewählt und leitete in der Hauptverwaltung in Hannover die Abteilung „Vorsitzender/Personal“. Damit ist er bereits die rechte Hand von Schmoldt.
Dessen Kurs des Co-Managements wird Vassiliadis unbeirrt fortsetzen. Seine Haltung als rechter SPDler ist gefestigt. Als der Kapitalismus im Zuge der Krise in die Kritik geriet, antwortete Vassiliadis auf die Frage „Bekennen Sie sich zum Kapitalismus?“ folgendermaßen: „Ich bekenne mich zur sozialen Marktwirtschaft. Absolut. Und auch zu ihren innewohnenden Grundgesetzen. Wir werden weltweit kein anderes System finden, das den Wohlstand der breiten Bevölkerung besser entwickeln könnte. Und ohne die Dynamik der Marktwirtschaft wird es kaum gelingen, die großen Zukunftsfragen zu erfolgreich beantworten: Klima, Umwelt, Ernährung“.
Fraglich bleibt, ob der Kuschelkurs mit dem Kapitalismus der Gewerkschaft eine Perspektive bietet. Zum Kuscheln gehören bekanntlich zwei. Doch das Unternehmerlager zieht die Daumenschrauben immer weiter an; der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) förderte mit der Einführung eines Tarifvertrags extra für Dienstleister die Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Chemie-Branche mit Stammbelegschaften auf der einen und deutlich schlechter gestellten Beschäftigten auf der anderen Seite. Das führte zu einem rapiden Mitgliederverlust der IG BCE. Die einstige Millionen-Gewerkschaft hat nur noch 690 000 Mitglieder - Tendenz sinkend.
Aber auch die Zugeständnisse, welche die Chemie-Multis bisher im Bereich der Kernbelegschaften machten, werden immer mehr abgebaut. Exemplarisch lässt sich dies an Vassiliadis’ alter Wirkungsstätte in Leverkusen verfolgen. Die alte „BAYER-Family“ ist dahin. Der Leverkusener Multi hat traditionsreiche Einrichtungen wie Kaufhäuser, Schwimmbäder oder Sportvereine etc. dichtgemacht oder „gesundgeschrumpft“. Große Teile der alten AG hat das Unternehmen ausgelagert. Die neuen Firmen gehören zwar noch zum Konzern, stehen jedoch großenteils nicht mehr unter dem Schirm der Chemietarife. Die Standortvereinbarungen sind immer weniger das Papier wert, auf dem sie stehen. Das betrifft vor allem den angeblichen Kündigungsschutz. Bereits jetzt ist es der Konzernspitze möglich, auch Mitglieder der Kernbelegschaft schrittweise aus dem Betrieb zu drängen. Und bezüglich der neuen Standortvereinbarung fordert der BAYER-Vorstand, dass der Kündigungsschutz auch formal fällt - noch wehrt sich die IG BCE.
Ein bedrohliches Signal ist auch die Regelung der Nachfolge des mächtigsten Mannes der deutschen Chemie-Industrie, des BAYER-Bosses Werner Wenning. Wie der neue Gewerkschaftschef ist auch Wenning gelernter Chemielaborant. Das heißt, die beiden kommen aus dem gleichen BAYER-Stall. Dass dies nicht unwichtig ist, konnte man beobachten, als vor drei Jahren die Sparte BAYER INDUSTRY SERVICES (BIS) komplett ausgelagert werden sollte. Nach zähem Widerstand der Belegschaft gab Wenning insofern nach, als extra für BIS ein neuer Chemietarif geschaffen wurde, der den Betrieb nicht völlig in die Rechtslosigkeit entlässt. Auch vom massiven Arbeitsplatzabbau sah der BAYER-Vorstand ab. Wenning, der bis heute mit Kollegen aus seiner Lehrzeit befreundet ist, konnte als bodenständiger BAYER-Mann wohl nicht anders.
Dieses Problem wird jetzt angegangen. Zum erstenmal in der Geschichte der BAYER AG holt man sich einen Konzernchef, der nicht von der Pieke auf bei BAYER gelernt hat. Der neue hat noch nicht einen Tag beim Pharma-Riesen gearbeitet. Es handelt sich um den gebürtigen Niederländer Marijn Dekkers, der ab dem 1. Oktober 2010 BAYER-Chef wird. Das dürfte es ihm leichter machen, sich von BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) zu trennen, wie es FinanzinvestorInnen seit Ausbruch der Wirtschaftskrise fordern. Eine Arbeitsplatzvernichtung in großem Ausmaß wäre die Folge.
Mit diesen für die gesamte Chemie-Industrie typischen Entwicklungen hat es der neue IG BCE-Chef zu tun. Sein erklärtes Ziel, neue Mitglieder zu gewinnen, ist unter diesen Umständen nahezu utopisch; es sei denn, die IG BCE begänne ähnlich wie die IG Metall, die vor allem junge Mitglieder gewinnt, einen kämperischeren Umgang mit den Unternehmern. Vassiliadis prägt in diesem Zusammenhang den Begriff „Zukunftsgewerkschaft“, den er sich sogar rechtlich hat sichern lassen. Doch ist kaum zu sehen, wohin diese Zukunftsgewerkschaft gehen soll. Vassiliadis‘ Einlassungen zu diesem Thema bleiben nebulös: „Eine Zukunftsgewerkschaft ist nicht statisch. Sie muss vorwärts denken, die gesellschaftlichen und technologischen Zukunftsfelder erkennen und analysieren, sich dann entscheiden, wo sie hingehen will und schließlich verantwortlich handeln. Das gilt beispielsweise für Arbeitswelt, Demografie und Technologie.“ Das kann alles und nichts bedeuten. Die IG BCE und ihr Vorsitzender stecken in einem massiven Dilemma. Bleiben sie beim Kuschelkurs, begeben sie sich in die Hände der Unternehmer. Und da ist es alles andere als kuschelig.

[Presserat] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Presserat lehnt CBG-Beschwerde ab

Ergebnis: unzuständig

Die Süddeutsche Zeitung hatte ein Interview mit der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nach einer Intervention von BAYER nicht gedruckt (SWB 3/09). Die CBG rief daraufhin den deutschen Presserat an, der allerdings wies die Beschwerde ab.

Von Jan Pehrke

Im letzten Jahr hatte die Süddeutsche Zeitung anlässlich des 30. Geburtstages der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ein Interview mit zwei Vorständlern geführt. Von der Entstehung der CBG im Jahr 1979 bis zu den aktuellen Auseinandersetzungen um Störfälle und die Kohlenmonoxid-Pipeline ging es dabei. Die Arbeitsweise der Coordination kam ebenso zur Sprache wie ihre Erfolgsbilanz und die Konzern-Kritik in Zeiten der Wirtschaftskrise. Nur lesen durfte es keine/r. BAYER intervenierte nämlich bei der Zeitung. Nicht einmal die Nachlieferung konkreter Belege für die in dem Gespräch gemachten Aussagen konnte die Verantwortlichen zu einer Veröffentlichung bewegen.

Die CBG schaltete daraufhin den deutschen Presserat ein. Dieser nahm die Eingabe auch zur Entscheidung an. Am 10. September 2009 beschäftigte sich der Beschwerdeausschuss mit der Sache. Zu einer Rüge der Süddeutschen Zeitung konnte er sich allerdings nicht durchringen. Das Gremium stellte das Verfahren wegen Unzuständigkeit ein. „Die Mitglieder sind übereinstimmend der Auffassung, dass die Entscheidung, ob ein redaktioneller Beitrag erscheint oder nicht, eine redaktionsinterner Vorgang ist und eine Zuständigkeit des Presserates nicht besteht“, lautete die Begründung.

Damit schlossen die VertreterInnen sich der Meinung des stellvertretenden Chefredakteurs der SZ an, der schon nicht einsehen mochte, warum der Beschwerdeausschuss sich überhaupt mit dem Fall beschäftigte. Es gehöre zum Redaktionsalltag, Texte nicht zu publizieren, gibt der Presserat seine schriftlichen Einlassung wieder, auch wenn Autor und Ressortleiter die Artikel für druckfertig hielten. Und im Übrigen wäre die Entscheidung aus verschiedenen Gründen gefallen, die alle nichts mit der von dem Beschwerdeführer behaupteten Intervention von außen zu tun hätten.

Und so bestätigte der Ausgang der „Beschwerdesache BK2-203/09“ aufs Schönste die Aussage des CBGlers Axel Köhler-Schura in dem SZ-Interview: „Allerdings hört beim Kapitalismus die Öffentlichkeit an der Werksgrenze auf“.

[Wasserverbrauch] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

NRW-Landesregierung plant Steuergeschenk

Wasserverbrauch der BAYER-Werke veröffentlicht

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren veröffentlicht erstmals die von den BAYER-Werken in NRW entnommenen Wassermengen. Der Verbrauch des Leverkusener Werks ist demnach doppelt so hoch wie der Trinkwasserbedarf der benachbarten Millionenstadt Köln. Trotz dieses gewaltigen Eingriffs in die Natur schafft die NRW-Landesregierung den sogenannten „WasserCent“ ab. Damit geht einer der wenigen Anreize zum Wasser sparen verloren.

von Philipp Mimkes

Die Fabriken von BAYER entziehen dem Boden enorme Mengen Grundwasser. An mehreren Standorten sank hierdurch der Grundwasserspiegel beträchtlich, so zum Beispiel in Wacken (Schleswig Holstein), wo sich der Boden absenkte und Schäden an Gebäuden entstanden. Das Wackener Wasserwerk versorgt das BAYER-Werk in Brunsbüttel (siehe Stichwort BAYER 4/2008).

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN erhielt nun über eine Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz Angaben zum Wasserverbrauch der fünf größten BAYER-Werke in Nordrhein-Westfalen (siehe Tabelle). Der jährliche Gesamtbedarf liegt demnach bei etwa 220 Millionen Kubikmetern Grund- und Flusswasser. Mit jährlich rund 130 Mio cbm hat das Leverkusener Werk dabei den höchsten Verbrauch. Das Monheimer BAYER-Werk verbraucht rund 50 Mio Kubikmeter. Zum Vergleich: die rund eine Million Einwohner von Köln benötigen nach Angaben des örtlichen Versorgers RheinEnergie etwa 57 Mio Kubikmeter Trinkwasser pro Jahr.

Besonders kritisch zu sehen ist daher der hohe Verbrauch von Grundwasser, welches in der Regel sauberer ist als Flusswasser. Während allein das Leverkusener Werk 85 Millionen cbm Grundwasser verbraucht, beziehen große Teile von NRW ihr Trinkwasser aus aufwändig gereinigtem Rheinuferfiltrat. BAYER besitzt für seine Werke „alte Wasserrechte„, die zum Teil bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen.

Harald Gülzow vom BUNDESVERBAND BÜRGERINITIATIVEN UMWELTSCHUTZ (BBU) kommentiert: „BAYER muss verantwortlicher mit den Grundwasservorräten umgehen. Deshalb ist dringend in Produktions- und Reinigungsprozesse zu investieren, bei denen keine Abwässer entstehen, sondern das Gebrauchswasser wieder in einem Kreislauf zurückgeführt und aufbereitet wird.“

Um einen Anreiz zu schaffen, den Wasserverbrauch zu senken, hatte die damalige NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn im Jahr 2003 ein Wasserentnahmeentgelt eingeführt – bis dahin hatte der Konzern keinerlei Gebühren für die gewaltige Wasserentnahme entrichtet. Der sogenannte WasserCent für entnommenes Grund- und Oberflächenwasser liegt je nach Nutzung zwischen 0,3 und 4,5 Cent pro Kubikmeter. Das jährliche Aufkommen in NRW in Höhe von 86 Millionen Euro wird etwa zur Hälfte von privaten Haushalten und der Industrie entrichtet. Die Einnahmen sind zweckgebunden, das Land finanziert damit Maßnahmen zum Gewässerschutz im Zuge der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie. BAYER, bzw. die BAYER-Tochterfirma CURRENTA, zahlte im vergangenen Jahr rund 4,6 Millionen Euro.

WasserCent abgeschafft
Die schwarz-gelbe Landesregierung beschloss nun, den WasserCent schrittweise abzuschaffen. Damit kommt die Regierung Rüttgers einer langjährigen Forderung der Industrie nach. So hatte BAYER-Chef Werner Wenning bereits vor der Einführung des WasserCent kritisiert: „Diese landesspezifische Regelung führt zu gesteigerten Produktionskosten und wirft den gesamten Wirtschaftsstandort NRW, insbesondere aber die chemische Industrie mit ihren wasser- und energieintensiven Betrieben, auch im Vergleich mit anderen Bundesländern, zurück." Im August diesen Jahres bezeichnete Wenning den WasserCent trotz der vergleichsweise geringen Summen erneut als „Investitionshemmer“, und forderte – parallel zur ermäßigten Ökosteuer für große Energieverbraucher – eine Entlastung. Auch der von der Landesregierung NRW eingeführte „Dialog Wirtschaft und Umwelt“, in dem BAYER und RWE (nicht aber die Umweltverbände) vertreten sind, hatte stets die Abschaffung gefordert.

Vor dem Hintergrund des hohen Wasserverbrauchs von BAYER kritisierten der BUND, die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und der BUNDESVERBAND BÜRGERINITIATIVEN UMWELTSCHUTZ die Entscheidung in einer gemeinsamen Stellungnahme. Paul Kröfges, NRW-Landesvorsitzender des BUND: „Aus der Sicht des BUND ist das Wasserentnahmeentgelt unverzichtbar, denn es stellt einen wichtigen Anreiz dar, Wasserentnahmen auf das unbedingt nötige Maß zu beschränken. Insbesondere für die Entnahme von Kühlwasser wäre im Gegenteil eine deutliche Anhebung der Abgabe erforderlich, um den erheblichen Auswirkungen der Erwärmung unserer Gewässer Rechnung zu tragen.“ Untermauert wird diese Ansicht durch eine aktuelle Studie des BUND, die die Erwärmung des Rheins dokumentiert und insbesondere die Belastungen durch die Kühlwassernutzungen darstellt.

Die Abschaffung des Wasserentnahmeentgelts wird auch die künftige Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie erschweren – entweder werden Projekte zum Gewässerschutz gestrichen, oder die Bürger werden über den Umweg anderer Steuermittel mit den erforderlichen Kosten belastet. Deutlich gerechter gewesen wäre es, die Verursacher der Gewässerbelastungen weitgehender in die Pflicht zu nehmen.

Die von BAYER entnommenen Wassermengen (in Kubikmeter/Jahr):

2008 - 2007 - 2006 - 2005
Werk Leverkusen
Rheinwasserwerk: 45.538.921 - 59.006.356 - 44.001.389 - 42.503.718
Grundwasser: 85.608.897 - 89.957.325 - 92.010.147 - 87.083.140
Werk Monheim 52.691.314 - 46.796.344 - 41.399.608 - 46.554.953
Werk Dormagen
Brunnen Worringen: 17.873.420 - 17.327.201 - 19.634.105 - 19.786.530
Brunnen Dormagen: 7.484.009 - 7.779.134 - 7.996.759 - 7.885.573
Werk Krefeld 3.047.057 (vorl.) - 16.625.913 - 16.966.824 - 16.472.239

[25 Jahre Bhopal] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

25 Jahre Bhopal

Vor 25 Jahren kam es im indischen Bhopal zum größten Chemie-Unfall der Geschichte. Eine solche Katastrophe könnte sich jederzeit wieder ereignen - auch bei BAYER, wie nicht zuletzt die Explosion in Institute am 28. August 2008 gezeigt hat.

Von Jan Pehrke

„Es war dunkel. Töne von Klagelauten, Schreien, Husten drangen herein ... Es gab viel Verkehr, ungewöhnlich für die Stadt zu diesem Zeitpunkt. Ich stand auf, machte das Licht an und ging zum Fenster. Die Töne schwollen an, es hörte sich an, als ob ein Kind sanft vor sich hin weinen würde, nur elektronisch verstärkt. Ich schob den Vorhang zurück und spürte einen Knall, irgendetwas Unsichtbares gelangte in den Raum. Meine Augen begannen zu brennen und zu tränen. Ich brauchte Luft ...“ - mit diesen Worten beschrieb der Inder Ashay Chitre die Unglücksnacht vom 3. Dezember 1984.

Ausgelöst wurde die Katastrophe in dem Pestizid-Werk von UNION CARBIDE CORPORATION (UCC), das zu diesem Zeitpunkt gar nicht in Betrieb war, durch Wasser. Die Flüssigkeit sickerte in einen mit der Chemikalie Methylisocyanat (MIC) gefüllten Tank ein und löste eine chemische Reaktion aus. Dabei erhöhte Kohlendioxid den Innendruck so stark, dass das Behältnis explodierte. 25 bis 40 Tonnen MIC und andere Reaktionsprodukte bildeten eine Gaswolke, die sich über das die Fabrik umgebende Elendsviertel legte. In der so genannten Nacht des Massakers (indisch: Quatl-ki-raat) starben ca. 8.000 Menschen. Hunderttausende erlitten Vergiftungen, die zu Hirnschäden, Lungenkrankheiten, Unfruchtbarkeit, Lähmungen, Herz-, Magen-, Leber- und Nierenleiden führten. An den Spätfolgen, die bis in die Gegenwart reichen, gingen noch einmal mindestens 20.000 Menschen zugrunde.

Quatl-ki-Raat
BAYER als europaweit einzigster Hersteller von MIC besaß umfassende Informationen über die Wirkung der Substanz auf den menschlichen Organismus. Deshalb forderten die indischen Behörden den Chemie-Multi auf, den HelferInnen dieses Wissen zur Verfügung zu stellen, um Menschenleben zu retten. Aber der Konzern blockte ab. Er schickte zwar ExpertInnen nach Bhopal, betrachtete das Katastrophengebiet aber lediglich als riesiges Freiland-Labor für eigene Studien. Ashay Chitre empörte sich über solche ForscherInnen: „Ich bin zu vielen Ärzten und Wissenschaftlern gegangen, und jeder wollte seine Hand auf mich legen, weil ich ein Opfer bin, nicht aber, weil er mir helfen wollte. Das Opfer als Versuchskaninchen“.

Bhopal ist nirgendwo
Die Chemie-Konzerne erklärten umgehend, ein solches Unglück könne sich in der westlichen Welt nicht zutragen. Der Leverkusener Multi schickte „Fakten zur Produktion von Methylisocyanat“ an über 200 Zeitungen, Zeitschriften, Agenturen und TV-Sender und wiegelte in punkto MIC ab: „Die BAYER AG verwendet ein völlig anderes Produktionsverfahren“. Dabei versicherte das Unternehmen sich auch der freundlichen Unterstützung des damaligen NRW-Gesundheitsministers Friedhelm Farthmann. Nach einer Betriebsbesichtigung gab der Politiker Entwarnung. „Ein Giftgas-Unglück, wie es sich in Bhopal ereignet hat, ist bei BAYER auch unter ungünstigen Umständen nicht möglich“, erklärte Farthmann am 17. Dezember 1984 vor JournalistInnen.

Das Bundesumweltministerium sah das - zumindest intern - anders. „Chemieanlagen mit einem Gefahren-Potenzial wie in Bhopal gibt es in der Bundesrepublik zu Hunderten“, zitierte das Magazin Natur aus einem vertraulichen Papier der Behörde. Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) meldete gleich erhebliche Zweifel an den Beschwichtigungen der Unternehmen an. Gegründet nach einem verheerenden Salzsäure-GAU in Wuppertal, wusste die Initiative nur zu gut um die „BAYER-Gefahren“, die von einer profit-getriebenen Chemie-Produktion ausgehen. Darum startete die CBG umgehend Initiativen. Vorständler Axel Köhler-Schnura nahm beispielsweise Mitte Dezember 1984 an einer Pressekonferenz mehrerer Organisationen zu „Bhopal ist überall“ teil, wo er BAYER zufolge „Falschmeldungen zur MIC-Produktion“ verbreitete, was nicht ohne Folgen blieb. „Am 13. Dezember übernahm die Abgeordnete der ‚Grünen‘, Antje Vollmer, fast wörtlich die Köhler-Falschmeldung in einer ‚Aktuellen Stunde‘ des Bundestages“, beklagte sich der Konzern. Zum ersten Jahrestag der Explosion hielt die CBG Mahnwachen vor den BAYER-Werken ab. In den folgenden Jahren vergaß die Coordination Bhopal ebenfalls nicht. So hat sie 1994 gemeinsam mit dem BUND in Köln die Konferenz „Bhopal - 10 Jahre danach“ abgehalten. Sie startete zudem mit dem BUND und dem PESTICIDES TRUST den Aufruf „Bhopal mahnt“, der unter anderem mehr Unterstützung für die Opfer der Katastrophe, sicherere Chemie-Anlagen und eine Beendigung der doppelten Standards forderte. Darüber hinaus nahm ein Vertreter der Coordination 1994 am „Permanent Peoples Tribunal“ teil, auf dem Geschädigte von „Störfällen“ mit den Verursachern zu Gericht gingen.

Toxic Hell Month
Wie berechtigt die Befürchtungen der Initiativen waren, sollte sich schon acht Monate nach Bhopal im US-amerikanischen Institute zeigen, wo UNION CARBIDE das Schwester-Werk zu der indischen Anlage betrieb. UCC hatte offiziell stets betont, die beiden Fertigungsstätten wären nicht zu vergleichen, weil es in Institute automatisierte Kontrollen, Chloroform- statt Wasserkühlung, für reines MIC sorgende Zwischentanks und besser ausgebildeteres Personal gäbe, tat dies aber wider besseren Wissens. Bereits vor Bhopal wusste der Konzern um die Gefährlichkeit der MIC-Produktion, wie ein internes Memo, das sich auf einen im Juli 1984 abgeschlossenen Sicherheitsreport bezog, unter Beweis stellte. Es warnte vor „einer außer Kontrolle geratenen Reaktion, die eine katastrophale Auswirkung auf die Vorratstanks mit dem giftigen (MIC-)Gas“ in Institute haben könnte.

Und „außer Kontrolle geratene Reaktionen“ gab es am Standort schon bald reichlich, nur glücklicherweise ohne die verheerenden Folgen von Bhopal. Am 11. August 1985 drangen durch ein Leck Grundstoffe zur Produktion des Pestizides Aldicarb nach außen und formierten sich zu einer Gaswolke. 135 Menschen vergifteten sich und mussten ins Krankenhaus. 15 Tage später schwebte ein Wasser/Säure-Gemisch über der Gemeinde South Charleston. Am 7. September traten die Agro-Chemikalie Larvin und das Vorprodukt Dimethyldisulfid aus, einen Tag später die Substanz Methylmercaptain und am 11. September Monomethylamin. Vom „Toxic Hell Month“ sprachen die AnwohnerInnen fortan. Die Monate und Jahre davor verliefen auch nicht viel ungiftiger. Der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA, die unmittelbar nach dem Jahrhundert-GAU alle Chemiewerke inspizierte, beichtete UCC 190 Leckagen für den Zeitraum von 1979 bis 1984. Nach EPA-Recherchen gelangte dabei 28 Mal der Bhopal-Stoff MIC ins Freie.

Bhopal ist in Institute
Die Pannenserie riss auch nicht ab, als BAYER im Jahr 2001 die Herstellungsanlagen übernahm. Kurz vor Sylvester 2007 barsten mehrere Pestizid-Fässer, am 20. Dezember 07 emittierten aus einem Faultank stinkende Abgase und am 16.11.07 wurden 50 kg der Chemikalie Rhodimet freigesetzt. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN nahm das zum Anlass, auf der BAYER-Hauptversammlung einen Gegenantrag zur prekären Sicherheitssituation in Institute einzubringen. Als „unbegründet“ wies ihn der Vorstand ab.

Drei Monate später lieferte die Realität die Begründung nach. Am 28. August 2008 kommt es in Institute zu einem großen Knall. Ein Rückstandsbehälter fliegt durch die Luft, und ein fünfzig Meter hoher Feuerball steigt auf. AugenzeugInnen sprechen von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“; die Erschütterungen sind in einem Umkreis von mehr als zehn Meilen zu spüren. Tausende AnwohnerInnen dürfen über Stunden ihre Häuser nicht verlassen. Die Behörden ziehen die Sicherheitskräfte aus Angst vor austretenden Chemikalien ab und sperren eine nahe gelegene Autobahn. Ein Arbeiter stirbt sofort, ein zweiter wird später seinen schweren Verbrennungen erliegen.

Wie ein Untersuchungsbericht des US-amerikanischen Kongresses nachher feststellte, ist Institute nur haarscharf an einem Super-GAU vorbeigekommen. „Die Explosion in dem BAYER-Werk war besonders beunruhigend, weil ein mehrere Tonnen wiegender Rückstandsbehälter 15 Meter durch das Werk flog und praktisch alles auf seinem Weg zerstörte. Hätte dieses Geschoss den MIC-Tank getroffen, hätten die Konsequenzen das Desaster in Bhopal 1984 in den Schatten stellen können“, heißt es in dem Report. Es sei reiner Zufall gewesen, dass der Behälter in eine andere Richtung flog, so die AutorInnen.

Nicht umsonst hat deshalb die „International Campaign for Justice in Bhopal“, auf ihrer Bustour zum Gedenken an „25 Jahre Bhopal“, in Institute Station gemacht. Und für die AktivistInnen aus Indien war es eine ganz besondere Begegnung. „Das war einer unserer seltenen Stopps in den USA, wo wir einen anderen betroffenen Ort besuchten. Es war sehr bewegend und schockierend zu sehen, dass aus dem Bhopal-Desaster nicht gelernt wurde (...) Festzustellen, wie dicht die Fabrik an die Wohnsiedlungen heranreicht, hat uns alle sehr deprimiert“, sagte Rachna Dhingra im nachfolgenden SWB-Interview.

Auf dem Fahrplan der Initiative stand auch der BAYER-Stammsitz in Leverkusen. Unterstützt von der CBG, machte die Kampagne in Leverkusen-Opladen Halt und verteilte Informationsmaterialien. „Wir wollten den Leuten in Leverkusen sagen, dass sich so etwas wie in Bhopal nie wieder ereignen darf und dass niemand mehr so leiden sollte wie die Menschen in Bhopal und Institute leiden“, so Dhingra zum Lokaltermin in Leverkusen.

Bhopal heute
„Leiden“ hat Rachna Dhingra dabei ganz bewusst ins Präsens gesetzt, denn in Bhopal dauert die Katastrophe noch an. Ein hoher Betonwall umgibt heute das 32 Hektar große Firmen-Areal. Dahinter hat sich kaum etwas getan. Eine grundlegende Sanierung des Geländes hat nie stattgefunden. 1989 bequemte sich UNION CARBIDE dazu, die Tanks und Fässer zu leeren und ein paar Chemikalien zu entsorgen. 1998 führte der indische Staat noch einige Reinigungsarbeiten durch, aber das war es dann auch. Und so tickt hinter dem kapitalistischen Schutzwall noch eine chemische Zeitbombe: 1.500 bis 4.000 Tonnen Schadstoffe und 27.000 Tonnen kontaminierte Erde. Das ergab 2004 eine Untersuchung von GREENPEACE. Tanklastzüge müssen deshalb für die AnwohnerInnen das Trinkwasser bereits seit Jahrzehnten aus weit entfernten Gebieten anliefern. Aber trotzdem macht der Chemie-Cocktail die Menschen rund um das Katastrophengebiet immer noch krank. Über die belastete Muttermilch vererben sich die Schädigungen sogar an die nachfolgenden Generationen.

Und so geht die Geschichte von Bhopal weiter, die Rachna Dhingra zufolge nicht nur eine von Bhopal ist, sondern „eine von Unternehmen, die von Gier und Profiten getrieben sind und diese über das Leben von Menschen und die Umwelt stellen“. Auch Ashay Chitre holte das Chemie-Unglück noch ein. Im Jahr 2003 starb er an den Spätfolgen. Panikattacken und Alpträume sollten ihn sein Leben lang nie verlassen. Nach den Worten seines Vaters fühlte er sich vom 3. Dezember 1984 an als ein Paria, ein Unberührbarer. In dem Nachruf auf seinen Sohn schreibt er: „Ich habe die letzten 20 Jahre daran geglaubt, dass Ashay das Gefühl überwindet, ein Opfer zu sein. Ich habe nicht verstanden, dass er wirklich ein Opfer war. Heute beginne ich zu verstehen, dass ein Opfer gar nicht anders fühlen kann“.

Interview zum Jahrestag

[Ticker 4 2009] STICHWORT BAYER 04/2009 – Ticker

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Jahrestagung 2009
Am 7. November 2009 fand die Jahrestagung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zum Thema „Haste mal ‘ne Billion? - Konzerne, Kapitalismus und die Krise“ statt. Zum Auftakt sprach Professor Rainer Roth vom RHEIN-MAIN-BÜNDNIS GEGEN SOZIALABBAU UND BILLIGLÖHNE über die Ursache der Krise. Das Problem einer lukrativen Kapitalverwertung hat seiner Ansicht nach zu Überproduktion und „Nachfrage-Doping“ mittels Verschuldung geführt und den Wirtschaftsorganismus schließlich kollabieren lassen. „Entwarnung“ konnte Roth deshalb noch lange nicht geben. Pedram Shahyar vom ATTAC-Koordinierungskreis arbeitete die Frage auf, warum die Linke nicht stärker von der Krise profitiert hat. Die „Globalisierung“ der Neoliberalismus-Kritik, das Vertrauen auf das Krisenmanagement der Eliten, die Rückkehr des Korporatismus von Gewerkschaften und Unternehmen, eine zu flache Krisen-Interpretation und eine Fixierung der Betroffenen auf ihr eigenes Schicksal im Zuge drohenden Job-Verlustes nannte er als Gründe. Im Anschluss daran machte Shahyar Vorschläge für eine neue linke Krisen-Politik. „Verstärkte Suche nach Alternativen“, „Deglobalisierung“, „Eigentumsfrage“ und „Gesundschrumpfung der Wirtschaft“ lauteten hier die Stichwörter. Jan Pehrke (CBG) schließlich zeichnete den Verlauf der Krise am Beispiel BAYER nach und konnte so den im Laufe des Tages erörterten, manchmal recht komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen Anschaulichkeit verleihen. Fast 50 TeilnehmerInnen lockte die Veranstaltung an - so viele BesucherInnen hatte eine Jahrestagung der CBG bisher noch nie. Offensichtlich bestand ein großes Interesse daran, ein Jahr nach Ausbruch der Krise eine erste Bestandsaufnahme vorzunehmen und über die Perspektiven antikapitalistischer Interventionen zu diskutieren.

Antwerpener Beschäftigte protestieren
Der Leverkusener Multi erpresst die Belegschaft des Antwerpener Werks und droht mit einer Schließung, falls die Beschäftigten nicht einer Lohnkürzung zustimmen (siehe KAPITAL & ARBEIT). Diese wollen sich darauf jedoch nicht einlassen. Deshalb nahmen die AntwerpenerInnen nicht nur an einer Großdemonstration in Brüssel teil, die unter Druck stehende Belegschaften vieler belgischer Werke zusammenführte, sondern ergriffen dort auch das Wort. Levi Sollie, der Vertrauensmann der Gewerkschaft Algemeen Belgisch Vakverbond (ABVV), sprach auf der Kundgebung über die Situation am belgischen BAYER-Standort.

Klima-Protest vor BAYER-Zentrale
Zum Auftakt der Weltklimakonferenz in Kopenhagen hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) am 7. Dezember 2009 gemeinsam mit Vertretern vom NIEDERRHEINISCHEN UMWELTSCHUTZVEREIN und von der Linkspartei eine Mahnwache vor der Leverkusener BAYER-Zentrale abgehalten, um auf die Klima-Sünden des Konzerns hinzuweisen. So leitet der Pharma-Riese jährlich bis zu acht Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre und trägt auf diese Weise zum Treibhauseffekt bei. Und von einem Umdenken ist bei dem Unternehmen nichts zu spüren. Es setzt weiter auf klimaschädigende Müll- und Steinkohlekraftwerke. Darum wollte die CBG BAYER auch einen Offenen Brief übergeben, der zu einer Energie-Wende aufruft, aber dazu kam es nicht. Der Multi verweigerte die Annahme.

CEFIC für Klima-Negativpreis nominiert
LOBBYCONTROL hat den „Verband der Europäischen Chemischen Industrie“ (CEFIC) für den Negativpreis „Angry Mermaid Award“ nominiert. Die Initiative hält den Verband für würdig, die in Anspielung auf die Kopenhagener Klimakonferenz „Die aufgebrachte Meerjungfrau“ getaufte Auszeichnung zu erhalten, weil er sich durch besonders destruktive Lobbyarbeit gegen Klimaschutz-Maßnahmen hervortat. So gelang es der CEFIC LOBBYCONTROL zufolge etwa, der chemischen Industrie kostenträchtige Folgen des Handels mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten zu ersparen, weshalb Investitionen in ökologischere Verfahren unterblieben. Aber schlussendlich musste sich die CEFIC dem noch schlimmeren Finger MONSANTO geschlagen geben.

Pipeline-Protest vor Ständehaus
Am 23. November 2009 war BAYER-Chef Werner Wenning Stargast des Düsseldorfer Ständehaus-Treffs in den Räumen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Aber der von Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo moderierte Plausch mit dem Konzern-Lenker vor Promis wie Gabriele Henkel, Heiner Kamps, Rudi Altig und Heide Rosendahl konnte nicht ungestört ablaufen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und andere Gegner der vom Leverkusener Multi geplanten Kohlenmonoxid-Pipeline hielten nämlich eine Mahnwache vor dem Gebäude ab. Die Veranstalter taten dabei alles, den Protest zu erschweren. Als Tagesmieter des Ständehauses reklamierten sie das Hausrecht für sich und drängten die AktivistInnen mit Hilfe von Polizei und privatem Sicherheitsdienst an den äußersten Rand der Auffahrt, um Wenning & Co. den Abend nicht allzu sehr zu verderben. Di Lorenzo kam beim Talk jedoch nicht darum herum, die Sache aufzugreifen. „Wenning ging offensiv mit dem Thema um“, vermeldete die Rheinische Post anschließend, „Er ist fest von der absoluten Sicherheit der Leitung überzeugt, aber er weiß auch, dass keiner ausschließen kann, dass irgendein Unfall passiert“.

PRIMODOS-Anfrage
In den 50er Jahren hatte die jetzige BAYER-Tochter SCHERING den Schwangerschaftstest PRIMODOS (auch DUOGYNON) auf den Markt gebracht, der bei Neugeborenen zu Herzfehlern, Fehlbildungen an Händen und Füßen sowie zu Gaumenspalten führte. Auf der diesjährigen Hauptversammlung des Leverkusener Multis haben die Opfer des Hormon-Präparates eine Entschädigung gefordert; zudem sind Klagen in Vorbereitung (siehe RECHT & UNBILLIG). Im Juli hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) dem Gesundheitsministerium zum Fall „PRIMODOS“ einen Brief geschrieben. Die CBG wollte wissen, warum die Betroffenen bis heute keine Unterstützung erhalten und welche Unterlagen im Archiv noch zu dem Pharma-GAU existieren. Zudem fragte die Coordination, ob es bezüglich der Entschädigungsfrage Kontakte zum Pharma-Riesen und zu den Behörden in Großbritannien gibt, wo das Thema ebenfalls auf der Tagesordnung steht. Darüber hinaus erbat sie eine Stellungnahme zur Weigerung des Global Players, die Geschädigten abzufinden. Diese mochte das Gesundheitsministerium in seiner Antwort nicht abgeben. Es habe in der Sache weder Verbindung zu BAYER noch zur britischen Regierung aufgenommen und hätte auch keine Akten zu dem Fall mehr, hieß es in dem Schreiben weiter. „Zu Ihrer Frage, warum die Betroffenen keine Unterstützung erhalten haben, lassen sich daher nur Vermutungen aufgrund von nicht validen Informationen anstellen. Es scheint damals aber wohl eine gewisse Unsicherheit in der Kausalitätsbewertung zwischen den aufgetretenen Missbildungen und der Verabreichung des entsprechenden Medikamentes gegeben zu haben“, so das Ministerium.

Die „Global Compact“-Beschwerde
1999 haben sich BAYER und andere Multis am Rande des Davoser Weltwirtschaftsforums im „Global Compact“ dazu bekannt, soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten. Nach Meinung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat der Leverkusener Multi mit der Beinah-Katastrophe in Institute und seiner Reaktion darauf gegen die Regularien des an die UN angebundenen Industrie-Zusammenschlusses verstoßen. Der Konzern hatte im Vorfeld lange bekannte Sicherheitsmängel nicht behoben, defekte Detektoren nicht repariert und Warnsysteme deaktiviert. Nach der Explosion informierte er zudem die Öffentlichkeit unter Berufung auf die Antiterror-Gesetze nur spärlich (siehe SWB 2/09). Die CBG hat die UN deshalb in einem Offenen Brief aufgefordert, den Agro-Riesen aus dem „Global Compact“ auszuschließen. Die Antwort traf umgehend ein. Der „Global Compact“ legte dar, dass er über keinerlei Mandat verfügt, die Einhaltung seiner Prinzipien zu kontrollieren und gegebenenfalls Sanktionen auszusprechen. Nur einen Dialog moderieren könne er. Das tat er dann auch, indem er BAYER zu einer Stellungnahme aufforderte. Nach einigem Briefverkehr mit dem Leverkusener Multi und der CBG teilte die Organisation mit, sie habe die Beschwerde nun an die bundesdeutsche Dependance weiterverwiesen. Die Coordination erklärte sich damit nicht einverstanden. Sie dringt darauf, den Fall statutengemäß im Leitungsgremium zu verhandeln, und legte Protest ein.

180.000 Unterschriften gegen LL62
Im Jahr 2006 hat BAYERs Genreis LL601 für den größten Gen-GAU der Nuller-Jahre gesorgt: Trotz fehlender Zulassung tauchte er in den handelsüblichen Supermarkt-Sorten auf. Das hält den Leverkusener Multi jedoch nicht davon ab, weiter auf die Risiko-Technologie zu setzen. So liegt der EU bereits seit längerem ein Antrag zur Importgenehmigung von LL62-Reis vor. GREENPEACE hat dagegen mobil gemacht und der EU-Gesundheitskommissarin Anroulla Vassiliou, die demnächst das Bildungsressort übernimmt, im Oktober 2009 180.000 Unterschriften gegen eine Einfuhr-Lizenz übergeben.

Kritik an Beobachtungsstudien
Die „Kassenärztliche Bundesvereinigung“ (KBV) hat die Beobachtungsstudien angeprangert, mittels derer BAYER & Co. ihre Medikamente in Arztpraxen testen lassen. Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Anwendungsuntersuchungen, bei denen die ÄrztInnen nur einen kleinen Fragebogen ausfüllen müssen, kaum ergiebig, moniert die KBV, aus finanzieller Sicht allerdings schon - sowohl für die Konzerne als auch für die DoktorInnen. In Wahrheit verfolgen die Expertisen nämlich den Zweck, die PatientInnen auf das getestete Präparat - zumeist ein neues und deshalb besonders teures - umzustellen, und genau dafür zahlen die Unternehmen dann auch bis zu 1.000 Euro. Als „Fangprämien“ bezeichnete Leonard Hansen von der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ deshalb die Honorare, und der KBV-Vorstand Carl-Heinz Müller lässt keinen Zweifel an den Motiven von Big Pharma: „Das Ziel einer schnelleren Umsatzsteigerung ist sicher nicht von der Hand zu weisen“. Der Leverkusener Multi verfolgte dieses Ziel unter anderem mit Beobachtungsstudien zu BETAFERON. Kritik an dieser Praxis wies der Konzern immer wieder zurück. So verteidigte BAYER-Vorstand Wolfgang Plischke das Vorgehen der Pillen-Produzenten im Jahr 2008 mit den Worten: „Ich halte Anwendungsbeobachtungen allerdings für sinnvoll, da sie uns Langzeitdaten über die Wirkung von Medikamenten in die Hand geben, die wir aus den Zulassungsstudien nicht bekommen“.

Mediziner kritisiert Krebsmedikamente
Im Pharma-Geschäft versprechen Krebs-Arzneien die höchsten Gewinne. ExpertInnen erwarten für die nächsten Jahre einen 66 Milliarden Dollar schweren Absatzmarkt. Mit den Heilsversprechen der Pillenriesen - BAYER etwa preist NEXAVAR als einen „Meilenstein im Kampf gegen Krebs“ an - ist es nach Ansicht des Krebs-Spezialisten W.-D. Ludwig allerdings nicht so weit her. Nach Meinung des Mediziners, der an der HELIOS-Klinik in Berlin-Buch arbeitet und den Vorsitz der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ innehat, sorgt vor allem eine kreative Gestaltung der klinischen Tests für den guten Leumund der Mittel. So bestimmen die Untersuchungen als Ziel der Therapie nicht etwa das Überleben der PatientInnen und dauern auch gar nicht so lange, um den Gesundheitszustand der ProbandInnen über einen angemessenen Zeitraum hinweg verfolgen zu können. Ihnen reicht es als positiver Befund aus, wenn sich das Leiden erst einmal nicht verschlimmert oder der Körper überhaupt in irgendeiner Weise auf den Pharma-Stoff anspricht, was noch überhaupt nichts über eine Beeinflussung des Krankheitsverlaufs aussagt. Da es noch kaum wirksame Krebs-Arzneien gibt, müssen die Konzerne zudem keine großen Vergleichsstudien finanzieren. Das alles erleichtert „erfolgreiche Erprobungen“ natürlich ungemein. Ludwig forderte als Konsequenz aus dieser Art von Studien mehr unabhängige Arzneimittel-Untersuchungen.

Einspruch gegen BVL-Bescheid
Im letzten Jahr hat BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO ein verheerendes Bienensterben ausgelöst. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hegte den Verdacht, dass der Agro-Riese diese „Nebenwirkung“ bei den Genehmigungsbehörden heruntergespielt hat und verlangte in einem Offenen Brief an das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ (BVL) die Herausgabe der Zulassungsunterlagen. Die Behörde gab dem Begehr zwar trotz BAYER-Widerstand statt, erlaubte jedoch nur eine kurze Einsichtnahme bei einem Lokaltermin. Dagegen legte die CBG Widerspruch ein, weil so zu wenig Zeit für die Überprüfung der Dokumente bleibt.

Frankfurter Uni umbenannt
Im Jahr 2001 ging das Frankfurter IG-FARBEN-Haus in den Besitz der „Johann Wolfgang von Goethe-Universität“ über. Seit dieser Zeit traten Studierende und Lehrende dafür ein, die mahnende Erinnerung an den von BAYER mitgegründeten Mörderkonzern wachzuhalten, indem die Hochschule den ehemaligen IG-Zwangsarbeiter Norbert Wollheim ehrt. Die Leitung wehrte sich aber erfolgreich dagegen, einen Platz auf dem Gelände nach dem Mann zu benennen, der durch seinen 1951 begonnenen Musterprozess Entschädigungszahlungen für die SklavenarbeiterInnen ermöglichte. Stattdessen errichtete sie mit dem „Norbert Wollheim Memorial“ eine Gedenkstätte für ihn (siehe SWB 1/09). Im Zuge des Bildungsstreiks jedoch knüpften Studierende an die alte Idee an. Sie besetzten das Casino-Gebäude und benannten die Alma Mater symbolisch in „Norbert Wollheim Universität“ um.

Kritik an EU-Pharmapolitik
Die EU betrachtet Medikamente nicht als Bestandteil des Gesundheitswesens, sondern als Wirtschaftsgut. Deshalb untersteht das Arzneimittelrecht ebenso wie die für Pillen-Zulassungen zuständige „Europäische Arzneimittelbehörde“ dem Industrie- und nicht dem Gesundheitskommissar. An dieser Politik hat jetzt der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei, der Christdemokrat Peter Liese, scharfe Kritik geübt.

KAPITAL & ARBEIT

Neue Standortsicherungsvereinbarung
BAYER hat mit dem Gesamtbetriebsrat eine neue Standortsicherungsvereinbarung abgeschlossen (siehe auch STANDORTE & PRODUKTION). Wie schon bei dem Vorgänger-Vertrag ließ sich der Leverkusener Multi das Zugeständnis, fünf Jahre auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, teuer abkaufen. So müssen die Beschäftigten jetzt ihre Arbeitszeit noch stärker den Konjunktur-Schwankungen anpassen und sogar Ortswechsel in Kauf nehmen. Bei der Sparte BAYER TECHNOLOGY SERVICES haben sie zudem eine Stunde länger zu arbeiten, ohne dafür mehr Lohn zu bekommen. „Zu bemerken ist, dass in vielen Punkten wieder einer zeitlich begrenzten Zusage des Arbeitgebers dauerhaft abgegebene Besitzstände der ArbeitnehmerInnen gegenüberstehen“, kommentieren die KOLLEGEN UND KOLLEGINNEN FÜR EINE DURCHSCHAUBARE BETRIEBSRATSARBEIT, eine alternative Gewerkschaftsgruppe im Leverkusener BAYER-Werk, das Ergebnis der Verhandlungen.

Kürzerarbeit wieder aufgehoben
Im Zuge der Wirtschaftskrise hatte BAYER in der Kunststoff-Sparte die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich um 6,7 Prozent gekürzt und weitere Maßnahmen durchgeführt, was dem Leverkusener Multi Kosten in zweistelliger Millionenhöhe ersparte. Anfang November 2009 hat der Konzern die Kürzerarbeit-Regelung wieder aufgehoben - „eine derzeit verbesserte Auftragslage“ bewog das Unternehmen zu diesem Schritt.

Antwerpen: BAYER droht mit Schließung
Am Standort Antwerpen erpresst BAYER die Belegschaft. Der Leverkusener Multi droht mit einem Aus für die Kunststoff-Produktion, wenn die Beschäftigten nicht auf zehn Prozent ihres Lohn verzichten. Die beiden Gewerkschaften Algemeen Belgisch Vakverbond (ABVV) und ACV Energie-Chemie wollen das nicht mitmachen. „Die Vertrauensleute im Antwerpener Werk werden keiner sozialen Demontage zustimmen, wir werden weder zu Lohnsenkungen noch zu Arbeitszeitverlängerungen ‚Ja‘ sagen“, kündigt ABVV-Vertrauensmann Levi Sollie an und verweist auf den 190-Millionen-Euro-Gewinn der Niederlassung. Einer Standort-Konkurrenz mit Krefeld verweigert sich die Gewerkschaft ebenfalls: „Auch werden wir nicht zulassen, dass wir gegen die Kollegen im BAYER-Werk Uerdingen ausgespielt werden“. Der Pharma-Riese musste die staatliche Schiedskommission anrufen, weil es mit den Belegschaftsvertretern zu keiner Einigung kam. Eine Entscheidung des Gremiums steht noch aus.

Gerüchte über BMS-Verkauf
Im November 2009 tauchten Gerüchte über einen von BAYER beabsichtigten Verkauf der Kunststoff-Sparte BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) auf. Die INTERNATIONAL PETROLIUM INVESTMENT COMPANY (IPIC) mit Sitz in Abu Dhabi hatte Verhandlungen mit dem Pharma-Riesen bestätigt. Der Leverkusener Multi hielt sich dagegen bedeckt: „Marktgerüchte kommentieren wir grundsätzlich nicht“. Wenig später dementierte IPIC-Direktor Khadem Al Qubaisi die von dem Informationsdienst Chemical Industry News & Intelligence in Umlauf gebrachte Meldung. Es sei bei den Gesprächen mit BAYER nicht um einen Verkauf, sondern um ein geplantes Joint Venture in Abu Dhabi gegangen. Wie dem auch sei - Wirtschafts- und Finanzkreise machen jedenfalls weiter Verkaufsdruck. So schrieb beispielsweise das Handelsblatt unlängst angesichts wieder etwas besserer BMS-Geschäftszahlen: „Der Pharma- und Chemiekonzern kann sich wieder über seine Kunststoffe freuen. Zeit, an einen Verkauf zu denken“.

USA: BAYER gegen Gewerkschaftsgesetz
In den Vereinigten Staaten versucht der Leverkusener Multi mit aller Macht, die Gewerkschaften aus dem Konzern herauszuhalten. Immer wenn sich irgendwo die Gründung einer Beschäftigten-Vertretung anzubahnen droht, trommelt das Unternehmen die Belegschaft zusammen und warnt vor Arbeitsplatzvernichtungen, sollten sich im Werk Betriebsgruppen bilden. Folglich gibt es nur an drei von 50 BAYER-Standorten in den USA Gewerkschaften. Die Regierung Obama hat sich jetzt vorgenommen, den Organisationen den Rücken zu stärken und sie besser vor Repressionen zu schützen. Aber BAYER & Co. investieren Millionen, um das Gesetzesvorhaben zu verhindern.

IG BCE für Unternehmenssteuerreform
Der neue IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis will den industriefreundlichen Kurs seines Vorgängers Hubertus Schmoldt fortsetzen (siehe auch SWB 4/09) und demonstrierte dies auch gleich eindrucksvoll, indem er sich von dem DGB-Vorschlag distanzierte, in Zeiten der Krise den Übergang zwischen Arbeitslosengeld und Hartz IV finanziell weicher zu gestalten. Er überraschte auf dem Chemiegewerkschaftskongress in Hannover allerdings mit einer Forderung zur Reform der Unternehmensbesteuerung. So verlangte Vassiliadis, die Höhe der Körperschaftssteuer nach der Eigenkapitalrendite zu bemessen und so besonders rücksichtslose Profit-Jäger abzustrafen. „Wenn eine extreme Rendite nur mit einer sehr aggressiven Strategie erreicht werden kann, erst dann beginnt ein höherer Steuersatz“, so sein Vorschlag. Zudem möchte der Gewerkschaftler die Krisenverursacher stärker zur Verantwortung ziehen und machte sich für eine KurzarbeiterInnen-Abgabe des Bankensektors stark.

Merkel lobt die IG BCE
Bundeskanzlerin Angela Merkel trat auf dem Bundeskongress der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) auf und konnte gar nicht mehr aufhören, die Verdienste der Gewerkschaft um das Co-Management zu rühmen. Laut Frankfurter Rundschau gelang es der Politikerin, die IG BCE „innerhalb einer halben Stunde gefühlte 30 Mal zu loben und sich abwechselnd ‚herzlich‘, ‚freundlich‘ oder ‚besonders‘ zu bedanken“. In puncto Gentechnik standen ihr Vassiliadis & Co. sogar näher als die CDU-GenossInnen. Die „Zukunftsgewandtheit“ der GewerkschaftlerInnen stände auch den eigenen Parteikreisen gut zu Gesicht, vermerkte Merkel.

Betriebskrankenkassen-Fusionitis
Mitte 2007 schloss sich BAYERs Betriebskrankenkasse mit der FORTISNOVA BKK zur PRONOVA BKK zusammen. Zum Jahreswechsel fusioniert diese wiederum mit den Kassen FORD & RHEINLAND und GOETZE & PARTNER, „um unsere Position im Gesundheitsmarkt langfristig zu stärken“, wie aus der Zentrale verlautete. Name, Filialnetz und MitarbeiterInnen-Zahl bleiben erhalten, und mit über 500.000 Versicherten zählt die PRONOVA BBK nunmehr zu den 30 größten Krankenkassen der Bundesrepublik. Besonders aggressive Verhandlungen mit BAYER um Arznei-Preise dürften von ihr jedoch nicht zu erwarten sein.

ERSTE & DRITTE WELT

Afrika kommt zu BAYER
Afrika nimmt für BAYER & Co. vor allem wegen seiner Rohstoff-Vorkommen, um die ein Wettlauf mit China entbrannt ist, eine immer größere Bedeutung ein. Aus diesem Grund versuchen die Konzerne eine African Connection aufzubauen, indem sie Kontakte zu späteren Eliten aufbauen. Diesem Behufe dient das Programm „Afrika kommt“, in dessen Rahmen BAYER und weitere Unternehmen junge Spitzenkräfte des Kontinents mit freundlicher Unterstützung des Auswärtigen Amtes in der Bundesrepublik „weiterqualifizieren“. Die Koordination übernimmt dabei die seit langem mit dem Leverkusener Multi verbundene Agentur „Inwent“. 1921 vom damaligen BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg gegründet, hörte sie lange auch auf seinen Namen. Erst im Jahr 2002 legte die Einrichtung die Bezeichnung „Carl-Duisberg-Gesellschaft“ ab.

Venezuela hebt BAYER-Patent auf
Patente auf Medikamente verschaffen den Herstellern Monopol-Gewinne und verhindern eine preisgünstige Arzneiversorgung, was vor allem in den Ländern der Dritten Welt verheerende Folgen hat. In Venezuela wollten Pillen-Produzenten deshalb eine Nachahmer-Version von BAYERs Antibiotikum-Wirkstoff Moxifloxacin auf den Markt bringen. Der Leverkusener Multi klagte, die venezolanische Behörde SAPI prüfte - und stieß auf Unregelmäßigkeiten in der Patentschrift. Deshalb hob sie den Schutz des geistigen Eigentums für Moxifloxacin auf. Das Handelsministerium unterstützte den Schritt und erklärte, dass „Aktionen wie die von BAYER sich gegen das Recht auf Gesundheit richten und auf die Errichtung eines Industrie-Monopols zielen, ohne auf die Bedürfnisse des Volkes Rücksicht zu nehmen“. Auch Ecuador hat Maßnahmen angekündigt, um die Verfügbarkeit von Medikamenten zu verbessern. Die Regierung will die Patente von 2.000 Präparaten für ungültig erklären.

IG FARBEN & HEUTE

100 Jahre Synthese-Kautschuk
Mit großen Artikeln feierte die Presse den hundertsten Geburtstag von Synthese-Kautschuk, das der BAYER-Forscher Fritz Hofmann entwickelt hatte. In den netten Ständchen fehlten allerdings Passagen darüber, welche wichtige Rolle dieser Stoff bei den Kriegsvorbereitungen der Nazis spielte. Er machte das Verbrecherregime nämlich unabhängig von Rohstoff-Importen aus dem Ausland und verschaffte den von BAYER mitgegründeten IG FARBEN so eine profitable Führungsposition bei den wirtschaftlichen Planungen zu den Waffengängen.

IG FARBEN an „Aktion T4“ beteiligt
Die vom Leverkusener Multi mitgegründeten IG FARBEN haben nicht nur das Zyklon B für die Vergasung der Juden im „Dritten Reich“ geliefert. Der Mörderkonzern hat auch für die „Aktion T4“ genannte Euthanasie, der mehr als 100.000 behinderte oder psychisch kranke Menschen zum Opfer fielen, den passenden Rohstoff bereitgestellt: das heute wieder durch BAYERs umstrittenes Pipeline-Projekt ins Gerede gekommene Kohlenmonoxid.

IG FARBEN besaß Zeitungsanteile
Der von BAYER mitgegründete Mörderkonzern IG FARBEN war nicht auf wohlmeinende Presseberichte angewiesen - er hielt sich selbst eine Zeitung. 1929 erwarb das Unternehmen 35 Prozent der liberalen Frankfurter Zeitung und 1930 weitere 14 Prozent. Mit diesem Besitzerwechsel ging auch eine Veränderung des politischen Kurses einher. So musste unter anderem der bekannte Publizist Siegfried Kracauer gehen. Ob sich der Leverkusener Multi nach dem Krieg auch an der Neugründung des Blattes unter dem Namen Frankfurter Allgemeine Zeitung beteiligte, steht nicht fest.

  • KONZERN & VERGANGENHEIT

ASPIRIN und die Grippewelle von 1918
Im Jahr 1918 raffte die Spanische Grippe über 50 Millionen Menschen auf der Welt dahin. Nach Ansicht der Medizinerin Dr. Karen M. Starko könnten viele Sterbefälle jedoch nicht durch die Krankheit, sondern durch das Heilmittel ASPIRIN ausgelöst worden sein. BAYERs „Tausendsassa“ kam bei der Behandlung der Infizierten nämlich in einer doppelt so hohen Dosis wie heute zum Einsatz, und den Autopsien zufolge kommt der Virus als Todesursache oftmals nicht in Frage. So wiesen zahlreiche Tote kaum Lungenschädigungen auf. Deshalb konnten MedizinerInnen sich die große Mengen blutiger Flüssigkeit in den Atemorganen bisher nicht erklären - Starko aber schon: Blutungen sind eine bekannte Nebenwirkung von ASPIRIN.

POLITIK & EINFLUSS

Lobby-Register ohne CEFIC
Die CEFIC, der europäische Lobbyverband der Chemie-Unternehmen, hat 170 Beschäftigte und einen Etat von ca. 47 Millionen Euro. Die Organisation kann jedoch auch ganz bescheiden auftreten. Im neu geschaffenen Lobby-Register der EU bezifferte sie die jährlichen Kosten für ihr Antichambrieren auf schlappe 50.000 Euro. Die Umweltgruppe FRIENDS OF THE EARTH wollte daran nicht glauben und witterte eine Irreführung der Behörden. Die EU-Kommission rechnete nach und gab der Initiative Recht. Daraufhin flog die CEFIC aus dem Register. Aber seit dem Herbst 2009 ist der Verband wieder drin, weil er sich zu kapitalistischem Realismus entschlossen hatte: Der Lobbyclub korrigierte seine Zahlen um das 80-fache nach oben und fand sich mit vier Millionen Euro plötzlich auf Platz sechs der finanzkräftigsten Einflussnehmer wieder.

BAYER in Kopenhagen
Über zahlreiche Lobbyorganisationen hat BAYER in Kopenhagen substanzielle Beschlüsse zur Rettung des Klimas zu verhindern versucht. „Croplife“ bemühte sich, verbindliche Auflagen zur Kohlendioxid-Reduzierung in der Landwirtschaft abzuwenden. Der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) erklärte: „Wir sind nicht mehr länger das Problem, wir sind Teil der Lösung“ und lud unter dem Titel „Business for Climate Protection“ zu einer Podiumsdiskussion, an der auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen teilnahm. „3C - Combat Climate Change“ betrieb derweil Werbung für die Kohlendioxid-Abspaltung - und damit für Kohlekraftwerke; das „International Chamber of Commerce“ und das „World Business Council for Sustainable Development“ unterstützten „3C“ dabei nach Kräften. Das tat auch „Business Europe“. Zudem hatte der Verband bereits im Oktober eine Konferenz zum Thema „Zwischen der Wirtschafts- und der Klimakrise - ist Kopenhagen der Ausweg?“ abgehalten, die unliebsamen Besuch von UmweltaktivistInnen erhielt. Darüber hinaus präsentierte „BusinessEurope“ EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso mit der „Copenhagen Scorecard“ eine Wunschliste in Sachen „Klimapolitik“. So sollte die Europäische Union Entwicklungsländer wie China in Dänemark zu verbindlichen Reduktionszielen drängen - und in heimischen Gefilden mehr auf „freiwillige Selbstverpflichtungen“ setzen.

„Croplife“ gegen US-Klimagesetze
„Croplife“, der US-amerikanische Verband von BAYER und anderen Agro-Multis, versucht, Obamas Klimaschutz-Agenda zu Fall zu bringen. Zu diesem Behufe hat die Organisation die Lobby-Agentur ALPINE GROUP engagiert, die in Washington über beste Kontakte verfügt.

Wenning beim Wirtschaftsgipfel
Die Kreditklemme gehört für den Leverkusener Multi zu den unangenehmsten Folgen der Wirtschaftskrise. „In der Größenordnung von zehn Milliarden Euro dürfte eine Akquisition für die meisten derzeit nicht mehr finanzierbar sein“, mit diesen Worten beklagte sich BAYER-Chef Werner Wenning in der Faz über die Beschränkung der Einkaufsmöglichkeiten. Deshalb drängte er bereits auf dem ersten Krisengipfel, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel gerufen hatte, auf eine Lösung des Problems. Auch bei der trauten Runde, die sich am 2. Dezember 2009 im Kanzleramt diesem Thema widmete, saß Wenning wieder mit dabei, flankiert unter anderem von Josef Ackermann, Dieter Hundt vom Arbeitgeberverband und Michael Vassiliadis von der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE.

BAYER unterzeichnet NRW-Pakt
Die nordrhein-westfälische Landesregierung tut alles dafür, BAYER & Co. in politische Entscheidungen einzubinden. So rief sie beispielsweise den „Dialog Wirtschaft und Umwelt“ ins Leben. Im November 2009 haben Rüttgers & Co. jetzt mit BAYER und anderen Unternehmen einen Pakt geschlossen, denn „die Distanz zwischen Wirtschaft und Politik verhindert Wachstum“. Diese Entfremdung - „Die Wirtschaft hat vielfach geglaubt, ohne die Politik auszukommen. Die Politik hat sich an einer Manager- und Unternehmerschelte beteiligt“ - wollen Bosse und CDU/FDP-Koalition mittels Spitzentreffen schnellstmöglich aufheben. Nicht zuletzt BAYERs umstrittenes Pipeline-Projekt dürfte die konzertierte Aktion nötig gemacht haben.

BAYER & Co. sponsern den Staat
Die Konzerne unterstützten die Regierungstätigkeit im großen Umfang finanziell. Das geht auch aus dem 3. Zweijahresbericht über Sponsoring-Leistungen hervor, den das „Bundesministerium des Inneren“ im Mai 2009 veröffentlichte. Geld- und Sachleistungen in einer Größenordnung von fast 80 Millionen Euro brachten die Unternehmen in den Jahren 2007 und 2008 auf. BAYER befand sich natürlich ebenfalls unter den „edlen Spendern“. Der Leverkusener Multi stiftete für das Sommerfest von Bundespräsident Horst Köhler Sachleistungen im Wert von 30.000 Euro. Für den Empfang zum „Tag der Deutschen Einheit“ machte der Konzern 33.170 Euro locker und für das Kunstprojekt „inform“ 50.000 Euro.

„World Environment Day“ in Pittsburgh
Als „Bluewashing“ kritisieren die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Initiativen die Strategie der Konzerne, sich durch Kooperationen mit den Vereinten Nationen ein gutes Image zu verschaffen. BAYER tut dies hauptsächlich durch ein Sponsoring der UNEP, des Umweltprogramms der UN. So richtete das Unternehmen 2007 in Leverkusen eine Konferenz mit 150 jungen UmweltschützerInnen aus aller Welt aus. Im Oktober 2009 gelang dem Multi erneut ein Coup. Er setzte für 2010 mit Pittsburgh den Standort seines US-amerikanischen Hauptquartiers als Gastgeber-Stadt des „World Environment Day“ durch. Dort hofft sich der Chemie-Riese dann wieder einmal als Öko-Engel präsentieren zu können.

BDI treibt Gesundheitspolitik
Im November 2009 präsentierte der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) sein „gesundheitswirtschaftliches Innovationskonzept“. Die Organisation sprach sich darin für eine Abkehr vom paritätisch finanzierten Gesundheitswesen aus und trat stattdessen für „transparente, lohnunabhängige Prämien“ ein. Zudem wiederholte sie die alte BAYER-Forderung nach einer steuerlichen Absetzbarkeit von Forschungskosten. Auch „zentralistische Eingriffe in die Preisbildung“ von Medikamenten verbat sich der BDI. Darüber hinaus sollten die Krankenkassen unbesehen die Kosten für jede neu auf den Markt kommende Arznei übernehmen. Natürlich durfte in dem Papier auch eine Kritik am „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ nicht fehlen, das Kosten/Nutzen-Analysen von Arzneimitteln durchführt und dabei nach Meinung von BAYER & Co. allzu oft zu negativen Ergebnisse kommt. Aber mit einer weiteren Loslösung vom Solidarprinzip hat das „gesundheitswirtschaftliche Innovationskonzept“ den Konzernen zufolge nichts zu tun, „ohne Wenn und Aber“ sprachen sie sich gegen eine Zwei-Klassen-Medizin aus.

Verheugen kämpft gegen Werbeverbot
Das Pillengeschäft könnte noch mehr Profite abwerfen, wenn die Hersteller für verschreibungspflichtige Medikamente werben dürften. Deshalb versuchen BAYER & Co. seit geraumer Zeit, das EU-Reklameverbot zu Fall zu bringen. Den Industrie-Kommissar der EU, Günter Verheugen, haben sie dafür als Bündnispartner gewonnen. Trotzdem liegt sein Gesetzesvorschlag vorerst auf Eis, weil viele ParlamentarierInnen eine Kosten-Explosion durch eine aggressive Reklame für teure Arzneien befürchten. Der SPD-Politiker versuchte daher kurz vor Ende seiner Amtszeit noch, Medikamenten-Fälschungen als Argument dafür anzuführen, den Pharma-Riesen mehr Raum für das zuzubilligen, was sie „Informationen“ nennen.

PROPAGANDA & MEDIEN

Klima-Manager Wenning?
Aus unerfindlichen Gründen ließ der Berliner Tagesspiegel in seiner Reihe „Die Klima-Manager“ auch BAYER-Chef Werner Wenning zu Wort kommen. Der gibt sich zunächst reumütig: „Die Industrie ist Teil des Problems“, nimmt dann aber flugs für sich in Anspruch, zur Lösung beitragen zu können. Gemeint ist allerdings lediglich ein Klimakrisen-Management aus dem Ackergiftschrank des Multis. So können Wenning zufolge bestimmte Pestizide den Pflanzen helfen, mit den Folgen des Klimawandels wie etwa Trockenheit umzugehen. Eine „zweite grüne Revolution“ nennt der Vorstandsvorsitzende das unbescheiden. Alleine machen will er sie jedoch nicht. „Die öffentlichen Ausgaben für Agrarforschung und landwirtschaftliche Infrastruktur reichen dafür noch nicht aus“, meint er und fordert frech Subventionen.

BAYER sponsert Klima-SkeptikerInnen
Der Leverkusener Multi bläst jährlich 7,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft und setzt weiter auf klimaschädigende Kohle- und Müllkraftwerke. Darum hat er auch ein großes Interesse daran, das Problem „Klimawandel“ zu verharmlosen und unterstützt Denkfabriken, die diesen Job für das Kapital erledigen. So gehört der Konzern zu den Sponsoren des „Science Media Centers“ und des „Institute of Ideas“, das sich daneben auch gut auf Pro-Gentech-PR versteht.

Greenwashing zum G20-Gipfel
Der diesjährige G20-Gipfel der weltgrößten Industrieländer fand in Pittsburgh statt, dem Sitz von BAYERs US-amerikanischem Hauptquartier. Der Leverkusener Multi legte sich daher mächtig ins Zeug, um sich trotz seines jährlichen Kohlendioxid-Ausstoßes von 7,6 Millionen Tonnen als Umweltengel zu präsentieren und begrüßte die Staatenlenker mit großen „Welcome“-Bannern.

BAYER lädt zum Gynäkologie-Kongress
Der Leverkusener Multi hat mit QLAIRA ein neues Verhütungsmittel kreiert. Um dieses auch auf die Rezeptblöcke zu bringen, lud er 700 FrauenärztInnen ins Berliner Hotel Andel‘s zu dem Kongress „GynSights“ ein. Prof. Dr. Alfred O. Mueck und Dr. Anneliese Schwenkhagen gestalteten den Werbeblock für die Antibabypille, der nur von einigen Workshops zu gynäkologischen Themen unterbrochen wurde. Zu allem Übel firmiert das Ganze auch noch unter „Weiterbildungsmaßnahme“. „Diese Fortbildung haben wir bei der zuständigen Ärztekammer zur Zertifizierung eingereicht“ lässt BAYER die ÄrztInnen-Schar auf der Einladung wissen.

Werbekosten: vier Milliarden Dollar
Nach eigenen Angaben belaufen sich die jährlichen Marketing-Kosten von BAYER auf vier Milliarden Dollar. Allein in den USA investiert der Konzern 840 Millionen Dollar.

VI gibt TransGen-Trägerschaft auf
Die „Verbraucher Initiative“ (VI) ist mehr eine Konzern-Initiative. So hat sie sich ihr Gentechnik-Informationsportal TransGen von BAYER und anderen Gen-Giganten bezahlen lassen, was nicht ohne Einfluss auf die Berichterstattung blieb. Im November 2009 gab die VI nun endlich die Trägerschaft auf. Das Propaganda-Portal existiert jedoch weiterhin.

Standort-Kampagne in Leverkusen
BAYER spielt seinem Stammsitz Leverkusen seit längerer Zeit übel mit. Das Werk schrumpft und schrumpft und damit auch die Zahl der Arbeitsplätze, die Gewerbesteuer fließt nur noch spärlich und die vielbeschworene BAYER-Familie wird dysfunktionaler und dysfunktionaler. Was tun Konzerne in einem solchen Fall? Sie starten eine Image-Kampagne, die Eintracht beschwört. Und so heißt es nun: „Leverkusen und BAYER. Ein starkes Team“. Anzeigen beschwören den „Heimvorteil Leverkusen“, auf einer extra eingerichteten Internet-Seite betreibt der Multi Lokalpolitik und ein Fotowettbewerb zum Thema ist ebenfalls in Planung.

DRUGS & PILLS

Wieder eine YAZ-Tote
Im September 2009 erlitt eine 21-jährige Schweizerin nach der Einnahme von BAYERs Verhütungsmittel YAZ eine Lungenembolie und starb. Obwohl das Embolie-Risiko bei den Drospirenon-haltigen Kontrazeptiva wie YAZ um das 1,75fache höher liegt als bei den älteren Präparaten der 2. Generation, sah die zuständige Aufsichtsbehörde „Swissmedic“ auch nach dem neuerlichen tragischen Fall keine Veranlassung, die Pillen der YASMIN-Produktfamilie vom Markt zu nehmen. Das Heilmittel-Institut rät den MedizinerInnen lediglich zur Vorsicht. So sollen diese beim Verschreiben YASMIN & Co. auf die Gefahren aufmerksam machen; nur bei Frauen mit Hautleiden legte die Einrichtung den Einsatz der Mittel nahe. Zudem verlangt „Swissmedic“ eine Änderung des Beipackzettels - und mehr Folgen als eine andere Packungsbeilage dürfte der Pharma-GAU auch in der Bundesrepublik nicht haben.

Antibiotika nicht lukrativ
Antibiotika wie BAYERs CIPROBAY wirken gegen immer mehr Krankheitserreger nicht mehr. Das stört den Leverkusener Chemie-Multi aber kaum. Er gehört nicht zu den wenigen Pharma-Riesen, die nach Alternativen forschen. Antibiotika zählen nämlich nicht gerade zu den Kassenschlagern auf dem Pillen-Markt. Die MedizinerInnen verschreiben sie nur für wenige Tage, und neue Mittel haben die ÄrztInnen für besonders schwierige Fälle zurückzuhalten. „Medikamente, die Patienten über viele Jahre einnehmen müssen, sind viel lukrativer“, so Petra Gastmeier vom „Institut für Hygiene“ der Berliner Charité.

Senkt ASPIRIN das Darmkrebs-Risiko?
Nach einer neuen britischen Studie senkt ASPIRIN das Darmkrebs-Risiko. Die WissenschaftlerInnen warnen trotzdem vor einer vorbeugenden Einnahme des „Tausendsassas“, da er schwere Nebenwirkungen wie Magenbluten hat. Frühere Untersuchungen belegten einen Effekt von ASPIRIN nur auf eine bestimmte Art von Darm-Tumoren, weshalb die ForscherInnen ebenfalls von einer Gabe des Medikamentes zur Prophylaxe abrieten. Die einzige bisher durchgeführte Langzeitstudie sprach dem Mittel sogar jeden Nutzen bei der Darmkrebs-Prävention ab.

Keine Infarkt-Prävention mit ASPIRIN
BAYER vermarktet ASPIRIN mit großem Aufwand auch als Mittel zur Herzinfarkt-Prävention. Eine neue, im Drugs and Therapeutics Bulletin veröffentlichte Studie hat jetzt den Nutzen untersucht und kam zu einem negativen Ergebnis. Bei gesunden Menschen beugt der Tausendsassa einem Herzinfarkt nicht vor, während er das Risiko verdoppelt, innere Blutungen zu erleiden.

Brasilien: Kinder-ASPIRIN vom Markt
In Ländern der Dritten Welt vermarktet der Leverkusener Multi ASPIRIN als Allheilmittel und bietet es auch in einer Version für Kinder an, obwohl es gerade für Jüngere gravierende Risiken und Nebenwirkungen hat. So kann es bei Kindern mit Fiebererkrankungen das Reye-Syndrom auslösen, eine lebensbedrohliche Erkrankung der Leber und des Gehirns. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert BAYER deshalb seit Jahren auf, das Präparat vom Markt zu nehmen. Endlich hat der Konzern nun einen ersten Schritt gemacht und für Brasilien einen Verkaufsstopp verkündet.

FDA prüft MAGNEVIST
BAYERs Röntgen-Kontrastmittel MAGNEVIST hat bei vielen Nierenkranken eine nephrogene systemische Fibrose, ein lebensgefährliches unkontrolliertes Wachstum des Bindegewebes, ausgelöst, weshalb den Gerichten bereits über 200 Klagen von Opfern oder deren Angehörigen vorliegen (Ticker 2/09). Jetzt schreitet auch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA ein. Ein Ausschuss beschäftigt sich mit den Risiken von MAGNEVIST und anderen Kontrastmitteln. Allzu viel Unbill hat der Leverkusener Multi jedoch nicht zu erwarten. Es dürfte mit einer Veränderung der Anwendungsempfehlungen getan sein.

Hormon-Therapie weiter geduldet
Für BAYER machen typische Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche eine Hormon-Therapie unausweichlich. Auch kosmetische Gründe lassen dem Konzern zufolge einen Pharma-Einsatz angeraten erscheinen: Sie machen angeblich die Haut straffer. Zudem nutzt das Unternehmen die Angst als Verkaufsargument. Angeblich beugen Hormone der Osteoporose vor und wirken präventiv gegen Demenz. Nach Untersuchungen ist das Gegenteil der Fall: Hormone steigern sogar das Risiko, an Demenz zu erkranken. „Ein riesiges, unkontrolliertes Experiment mit den Frauen“ nennt das arznei-telegramm deshalb das „Menopausen-Management“. Darüber hinaus schädigen Hormon-Therapien nach einer in der Fachzeitschrift Proceedings veröffentlichten Studie das Gehör. Und trotz all dieser Befunde rät die „Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe“ auch in ihren jüngst veröffentlichten Leitlinien noch immer nicht von den Produkten ab.

LEVITRA & Co. sprengen Rentenkassen
In Brasilien heiraten immer mehr Männer um bis zu 30 Jahre jüngere Frauen, was die Sozialkassen sprengt, weil es den Staat überfordert, mehr als 15 Jahre lang Witwen-Renten auszuzahlen. BeobachterInnen führen diese Änderung im Paarungsverhalten auf den massenhaften Konsum von VIAGRA, BAYERs LEVITRA und anderen Potenzmitteln zurück und sprechen vom „VIAGRA-Effekt“.

LEVITRA als Schmelztablette
BAYER machte mit der Potenzpille LEVITRA im Geschäftsjahr 2008 einen Umsatz von 341 Millionen Euro. Das reicht dem Leverkusener Multi offenbar nicht. Er plant nämlich, das Präparat auch als Schmerztablette auf den Markt zu bringen, weil zur Einnahme dann kein Wasser mehr nötig ist, und hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Sollten die Zulassungsbehörden ihn genehmigen, dann kommen bald wohl noch mehr Männer in den Genuss der zahlreichen Nebenwirkungen des Mittels. Temporärer Gedächtnisverlust, zeitweilige oder dauerhafte Hörschäden, Sehstörungen bis zum Sehverlust, Schwindel, Höhenangst, Kopfschmerzen, Nasenschleimhaut-Entzündungen, Grippe-Symptome sowie Gesichtsrötungen zählen dazu.

BAYER kauft Krebsmittel
Der Leverkusener Multi hat sich von dem norwegischen Pharma-Unternehmen ALGETA die Vermarktungsrechte an einem Krebs-Therapeutikum gesichert. Das sich momentan in der letzten Phase der klinischen Erprobung befindende Mittel soll angeblich Krebszellen mittels Alpha-Strahlung zerstören und dabei das gesunde Gewebe schonender behandeln als vergleichbare Produkte.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Bienensterben global
Im vorletzten Jahr hat BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO in Süddeutschland ein verheerendes Bienensterben ausgelöst. Deshalb dürfen die LandwirtInnen das Produkt in der Bundesrepublik vorerst auf Maisfeldern nicht mehr ausbringen. Frankreich hat die Ausbringung von bestimmten Pestiziden wie dem vom Leverkusener Multi hergestellten GAUCHO bereits seit längerem streng reglementiert, während Italien das Mittel ganz verboten hat. In Staaten, die keine Maßnahmen getroffen haben, setzt sich indessen das Bienensterben fort. Aktuell haben ImkerInnen in Polen und Argentinien große Verluste zu beklagen.

Gepanschte Pestizide
In Brasilien hat der Leverkusener Multi seine Pestizide nach ganz eigenen Rezepten zusammengebraut und ohne Genehmigung gefährliche Mixturen angerührt (siehe auch SWB 4/09). Das stellte die brasilianische Gesundheitsbehörde „Agência Nacional de Vigilância Sanitária“ (Anvisa) bei einer Inspektion des BAYER-Werks in Belford Roxo fest. Sie ordnete daraufhin einen vorläufigen Verkaufs- und Produktions-Stopp für zwölf Ackergifte an. Auch mit einer Strafe in Höhe von 1,5 Millionen Real (rund 580.000 Euro) muss der Konzern rechnen.

Pestizide in Kräutern und Gewürzen
GREENPEACE hat Kräuter und Gewürze nach Pestizid-Rückständen untersucht und wies in einem Viertel der 37 Proben Spuren nach. Auch Wirkstoffe, die in BAYER-Produkten enthalten sind, waren mit von der Partie. Unter anderem stießen die WissenschaftlerInnen auf Chlorpyrifos, Imidacloprid, Methomyl, Thiabendazol und das hierzulande längst verbotene Methamidophos.

OBERON schädigt Orchideen
In Neuseeland hat das BAYER-Pestizid OBERON die Ernten von Orchideen-ZüchterInnen zerstört (siehe auch SWB 4/09). Der Leverkusener Multi musste das Ackergift nach dem Flurschaden aus dem Verkehr ziehen; inzwischen hat er jedoch eine Wiederzulassung für Tomaten- und Paprika-Kulturen erreicht. Rund 20 Prozent der Erträge hat das Insektizid auf dem Gewissen; der Einnahme-Verlust für die ZüchterInnen beträgt vier Millionen neuseeländische Dollar. Der Konzern hat den Betroffenen eine Entschädigung angeboten, aber mehr als die Hälfte lehnte ab. Viele der Orchideen-PflanzerInnen mussten nach dem GAU nämlich ihr Geschäft aufgeben, weil es zu lange dauern würde, die Blumen wieder in derselben Art zu kultivieren. Der Züchter Paul Hulshof hat aus Protest gegen das Zerstörungswerk des Agro-Multis eine LKW-Ladung kaputter Orchideen vor der neuseeländischen BAYER-Zentrale in Glenfield ausgekippt.

Tomaten-Rückruf wg. VOLARE
In Italien hat sich BAYERs Antipilzmittel VOLARE (Inhaltsstoffe: Propamocarb-Hydrochlorid und Fluopicolid) auf Tomatenfeldern vorzeitig zersetzt und einen üblen Chlorgeruch verströmt. Die Behörden mussten deshalb eine große Tomaten-Rückrufaktion starten.

Soja-Boom treibt Pestizid-Verbrauch
Im brasilianischen Bundesstaat Matto Grosso hat sich die Soja-Anbaufläche von 1998 bis 2008 verdreifacht. Dementsprechend wächst der Pestizid-Verbrauch. Neben Paraquat und Duquat kommt dabei auch das in Europa seit langem verbotene Endosulfan zum Einsatz, das zur Produktpalette von BAYER gehörte. Nach Aussage des Universitätsprofessors Wanderlei Antonio Pignati haben die Ackergifte die Kranken-Raten massiv steigen lassen. Allein in Sorriso, „der Hauptstadt des Soja“, haben die Krebserkrankungen und Missbildungen seit dem Boom um das Fünffache zugenommen. Auch Lungenkrankheiten und Allergien treten vermehrt auf. Zu allem Unglück nutzen die Soja-Barone die Agro-Chemikalien sogar dazu, um Kleinbauern und -bäuerinnen zu vertreiben, indem sie die Dörfer regelrecht mit Endosulfan & Co. einnebeln.

Pestizide fördern Dengue-Fieber
In Südamerika breitet sich das Dengue-Fieber immer stärker aus. Die eigentlich seit den 50er Jahren als eingedämmt geltende Krankheit hat sich inzwischen zu einer regelrechten Epidemie entwickelt. In Bolivien starben 2009 bereits 20 Menschen, in Brasilien 38. In diesen beiden Ländern und Argentinien erkrankten bisher insgesamt 68.000 Menschen. Der Agronom Alberto Lapolla führt den Anstieg der Zahlen neben dem Klimawandel, welcher den Moskitos als Überträgern bessere Lebensbedingungen bietet, auf den mit der Ausweitung des Soja-Anbaus einhergehenden exzessiven Pestizid-Einsatz zurück. Agrochemikalien wie Glyphosat, das nicht nur in MONSANTOs ROUNDUP, sondern auch in den BAYER-Produkten GLYPHOS, KEEPER und USTINEX enthalten ist, vergiften Lapolla zufolge nämlich Fische, Frösche, Kröten und andere natürliche Feinde der Moskitos. „Wir können ohne Übertreibung feststellen, dass die Amphibien in den Sojaanbau-Gebieten der Vergangenheit angehören. Sie wurden von den Pestiziden vernichtet, die bei der Aussaat verwendet werden“, so Lapolla.

Pestizide erhöhen Parkinson-Risiko
Pestizide haben Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem, darum befördern sie viele Krankheiten. Besonders Menschen, die täglich mit Agrochemikalien umgehen, gefährden ihre Gesundheit. So erhöhen Ackergifte das Risiko, an Parkinson zu erkranken, beträchtlich. Permethrin, das unter anderem in BAYERs Insektenmittel COOPEX und der gegen Flöhe wirkenden Tier-Arznei ADVANTIX enthalten ist, lässt diese Gefahren um das Dreifache ansteigen. Das wies eine neue, in den Archives of Neurology veröffentlichte Studie nach.

Immer mehr Pestizide
BAYER & Co. produzieren immer mehr Pestizide. Die in der Bundesrepublik hergestellte Wirkstoff-Menge wuchs 2008 im Vergleich zum Vorjahr von 86.733 Tonnen auf 115.756 Tonnen - eine Erhöhung um 33,5 Prozent! Auch der Export nahm zu. Er stieg von 101.565 auf 108.931 Tonnen an.

GENE & KLONE

NEXAVAR bei Schilddrüsenkrebs?
Der Leverkusener Multi versucht unentwegt, das Anwendungsspektrum seiner zur Behandlung von fortgeschrittenem Nieren- und Leberkrebs zugelassenen Gentech-Arznei NEXAVAR zu erweitern. Für die Indikation „Schilddrüsenkrebs“ hat gerade die dritte und letzte Testphase begonnen. Entsprechende Versuche laufen auch zur Therapie von Brust- und fortgeschrittenem Lungenkrebs; bei Haut- und Bauchspeicheldrüsenkrebs versagte das Medikament dagegen.

NEXAVAR wieder zu teuer
Nicht nur der Berliner Krebs-Spezialist W.-D. Ludwig beurteilt den Wert von neuen Krebsmedikamenten kritisch (siehe AKTION & KRITIK). Das britische Pendant zum bundesdeutschen „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“, die Sondergesundheitsbehörde NICE, kommt zum selben Ergebnis. Sie unterzog BAYERs zur Behandlung von Leberkrebs zugelassene Gentech-Arznei NEXAVAR einer Kosten/Nutzen-Analyse und stellte ein schlechtes Zeugnis aus. Deshalb ersetzen die Krankenkassen die Kosten nicht. Zuvor war die NICE schon zum Nierenkrebs-NEXAVAR nicht „nice“ gewesen.

Krebs-Antikörper erreicht Testphase
Das Biotech-Unternehmen MORPHOSYS entwickelt für BAYER einen Antikörper, der ein Molekül ausschalten soll, das eine Rolle bei Krebserkrankungen spielt. Inzwischen sind die Forschungen so weit gediehen, dass die erste Phase der klinischen Tests beginnen kann. Die Konkurrenz hat gegenüber dem Konzern allerdings einen Vorsprung. Der Antikörper des Unternehmens WILEX, der dasselbe Ziel anvisiert wie der des Leverkusener Multis, befindet sich bereits in der Endrunde der Erprobung.

Raps-Genom entschlüsselt
BAYER hat gemeinsam mit der „University of Queensland“, dem Pekinger Genomics-Institut und dem niederländischen Unternehmen KEYGENE das komplette Erbgut der Rapssorte Canola entschlüsselt. Der Leverkusener Multi will die Erkenntnisse zur Beschleunigung seiner Forschungs- und Zuchtprogramme nutzen. So hat der Konzern vor, den Ölgehalt der Pflanzen zu erhöhen. Solchermaßen angereicherter Raps eignet sich besonders gut als Rohstoff für die Agrosprit-Produktion, die immer mehr Ackerflächen in Anspruch nimmt und so die ausreichende Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln gefährdet.

BAYER kauft neue Gentechnik ein

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Der Leverkusener Multi hat vom US-Unternehmen CHROMATIN die Nutzungsrechte an einer Technologie erworben, die es erlaubt, mehrere Gene auf ein Chromosom zu übertragen. Der Konzern will dieses Verfahren unter anderem bei der Produktion seiner Baumwoll-Pflanzen nutzen.

BAYER kauft neue Gentechnik ein

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Der Leverkusener Multi hat das US-amerikanische Biotech-Unternehmen ATHENIX gekauft. Nach BAYER-Angaben verfügt ATHENIX über eine „umfangreiche Entwicklungsplattform von Pflanzen-Eigenschaften“ zur konventionellen Einzüchtung sowie „über die branchenweit größte Kollektion von so genannten Bt-Genen“, die das Ackerfrüchte-Erbgut mit dem für Insekten tödlichen Bacillus thuringiensis bestücken. Auch gegen Fadenwürmer hat die Firma etwas im Angebot. Zudem hat sie Lizenz-Abkommen mit Konzernen geschlossen, die jährlich 500 Millionen Euro einbringen.

Neues Baumwoll-Forschungszentrum
Baumwolle - gentechnisch manipuliert, konventionell oder mit eingezüchteten Sondereigenschaften - gehört zu den Kerngeschäften BAYERs. Deshalb hat der Agro-Multi jetzt auch im texanischen Lubbock ein neues Zentrum für Baumwollforschung und -züchtung in Betrieb genommen.

WASSER, BODEN & LUFT

PCB-Verbrennung: 15.000 Tonnen
Besonders wegen ihrer langen Halbwertzeit zählen Polychlorierte Biphenyle (PCB) zu den gefährlichsten Chemikalien überhaupt. Obwohl bereits seit 1985 verboten, ist die Substanz, zu deren Hauptanbietern BAYER gehörte, noch nicht aus dem Alltag verschwunden und überdauert beispielsweise als Isoliermaterial in Gebäuden. Und wenn etwa Sanierungsmaßnahmen anstehen, findet das PCB auch seinen Weg zurück zu BAYER und landet in den Sondermüll-Verbrennungsanlagen des Konzerns. Allein der Leverkusener Ofen schluckt jährlich 15.000 Tonnen - und spuckt angeblich kaum PCB-Rückstände aus.

Warnung vor Tabun
Etwa 6.000 Giftgas-Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg liegen zweieinhalb Seemeilen vor Helgoland in der Nordsee (Ticker 2/09). Bestückt sind sie mit dem Kampfstoff Tabun, den Gerhard Schrader 1936 im Leverkusener BAYER-Werk entwickelt hatte. Nach Einschätzung der schleswig-holsteinischen Katastrophenschutz-Behörde ist die Substanz durch Seewasser, Druck und Korrosion schon lange aus den Geschützen ins Meer entwichen. Das „Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrologie“ hat deshalb davor gewarnt, in dem Gebiet „grundnahe Fischerei“ zu betreiben. Eine Bergung oder andere Maßnahmen planen die zuständigen Institutionen derzeit nicht.

Wolfenbüttel: Bodensanierung beendet
Im letzten Jahr hat BAYER die Pestizid-Produktion am Standort Wolfenbüttel aufgegeben und ein verseuchtes Werksgelände hinterlassen. Nicht nur 325 Kilogramm Pestizide schlummern im Erdreich, sondern auch 3.000 Kilogramm Benzol sowie Lösungsmittel, Mineralöle und Schlacken. Für den größten Schadstoff-Eintrag hatte 1978 - damals betrieb SCHERING auf dem Gelände eine Chemie-Produktion - eine Explosion gesorgt, denn mit dem Löschwasser versickerte ein ganzer Chemie-Cocktail (Ticker 3/09). Die Sanierung des Grunds gestaltete sich schwierig. Im Laufe der Arbeiten entdeckten die Fachleute noch mehr Schadstoffe und erweiterten ihren Aktionsradius um 200 Quadratmeter. Im November 2009 hatten sie dann auf 1.200 Quadratmetern bis zu einer Tiefe von acht Metern Erde ausgehoben und beendeten ihre Tätigkeit. Die Reinigung des Grundwassers allerdings dürfte noch lange dauern. Der Geologe Jürgen Röhrs veranschlagt dafür 50 Jahre; BAYER will es hingegen in einer Dekade schaffen.

Antwerpen: Stadt gegen Kraftwerk
Der Energie-Riese E.ON will für BAYER am Standort Antwerpen ein Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 1.100 Megawatt bauen. Die Stadt hat sich jetzt angesichts der zu erwartenden Kohlendioxid-Emissionen von ca. sechs Millionen Tonnen und des Schadstoff-Ausstoßes gegen das Projekt ausgesprochen. Ein Aus für die Dreckschleuder bedeutet dieses Votum jedoch nicht.

CO2: Darf‘s ein bisschen weniger sein?
7,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid hat BAYER im Jahr 2008 produziert. Nun hat der Konzern angekündigt, diese Menge bis zum Jahr 2013 um zehn Prozent reduzieren und die Emissionen mittels eines neuen Verfahrens zu Chlor-Herstellung weiter senken zu wollen. Klimawende sieht anders aus.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

Bisphenol in Schnullern
Die von BAYER massenhaft hergestellte und vor allem in Mineralwasser- und Babyflaschen sowie Konservendosen Verwendung findende Chemikalie Bisphenol A (BPA) wirkt hormon-ähnlich und kann deshalb die Entwicklung des Gehirns, Stoffwechselprozesse und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen sowie Diabetes und Herz/Kreislauf-Erkrankungen befördern. Eine neue Studie, die der BUND gemeinsam mit GLOBAL 2000 in Auftrag gab, hat nun eine hohe Bisphenol-Konzentration in Schnullern festgestellt. 400 Mikrogramm pro Kilogramm wiesen die WissenschaftlerInnen nach.

Sexualstörungen durch Bisphenol
Das von BAYER massenhaft produzierte Bisphenol A kann nach einer von US-amerikanischen und chinesischen WissenschaftlerInnen gemeinsam durchgeführten Studie das Geschlechtsleben beeinträchtigen. Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz mit der Chemikalie in Kontakt kamen, klagten den ForscherInnen zufolge deutlich häufiger über Ejakulationsstörungen, Erektionsprobleme und Unlustgefühle.

Phthalate stören Geschlechtsentwicklung
Phthalate und andere Weichmacher beeinträchtigen die Geschlechtsentwicklung. Da die von BAYER in großen Mengen hergestellten Stoffe hormon-ähnlich wirken, stören sie die Produktion von Testosteron. So beobachteten ForscherInnen bei Kindern zwischen drei und sechs Jahren, die im Mutterleib hohen Weichmacher-Konzentrationen ausgesetzt waren, ein markant unmännlicheres Spielverhalten als bei ihren unbelasteten Altersgenossen.

Modernisierung der Chlorproduktion?
BAYER gehört zu den letzten Chlor-Herstellern, die noch das veraltete Amalgam-Verfahren einsetzen, bei dem das hochgefährliche Schwermetall Quecksilber emittiert wird - mittelständische Betriebe haben ihre Anlagen längst umgerüstet. Nun hat der Chemie-Multi am Standort Krefeld endlich auch Modernisierungsmaßnahmen angekündigt. Allerdings stellte er diese erpresserisch unter Vorbehalt: Nur wenn es ein „Ja“ zur Kohlenmonoxid-Pipeline und zum Kohlekraftwerk gibt, will er die nötigen Investitionen vornehmen.

CO & CO.

Pipeline nicht erdbebensicher
In der Niederrheinische Bucht gibt es nach Aussage des Diplom-Physikers Klaus Lehmann vom „Geologischen Dienst NRW“ eine „moderate Erdbeben-Gefährlichkeit“. Die letzte größere Erderschütterung hatte eine Stärke von 5,9. Sie ging vom niederländischen Roermond aus und war bis Krefeld spürbar. Im Damenbecken des Schwimmbades entstanden Risse, weshalb die Stadt die Badeanstalt schloss. Deshalb muss BAYERs von Dormagen nach Krefeld verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline auch absolut erdbebensicher sein. Dies ist aber nach Einschätzung des „Geologischen Dienstes“ „bislang nicht ausreichend nachgewiesen“. Die Behörde hält in ihrem Gutachten zusätzliche Untersuchungen und Berechnungen für erforderlich, um beispielsweise Bodenrutschungen ausschließen zu können. BAYER weist die Kritik zurück: „Unsere Experten und der TÜV kommen zu anderen Schlussfolgerungen. Daran halten wir uns“.

CDUler fordern Pipeline-Stopp
Vier CDU-Landespolitiker haben in einem Offenen Brief an BAYER-Chef Werner Wenning einen Stopp der umstrittenen Kohlenmonoxid-Pipeline gefordert. „Beenden Sie sofort das Projekt CO-Pipeline. Tödlich giftiges Gas wie CO muss am Entstehungsort verarbeitet werden - in keinem Fall gehört es in eine Leitung, die durch Wohngebiete, Schulgelände und Kindertagesstätten geführt wird“, heißt es in dem Schreiben. Wenning zeigte sich wenig beeindruckt. „Unsere Pipeline erfüllt den höchsten Sicherheitsstandard“, versicherte er wieder einmal. Der BAYER-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Thomas de Win sprang seinem Boss bei, sprach von „platten Vorwürfen“ und warf den PolitikerInnen vor, auf Kosten des Leverkusener Multis Wahlkampf betreiben zu wollen.

Uhlenberg übt Kritik
Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte der Firma WINGAS als Bauherr von BAYERs umstrittener Kohlenmonoxid-Pipeline vorgeschrieben, den Boden vor Beginn der Verlegungsarbeiten sorgfältig mit Detektoren nach Fliegerbomben und anderen Kampfmitteln zu durchsuchen. Das Unternehmen kam dieser Aufforderung jedoch nur unvollständig nach (Ticker 3/09). Deshalb geht nun auch der nordrhein-westfälische Umweltminister Eckard Uhlenberg auf Distanz zum Bau. Er habe das Vertrauen in WINGAS verloren, erklärte der CDU-Politiker vor dem Umweltausschuss des Landtages. Ein hoher Beamter des Innenministeriums warf der Firma sogar vor, die Landesregierung belogen zu haben.

Pipeline-Baustelle als Holzlager
In Solingen haben Waldarbeiter die Pipeline-Baustelle als Holzlager benutzt und direkt über der Leitung Pfähle in den Boden gerammt. Da die Pflöcke nicht weit genug in die Erde reichten, hätte keine Gefahr bestanden, die Rohre zu beschädigen, gab die Stadt umgehend Entwarnung. Die Bezirksregierung forderte BAYER zu einer Stellungsnahme auf. Diese gab der Leverkusener Multi auch ab, und Regierungspräsident Jürgen Büssow ließ es dabei bewenden.

Sicherheitsstandards gesenkt
Die Bezirksregierung hat erneut die Sicherheitsstandards von BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline gesenkt. Sie hat die überirdischen Stationen, die bei einem Störfall für eine Absperrung der verschiedenen Leitungsabschnitte sorgen sollen, aus der Explosionsschutzzone gestrichen und damit den bisher 66 Änderungsbescheiden einen weiteren hinzugefügt. Ähnlichkeiten der jetzt gebauten Pipeline mit dem von der Bezirksregierung genehmigten Projekt sind nur noch rein zufällig. „Wieder wurde - ohne öffentliche Beteiligung - ein Standard verändert, der vorher zweieinhalb Jahre Gültigkeit besaß. Das ist keine Petitesse“, kritisierte Dieter Donner als Sprecher der Pipeline-GegnerInnen.

NANO & CO.

Nano-Warnungen vom Umweltbundesamt
Nano leitet sich vom griechischen Wort für Zwerg ab. Die Nanotechnik beschäftigt sich folglich mit der Entwicklung von mikroskopisch kleinen Werkstoffen. Da sich diese durch eine besondere Festigkeit auszeichnen und weitere vorteilhafte Material-Eigenschaften besitzen, erwartet der Leverkusener Multi von der „Zukunftstechnologie“ Millionen-Umsätze. Deshalb errichtet er derzeit die weltgrößte Anlage nur Produktion von Nano-Kohlenstoffröhrchen, den so genannten BAYTUBES. Um mögliche Gesundheitsgefahren schert der Konzern sich nicht weiter - im Gegensatz zum Umweltbundesamt (UBA). Die Behörde hat eine Broschüre zur Nano-Technologie veröffentlicht, die wegen der dort aus der wissenschaftlichen Literatur zusammengestellten Risiken und Nebenwirkungen einigen Wirbel auslöste. So gibt es laut UBA Hinweise auf eine asbest-ähnliche Wirkung von Kohlenstoffröhrchen. Besonders für die Atemwege stellen die Winzlinge eine Bedrohung dar. Die Partikel können aber auch in Organe eindringen, die Blut/Hirn-Schranke überwinden oder zu den Zellkernen vorstoßen - mit bisher noch überhaupt nicht erforschten Folgen. Diese Material-Eigenschaften gefährden desgleichen Tiere und Ökosysteme. Wasserflöhe hat der Kontakt mit Nano-Stoffen nach Beobachtung von WissenschaftlerInnen schon dahingerafft, und für Wasser, Boden und Luft versprechen die Teilchen ebenfalls nichts Gutes. Nach dem unerwartet breiten Medien-Echo musste das Umweltbundesamt zurückrudern und Entwarnung geben. „Man darf nicht nur über die Risiken diskutieren, sondern auch über die Chancen“, meinte Autor Wolfgang Dubbert und stellte segensreiches Nano-Wirken auf den Gebieten des Umwelt- und Gesundheitsschutzes in Aussicht.

STANDORTE & PRODUKTION

Krefeld: Zusagen unter Vorbehalt
Im neuen Standortsicherungsvertrag (siehe auch KAPITAL & ARBEIT) hat BAYER dem Krefelder Werk Bestandschutz gewährt - allerdings unter Vorbehalt. Nur bei einem „Ja“ zur umstrittenen Kohlenmonoxid-Pipeline und zum Kohlekraftwerk erklärt der Leverkusener Multi sich bereit, 200 Millionen Euro zu investieren und Auslastungsgarantien abzugeben.

Monheimer Substanz-Bibliothek erweitert
BAYER hat für ca. fünf Millionen Euro die Substanz-Bibliothek am Standort Monheim erweitert. In dem Hochregal-Lager „archiviert“ der Konzern 2,2 Millionen Chemie-Stoffe, die den Grundstock zur Entwicklung neuer Ackergifte bilden.

IMPERIUM & WELTMARKT

BAYER kauft ATHENIX
Der Leverkusener Multi hat für knapp 250 Millionen Euro das US-amerikanische Biotech-Unternehmen ATHENIX gekauft (siehe auch GENE & KLONE).

Chemie„park“-Kooperation mit China
Die BAYER-Chemie„parks“ in Leverkusen, Dormagen und Krefeld haben ein Kooperationsabkommen mit einem chinesischen Pendant, dem „Nanjing Chemical Industry ‚Park‘“ geschlossen und einen Informationsaustausch, gemeinsame Weiterbildungsaktivitäten sowie eine Überlassung von Beschäftigten vereinbart. Einfädelt hatte den Deal Nordrhein-Westfalens landeseigene Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW.INVEST, weshalb die Verträge auch während der China-Reise von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers unterzeichnet wurden.

ÖKONOMIE & PROFIT

697 Patente angemeldet
Unaufhörlich treibt BAYER die Privatisierung von Wissen mittels Patentierungen voran. Im Jahr 2008 hat der Leverkusener Multi 697 entsprechende Anträge gestellt, die ihm profitträchtige Monopolstellungen sichern sollen.

BAYER & Co. dominieren Wirtschaft
Über drei Millionen umsatzpflichtige Firmen existieren in der Bundesrepublik. 99,7 Prozent davon sind kleine und mittlere Unternehmen, 0,3 Prozent Multis wie BAYER. Allerdings landen 62 Prozent des Umsatzes bei den Global Playern.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Phosgen-Austritt in Dormagen
Am 28.11.2009 trat im Dormagener BAYER-Werk aus einer Pilotanlage Phosgen aus, das extrem giftig ist und im Ersten Weltkrieg als Kampfgas zum Einsatz kam. Zum Schutz zog der Multi eine Dampfwand aus - ebenfalls gesundheitsschädlichem - Ammoniak auf.

Blausäure-Austritt in Institute
Die Pannenserie in Institute hält an. War es an dem US-amerikanischen BAYER-Standort im August letzten Jahres zu einer Explosion gekommen, in deren Folge zwei Beschäftigte starben, so ereignete sich am 24.10.09 ein erneuter Zwischenfall. Aus einer Destillieranlage traten rund sechs Kilogramm Blausäure aus, von der schon geringste Menge ausreichen, um tödlich zu wirken.

RECHT & UNBILLIG

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Genreis-GAU: BAYER muss zahlen
Im Jahr 2006 war gentechnisch veränderter Langkorn-Reis von BAYER weltweit in Supermärkten aufgetaucht, obwohl zu diesem Zeitpunkt n