Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Veröffentliche Beiträge in “SWB 01/2012”

[Marketing] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

BAYERs Marketing-Offensive

Mehr Werbung, weniger Innovation

Fast neun Milliarden Euro gab der Leverkusener Multi im letzten Jahr für Werbung, „Kundenberatung“, Pharma-ReferentInnen und sonstige Vertriebskosten aus. Und es darf noch ein bisschen mehr sein. BAYER-Chef Marijn Dekkers will den Marketing-Etat weiter erhöhen und das Geld dafür durch Arbeitsplatzvernichtung „erwirtschaften“. „Die neuen Produkte müssen schließlich auch verkauft werden“, meint er. Die Westdeutsche Zeitung fürchtet nicht zu Unrecht schon das Schlimmste. „Das riecht nach Mauscheleien zwischen Pharma-Firmen, Ärzten und Apothekern. Davon sollte Dekkers lieber die Finger lassen“, rät das Blatt.

„Meine größte Aufgabe als CEO von BAYER ist es, unsere Innovationskraft zu stärken und die Vermarktung unserer Innovationen zu verbessern“, sagte der neue Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers bei seinem ersten großen öffentlichen Auftritt im Dezember 2010. Taten sind den Worten jedoch nur teilweise gefolgt. Die Innovationskraft stärkte der Konzern-Chef nicht. Mit 3,1 Milliarden Euro bewegen sich die Forschungsausgaben 2011 nur auf demselben Niveau wie im Vorjahr. Zudem schließt Dekkers eigene Entwicklungsabteilungen und bedient sich mehr außer Haus bei Firmen, die ein Präparat liefern, das bloß noch des Feintunings bedarf. Dafür kündigte er eine drastische Erhöhung der Marketing-Aufwendungen an. „Die neuen Produkte müssen schließlich auch verkauft werden“, so lautet die Begründung.
Doch das kostet. Darum kündigte der BAYER-Boss in einem Atemzug mit der Verkaufsoffensive und einem größeren Engagement in den Schwellenländern ein 800 Millionen Euro schweres Rationalisierungsprogramm an, das an den alten Standorten 4.500 Arbeitsplätze vernichtet. Und um bereits ein wenig von dem neuen Geist zu künden, legte er sich marketing-technisch schon einmal ziemlich ins Zeug und warb mit dem Slogan „Mehr Innovation, weniger Administration“ für das Sparpaket.

Vertriebskosten: 9 Mrd.
Dabei gibt der Global Player schon jetzt mehr als genug für Werbe-Maßnahmen aus. Auf 8,8 Milliarden Euro beliefen sich die Vertriebskosten 2010 - eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 11 Prozent! Nach den Herstellungskosten nimmt dieser Posten damit den zweiten Rang unter den Ausgaben des Unternehmens ein. Für Forschung & Entwicklung und Verwaltungsaufgaben (1,6 Milliarden) wendet es bedeutend weniger auf. Unter „Vertriebskosten“ subsummiert BAYER zwar auch die physische Distribution der Güter, die Lagerhaltung sowie Provisions- und Lizenz-Zahlungen, aber das reine Marketing macht den größten Teil der Summe aus. Der Vertriebsinnen- und -außendienst, also Pharma-DrückerInnen & Co., war dem Pillen-Riesen über vier Milliarden Euro (2009: 3,75 Mrd.) wert, „Werbung und Kundenberatung“ zwei Milliarden Euro (2009: 1,86 Mrd.). „Sonstige Vertriebskosten“ schlugen mit einer Milliarde zu Buche. „Der Anstieg ist im Wesentlichen auf höhere Vertriebskosten bei HealthCare zurückzuführen“, heißt es im Geschäftsbericht, ein Viertel des Arznei-Umsatzes reinvestierte der Multi in diesen Bereich. Teuer kam ihn vor allem die Lancierung neuer Medikamente. So dürfte dann auch die bevorstehende Markteinführung von XARELTO, das der Konzern trotz nur wenig überzeugender Test-Ergebnisse auch als Mittel zur Schlaganfall-Prophylaxe einsetzen will, einer der Hauptgründe für den nochmals aufgestockten Werbe-Etat sein.

Werbung vor Gericht
Die Ausführungen zu den Vertriebskosten nehmen in dem 628 Seiten starken Geschäftsbericht zusammengerechnet nicht einmal eine Seite ein. Darum hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf den BAYER-Hauptversammlungen immer wieder nach einer genaueren Aufschlüsselung der Zahlen verlangt. Aber der Vorstand mauerte und verwies auf das Geschäftsgeheimnis. Er hatte dafür gute Gründe, denn nicht immer bewegen sich die Reklame-Aktivitäten des Arznei-Herstellers im Rahmen des gesetzlich Erlaubten. Darum kam der Westdeutschen Zeitung auch gleich bei Dekkers Bekanntgabe der Werbe-Offensive ein Verdacht: „Das riecht nach Mauscheleien zwischen Pharma-Firmen, Ärzten und Apothekern“.
Mit solchen und anderen Mauscheleien tat sich BAYER auch in den vier Jahren seit der letzten Recherche von Stichwort BAYER (siehe SWB 4/07) nur allzuoft hervor. So setzte der Konzern etwa einen bundesweiten ASPIRIN-Preis von exakt 4,97 Euro durch. Der Leverkusener Multi schloss zu diesem Behufe Verträge mit mehr als 11.000 Apotheken und gewährte ihnen einen Rabatt von drei Prozent, wenn sie die „unverbindliche Preisempfehlung“ des Global Players als verbindlich ansahen. In Tateinheit mit anderen Unternehmen gelang es ihm sogar, die Apotheker-Verbände dazu zu bewegen, diese Lösung auf die gesamte Pillen-Produktpalette auszudehnen. Aber das Bundeskartellamt deckte schließlich beide Vergehen auf und verhängte Strafen. Der ASPIRIN-Deal kostete BAYER über zehn Millionen Euro, das zweite Delikt ahndete die Behörde weniger streng: 465.000 Euro forderte sie von den Arznei-Produzenten ein.
Gegen die Reklame für den Tausendsassa mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure schritten die zuständigen Institutionen ebenfalls schon des öfteren ein. So untersagte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA BAYER 2008, eine Kombination von ASPIRIN mit dem Nahrungsergänzungsmittel Phytosterol als „best of both worlds“ zu bewerben. Nach ihrem Befund war das Ganze weniger als die Summe seiner Teile - das Phytosterol hob nämlich die Effekte der Acetylsalicylsäure auf. Und 2009 verboten staatliche Stellen in Brasilien die ASPIRIN-Kampagne „Eine Welt für weniger Schmerz“, weil sie zu einem unsachgemäßen Gebrauch des Medikamentes animierte und seine Risiken und Nebenwirkungen verharmloste.
Dies tat auch ein TV-Spot von 2008, der das Kontrazeptivum YAZ aus der YASMIN-Produktfamilie anpries. Er stellte positive Nebenwirkungen der Pille auf Akne und das prämenstruelle Syndrom heraus, die es nicht gab, und vergaß darüber die weniger positiven Nebenwirkungen zu erwähnen, die es tatsächlich gab. „Das ist besonders besorgniserregend, weil einige dieser Risiken erheblich, sogar lebensbedrohlich sind“, urteilte die FDA im Wissen um damals fast 100 Todesfälle allein in den USA. Der Pharma-Riese musste deshalb für 20 Millionen Dollar eine Gegendarstellung in eigener Sache produzieren. Eine Lehre war ihm das jedoch nicht. Schon bald darauf schritt die Behörde wegen eines gesponserten Links zu einer verharmlosenden YAZ-Werbung wieder ein. Und in diesem Jahr sah das Selbstkontroll-Organ der britischen Pharma-Industrie, die „Prescription Medicines Code of Practice Authority“ (PMCPA), Handlungsbedarf: BAYER hatte in dem Land YASMIN als Mittel mit dem Zusatznutzen „gegen Akne“ und „gegen Wassereinlagerungen“ beworben, um dann im Kleingedruckten „Akne“ und „Wassereinlagerungen“ als mögliche Nebenwirkungen aufzuführen. Als „hochgradig unethisch“ empfand das die PMCPA und wies den Global Player zurecht.

Marketing-Maßnahmen für die Hormonspirale MIRENA und das Potenzmittel LEVITRA beanstandeten die Aufsichtsbehörden ebenfalls bereits. So richtig teuer wurde aber nur eine irreführende Werbung für das Vitamin-Präparat ONE-A-DAY. 3,3 Millionen Dollar kostete es den Leverkusener Multi, das Mittel zur Prostatakrebs-Vorbeugung zu empfehlen, obwohl es das Risiko für diese Krankheit erhöht

World Wide Werbung
Als neuen Tummelplatz für Marketing-Aktivitäten hat BAYER seit einiger Zeit das Internet entdeckt; immer mehr Geld fließt in diesen Bereich. Und auch im World Wide Web ist das Unternehmen schon unangenehm aufgefallen. So intervenierte die US-Gesundheitsbehörde nicht nur wegen eines gesponserten Links zu einer YAZ-Website, welche die Gefahren des Mittels verschwieg (s.o.), sondern auch wegen eines solchen zu einer MIRENA- und zu einer LEVITRA-Seite. Die PMCPA hingegen rügte den Multi dafür, die Kommunikationsplattform Twitter dafür genutzt zu haben, verbotenerweise für verschreibungspflichtige Arzneien wie LEVITRA und die Multiple-Sklerose-Arznei SATIVEX zu werben. Und das „Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz“ strengte auf Initiative der BUKO PHARMA-KAMPAGNE hin ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Pillen-Produzenten wegen unsachgemäß informierender Web-Auftritte der Verhütungsmittel VALETTE und PETIBELLE an. Die Behörde stellte es jedoch wieder ein.
Dabei hat schon die pure Existenz dieser Internet-Plattformen ein Geschmäckle - zumindest in der Bundesrepublik. Hierzulande verbietet das Gesetz es nämlich, für verschreibungspflichtige Arzneien offensiv Verkaufsförderung zu betreiben. Deshalb tarnen sich die Kontrazeptiva-Seiten auch als Informationsangebote und versprechen etwa „Alles über die Pille und mehr“. Sie vermeiden es tunlichst, sich nach den Verhütungsmitteln zu benennen und heißen unverfänglich einfach www.pille.com oder ähnlich, haben jedoch trotz aller Ratgeber-Anmutung nur den einen Zweck: den Absatz von YASMIN & Co. zu erhöhen.
Für BAYERs Potenz-Pille LEVITRA erfüllt LoveGent, das „Emag für den Gentleman 2.0“, diesen Zweck. Es kommt als Männermagazin daher, bietet einschlägige Artikel zu den Themen „Die schnelle Nummer“, „Männerspielzeug“ oder „Prostitution“ nebst „Experten“-Rat von Prof. Dr. Frank Sommer. Der Produktname fällt nie. Es ist nur allgemein von Potenzmitteln die Rede, selbstverständlich unter Ausklammerung ihrer Nebenwirkungen wie Hör- und Sehschäden oder temporärer Gedächtnisverlust, und bloß im Kleingedruckten findet sich ein Hinweis auf die BAYER-Tochter JENAPHARM als Urheberin der Seite.
Dafür verweist ein Link auf www.testosteron.de, eine sich ähnlich tarnende Website des Pharma-Riesen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Testosteronmangel als Krankheit für ein in die Jahre kommendes starkes Geschlecht zu etablieren und im gleichen Atemzug die entsprechenden Pillen an den Mann zu bringen. „Dabei ist weder belegt, ob Testosteron gegen die Beschwerden hilft, noch sind die Langzeit-Risiken einer Testosteron-Behandlung geklärt“, kritisiert der BUKO das Portal.
Auch in anderen Ländern ist die direkte Arzneimittel-Werbung verboten, aber auch dort findet der Pillen-Mogul „kreative Lösungen“. In Indien etwa, wo der Staat nur Aufklärungskampagnen zulässt, klärt der Konzern zum Weltverhütungstag mit zwei Aufklärerinnen auf, die just so heißen wie seine Verhütungsmittel. „Ganz subtiles Product Placement“ nennt das der BUKO in seiner Broschüre „Um jeden Preis“.

Graubereiche
Aber Graubereiche des Marketings erschließt sich das Unternehmen nicht nur im Internet. Auch in der realen Welt operiert es gerne in diesem Bereich. So engagiert BAYER MedizinerInnen für so genannte Beobachtungsstudien, etwa mit dem Multiple-Sklerose-Präparat BETAFERON. Die ÄrztInnen entlocken ihren PatientInnen ein paar Angaben zur Verträglichkeit des Medikamentes und füllen einen kleinen Fragebogen aus. Einen wissenschaftlichen Wert hat das Ganze nicht - nur einen betriebswirtschaftlichen. In Wirklichkeit dienen die Anwendungsuntersuchungen nämlich nur dazu, die Kranken auf die neue Arznei einzustellen. Dafür erhalten die DoktorInnen dann bis zu 1.000 Euro - „Fangprämien“ hat sie ein ehemaliger Krankenkassen-Chef deshalb auch genannt.
Und die zahlreichen Pharma-ReferentInnen, welche die Praxen heimsuchen, bringen ebenfalls immer etwas mit. Einer der DrückerInnen der Firma GERMAN REMEDIES, die in Indien für BAYER, BOEHRINGER und andere Hersteller Arzttermine wahrnimmt, plaudert gegenüber dem BUKO ganz offen über das Investitionsmodell. „Als Faustregel gilt: Ein Arzt muss uns zehnmal so viel einbringen, wie wir in ihn investieren. Wir stecken pro Jahr oft fünf Millionen Rupies (ca. 75.000 Euro, Anm. SWB) in einen Arzt oder eine Ärztin, und jetzt können Sie sich ausrechnen, wie viel wir an ihm oder ihr verdienen“, so der Außendienstler.
Darüber hinaus hält sich der Leverkusener Multi die MedizinerInnen-Schar durch die finanzielle Unterstützung ihrer Kongresse und medizinischen Fachgesellschaften gewogen. Zudem bietet er für sie Fortbildungsveranstaltungen an, deren Erkenntniswert sich umgekehrt proportional zu ihrem Freizeitwert verhält. So lud der Konzern 2009 etwa 700 FrauenärztInnen ins Berliner Hotel Andel‘s zu den „GynSights“ ein, um die DoktorInnen über das Neueste in der Kontrazeptiva-Produktpalette - das Verhütungsmittel QLAIRA - zu unterrichten und ihnen die Stadt zu zeigen. Auch um die geistige Entwicklung von JournalistInnen kümmert sich der Global Player. Für die MedienarbeiterInnen hält er - selbstverständlich kostenlose - Seminare bereit, in denen sie lernen können, was BAYER so unter angemessener Berichterstattung versteht. Und wer das schon gut beherrscht, der darf auf einen der zahlreichen Preise hoffen, mit denen das Unternehmen die publizistische Landschaft pflegt.
Ebenso fragwürdig erscheint das Sponsoring von Selbsthilfegruppen und PatientInnen-Organisationen. Über 200.000 Euro verteilt der Leverkusener Multi allein an die bundesrepublikanischen Verbände. Aber natürlich nicht an alle. Zuwendungen erhalten hauptsächlich diejenigen, die der Konzern mit entsprechenden Medikamenten beglücken kann: Diabetes-, Krebs-, Bluter- und Multiple-Sklerose-Vereinigungen. Und das ist gut angelegtes Geld: „Wenn Firmen zehn Prozent mehr in Selbsthilfegruppen investieren, wächst ihr Umsatz um ein Prozent im Jahr“, hat der als Gesundheitsökonom an der Universität Bremen lehrende Gerd Glaeske einmal errechnet. International greift der Pharma-Riese noch tiefer in die Tasche. So bedachte er die Blutergesellschaften rund um den Globus 2010 mit über fünf Millionen Euro. Aber diese PR-Maßnahme ist auch bitter nötig. In den 1990er Jahren starben nämlich Tausende Bluter an HIV-verseuchten Blutprodukten des Pillen-Herstellers, weil er sein Präparat KOGENATE aus Kostengründen keiner sterilisierenden Hitze-Behandlung unterzogen hatte.

Für alle diese Aktivitäten haben die rund 4.000 im Marketing beschäftigten Angestellten der Gesundheitssparte bald noch mehr Ressourcen zur Verfügung. In der Abteilung für freiverkäufliche - und deshalb - frei bewerbbare - Medikamente ist das Ganze seit Kurzem auch Chefsache. Mit Erica Mann leitet „Consumer Care“ nämlich zum ersten Mal jemand, der über ein Diplom in Marketing-Management als Qualifikation verfügt. Während Mann und ihrer Mannschaft alle Reklame-Wege offenstehen, müssen sich die KollegInnen aus dem Bereich der rezeptpflichtigen Arzneien noch mit allerlei Restriktionen herumschlagen. Darum setzt sich BAYER auch vehement für eine Ausweitung der Marketing-Zone ein. Unter massivem Lobby-Einsatz versucht der Konzern in Tateinheit mit der gesamten Branche seit geraumer Zeit, das EU-weite Werbe-Verbot zu kippen, um unter dem Siegel der „PatientInnen-Information“ mit seinem Milliarden-Etat noch ein wenig mehr Marketing betreiben zu können. Von Jan Pehrke

[Editorial] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

Nachdem gentechnisch veränderte Pflanzen in vielen Fällen nicht das gebracht haben, was die Betreiber sich ursprünglich versprochen hatten, setzen Konzerne wie MONSANTO, SYNGENTA, DUPONT und auch BAYER immer stärker auf konventionelle Züchtung. Damit soll ihr Geschäftsmodell noch weiter in den Bereich der Pflanzenzüchtung ausgeweitet werden. Um hier ihre Ziele zu erreichen, setzen sie auf Patente: Ähnlich wie schon bei der Gentechnik sollen die Wettbewerber so vom Markt gedrängt und die genetischen Ressourcen weitgehend monopolisiert werden.

So wird mit dem Segen des Europäischen Patenamtes aus konventionell gezüchteten Pflanzen und Tieren eine Erfindung. Brokkoli, der mit Wildsorten gekreuzt wird, ist ebenso davon betroffen wie Tomaten, die einen reduzierten Wassergehalt aufweisen. Im Ergebnis ein glatter Missbrauch des Patentrechtes: Aus dem Schutz von Erfindungen wird ein Instrument zur Aneignung der allgemeinen Lebensgrundlagen.

Zwar darf man in Europa konventionelle Züchtung (im Patentrecht wird das als „im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung“ bezeichnet) gar nicht patentieren. Das hatte erst im Dezember 2010 auch das Europäische Patentamt noch einmal bestätigt. Doch das Patentamt legt das Verbot bisher so aus, dass zwar die Züchtungsverfahren nicht patentiert werden können, sehr wohl aber die Pflanzen selbst, deren Saatgut und Ernte. Zudem genügen nach Ansicht des Amtes schon kleine technische Garnierungen, wie die Nutzung von natürlicherweise auftretenden Mutationen, um auch Züchtungsverfahren patentieren zu können.

Im Ergebnis wird das Verbot der Patentierung von konventioneller Züchtung komplett ausgehebelt. Bereits 1999 hatte man das im Patentgesetz vorgesehene Verbot der Patentierung von Pflanzensorten durch ähnliche Spitzfindigkeiten und rechtliche Tricks für unwirksam erklärt. Freie Bahn also für die Monopolisten, sich das anzueignen, was ZüchterInnen und LandwirtInnen über Jahrhunderte entwickelt haben. Auch BAYER ist mit von der Partie. Im Juli 2011 wurde dem Konzern ein Patent auf die Züchtung von Pflanzen mit einer erhöhten Stress-Resistenz erteilt (EP1616013). Dabei wurde nicht nur die gentechnische Manipulation patentiert. Das Patent von BAYER umfasst auch die Züchtung von Pflanzen auf der Grundlage natürlicher Erbanlagen. Im November folgte ein Patent auf Gurken mit einer verbesserten Resistenz gegen Mehltau (EP1433378).

Seit Jahren gibt es heftige Kritik von allen im Bundestag vertretenen Parteien gegen Patente auf Pflanzen und Tiere, bisher hat die Politik aber nichts unternommen, um diese Patente zu stoppen. Deswegen fordert das internationale Bündnis KEINE PATENTE AUF SAATGUT!, die gesetzlichen Verbote so im Patentrecht zu schärfen, dass sie nicht mehr umgangen werden können. Gesammelt werden unter anderem Unterschriften für einen Brief an das Europäische Parlament und die Europäische Kommission (www.no-patents-on-seeds.org).

Christoph Then
Kampagne KEINE PATENTE AUF SAATGUT!

[Nanotubes] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

BAYER in Erklärungsnot

Umweltkiller Nanopartikel

Für Konzerne wie BAYER zählen sie zu den Vertretern einer neuen Material-Generation, doch nun rücken Schweizer ForscherInnen die so genannten Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNT) in eine unliebsame Ecke: Eine aktuelle Studie der Empa zeigt, dass CNT auf Grünalgen zwar nicht toxisch wirken, deren Wachstum aber hemmen, indem sie ihnen Licht und Platz nehmen. Die Schweizer Behörden raten deshalb dazu, ungebundene Nanotubes nicht in die Umwelt freizusetzen. Auch andere Studien deuten auf massive Risiken bei CNTs hin, politisch lassen sich die Forschungsergebnisse nicht mehr ignorieren. Steht die Technologie damit vor dem Aus?

CNTs sind bis zu 100.000 mal dünner als ein menschliches Haar und so leicht wie Plastik. Dennoch können sie zugfester sein als Stahl, härter als ein Diamant und leitfähiger als Kupfer. „Diese Eigenschaften machen sie zu einem Werkstoff mit Zukunft“, schreibt die Empa. „Ihr Einsatz wird daher vielfältig erforscht, etwa für Solarzellen, Kunststoffe, Batterien, in der Medizin sowie zur Reinigung von Trinkwasser“, hält die der ETH Zürich angegliederte Forschungseinrichtung fest.

Allerdings: Mit zunehmender industrieller Produktion in der Größenordnung von Hunderten von Tonnen jährlich steige auch die Menge an solchen Teilchen, die in die Umwelt gelangen kann. Einige Studien legen der Empa zufolge „den Verdacht nahe, dass bestimmte CNT in der Lunge ähnliche Schäden wie Asbestfasern auslösen können“.

Wie sich CNT verhalten, wenn sie in Gewässer gelangen, hat jetzt ein interdisziplinäres Team der Forschungsinstitute Empa und Agroscope ART in einer vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Studie an Grünalgen untersucht. Dabei entwickelten die WissenschaftlerInnen ein Standardverfahren für Chemikalien weiter, um Wachstum und Photosynthese-Aktivität der Algen unter CNT-Belastung zu messen. Es zeigte sich, dass die Algen selbst bei hohen CNT-Konzentrationen ihre normale Photosynthese-Aktivität beibehielten - jedoch verlangsamte sich ihr Wachstum. Auffällig war auch, dass sich die Pflanzen durch Zugabe der CNT verdunkelten und dass die Algen mit den Nanoröhrchen verklumpten – obwohl nichts darauf hinwies, dass die Nanoröhrchen von den Algen aufgenommen werden. Die ForscherInnen vermuteten deshalb, dass die Algen langsamer wachsen, weil sie durch die CNT „zusammenkleben“ und dadurch weniger Licht erhalten. Um genau das zu beweisen, entwickelten sie zwei weitere Tests, mit denen die Beschattung und das Zusammenkleben der Algen durch Nanopartikel quantitativ gemessen werden können.

Die Ergebnisse zeigen, „dass das verlangsamte Algen-Wachstum in der Tat hauptsächlich auf diese zwei Faktoren zurückzuführen ist“. Fazit der Empa: „CNT wirken nicht direkt toxisch auf Grünalgen, wie frühere Studien vermuten liessen. Die Algen haben in Gegenwart von CNT lediglich nicht die optimalen Wachstumsbedingungen, weil sie wie Landpflanzen genügend Platz und Licht zum Wachsen benötigen. Allerdings tritt die beobachtete Verklumpung und Beschattung erst bei höheren CNTKonzentrationen auf (über einem Milligramm pro Liter), wie sie in der Umwelt wahrscheinlich noch nicht vorkommen“.

BAYER in der Zwickmühle
Für den Leverkusener Konzern wird die Lage ob solcher News allmählich brisant - und erste Anzeichen eines Umdenkens sind erkennbar. Péter Krüger, Leiter der Arbeitsgruppe Nanotechnologie bei BAYER MATERIALSCIENCE und Vorsitzender hochrangiger Nano-Projektgruppen forderte beispielsweise bereits im Vorfeld der 4. NRW Nano-Konferenz Sicherheitsstandards im Umgang mit der neuen Technologie. Sein Credo: „Damit diese Welt Wirklichkeit wird, muss Nano sicher sein.“ Der Vorstoß ist bemerkenswert - aber auch mehr als reine PR? Auf der Tagung selber, die am 17. und 18. Oktober 2011 im Kongresszentrum der Westfalenhallen Dortmund stattfand, hatte Krüger dann nach dem Auftritt der nordrhein-westfälischen Innovationsministerin Svenja Schulze Gelegenheit, die Ergebnisse aus zehn Jahren Sicherheitsforschung zu Nano-Materialien vorzustellen.

Obwohl Gefährdungspotential der neuen Stoffe ist weitgehend unbekannt ist, wie die aktuelle Empa-Studie belegt, sollen die von BAYER MATERIALSCIENCE in einer eigenen Versuchsanlage produzierten Carbon Nanotubes (CNTs) in Lacken, beim Bau von Rotorblättern und in Sportartikeln wie Skiern oder Hockey-Schlägern eingesetzt werden. Und selbst Tierversuche zeigen, dass bestimmte CNTs die Entstehung von Krebs ähnlich wie Asbestfasern zu begünstigen vermögen (1). DNA-Schäden der Aorta sind ebenso möglich wie eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion (2). Zudem können Nanotubes vom Körper sowohl über die Atemwege als auch über die Haut aufgenommen werden.

Der Konzern sieht hingegen keine Probleme für die Bevölkerung und betont in Veröffentlichungen das wirtschaftliche Potenzial der CNTs. Aus Sicht der Umweltverbände jedoch scheint offensichtlich, dass eine Anlage dieser Größenordnung keine „Versuchsanlage“ darstellt. Vor einer Genehmigung müsse der Betreiber darlegen, dass von der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, insbesondere welche Emissionen und Immissionen in welcher Höhe zu erwarten sind, welche Wirkungen auf Umwelt und Gesundheit damit verbunden sind, wie hoch die Belastung innerhalb der Anlage ist und welche Mengen dieses speziellen Feinstaubs bei einem Störfall austreten können, verlangen die Gruppen.

Die nun am 4. November 2011 publizierten Schweizer Ergebnisse bringen auch die Politik in Nordrhein-Westfalen in Zugzwang. „Unsere Studie zeigt, wie schwierig es ist, die Wirkungen von Nanomaterialien auf Organismen detailliert zu verstehen“, betont Empa- und ART-Forscherin Fabienne Schwab. Bis umfassende Erkenntnisse auch für komplexere Organismen als Grünalgen sowie Langzeitstudien vorliegen, rät Empa-Forscher Bernd Nowack, „besonders ungebundene Nanopartikel nicht in die Umwelt freizusetzen“.

Von Vlad Georgescu
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Lifegen (www.lifegen.de)

Literaturhinweise:
F. Schwab, T.D. Bucheli, L.P. Lukhele, A. Magrez, B. Nowack, L. Sigg, K. Knauer: Are Carbon Nanotube Effects on Green Algae Caused by Shading and Agglomeration? Environmental Science & Technology 2011; 45 (14); S. 6136-6144

(1) Carbon nanotubes introduced into the abdominal cavity of mice show asbestos-like pathogenicity in a pilot study, Donaldson et al, 20. Mai 2008, Nature Nanotechnology 3; S. 423-428 (2008)

(2) A review of carbon nanotube toxicity and assessment of potential occupational and environmental health risks, Crit Rev Toxicol. 2006 Mar; 36(3); S. 189-217

[Pharmatests] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

138 BAYER-ProbandInnen sterben

Test the Death

Von 2007 bis 2010 starben in Indien 138 Menschen bei der Klinischen Erprobung von BAYER-Arzneien. Insgesamt kamen bei den Tests von Big Pharma in dem Zeitraum 1.600 ProbandInnen ums Leben. Während die Öffentlichkeit sich alarmiert zeigt, bestreiten die Pillen-Multis in den meisten Fällen den direkten Zusammenhang zwischen Medikament und Tod.

Im letzten Jahr hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) das Thema „Medikamenten-Tests in der ‚Dritten Welt‘“ auf die Tagesordnung der BAYER-Hauptversammlung gesetzt. Sie kritisierte die zunehmende Verlagerung von Arznei-Erprobungen in Staaten, die als „Standortvorteil“ ein unerschöpfliches Reservoir an ProbandInnen, unschlagbare Preise, schnelle Verfahren und eine mangelhafte Aufsicht bieten. Die CBG sah durch diese Bedingungen das Leben der VersuchsteilnehmerInnen gefährdet. Aber der damalige Vorstandsvorsitzende Werner Wenning wiegelte ab. Nicht ein einziges Pharmazeutikum habe je einer Person Schaden zugefügt, antwortete er der Coordination, der Konzern halte sich stets an die Auflagen der Behörden und führe im Übrigen „eigenständige Qualitätskontrollen“ durch.

An dieser Aussage bestanden angesichts der vielen Zwischenfälle bei anderen Arznei-Tests schon damals viele Zweifel. Endgültig als Lüge erwiesen hat sie sich im Mai 2011. In diesem Monat gab das indische Gesundheitsministerium die Zahl der Personen bekannt, die von 2007 bis 2010 während der Erprobung von BAYER-Produkten starben. 138 Menschen überlebten die Prozedur nicht. Insgesamt fanden bei den Pillen-Prüfungen von Big Pharma 1.600 Menschen den Tod. BAYER & Co. meldeten diese Zahlen selber den Aufsichtsbehörden, allerdings ohne damit ein generelles Schuld-Eingeständnis zu verbinden. Ihrer Ansicht nach haben zumeist nicht die Medikamente, sondern Vorerkrankungen wie Krebs zum Ableben der ProbandInnen geführt. Die amtlichen Stellen machen ebenfalls nicht die Pharmazeutika im Allgemeinen verantwortlich. Von den 668 Sterbefällen im Jahr 2010 schreiben sie 22 der direkten Einwirkung der getesteten Substanzen zu; bei einer nicht weiter bezifferten Menge gibt es zumindest Indizien für einen Zusammenhang.

Aber nicht nur deshalb dürfte die wirkliche Zahl der Pharma-Opfer höher sein. Wenn Tests nicht ausdrücklich Krebskranke oder Menschen mit Herz/Kreislauf-Problemen erfordern, schließen die Unternehmen Personen mit Vorbelastungen gezielt aus. Alle TeilnehmerInnen müssen sich vor Beginn der Experimente einem peniblen Gesundheitscheck unterziehen, weil unerkannte oder verschwiegene Krankheiten einen negativen Einfluss auf das Ergebnis haben können. So stehen die Konzerne dann auch eher in Verdacht, zu gesunde als zu kranke ProbandInnen zu verpflichten. Darüber hinaus besteht in Indien keine Pflicht, die Klinischen Prüfungen registrieren zu lassen, was die Aufsicht erschwert - und den Verdacht auf mehr Tote nährt.

Lebensgefährliches XARELTO
Von den für 2010 zweifelsfrei geklärten 22 Todesfällen gehen die meisten auf ein einziges BAYER-Erzeugnis zurück: XARELTO. Vier InderInnen kamen durch die Arznei mit dem Wirkstoff Rivaroxaban um, die der Konzern als Mittel gegen Thrombosen testete. Bloß 5.250 Dollar zahlte der Konzern den Hinterbliebenen jeweils als Entschädigung und lag damit noch über den Beträgen von SANOFI, PFIZER & Co. Diese Summen sowie die Tatsache, dass die Familien der von 2007 bis 2009 Gestorbenen noch überhaupt kein Geld erhalten haben, veranlasste einen Leser der Publikation moneylife zu dem bitteren Kommentar: „Life is very cheap in India“. Andere sprechen von einem neuen Kolonialismus.

Der Zulassungsprozess für XARELTO gestaltet sich wegen der vielen Risiken und Nebenwirkungen seit längerem schwierig. In Europa dürfen MedizinerInnen das Therapeutikum bislang nur zur Thrombose-Vorbeugung nach schweren orthopädischen Operationen einsetzen. Die US-Gesundheitsbehörde FDA tat sich aufgrund von Meldungen über Gefäß-Verschlüsse, Blutungen, Herz/Kreislaufstörungen und Leberschäden sowie der ungeklärten Langzeitwirkung sogar bei dieser eingeschränkten Indikation lange Zeit schwer. BAYER aber hat noch Größeres mit dem Pharmazeutikum vor. Das Unternehmen will es als Mittel zur Schlaganfall-Prophylaxe vermarkten, obwohl XARELTO dafür selbst nach eigener Aussage „kein konsistent positives Nutzen-Risiko-Profil“ aufweist. Der Multi erhofft sich Milliarden-Erlöse von der Substanz und der Finanzmarkt ebenfalls - in den gegenwärtigen Kurs der Aktie ist das Blockbuster-Potenzial des Produkts schon eingepreist. Deshalb reagiert sie auch äußerst empfindlich auf jede Negativ-Meldung zu XARELTO. Die letzte gab es im Anfang September 2011: Zeitungen berichteten von hochrangigen FDA-MitarbeiterInnen, die angesichts unerklärter Herzinfarkt- und Blutungsrisiken von einer Genehmigung abrieten. Aber ein paar Wochen später war die Börsen-Welt wieder in Ordnung. Das 12-köpfige BeraterInnen-Gremium der Behörde hatte sich bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung doch noch zu einer positiven Empfehlung durchgerungen. Die Vorkommnisse in Indien, über welche die CBG die FDA in Kenntnis setzte, führten auch nicht zu einem Umdenken. Der Behörde waren derartige Zwischenfälle bekannt: „Die Ärzte-Information führt Tod als mögliche Nebenwirkung auf, die während der Klinischen Tests mit XARELTO auftrat“. Bei Zulassungen gelte es immer, zwischen Wirksamkeit und Sicherheit eines Medikamentes abzuwägen, antwortete sie der Coordination.

Verstoß gegen Ethik-Regeln
Kritik am bisherigen Vorgehen der FDA in Sachen „XARELTO“ hat die US-Initiative PUBLIC CITIZEN geübt. Sie hat gravierende Mängel bei den Klinischen Prüfungen festgestellt. Bei Vergleichstests mit Warfarin haben die ProbandInnen, welche die Konkurrenz-Substanz bekamen, nicht die optimale Dosis erhalten, moniert die Organisation. „Es ist besonders besorgniserregend, dass es die schlechtesten Warfarin-Therapien bei den ausländischen Firmen gab“, so PUBLIC CITIZEN. Und am besorgniserregendsten war es bei den indischen Test-Unternehmen. Sie versorgten nur 36 Prozent ihrer PatientInnen angemessen mit Warfarin und setzten sie so einer erhöhten Gefahr aus, einen Schlaganfall zu erleiden. Auch haben die ÄrztInnen den TeilnehmerInnen, obwohl Warfarin seine Wirksamkeit erst nach einiger Zeit entfaltet, kein zusätzliches Mittel zur Blutverflüssigung verordnet. Zudem ereigneten sich unmittelbar nach dem Absetzen von XARELTO viele Zwischenfälle, für die BAYER die Erklärung schuldig blieb. Darüber hinaus rügt die Gruppe die Darreichungsform. Die ProbandInnen mussten die ganze Dosis auf einmal einnehmen, was mit höheren Risiken verbunden ist als eine Spreizung. Einzig marketing-technische Erwägungen vermutet PUBLIC CITIZEN hinter dieser Wahl. In einem Brief an die FDA haben die GesundheitsaktivistInnen diese Verstöße gegen medizinische und ethische Standards aufgelistet und die Behörde aufgefordert, die Arznei einstweilen nicht als Mittel zur Schlaganfall-Prophylaxe zuzulassen. Aber es half alles nichts. Am 4. November 2011 gab die Behörde grünes Licht für XARELTO.

MIRENA & Co.
BAYERs Pillen-Abteilung erprobt auf dem Subkontinent jedoch nicht nur XARELTO. „Sie lässt dort bereits sechs neue Medikamente testen. Das bringt deutliche Ersparnisse und ein schnelleres Entwicklungstempo“, berichtete das Handelsblatt vor vier Jahren und resümierte: „Auch als Ressource wird Indien für die Pharma-Sparte interessant“. Inzwischen ist der Staat als Ressource noch interessanter geworden. Momentan laufen Test-Reihen mit der Krebs-Arznei NEXAVAR, dem Augen-Präparat VEGF und dem Bluter-Medikament KOGENATE. Gerade abgeschlossen hat BAYER Versuche mit dem Potenzmittel LEVITRA, dem Diabetikum GLUCOBAY, der Hormon-Spirale MIRENA und den Röntgen-Kontrastmitteln GADOVIST und ULTRAVIST. Und neue ProbandInnen sucht der Konzern für weitere Erprobungen von XARELTO, GLUCOBAY, GADOVIST, KOGENATE, NEXAVAR und VEGF sowie von dem Antibiotikum AVELOX und dem von der BUKO PHARMA-KAMPAGNE als irrational eingestuften Bluthochdruck-Präparat XIRTAM.

Größtenteils handelt es sich dabei um altbekannte Pharmazeutika, für die der Leverkusener Multi bloß neue Verwendungsmöglichkeiten sucht. Ähnlich verhält es sich bei der Konkurrenz. Die wachsende Anzahl von Klinischen Tests rund um den Globus - das US-amerikanische „National Institute of Health“ hat gegenwärtig über 115.000 registriert - entspricht keinesfalls dem wachsenden Erfindungsreichtum von BAYER & Co. Das macht die wachsende Anzahl von Opfern zu einem noch größeren Skandal.

Eine Milliarden-Industrie
Die indische Test-Branche setzte 2010 nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Milliarde Dollar um; rund 2.000 Arznei-Experimente fanden statt. Nachdem das Land 2005 dem Drängen von Big Pharma nach einer Verschärfung des Patentrechts nachgegeben hatte, boomte dieser Wirtschaftszweig kontinuierlich. Die „Contract Reseach Organisations“ (CROs), welche die Versuche zumeist für BAYER & Co. durchführen, haben nichts anderes im Sinn, als ihren Auftraggebern möglichst schnell möglichst gute Resultate zu liefern. Den Anforderungen an eine gute klinische Praxis genügen von den ca. 150 in Indien operierenden CROs gerade einmal 201. Ein Bericht des „National Institute of Medical Statistics“ kritisiert vor allem das Fehlen oder die mangelhafte Arbeit von Ethik-Kommissionen. Die eigentlich vorgeschriebene „informierte Einwilligung“ der ProbandInnen besteht in einem Land mit einer so hohen Analphabetismus-Rate ebenfalls oft nur auf dem Papier. Doch selbst, wenn die TeilnehmerInnen wissen, was sie tun, lässt die Armut ihnen nicht selten keine andere Wahl, als so waghalsige Unternehmungen zu riskieren. Anders als an ihren Stammsitzen geht den Konzernen deshalb der Nachschub nie aus - und sie nutzen dieses Reservoir zu einem Schnäppchen-Preis. Auswärtige Kontrollen haben sie auch nicht zu befürchten. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMEA reist zu gerade mal 40 Inspektionen pro Jahr in fernere Gefilde. Ihr US-amerikanisches Pendant überprüft in diesem Zeitraum nicht einmal ein Prozent der ausländischen Arzneitest-Firmen. Die FDA will ihr Pensum allerdings erhöhen. Der Test-Export bereitet ihr zunehmend Unbehagen, da eine Vielzahl der Versuche nicht den US-Standards entspricht und die gelieferten Datensätze mit den Ergebnissen oft unvollständig und nur schwer zu analysieren sind.

Allzuviel verändern dürfte das in Indien und anderswo allerdings nicht. Trotz solch günstiger Aussichten hadern die Firmen in jüngster Zeit jedoch mit dem Subkontinent. Den Pillen-Riesen geht es dort nicht schnell genug. Während die USA einen Klinischen Test innerhalb eines Monats genehmigen, müssten sie in dem südostasiatischen Staat 12 bis 16 Wochen auf grünes Licht warten, klagen die Hersteller. „Das ist ein großer Zeitverlust, denn die Patent-Uhr für dein Produkt tickt bereits“, so die Vertreterin eines Arznei-Riesen. Auch die Weigerung der Behörden, die für die ProbandInnen besonders gefährlichen Ersterprobungen der Phase I zu gestatten, wenn die entsprechenden Medikamente nicht für den Heimatmarkt vorgesehen sind, passt den Konzernen nicht. Darüber wächst die Kritik an den Versuchen, was bereits zu einer strengeren Reglementierung geführt hat. Darum zieht die Karawane weiter. Im Moment bietet ihr China die meisten Standort-Vorteile. 64 gerade abgeschlossene, noch laufende oder geplante BAYER-Studien im Reich der Mitte verzeichnet das „National Institute of Health“ gegenwärtig - Tendenz steigend.

Der Offene Brief
Die CBG hat die erschreckenden Nachrichten aus Indien zum Anlass genommen, um vom Leverkusener Multi Aufklärung zu fordern. In einem Offenen Brief an den Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers verlangte die Coordination detaillierte Informationen über die untersuchten Pharmazeutika, die Häufigkeit von Sterbefällen und sonstigen schwerwiegenden Gegenanzeigen und die geleisteten oder nicht geleisteten Entschädigungszahlungen. Darüber hinaus wollte sie wissen, wie das Unternehmen Todesopfer bei Arznei-Prüfungen in Zukunft verhindern will. Die bisherigen Reaktionen BAYERs gleichen denjenigen auf der Hauptversammlung von 2010. Der Multi beteuert, stets nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben. Aber anders als vor anderthalb Jahren bekennt er sich jetzt eindeutig zur „Deklaration von Helsinki“, mit welcher der Weltärztebund 1964 weltweit verbindliche ethische Standards für die pharmazeutische Wissenschaft formulierte. Nach ihr haben die ProbandInnen nach Ablauf der Versuche etwa einen Anspruch darauf, die Arzneien weiter zu erhalten - wie das ganze Land. Als bloßes Labor dürfen die Konzerne es der Deklaration zufolge nicht missbrauchen. In ihrer ursprünglichen Fassung lehnte diese sogar die Verwendung von Placebos strikt ab, weil das bedeutet, kranken Menschen ohne ihr Wissen dringend benötigte Medizin vorzuenthalten. Aber die Pharma-Riesen intervenierten und erreichten eine Revision. Es blieb nicht die einzige: Die heute gültige Fassung weicht beträchtlich von der ursprünglichen ab. Wie nicht nur die Toten von Indien zeigen, gelingt es dem Leverkusener Multi trotzdem nicht, ihren Ansprüchen gerecht zu werden. „In der medizinischen Forschung am Menschen muss das Wohlergehen der einzelnen Versuchsperson Vorrang vor allen anderen Interessen haben“ - dieses Gebot gilt für BAYER nicht. Von Jan Pehrke

alle Infos zur Kampagne

Anmerkung

1 J. S. Srivastava; Need for ethical oversight of clinical trials in India; in: Current Science, Vol 99, No. 11

[Pestizide] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

Breites Bündnis angestrebt

Kampagne gegen hochgefährliche Pestizide

Jährlich erleiden Millionen von Menschen Pestizid-Vergiftungen. Die internationale Politik zieht für die Reduktion der Pestizid-Risiken inzwischen auch ein fortschreitendes Verbot hochgefährlicher Pestizide in Betracht (FAO 2010). Allerdings haben bisher zu wenige Akteure diesen Gedanken aufgegriffen. Darum gilt es, Branchen wie die Lebensmittel-Industrie für solch ein Ziel zu gewinnen.

Von Carina Weber, Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany)

Ein großer Anteil der weltweit verwendeten Pestizide von BAYER & Co. ist nicht nur problematisch, sondern sogar hochgefährlich für Menschen und/oder die Umwelt. Der „PAN International“-Liste zufolge1 ist etwa die Hälfte aller Ackergifte auf dem Weltmarkt in beträchtlichem Maß gesundheitsgefährdend. Das sind immerhin rund 400 Pestizid-Wirkstoffe.

Unter Vergiftungen durch diese Substanzen können Menschen aller Generationen leiden. Sie sind jedoch, abhängig vom Alter und ihrer allgemeinen Situation, unterschiedlich anfällig für die giftigen Wirkungen von Pestiziden. Die Lebensbedingungen, die Ernährung und die körperliche Verfassung haben einen erheblichen Einfluss darauf, welche Folgen der Kontakt eines Menschen mit einem gefährlichen Pestizid hat. Wie in der Studie „Pestizide & Kinder“ von TERRE DES HOMMES und PAN Germany2 ausgeführt, sind Embryos, Säuglinge und kleine Kinder den Pestizid-Gefahren besonders ausgesetzt. So konstatierte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) 2009 zur Gefährdung von jungen Menschen durch Chemikalien: „Geht es um Risiken, die von chemischen Stoffen ausgehen können, müssen Risikobewerter berücksichtigen, dass Kinder im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht eine größere Hautoberfläche haben, mehr Nahrung aufnehmen und häufiger atmen als Erwachsene. Sie haben eine, vom Lebensalter abhängig, erhöhte Stoffwechselrate, der Körper nimmt über den Magen-Darm-Trakt bestimmte Stoffe schneller und in größeren Mengen auf. Schadstoffe, die nur langsam abgebaut werden, können über einen längeren Zeitraum einwirken“3. Gleichwohl ist die Erfassung des Vergiftungsgeschehens für Kinder ebenso wie für Erwachsene völlig unzureichend – nicht nur in Entwicklungsländern, sondern sogar auch in Deutschland, wie aus einer BfR-Publikation erkennbar ist4. Dies hat mindestens zwei Gründe: Zum einen werden erkannte Vergiftungen nicht dokumentiert und zum anderen werden Vergiftungen nicht erkannt. Letzteres macht u. a. die von PAN International 2010 veröffentlichte Studie „Communities in Peril“ deutlich5. Die im Rahmen dieser Untersuchung interviewten über 2.000 Pestizid-AnwenderInnen benannten eine ganze Reihe akuter Vergiftungssymptome von Pestiziden. Deren Langzeitwirkungen wie etwa eine gestörte Fortpflanzungsfähigkeit, Geburtsschäden oder Störungen des Nervensystems waren ihnen jedoch kaum bewusst. Wenn allerdings weder die AnwenderInnen selbst noch die ÄrztInnen solche Symptome den Ackergiften zuordnen, dann erscheint das Problem deutlich kleiner, als es tatsächlich ist. Detail-Untersuchungen dokumentieren denn auch eine gewaltige Dunkelziffer. Ein Beispiel ist Zentralamerika. Dort kam eine Auswertung von Vergiftungsvorkommnissen zu dem Ergebnis, dass 98 Prozent der Fälle nicht erfasst werden6.

Trotz derartiger Mängel in der Wahrnehmung und Erfassung der Agrochemie-Vergiftungen ist in der Politik eine Tendenz hin zur Abkehr von hochgefährlichen Pestiziden erkennbar. Diese Tendenz folgt der Beurteilung, daß die diversen nationalen Gesetzgebungen und internationalen Regelungen sowie die vielen Ausbildungs- und Trainingsprogramme der vergangenen rund drei Dekaden nicht geeignet waren, die Anzahl der Vergiftungen in ausreichendem Maße zu reduzieren. So hielt die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, 2010 in einer Leitlinie fest, dass die Wirkung von Trainings zur sicheren Anwendung von Pestiziden weiterhin in Frage gestellt wird und nicht als Lösung für die mit dem Pestizid-Einsatz verbundenen Probleme betrachtet werden sollte7. Allerdings ist hinreichend bekannt, wie zäh sich die Umsetzung von Politik gestalten kann, wenn ihr nicht der notwendige Nachdruck verliehen wird. Deshalb müssen mehr Akteure aktiv werden.

Eine wichtige Akteursgruppe sind Firmen des Lebensmittel-Sektors. Die Nahrungsmittel-Branche wurde 2002 neu in den Internationalen Pestizid-Verhaltenskodex aufgenommen, weil sie erheblich dazu beitragen kann, Pestizid-Probleme einzudämmen. In der Öffentlichkeit, auch in der pestizidkritischen Öffentlichkeit, wird diese Akteursgruppe jedoch bisher im Gegensatz zur Chemie-Industrie nur wenig als Zielgruppe für die Forderungen nach einer Beendigung der Nutzung hochgefährlicher Pestizide gesehen und genutzt. Dies sollte sich ändern. Schließlich haben die Firmen und Konzerne der Lebensmittel-Industrie ebenso wie ihre Zusammenschlüsse deutlich weniger Eigeninteresse an der Vermarktung von Ackergiften als Pestizid-Produzenten wie BAYER. Zudem werden in der Lebensmittel-Branche Standards entwickelt, die auch Pestizide betreffen. Sie kann deshalb potentiell ein kräftiger Hebel sein, um die Pestizid-Nachfrage zu schwächen und dadurch Vergiftungen von Mensch und Umwelt zu reduzieren.

Deshalb ruft PAN Germany dazu auf, sich mit Schreiben an Firmen des Lebensmittelsektors zu wenden und sie dazu aufzufordern, durch ein Programm bzw. konkrete Projekte zur schrittweisen Beendigung des Einsatzes hochgefährlicher Pestizide, wie sie in der „PAN International List of Highly Hazardous Pesticides“8 benannt sind, beizutragen. Wichtige Firmen des Lebensmittelsektors, an die solch ein Schreiben gerichtet werden sollte, sind z. B. ALDI NORD, ALDI SÜD, BÜNTING, EDEKA, GLOBUS, KAISER’S TENGELMANN, KAUFLAND, LIDL, METRO, NETTO, NORMA, REWE und TEEGUT.

Quellen:
1 PAN International (2011): PAN International List of Highly Hazardous Pesticides (PAN List of HHP), Hamburg, January 2011
2 TERRE DES HOMMES / PAN Germany (2011): Pestizide & Kinder – Die Gefahr von Umweltgiften für Kinder – Fakten, Fälle, Forderungen
3 Bundesinstitut für Risikobewertung (2009): Kinder sind keine kleinen Erwachsenen; Presseinformation 15/2009 vom 6.7.2009
4 Bundesinstitut für Risikobewertung (2009): Ärztliche Mitteilungen bei Vergiftungen.
5 PAN International (2010): Communities in Peril: Global report on health impacts of pesticide use in agriculture
6 Murray D, Wesseling C, Keifer M, Corriols M, Henao S (2002): Surveillance of pesticide-related illness in the developing world: putting the data to work; Journal of International Occupational Environmental Health 8; S.243-248
7 Food and Agriculture Organisation of the United Nations (2010): Guidance on Pest and Pesticide Management Policy Development
8 siehe unter 1

[TDI] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

Erörterungstermin für TDI-Anlage

Umweltverbände lehnen Genehmigung ab

Der BAYER-Konzern will im Kölner Norden eine neue Kunststoff-Anlage bauen. Als Zwischenprodukt sollen Tausende Tonnen des einstigen Kampfgases Phosgen eingesetzt werden (siehe SWB 4/2011). Die Coordination gegen BAYER-Gefahren und der BUND erläuterten in dem von der Bezirksregierung Köln organisierten Erörterungstermin ihre Kritik. Auf viele wichtige Fragen gab es von BAYER keine Antworten.

von Philipp Mimkes

Mehr als 100 Personen drängten sich im Technischen Rathaus der Stadt Dormagen beim Erörterungstermin für die geplante Toluylendiisocyanat (TDI)-Anlage. Anwohner, Behörden und Medien waren bei der zweitägigen Diskussion zahlreich vertreten. Sechs EinwenderInnen brachten ihre Kritik vor, darunter Vertreter der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), die Dormagener Grünen sowie Dieter Donner und Angelika Horster vom BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ (BUND). Angelika Horster ist Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission für Anlagensicherheit, Donner gehört zu den Koordinatoren des Widerstands gegen die CO-Pipeline zwischen Dormagen und dem BAYER-Werk Krefeld.
Der BAYER-Konzern rückte gleich mit 30 Personen an. Vom Produktionsleiter, dem Chef der Feuerwehr und dem Pressesprecher bis hin zum Leiter der Müllverbrennungsanlage und dem Betriebsratsvorsitzenden waren alle wichtigen Repräsentanten des Standorts zugegen.
Bei der Bezirksregierung Köln waren zuvor 60 Einwendungen eingegangen, 52 stammten von UnterstützerInnen der CBG. Coordination und BUND hatten zuvor rund 1.500 Seiten aus den Antragsunterlagen ausgewertet, darunter die Umweltverträglichkeits-Untersuchung, das Brandschutzkonzept und die Störfall-Analyse. Dementsprechend lang war die Tagesordnung: Anlagensicherheit, Störfall-Szenarien, Luft-Emissionen, Wasserverschmutzung, Schallschutz, Müllentsorgung, uvm.

Ressourcen-Einsatz unklar
Auch nach der ausführlichen Diskussion halten die Umweltverbände an ihrer grundsätzlichen Kritik an dem Projekt fest. So machte BAYER trotz wiederholter Nachfrage keine genauen Angaben zum Ressourcen-Einsatz bei der Produktion von TDI. Ohne Kenntnis aller eingesetzten Rohstoff- und Energie-Mengen ist eine Analyse der Umweltauswirkungen jedoch unmöglich.
Knackpunkt der Genehmigung ist der Einsatz hochtoxischer Chemikalien wie Phosgen, Kohlenmonoxid, Orthodichlorbenzol und Chlor, von denen dauerhaft Gefahren für Mitarbeiter und Anwohner ausgehen. Angesichts einer Lebensdauer von bis zu 40 Jahren, würde eine Genehmigung der Anlage diese risikoreiche Produktion über Jahrzehnte hinweg zementieren.
Dieter Donner vom BUND bemängelt die fehlenden Angaben zu Auswirkungen eines großen Störfalls: „BAYER hat die fast alltäglichen Leckagen von Dichtungen und Flanschen zum größtmöglichen Unfall stilisiert. Welche Schäden durch die Verbreitung von Giftstoffen wie Kohlenmonoxid oder Phosgen bei einem Leitungscrash wie damals bei INEOS entstehen können, wurde gar nicht erst untersucht.“ Die Bezirksregierung kündigte immerhin an, solche worst case-Szenarien von BAYER nachzufordern. Auch kritisiert Donner die geplante Einhausung: „Die Anlage in Dormagen soll lediglich mit einer Blechhülle umschlossen werden. Bei der Firma DOW CHEMICALS hingegen musste eine ähnliche Anlage auf Anforderung der Behörden mit Beton umschlossen werden. Weder BAYER noch das Landesumweltamt konnten oder wollten sich dazu äußern, warum hier ein niedrigerer Standard verwendet wird.“
Manfred Puchelt von der DORMAGENER AGENDA 21 kritisiert die fehlenden Angaben zur Umwelthaftung: „Wenn es zu einer umfassenden Katastrophe durch Freisetzung von Phosgen, Kohlenmonoxid oder TDI kommt, wie ist dann die Haftung für die Bevölkerung geregelt? BAYER antwortete sinngemäß, die Frage stelle sich nicht, weil die Anlagen sicher sind. Aber nicht alle Risiken lassen sich mit mathematischer Wahrscheinlichkeits-Rechnung vorhersagen, siehe Fukushima.“ Vor einigen Jahren hatte die Bundesregierung feste Regelungen für eine Deckungsvorsorge angekündigt. Da es bis heute aber kein Gesetz gibt, wird die Höhe des Versicherungs-Schutzes vom Betreiber selbst festgelegt - und wird noch nicht einmal kontrolliert. Puchelt weiter: „Für die Bevölkerung bleibt die bange Ungewissheit, ob die als „geheim“ eingestufte Deckungssumme im Fall einer Katastrophe ausreichend ist. Merkwürdig, wo doch jeder Mopedfahrer eine garantierte Haftpflichtsumme nachweisen muss.“

Einhausung durchgesetzt
Trotz der grundsätzlichen Kritik an der Chlorchemie, für die die TDI-Produktion exemplarisch steht, begrüßt die Coordination gegen BAYER-Gefahren den Fortschritt bei der geplanten Sicherheitstechnik. Dieser sei auf beständigen Druck von außen zurück zu führen. So fordern Umweltverbände seit den 80er Jahren eine Einhausung, also eine feste Hülle um gefährliche Anlagen. Aus Kostengründen hatte die Industrie dies stets abgelehnt. BAYER will nun erstmals einen solchen Schutz bauen. Zudem soll eine automatische Abschalt-Vorrichtung installiert werden, die auch ohne Strom funktioniert. „Hinter den nun erreichten Sicherheits-Standard wird die Industrie zumindest in Deutschland nicht mehr zurückfallen können – ein wichtiger Erfolg für die Umweltbewegung insgesamt“, so Jan Pehrke von der CBG. BAYER-Werke in den USA hingegen verfügen über weit niedrigere Sicherheits-Technik als in Deutschland, dort kam es in den vergangenen Jahren zu mehreren schweren Störfällen.
Mit welch harten Bandagen gekämpft wird, wenn es um die Kosten für die Sicherheitstechnik geht, zeigen kürzlich bekannt gewordene Unterlagen der Firma DUPONT. Darin lehnt die Firma eine Einhausung phosgenführender Anlagen ab, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. In dem internen Memo heißt es: „Wenn wir zwei Millionen Dollar ausgeben, werden wir in 10.000 Jahren statistisch 14 Leben retten. Das bedeutet, der Preis eines Menschenlebens plus öffentlicher Empörung liegt bei $143.000. Möglicherweise könnten wir uns zwei Millionen Dollar für eine Einhausung leisten. Aber können wir es uns leisten, eine solche Maßnahme durchzuführen, die einen Präzedenzfall für alle hochgefährlichen Chemikalien schafft?“.
Die nun von BAYER geplante Schutzhülle verhindert zwar den Austritt von Phosgen, würde einer Explosion oder einer Beschädigung von außen jedoch nicht standhalten. Die CBG forderte in der Erörterung daher ein kräftigeres Containment, das auch einen Schutz gegen Feuer oder erhöhten Druck liefert. Außerdem fordert die Coordination zusätzliche Schutzmaßnahmen für den Fall einer Explosion innerhalb der Einhausung. Ein solcher Schutz wäre z.B. durch Einsprühen von Ammoniak-Dampf zu erreichen, womit sich das hochtoxische Phosgen neutralisieren ließe.

geringe Abstände
Ein weiteres Thema in dem Erörterungstermin waren die geringen Abstände der TDI-Anlage zur Werksgrenze. So liegt eine Haltestelle der S-Bahn gerade einmal 300m entfernt. Zur Wohnbebauung sind es 1.000 Meter. Die Kommission für Anlagensicherheit hingegen empfiehlt für Phosgen-Anlagen einen Abstand zur Bevölkerung von 1,5 km. Da mehrere Studien zeigen, das bei einem massiven Phosgenaustritt auch in einem Abstand von 1.000m Gesundheitsgefahren drohen, sollte der Mindest-Abstand aus Sicht der CBG in keinem Fall unterschritten werden. BAYER hingegen argumentierte, dass die Empfehlung nur für die Bauleitplanung gelte, nicht aber bei der Genehmigung von Anlagen.
Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs spricht jedoch eine andere Sprache. Einem Gartenbaubetrieb war es untersagt worden, sich in einem Abstand von 250m von einer Chemie-Fabrik anzusiedeln. Begründet wurde das Mitte September ergangene Urteil damit, dass der in der Seveso-II-Richtlinie der EU geforderte Mindestabstand nicht eingehalten wird. Juristen gehen davon aus, dass die Entscheidung dazu führen wird, dass Bauprojekte mit hohem Publikumsverkehr in der Nähe von Industrieanlagen künftig häufiger untersagt werden. Auch werde es für Industrieunternehmen wohl schwerer, neue Standorte zu finden beziehungsweise Anlagen dicht an Siedlungen zu erweitern.
BAYER ist von der verschärften Auslegung der EU-Gesetze auch an einer anderen Stelle betroffen: in Leverkusen wollte der Konzern eine unmittelbar neben dem Werk gelegene Fläche an ein Sport-Kaufhaus verkaufen. Auf Drängen der Stadt wurde das Geschäft zunächst auf Eis gelegt, um das EU-Urteil zu prüfen.
Die Entscheidung der Bezirksregierung Köln zur Genehmigung der TDI-Anlage soll zum Jahreswechsel fallen.

alle Infos zur Kampagne

[IG Farben] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

NS-Verbrecher in BAYER-Diensten

Das Kap der letzten Hoffnung

Nach dem Krieg setzte sich der hohe Nazi Walther Rauff nach Südamerika ab. Aber er blieb Deutschland verbunden: Rauff war zeitweilig für BAYER tätig und arbeitete für den Bundesnachrichtendienst.

Walther Rauff hatte gute Gründe, sich nach dem Krieg dem Zugriff der Alliierten zu entziehen. Im „Dritten Reich“ unterstand ihm nämlich die Entwicklung der Gaswagen. Diese mobilen Tötungskammern markierten ein Zwischenstadium hin auf dem Weg zum industrialisierten Massenmord in den KZ. Die Nazis ersannen sie, weil „Erschießen doch nicht die humanste Art sei“, sich seiner Feinde zu entledigen, wie Himmler befand. Seine Sorge galt dabei allerdings nicht den Opfern, sondern den Tätern. Der SS- und Polizeichef hatte 1941 in Minsk Massentötungen beigewohnt und sie als zu belastend für die Ausführenden erlebt. Deshalb erließ er den Befehl, nach einer „humaneren Tötungsart“ zu suchen.

Und so entstanden unter der Ägide von Walter Rauff als Gruppenleiter im Reichssicherheitshauptamt die Gaswagen. Sie leiteten tödliches Kohlenmonoxid von den Auspuffen in den Laderaum und brachten so den dort hineingepferchten Menschen den Tod. Rund 97.000 Menschen kamen auf diese Weise um. Von Minsk bis zum Kaukasus reichte die Blutspur. Rauff lehnte später jede Verantwortung dafür ab. „Ich war niemals persönlich anwesend, wenn die Todeswagen in Tätigkeit gesetzt wurden und in ihnen Personen getötet wurden“, erklärte er bei einer Vernehmung kurz nach dem Krieg. Und 1962 gab der Kriegsverbrecher zu Protokoll, dass seine Arbeit nur „die technische Seite betraf und mit der Tötung von Menschen nichts zu tun hatte“. Das anonymisierte und arbeitsteilige Töten erlaubte es den Nazi-Schergen, sich jeglichen Gefühls persönlicher Schuld zu entledigen - und genau das hatte Himmler mit seinem Vorstoß auch bezweckt.

Die KZ perfektionierten den maschinellen Mord dann weiter und machten die mobilen Gaskammern überflüssig. Rauff ging als Leiter einer Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei nach Tunis. Dort verpflichtete er alle männlichen Juden zur Zwangsarbeit und stellte ihrer Gemeinde die Kosten für die durch die alliierten Luftangriffe entstandenen Schäden in Rechnung: 20 Millionen Francs. Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Nordafrika wechselte der NS-Funktionär nach Italien. Als Leiter der Gruppe „Oberitalien West“ führte Rauff dort ein hartes Regiment. So gab er den Befehl, für jeden getöteten Deutschen zehn Italiener zu erschießen, und ging gegen Streikende und WiderstandskämpferInnen vor. Seine Vorgesetzten dankten ihm dafür, „dass die Unruhen im Keim erstickt wurden oder niedergeschlagen wurden“ und verliehen im noch Februar 1945 das Kriegsverdienstkreuz.

Dementsprechend heißt es in der Akte „Rauff“, die der US-Geheimdienst nach dem Krieg anlegte: „Die ‚Quelle‘ ist, wenn sie je freikäme, als Bedrohung zu betrachten. Sofern sie nicht ausgeschaltet wird, sollte man sie für lebenslange Einsperrung empfehlen“. Auf freiem Fuß blieb Walther Rauff dann auch nicht lange. Er landete im Lager Rimini, brach aber bald aus. Dank bester Verbindungen zum Vatikan fand er zunächst in Klöstern Unterschlupf. Später kam der SS-Standartenführer in Kontakt zu einem syrischen Militär, der ihm anbot, seine NS-Erfahrungen zu nutzen und in dem vorderasiatischen Staat den Geheimdienst mit aufzubauen. Rauff nahm die Offerte an. Nach einem Machtwechsel musste er das Land jedoch wieder verlassen und kehrte über Beirut nach Italien zurück, um von dort aus Ende 1949 nach Südamerika aufzubrechen.

In BAYER-Diensten
Seine erste Station auf dem Kontinent war Ecuador. Nach verschiedenen Tätigkeiten in Handelsvertretungen für MERCEDES BENZ, OPEL und US-amerikanische Pharma-Multis trat Rauff in die Dienste der deutsch-ecuadorianischen Firma Moeller-Martinez ein. Hier durfte er sich wahrhaft zu Hause fühlen, denn die Familie Moeller-Martinez zählte zu den glühensten Parteigängern Hitlers in dem Staat. Firmenchef Gustavo Moeller-Martinez gehörte den ecuadorianischen Ablegern der Wehrmacht und Waffen-SS an, kämpfte wie sein Sohn im Zweiten Weltkrieg und wurde nach 1945 von den Alliierten festgesetzt.

Sein Unternehmen fühlte sich ebenfalls der Heimat verbunden. Es nahm die Interessen des Leverkusener Multis und anderer bundesdeutscher Gesellschaften in Ecuador wahr. Als Prokurist und Verkaufsleiter kümmerte sich Walter Rauff dort unter anderem um die Angelegenheiten des Chemie-Multis. Die „Aufgeschlossenheit“ von BAYER, MERCEDES & Co. für NS-Täter kam nicht von ungefähr. „Die Vertretungen von Firmen wie BAYER, HOECHST und BASF hatten oft alte Kameraden in Europa und Übersee inne“, schreibt der Historiker Gerald Steinacher in seinem Buch „Nazis auf der Flucht“. Simon Wiesenthal bezeichnete derweil die Niederlassungen von SIEMENS, KRUPP und VW in Argentinien als „reine Nazi-Nester“. Bei MERCEDES bestand fast die gesamte Führungsebene aus Einwanderern, darunter Wehrmachtsangehörige, SS-Offiziere und andere Funktionsträger. Sogar die schlimmsten Nazis wie Adolf Eichmann, der Organisator der Massendeportationen von Juden und Jüdinnen, oder der Schlachtflieger Hans-Ulrich Rudel fanden ein Auskommen bei MERCEDES oder anderen bundesdeutschen Betrieben. Steinacher zufolge war dies aber nicht nur ideologischen Seilschaften zu verdanken, auch ganz praktische Erwägungen leiteten diese Personalpolitik: Die Migranten sprachen Deutsch, hatten in der Regel eine gute Ausbildung und gaben sich hoch motiviert.

Über die Zahlen der aus Deutschland, Österreich und anderen Ländern nach Südamerika geflüchteten Nationalsozialisten existieren unterschiedliche Angaben. Die Alliierten gingen von rund 50.000 Kriegsverbrechern aus. Der Historiker Holger M. Meding kommt in seinem Werk „Flucht vor Nürnberg?“ allein für Argentinien auf 19.000 EinwanderInnen. Dabei handelte es sich allerdings nicht nur um „Demokratie-Verfolgte“, wie sich die Faschisten selber nannten. Meding beziffert das Quantum der höheren NS-Funktionsträger unter den Neu-Argentiniern auf 300 bis 800 und das der gesuchten Kriegsverbrecher und Massenmörder auf 50. Gaby Weber spricht in „DAIMLER-BENZ und die Argentinien-Connection“ hingegen von „mindestens 300“ auf den Fahndungslisten stehenden Nazi-Größen.

Wie vielen davon BAYER Unterschlupf gewährte, darüber gibt es in der ohnehin spärlichen Literatur keine Informationen. Bekannt wurde nur noch ein weiterer Fall, der des Juan Felipe Darnand. Er gehörte zu der von den Nazis im besetzten Frankreich gegründeten französischen Miliz. Von Darnands Vater Joseph befehligt, machte die Truppe Jagd auf Resistance-KämpferInnen. Als sich die Vichy-Regierung nach der Landung der Alliierten auf das Schloss Sigmaringen zurückziehen musste, bildeten die Milizionäre zusammen mit ein paar hundert Soldaten ihre Leibgarde. Diese Nibelungentreue machte sie nach dem Krieg zu gesuchten Kollaborateuren. Joseph Darnand erhielt das Todesurteil und wurde erschossen. Seinem Sohn gelang unter dem Decknamen Felipe Foucachon die Flucht nach Argentinien, wo er dann unter anderem bei BAYER Arbeit fand.

Treu zu NS-Diensten
Die Seilschaften, die so etwas ermöglichten, hatten sich in den 1930er Jahren herausgebildet. Im September 1937 hielten die Manager der von BAYER mitgegründeten IG FARBEN fest: „Es versteht sich dabei von selbst, dass keine Männer in unsere ausländischen Niederlassungen geschickt werden, die nicht der Deutschen Arbeitsfront angehören und die keine positive Haltung der neuen Ordnung gegenüber haben. Die dorthin beorderten Männer sollten es als ihre besondere Pflicht ansehen, das nationalsozialistische Deutschland zu repräsentieren“ (rückübersetzt aus dem Englischen, Anm. SWB).

Gemäß dieser Direktive leisteten die Angestellten BAYERs und anderer IG-Firmen wichtige Dienste für das faschistische Vaterland. Oft waren sie überdies direkt für Nazi-Organisationen tätig. So baute der BAYER-Manager und NSDAP-Funktionär Werner Siering den NS-Geheimdienst in Chile auf, während zwei seiner Kollegen in Venezuela für die Partei und den damaligen militärischen Abschirmdienst arbeiteten. In Mexiko war Baron von Humboldt in Personalunion Chef der dortigen IG-Niederlassung und der Gestapo. In Ecuador hatte L. E. Brueckmann, Leiter der zur IG FARBEN gehörenden Firma BRUECKMANN & Co., gleichzeitig das Amt eines Konsuls inne und wählte auch seine Konsulatsmitarbeiter teilweise aus Belegschaftskreisen aus. Darüber hinaus hatten zwei seiner Beschäftigten hohe Positionen in der ecuadorianischen Nazi-Partei inne. In Peru gehörten derweil zwei NS-Geheimdienstler zu den Führungskräften, und die BASF- und BAYER-Zentralen in Rio de Janeiro bezeichnete der für die Nürnberger Prozesse erstellte Untersuchungsbericht sogar als „Hauptzentren der Nazi-Aktivitäten in Brasilien“.

Darüber hinaus stellten die so genannten Verbindungsmänner der IG FARBEN in ihren monatlichen Bulletins wichtige politische, wirtschaftliche und militärische Informationen über die südamerikanischen Länder zusammen und verzeichneten beispielsweise Aufrüstungsbestrebungen oder Waffenlieferungen. „Natürlich verfügt ein Konzern wie die IG FARBEN (...) über Erfahrungen und Wissen, das von den Regierungsstellen nicht gesammelt werden kann (...) Darum ist es die Pflicht unseres Führungspersonals außerhalb Deutschlands, seine Kenntnisse allen staatlichen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen“, konstatierte IG-Direktor Max Ilgner 1936 nach einer Lateinamerika-Dienstreise.

Zudem gewährten die südamerikanischen IG-Gesellschaften vielen Nazi-Spionen Unterschlupf und arbeiteten eng mit dem „Aufklärungsausschuss“ zusammen, dem Auslandsableger von Goebbels‘ Propaganda-Ministerium. Auch spendeten sie eifrig für die NSDAP. Allein die brasilianischen BAYER-Niederlassungen brachten mehr als 3,6 Millionen Reichsmark für die Organisation auf.

BAYER & das Militär
Nach dem Krieg lebten diese Traditionen fort. Eine „Entnazifizierung“ hatten die Hitler-Getreuen in Lateinamerika noch weniger zu fürchten als ihre Kollegen daheim. Das politische Umfeld auf dem Kontinent mit seinen oftmals autokratischen oder diktatorischen Regimen kam ihnen dabei sehr entgegen. Die ideologische Wahlverwandtschaft ermöglichte ein enges Verhältnis zu den Machthabern. So klagte noch 1978 der brasilianische Gewerkschaftler Jose Ibrahim über die guten Beziehungen bundesdeutscher Unternehmen zu den Generälen: „Aus der Bundesrepublik Deutschland sind da insbesondere VW, DAIMLER-BENZ, MANNESMANN, KRUPP, BAYER, HOECHST, SIEMENS, BASF, VOIGT u. a. zu nennen. Man könnte die Liste beliebig fortsetzen, zu der etwa 50 große westdeutsche Konzerne gehören, die in Brasilien die Privilegien genießen, die ihnen die Militärdiktatur einräumt“. Und zu diesen Privilegien gehörte vor allem, mit den Beschäftigten nach Belieben umspringen zu können. „Bei allen ausländischen Multis herrscht Repression in den Fabrikhallen: Der Arbeiter, der seine berechtigten Forderung stellt, der reklamiert, der protestiert, wird gefeuert und sofort bei der Polizei denunziert“, so Ibrahim.

Argentinien hat der als „Nazi-Jäger“ berühmt gewordene Simon Wiesenthal wegen seines Wohlwollens gesuchten Nazi-Größen gegenüber einmal als „Kap der letzten Hoffnung“ für Kriegsverbrecher bezeichnet. Andere Länder standen dem Andenstaat jedoch kaum nach. Walther Rauff wählte schließlich Chile als Wahlheimat. Er verließ Ecuador 1958 und beendete damit auch seine Dienste für BAYER. Unter anderem im Bundesnachrichtendienst fand er - wiederum durch alte Seilschaften - einen neuen Arbeitgeber. Seine Überzeugungen änderte Rauff nie. Auslieferungs- und Ausweisungsgesuche, von Wiesenthal, Beate Klarsfeld und anderen betrieben, scheiterten immer wieder. So konnte seine Beerdigung 1984 zu einem Klassentreffen Rechtsextremer werden, mit „Sieg Heil“- und „Heil Hitler“-Rufen und Flugblättern, die den Holocaust leugneten.
Von Jan Pehrke

[Carl Duisberg] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

150. Geburtstag von Carl Duisberg

„Ein verbrecherisches Genie“

Am 29. September jährte sich zum 150. Mal der Geburtstag von Carl Duisberg, dem geistigen Vater der IG FARBEN. Der langjährige, streng nationalistische BAYER-Generaldirektor war im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN forderte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen und Schulen, die nach Duisberg benannt sind, sowie den Entzug der Leverkusener Ehrenbürgerschaft.

Von Philipp Mimkes

Aufwendig ließ die BAYER AG Ende September die Grabstätte von Carl Duisberg in Leverkusen dekorieren. „Besonders sein Innovationsgeist unterschied ihn von anderen Managern seiner Zeit“, so eine Pressemitteilung der Firma zum Jubiläum, und weiter: „Duisberg erkannte schon früh die Notwendigkeit zur Erschließung neuer Geschäftsfelder„.
Zimperlichkeit kann man Duisberg bei dieser „Erschließung“ nicht vorwerfen. Ob es der Verkauf von Heroin als Hustenmittel, die Produktion von Giftgas und Sprengstoff im 1. Weltkrieg oder die Entwicklung giftiger Pestizide war - für Profite ging der eingefleischte Feind der Gewerkschaften buchstäblich über Leichen. „Revolutionär oder Ausbeuter?“ betitelte der Leverkusener Anzeiger denn auch seinen Artikel zum Geburtstag des Patriarchen.
1883 hatte Duisburg seine Arbeit bei den „Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.“ mit Sitz in Wuppertal aufgenommen. Der Chemiker arbeitete zunächst an der Entwicklung neuer Farbstoffe. Bereits 1888 wurde Duisberg Prokurist und Leiter der Forschungsabteilung. Wenige Jahre später plante er den Umzug nach Leverkusen, wo eine der damals größten Chemie-Fabriken der Welt entstand. 1900 wurde Duisberg zum Vorstandsmitglied und 1912 zum Generaldirektor ernannt. Angeregt durch Reisen in die USA, wo er die riesigen Trusts wie Standard Oil kennen lernte, verfasste er 1904 die “Denkschrift über die Vereinigung der deutschen Farbenfabriken„. 20 Jahre lang blieb er die treibende Kraft des Zusammenschlusses, der schließlich 1925 erfolgte.

Aspirin und Heroin
Einer der Grundsteine für den Aufstieg der einstigen Farbenfabrik zu einem Weltkonzern war der Verkaufserfolg von Heroin und Aspirin. BAYER hatte das „gut verträgliche Hustenmittel“ Heroin im Jahr 1898 zusammen mit dem Schmerzmittel Aspirin auf den Markt gebracht. Im Jahr 1900 startete ein bis dahin nie da gewesener Werbefeldzug: auf dem ganzen Globus wurden Anzeigen geschaltet, Ärzte wurden erstmals flächendeckend mit Gratisproben versorgt, und Niederlassungen von Brasilien bis China brachten die Präparate bis in die entlegensten Gebiete. Heroin wurde für eine breite Palette von Krankheiten beworben, darunter Multiple Sklerose, Asthma, Magenkrebs, Epilepsie und Schizophrenie. Sogar bei Darmkoliken von Säuglingen sei Heroin wirksam.
Als Kritiker die Sicherheit des Tausendsassas in Frage stellten, forderte Carl Duisberg, die Querulanten “mundtot zu schlagen„. Und weiter: “Wir dürfen nicht dulden, dass in der Welt behauptet wird, wir hätten unvorsichtigerweise Präparate poussiert, die nicht sorgfältig probiert sind“. Obwohl sich rasch die Gefahr der Abhängigkeit herausstellte, führte der Konzern den gewinnbringenden Verkauf über Jahrzehnte hinweg fort.

Annexionen gefordert
Historisch wichtig ist Carl Duisbergs Rolle im ersten Weltkrieg, wo er sich in alle kriegswichtigen Belange einmischte. So trat Duisberg für den unbeschränkten U-Boot-Krieg, die (völkerrechtswidrige) Bombardierung Englands und die Annexion von Belgien und Nordfrankreich ein. Auch forderte er im besetzten Polen und Russland neuen „deutschen Lebensraum“. Mit der Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff stand der BAYER-Chef in engem Kontakt und setzte sich erfolgreich für die Absetzung des angeblich zu nachgiebigen Kanzlers Bethmann-Hollweg ein.
Im Herbst 1916 beklagte Duisberg den Mangel an Arbeitskräften und forderte mit dem Ausspruch „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien„ den Einsatz von Zwangsarbeitern. Das Reichsamt des Inneren griff den Vorschlag auf und ließ rund 60.000 Belgier deportieren, was international zu Protesten führte.
Das Vorhaben scheiterte zwar größtenteils, unter anderem wegen eines Streiks der Belgier. Die Deportation gilt aber als Vorläufer des ungleich größeren Zwangsarbeiter-Programms im 2. Weltkrieg. Duisberg hatte bis zuletzt dafür plädiert, die Arbeitsmöglichkeiten und die Lebensmittel in Belgien zu rationieren, um die “Arbeitslust„ der Belgier in Deutschland zu steigern.
1917 trat Duisberg in die Deutsche Vaterlandspartei ein. Der Historiker Prof. Hans Ulrich Wehler nennt die Vaterlandspartei eine „rechtsextreme Massenorganisation mit deutlich präfaschistischen Zügen“, die die „fanatisierten Anhänger eines Siegfriedens und exorbitanter Kriegsziele“ zusammenführte. Ihre Parolen waren, so Wehler, „eine „giftige Fusion aus Antisemitismus, Radikalnationalismus und Expansionismus“.

Giftgasforschung
Im Herbst 1914 wurde auf Vorschlag des Kriegsministeriums eine Kommission ins Leben gerufen, die sich mit der Nutzung der giftigen Abfallstoffe in der Farbenindustrie beschäftigen sollte. Diese unterstand der Leitung von Carl Duisberg und Walter Nernst (Chemieprofessor an der Universität Berlin). Fritz Haber, Direktor des Kaiser Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie, schlug der Heeresleitung die Nutzung von Chlorgas für militärische Zwecke vor, wobei wissentlich gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen wurde.
Carl Duisberg war bei den ersten Chlorgasversuchen auf dem Kölner Truppenübungsplatz Wahn persönlich anwesend. Begeistert pries Duisberg den Chemie-Tod: „Die Gegner merken und wissen gar nicht, wenn Gelände damit bespritzt ist, in welcher Gefahr sie sich befinden und bleiben ruhig liegen, bis die Folgen eintreten.“ In Leverkusen wurde eigens eine Schule für den Gaskrieg eingerichtet.
Der erste Einsatz von Chlorgas durch das deutsche Heer erfolgte im belgischen Ypern. Unter Duisbergs Leitung wurden bei Bayer weitere Kampfstoffe entwickelt: Phosgen, das giftiger war als Chlorgas und mit farbig markierten Geschossen, sog. „Grünkreuz“-Granaten, verschossen wurde, und später Senfgas. Insgesamt geht die Forschung von insgesamt 60.000 Toten des von Deutschland begonnen Gaskrieges aus.
Zu Kriegsende befanden sich Duisberg und Haber auf den Auslieferungslisten der Alliierten und mussten eine Anklage als Kriegsverbrecher fürchten.

Lebenswerk IG Farben
Der größte persönliche Erfolg für Carl Duisberg war die 1925 erfolgte Gründung der IG FARBEN zum damals größten europäischen Konzern. Der Zusammenschluss umfasste BAYER, BASF, HOECHST und einige kleinere Firmen. Duisburg wurde erster Aufsichtsratsvorsitzender.
Der Weimarer Republik hatte Duisburg von Beginn an feindlich gegenüber gestanden. Er organisierte Spenden der Industrie an konservative und nationalistische Parteien und baute den Einfluss auf die Presse aus (so erwarben die IG Farben in einer geheimen Transaktion 49% der Frankfurter Zeitung, dem Vorläufer der FAZ).
1931 forderte Duisberg: „Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, dass er keine Hemmungen hat, so muss diesem Mann unbedingt Folge geleistet werden.“ Im selben Jahr verlangte Duisberg in einer Rede vor der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf die Schaffung eines europäischen Wirtschaftsblocks unter deutscher Dominanz.
Spätestens ab 1930 leisteten die IG FARBEN direkte Spenden an die NSDAP und erhielten nach 1933 Absatzgarantien für synthetischen Treibstoff und Kautschuk. In der Folge kollaborierte kein anderes Unternehmen so eng mit dem Dritten Reich. Anlässlich seiner Pensionierung frohlockte Carl Duisberg denn auch: „Ich freue mich auf einen Lebensabend unter unserem Führer Adolf Hitler.“ Hitler wiederum kondolierte zum Tod Duisbergs 1935: „Die deutsche Chemie verliert in ihm einen ihrer ersten Pioniere und einen erfolgreichen Führer, die deutsche Wirtschaft einen ihrer großen Organisatoren. Sein Name wird in Deutschland in Ehren weiterleben.“

Umbenennungen gefordert
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beschäftigt sich seit den 80er Jahren mit der Geschichte des BAYER-Konzerns und war u.a. Herausgeber des Buchs „Von Anilin bis Zwangsarbeit – Die Geschichte der IG Farben“. Zum 150. Geburtstag von Carl Duisberg startete die CBG nun eine Kampagne zur Umbenennung der nach Duisberg benannten Straßen, Schulen und Wohnheime.
In einem Aufruf der CBG heißt es: „Carl Duisberg war ein extremer Nationalist, eine Persönlichkeit von patriarchaler Herrschsucht und ein erbitterter Feind der Gewerkschaften. Man kann Duisberg nur als „verbrecherisches Genie“ bezeichnen, das Zeit seines Lebens die Moral dem Geschäftssinn unterordnete. Wegen seiner Verantwortung für den Einsatz von Giftgas, die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die enge Zusammenarbeit mit dem Nazi-Regime taugt der ehemalige BAYER-Generaldirektor nicht als Vorbild für künftige Generationen!“.
Die CBG fordert eine Umbenennung der nach Duisberg benannten Schulen (z.B. das Carl Duisberg Gymnasium in Wuppertal), Straßen (so in Bonn, Krefeld, Marl, Dormagen, Dortmund und Leverkusen) sowie der gemeinnützigen Carl Duisberg-Centren. In einem Brief an den Leverkusener Oberbürgermeister Reinhard Buchhorn forderte das Netzwerk zudem die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde von Leverkusen; ein entsprechender Antrag wurde über die Fraktion der Linken auch in den Stadtrat eingebracht.

Diskussion geht weiter
Bereits in den 80er Jahren hatten die Wuppertaler Grünen erfolglos die Forderung nach einer Umbenennung von Duisberg-Schulen und -Straßen erhoben. Schüler des Gymnasiums hatten damals Zugang zum BAYER-Archiv erhalten und die Broschüre „Untersuchungen zu Carl Duisberg“ sowie eine kritische Dauerausstellung erstellt.
Damals wie heute berichten die Medien ausführlich. Die Verantwortlichen halten sich jedoch auch diesmal bedeckt. So antwortete die Leverkusener Stadtverwaltung, dass die Ehrenbürgerschaft Duisbergs ohnehin mit seinem Tod erloschen sei - ein nicht stichhaltiges Argument, da anderen belasteten Ehrenbürgern der Titel auch posthum aberkannt wurde. Eine Straßenumbenennung wird von der Verwaltung aus Kostengründen abgelehnt, auch bestehe hieran „kein öffentliches Interesse“.
Ähnlich ist die Entwicklung in Wuppertal. Zwar will die Stadt das Thema in der für Umbenennungen zuständigen „Kommission für eine Kultur des Erinnerns“ diskutieren. Auch wandten sich der Historiker-Verband „Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal“ sowie die Wuppertaler Grünen erneut an den Oberbürgermeister, was vor Ort zu zahlreichen Diskussionen sorgte. Doch bereits vor dem nächsten Treffen der Kommission äußerten Vertreter der Stadt, dem Gymnasium, das im September zufälliger Weise ebenfalls seinen 150. Geburtstag feierte, die Entscheidung über die Namensgebung selbst zu überlassen.
Die Schulleitung positioniert sich derweil eindeutig. Anfragen der CBG zum Namensgeber wurden nicht beantwortet. In der Festschrift zum Schuljubiläum findet sich zwar ein Kapitel zu Duisburg, dieses wurde jedoch von Rudolf Kespe verfasst - dem selben, mittlerweile pensionierten Geschichtslehrer, der eine Umbenennung vor 25 Jahren ablehnte.
„Wir haben den Eindruck, dass auf dilettantische Art und Weise an die Vergangenheit von Carl Duisberg herangegangen wird“, kommentiert Dr. Stephan Stracke vom Historiker-Verband. Marc Schulz, ehemaliger Schüler des Carl Duisberg-Gymnasiums und schulpolitischer Sprecher der Wuppertaler Grünen, ergänzt gegenüber der Berliner “tageszeitung„: “Vergleicht man die Festschrift von diesem Jahr mit der Festschrift zum 125-jährigen Bestehen, so hat sich der Blick und die kritische Haltung bedenklich verflacht und scheint um Jahre zurückgeworfen“. Vor diesem Hintergrund sei eine neue Diskussion über den Namen nötig. Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird die Kampagne zu Duisberg fortführen.

Teile des Textes sind dem Offenen Brief „Für die Umbenennung des Carl Duisberg Gymnasiums in Wuppertal“ des Vereins zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal vom 23.9. 2011 entnommen

alle Infos zur Kampagne

[Ticker] STICHWORT BAYER 01/2012 – Ticker

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Preis für die CBG
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und ihr Gründungsmitglied Axel Köhler-Schnura erhielten am 24. September 2011 den „Henry-Mathews-Preis“ der KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE. In der Laudatio hieß es: „Eine beeindruckende Anzahl von Aktionen hat eure konzernkritische Arbeit begleitet. Zum Beispiel im Jahr 2000, als ihr auf dem jährlich stattfindenden Gedenktag ‚Day of no Pesticides‘ an die Bhopal-Opfer des Giftgasunfalls in Indien 1984 erinnert habt und mit Giftspritzen, Kreuzen und Transparenten vor BAYER aufgetreten seid (...) Neben den Hauptversammlungs-Auftritten und Aktionen begleitet Ihr BAYER mit kritischen Analysen. Daneben unterstützt ihr weltweit Bürgerinitiativen, wenn sie in euer Aufgabenfeld gehören.“ Axel Köhler-Schnura dankte mit den Worten: „Ich wurde geehrt mit dem Henry-Mathews-Preis. Wofür? Für etwas, das doch selbstverständlich ist: Aufzustehen gegen Unrecht und Verbrechen. Und zwar so, wie es einem möglich ist. Dieser Preis steht Unzähligen zu. Und so sehe ich mich stellvertretend für all diese namenlosen Unbekannten, die tagtäglich das Gleiche tun wie ich“.

TDI-Anlage in der Kritik
Auf den von der Bezirksregierung Köln in der ersten Oktober-Woche 2011 einberufenen Erörterungsterminen zur Toluylendiisocyanat-Anlage, die BAYER in Dormagen plant, mussten sich die Konzern-Emissäre viel Kritik anhören (siehe auch SWB 1/12). Die VertreterInnen von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, dem BUND und der DORMAGENER AGENDA 21 beanstandeten die fehlenden Angaben zur Umweltbelastung, eine mangelhafte Störfall-Vorsorge und eine ungenügende, da nur mit Blech statt mit Beton vorgenommene Ummantelung der Produktionsstätte. Zudem verlangten sie den Einbau einer Schutzwand, die bei einer Explosion mit nachfolgendem Phosgen-Austritt neutralisierendes Ammoniak freisetzen könnte. Die Bezirksregierung ließ das nicht unbeeindruckt. Sie dürfte das Projekt aber trotzdem genehmigen und im günstigsten Fall einige Nachbesserungen einfordern.

Duisbergs 150. Geburtstag
Am 29. September 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Er war im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Zudem hatte er einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN. Da dem Ex-Chef des Leverkusener Multis trotz alledem immer noch in Ehren gedacht wird, startete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne. Sie forderte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen und Schulen, die Duisbergs Namen tragen, sowie den Entzug der Leverkusener Ehrenbürgerschaft (siehe auch SWB 1/12).

Kritik an Kölner Universität
Der Politologe Thomas Kliche hat den Kooperationsvertrag der Universität Köln mit BAYER scharf kritisiert und als „korporative Korruption“ bezeichnet. „Forscher mit Geld von Unternehmen finden häufiger die gewünschten Wirkungen und interpretieren ihre Ergebnisse netter zugunsten der Pillen“, sagte Kliche in einem Interview mit der taz. Er monierte auch die immer stärkere Abhängigkeit der Hochschulen von Drittmitteln, weil das die Einrichtungen den Wünschen der Konzerne gegenüber gefügiger mache. Um Transparenz zu gewährleisten, forderte der Wissenschaftler deshalb die Offenlegung der Vereinbarung und ergänzte: „Aber damit kann es nicht getan sein, weil solche Abkommen ja oft bewusst unverfänglich formuliert werden. Auch die Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Da könnten interessanterweise Arbeitnehmervertretungen in der Forschung helfen, denn sie stärken die unteren Ebenen gegen den sanften Erwartungsdruck von oben.“

Anfrage zu Kooperationsverträgen
Einen Kooperationsvertrag, wie ihn die Kölner Hochschule mit BAYER vereinbart hat (siehe oben), schließen immer mehr Universitäten mit Wirtschaftsunternehmen ab. Die Partei „Die Linke“ nahm die Zusammenarbeit der Berliner Humboldt-Universität mit der DEUTSCHEN BANK zum Anlass, eine Anfrage an die Bundesregierung zu stellen. Diese sieht die Freiheit von Wissenschaft und Lehre durch solche Partnerschaften allerdings nicht gefährdet. Darum will sie auch keinen Handlungsbedarf erkennen, und zwar gerade im Namen dieser Freiheit. „Die grundgesetzliche garantierte Freiheit von Forschung und Lehre begrenzt die staatliche Einflussmöglichkeit“, so die CDU/FDP-Koalition. Auch an der Geheimhaltungspolitik, wie sie beispielsweise BAYER und die Kölner Uni mit Vehemenz verfechten, stört sie sich nicht. „Angesichts der vielfältigen Formen der Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie der zahlreichen rechtlichen Implikationen, z. B. mit Blick auf den Schutz personenbezogener Daten, den Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen oder den Schutz geistigen Eigentums erachtet die Bundesregierung (...) eine generelle Pflicht zur Veröffentlichung von Kooperationsverträgen als rechtlich bedenklich“, heißt es in der Antwort.

Forscher warnt vor Glyphosat
Gentech-Pflanzen weisen Resistenzen gegenüber bestimmten Pestiziden auf und können auf den Feldern deshalb bis zum Abwinken mit ihnen besprüht werden. Das bekannteste Mittel ist Glyphosat, das hauptsächlich in Kombination mit MONSANTO-Genpflanzen der „ROUND UP“-Baureihe, aber auch mit BAYER-Produkten wie der Baumwolle „GHB 614“ zum Einsatz kommt. Der emeritierte US-Agrarwissenschaftler Don Huber hat den Präsidenten der Europäischen Kommission, Manuel Barroso, jetzt in einem Brief eindringlich vor Glyphosat gewarnt, da es seiner Meinung nach zahlreiche Risiken und Nebenwirkungen hat. So kann es zum Absterben von Soja-Gewächsen und zum Verwelken von Mais führen. Zudem senkt es Huber zufolge die pflanzen-eigenen Widerstandskräfte. Deshalb riet der Forscher der EU, keine Laborfrüchte zuzulassen, die den Gebrauch von Glyphosat nach sich ziehen.

Demo gegen Patente auf Pflanzen
BAYER & Co. betreiben die Privatisierung der Natur nicht nur vermittels der Gentechnik. Sie streben auch immer mehr Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen wie z. B. Brokkoli an. So hat das Europäische Patentamt BAYER unlängst geistiges Eigentum auf eine besser vor Mehltau geschützte Gurke sowie auf eine Ackerfrucht mit erhöhter Stress-Resistenz zugesprochen. Doch gegen das Vorgehen der Konzerne erhebt sich Widerstand. Am 26. Oktober 2011 kam es vor dem Europäischen Patentamt in München zu einer Demonstration gegen den botanischen Imperialismus der Agro-Multis.

Naturland ohne Nano
Die Nanotechnologie lässt Werkstoffe auf winzig kleine Größen schrumpfen. Dabei entwickeln BAYERs BAYTUBES und andere Nano-Produkte jedoch unbekannte und nicht selten gefährliche Eigenschaften. Wegen dieses Risiko-Profils hat sich der Ökoverband „Naturland“ entschieden, keine Lebensmittel, Kosmetika oder Verpackungsmaterialien auf Nano-Basis mit seinem Label zu versehen.

KAPITAL & ARBEIT

Erfolgreicher Arbeitskampf in Berkeley
Das BAYER-Werk in Berkeley gehört zu den wenigen US-Niederlassungen des Konzerns mit einer organisierten Arbeiterschaft. Darum gelang es in harten Tarifverhandlungen, die von Solidaritätsaktionen im ganzen Land begleitet waren, auch, deutliche Verbesserungen für die Beschäftigten zu erreichen. Die Gewerkschaft INTERNATIONAL LONGSHORE AND WAREHOUSE UNION (ILWU) vereinbarte mit der Betriebsleitung eine Entgelt-Steigerung von 3,1 Prozent über einen Zeitraum von vier Jahren, eine Begrenzung der Krankenversicherungskosten auf 18 Prozent des Gehalts sowie eine Sicherung der Arbeitsplätze. Donald Mahon von der ILWU sah den Erfolg als Bestätigung seiner Arbeit. „BAYER macht - so wie viele andere Unternehmen - Milliardenumsätze, aber damit sie den Arbeitern davon einen Teil abgeben, benötigt man gewerkschaftliche Organisation, Proteste sowie Druck von außerhalb und innerhalb der Werke“, so der Aktivist.

„Chemie Ost“ mit Entgelt-Angleichung
Im neuen Tarifvertrag für die ostdeutsche Chemie-Industrie ist es der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE gelungen, eine weitere Angleichung der Entgelte auf das West-Niveau zu erreichen. Gibt es bei den Eingangstarifen für verschiedene FacharbeiterInnen-Gruppen schon länger keine Unterschiede mehr, so soll nun auch die Differenz bei den vorgesehenen Erhöhungsstufen, die aktuell noch acht Prozent beträgt, schrumpfen. Zudem erweitert sich im Osten die Bemessungsgrundlage für die jährlichen Bonus-Zahlungen sukzessive, bis sie 2015 zum West-Wert von 95 Prozent des letzten Bruttogehaltes aufschließt.

IB BCE will Job-Garantie
Der Betriebsrat verhandelt mit der BAYER-Spitze über den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis 2015. „Wegen massiver Umstrukturierungen, Ausgliederungen von Unternehmensteilen und angedrohtem Arbeitsplatz-Abbau benötigen die Beschäftigten klare Perspektiven und dauerhaft gesicherte Arbeit“, erklärte Gesamtbetriebsratschef Thomas de Win von der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE. Allerdings gestalten sich die Gespräche schwierig. Sie werden nicht wie eigentlich vorgesehen zum Jahresende 2011 enden, BAYER-Chef Marijn Dekkers kündigte eine Einigung erst für Mitte 2012 an. De Win indessen reicht die Job-Garantie nicht. Er forderte auch mehr Engagement für die Niederlassungen in der Bundesrepublik: „BAYER muss an allen deutschen Standorten investieren.“.

Lohnangleichung für LeiharbeiterInnen
Der Leverkusener Multi beschäftigt Hunderte von LeiharbeiterInnen. Ihre Lage dürfte sich bald bessern. Die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) erzielte mit dem „Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister“ nämlich eine Einigung über eine Lohnangleichung. Nach einem Zeitraum von drei Monaten sollen die ZeitarbeiterInnen sukzessive Zuschläge erhalten, bis ihr Entgelt dem der Stammbelegschaft entspricht, so die Regelung. Auch anderen Leiharbeitgebern will die IG BCE dieses Modell vorschlagen. Es tritt allerdings erst in Kraft, wenn es den anderen DBG-Gewerkschaften ebenfalls gelingt, das „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“-Prinzip durchzusetzen. Einigen von denen geht die Vereinbarung jedoch nicht weit genug. So lehnt etwa VER.DI die Stufenanpassung ab. „Da sich die Höhe des Lohns nach der Entleih-Dauer richtet, würden lediglich die Einkommensunterschiede zwischen Stammbelegschaft und Leiharbeitern zementiert“, konstatiert Jörg Wiedemuth von VERDIs tarifpolitischer Grundsatzabteilung. Zudem nimmt er es der IG BCE übel, den Leiharbeitsvorstoß nicht mit den anderen Gewerkschaften abgesprochen zu haben.

Auflösung der Diagnostika-Sparte
Seit dem 2006 erfolgten Aufkauf von SCHERING hat BAYER viele Arzneien des ehemaligen Berliner Pharma-Riesen ausgemustert. Der Konzern gab sich nämlich nicht dessen mit Umsatz-Erwartungen zufrieden. Während SCHERING neuen Produkten die Vorgabe von 100 Millionen Euro machte, erwartet der Leverkusener Multi 200 bis 300 Millionen. Neuester Coup: Der Konzern will die Sparte mit den ererbten Diagnostika-Produkten auflösen, die er schon länger vernachlässigt, weshalb bereits viele SCHERING-Ehemalige das Unternehmen verlassen haben. Das Geschäft mit den Röntgenkontrastmitteln MAGNEVIST und ULTRAVIST schlägt der Global Player seiner Tochterfirma MEDRAD zu; für sein noch nicht marktreifes Präparat zur Alzheimer-Früherkennung sucht er einen Käufer. Nach Angaben des Pillen-Herstellers stehen mit den avisierten Veränderungen 100 Arbeitsplätze zur Disposition.

Die letzten SCHERING-Mohikaner
Als der Leverkusener Multi 2006 SCHERING übernahm, stellte er den Beschäftigten Vorteile aus dem Zusammenschluss in Aussicht. Die Realität sah jedoch anders aus. 1.000 Belegschaftsangehörige mussten sofort gehen, und viele SCHERING-Präparate stampfte BAYER ein (s. o.). Mit dem neuen BAYER-Chef Marijn Dekkers brachen dann noch härtere Zeiten an. Er tilgte den Namen SCHERING und unterstellte die Pillen-Schmiede direkt dem Kommando des Pharma-Chefs Jörg Reinhardt. Zudem verabschiedete er sich vom Ausbau des Berliner Standortes und ließ die dortigen Beschäftigten besonders hart unter seinem Arbeitsplatzvernichtungsprogramm leiden. Dies alles hatte Konsequenzen. Von den 96 Personen, die bei SCHERING einst in höheren Positionen tätig waren, arbeiten heute nach einer Berechnung des Betriebsrats gerade noch einmal vier für den Global Player, wie die Financial Times Deutschland berichtete.

Das Ende des Standortes Mishawaka
Im Zuge seines Rationalisierungsprogramms, das 4.500 Jobs kostet, strukturiert BAYER auch das Pharma-Geschäft in den USA um. So stehen bei MEDRAD, der Tochter-Firma für Medizin-Produkte, 60 bis 70 Jobs zur Disposition. Zudem plant der Gen-Gigant an der Ostküste ein neues Pharma-Zentrum, was die Existenz der anderen sechs Standorte in der Region bedroht. Eines wickelt der Pharma-Riese bereits ab. Er kündigte an, seine Niederlassung in Mishawaka schließen zu wollen. Die 130 Belegschaftsangehörigen, die dort für SIEMENS Diagnostika-Geräte herstellten, können zum Münchner Unternehmen wechseln. Die restlichen 270 stehen vor einer ungewissen Zukunft. Der Leverkusener Multi machte ihnen zwar ein Weiterbeschäftigungsangebot, das allerdings fiel ziemlich vage aus.

BAYER verkauft VIVERSO
Der Leverkusener Multi hat seine Tochter-Gesellschaft VIVERSO für 75 Millionen Euro an die Firma NUPLEX verkauft. „Damit trennt sich BAYER MATERIAL SCIENCE von dem Geschäft mit bestimmten konventionellen Lackharzen, das nicht mehr zur aktuellen Strategie des Unternehmens passt“, verkündete der Global Player. Er vernichtet damit 165 Arbeitsplätze innerhalb des Konzerns. Die Beschäftigten müssen vorerst jedoch nicht um ihre Jobs fürchten. NUPLEX kündigte an, die komplette Belegschaft übernehmen zu wollen.

JENAPHARM: Nur noch Vertrieb
Bereits 2006 hatte der Leverkusener Multi die Forschungsabteilung seiner Tochter-Gesellschaft JENAPHARM dicht gemacht. Nun wickelt er auch noch die Entwicklungssparte ab und vernichtet so 40 Arbeitsplätze. Künftig kümmern sich die verbleibenenen 200 Beschäftigten nur noch um den Vertrieb von Kontrazeptiva, Testosteron-Präparaten und Mitteln gegen Hautkrankheiten.

DYNEVO am Ende
Im Jahr 2001 hatte BAYER die Werksdruckerei DYNEVO ausgegliedert. In der Folge reduzierte der Multi die Arbeitsplätze von 230 auf 150. Zuletzt wollte er die Gesellschaft an BERTELSMANN verkaufen. Aber die Verhandlungen scheiterten. Deshalb kündigte der Konzern jetzt an, den Betrieb dicht zu machen.

Frauenanteil: 17 Prozent
Aktuell beträgt der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei BAYER 17 Prozent. Der Leverkusener Multi hat sich zum Ziel gesetzt, diesen bis zum Jahr 2015 auf 30 Prozent zu steigern. Er will sich dabei allerdings nicht von der Politik auf die Sprünge helfen lassen. Der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers empfindet eine „gesetzliche Quote als nicht zielführend“.

Großverdiener Manfred Schneider
BAYERs Aufsichtsratschef Manfred Schneider bleibt König der Deutschland AG. Er sitzt nämlich nicht nur dem Kontrollgremium des Leverkusener Multis vor, sondern bekleidet diese Position auch bei LINDE und RWE. Einen einfachen Aufsichtsratssitz hat er zudem noch bei der ALLIANZ inne. Dafür streicht er insgesamt 1,1 Millionen Euro ein - so viel wie keiner seiner KollegInnen.

14,7 Millionen für Wenning
Der Leverkusener Multi sorgt für einen angenehmen Ruhestand seines Ex-Chefs Werner Wenning. 14,7 Millionen Euro hält er für dessen Lebensabend bereit - mehr haben nur MERCEDES und VW für ihre Ehemaligen übrig. Und Wennings Nachfolger Marijn Dekkers braucht sich ebenfalls keine Sorgen zu machen. Im letzten Jahr hat der Konzern schon über zwei Millionen Euro für seine Pension zurückgelegt, so viel wie kein anderes Dax-Unternehmen für seinen Vorstandsvorsitzenden.

ERSTE & DRITTE WELT

Indien: 138 Arzneitest-Tote
Von 2007 bis 2010 starben in Indien 138 Menschen bei der Klinischen Erprobung von BAYER-Medikamenten (siehe auch SWB 1/12). Insgesamt kamen bei den Pillen-Prüfungen von Big Pharma in dem Zeitraum 1.600 ProbandInnen ums Leben. Nach Ansicht der Multis haben jedoch zumeist nicht die Medikamente, sondern Vorerkrankungen wie Krebs zum Ableben der ProbandInnen geführt. Die amtlichen Stellen machen ebenfalls nicht die Pharmazeutika im Allgemeinen verantwortlich. Von den 668 Sterbefällen im Jahr 2010 schreiben sie 22 der direkten Einwirkung der getesteten Substanzen zu. Darunter befinden sich fünf BAYER-Opfer, allein vier Tote forderte das Präparat XARELTO. Die Tests mit diesem Blutverdünnungsmittel hatte bereits die US-Gesundheitsorganisation PUBLIC CITIZEN beanstandet, da ProbandInnen, welche die Konkurrenz-Substanz Warfarin bekamen, nicht die optimale Dosis erhielten und sich so einem erhöhten Schlaganfall-Risiko aussetzten. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hat in einem Offenen Brief an BAYER die Praxis des Konzerns scharf kritisiert, immer mehr Tests in ärmere Länder zu verlegen, weil dort unschlagbare Preise, schnellere Verfahren und eine mangelhafte Aufsicht locken, und eine umfassende Aufklärung über die Todesserie gefordert.

Kontrazeptiva-Kampagne in Afrika
Der Leverkusener Multi hat in Afrika eine Vermarktungsinitiative für seine Verhütungsmittel gestartet. Dazu ist er eine Partnerschaft mit der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID eingegangen, welche die Kosten für Erstellung und Verbreitung von Informationsmaterial zu den Pillen übernimmt. Die gemeinsame „Contraceptive Security Initiative“ will allen Frauen „mit mittlerem Einkommen in vorerst elf subsaharischen Entwicklungsländern Zugang zu bezahlbaren oralen Kontrazeptiva“ verschaffen. Um die Armen geht es also nicht; und um besonders arme Länder auch nicht. Äthiopien hat BAYER als Ausgangspunkt der Kampagne gewählt, weil die Märkte des Landes relativ gut entwickelt sind und eine hohe Nachfrage nach YASMIN & Co. besteht. „Einen neuen strategischen Ansatz und einen innovativen Weg zur Erschließung der Märkte in Entwicklungsländern“ nennt der Pharma-Riese das Ganze.

Freude über hohe Agrar-Preise
Die durch Finanzmarkt-Spekulationen zusätzlich hochgetriebenen Agrar-Preise bedrohen die Ernährungslage der Menschen in der „Dritten Welt“. Der Leverkusener Multi hingegen freut sich über die Entwicklung, denn die Mehreinnahmen der großen landwirtschaftlichen Betriebe führen zu einem gesteigerten Saatgut- und Pestizidabsatz. „All das deutet auf einen recht positiven Branchenausblick für den Rest des Jahres hin“, sagte BAYER-CROPSCIENCE-Chefin Sandra Peterson deshalb im September 2011.

Unnütze BAYER-Pillen in Indien
Die BUKO-PHARMA-KAMPAGNE hat die Geschäftspolitik BAYERs und anderer Pillen-Multis in Indien untersucht und kam zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis. So bewertete die Initiative von den 39 Präparaten, die der Leverkusener Multi dort in 77 Dosierungs- und Formulierungsarten vertreibt, nur neun als unentbehrlich. 40 sah sie als rational und 28 als irrational an. Aber selbst bei den unentbehrlichen Medikamenten wie RESOCHIN mit dem Wirkstoff Chloroquin hapert es, denn als Malaria-Theapeutikum taugt es wegen vermehrt auftretender Resistenzen nur noch bedingt. Und bei den als rational eingestuften Arzneien bemängelt der BUKO den oft viel zu hohen Preis. Die Liste der irrationalen Pharmazeutika führt mit dem Kontrazeptivum DIANE 35 ein Produkt an, das in der Bundesrepublik seit 1994 keine Zulassung mehr hat, weil es in Verdacht steht, Krebs auszulösen. Wegen der Nebenwirkung „Thrombose“ folgt das Verhütungsmittel YASMIN. Das Diabetikum GLUCOBAY und der Blutdrucksenker XIRTAM finden sich wegen Zweifeln an ihrer Wirksamkeit in dieser Kategorie wieder. Die Vitamin-Trunks wie BAYER‘S TONIC, EDINOL oder SUPRADYN hält der BUKO hingegen nicht nur für völlig nutzlos, sondern auch für gefährlich, denn sie enthalten teilweise Alkohol und belasten darüber hinaus das ohnehin zumeist schmale Budget der Familien unnötig. Zu allem Überfluss greift BAYER bei der Reklame für diese heikle Produkt-Palette dann auch noch zu dubiosen Praktiken. Besonders kritisiert die Pharma-Kampagne die aggressive YASMIN-Vermarktung in indischen Privatkrankenhäusern und die Kontrazeptiva-Schleichwerbung im Internet.

KONZERN & VERGANGENHEIT

Im Verbund mit Autokraten
In welchem Maße die von BAYER mitgegründeten IG FARBEN den Faschismus unterstützt haben, ist allgemein bekannt. Aber auch noch nach 1945 hielt es der Leverkusener Multi mit autoritären Regimes. So vollzog er in Südafrika bereitwillig die Apartheid mit und richtete in seinen Niederlassungen getrennte Kantinen und Toiletten für Weiße und Schwarze ein. Und 1978 klagte ein brasilianischer Gewerkschaftler über die Kollaboration von BAYER & Co. mit dem Militär-Regime: „Aus der Bundesrepublik Deutschland sind da insbesondere VW, DAIMLER-BENZ, MANNESMANN, KRUPP, BAYER, HOECHST, SIEMENS, BASF, VOIGT u. a. zu nennen. Man könnte die Liste beliebig fortsetzen, zu der etwa 50 große westdeutsche Konzerne gehören, die in Brasilien die Privilegien genießen, die ihnen die Militärdiktatur einräumt.“ In Peru verstand sich der Konzern ebenfalls prächtig mit den Generälen, weil diese den Beschäftigten keinerlei Rechte zubilligten. 1977 schrieb deshalb die Gewerkschaft von BAYER INDUSTRIAL S.A. an ihre KollegInnen in der Bundesrepublik einen langen Brief. „Die geheiligten Rechte der Arbeiter werden von den Unternehmern verletzt, d. h. der 8-Stunden-Tag, das Streikrecht, die Vorlage von Lohnforderungen, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht, Vollversammlungen durchzuführen und uns politisch zu organisieren. Wir bitten Sie, diese unsere Situation in Ihren Veröffentlichungen zu berücksichtigen und Ihren Protest zu erheben gegen diese Angriffe auf die Arbeiterschaft, gegen die Verfolgung von Sozialkämpfern und Gewerkschaftsführern, die verhaftet wurden und noch im Gefängnis sitzen, die deportiert wurden oder einfach verschwunden sind“, hieß es in dem Schreiben.

Die CUTTER-Impfkatastophe
1955 kam es in den USA zu einem folgenschweren Ereignis. Ein Impfstoff der BAYER-Tochter CUTTER gegen Kinderlähmung löste ebendiese aus, da er einen nicht sachgemäß deaktivierten Erreger enthielt. Neun Menschen starben, über 40.000 entwickelten Polio-Symptome. Als „CUTTER-incident“ ging der Fall in die Geschichtsbücher ein. Ein andere Version des Vakzins forderte in der Bundesrepublik zwei Todesopfer; 48 Menschen infizierten sich.

IG FARBEN & HEUTE

Börse ohne IG FARBEN
Auch nach 1945 bestand die IG FARBEN weiter. Der Zustand „in Auflösung“ hielt jahrzehntelang an. Immer wieder fand sich eine Gelegenheit, um alte Ansprüche wahren oder - etwa nach der Wiedervereinigung - neue formulieren zu können. In den 1990er Jahren hielten sich windige Investoren wie der CDU-Großspender Karl Ehlerding zudem gütlich am noch verbliebenen Grundkapital. Immer wieder vergeblich hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gefordert, die IG FARBEN zu liquidieren und ihr Vermögen an die ZwangsarbeiterInnen auszuzahlen. Das langsame Sterben des Unternehmens läutete jedoch erst die finanzielle Schieflage der Beteiligungsgesellschaft WCM ein, die den von BAYER mitgegründeten Mörderkonzern zwang, Insolvenz zu beantragen. Und nun steht das entsprechende Verfahren vor dem Abschluss, weshalb die Insolvenz-Verwalterin Angelika Wimmer-Amend ein Ende der Börsen-Zulassung der IG FARBEN beantragte.

POLITIK & EINFLUSS

BAYER bespitzelt die CBG
Der Leverkusener Multi lässt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bespitzeln. Er beauftragte das Kölner Unternehmen UNICEPTA - nach eigener Aussage die „Nr. 1 in Medienbeobachtung, Issue-Management und Pressearbeit“ - damit, Materialien über die CBG zu sammeln. Beschäftigte mussten sich in den Email-Verteiler der Coordination eintragen und Informationen anfordern. Darüber hinaus wertete die Online-Analyse-Abteilung die Web-Aktivitäten der CBG aus.

Staatssekretär bei „invite“-Einweihung
Helmut Dockter, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Forschungsministerium, wohnte der Eröffnung des Forschungszentrums „invite“ bei, das BAYER gemeinsam mit der Universität Dortmund betreibt. Die zu 70 Prozent aus Mitteln des Konjunkturpakets II finanzierte, 6,5 Millionen Euro teure Einrichtung soll Dockter zufolge helfen, den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu profitablen Produkten zu beschleunigen und so den trotz Konjunktur-Einbruch stabilen bundesdeutschen Industrie-Sektor weiter stärken. „Die Landesregierung will, dass diese Krisenfestigkeit erhalten bleibt“, so der Staatssekretär. Zu den Projekten von „invite“ zählt etwa die Entwicklung einer Produktionsstätte in modularer Form, deren einzelne Komponenten unabhängig voneinander ausgetauscht werden können. Sieben Chemie-Firmen gehören dabei zu den Kooperationspartnern, zahlen tut allerdings die EU. 30 Millionen Euro Fördergelder steuert sie bei.

Voigtsberger bei BAYER
Wo einst nur das BAYER-Werk seinen Sitz hatte, da befinden sich heute Niederlassungen von 38 Unternehmen. Und immer noch ist Platz im Leverkusener Chemie-„Park“ - zuviel Platz. Die Anwerbe-Politik des Konzerns verläuft nämlich nicht allzu erfolgreich, da sich die gesamte Chemie-Branche ähnlich wie der Multi „gesundschrumpft“. Er musste sogar schon mit Floristik-Studios als Mietern vorlieb nehmen. Da diese Klientel andere Bedürfnisse hat, veranstaltete der Global Player vor ein paar Jahren sogar einen Architektur-Wettbewerb zur Umgestaltung des Geländes (SWB 4/07). Jetzt hat sich das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium der Problematik angenommen, die sich an den anderen Standorten des Konzerns ähnlich darstellt. Es veranstaltete eine Konferenz zur Zukunft der Chemie-„Parks“. Diese fand Mitte November 2011 passender weise auch gleich am BAYER-Stammsitz statt. Der zuständige Minister Harry Voigtsberger (SPD) sprach dem Global Player in seiner Eröffnungsrede gleich Mut zu. „Chemie-‚Parks‘ haben sich bewährt. Sie werden auch weiterhin ein Zukunftsmodell sein, wenn sie sich den aktuellen Herausforderungen wie Energie-Effizienz sowie nachhaltige Entwicklung stellen“, befand er.

BAYER sponsert Regierung
Auch im jüngsten Sponsoringbericht der CDU/FDP-Koalition ist BAYER wieder prominent vertreten. Mit insgesamt rund 65.000 Euro griff der Konzern den jeweiligen Bundesregierungen von Januar 2009 bis Dezember 2010 unter die Arme. Er sponserte unter anderem Weihnachtskonzerte, Empfänge zum Tag der deutschen Einheit und einen Saatgut-Kongress. Auch die Landesregierungen „unterstützt“ der Leverkusener Multi. So erhielt die „Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund“ 8.000 Euro Zuschuss zum „Fest des Westens 2010“.

Dekkers VCI-Vize
Traditionell nehmen BAYER-Chefs Spitzenpositionen beim „Verband der Chemischen Industrie“ ein. Da macht auch der jetzige Vorstandsvorsitzende keine Ausnahme: Marijn Dekkers gehört neuerdings gemeinsam mit seinen Kollegen von MERCK und BASF zum Triumvirat der Vize-Präsidenten.

Dekkers im BDI-Präsidium
Der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) hat BAYER-Chef Marijn Dekkers in seinen erweiterten Präsidiumskreis gewählt.

Gutes China, schlechtes Deutschland
BAYER-Chef Marijn Dekkers nutzte die Einweihung eines neuen Kunststoffwerkes in Shanghai, um die chinesische Führung zu loben und Kritik am Investitionsklima in der Bundesrepublik zu üben. „Insgesamt hat es die chinesische Regierung bisher immer verstanden, das Wachstum zu managen“, sagte der Vorstandsvorsitzende. Die Bundesrepublik hingegen nutze ihr wirtschaftliches Potenzial nicht, da es Usus sei, „nur noch auf die Vermeidung kleinster Risiken zu pochen“, wie Dekkers im Hinblick auf die umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline formulierte (siehe auch IMPERIUM & WELTMARKT).

Obama stoppt CO2-Vorstoß der EPA
Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA wollte ab 2013 schärfere Kohlendioxid-Grenzwerte erlassen. Das aber verhinderte Barack Obama nach politischem Druck von Seiten der Konzerne. Vorher war es BAYER & Co. mit Verweis auf die schlechte Wirtschaftslage bereits gelungen, den Präsidenten von der Einführung eines Handels mit CO2-Verschmutzungsrechten und sowie von dem Ziel einer ehrgeizigen Emissionsreduktion abzubringen (siehe Ticker 1/10).

BAYER & Co. für Beitragssenkungen
BAYER & Co. fordern eine Senkung der Rentenversicherungsbeiträge. Die „Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände“ tritt für eine stufenweise Reduzierung von 19,9 auf 19,1 Prozent ein. Das brächte der Wirtschaft eine Ersparnis von rund vier Milliarden Euro.

Keine Netzgebühren für BAYER & Co.
Das neue Energiewende-Gesetz befreit BAYER und andere energie-intensive Unternehmen rückwirkend ab Januar 2011 von den Netzgebühren. Es gehe darum, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern und gleichzeitig Industrieland zu bleiben, so begründet Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) laut stern die Subventionsmaßnahme. Zu zahlen haben das die Privathaushalte. Auf sie kommt nach einer Schätzung des „Bundes der Energieverbraucher“ eine Mehrbelastung von jährlich ca. einer Milliarde Euro zu. „Die Industrie massiv zu entlasten und allein die Kleinverbraucher die Zeche zahlen zu lassen, ist eine Dreistigkeit, die bisher ohne Beispiel ist“, protestiert deshalb Holger Krawinkel von der Verbraucherzentrale. Bleibt nur, auf ein Eingreifen der EU zu hoffen. Aber selbst dafür haben die Multis schon vorgesorgt. Sie fordern eine Ausgleichszahlung, falls Brüssel gegen die Ausnahmeregelung vorgehen sollte.

PROPAGANDA & MEDIEN

Die Dekkers-Inthronisierung
In der Fachzeitschrift prmagazin hat BAYERs Kommunikationschef Michael Schade aus dem Nähkästchen geplaudert. Er legte dar, wie umfassend die PR-Abteilung die Presse-Berichte über den neuen Konzern-Leiter Marijn Dekkers gelenkt hat. Als das Unternehmen die Nominierung bekannt gab und erste Artikel auftauchten, die das wenig schmeichelhafte Bild eines rücksichtslosen Sanierers zeichneten, ergriffen Schade & Co. sogleich Maßnahmen und diktierten 40 JournalistInnen eine nettere Story in den Schreibblock. Wenig später stellten sie den Schreiberlingen ihren Schützling bei einem Abendessen exklusiv vor. Das zweite Diner folgte dann kurz vor dem wirklichen Amtswechsel. Dekkers bekam dort die Gelegenheit, die ihm in den Mund gelegten Phrasen „Mehr Innovation, weniger Administration“ und „Evolution statt Revolution“ zu platzieren, die anschließend auch eine weite Verbreitung gefunden haben. Und momentan arbeitet Schade daran, seinem Chef trotz der verkündeten Vernichtung von 4.500 Arbeitsplätzen das Image eines Jobkillers zu nehmen und vermeldet schon erste Erfolge. „Die mediale Platzierung von Herrn Dekkers gelingt immer besser“, sagt er mit Verweis auf ein Interview in der Wirtschaftswoche und einen Beitrag im Handelsblatt. Die Financial Times Deutschland hingegen ließ sich nicht so leicht einspannen. Ihr Journalist Klaus Max Smolka wollte einmal Details über Stellenstreichungen veröffentlichen, die ihm ein BAYER-Beschäftigter zugespielt hatte, und verärgerte damit den Multi nachhaltig. Auch generell „nimmt er wahr, dass der Konzern die Zügel anziehe, um die Berichterstattung zu steuern“, gibt das prmagazin dessen Worte wieder.

Medialer Gen-Gau
Unermüdlich arbeitet EuropaBio daran, die Akzeptanz für die umstrittene Gentechnik zu erhöhen. Und für den Herbst 2011 hatte sich der Lobbyverband von BAYER & Co. einen besonderen Coup ausgedacht: Prominente „Pro-Gentechnik-Botschafter“ sollten für die Risiko-Technologie Reklame machen. Einem internen Papier zufolge hatten sich Bob Geldorf und Kofi Annan bereits „interessiert“ gezeigt. Die Genannten wussten von ihrem Gentech-Glück jedoch noch gar nichts. „Herr Annan ist kein Botschafter für EuropaBio und hat keine Absicht, den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen zu fördern“, antwortete etwa ein Sprecher des ehemaligen UN-Generalsekretärs der englischen Zeitung The Guardian. Damit ging die PR-Offensive nach hinten los und entwickelte sich für EuropaBio zu einem medialen Gen-GAU.

Medialer Pipeline-GAU
Der Leverkusener Multi blickt neidvoll auf seinen Kölner Nachbarn SHELL. Der Öl-Konzern hatte es geschafft, ein mit der Gefährlichkeit von BAYERs zwischen Dormagen und Krefeld geplanter Kohlenmonoxid-Pipeline vergleichbares Projekt zu realisieren, ohne auf größeren Widerstand aus der Bevölkerung zu stoßen. Darum hat der Pharma-Riese die Leiterin der Abteilung „Corporate Policy and Advocacy“, Denise Rennmann, nebst anderen hochrangigen ManagerInnen zur Fortbildung in die Domstadt geschickt. „Wir haben mitgenommen, dass SHELL da sehr professionell kommuniziert hat“, resümierte BAYER-Sprecher Jochen Klüner. Der Global Player hatte nämlich frühzeitig das Gespräch mit AnwohnerInnen und Naturschutz-Initiativen gesucht, statt wie der Agro-Gigant allein auf Legislative und Judikative zu setzen. Bei ähnlich umstrittenen Vorhaben dürfte BAYER also zukünftig geschickter vorgehen. Darauf müssen sich alle Organisationen einstellen.

BAYERs EU-Lobbying
1,85 Millionen lässt sich der Leverkusener Multi seine Lobby-Aktivitäten bei der EU nach eigenen Angaben jährlich kosten. Was BAYER mit dem Geld so alles veranstaltet, darüber gibt der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold auf seiner Homepage einen kleinen Einblick. Der Parlamentarier dokumentiert dort nämlich sämtliche Annäherungsversuche. Und auf der langen Liste darf der Pharma-Riese natürlich nicht fehlen. So wollte er Giegold eine aus Unternehmenssicht verfasste „Studie“ zu den anstehenden Finanzmarkt-Reformen vorstellen. Der Global Player nutzt nämlich so umstrittene Instrumente wie Derivate - eine Art Wette auf Preissteigerungen oder -senkungen von Rohstoffen, Aktien, Währungen, Zinsen oder aber von Derivaten selber - und hat Angst vor Regulierungen. Zudem befürchtet der Pille-Riese, verschärfte Eigenkapital-Vorschriften für Banken könnten die Kreditvergabe erschweren. Auch die Meinung des Konzerns zum Grünbuch „Angemessene, nachhaltige und sichere europäische Pensions- und Rentensysteme“ sollte sich der Parlamentarier auf BAYERs Wunsch anhören. Und solche Avancen dürfte der Pharma-Riese auch den KollegInnen des Grünen-Politikers immer wieder machen.

EU will Werbeverbot lockern
Unter massivem Lobby-Einsatz versucht BAYER in Tateinheit mit der gesamten Branche seit geraumer Zeit, das EU-weite Werbe-Verbot für Medikamente zu kippen, um unter dem Siegel der „PatientInnen-Information“ mit seinem Milliarden-Etat noch ein wenig mehr Marketing betreiben zu können. Ganz ist ihm das nicht geglückt, denn explizite Reklame erlaubt der Gesetzesvorschlag weiterhin nicht. Dafür legt er den Begriff „Information“ recht weit aus. Darunter fallen beispielsweise auch Patientenschicksale und Krankengeschichten. „Dies wäre eine nachträgliche Legalisierung dessen, was Arzneimittel-Hersteller seit einigen Jahren praktizieren. So existieren z. B. zur Männergesundheit zahlreiche Seiten zum Thema Testosteronmangel oder der so genannten erektilen Dysfunktion, die dann in einem Atemzug auch auf entsprechende Arzneimittel zur Behebung des Mangels verweisen“, kritisiert die BUKO-PHARMAKAMPAGNE mit Verweis auf BAYERs Methoden zur Vermarktung von NEBIDO, TESTOGEL und LEVITRA. Studien, Gutachten und wissenschaftliche Veröffentlichungen gelten ebenfalls nicht als Werbung, weshalb der Pharmakologe Gerd Glaeske schon Böses ahnt. „Es gibt sehr viele Gefälligkeitsgutachten von Wissenschaftlern, die Wünsche der Pharma-Industrie erfüllen“, so der Forscher von der Universität Bremen. Und zu allem Überfluss dürfen MedizinerInnen und ApothekerInnen zudem bald Broschüren der Pillen-Riesen an die PatientInnen verteilen.

BAYER sponsort Weltverhütungstag
„Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson über seine Vorstellung von „Entwicklungshilfe“. Zum Behagen des Leverkusener Multis erfreut sich diese Ansicht sogar heute noch großer Beliebtheit, die „gigantischen Fruchtbarkeitsmärkte“ in den armen Ländern versprechen nämlich gute Absatzchancen für die Verhütungsmittel des Konzerns. Um die Geschäftsaussichten für YASMIN & Co. noch ein wenig zu verbessern, sponsert er darum auch 2011 wieder den Weltverhütungstag, der vor allem Jugendliche ansprechen soll.

BAYER sponsert Studierende
Der Leverkusener Multi umwirbt schon Studierende als zukünftige BAYER-KundInnen. So spendiert er beispielsweise StudentInnen der Tiermedizin Sezierbesteck, damit sie später auch schön seine Veterinär-Arzneien verschreiben.

BAYER will Forschungssubventionen
Unermüdlich fordert der Leverkusener Multi Steuererleichterungen für seine Forschungsanstrengungen. „In Europa fehlt dieses Instrument außer in Deutschland nur noch in Schweden, Solwenien, Rumänien und den baltischen Staaten“, klagte BAYERs Forschungsvorstand Wolfgang Plischke. In dem Interview mit dem Magazin GoingPublic drohte er in seiner damaligen Funktion als Vorstandsvorsitzender des vom Pharma-Riesen gegründeten „Verbandes der Forschenden Arzneimittelhersteller“ bei Nichtgewährung dieser Subvention sogleich mit Abwanderung. „Die Unternehmen können dieses Ungleichgewicht bei ihren Standort-Entscheidungen nicht ignorieren“, so Plischke.

200.000 Euro für Selbsthilfegruppen
BAYER sponsert Selbsthilfegruppen und PatientInnen-Organisationen in hohem Maße. Über 200.000 Euro verteilte der Leverkusener Multi 2010 allein an die bundesrepublikanischen Verbände. Aber natürlich nicht an alle. Zuwendungen erhalten hauptsächlich diejenigen, die der Konzern mit entsprechenden Medikamenten beglücken kann: Diabetes-, Krebs-, Bluter- und Multiple-Sklerose-Vereinigungen. Und das ist gut angelegtes Geld: „Wenn Firmen zehn Prozent mehr in Selbsthilfegruppen investieren, wächst ihr Umsatz um ein Prozent im Jahr“, hat der als Gesundheitsökonom an der Universität Bremen lehrende Dr. Gerd Glaeske einmal errechnet. International greift der Pharma-Riese noch tiefer in die Tasche. So bedachte er die Blutergesellschaften rund um den Globus 2010 mit über fünf Millionen Euro. Aber diese PR-Maßnahme ist auch bitter nötig. In den 1990er Jahren starben nämlich Tausende Bluter an HIV-verseuchten Blutprodukten des Pillen-Herstellers, weil er sein Präparat KOGENATE aus Kostengründen keiner sterilisierenden Hitze-Behandlung unterzogen hatte.

45.000 Euro an Krankenhaus
Im letzten Jahr hat der Leverkusener Multi 45.000 Euro an das Klinikum Bremen-Mitte gespendet, ein weiteres Krankenhaus der Stadt erhielt immerhin noch 5.000 Euro. Auch andere Multis zeigten sich großzügig. Die Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper hätte diese Zahlen am liebsten unter Verschluss gehalten, die Veröffentlichung verdankt sich allein der Beharrlichkeit der HUMANISTISCHEN UNION. Für den Pillen-Multi dürfte sich die Investition lohnen. „Ein Pharma-Unternehmen wie BAYER zahlt das nicht aus gutem Willen zur Förderung eines guten Zwecks, die erwarten eine Gegenleistung“, kommentiert der Pharmakologe Peter Schönhöfer das Sponsoring.

45.000 Euro an „Arche“
BAYERs BEPANTHEN-Kinderförderung unterstützt seit längerem das Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“, das dem evangelikalen Verband „Deutsche Evangelische Allianz“ angehört, und investiert damit in das SozialarbeiterInnen-Image des Konzerns. Wie im letzten Jahr honorierte er die Rückgabe einer leeren und den Erwerb einer neuen Packung der BEPANTHEN-Wundsalbe mit einem Euro für „Die Arche“. 45.000 Euro kamen so zusammen. Für die Verbreitung des PR-Coups sorgte als Medienpartner dann das Blatt Frau im Spiegel.

Umweltschutz-Studien bei BAYER
Als „Bluewashing“ kritisieren die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Initiativen die Strategie der Konzerne, sich durch Kooperationen mit den Vereinten Nationen ein gutes Image zu verschaffen. Der Leverkusener Multi tut dies hauptsächlich durch ein Sponsoring der UNEP, des Umweltprogramms der UN. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit besuchten im Herbst 2011 50 Studierende aus Afrika, Asien und Lateinamerika Leverkusen, um ausgerechnet bei BAYER Studien zum Thema „Nachhaltigkeit und Umweltschutz“ zu betreiben.

Pestizid-Entlastungsstudie
BAYER & Co. behagt das schlechte Image ihrer Ackergifte nicht. Deshalb hat ihr „Industrieverband Agrar“ (IVA) bei Professor Harald von Witzke von der Berliner Humboldt-Universität eine Entlastungsstudie bestellt. Und Witzke, der schon häufiger vom Leverkusener Multi und anderen Unternehmen gesponserte Expertisen durchgeführt hatte und auch bereits als Autor des BAYER-Magazins re:source hervortat, lieferte das gewünschte Ergebnis. „Studie belegt Wohlstandsgewinn durch moderne Landwirtschaft“, konnte der IVA vermelden. Die Agrochemikalien schalten Unkraut, Pilze und Schadinsekten aus und bescheren den konventionell arbeitenden LandwirtInnen so eine viel reichere Ernte als den Biobauern und -bäuerinnen, so das Resultat der Forschungsarbeit. Witzke hatte sogar eine Zahl parat: Auf vier Milliarden Euro bezifferte er den Pestizid-Mehrwert. „Diese Studie darf nicht folgenlos bleiben“, forderte IVA-Geschäftsführer Volker Koch-Achelpöhler daraufhin, „... Es wird Zeit, auch jene Risiken klar zu benennen, die durch den Verzicht auf den modernen Pflanzenschutz erwachsen“.

Tag der offenen Tür
Mit dem Image des Leverkusener Multis ist es wegen umstrittener Vorhaben wie der Kohlenmonoxid-Pipeline und anderer Großprojekte nicht zum Besten bestellt. Darum unternimmt er viele Anstrengungen zur Rettung seines Rufes. Eine Gelegenheit dazu bot der „Tag der offenen Tür“, den BAYER und andere Chemie-Konzerne im „Jahr der Chemie“ mit besonders großem Aufwand gestalteten. In Leverkusen schaute sogar der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers persönlich vorbei, um „Chemie zum Anfassen“ zu präsentieren und Lust auf das „BAYER-Wissenschaftsabenteuerland“ zu wecken. Das größte Abenteuer boten dort Sängerinnen, welche die Forschungsphilosophie des Pharma-Riesen in Lied-Form vortrugen. Ansonsten gab es noch Chemie„park“-Führungen, Austellungen, Labor-Experimente, Hüpfburgen, Kakerlaken-Wettrennen, Flohzirkusse und TiermedizinerInnen-Sprechstunden.

TIERE & VERSUCHE

Mehr Tierversuche
Bei BAYER ist die Zahl der Tierversuche im Geschäftsjahr 2010 gegenüber 2009 von 171.251 auf 171.627 gestiegen. 92 Prozent davon unternahm der Leverkusener Multi mit Ratten und Mäusen, fünf Prozent mit Fischen und Vögeln und 0,6 Prozent mit Hunden, Katzen und Affen. Dazu kommen noch die Experimente, die der Konzern von externen Forschungszentren machen lässt. Sie wuchsen besonders stark an und erhöhten sich von 5.793 auf 19.785. „Der Anstieg ist durch die Tatsache zu erklären, dass wir mit einem Nutztier-Projekt in die finale Entwicklungsphase gekommen sind und gesetzlich geforderte Studien durchgeführt haben“, so das Unternehmen zur Begründung.

DRUGS & PILLS

YASMIN bleibt auf dem Markt
Auch in den USA sehen sich BAYERs Verhütungsmittel aus der YASMIN-Familie wegen ihrer Nebenwirkungen zunehmender Kritik ausgesetzt. Neuere Studien weisen ein bis um den Faktor 3,3 erhöhtes Risiko für Thromboembolien aus. 190 Todesfälle binnen der letzten zehn Jahren listet die US-Gesundheitsbehörde FDA auf. Darum hat sie sich Anfang Dezember mit dem Fall „YASMIN“ befasst. Mit 15 zu 11 Stimmen votierten die von der FDA berufenen ExpertInnen knapp dafür, das Mittel auf dem Markt zu lassen. Die Behörde dürfte den Leverkusener Multi nun lediglich auffordern, auf den Verpackungen dringlicher vor den Gesundheitsgefahren zu warnen. Ähnlich defensiv verfuhr bereits das hiesige „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“.

Erweiterte XARELTO-Indikation
Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat das BAYER-Präparat XARELTO, bisher zur Thrombose-Vorbeugung nach schweren orthopädischen OPs im Einsatz, jetzt auch als Mittel zur Schlaganfall-Vorbeugung zugelassen. Sie setzte sich damit über viele, auch interne Bedenken hinweg. Eigene MitarbeiterInnen hatten sich noch Anfang September 2011 gegen die Genehmigung ausgesprochen, weil die von BAYER eingereichten Studien ihrer Meinung nach Fragen zu Herzinfarkt- und Blutungsrisiken aufwarfen. Zudem konnten sie im Vergleich zum bislang gebräuchlichen Wirkstoff Warfarin keinen therapeutischen Zusatznutzen entdecken. Aber die FDA setzte sich über diese Einwände hinweg. Nicht einmal Meldungen über Sterbefälle bei der Klinischen Erprobung des Mittels in Indien (siehe ERSTE & DRITTE WELT) konnten sie umstimmen. Der Institution waren derartige Zwischenfälle bekannt, wie sie der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN mitteilte: „Die Ärzte-Information führt Tod als mögliche Nebenwirkung auf, die während der Klinischen Tests mit XARELTO auftrat“. Bei Zulassungen gelte es immer, zwischen Wirksamkeit und Sicherheit eines Medikamentes abzuwägen, so die Behörde weiter. Dank dieser Abwägung zu Gunsten der Wirksamkeit und zu Lasten der Sicherheit kann der Leverkusener Multi mit einem XARELTO-Umsatz von zwei Milliarden Euro rechnen.

ALPHARADIN-Zulassung beantragt
Krebsmedikamente sind teuer, helfen zumeist wenig und haben allzuoft nur ein eingeschränktes Anwendungsgebiet. So auch das vom Leverkusener Multi gemeinsam mit dem norwegischen Unternehmen ALGETA entwickelte ALPHARADIN, das vermittels radioaktiver Strahlung das Wachstum von Prostatatumor-Zellen hemmen soll. Männern, bei denen eine Hormon-Behandlung erfolglos geblieben ist und sich zudem noch Metastasen im Knochen gebildet haben, verhalf es in einem Klinischen Test zu einem noch nicht einmal drei Monate längeren Leben. Trotzdem will BAYER für das Medikament im nächsten Jahr die Zulassung beantragen.

TRASYLOL-Wiederzulassung in Kanada
Im November 2007 musste BAYER das Medikament TRASYLOL, das MedizinerInnen bei OPs zur Blutstillung einsetzten, wegen der Nebenwirkung „Tod“ vom Markt nehmen. Mehrere Studien hatten die Gefährlichkeit des Medikamentes belegt. So analysierte der Harvard-Professor Alexander Walker die Unterlagen von 78.000 Krankenhaus-PatientInnen und konstatierte im Falle einer Behandlung mit TRASYLOL eine erhöhte Sterblichkeitsrate sowie ein größeres Risiko für Nierenversagen, Schlaganfälle und Herzerkrankungen. „2.653 Patienten mussten zur Dialyse und 2.613 Patienten starben“, hieß es in der Expertise. Trotz dieses Befundes hat Kanada der Arznei zur Versorgung von PatientInnen nach Bypass-Operationen eine Wiederzulassung erteilt. „Nach einer sorgsamen Überprüfung kam Health Canada (die staatliche Gesundheitsbehörde, Anm. Ticker) zu dem Schluss, dass der Nutzen von TRASYLOL die Risiken übersteigt“, hieß es zur Begründung. Zahlreiche MedizinerInnen mochten sich diese Meinung nicht anschließen und protestierten gegen die Entscheidung.

Lieber kein ASPIRIN COMPLEX
In unendlichen Variationen bietet der Leverkusener Multi seinen „Tausendsassa“ ASPIRIN mittlerweile an. So gibt es ASPIRIN COMPLEX zur Behandlung von Erkältungssymptomen seit Kurzem auch zum Anrühren mit heißem Wasser. Die unabhängige Fachzeitschrift arznei-telegramm rät von dem Mittel mit der Wirkstoff-Kombination Acetylsalicylsäure und Pseudoephedrin allerdings ab. Vor allem am Nutzen des Amphetamin-Abkömmlings Pseudoephedrin zweifelt das Magazin, weil es gegen eine verstopfte Nase nicht so gut wirkt wie andere Wirkstoffe und zudem noch mehr Nebenwirkungen hat. Als solche zählt die Zeitschrift Angstzustände, Schlaflosigkeit, Halluzinationen, Herzrasen und steigender Blutdruck auf. Sogar ein Herzinfarkt ist der Publikation zufolge belegt.

Keine Packungsbeschränkung für ASPIRIN
Immer mehr Menschen nehmen ASPIRIN ein, was vor allem der BAYER-Werbung geschuldet ist. Dem Konzern gelingt es mit seinen Kampagnen, das Präparat nicht mehr nur als Schmerztablette, sondern auch als Mittel zur Herzinfarkt-Prophylaxe zu vermarkten. Aber mit den Umsätzen (aktuell 776 Millionen Euro), steigen auch die Zwischenfälle. Dr. Friedrich Hagenmüller von der Hamburger Asklepios-Klinik schätzt die Zahl der Todesopfer durch die ASPIRIN-Nebenwirkung „Magenbluten“ allein in der Bundesrepublik auf 1.000 bis 5.000. Da er zudem den Nutzen des „Tausendsassas“ bei der Schmerzbehandlung anzweifelt, setzt er sich für eine Handelsbeschränkung ein. Die forderte das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) ebenfalls. Es trat dafür ein, die rezeptfrei abgegebenen Packungen von ASPIRIN und ähnlichen Produkten so zu verkleinern, dass sie nur noch für vier Tage reichen. Danach sollten die PatientInnen die Medikamente bloß noch auf Rezept bekommen. Dieser Vorschlag konnte vor dem auch mit Pharma-VertreterInnen besetzten „Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht“ allerdings nicht bestehen.

Doping mit ASPIRIN
ASPIRIN erfreut sich auch im Sport-Bereich zunehmender Beliebtheit. Besonders vor strapaziösen Marathonläufe greifen die TeilnehmerInnen gerne zu dem Tausendsassa oder zu anderen Schmerzmitteln. Nach einer Untersuchung des Pharmakologen Dr. Kay Brune nahmen beim Bonn-Marathon 2009 fast zwei Drittel der LäuferInnen ASPIRIN oder ähnliche Präparate ein. Unter der sportlichen Belastung steigt die Gefahr noch einmal stark an, dass die Nebenwirkungen durchschlagen, denn der Körper versorgt während dieser Zeit die für die Entgiftung zuständigen Nieren und den Magen/Darm-Trakt weniger mit Blut als üblicherweise. Die Folge: Nierenschäden und Magengeschwüre. „Manche Sportler müssen sogar unmittelbar nach der sportlichen Höchstleistung operiert werden und verlieren Teile ihrer inneren Organe“, so Brune.

LEGANTO neu auf dem Markt
BAYER bringt das bisher unter dem Namen NEUPRO bekannte Pflaster unter der Bezeichnung LEGANTO neu heraus. Eine entsprechende Kooperation mit dem NEUPRO-Hersteller UCB gab der Leverkusener Multi im Sommer 2011 bekannt. Das mit dem dopamin-ähnlich wirkenden Rotigotin versehene Pflaster ist zur Behandlung des Restless-Legs-Syndroms und zur Therapie von Parkinson im Frühstadium zugelassen. In einem späterem Stadium der Krankheit dürfen es die MedizinerInnen nur gemeinsam mit einem anderen Medikament verwenden. In Tests zeigte sich das Mittel bei dieser Indikation der Substanz Ropinirol unterlegen. Die „European Medicines Agency“ ließ das Medikament, zu dessen Nebenwirkungen Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerz und Übelkeit zählen, aber trotzdem zu.

VFA beklagt sinkende Pillen-Preise
Das 2010 erlassene „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittel-Marktes“ hat die Pillen-Preise bis zum Jahr 2013 auf dem Stand von August 2009 eingefroren und den Hersteller-Rabatt für neue Medikamente von sechs auf 16 Prozent erhöht. Das hat nach Berechnungen des „Verbandes der Forschenden Arzneimittelhersteller“ (VFA), den BAYER gegründet hat, die Arzneien im Durchschnitt um drei Prozent billiger gemacht, was zu entsprechenden Mindereinnahmen bei den Pharma-Multis geführt hat. Allein das neue Rabatt-Reglement kostet die Konzerne 1,5 Milliarden Euro.

Personalisierte Medizin floppt
Die personalisierte Medizin, also die Entwicklung einer passgenauen, auf die jeweiligen Bedürfnisse der PatientInnen ausgerichteten Therapie-Form, erfüllt die in sie gesteckten Erwartungen nicht. „Die Sache ist komplizierter als gedacht“, räumt BAYERs Pharma-Forscher Jörg Müller ein. Besonders bei Herz/Kreislauf-Erkrankungen hapert es noch. „Kardiologische Erkrankungen sind auf molekularer Ebene viel weniger erforscht, als das bei Krebs-Indikationen der Fall ist“, stellt sein Kollege Helmut Haning fest. Zudem ist „Personalisierte Medizin“ oftmals nur ein Euphemismus für ein dem Großteil der PatientInnen nicht zumutbares Medikament. Wenn eine Arznei in einem Klinischen Test bei der Mehrheit der ProbandInnen keine positiven Effekte zeitigt, picken sich die Pharma-Multis die Minderheit heraus und deklarieren die Pille als maßgeschneidert für ebendiese Gruppe. Das hat auch der Leverkusener Multi vor. Da sein Pharmazeutikum XARELTO bei der Indikation „Thrombose“ in Tests nicht besser als die bisherige Standardmedikation abschnitt, will er sich nun diejenigen TeilnehmerInnen herausfiltern, bei denen es doch anschlug, um wenigstens ein personalisiertes XARELTO für dieses Anwendungsgebiet herausbringen zu können.

Neuer Anlauf für Positivliste?
Viele GesundheitsministerInnen haben sich schon bemüht, die unübersehbare Menge der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel durch eine Positivliste zu beschränken. Allesamt scheiterten sie jedoch am Widerstand von BAYER & Co. Jetzt unternehmen CDU und FDP einen neuen Anlauf. Die Parteien wollen parallel zum LandärztInnen-Gesetz einen Modellversuch starten, der die MedizinerInnen auf die Verordnung bestimmter, in einem Katalog festgehaltener Arzneien verpflichtet. Warnungen vor einer „standardisierten Kochbuch-Medizin“ ließen da nicht lange auf sich warten, und allen bisherigen Erfahrungen nach zu urteilen, dürfte das Projekt keine großen Chancen haben.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Endosulfan-Verbot beschlossen
Jahrelang hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) den Leverkusener Multi aufgefordert, den in der Bundesrepublik schon längst verbotenen, besonders gefährlichen Pestizid-Wirkstoff Endosulfan in anderen Ländern ebenfalls nicht mehr zu vertreiben. Im vorletzten Jahr erklärte sich der Konzern endlich dazu bereit (SWB 3/09), nicht ohne jedoch noch einmal einen aggressiven Schlussverkauf zu veranstalten (siehe auch SWB 1/11). Und jetzt darf der Multi auch gar nicht mehr anders: Die 133 der „Stockholmer Konvention“ angeschlossenen Staaten haben sich zu einem weltweiten Bann entschlossen. Allerdings gestalteten sich die Verhandlungen schwierig, und Indien, China und Uganda stimmten der Einigung nur gegen die Gewährung von Ausnahmegenehmigungen zu. Ganz verschwindet das Ultragift damit also nicht.

PFLANZEN & SAATEN

Zugriff auf Hybridreis-Zucht
Ende September 2011 erwarb BAYER Zugriffsrechte auf das Hybridreis-Zuchtprogramm der brasilianischen Firma FAZENDA ANA PAULA. Bei Hybrid-Reis handelt es sich um solche Pflanzen, welche die LandwirtInnen nicht wiederaussäen können, was die Abhängigkeit von den Konzernen steigert (siehe auch SWB 1/10). Darum engagiert sich der Leverkusener Multi auch stark auf diesem Gebiet. Er hat in Ländern wie Indonesien, Brasilien, Burma, China, Thailand, den Philippinen und Vietnam Kooperationen mit den Regierungen vereinbart hat, um ARIZE und andere Sorten durchzusetzen. Bauern und Bäuerinnen haben mit ihnen denkbar schlechte Erfahrungen gemacht. So klagen etwa indonesische FarmerInnen über ARIZE, weil er hohe Produktionskosten verursacht, schlecht schmeckt und anfälliger gegenüber Schadinsekten ist. Da der Agro-Riese das Produkt zudem auf die industrielle Landwirtschaft zugeschnitten hat, warnt die Initiative ALLIANCE OF AGRARIAN REFORM MOVEMENT im Land bereits vor einem Bauernsterben durch ARIZE & Co.

Mehr Bioscience
BAYER entwickelt pro Jahr mehr als 100 neue Pflanzen- und Gemüsesorten. Und es sollen noch mehr werden. Der Konzern kündigte nämlich an, seine Forschungsausgaben in der Sparte „Bioscience“ bis 2015 auf 400 Millionen Euro zu verdoppeln. Und neben neuen Gentech-Arten (siehe GENE & KLONE) will der Agro-Multi mit diesem Geld auch mehr Saatgut und auf konventionellem Wege veränderte Ackerfrüchte entwickeln.

Weizen-Kooperation mit Uni
Der Leverkusener Multi hat mit der US-amerikanischen „South Dakota State University“ eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet „Weizen-Saatgut“ vereinbart. Nach dem Vertrag gewähren sich die Partner gegenseitig den Zugriff auf ihr Zuchtmaterial, was dem Konzern die Möglichkeit eröffnet, neue Sorten zu entwickeln. Das gewachsene Interesse des Global Players an der weltweit am häufigsten angebauten Kulturpflanze belegen auch neuere Kooperationen mit dem französischen Unternehmen RAGT, der australischen Forschungseinrichtung „Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation“ (CSIRO), mit dem israelischen Biotech-Betrieb EVOGENE und der Universität von Nebraska sowie der Erwerb zweier Zuchtprogramme von ukrainischen Gesellschaften. Der erste Weizen made by BAYER ist für das Jahr 2015 angekündigt.

Weizenzucht-Zentrum in Gatersleben
BAYER errichtet im Biotech„park“ Gatersleben ein Europäisches Weizenzucht-Zentrum und verstärkt damit sein Engagement auf diesem Gebiet (s.o.) weiter. Auf dem Gelände, auf dem sich auch das „Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzen-Forschung“ befindet, hat der Multi Großes im Sinn. „Unser Team im Europäischen Weizenzucht-Zentrum wird erstklassige, an europäische Bedingungen angepasste Sorten entwickeln. Mit diesen Sorten und unserem führenden Portfolio an Pflanzenschutz-Produkten werden wir in Zukunft Lösungen für eine nachhaltige Getreide-Produktion von der Aussaat bis zur Ernte anbieten können“, erklärte der Agro-Riese. Ähnliche Zentren wie das in Gatersleben plant er in den USA, in Australien, Asien und Lateinamerika. Und um auch den ganzen Nutzen aus der Wertschöpfungskette „Weizen“ ziehen und die LandwirtInnen in eine größere Abhängigkeit treiben zu können, fordert der Global Player auch für nicht per Gentechnik entwickelte Ackerfrüchte eine Patent-Regelung ein (siehe Ticker 4/11).

GENE & KLONE

BAYER testet Krebsmittel
Das Biotech-Unternehmen MORPHOSYS hat einen Antikörper zur Tumor-Behandlung entdeckt und will ihn gemeinsam mit BAYER bis zur Produktreife entwickeln. Die Klinischen Tests der Phase I haben im Herbst 2011 begonnen. Die bisherigen Erfahrungen machen allerdings skeptisch. Bislang ist es dem Leverkusener Multi noch nie gelungen, ein Krebspräparat auf den Markt zu bringen, welches das Leben der PatientInnen mehr als drei Monate verlängert.

BAYER-Gensoja nicht zugelassen
Ein ExpertInnen-Gremium der EU konnte sich nicht über die Zulassung von BAYERs Gensoja der BASTA-Produktreihe einigen. Deshalb muss sich jetzt eine höhere Instanz mit dem Fall beschäftigen. Die COORDINATON GEGEN BAYER-GEFAHREN tritt schon seit längerem für ein Importverbot ein. Die Pflanze ist nämlich durch eine auf gentechnischem Wege eingebaute Resistenz auf den Gebrauch des hochgefährlichen Herbizides Glufosinat abgestimmt, dessen Gebrauch die Europäische Union ab 2017 verboten hat.

Mehr Gentech-Forschung
BAYER will die Forschungsausgaben im Bereich „Bioscience“ bis zum Jahr 2015 auf 400 Millionen Euro verdoppeln. Da sich die Hälfte der Projekte in dieser Sparte mit der „grünen Gentechnik“ befasst, dürfte deshalb in Zukunft mit mehr Laborfrüchten made by BAYER zu rechnen sein.

Neues Gentech-Verfahren
Durch die Nutzung einer Technologie, die das US-Unternehmen PRECISION BIOSCIENCE entwickelt hat, ist es BAYER-ForscherInnen gelungen, eine neue Erbanlage in eine bereits gen-veränderte Pflanze einzubauen. „Durch die zielgenaue Integration vorteilhafter Pflanzen-Eigenschaften lässt sich die Produktentwicklung vereinfachen und die Zeit bis zur Marktreife verkürzen“, jubiliert der Konzern.

WASSER, BODEN & LUFT

„Map Ta Phut“-Gesetz scheitert vorerst
Im thailändischen Map Ta Phut liegt eine der größten Industriezonen der Welt. Sie sollte noch größer werden, aber den AnwohnerInnen reichten schon die bisherigen Umweltbelastungen. Sie klagten, und 2009 gab ein Gericht ihnen Recht. Es stoppte 76 Bauvorhaben, darunter zwei des Leverkusener Multis, der seine Bisphenol- und seine Polycarbonat-Produktion erweitern wollte (SWB 1/11). Inzwischen ist das Moratorium wieder aufgehoben. Die Regionalregierung versprach jedoch einen besseren Gesundheitsschutz. Eine unabhängige Kommission erarbeitete dann auch einen Gesetzesvorschlag. Der allerdings fand im September 2011 nicht die Gnade der Politik. Sie gab eine Überarbeitung in Auftrag, was die Initiative EASTERN PEOPLE‘S NETWORK zu herber Kritik veranlasste.

Kooperation mit der Müll-Mafia
BAYER und andere bundesdeutsche Unternehmen haben in den 1960er bis 1980er Jahren die Dienste der Mafia in Anspruch genommen, um ihren Giftmüll zu entsorgen. Die Abfälle landeten zunächst in Afrika. Als es dort zu Protesten kam, versenkte die kriminelle Vereinigung die Produktionsreste mitsamt Schiffen einfach auf hoher See. Ca. 30 von ihnen schlummern heute noch auf dem Meeresgrund. „Es war ein weitverzweigtes Netzwerk. Ein internationales Netzwerk, bestehend aus Drecksarbeitern und Saubermännern, bis in höchste politische Ebenen vernetzt, mit Ausläufern auf dem ganzen Erdball“, sagt der Journalist Sandro Mattioli, der gemeinsam mit seinem Kollegen Andrea Palladino über diesen Fall das Buch „Die Müllmafia“ geschrieben hat. Ernsthafte Bemühungen, diesen Skandal aufzudecken, gab es nur in den 1990er Jahren - und der damalige Hauptermittler Natale de Grazia bezahlte das mit seinem Leben.

Dormagen: Aus für Müllkraftwerk
Der Leverkusener Multi hat Planungen für ein Müllkraftwerk in Dormagen aufgegeben, da das zu erwartende Abfall-Volumen nicht ausreicht, um es rentabel betreiben zu können. Auch in Brunsbüttel stocken die Vorbereitungen für einen solchen Ofen, der mehr Schadstoffe produziert als herkömmliche Rückstandsverbrennungsanlagen, weshalb die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN die Bau-Bestrebungen bereits seit längerem kritisiert (siehe SWB 1/08).

BAYER initiiert „CleantechNRW“
Unter Nachhaltigkeit versteht der Leverkusener Multi vor allem Ressourcen-Effizienz. Aber die Umwelt profitiert im Gegensatz zum Unternehmensetat nicht unbedingt von einem sparsamen Umgang mit den Rohstoffen. So lobt sich der Konzern zwar immer wieder selbst dafür, den Energie-Einsatz pro Produktionseinheit heruntergefahren zu haben, schweigt aber lieber über den trotzdem in absoluten Zahlen gestiegenen Kohlendioxid-Ausstoß. Da wundert es nicht, dass sich der auf BAYERs Initiative hin entstandene Verbund „CleantechNRW“ auch diesem Paradigma verschrieben hat. „Ich bin überzeugt, dass CleanTechNRW einen hervorragenden Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts NRW leisten kann. Auch, weil es sich mutig und klar zu bestimmten Zukunftsthemen bekennt - wie dem Klimawandel und der Ressourcen-Effizienz“, sagt etwa BAYER-Chef Marijn Dekkers. Neben solchen Projekten will sich das Cluster vor allem der Entwicklung von Batterien für Elektroautos und der Gewinnung von Wasserstoff und Methan aus gasförmigen Abfallstoffen widmen.

BAYER sieht Energiewende skeptisch
Der Leverkusener Multi vermag dem Ausstieg aus der Atomkraft nichts Positives abgewinnen, weil er höhere Energiekosten befürchtet. Auf die Frage des Magazins Process: „Könnte die Energiewende im Hinblick auf eine energie-effiziente Produktion zum Antrieb werden?“ antwortete BAYER-Chef Marijn Dekkers: „Daran glaube ich nicht. Wäre es so, müssten sich alle Mitbewerber um deutsche Standorte reißen, um in den Genuss dieser ‚Antriebskräfte‘ zu kommen.“

Plan B zum Gaskraftwerk
Nach massiven Protesten musste TRIANEL darauf verzichten, auf dem Gelände von BAYERs Chemie„park“ in Krefeld ein klima-schädigendes Kohlekraftwerk zu errichten. Nun plant BAYER gemeinsam mit TRIANEL ein Gas- und Dampfkraftwerk. Aber so ganz in trockenen Tüchern ist das Vorhaben noch nicht. „Ob dieses Projekt wirtschaftlich umsetzbar ist, wird sich im Laufe der Projekt-Entwicklung zeigen“, heißt es von Seiten des Leverkusener Multis. Darum hält er sich auch die Alternative einer „Eigenlösung“ offen und hat bei der Bezirksregierung einen Genehmigungsantrag zum Bau einer gas-betriebenen Kessel-Anlage gestellt.

Emissionshandel ohne Effekt
Vor einigen Jahren hat die EU den Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten eingeführt. Er sieht vor, BAYER & Co. CO2-Emissionen nur in einem bestimmten Volumen zu gestatten. Alles, was über ein bestimmtes Limit hinausgeht, sollte den Konzernen teuer zu stehen kommen. Aber die disziplinarische Wirkung dieser Maßnahme hält sich in Grenzen. Die Unternehmen erhalten nämlich immer noch viel zu viel Gratis-Lizenzen zur Klimaschädigung. 1,97 Milliarden Tonnen Kohlendioxid dürfen sie 2013 ungestraft ausstoßen, nur geringfügig weniger als momentan (2,08 Milliarden Tonnen). So kann der Leverkusener Multi munter seinen CO2-Ausstoß steigern (aktuell 8,5 Millionen Tonnen), „ohne in größerem Umfang Zertifikate zukaufen zu müssen“, wie es im Nachhaltigkeitsbericht heißt.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

BAYER drittgrößter Chlorproduzent
Chlor-Verbindungen gehören zu den gesundheitsschädlichsten und umweltbelastendsten Substanzen überhaupt. Trotzdem unternimmt BAYER kaum Anstrengungen, das Gas als Grundstoff für Chemie-Produkte wie etwa Polyurethan zu ersetzen. So stellen in Europa nur noch DOW CHEMICAL und SOLVAY mehr Chlor her als der Leverkusener Multi. Auf eine Jahres-Kapazitä

[Jata] STICHWORT BAYER 01/2012

CBG Redaktion

Volles Haus bei CBG-Jahrestagung

Die Gentech-Seilschaften

So viele BesucherInnen hatte eine Jahrestagung der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) noch nie: Über 60 Interessierte lockte das Thema „Gentech-Mafia - Die Seilschaften von Bayer, Monsanto & Co.“ ins Düsseldorfer Umweltzentrum. Und der erste Referent Jörg Bergstedt, der gerade eine 6-monatige Haftstrafe wegen einer Feldbefreiung verbüßt hatte, hielt sich auch gar nicht groß dabei auf, hochwissenschaftlich Kritikpunkte zur Risikotechnologie zusammenzutragen oder gar Chancen und Risiken gegeneinander abzuwiegen. Der Öko-Aktivist von der Projektwerkstatt Saasen ließ einfach die Befürworter für sich sprechen. „Die Möglichkeiten, eine Pflanze durch gentechnische Veränderungen zu verbessern, sind gering“, zitierte er aus Unterlagen der Firma Monsanto. Gleich eine Reihe von Ursachen zählt die Firma für diesen Umstand auf. „So lassen sich die Effekte eines spezifischen Gens auf das Wachstum der Pflanze (...) nicht genau vorhersagen. Dazu kommt die geringe Erfolgsrate bei der gentechnischen Manipulation, der Mangel an präziser Kontrolle über das Gen (...) und andere ungewollte Effekte“. Und der Gentech-Multifunktionär Ernst-Ludwig Winnacker, unter anderem BAYER-Aufsichtsrat, glaubt ebenso wenig an eine Beherrschbarkeit der Labor-Früchte: „Absurd sind auch die Abstandsregelungen für Versuchsfelder etwa von MON810, denn der Maispollen fliegt kilometerweit“.

Da blieben dann keine Fragen mehr offen. Deshalb beließ es Bergstedt dabei, das absurde Theater eines sich selbst genügenden Systems zu beschreiben, das sich pro forma in die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft, Aufsichtsbehörden und Lobby-Organisationen aufspaltet, um wider besseren Wissens und nur finanziellen Interessen folgend die Gentechnik zu promovieren. So geht eine Wissenschaftlerin wie Inge Broer („Im Moment ist es hauptsächlich Forschung in der Gentechnik, weil es dafür Geld gibt“) dahin und gründet eine Handvoll Firmen (alle mit ein- und derselben Post-Adresse), bindet in eine von ihnen sogar die staatliche Zulassungsbehörde, das Julius-Kühn-Institut, ein, mit dem es wiederum auch gemeinsam „Anbau-Begleitung“ betreibt und meldet überdies in Tateinheit mit BAYER fleißig Proteine und gentechnische Verfahren zum Patent an.

Der Leverkusener Multi verkauft seinen Einsatz für die „grüne Gentechnik“ gerne als Engagement gegen den Welthunger, aber diese Illusion konnte Philipp Mimkes von der CBG schnell zerstören: Der Konzern hat keine einzige dürre-resistente oder sich sonstwie besonders für Armutsregionen eignende Ackerfrucht im Angebot. Mit Soja und Mais geht zudem ein Gutteil seiner Produktpalette in die Produktion von Futtermitteln für die Fleischindustrie. Als reine Rationalisierungstechnologie, welche die arbeitsintensive, aber Schadinsekten im Zaum haltende Fruchtfolgen-Wirtschaft durch vermehrten Gifteinsatz ersetzt, bezeichnete Mimkes das Pflanzen-Tuning daher. Dem Agro-Riesen dient es hauptsächlich dazu, den Absatz seiner Pestizide zu befördern, denn so verschieden die Labor-Kreationen anmuten mögen, sie basieren alle auf einer Technologie. Raps, Soja, Reis oder Mais made by Bayer weist immer eine Immunität gegen das Unkrautmittel Liberty auf und wird deshalb stets im Kombipack mit der Agro-Chemikalie vermarktet. Daran hat sich mittlerweile die auf den Feldern unerwünschte Vegetation ebenso gewöhnt wie an entsprechende Substanzen von Monsanto & Co., weshalb die Hersteller in ihrer Not schon zur Co-Produktion von Pflanzen mit multiplen Resistenzen übergehen müssen, berichtete der Geschäftsführer der CBG.

Auch sonst läuft es nach Mimkes‘ Einschätzung nicht eben rund für den Multi. In diesem Jahr war er gezwungen, US-FarmerInnen im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs 750 Millionen Dollar Entschädigung zu zahlen. Die LandwirtInnen hatten BAYER verklagt, weil 2006 nicht zugelassener Liberty-Reis weltweit in normalen Supermarkt-Packungen auftauchte, zahlreiche Staaten daraufhin ein Import-Verbot für Reis aus den USA erließen und die Bauern und Bäuerinnen deshalb fast auf ihrer gesamten Ernte sitzen blieben. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hatte schon vor diesem bislang größten Gen-GAU der Geschichte auf das Auskreuzungsrisiko hingewiesen und in ihrer Kampagne gegen den „LL601“-Reis zudem vor einer Zerstörung der Artenvielfalt und der kleinbäuerlichen Strukturen in den klassischen Anbau-Ländern gewarnt. Darum unterstützte die CBG die FarmerInnen auch in ihrer Auseinandersetzung mit dem Gen-Giganten, hielt Kontakt mit den AnwältInnen und setzte das Thema auf die Agenda der BAYER-Hauptversammlung.

So gestand Philipp Mimkes am Ende seines Vortrags zwar zu, dass BAYER & Co. mit ihren Seilschaften eine große Macht im Lande darstellen, billigte den Gegenkräften aber durchaus Chancen zu. „Erfolge sind also möglich“, resümierte er und schrieb es vor allem den Aktivitäten der Gentech-GegnerInnen zu, Europas Äcker bislang weitgehend vor den Produkten von BAYER & Co. bewahrt zu haben.

Ob jedoch die CBG mit ihrem Einsatz weiterhin zu diesen Erfolgen beitragen kann, steht derzeit in Frage. Das Netzwerk ist nämlich in argen Geld-Nöten. CBG-Vorstandsmitglied Axel Köhler-Schnura gab als letzter Vortragender einen Überblick über den Stand der Dinge. Er erklärte die eigentlich immer schon prekäre Lage vor allem mit dem besonderen Charakter der Coordination als einer explizit gegen die Konzern-Macht gerichteten Initiative. Dies setze sie einem immerwährenden Druck aus und schneide sie von öffentlicher Förderung ebenso ab wie von Unterstützung durch die meisten Stiftungen oder kirchlichen Einrichtungen, führte der Diplom-Kaufmann aus. Von Beginn an hat BAYER Köhler-Schnura zufolge versucht, die Finanzierung der Initiative zu erschweren. So intervenierte der Multi bei den Finanzbehörden, um einen Eintrag der CBG als gemeinnütziger Verein zu verhindern und zog die Konzern-KritikerInnen überdies in Unsummen kostende Gerichtsverfahren.

Als Ursache für die aktuelle Krise benannte der Diplom-Kaufmann das durch das Verarmungsprogramm der Bundesregierung zurückgehende Spendenaufkommen bei gleichzeitigen Kostensteigerungen. Aber er konnte auch schon Hoffnungsvolles über die im Frühjahr angelaufene Rettungskampagne berichten. Sie hat bereits geholfen, über 50 Prozent des Haushaltslochs zu decken. „Dass zeigt, dass sehr viel Solidarität da ist“, gab sich Köhler-Schnura optimistisch. Der ehemalige BAYER-Manager, welcher der CBG schrieb: „Ich freue mich zu sehen, dass ihr Verein offensichtlich aus dem letzten Loch pfeift und bald Schluss ist mit Hetze, Hass-Ideologien, Falschinformationen und Geschäft mit German Angst“, könnte sich also zu früh gefreut haben.

Es bestehen viele Möglichkeiten, der Coordination gegen Bayer-Gefahren beizustehen: durch eine Fördermitgliedschaft, eine einmalige Spende oder eine dauerhafte Unterstützung als Garant. Nähere Informationen unter www.CBGnetwork.org. Von Jan Pehrke (CBG)