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Veröffentliche Beiträge in “SWB 03/2021”

[Wahlfreiheit in Gefahr] BAYER & Co. wollen Gentechnik-Deregulierungen

CBG Redaktion

Aktuell hat die Frage, ob neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR/Cas als Gentechnik reguliert bleiben – oder ob sie wie von der Industrie gewollt nicht reguliert werden – erheblich an Fahrt aufgenommen. Hintergrund ist ein Bericht der EU-Gesundheitskommission von Ende April diesen Jahres, der die Tür für eine Deregulierung aufsperrt. Um eine gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung vom Saatgut bis zum Teller sicherstellen zu können und damit die Wahlfreiheit aufrechtzuerhalten, müssen auch die neuen Gentechniken nach Gentechnikrecht reguliert bleiben. Das hohe Gut der Gentechnikfreiheit Europas gilt es zu verteidigen.

Von Annemarie Volling, Referentin für gentechnikfreie Landwirtschaft bei der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL)

Neue Verfahren zur gentechnischen Veränderung der DNA wie CRISPR/Cas sind Gentechnik und müssen nach EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Das hat das richtungsweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli 2018 bestätigt und damit Rechtssicherheit für alle Wirtschaftsbeteiligten geschaffen. Regulieren heißt nicht verbieten, wie es zum Teil dargestellt wird, sondern beinhaltet die Verpflichtung zur Durchführung einer Risikobewertung und eines Zulassungsverfahrens sowie auch Nachweisbarkeit, Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Monitoring der Gentechnik-Pflanzen und -Produkte. Für nicht in der EU zugelassene gentechnisch veränderte Organismen gilt Nulltoleranz. Freisetzungen zu Versuchszwecken unterliegen einem Genehmigungsvorbehalt. Diese EuGH-Entscheidung war gut für VerbraucherInnen und die konventionellen und ökologischen gentechnikfreien LebensmittelerzeugerInnen.
Konzerne wie BAYER hingegen fordern einen „innovationsfreundlichen Regulierungsrahmen.“ Würden die neuen Gentechniken nach EU-Gentechnik-Richtlinie reguliert, fürchtet BAYER „langwierige und kostspielige Zulassungsverfahren“. Diese stellten ein enormes Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pflanzenzüchter und für Investitionen in die Pflanzeninnovation dar, so der Konzern in seiner Stellungnahme zur Farm-to-Fork-Strategie der EU.
Der Geschäftsführer der BAYER CROP-SCIENCE DEUTSCHLAND GmbH, Peter R. Müller, betonte beim digitalen „Agrar Gespräch“ im März 2021, man brauche technologische Alternativen und die Möglichkeiten, diese auch einsetzen zu können. Die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen, damit die Wirtschaft entsprechende Geschäftsmodelle und Angebote für die Landwirtschaft aufbauen könne. Anders gesagt wollen sie möglichst schnell und ohne Hürden (wie Zulassungsverfahren, verpflichtende Risikobewertung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit) mit ihren Gentechnik-Produkten auf den europäischen Markt, letztendlich aber möglichst wenig Verantwortung für ihre Produkte übernehmen. Entsprechend lobbyieren sie für eine Deregulierung der Gentechnik.

EU für Deregulierung
Ende April 2021 veröffentlichte die Gesundheitskommission der EU einen Bericht zum „Status neuartiger genomischer Verfahren.“ Darin bestätigt sie einerseits die Auffassung des Europäischen Gerichtshofes, dass auch die neuen Gentechniken dem EU-Gentechnikrecht unterliegen. Auch will sie das „hohe Schutzniveau für Mensch und Umwelt aufrechterhalten“. Andererseits seien die Potenziale der neuen Gentechniken (NGT) hoch, und von den verschiedenen Anwendungen gingen „keine neuen Gefahren“ (gegenüber konventionellen Züchtungen oder alten Gentechniken) aus.
Das geltende Regulierungssystem stoße bei den neuen Verfahren an Grenzen – vor allem, weil Nachweisverfahren fehlen würden. Zudem sei das Gentechnikrecht „nicht zweckmäßig“. Aufgrund von unterschiedlichen Regulierungssystemen anderer Länder käme es überdies zu Wettbewerbsverzerrungen und womöglich Handelshemmnissen. Deshalb werde die Kommission „einen breit angelegten und offenen Konsultationsprozess einleiten, um die Gestaltung eines neuen Rechtsrahmens für diese biotechnologischen Verfahren zu erörtern“ heißt es in ihrer Pressemeldung.
Der Kommissions-Bericht könnte die Tür öffnen für eine Deregulierung der neuen Gentechniken wie CRISPR/Cas. Damit wäre die gentechnikfreie Erzeugung, die derzeit ein großer Wettbewerbsvorteil für europäische Bäuerinnen und Bauern ist, massiv in Gefahr. Es gilt deshalb, aktiv in diesen Prozess einzugreifen.

Wunschkonzert
In ihrem Bericht nimmt die Kommission die Erzählungen der Konzerne auf: NGT hätte das Potential, zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem beizutragen, da schnell Pflanzen erzeugt werden könnten, die widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels seien. So könnten dem Report zufolge die EU-Ziele des Green Deals, der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie bis 2030 erreicht werden.
Die Kommission beruft sich bei den Potentialen auf eine Studie des Joint-Research-Centre (JRC) der EU. Demnach würden in den nächsten fünf Jahren 15 NGT-Pflanzen auf den Markt kommen. Der Bericht bezieht sich auf „Unternehmensaussagen“, enthält aber keine Referenzen. Es wird auch nicht dargelegt, wie das JRC Organismen einer bestimmten Entwicklungsphase zuordnet. Die Realität zeigt, dass Firmen Angaben zur Markteinführung wiederholt verschieben und Produkte ohne weitere Begründung aus den Pipelines verschwinden. Bislang werden erst zwei NGT-Pflanzen in geringem Umfang in den USA angebaut: Ein herbizidresistenter Raps der Firma Cibus und eine in der Ölzusammensetzung veränderte Soja der Firma Calyxt. In den Pipelines der Unternehmen sind vor allem NGT´s mit Herbizidresistenz angekündigt. Weitere Eigenschaften betreffen die Produktion von Insektengiften innerhalb der Pflanze sowie eine veränderte Zusammensetzung der Inhaltsstoffe.
Die Wirksamkeit der Pestizid- und Insektenresistenz hält in der Regel nicht lange vor. Das führt in der Praxis schnell zu Resistenzbildungen von sog. Unkräutern oder Schadinsekten und zieht einen höheren Pestizideinsatz nach sich, wie die bitteren Erfahrungen der FarmerInnen in Nord- und Südamerika zeigen. Dass NGT-Pflanzen „per se“ zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beitragen könnten, ist also kein Fakt, wie von der Kommission dargestellt. Sondern es handelt sich um Produkt-Versprechen der Gentechnik-AnwenderInnen. Hiermit eine Deregulierung zu begründen, ist nicht akzeptabel. In keinem Fall kann mit einem angeblichen Nutzen von Produkten oder aber einer schnelleren Züchtung begründet werden, Risikoprüfungen abzuschwächen. Diese sind nach dem in der EU verankerten Vorsorgeprinzip vor einer Zulassung geboten.
Ob die vollmundigen Versprechen, mit CRISPR & Co schnell „klimaanpassungsfähige“ und widerstandsfähige NGT-Pflanzen zu erzeugen, einzuhalten sind, und ob diese dann auch auf dem Acker und in der Umwelt so funktionieren wie gedacht, ist im Moment sehr spekulativ. Es gibt kein „Klimaanpassungs-Gen“ – das Zusammenspiel der Gene ist hochkomplex und Pflanzen haben sehr unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten auf die verschiedenen Wetterbedingungen. Von der Kommission nicht erwähnt wird, dass es wissenschaftliche und praktische Belege gibt, dass widerstandsfähige und umweltschonende Anbausysteme und der Ökolandbau zur Reduzierung der Treibhausgase sowie des Düngemittel- und Pestizideinsatzes beitragen können. Zudem vermögen sie die Biodiversität zu fördern und widerstandsfähige Systeme aufbauen. Konventionelle Züchtungs- und Selektionsmethoden und insbesondere die Verwendung von Mischungen und heterogenen Populationen bringen Vielfalt und Anpassungsfähigkeit ins System. Diese Lösungen sind praktikabel und erfolgsversprechend und sollten deshalb viel stärker gefördert und gestärkt werden.

Risiken
Die EU-Kommission schlägt vor, bestimmte Anwendungen (SDN1, SDN2 und Cisgenese) der neuen Gentechniken von der Regulierung auszunehmen oder weniger zu regulieren. Das widerspricht der aktuellen Risikodebatte und ist wissenschaftlich nicht begründbar. Zur Erläuterung: SDN bedeutet ortsgerichtet (site directed) und meint, dass die sogenannten Gen-Scheren wie CRISPR/Cas sich an einen vorher bestimmten Ort binden und dort das Erbgut (die DNA) aufschneiden können. An diesen Orten soll es dann zu Veränderungen kommen wie z. B. unbestimmte Änderungen weniger Basenpaare (SDN-1), was dazu führen kann, dass einzelne Gene stillgelegt, aktiviert oder in ihrer Wirkung verändert werden. Bei SDN-2 wird zusätzlich zur Gen-Schere eine Vorlage in den Zellkern eingeführt. So sollen vorher definierte Veränderungen an der vorgesehenen Stelle erreicht oder kleine Gen-Abschnitte in das Erbgut eingebaut werden. Bei SDN-3 können ortsgerichtet größere Abschnitte eingebaut werden bis hin zu ganzen Genen (entweder arteigen: cisgen oder artüberschreitend: transgen). Bislang sind ein Großteil der aktuellen Anwendungen (ca. 90 Prozent) SDN-1 Anwendungen, also ungerichtete kleine Veränderungen an einem Zielort.
Um die Gen-Schere in die Zelle einzuschleusen, werden Verfahren der alten Gentechnik verwendet – mit den entsprechenden Risiken der alten Gentechnik, wie bspw. der ungewollte mehrfache Einbau von DNA-Anschnitten ins Erbgut. Entscheidend bei der Risikobewertung ist also, dass jede Prozessstufe zur Entwicklung neuer Gentechnik-Pflanzen mit ihren speziellen Risiken betrachtet werden muss.
Aktuelle Studien zeigen, dass es auch bei den vermeintlich „präziseren“ (weil ortsgerichteten) Gen-Scheren zu unerwarteten Effekten kommt, bspw. weil CRISPR an einem anderen Ort schneidet als vorgesehen (off-target) oder es durch die eigentlich gewollte Veränderung zu nicht erwarteten Effekten kommt (on-target). Zudem besteht die Möglichkeit, diese Verfahren mehrfach hintereinander oder in Kombination zur Anwendung zu bringen. Damit können sehr weitreichende Veränderungen vorgenommen werden. Anders als die alte Gentechnik können die neuen Gentechniken Veränderungen in geschützten Erbgutbereichen vornehmen. Es können auch mehrere Gene gleichzeitig verändert und alle Genkopien synchron verändert werden. Mit den NGTs vermögen also starke und sehr weitgehende Veränderungen erzeugt zu werden. Das ist ein großer Unterschied zu den bisherigen Verfahren. Die Techniken sind neu, es gibt bislang keine systematischen Risiko-untersuchungen. Zu behaupten, sie seien sicher, ist wissenschaftlich unseriös. Entsprechend ist es wissenschaftlich geboten, alle neuen Gentechnik-Organismen einer verpflichtenden Risikoprüfung und einem Zulassungsverfahren zu unterziehen. Nur so kann das in der EU geltende Vorsorgeprinzip umgesetzt und das von der Kommission angestrebte hohe Schutzniveau für Mensch, Tier und Umwelt eingehalten werden.

Nachweisbarkeit
Die Kommission führt an, dass es Probleme für die AnwenderInnen der Technik gebe, Nachweisverfahren zu entwickeln und sie somit diese Zulassungsvoraussetzung nicht erbringen könnten. Zudem gebe es Schwierigkeiten, Importe auf GVO zu testen. Dies ist eine einseitige Bewertung der Kommission, die eine mögliche Weiterentwicklung von Methoden und andere Lösungsoptionen ausblendet. Für die beiden bisher auf dem Markt befindlichen neuen Gentechnik-Pflanzen (CIBUS-Raps und CALYXT-Soja) ist es möglich, mit Hilfe etablierter Testmethoden spezifische Nachweisverfahren zu entwickeln. Dies geht zu dem Zeitpunkt, wenn die veränderte Sequenz bekannt ist. So hat CIBUS ein Nachweisverfahren bei den kanadischen Behörden eingereicht, und der „Verband Lebensmittel ohne Gentechnik“ (VLOG) und andere Organisationen haben ein CIBUS-Nachweisverfahren entwickelt. Die Schlussfolgerung der Kommission, AntragstellerInnen könnten die Zulassungsvoraussetzung der Entwicklung eines Nachweisverfahrens nicht stemmen, ist also hinfällig.
Gentechnisch veränderte Pflanzen nachzuweisen, wenn die DNA-Sequenzveränderung nicht bekannt ist, war schon bei der alten Gentechnik ein Problem. Das Screening bzw. die Routineuntersuchungen bspw. bei Importen suchen nach häufig vorkommenden (transgenen) Elementen, die bei mehreren Gentechnik-Events (Eigenschaften) auftreten. Nach einer solchen „Voruntersuchung“ muss dann das spezifische Event ermittelt werden. Gentechnik-Pflanzen, die diese „allgemeinen“ Elemente nicht haben, fallen bei einem Screening durch, wie bspw. die GV-Petunie, die jahrelang unentdeckt blieb. Entsprechend ist dies also ein generelles Problem, was nicht speziell bei NGT´s auftaucht und dringend angegangen werden muss. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten müssen hier endlich aktiv werden, Maßnahmen ergreifen und Nachweismethoden sowie Strategien für diesen Bereich entwickeln. Laut Bericht beträgt der Anteil der Forschungsinvestitionen der Mitgliedstaaten für Entwicklung von Nachweismethoden, Risikostudien und Monitoring lediglich 1,6 % – statt gerade bei neuen Techniken hier einen Schwerpunkt zu legen. Europäische und internationale öffentliche Register sind auszubauen. Forschende und Gentechnik-AnwenderInnen müssen verpflichtet werden, alle nötigen Informationen zur Entwicklung von Nachweisverfahren zur Verfügung zu stellen. Dies muss spätestens ab Freisetzung eines GVO gelten. In keinem Fall dürfen Vollzugsprobleme wie die Nachweisproblematik instrumentalisiert werden, um so eine Deregulierung der NGT zu begründen.

Was die EU nicht sieht
Behauptet wird auch, dass eine strenge Regulierung und aufwendige Zulassungsverfahren zu Wettbewerbsnachteilen der EU-Akteure führen. Das mag für die Gentechnik-Industrie und AnwenderInnen so sein, entsprechend versuchen sie, die Hürden herabzuschrauben. Innovationen machen jedoch noch lange keine Sicherheit aus.
Völlig unterbewertet wird von Seiten der Kommission der Wettbewerbsvorteil, den die gentechnikfreie Landwirtschaft und Saatguterzeugung bietet. Europäische Bäuerinnen und Bauern haben einen großen Wettbewerbsvorteil, weil sie gentechnikfreie Pflanzen problemlos und oft ohne Kontaminationsgefahren anbauen. Die abnehmende Hand verlangt Gentechnikfreiheit im Ackerbau, insbesondere die europäischen Mühlen, Verarbeitungsunternehmen und der Lebensmittel-Einzelhandel. Auch die Abnehmer in Asien und Nordamerika bestehen auf gentechnikfreier Ware. Sollten die NGT-Pflanzen, wie von der Gentechnik-Industrie gefordert, dereguliert werden, könnten Bäuerinnen und Bauern das Qualitätsmerkmal „gentechnikfrei“ nicht mehr erzeugen, stattdessen würden sie zu austauschbaren Rohstofflieferanten und müssten zu noch schärferen Wettbewerbsbedingungen und Dumpingpreisen produzieren. Desgleichen erfreuen sich tierische Produkte (Milch, Eier, Fleisch) „ohne Gentechnik“ eines stetig wachsenden Marktes in Deutschland und Europa. Auch der Biomarkt, für den seine Verpflichtung, keine Gentechnik einzusetzen, ein wichtiges Verkaufsargument ist, boomt. Europa hat trotz – oder gerade wegen – der Gentechnik-Regulierung noch eine vergleichsweise vielfältige Züchterlandschaft. Für österreichische Saatgutzüchter war es anfangs ein Vorteil, wenn sie garantiert gentechnikfreies Saatgut angeboten haben. Anbieter in Deutschland zogen nach, um sich ihre Märkte zu sichern.

Viel zu verteidigen
Die EU-Gentechnikgesetzgebung basiert auf dem im EU-Recht verankerten Vorsorgeprinzip und der Wahlfreiheit. Auch die neuen Gentechniken sind risikobehaftet, ihr Nutzen für die Landwirtschaft fragwürdig. Entsprechend müssen sie aus Vorsorgegründen sowie zur Entwicklung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft und Züchtungsarbeit und gerade auch aus wirtschaftlicher Sicht weiterhin nach EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Es gilt das Recht auf gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und Wahlfreiheit zu sichern. Packen wir es gemeinsam an!

Die neue AbL-Broschüre: „CRISPR & Co. Neue Gentechnik – Regulierung oder Freifahrtschein?“ liefert passende Antworten in der nach dem EU-Kommissions-Bericht erneut aufflammenden Debatte um die neuen Gentechnik-Verfahren. Die Broschüre versammelt Perspektiven aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Betroffenen. Zu Wort kommen Menschen aus Saatgutzüchtung, Landwirtschaft, Verarbeitung, Verbraucherschutz und den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (Molekulargenetik, Ökologie, Ethik, Recht). Sie kann bestellt werden unter www.bauernstimme.de/broschuere/ und steht unter www.abl-ev.de/publikationen/ als PDF zur Verfügung.

[Konfrontationskurs] Auf Konfrontationskurs

CBG Redaktion

BAYER bricht die Glyphosat-Vergleichsverhandlungen ab

Sechs Jahre währt die Causa „Glyphosat“ jetzt schon, und ein Ende ist nicht abzusehen. Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Geschädigten platzen. Der Konzern sah keine Chance mehr, den richterlichen Segen für sein Ansinnen zu bekommen, das Herbizid unbegrenzt weiter zu vermarkten, aber für weitere Gesundheitsschäden nur noch begrenzt zu haften.

Von Jan Pehrke

Das Urteil des zuständigen Richters Vince Chhabria über BAYERs Vergleichsvorschlag zur Regelung der Ansprüche von US-amerikanischen Glyphosat-Geschädigten ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Als „eindeutig unangemessen“ bezeichnete er den „settlement plan“. Damit erhielt der Leverkusener Multi für seine Vorstellungen zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten bereits zum zweiten Mal eine Abfuhr von Chhabria. Die Nachbesserungen, die der Konzern vorgenommen hatte – eine Erhöhung des Etats für zukünftige Klagen auf zwei Milliarden Dollar und ein nur noch beratend tätiges, nicht aber länger über die Berechtigung der Schadensersatz-Forderungen entscheidendes Wissenschaftsgremium – reichten ihm nicht aus. Vor allem stieß er sich an der auf vier Jahre begrenzten Laufzeit des Programms für Menschen, die neu am Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), eine Art von Lymphdrüsen-Krebs, erkranken. Angesichts der Fülle von Jahren, die zwischen einer Glyphosat-Exposition und dem NHL-Ausbruch liegen kann, sei das nicht genug, so der Jurist. Bei der Anhörung versetzte er sich in die Lage eines solchen Betroffenen, der erst lange nach dem Gebrauch des von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO hergestellten Herbizids Symptome herausbildet, und erklärte: „Es gibt keinen Grund für mich anzunehmen, dass dieser Vergleich für mich dann eine Entschädigung bereithielte.“
Zudem fiel es Chabria schwer zu beurteilen, ob der Fonds die Kranken mit den zwei Milliarden fair entschädigen würde, da der Agro-Riese keine Angaben über die Höhe der Zahlungen bei den bisher getroffenen außergerichtlichen Einigungen machte und überdies die Zahl der Anspruchsberechtigten nicht abzuschätzen sei. Darüber hinaus stieß er sich daran, dass der Vergleich zwar eine Ausstiegsklausel hat und den Rechtsweg für die Geschädigten offenhält, ihnen aber gleichwohl den Zugang zu Verfahren verbaut, an deren Ende die für das Unternehmen besonders kostspieligen „punitive damages“ lauern. Dies würde die Verhandlungsposition der KlägerInnen bei den Gesprächen über mögliche Vergleiche schwächen, befand der Richter. Überdies verstand er nicht, warum der Konzern sich so dagegen sperrt, auf den Glyphosat-Packungen eindeutiger vor den Risiken und Nebenwirkungen des Mittels zu warnen, wie es z. B. die Tabak-Firmen tun, um sich vor kostspieligen Prozessen zu wappnen. Und auch mit der nunmehr zurechtgestutzen Rolle des „science panels“ zeigte er sich noch nicht zufrieden. Er wusste nämlich nur allzu genau, was die BAYER-Tochter mit dieser Einrichtung im Schilde führt. „Der Grund dafür, warum MONSANTO so dringend ein science panel will, ist, dass das Unternehmen die ‚Schlacht der Experten’ in drei Verfahren verloren hat“, so Chhabria.
„Kurz gefasst, würde dieser von den AnwältInnen vorgeschlagene Vergleich MONSANTO viel nutzen“, resümierte er, während der Vorschlag für zukünftige Geschädigte des von BAYER unter dem Namen ROUNDUP vermarkteten Pestizids nicht viel Gutes bereithielte: „Für die ROUNDUP-Anwender, bei denen kein NHL diagnostiziert wurde, würde es weit weniger bringen – und nicht annähernd so viel, wie die Anwälte, die diesen Deal vorantreiben, behaupten.“
Hatte sich BAYER unmittelbar nach der Anhörung am 19. Mai 2021 noch optimistisch gezeigt, „die vom Gericht aufgeworfenen Punkte gemeinsam mit den Kläger-Anwälten lösen zu können“, so änderte sich das nun. Zu grundsätzlich erschienen dem Konzern Chhabrias Einwände in schriftlich vorliegender Form. „Leider lässt sein jüngster Beschluss keinen anderen Schluss zu, als dass das Gericht den Lösungsmechanismus nicht ohne weitere erhebliche Änderungen genehmigen wird. Diese Änderungen sind nicht im Interesse von BAYER“, konstatierte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in einer Telefon-Konferenz für Investoren und Medien. Also erklärte der Agro-Riese die Vergleichsverhandlungen für beendet und legte gleich einen eigenen 5-Punkte-Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten vor. „Jetzt ist es unter unserer Kontrolle“, bekundete Baumann.

Der BAYER-Plan
Das Programm sieht vor, auf den Packungen des Herbizids statt eines Warn-Labels einen Hinweis auf wissenschaftliche Studien zu Glyphosat anzubringen. Überdies stellt es die Zukunft des Mittels auf dem PrivatkundInnen-Markt zur Disposition, da aus diesem Kreis über 90 Prozent der KlägerInnen stammten und die Verluste von rund 300 Millionen Euro bei einem Gesamtumsatz mit dem Herbizid von rund 2,5 Milliarden Euro zu verschmerzen sind. Die 30.000 von rund 125.000 Klagen, die bisher noch nicht Teil einer Vergleichslösung sind, will der Konzern nach wie vor „gütlich beilegen“. Gleichwohl kündigte er eine härtere Gangart bei den Verhandlungen mit den AnwältInnen an: „Allerdings behält sich das Unternehmen vor, regelmäßig zu prüfen, ob dieser Ansatz noch im besten Interesse des Unternehmens ist.“ Zum Umgang mit den zukünftigen Klagen – dem eigentlich Knackpunkt – äußerte BAYER sich nur vage. „Das Unternehmen wird andere Lösungen für potenzielle künftige Klagen zu ROUND UP prüfen“, heißt es.
Bei denjenigen Klagen, die schon zu Gericht gingen und in Prozesse mündeten, beabsichtigt der Global Player hart zu bleiben. „Die Berufungsverfahren in den beiden Fällen Hardeman und Pilliod werden weiter betrieben“, hält er fest. Der Konzern hofft nämlich darauf, auf diesem Wege ein Grundsatz-Urteil des U.S. Supreme Courts zu seinen Gunsten erwirken zu können, das neue Glyphosat-Geschädigte davon abhält, den Rechtsweg zu bestreiten.
Dabei setzt der Leverkusener Multi vor allem auf die US-amerikanische Umweltbehörde EPA. Von Trump auf Linie gebracht, hält diese das Herbizid nämlich im Gegensatz zur Weltgesundheitsorganisation WHO nicht für „wahrscheinlich krebserregend“ und schritt ein, als der Staat Kalifornien die Produzenten zu entsprechenden Warn-Hinweisen verdonnern wollte. Die EPA diente sich bei der Causa „Hardeman“ sogar als Entlastungszeuge für BAYER an. Gemeinsam mit dem Justizministerium nutzte sie das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht, das es Unbeteiligten gestattet, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, erklärten die staatlichen Stellen ummissverständlich.
Wenn die Umweltbehörde der USA nichts an Glyphosat findet, dann darf es die Justiz des Landes auch nicht – dieser Argumentation will die Aktien-Gesellschaft endlich Geltung verschaffen. Sie steht nämlich nach wie vor in Treue fest zu ihrem Produkt. Es blicke auf eine lange, 40-jährige Geschichte der Bewertung durch Zulassungsbehörden zurück, die in den Gerichtssälen bislang keine Rolle gespielt habe, aber überall sonst in der Welt sehr präsent sei, so BAYERs oberster Prozess-Beauftragter Bill Dodero in der Investoren-Konferenz. „Dass ein Hersteller, der sich an die Wissenschaft hält und alle Vorschriften befolgt hat, haftbar gemacht wird“, findet er schlichtweg skandalös.
Zur Abwendung dieses Schicksals bedient das Unternehmen sich aller möglichen juristischen Winkelzüge. So gab es ein eigentliches schon gewonnenes Glyphosat-Verfahren im Nachhinein verloren und zahlte dem Prozess-Gegner 100.000 Dollar, um Berufung einzulegen und die juristische Auseinandersetzung so weiter durch die Instanzen bis hin zum Supreme Court treiben zu können. „Was den Obersten Gerichtshof betrifft, so ist er sicherlich ein wichtiger Teil des Plans“, spricht Dodero Klartext.
Mit diesem Vorstoß hat der Leverkusener Multi der unendlichen Glyphosat-Geschichte nun ein neues Kapitel zugefügt, von dem er denkt, dass es das letzte sei: „BAYER ist überzeugt dass dieser neue Fünf-Punkte-Plan aus rechtlichen und kommerziellen Maßnahmen ein guter Weg ist, um die Risiken durch mögliche künftige Rechtsstreitigkeiten zu ROUNDUP zu minimieren.“

Viel Kritik
Diese Einschätzung teilten die Kommenta-tor-Innen allerdings nicht. „Einen Ausdruck von Hilflosigkeit“ nannte die Rheinische Post den Fünf-Punkte-Plan. Für den Kölner Stadtanzeiger hielt er „mehr Fragen als Antworten“ bereit, während die Süddeutsche Zeitung ihn als einen „Affront gegen den Richter, aber auch gegen das gesamte US-Rechtssystem“ bezeichnete. Mit Verweis auf den nach der Vorstellung des neuen Ansatzes um zeitweilig 5,4 Prozent eingebrochenen Aktien-Kurs konstatierte das Münchner Blatt: „Was die Investoren davon halten, zeigten sie Baumann deutlich: nichts“. Der FAZ zufolge ist BAYER nun „zurück auf Los“ und „weit entfernt davon, einen Schlussstrich unter den seit Jahren andauernden Rechtsstreit in Amerika zu ziehen“. Die Börsen-Zeitung diagnostizierte derweil einen „Kontrollverlust“ und sah eine zweite Klagewelle auf den Konzern zukommen. Auch beschworen nicht wenige BeobachterInnen die Gefahr der Aufspaltung herauf, da Hedge Fonds den verminderten Börsen-Wert als Chance nutzen könnten, um zuzuschlagen.
Viele Publikationen stellten deshalb die Position Werner Baumanns als Vorstandsvorsitzender in Frage. Business Insider präsentierte mit Heiko Schipper, der beim Unternehmen momentan der „Consumer Health“-Sparte vorsteht, sogar schon einen Nachfolger. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert ebenfalls Baumanns Rücktritt. Ihre Vorschläge zur Lösung der gegenwärtigen Probleme des Konzerns gehen jedoch weit über diese Personalie hinaus. „Glyphosat muss endlich vom Markt. Die Opfer müssen schnellstens entschädigt werden! Die Verantwortlichen müssen endlich vor Gericht gestellt und zur Verantwortung gezogen werden ( ...) Der Konzern muss endlich unter demokratische Kontrolle gestellt werden“, hieß es in ihrer Presseerklärung.

[Auf der Straße & online] Wege zum Protest gegen BAYER – trotz Pandemie

CBG Redaktion

Die diesjährige BAYER-Hauptversammlung war bereits die zweite, die der Konzern unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes komplett ohne Präsenz und rein online durchführte. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, die sich seit Jahrzehnten bemüht, den Protest direkt zum Vorstand hinzutragen, mit Kundgebungen und Demos auf der Straße und Protestbeiträgen in der eigentlichen Veranstaltung, stellte dies vor enorme Herausforderungen.

Von Marius Stelzmann

Im vergangenen Jahr konnte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bereits Erfahrungen sammeln, wie eine virtuelle Hauptversammlung abläuft und wie ihr ein bedeutungsvoller, schlagkräftiger Online-Protest entgegenzusetzen ist, der die andere Seite der Konzernpolitik zeigt. Anders als im vergangenen Jahr war 2021 zudem von vornherein klar, dass BAYER die HV wieder online stattfinden lassen würde. Daher hatte die CBG genug Zeit, über ihre Kontakte Stimmen aus aller Welt für den Protest zu mobilisieren. Auch wertete die Coordination die Erfahrung von mehr als einem Jahr Pandemie für linke Protest-Bewegungen aus. Die Schlussfolgerung: Keine Online-Veranstaltung kann Protest in der realen Welt ersetzen. Ein Protest muss verantwortungsvoll und corona-sicher sein, aber er muss stattfinden. Die CBG wird sich nicht mit einem reinen Online-Protest zufriedengeben, sondern den Widerstand direkt vor die Haustüre von BAYER tragen. Dieses Jahr war dies wieder einmal die Konzernzentrale in Leverkusen.

Das Bündnis
Die Coordination kann sich dank ihrer langjährigen Arbeit auf zuverlässige Partner stützen, mit denen sie regelmäßig zusammenarbeitet. Als da wären: Der DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL), das PESTIZID AKTIONS-NETWERK (PAN), die GESELLSCHAFT FÜR KINDER, DIE DURCH HORMONELLE SCHWANGERSCHAFTSTESTS GESCHÄDIGT WURDEN (ACDHPT), FRIDAYS FOR FUTURE, das COLLECTIF VIET-NAME DIOXINE, das GEN-ETHISCHE NETZWERK, die Initiative RISIKO PILLE, der VEREIN DER EHEMALIGEN HEIMKINDER SCHLESWIG HOLSTEIN, WIR HABEN DIE AGRARINDUSTRIE SATT!, POWERSHIFT e.V., das UMWELTINSTITUT MÜNCHEN, INKOTA, die Partei DIE LINKE, B90/DIE GRÜNEN, rmediabase, die CAMPANHA PERMANENTE CONTRA OS AGROTOXICOS E PELA VIDA, das NETZWERK DUOGYNON, HEJ!SUPPORT, IFOAM und viele mehr. Sie haben es auch dieses Jahr wieder möglich gemacht, die BAYER-Konzernverbrechen von allen Seiten zu beleuchten und von fast allen Kontinenten kritische Stimmen einzuholen, wofür ihnen der Dank der CBG gebührt

Die virtuelle HV
Wie bereits erwähnt: Die virtuelle Hauptversammlung ist eine besondere Herausforderung für KonzernkritikerInnen. BAYER hat seit 1982 nicht mehr die Deutungshoheit über die eigenen Hauptversammlungen. Denn jedes Jahr stellt die Coordination viele RednerInnen, stellt Gegenanträge und ruft zur Nicht-Entlastung des Konzernvorstandes auf. Das Modell der CBG hat überdies Schule gemacht: Heute finden sich auf vielen Hauptversammlungen Proteste und Gegenstimmen. Sowohl NGOs als auch aktivistische Jugendbewegungen wie FRIDAYS FOR FUTURE nutzen das Modell. Dennoch ist keine Hauptversammlung so wie die von BAYER: Denn die Konstanz, mit der die Coordination dranbleibt, das Ausmaß, in dem sie weltweiten Widerstand gegen diesen einen Konzern mobilisiert, sucht nach wie vor weltweit ihresgleichen. Dies ist dem Management wohlbekannt. Nach Wegen, die unerwünschte Konfrontation mit den Folgen der eigenen Konzernpolitik von der HV zu verbannen, sucht der Vorstand deshalb schon lange. Im Vorjahr, mitten in der Corona-Krise 2020, bot sich dem Konzern die Chance, das umzusetzen, was schon lange geplant, aber aufgrund der AktionärInnen-Rechte nie umzusetzen war: Eine virtuelle Hauptversammlung, völlig ohne Präsenz.
Mit dieser Maßnahme hatten die BAYER-Bosse jedoch abermals die Kraft des Widerstandes unterschätzt. Auf den öffentlichen Druck hin, den der Protest der CBG erzeugte, sah sich der Leverkusener Riese 2020 gezwungen, PR-gerechte Schein-Zugeständnisse zu machen, um eine demokratische Partizipationsmöglichkeit vorzuspielen. Hierzu gehörten durchsichtige Tricks wie das Versprechen, am Tag der HV selbst Protest-Tweets vom Konzern-Twitteraccount aus zu retweeten. Das war es aber auch schon. Ansonsten mussten Fragen, die AktionärInnen bzw. deren Bevollmächtigte vorher auf der Hauptversammlung selber stellen konnten, aufwändig vorher eingereicht werden. Zudem traf der Konzern eine Auswahl und nannte größtenteils nicht die Namen der FragestellerInnen. Aus den Augen selbst der üblichen, bereits kritikwürdigen AktionärInnendemokratie betrachtet, war die Hauptversammlung also ein Desaster und bekam dementsprechend eine schlechte Presse.
Da BAYER sich mit aller Kraft als progressiver, aufgeschlossener, zukunftsorientierter Konzern präsentieren möchte, musste also eine andere Lösung her, um den bequemen Umstand der virtuellen Hauptversammlung aufrechterhalten zu können. Darum trat der Konzern 2021 die Flucht nach vorn an und versuchte sich als aktionärInnendemokratischer Musterschüler zu inszenieren. Für partizipationswillige AktienhalterInnen gab es nun neben dem schriftlichen Einreichen von Fragen auch die Möglichkeit, Statements in schriftlicher und in Videoform einzureichen. Ein Modell, welches andere Konzerne teilweise noch nicht anbieten und BAYER helfen sollte, sich als Transparenz-Marktführer zu inszenieren.
Die Coordination denkt jedoch nicht daran, „Danke!“ zu sagen, wenn die üblichen Rechte für AktionärInnen immer noch nicht eingeräumt werden. Immer noch sind nämlich die Partizipationsmöglichkeiten im Vergleich zu denen der Präsenz-Hauptversammlung massiv eingeschränkt. Denn die schriftlich eingereichten Fragen kann der Vorstand bei der Präsentation aus dem Zusammenhang reißen und zusammenstreichen, wie er möchte. Auch die Namen von vielen Fragenden wurden wieder nicht genannt. Zu den kritischen Video-Statements nahm der Vorstand überhaupt keine Stellung. Anträge und Wahlvorschläge aus den Videos wurden nicht berücksichtigt. Zwar wurden die Videos in diesem Jahr im BAYER-Stream gezeigt, allerdings besteht keinerlei Rechtsanspruch, dass die eingesandten Videos auch veröffentlicht werden. Der Vorstand könnte diese also auch einfach unter den Tisch fallen lassen. Der Vorstand hat also endlose Möglichkeiten der Vorauswahl, was Kritik erschwert. Auf einer Präsenz-Hauptversammlung bestehen diese nicht. Die Rechte – insbesondere von Klein-AktionärInnen – bleiben also weiterhin substantiell eingeschränkt. Die Coordination hat dieses Vorgehen von BAYER in einer gemeinsamen Erklärung mit dem DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, PAN, WIR HABEN DIE AGRARINDUSTRIE SATT!, und dem GEN-ETHISCHEN NETZWERK kritisiert.
Parallel zu solchen Aktionen nutzt die Coordination natürlich alle Möglichkeiten, die sie hat, um den Protest auf die Hauptversammlung zu tragen. So reichte die CBG auch dieses Jahr wieder mehr als 200 schriftliche Fragen und Statements ein. Unsere BündnispartnerInnen von PAN, INKOTA, RISIKO PILLE, COLLECTIF VIETNAM DIOXINE und dem NETZWERK DUOGYNON sandten uns zudem Video-Statements, die dann auch in die virtuelle HV hineinflimmerten und den Vorstand mit seiner verbrecherischen Konzernpolitik konfrontierten.

Die Kundgebung
Die Kundgebung vergrößerte sich im Vergleich zum letzten Jahr erfreulicherweise. Trotz Corona-Krise konnte die CBG ca. 30 TeilnehmerInnen begrüßen. Überdies fuhren aktivistische LandwirtInnen der AbL mit Traktoren vor. In ihren Reden machten unsere BündnispartnerInnen von FRIDAYS FOR FUTURE, der AbL und der Linkspartei klar, dass das Bündnis nicht akzeptiert, dass BAYER mit der virtuellen HV Protest und Widerstand aussperrt.
Genau wie letztes Jahr war die Herausforderung des Live-Streams der Coordination, den international aufgestellten Protest auf ein streamtaugliches Programm zu bringen. Dieses Jahr waren Beiträge aus der ganzen Welt vertreten, die viele Aspekte der BAYER-Konzernpolitik beleuchtet haben. Wie im letzten Jahr auch kommentierte die CBG das Geschehen auf der Hauptversammlung des Leverkusener Multis direkt und ließ diesen Analysen Gespräche mit AktivistInnen folgen. Erster Interview-Partner war Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, der zu BAYERs Steuervermeidungsstrategien sprach. Er stellte die Studie der grünen Fraktion im Europa-Parlament vor, die sich dem Versuch des Unternehmens widmete, Steueroasen weltweit und in Deutschland selber auszunutzen. Die zweite Gesprächspartnerin, Charlotte Sammet, war eine Vertreterin von FRIDAYS FOR FUTURE. Sie erläuterte die klimapolitischen Ziele der Initiative und ließ keinen Zweifel daran, dass diese mit dem gegenwärtigen Produktionsmodell von BAYER nicht zu erreichen seien. Der letzte Gast im morgendlichen Live-Block war Tilman Massa vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, mit dem CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann über die virtuelle HV und die Möglichkeiten von kritischen AktionärInnen diskutierte, einen Konzern unter diesen Bedingungen mit seinen Missetaten zu konfrontieren.

Agent Orange
Weiter im Programm ging es dann mit den weltweiten Statements. Den Anfang machte die österreichische Fernsehköchin und EU-Parlamentarierin Sarah Wiener, die in einer flammenden Rede feststellte, dass die Zeit von BAYER abgelaufen sei. Daraufhin folgten Stimmen aus Vietnam. Das Land war während des Vietnam-Krieges mit dem von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO produzierten Herbizid Agent Orange heimgesucht worden. Von den Folgen berichtete Dr. Thi Ngoc Phuong Nguyen: Sie hatte nach den Sprüheinsätzen mit dem Pestizid eine Totgeburt erlitten. Dieses Schicksal traf die ehemalige Vietcong-Guerillera Hong Nhut Dang gleich mehrmals. Auch Thi Phuong Nguyen war Agent Orange ausgesetzt, ihr Sohn kam mit Leukämie zur Welt.
Tú Qùynh-nhu Nguyen vom Collectif Vietnam Dioxine fand für das Verbrechen „Agent Orange“ deutliche Worte: „Der Einsatz von Agent Orange in Vietnam ist der größte Ökozid und die größte chemische Kriegsführung in der Geschichte gewesen.“ Neben dem Collectif Vietnam Dioxine nahmen auch Susan Tabbach von RISIKO PILLE, Wiebke Beushausen von INKOTA, Peter Clausing von PAN, Bettina Müller von POWERSHIFT e.V. und Andre Sommer vom NETZWERK DUOGYNON die Möglichkeit wahr, dem Konzern die Meinung zu sagen. Anschließend ging ein ganzer Block auf Sendung, der einen Einblick in eine Region ermöglichte, die einer der profitabelsten Absatzmärkte für BAYERs Glyphosat ist: Lateinamerika. Auch von hier berichteten Betroffene aus ihrem Alltag mit dem Gift. Elsa, eine Lehrerin aus einer ländlichen Gemeinde in Argentinien, in der Glyphosat als Unkrautvernichter überall präsent ist, erzählte von mehreren Fehlgeburten, die sie durch die permanenten Glyphosat-Ausbringungen erlitt. Auch in der lokalen Schule leiden viele Kinder an Erkrankungen, welche auf das Herbizid zurückzuführen sind. Petra, eine Lehrerin aus einer anderen Gemeinde, bestätigte die Befunde. Auch in ihrer Region habe sich das ganze Spektrum von Krankheiten, welche Glyphosat auslösen kann, gezeigt.
Im zweiten Live-Block redete Marius Stelzmann mit dem Grünen-Abgeordneten Harald Ebner weiter über das unglückselige Pestizid. Und die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch von DIE LINKE hielt in dem darauffolgenden Interview ganz klar fest: „BAYER ist nicht der Löser globaler Krisen, sondern trägt zu globalen Krisen bei!“ Als nächstes berichtete Jurek Vengels vom Münchner UMWELTINSTITUT von einem Prozess, mit welchem sich die Einrichtung nach ihrer Kritik am Pestizid-Einsatz in Südtirol, einem der größten europäischen Obstanbau-Gebiete, konfrontiert sah. Ein weiteres Interview gab Bettina Müller von POWERSHIFT, über deren Verbindungen uns die Statements der Glyphosat-Betroffenen aus Lateinamerika erreicht hatten.
Mit Kim Vo Dienh, einem Vertreter des COLLECTIF VIETNAM DIOXINE, das der CBG die Botschaften von Agent-Orange-Geschädigten zur Verfügung gestellt hatte, sprach Stelzmann über Tran To Nga, die in Paris einen Prozess gegen BAYER/MONSANTO führt. Danach berichtete Regisseurin Katja Becker über die Situation in Kenia. Sie hatte vor Ort die Dokumentation „The Food Challenge“ gedreht, welche die Folgen des Einsatzes von in der EU bereits verbotenen Pestiziden für die Landbevölkerung des Staates thematisiert. Becker äußerte aufgrund ihrer gesammelten Materialien die Vermutung, dass die fortgesetzte Produktion dieser Ackergifte bewusst im Hinblick auf Gebiete mit schwächeren Schutzverordnungen wie Kenia geschehe.

Der letzte Live-Block
Der letzte Live-Block ging um 16.00 Uhr auf Sendung. Der erste Gast hatte bereits einige Hauptversammlungserfahrung. Alan Tygel von der brasilianischen CAMPANHA PERMANENTE CONTRA OS AGROTOXICOS E PELA VIDA stellte klar, dass er vom Konzern nichts erwartete, da es diesem nur um Profit ginge. Sein Appell richte sich vielmehr an die deutsche und europäische Zivilgesellschaft, die BAYER und die deutsche Regierung unter Druck setzen sollten. Der nächste Interview-Partner war Günter Wulf, ein ehemaliges Heimkind, an dem als Kind gegen seinen Willen Medikamententests vorgenommen worden waren. Günter verbrachte mehrere Jahre in Dauersedierung durch Psychopharmaka; mit den Folgen hat er bis heute zu kämpfen. Er ist Teil des VEREINS DER EHEMALIGEN HEIMKINDER SCHLESWIG-HOLSTEINS und war auch bereits 2019 auf der Hauptversammlung von BAYER, um den Vorstand zur Rede zu stellen.
Als Reaktion auf deren Auftritt hatte der Global Player die ehemaligen Heimkinder eingeladen, in seinen Archiven in Leverkusen nach Belegen für die Verabreichung von BAYER-Medikamenten zu suchen. Und sie wurden fündig, wie uns Dr. Klaus Schepker, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Ulm, berichtete. Schepker legte dar, dass BAYER vom Leid der Heimkinder profitierte und in der Verantwortung sei, diese zu entschädigen und sich öffentlich zu seiner Verantwortung zu bekennen. Aus England zugeschaltet wurde der Coordination im Anschluss daran Marie Lyon. Marie ist selbst Geschädigte des hormonellen Schwangerschaftstests PRIMODOS (in Deutschland unter dem Namen DUOGYNON vermarktet). Ihr Kind kam ohne linken Unterarm zur Welt. Marie hatte daraufhin zusammen mit anderen Betroffenen die ACDHPT gegründet, die GESELLSCHAFT FÜR KINDER, DIE DURCH HORMONELLE SCHWANGERSCHAFTSTESTS GESCHÄDIGT WURDEN. Sie forderte BAYER auf, die überwältigenden wissenschaftlichen Beweise für die verheerende Wirkung des Präperats zu akzeptieren und Entschädigungszahlungen zu leisten. Der Konzern habe mit hormonellen Schwangerschaftstests überall auf der Welt Milliardenprofite erwirtschaftet, nun müsse er die Verantwortung für die Folgen übernehmen, so Lyon. Nina Holland von der NGO CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) stellte im folgenden Interview die Lobby-Praktiken BAYERs dar. Dann warnte Alexandra Caterbow vor den Gefahren von endokrinen Disruptoren – hormon-ähnlichen Stoffen, die unter anderem in Pestiziden von BAYER & Co. stecken.
Mit einem flammenden Abschluss-Statement von CBG-Vorstand Axel Köhler-Schnura, der die vielen verschiedenen BAYER-Verbrechen in die Unternehmensgeschichte einordnete, kam der Live-Online-Protest dann zum Abschluss. Die Coordination blickt zurück auf ein weiteres Jahr mit stark eingeschränktem leibhaftigen Protest auf der Straße – und mit einem virtuellen Protest, der größer und internationaler ausfiel als 2020. Und es ist klar: Wir bleiben dran …

[BAYER im Monolog] Viele Fragen und keine Antworten

CBG Redaktion

Im letzten Jahr hatte der Agro-Riese BAYER als erstes DAX-Unternehmen die Ungunst der Stunde genutzt, um seine Hauptversammlung rein online abzuhalten. Als „digitaler Pionier“ feierte er sich selbst dafür. Die Pioniertat bestand jedoch einzig darin, mit dieser Flucht ins Internet die Konzern-KritikerInnen auszusperren. Dementsprechend groß war die Empörung. Darum gelobte das Unternehmen nun Besserung. Aber Nennenswertes kam dabei nicht heraus, dazu hatte das Unternehmen auch 2021 wieder viel zu viel zu verbergen.

Von Jan Pehrke

Selbstbeweihräucherung musste sich BAYER-Chef Werner Baumann in seiner diesjährigen Eröffnungsrede zur Hauptversammlung erst einmal verkneifen. Der Konzern legte nämlich eine desaströse Bilanz vor. Die gnadenlose Profit-Jagd ohne Rücksicht auf Verluste wirkte sich erstmals auch auf die Geschäftszahlen aus. Die vielen Rechtsfälle, die aus Klagen von Geschädigten seiner Produkte erwachsen, zwangen das Unternehmen zu „Sonderaufwendungen“ in Höhe von rund 13 Milliarden Euro. Das führte beim Konzern-Ergebnis zu einem saftigen Minus von 10,5 Milliarden Euro. Ein Großteil der Rückstellungen wegen „rechtlicher Risiken“ entfallen dabei auf Glyphosat. Aber die „Rechtskomplexe“ betreffen längst nicht nur dieses von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid. Das Ackergift Dicamba, die Industrie-Chemikalie PCB und die Sterilisationsspirale ESSURE beschäftigen die Gerichte ebenfalls.
„Ich möchte direkt zu Beginn die Dinge beim Namen nennen“, hob der Vorstandsvorsitzende deshalb an und gestand „die enttäuschende Entwicklung unseres Aktien-Kurses“ ein. „Damit können wir nicht zufrieden sein“, hielt Baumann fest und ließ auch keine Ausreden wie Sonderbelastungen oder Währungseffekte gelten. „Wir tragen die Verantwortung – und zwar ohne Wenn und Aber“, konstatierte er und versicherte den AktionärInnen: „Wir wollen ihr Vertrauen wieder zurückgewinnen. Dafür arbeiten wir sehr hart.“

Aggressives Wachstum
Damit war die Übung in Demut allerdings schon wieder vorbei. Da in den ersten Monaten des Jahres viel Geld in die Kasse geflossen war, hatte Baumann nunmehr Oberwasser. „Das Marktumfeld hat sich inzwischen deutlich gebessert. Der erhebliche Nachfrage-Anstieg bei Agrar-Produkten hat zu steigenden Preisen geführt“, konstatierte er und sah den Konzern auf dem richtigen Kurs – trotz oder gerade wegen Corona: „Denn eins hat uns die Pandemie gelehrt: Es gibt nichts Wichtigeres als die Gesundheit und die Ernährung der Menschen.“ Der Beitrag des Leverkusener Multis dazu fiel bei Licht besehen allerdings bescheiden aus und beruhte auf Panik-Käufen. Viele VerbraucherInnen vermeinten sich nämlich mit den Nahrungsergänzungsmitteln von BAYER gegen Corona wappnen zu können und verhalfen diesem Produkt-Segment deshalb zu einem Umsatz-Plus von 23 Prozent. Ansonsten war nicht viel. Die zweite Karriere der Malaria-Arznei Chloroquin als Mittel gegen Covid-19 endete im letzten Jahr kläglich, schon bevor sie recht begann. So blieb dem Unternehmen nur die Rolle einer verlängerten Werkbank für den Impfstoff-Entwickler CUREVAC. Und satt werden die Menschen auch nicht durch den Leverkusener Multi. Seine Ackerfrüchte landen nämlich ganz woanders: in den Tierfutter-Trögen und Tanks. Aus diesem Grund litt die Agrar-Sparte unter der wegen Corona eingeschränkten Mobilität. Einen „geringeren Bedarf an Bio-Kraftstoffen“ beklagte Werner Baumann vielsagend.
Nicht fehlen darf in seinen Reden stets der Science-Fiction-Part, wird doch an den Börsen vornehmlich die Zukunft gehandelt. Bei der Forschung wähnte der Große Vorsitzende BAYER dementsprechend ganz weit vorne und just an der Stelle operierend, wo der inzwischen verstorbende APPLE-Gründer Steve Jobs künftig Durchbrüche erwartet, nämlich „an der Schnittstelle von Biologie und Technologie“. Als Beispiele für solche Leverkusener „Bio-Revolutionen“ nannte er die Gentechnik 2.0 mit CRISPR & Co. sowie die Arbeiten zum menschlichen Mikrobiom.
In der anschließenden Rede vom Aufsichtsratsvorsitzenden Norbert Winkeljohann war dann von Bußfertigkeit trotz der beeindruckenden Schadensbilanz des Konzerns überhaupt nichts mehr zu spüren. „Ihre Gesellschaft, die BAYER AG, hat sehr gute Voraussetzungen, ein wertstarkes Unternehmen zu werden“, versicherte er den AktionärInnen: „Wie dargestellt stehen aggressives Wachstum, Ertrags- und Wertsteigerung im Zentrum unserer Aktivitäten.“

Alle Fragen offen
Dann begann das, was in vorpandemischem Zeiten „Aussprache“ hieß. War es schon damals so recht keine, dann galt dies nun erst recht für die Online-Hauptversammlung. „Werner Baumann kann froh sein, dass die BAYER-Hauptversammlung am Dienstag nur virtuell stattfindet. Sonst müsste sich der Vorstandschef stundenlang einem Sperrfeuer stellen“, bemerkte die Rheinische Post treffend. „BAYER im Monolog“ – damit wäre treffend charakterisiert, was sich stattdessen an dem 27. April in dem Riesenstudio mit den fünf BAYER-Vorständen allein auf weiter Flur, flankiert nur von einem Notar, abspielte.
Same procedure as last year also. Allerdings gab es ein paar Neuerungen, denn die Flucht des Global Players ins Internet hatte einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Hauptversammlungsregelungen des „Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“, an denen die Konzerne kräftig mitgeschraubt hatten, erlaubten den Aktien-Gesellschaften, viele AktionärInnen-Rechte einzuschränken. So ließ der Leverkusener Multi im letzten Jahr keine Reden zu, sondern nur noch noch Fragen. Noch nicht einmal die Namen der FragestellerInnen nannte er. Und damit fehlte das Wesentliche. Es macht eben einen fundamentalen Unterschied, ob etwa eine Medikamenten-Geschädigte vor das Mikrofon tritt, ihre Leidensgeschichte erzählt und am Schluss fragt, wann BAYER die betreffende Arznei endlich vom Markt zu nehmen gedenkt, oder ob es einfach heißt: „Eine Aktionärin fragte nach dem Produkt DUOGYNON.“
Nach der massiven Kritik von Seiten der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, aber auch der „Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapier-Besitz“, gelobte Werner Baumann diesmal Besserung. Er bekundete, der Konzern habe das „Feedback aufgenommen“ und „mehr interaktive Elemente eingebaut“. Das Rede-Recht wollte er seinen AktionärInnen zwar immer noch nicht zugestehen, jedoch konnten diese Video-Statements abgeben. Auch durften die AktienhalterInnen nun wenigstens Nachfragen stellen, wenn der Global Player ihrer Meinung nach Antworten schuldig geblieben war.
Allerdings wollte der Gentech-Gigant die einzelnen Fragen immer noch nicht konkreten Personen oder Gruppen zuordnen. Er stellte die Fragen vielmehr zu bestimmten Blocks zusammen, beantwortete sie in einem Aufwasch und führte zu Beginn alle FragestellerInnen gemeinsam auf. „Wir kommen jetzt zum nächsten Themen-Komplex ‚Strategie’, und hier haben uns Fragen von folgenden Aktionärinnen und Aktionären erreicht: Marc Tüngler von der ‚Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapier-Besitz’ (DSW), Hendrik Schmidt von DWS INVESTMENT, Janne Werning von UNION INVESTMENT, Ingo Speich von DEKA INVESTMENT, COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und ihnen nahestehenden Personen und Organisationen ...“, so hörte sich das dann an. Und bisweilen war es unmöglich, in der langen Antwort auch nur den Part zu identifizieren, welcher die CBG betraf, weil die Vorstände die Fragen oft in ihren eigenen Worten wiedergaben. Nur wenn es hieß: „Eine Frage unterstellt, dass ...“, bestand kein Zweifel daran, dass die Coordination oder „ihr nahestehende Personen und Organisationen“ sie gestellt hatten. Dementsprechend hielt sich der Informationswert der ManagerInnen-Verlautbarungen für Außenstehende in Grenzen.
Zudem ließ der Konzern nicht wenige Fragen unter den Tisch fallen und verweigerte viele Auskünfte, z. B. darüber, wie viel Geld er jeweils in konventionelle und gentechnologische Pflanzenzüchtungsprojekte steckt. Aus „Wettbewerbsgründen“ wollte er dazu ebenso wenig etwas sagen wie zu den Entwicklungskosten für die Gen-Scheren im Vergleich zur Gentechnik 1.0 sowie zu den Geschäften mit seiner Gentech-Baumwolle: „Bezüglich der Bt-Baumwolle bitten wir um Verständnis, dass wir Verkaufszahlen auf Produkt-Ebene nicht ausweisen.“ Wie viel Kohlendioxid bei der extrem energie-intensiven Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor im US-amerikanischen Soda Springs anfällt, behielt das Unternehmen ebenfalls für sich. „Wir erheben die Emissionen von einzelnen Standorten nicht“, erklärte der Vorstandsvorsitzende. Und auch zum Stand der Dinge bei den Ermittlungen in Sachen „IBEROGAST“ – die Kölner Staatsanwaltschaft geht dem Verdacht der gefährlichen Körperverletzung nach, weil eine Patientin nach der Einnahme des Magenmittels verstarb – äußerte sich der BAYER-Chef nicht. „Wir bitten (...) um Verständnis, dass wir zu laufenden rechtlichen Verfahren keine Angaben machen“, so Baumann, um dann doch ein Plädoyer für die Arznei zu halten: „IBEROGAST ist ein bewährtes, wirksames und auch sicheres Medikament. Dies ist durch eine Anzahl von klinischen Studien und Anwendungsbeobachtungen belegt.“
Auch zu seinen anderen umstrittenen Produkten stand der Gentech-Gigant in Treue fest. „Die von nationalen und internationalen Zulassungsbehörden durchgeführten Bewertungen haben ergeben, dass Glyphosat bei sachgerechtem Einsatz sicher und nicht krebserregend ist“, beschied der Große Vorsitzende. Die Ribonukleinsäure-Interferenz (RNAi) – eine Gen-Technologie, die in dem neuen Labor-Mais der SMARTSTAX-Produktlinie zur Anwendung kommt, um die Pflanze vor dem Maiswurzelbohrer zu schützen – hält der Konzern ebenfalls für sicher. Der Initiative TESTBIOTECH zufolge kann die Ribonukleinsäure zwar mit der Darmflora von Mensch und Tier interagieren, in den Blutkreislauf gelangen und sogar in die Steuerung von Genen eingreifen, aber BAYER ficht das an. „Uns liegen keine verlässlichen wissenschaftlichen Nachweise dafür vor, dass die sachgerechte Anwendung von Produkten mit einer Wirkungsweise auf RNAi-Basis zu negativen Effekten führt“, konstatierte der Agrar-Vorstand Liam Condon. Das Hormon-Mittel DUOGYNON, das die jetzige BAYER-Tochter SCHERING bis 1978 auch unter dem Namen PRIMODOS als Schwangerschaftstest vermarktete, obwohl es katastrophale Folgen für Neugeborene hatte, erhielt ebenfalls die Absolution des Unternehmens. „BAYER schließt PRIMODOS bzw. DUOGYNON nach wie vor als Ursache für embryonale Missbildungen aus“, bekundete Pharma-Vorstand Stefan Oelrich.

Krokodilstränen
Darum beließ der Konzern es den Betroffenen gegenüber stets dabei, Betroffenheit zu heucheln: „Das Schicksal von Menschen, die infolge von körperlicher Behinderung täglich zu kämpfen haben, tut uns sehr leid.“ Einem ehemaligen Heimkind, das in den 1960er Jahren als Versuchskaninchen für BAYER-Psychopharmaka herhalten musste, antwortete Oelrich: „Dass Ihre eigenen Erfahrungen in diesem Zusammenhang so schlecht sind und Sie und andere Menschen darunter bis heute leiden, das bedauere ich sehr.“ Er wusste zwar auch nicht mehr zu sagen, warum diese Tests damals gemacht wurden, aber eines konnte er auf jeden Fall ausschließen: „eine missbräuchliche Durchführung von Prüfungen oder Studien mit diesen Produkten durch unser Unternehmen“.
Und auch für die 78-jährige Tran To Nga, die im Vietnam-Krieg durch das Versprühen von Agent Orange massive gesundheitliche Schäden erlitten hatte und deshalb zurzeit vor einem französischen Gericht von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO Schadensersatz fordert, blieb nur eine Beileidsbekundung. „Obwohl wir Frau Tran To Nga großes Mitgefühl entgegenbringen, glauben wir, dass es zahlreiche Gründe gibt, die die Abweisung dieses Falles rechtfertigen.“ Auf die Frage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), ob der Konzern den Einsatz von Agent Orange als Kriegsverbrechen einschätzt, antwortete Agrar-Chef Liam Condon derweil: „MONSANTO und andere Hersteller haben Agent Orange im Auftrag der US-Regierung hergestellt. Die US-Regierung legte strenge Bedingungen für die Produktion von Agent Orange fest und entschied, ob, wann, wo und wie das Mittel eingesetzt wurde. Uns steht es nicht zu, Jahrzehnte nach Ende des Vietnam-Konflikts die politischen und militärischen Handlungen der damaligen Konflikt-Parteien völkerrechtlich zu bewerten.“ Was er dann aber doch tat: „Kein Gericht hat festgestellt, dass die Hersteller durch die Produktion des Entlaubungsmittels für den Kriegsgebrauch der US-Regierung gegen das Völkerrecht verstießen. Die US-Gerichte wiesen diese Anschuldigungen ausdrücklich zurück und kamen zu dem Schluss, dass die Hersteller nicht für Schadensersatz-Ansprüche haften müssen.“ Die keineswegs nur passive Rolle, die MONSANTO beim „Herbicidal warfare“ spielte, verschwieg er dabei wohlweislich: Das Unternehmen hatte sich bereits seit 1950 im regen Austausch mit der Chemiewaffen-Abteilung des Militärs über die Kriegsverwendungsfähigkeit des Mittels befunden.
Angesichts der desaströsen Schadensbilanz der BAYER-Produkte wollte die CBG wissen, warum der Konzern seine Geschäftspolitik nicht radikal ändert und die Sicherheit seiner Erzeugnisse sorgfältiger prüft. Aber Werner Baumann sah keine Defizite in diesem Bereich und folglich auch keinen Anlass zu einem Strategie-Wechsel: „Die Sicherheit der Anwendung unserer Produkte ist uns ein zentrales Anliegen und ein sehr hohes Gut. Im Rahmen der Produkt-Entwicklung prüfen wir gemäß geltender regulatorischer Anforderungen und teilweise weit darüber hinaus gehend die Sicherheit unserer Produkte auf das Genaueste.“

Keine Reue
Auch ansonsten zeigte sich der Global Player nur wenig reumütig. Trotz der ganzen Glyphosat-Klagen und der schwachen Erträge der zusammengelegten Agrar-Sparten von BAYER und MONSANTO verteidigte Baumann die Akquisition: „An der langfristigen strategischen Logik des Zusammenschlusses hat sich (...) nichts geändert. Der Ansatz, unser Cropprotection-Geschäft vollständig vertikal zu integrieren mit dem führenden Anbieter von Saatgut und so zum führenden Anbieter in diesem Bereich zu werden, ist weiterhin überaus valide.“ Das Vorgehen, in den Staaten des globalen Südens Pestizide zu vertreiben, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben, rechtfertigte das Unternehmen ebenfalls. „Richtig ist, dass wir in einigen Ländern Pflanzenschutzmittel vertreiben, die in der EU nicht zugelassen sind. Dies ist aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der landwirtschaftlichen Praxis auch nicht überraschend und sagt nichts über die Sicherheit der jeweiligen Pflanzenschutzmittel aus“, so Condon. Im Übrigen seien umgekehrt auch viele Ackergifte, die etwa in Brasilien keine Genehmigung hätten, in der EU zugelassen, betonte er allen Ernstes. Die Aktien-Gesellschaft machte auch keine Anstalten, von dieser Politik der doppelten Standards abzurücken. Allein in Brasilien verkauft das Unternehmen zwölf hierzulande nicht genehmigte Ackergifte und in Südafrika sieben. Zumindest eines von ihnen – Carbendazim – will es in Zukunft nicht mehr vermarkten. Die Coordination fragte deshalb, ob der Konzern noch weitere Ausmusterungen plant. Das verneinte der Cropscience-Leiter jedoch. „Wir treffen kontinuierlich Entscheidungen über unsere Produkte auf der Basis von Sicherheitsaspekten aber auch von anderen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Erwägungen für Landwirte. In diesem Kontext bestehen derzeit keine Absichten, die genannten Wirkstoffe aus den Märkten zu nehmen“, führte der Ire aus.
Kritik an seinem Steuergebaren wies der Leverkusener Multi ebenfalls zurück, obwohl er nach einer Studie der Grünen im Europa-Parlament in den letzten zehn Jahren durch kreative Buchführung rund drei Milliarden Euro an Abgaben sparte. Damit nicht genug, trat der Global Player durch die Verlagerung seiner Patent-Abteilung ins nordrhein-westfälische Steuer-Paradies Monheim auch noch einen gnadenlosen Unterbietungswettbewerb der Kommunen los. In dessen Folge senkte BAYERs Stammsitz Leverkusen 2019 die Sätze drastisch. Der Konzern jedoch war sich an diesem 27. April keiner Schuld bewusst. „Wir begrüßen alle Bemühungen der Stadt Leverkusen für einen wettbewerbsfähigen Standort“ erklärte Finanzvorstand Wolfgang Nickl frank und frei. Der Manager räumte auch ein, dass der Global Player dabei ein Wörtchen mitredete: „Bei allen wichtigen Kommunen stehen wir im regelmäßigen Austausch mit den jeweiligen Kämmerern.“ So wusste das Unternehmen schon früh über die Pläne der Stadt Bescheid. Das wurde „dann auch im Rahmen aktueller Restrukturierungsprojekte berücksichtigt“, so Nickl, und führte zur Rückverlagerung einiger Unternehmensteile nach Leverkusen.

Klartext
Mit den von der CBG eingereichten Fragen konnte der BAYER-Konzern so einiges anstellen: Sie ganz wegfallen lassen, sie in seinen eigenen Worten so wiedergeben, dass ihr kritischer Gehalt verschwand, sie kaltstellen, indem sie gemeinsam mit denen der Investment-Gesellschaften beantwortet wurden oder „aus Wettbewerbsgründen“ nicht auf sie eingehen. Überdies behielt der Agrar-Riese in jedem Fall das letzte Wort.
Mit den Video-Statements war ein solcher Umgang nicht möglich. Sie erlaubten es den AktivistInnen, Sachverhalte – wenn auch nur zwei Minuten lang – im Zusammenhang darzustellen und Tacheles zu reden. Und davon machten alle ausgiebig Gebrauch. Wiebke Beushausen von INKOTA und Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK prangerten den Export von Pestiziden, die in der EU nicht zugelassen sind, in die Länder des Südens an. Bettina Müller von POWERSHIFT schilderte die drastischen Folgen der Sprüh-Einsätze mit Glyphosat in Lateinamerika. „In Argentinien beispielsweise liegt die Zahl der an Krebs erkrankten Menschen in Dörfern, die aus der Luft mit Glyphosat & Co. besprüht wurden, viermal über dem Landesdurchschnitt“, so Müller. Sa-scha Gabizon von WOMEN ENGAGE FOR A COMMON FUTURE (WECF) machte auf die Gefahr durch hormon-ähnlich wirkende Chemikalien aufmerksam, zu denen für nicht wenige WissenschaftlerInnen auch Glyphosat zählt. Brigitte Hincha vom Vorstand der Coordination thematisierte derweil das von Glyphosat beförderte Artensterben, und das tat ihr CBG-Kollege Simon Ernst ebenfalls. „Profit kann nicht das Prinzip sein, nach dem die Ernährung und die Landwirtschaft sich zu organisieren hat“, lautete seine Schlussfolgerung. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann nahm zu dem Prozess Stellung, den die „Agent Orange“-Geschädigte Tran To Nga in Frankreich gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO führt, und Tú Qùyh-nhu Nguyen von der Initiative COLLECTIF VIETNAM DIOXINE konfrontierte Baumann & Co. in diesem Zusammenhang mit der Frage: „Will der BAYER-Vorstand endlich Verantwortung übernehmen und einer gerechten Entschädigung aller Geschädigten von Agent Orange nachkommen?“ Ebendies forderte Andre Sommer in Sachen „DUOGYNON“ und Susan Tabbach in Sachen „YASMINELLE“, einem Verhütungsmittel BAYERs mit erhöhtem Thrombose-Risiko. Der Autor dieser Zeilen resümierte schließlich in seinem Statement: „Die Bilanz des BAYER-Konzerns für das Geschäftsjahr 2020 ist desaströs – in sozialer Hinsicht, in juristischer Hinsicht, in gesellschaftlicher Hinsicht, in ökologischer Hinsicht und sogar in ökonomischer Hinsicht.“ Folgerichtig appellierte er am Schluss seiner Ausführungen an die AktienhalterInnen, gegen die Entlastung des Vorstands zu stimmen.

Bilanz
20.000 Gegenstimmen von kritischen AktionärInnen hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN schon vor der Hauptversammlung einsammeln können. Das „Schwarzbuch BAYER“, das die CBG dann in der Veranstaltung selbst präsentierte, dürfte die Zahl noch einmal um einiges erhöht haben. Sieben Gegenanträge, elf Video-Statements, vier schriftliche Stellungnahmen und über 200 Fragen – nicht nur von der CBG, sondern auch von TESTBIOTECH, RISIKO-PILLE, DUOGYNON-Geschädigten, OXFAM, dem GEN-ETHISCHEN NETZWERK, DER ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT E.V., DER AURELIA STIFTUNG und dem BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ – boten nämlich mächtig Stoff zur Meinungsbildung. Zudem wechselte mit DEKA INVESTMENT auch ein großer Vermögensverwalter ins Lager der Nein-SagerInnen. Am Ende des Tages fanden sich deshalb dort mehr als 50 Millionen Aktien wieder: 9,92 Prozent lehnten die Entlastung des Vorstandes ab. BesitzerInnen von noch einmal über 20 Millionen Aktien enthielten sich, und gegen die Entlastung des Aufsichtsrates stimmten 7,42 Prozent. Ein deutlicher Ausdruck dessen, dass auch ein Teil der AktionärInnen auf der Seite der Gesundheit, der Umwelt, der Menschenrechte und der sozialen Rechte steht und gegen die Geschäftspolitik BAYERs Stellung bezieht.
CBG-Urgestein Axel Köhler-Schnura zog am Ende dieses Resümee der zweiten Online-Hauptversammlung des Leverkusener Multis: „Es ist sehr, sehr beschämend, mit welcher Heuchelei da heute die Verantwortlichen im Konzern ihr Beileid, ihr Mitleid mit den Opfern ausgedrückt haben, aber gleichzeitig in aller Härte an den Standpunkten festgehalten haben. Nämlich: ‚Glyphosat muss auf dem Markt bleiben’ (...) Agent Orange, Steuerflucht: alles bestens, alles super, alles toll! Unschuld, Unschuld, Unschuld (...) Dieser Widerspruch fiel am heutigen Tag jedem, der das verfolgt hat, direkt ins Auge.“⎜

Abstimmungsergebnisse
Gewinnverwendung
Nein-Stimmen 1,6 Mio. 0,3 %

Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen 50 Mio. 9,92 %

Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 37 Mio. 7,42 %

Die Abstimmungen auf Hauptversammlungen von Konzernen wer-den bestimmt von wenigen Groß-aktionärInnen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.). Sie besitzen bis zu 90 und mehr Prozent aller Aktien und haben so viele Stimmen, wie sie Aktien besitzen.
Die mehreren hunderttausend Klein-aktionärInnen bei BAYER halten zusammen lediglich fünf bis zehn Prozent aller Aktien. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse.
Die Kritischen AktionärInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatten zur Gewinnverteilung, zur Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat und zur Wahl alternative Anträge gestellt. Der Erfolg dieser Anträge wird deutlich an den Gegenstimmen zu den Anträgen des Vorstands.

[War on Drugs] „War on Drugs“ mit Glyphosat

CBG Redaktion

„War on Drugs“ mit Glyphosat

Der kolumbianische Präsident Iván Duque plant, die im Jahr 2015 von seinem Amtsvorgänger gestoppten Flugzeug-Sprüheinsätze mit Glyphosat zur Zerstörung von Koka-Pflanzen wieder anlaufen zu lassen. Dabei fällt die Bilanz des Chemie-Krieges gegen die Droge verheerend aus, sowohl in gesellschaftlicher und sozialer als auch in gesundheitlicher und ökologischer Hinsicht. Entsprechend groß ist der Protest im Land.

Von Jan Pehrke

Im Jahr 2015 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Das blieb nicht ohne Folgen. In Nordamerika gingen bei den Gerichten die ersten Entschädigungsklagen ein, und auch in Südamerika tat sich etwas. Der damalige kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos beendete den Einsatz des Herbizids als Waffe im „War on Drugs“. „Die Empfehlungen und Studien, die vom Gesundheitsministerium überprüft wurden, zeigen deutlich: dieses Risiko existiert“, sagte er mit Verweis auf die WHO-Entscheidung und stoppte das Versprühen des Mittels per Flugzeug (1).
Seit 1986 hatte es zur Ausräucherung der Pflanzungen Verwendung gefunden. Begonnen hatte der „chemical warfare“ gegen den Koka-Anbau sogar schon 1978, aber so richtig große Dimensionen nahm er erst ab dem Jahr 2000 an. Da startete Kolumbien mit „freundlicher Unterstützung der US-Regierung“ den milliarden-schweren „Plan Colombia“ und mit ihm die Glyphosat-Flüge. Gegen den illegalen Anbau von Rauschmitteln richtete sich der Plan allerdings bloß vordergründig. „Die Fokussierung auf Counternarcotics war nur die Basis dafür, eine partei-übergreifende Unterstützung zur Finanzierung des Programms im US-Kongress zu erhalten, weil einige Mitglieder des Kongresses – das abschreckende Beispiel ‚Vietnam’ vor Augen – einer Verwicklung in Aufstandsbekämpfung kritisch gegenüberstanden“, spricht ein Kongress-Bericht aus dem Jahr 2019 Klartext (2). Auch für Dario Azzelini war der „Plan Colombia“ von Anfang an eine Strategie zur Bekämpfung der Guerilla-Gruppen. Zum Beleg führt er unter anderem eine Aussage des US-Generals Charles Wilhelm an. „Die kolumbianischen Streitkräfte sind nicht mehr in der Lage, den Vormarsch der Aufständischen aufzuhalten. Kolumbien braucht dringend unsere Hilfe“, hatte der Militär vom U.S. South Command Alarm geschlagen (3).

„Narco-Guerilla“
Im Fokus stand dabei vor allem die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia). Diese finanzierte sich zwar wirklich zu einem guten Teil über das Kokain, das jedoch taten die Paramilitärs auch, ohne deshalb Aktionen fürchten zu müssen, während die KämpferInnen der ELN (Ejército de Liberación Naciona) wiederum kaum auf Schonung hoffen durften, obwohl sie Drogen-Geschäfte ablehnten.
Für die FARC aber erfanden die USA den Begriff der „Narco-Guerilla“, mit dessen Hilfe sie den Krieg gegen die Drogen zu einem Krieg gegen die Rebellen machen konnten. Ein Vertreter des State Department charakterisierte das Vorgehen folgendermaßen: „Das ist das kolumbianische Modell. Wir haben das Militär nicht im aktiven Dienst in Kolumbien im Einsatz – aber wir haben Militär-Hilfe, die sich als bemerkenswert nützlich dabei erwiesen hat, die kolumbianische Armee und Luftwaffe zu Einsätzen gegen Drogen-Ziele zu bewegen. Und wenn sie dabei auch die FARC angreifen, die Drogenlabors bewacht, hilft das der Polizei, die Labors anzugreifen (4).“ Bei einem Großteil der zehn Milliarden Dollar, welche die Vereinigten Staaten von 2000 bis 2015 in den lateinamerikanischen Staat pumpten, handelte es sich um eine solche Militär-Hilfe. So bauten tausend US-Offiziere fünf Elite-Bataillone mit auf, „um den Süden des Landes wiederzuerobern“, wie die damalige US-Außenministerin Madelaine Albright es ausdrückte (5). Wegen dieser Ausrichtung zögerte die Europäische Union zunächst, den „Plan Colombia“ zu unterstützen, sagte dann aber doch 300 Millionen Euro zu – bestimmt allein zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten. In denen sah der Journalist Maurice Lemoine allerdings nur einen „höchst willkommenen Rauchvorhang“ für die militärischen Operationen (6).
Die „Einsätze gegen Drogen-Ziele“ erfolgten dabei in hoher Frequenz. Von 2000 bis 2015 versprühten Flugzeuge auf einer Fläche von fast 1.700.000 Hektar Glyphosat. Überdies rieselte es in einer erhöhten Dosierung herab. Die Konzentrationen lagen bis zum 26-Fachen über dem üblichen Maß. Zudem wurde dem Mittel mit Cosmo-Flux noch ein Wirkungsverstärker zugesetzt, der die Giftigkeit um den Faktor acht steigerte. Damit nicht genug, gingen die PilotenInnen mit aller Gründlichkeit vor und flogen dieselben Felder mehrmals an. Aus diesen Gründen stoppte ein kolumbianisches Gericht die Sprüh-Flüge bereits im August 2001. Das Verbot hatte allerdings nicht lange Bestand. Die US-Botschafterin in Kolumbien, Ann Patterson, intervenierte und drohte mit einem Entzug der Hilfsgelder. Deshalb kassierten die Richter das Urteil bereits nach elf Tagen wieder, und die Glyphosat-Ausbringung zog sich noch bis zum Jahr 2015 hin.
Die Bilanz fällt, sowohl was die Wirkungen als auch, was die Nebenwirkungen betrifft, desaströs aus. Die Überdosis Chemie verwüstete zwar viele Felder, aber zu einer nachhaltigen Dezimierung der Koka-Ernten führte das nicht. Zahllose Landwirte brachen in andere Gegenden auf und legten dort neue Pflanzungen an. So breitete sich der Anbau nach und nach im ganzen Land aus. Oftmals siedelten sich die Bauern und Bäuerinnen dabei in Urwald-Gebieten an und schafften sich durch Abholzungen neuen Ackergrund, was verheerende Folgen für das Klima und die Biodiversität hatte.

Gesundheitsrisiken
Am schlimmsten aber sind die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. So kam beispielsweise eine Untersuchung der „Universidad de los Andes“, die sich auf drei medizinische Gebiete konzentrierte, zu alarmierenden Befunden. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Exposition gegenüber dem Herbizid, das bei Sprühkampagnen aus der Luft verwendet wird, die Anzahl der Arztbesuche im Zusammenhang mit dermatologischen und atemwegsbedingten Erkrankungen sowie die Anzahl der Fehlgeburten erhöht“, resümieren die Wissenschaftler (7).
Das war auch in dem 200-Seelen-Dorf Santa Inés der Fall, das im Kolumbianischen Massiv am Fuße des „Cerro de Lerma“ liegt. „Ich war da oben, als sie gesprüht haben, und ich habe Wasser getrunken. Ich war im siebten Monat schwanger, jetzt habe ich mein Kind verloren“, klagte etwa eine Frau dem Journalisten Maurice Lemoine ihr Leid. Mehr als ein Viertel der Bewohner litt unter Schwindel, Kopf- oder Magenschmerzen, Durchfall oder Übelkeit. „Ich habe die Patienten untersucht, die Symptome sind bei allen dieselben: Vergiftungserscheinungen“, konstatierte der Arzt Luis Eduardo Cerón (8).
Auch die Menschen aus Rioblanco de Sotará litten massiv unter dem Glyphosat-Einsatz. Über das ganze Ausmaß der Gesundheitsstörungen konnte der Reporter Larry Rohter von der New York Times im örtlichen Krankenhaus jedoch nichts in Erfahrung bringen. „Wir wurden angewiesen, mit niemandem darüber zu sprechen, was hier passiert ist“, beschied ihm eine Pflege-Helferin (9).
Tiere griff das Glyphosat ebenfalls an. Regenbogenforellen in Fischfarmen verendeten elendig, und auch das Vieh der Landwirte verschonte das Mittel nicht. „Ich habe 12 Rinder verloren, die durch das Herbizid getötet wurden, und ich musste den Rest verkaufen, weil es kein Gras mehr gab, auf dem sie grasen konnten. Ich habe alles verloren, was ich investiert hatte“, sagt Pedro Nel Segura aus der Provinz Nariño und spart nicht mit Vorwürfen. „Jeder Pilot hätte sehen müssen, dass ich kein Koka anbaue. Meine Kühe sind weiß – man kann sie aus der Luft leicht erkennen – und sie weideten auf offenem Land, auf dem nichts angebaut wurde“, erregt er sich (10) .
Was die Feldfrüchte der Bauern und Bäuerinnen betraf, zeigte sich das Glyphosat nicht eben wählerischer. Erbarmungslos ging es auch auf Felder mit Bananen, Bohnen, Kartoffeln, Mais, Kaffee, Zwiebeln, Knoblauch und anderen Gewächsen nieder. Und selbst wenn das Pestizid einigermaßen zielsicher zum Einsatz kam, trug es der Wind allzu oft auf benachbarte Äcker. Das gefährdete die Nahrungsmittel-Sicherheit und bedrohte die Existenz vieler FarmerInnen. Sobald sich die Kunde über das Ausbringen des Herbizids und die Nebenwirkungen verbreitete, sanken die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte der betroffenen Regionen rapide. Wegen der grenzüberschreitenden Folgen der Sprühungen reichte Ecuador im Jahr 2008 gar eine Klage gegen Kolumbien beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein.
Die Glyphosat-Einsätze veranlassten viele FarmerInnen der ländlichen Gemeinden dazu, aufzugeben. „Diese Gemeinschaften mussten die Geißel des Kriegs, des Drogenhandels und der strukturellen Gewalt gegen sie erleben. Doch bei allem, was es bedeutet, zwischen Armut, Kugeln und Bedrohungen zu leben, ist nichts schlimmer, als inmitten von Pestizid-Besprühungen zu leben, denn sobald sie kommen, steht eine massive Vertreibung dieser Gemeinden bevor“, schreibt die Juristin und Soziologin Carolina Bernal Ibáñez (11).
Ein militärisches Eingreifen zur Bekämpfung einer Guerilla, ein chemical warfare mit einem Pestizid als Waffe und die verbrannte Erde, die es hinterließ – die „Echos of Vietnam“ waren in dem lateinamerikanischen Land weithin vernehmbar. „In Kolumbien führen wir wieder einmal einen Giftkrieg gegen die einzigartigen Ökosysteme eines anderen Staates und die Gesundheit unschuldiger Zivilisten“, befand deshalb die US-amerikanische Wissenschaftlerin Rachel Massey (12).

Das Friedensabkommen
Diesem Treiben wollte der Duque-Vorgänger Juan Manuel Santos ein Ende machen. 2015 verkündete der damalige kolumbianische Präsident das Ende der Glyphosat-Flüge und ein Jahr später schloss er mit der FARC ein Friedensabkommen. Da das Kokain einen bedeutenden Beitrag zur Finanzierung ihrer Kämpfe gespielt hatte, erhoffte sich der Politiker von diesem Schritt einen Rückgang der Anbau-Flächen und Produktionsmengen, zumal die Übereinkunft den Guerilla-Mitgliedern Wege aus der Illegalität bahnte.
Auch die Landwirte erhielten Hilfsangebote. Rein wirtschaftlich betrachtet, handelt es sich bei Koka-Pflanzen nämlich um Cash Crops. Sie sind anspruchslos im Anbau und ermöglichen bis zu sieben Ernten im Jahr. Zudem gibt es eine Absatz-Garantie, ohne dass die AnbauerInnen dafür lange Lieferwege durch kaum erschlossene Gebiete in Kauf nehmen müssten. „Koka ist das einzige Produkt, das man aus dem Gebiet bekommt, in dem es angebaut wird. Mit anderen Produkten kann man gute Ernten erzielen, aber der Transport zum Markt ist so teuer, dass man einen Verlust macht“, erklärte der Sprecher einer lokalen FarmerInnen-Gruppe (13). So boten die Gewächse den Bauern und Bäuerinnen dann ein auskömmliches Leben und ihren Kindern eine Zukunftsperspektive, denn die Einnahmen reichten, um in die Ausbildung des Nachwuchses zu investieren. Andererseits fanden sich die „Cocaleros“ durch die Plantagen in der Gewalt-Ökonomie des Drogenhandels wieder. Sie gerieten zwischen die Fronten des „War on Drugs“, die nicht nur zwischen den Strafverfolgungsbehörden auf der einen und FARC, ELN und Paramilitärs auf der anderen Seite verliefen, sondern auch zwischen den einzelnen Gruppen selbst, da diese teilweise heftige Revier-Kämpfe ausfochten. „Koka brachte bewaffnete Gruppen direkt zu meiner Farm. Zu jedem Zeitpunkt konnten wir in Gefahr sein“, berichtet etwa ein Landwirt (14). Zwangsarbeit, Alkohol und Prostitution erhielten mit dem Kokain ebenfalls Einzug in die Welt der FarmerInnen. Vor allem viele Frauen wollten all das hinter sich lassen.
Den Ausstieg sollte das Substitutionsprogramm „Programa Nacional Integral de Sustitución“ (PNIS) ermöglichen, das unter anderem eine Unterstützung bei der Kultivierung anderer Pflanzen bereithielt. Eine solche hatte zwar schon der „Plan Colombia“ vorgesehen, aber eingebettet in einen kompromisslos geführten „War on Drugs“ wirkte das nur wenig attraktiv. Juan Hugo Torres, damals mit für die „Umschulung“ der „Cocaleros“ verantwortlich, kritisierte deshalb das inkonsistente Vorgehen von ehedem. „Man baut Vertrauen zu den Menschen auf, sie haben Hoffnungen, und dann macht das Sprühen all das zunichte“, so Torres. Und seine Vorgesetzte Alba Lucía Otero pflichtete ihm bei: „Der Staat ist eine Einheit, aber wir arbeiten auf der einen Seite, während diejenigen, welche die Ausräucherung durchführen, auf der anderen Seite arbeiten (15).“
Jetzt aber strebte Santos eine Politik aus einem Guss an. Das PNIS umfasste Kompensationszahlungen zusätzlich zu den Anreizen für Kokaersatz-Pflanzungen und zahlreiche weitere Maßnahmen zur Förderung der rund 200.000 vom Koka-Anbau lebenden Familien. So sah es einen besseren Zugang zu Landtiteln und Krediten sowie Hilfe bei der Vermarktung der Ackerfrüchte vor. Darüber hinaus strebte das PNIS eine Förderung des gesamten ländlichen Raumes an mit Infrastruktur-Projekten, einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung und neuen Bildungsangeboten. Nicht weniger als 36 Gesetzes-Vorhaben enthielt das Paket.

Mangelhafte Umsetzung
Bei der Umsetzung allerdings haperte es, denn die Kosten waren mit mehr als einer Milliarde Dollar immens. Zumal Kolumbien diese fast allein aufbringen musste. Die EU trug rund 200 Millionen Euro bei, aber die USA sperrten sich. Hatte das Land noch Milliarden in den „narco war“ gepumpt, so war ihm der Frieden nichts wert. Die Vereinigten Staaten stuften die FARC nämlich als Terror-Gruppe ein, was jegliche Form von Unterstützung ausschloss. Deshalb floss das Geld an die LandwirtInnen nur spärlich. Bis zum Dezember 2020 hatten erst drei Prozent von ihnen Finanzmittel für legales Saatgut erhalten. Auch die Reformen kamen nicht recht voran. Im August 2020 stand noch die Realisierung von 21 Projekten aus. Überdies verfügte das PNIS kaum über MitarbeiterInnen.
Einen Einschnitt markierte dabei der 7. August 2018, denn da kam Iván Duque an die Macht. Der Rechtskonservative lehnte das Friedensabkommen in der vorliegenden Form ab und wollte es neu verhandeln. Das verhindete allerdings das Verfassungsgericht. Also verlegte sich Duque auf Obstruktionspolitik und fuhr das PNIS-Programm zurück. Statt ursprünglich 188.000 Farmen durften jetzt nur noch 99.000 teilnehmen. Etliche der Bauern und Bäuerinnen hatten da schon ihre Koka-Pflanzen vernichtet und standen auf einmal mit leeren Händen da.
Diese Umstände trugen wesentlich dazu bei, den Erfolg in Grenzen zu halten. Nach Abschluss des Friedensabkommens weiteten sich die Koka-Felder zunächst sogar noch einmal von 146.139 auf 171.495 Hektar aus, weil nicht wenige FarmerInnen auf diese Weise die Kompensationszahlungen zu steigern hofften. Erst ab 2018 schrumpften die Anbau-Flächen wieder. Im Jahr 2019 nahmen sie noch 154.000 Hektar ein. Aber auch andere Faktoren spielten eine Rolle dabei, die Zahlen auf einem hohen Niveau zu halten. So stießen andere Gruppen in das Vakuum, das die FARC hinterließ wie z. B. mexikanische Drogen-Kartelle. Zudem kehrten Tausende FARC-KämpferInnen, enttäuscht vom Deal mit der Regierung, in den Untergrund zurück. Überdies sank der Goldpreis, was dem illegalen Abbau so einiges von seiner Attraktivität nahm und viele wieder oder erstmals zur Koka-Pflanze trieb. Der hohe Dollar-Kurs, der den Bauern und Bäuerinnen mehr Einnahmen für ihre Ernte versprach, tat dann ein Übriges. „Bogotá hat es nicht geschafft, die ökonomischen Grundlagen zu verändern, die Koka – schnell wachsend und für einen loyalen internationalen Markt bestimmt – zu einer so verlässlichen Frucht macht“, resümierte die „International Crisis Group“ (16).
Die USA verfolgten die Aufs und Abs der Koka-Ökonomie genau und sahen Handlungsbedarf. Als Hebel nutzten sie ein 1974 eingeführtes Instrument, das Handelsbegünstigungen und finanzielle Unterstützung von einer Zusammenarbeit in Sachen „Drogen-Bekämpfung“ abhängig machte und das Maß des Wohlverhaltens mittels eines Punkte-Systems taxierte. Die Trump-Administration drohte Juan Manuel Santos mit Abwertung und den entsprechenden ökonomischen Konsequenzen. Um eine solche „Decertification“ zu verhindern, sagte dieser der US-Regierung Anfang 2017 zu, die Koka-Felder um 50.000 Hektar zu dezimieren und schickte Korps aus, um die Plantagen zu zerstören. In Tomaco beschwor dies Mitte Oktober 2017 gewalttätige Auseinandersetzungen mit Bauern und Bäuerinnen herauf, bei denen nach offiziellen Angaben sieben und nach Angaben der LandwirtInnen 16 Menschen starben. „Kolumbianische Sicherheitskräfte ‚massakrieren’ Koka-Bauern unter Druck von Trump“, titelte eine Zeitung (17). Und auch für Ariel Ávila von der FOUNDATION FOR PEACE AND RECONCILATION waren es die Interventionen aus Washington, die zu „einer Radikalisierung der Antidrogen-Politik“ führten. „Der kolumbianische Staat setzt alles daran, sich zu fügen“, kritisierte er und sah das Friedensabkommen gefährdet (18). Eindruck machte das jedoch nicht. Nach neuerlichen Drohungen der US-Regierung im Juni 2018 sagte Santos zu, die Kokain-Produktion binnen fünf Jahren um die Hälfte zu reduzieren. Das Mittel der Wahl dazu: Das Ausbringen von Glyphosat per Drohne. Das sei weniger gefährlich, versicherte Santos, zudem komme eine niedrigere Konzentration zur Anwendung. „Bodentruppen“, die das Herbizid aus Sprühflaschen über die Koka-Pflanzen niedergehen ließen, waren da schon länger im Einsatz.
Und dann kam Duque und kündigte eine Wiederaufnahme der Glyphosat-Flüge an. Der Mahnung Donald Trumps bei einem Besuch des kolumbianischen Präsidenten im Weißen Haus Anfang März 2020: „Sie werden sprühen müssen, sonst bekommen Sie das nicht in den Griff“, bedurfte es da gar nicht mehr (19). Duque nutzte die Zusammenkunft jedoch, um wieder mit der schon obligatorischen Hektar-Zahl aufzuwarten: 130.000 weniger sollten es diesmal bis Jahresende sein.

Massive Proteste
Die Entscheidung des Politikers für den Neustart der „Luftangriffe“ mit dem berüchtigten Pestizid löste massive Kritik aus. So appellierten sieben Sonderberichterstatter der UN an Duque, nicht noch einmal zu der unheilvollen Methode zu greifen, mit der „enorme Risiken“ verbunden wären. Ende April zogen LandwirtInnen vor das Verfassungsgericht in Bogotá. Sie störten den Betrieb mit einer Sitzblockade und übergaben eine von 20.000 Menschen unterzeichnete Anti-Glyphosat-Petition.
Das Menschenrechtsnetzwerk REDHPNA und das Kollektiv ORLANDO FALS BORDA setzen ebenfalls bei der Justiz an. Sie beabsichtigen, das Glyphosat-Comeback auf rechtlichem Wege zu stoppen. Daneben versuchen GegnerInnen des Vorhabens, die Unterstützung der US-amerikanischen Regierung zu gewinnen. 150 ExpertInnen verfassten in der Sache einen Offenen Brief an Joe Biden, und kolumbianische PolitikerInnen wandten sich an den US-Kongress. „Um die Koka-Plantagen in Kolumbien zu zerstören, braucht es mehr soziale Investitionen und keine chemische Kriegsführung“, konstatierten sie in ihrem Schreiben (20).
Auch bei den aktuell in dem Staat stattfindenden Protesten, die sich massiver Gewalt von Polizei und Militär ausgesetzt sehen, verschaffte sich die Ablehnung der Flugzeug-Einsätze Gehör. So beteiligten sich indigene Gruppen an einem landesweiten Streik und forderten die Regierung auf, „das Versprühen von Glyphosat aus der Luft und die Gesundheitsreform zu stoppen und die aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen“ (21).

Und BAYER?
Der Leverkusener Multi wollte sich der Financial Times gegenüber nicht zum neuen Glyphosat-Programm Kolumbiens äußern, da er nicht direkt in die Praxis involviert sei. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte das Unternehmen unmissverständlich auf, das Pestizid für solche Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen. „Der BAYER-Konzern muss sich gerade vor Gericht für die chemische Kriegsführung seiner nunmehrigen Tochter-Gesellschaft MONSANTO in Vietnam verantworten. Er sollte jetzt in Kolumbien keine neue Front eröffnen und deshalb kein Glyphosat an die Regierung Duque liefern“, hieß es in ihrer Presseerklärung. Überdies hat die Coordination den Streikenden und Protestierenden in Kolumbien ihre Solidarität erklärt.
Auch die Bundesregierung muss nach Ansicht der CBG handeln, denn die Sprüh-Flüge widersprechen dem Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land, wie er unter der Überschrift „Das Friedensabkommen mit Leben erfüllen“ formuliert ist. Zudem verletzt der Duque-Plan die Grundsätze der mit Kolumbien geschlossenen „Allianz für Frieden und nachhaltige Entwicklung“, in dessen Rahmen der lateinamerikanische Staat Gelder in Höhe von 535 Millionen Euro erhält. Und die EU sieht die Coordination ebenfalls in der Pflicht, die finanzielle Unterstützung, die sie zur Umsetzung des Friedensabkommens leistet, zu überprüfen. Laut Vertragstext ist nämlich die freiwillige Substitution der Koka-Pflanzen durch andere Gewächse „ein wesentlicher Faktor zur Erreichung der Ziele“ (22). Über die wirtschaftlichen Beziehungen vermag Brüssel ebenfalls Druck auf Duque auszuüben. Darum zählt die CBG zu den MitunterzeichnerInnen einer Petition, die von der EU-Kommission verlangt, das Handelsabkommen mit dem lateinamerikanischen Land so lange auszusetzen, bis „die kolumbianische Regierung nachweislich das Recht auf friedlichen Protest garantieren kann“ und alle anderen Menschenrechte achtet, denn dazu hat diese sich in dem Vertragswerk verpflichtet (23).

(1) Colombia to ban coca spraying herbicide glyphosate; www.bbc.com
(2) Colombia: Background and U.S. Relations, S. 32; www.fas.org
(3) Dario Azzelini: Der Krieg der USA gegen die vermeintliche „Narcoguerilla“; www.nadir.org
(4) ebenda
(5) ebenda
(6) Maurice Lemoine: Krieg den Hütten, Frieden dem Kartell; Le monde diplomatique vom 12.Januar 2001
(7) Adriana Camacho, Daniel Mejia: The Health Consequences of Aerial Spraying of Illicit Crops: The Case of Colombia; www.cgdev.org
(8) Maurice Lemoine: Krieg den Hütten, Frieden dem Kartell; Le monde diplomatique vom 12.Januar 2001
(9) Larry Rohter: To Colombians, Drug War Is a Toxic Foe; New York Times vom 1. Mai 2000
(10) Gideon Long: Cocaine: Colombia weighs a new areal war on drugs; Financial Times vom 20. Februar 2021
(11) Carolina Bernal Ibáñez: Glyphosat-Besprühungen in Kolumbien: Die effektivste Methode für Vertreibungen; www.amerika21.de
(12) Rachel Massey: Echoes of Vietnam; www.thirdworldtraveler.com
(13) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 16; www.crisisgroup.org
(14) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 17; www.crisisgroup.org
(15) Larry Rohter: To Colombians, Drug War Is a Toxic Foe; New York Times vom 1. Mai 2000
(16) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 4; www.crisisgroup.org
(17) Colombian Security Forces „Massacre“ Coca Farmers Under Pressure From Trump, The Daily Beast vom 15.10.2017
(18) ebenda
(19) Kolumbien: Nächste Runde im Kampf gegen die Drogen?; www.dw.com
(20) Interim Comission about drug policy; www.cdn77.pressenza.com
(21) Indigenous peoples join the national struggle in Colombia’s strike; Global Voices vom 14. Mai 2021
(22) Final agreement to end the armed conflict and build a stable and lasting peace, S. 106; www.peaceagreements.org
(23) Petition: Aussetzung des Handelsübereinkommens zwischen der EU und Kolumbien

[MaM Paris] Auf den Straßen von Paris

CBG Redaktion

CBG beim „March contre MONSANTO/BAYER et l‘agrochimie“

Dieses Jahr hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN am „March contre MONSANTO/BAYER et l‘agrochimie“ in Paris teilgenommen. Auf der Demonstration am 15. Mai waren trotz strömenden Regens und der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie zeitweise mehr als 1.000 BAYER/MONSANTO-GegnerInnen unterwegs. Ein beeindruckendes Zeichen gegen Konzern-Macht.

Von Marius Stelzmann

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) arbeitet ständig daran, den weltweiten Widerstand gegen BAYER/MONSANTO zusammenzubringen. Als sie anlässlich des Beginns des historischen „Agent Orange“-Prozesses in Frankreich zu möglichen internationalen BündnispartnerInnen Kontakt aufzunehmen versuchte, bekam die Coordination eine Rückmeldung vom COLLECTIF VIETNAM DIOXINE, das hauptsächlich in Frankreich aktiv ist, jedoch auch in Deutschland Mitglieder hat. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die CBG die AktivistInnen des Collectif nicht nur zu den Aktionen rund um die BAYER-Hauptversammlung einladen würde, sondern möglichst auch ihren Kampf vor Ort unterstützen würde. Und beim „March contre MONSANTO/BAYER et l‘agrochimie“ bot sich die passende Gelegenheit dazu, denn das Thema „Agent Orange“ spielte an dem Tag eine nicht unwesentliche Rolle.
Bereits im Vorfeld des Marches war in dem Verfahren gegen gegen BAYER/MONSANTO, DOW CHEMICAL, HERCULES, UNIROYAL und neun weitere Konzerne, die während des Vietnamkrieges Agent Orange produziert hatten, ein Urteil gefallen. Am 10. Mai, dem Montag vor der Demonstration, verkündete das Gericht in Evry nahe Paris, dass es die Klage einer Geschädigten – der mittlerweile 79-jährigen, vietnamesisch-stämmigen Französin Tran To Nga – für unzulässig halte. Es schloss sich damit der Sichtweise der Konzern-AnwältInnen an, die argumentiert hatten, dass die Verantwortung für den Einsatz von „Agent Orange“ alleine bei der US-Regierung in Washington läge und nicht bei den „Lieferanten zu Kriegszeiten“. Dementsprechend erklärte nun das Gericht, dass die Unternehmen „auf Anweisung und im Namen des amerikanischen Staates bei der Vollendung eines souveränen Aktes“ gehandelt hätten.
Auch gegen diese skandalöse Ignoranz gegenüber der Mittäterschaft der BAYER-Tochter MONSANTO sollte an diesem Samstag demonstriert werden: CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann hatte eine Rede vorbereitet, welche diese genau benannte. Schon lange vor dem offiziellen Beginn des Marches begann sich der Plac Stalingrad zu füllen. Es wurden zahlreiche Stände aufgebaut, welche die auf dem Platz flanierenden PariserInnen über das Anliegen informierten. Obwohl an dem Wochenende in der Stadt noch mehrere andere Demonstrationen stattfanden, das Wetter nicht gerade zu politischen Aktionen einlud und die Corona-Pandemie zur Vorsicht zwang, fand sich schnell eine beeindruckende Menge von über 1.000 Personen zusammen. Frankreichweit gab es darüber hinaus noch in 17 anderen Städten kleinere Aktionen und Demonstrationen gegen BAYER & Co.
Tran To Nga eröffnete die Auftakt-Kundgebung auf dem Place Stalingrad. Sie war während des Krieges als Lehrerin und Journalistin tätig und Ende 1966 bei einem Angriff nördlich von Saigon in eine von einem Flugzeug aus versprühte Wolke von Agent Orange geraten. Über die schweren gesundheitlichen Folgen war sie sich damals nicht im Klaren. Ein Kind, welches sie drei Jahre später zur Welt brachte, starb jedoch mit nur 17 Monaten. Vorher hatte sich die Haut in Fetzen von dessen Körper abgelöst. Tran To Nga selber leidet noch heute an den schweren gesundheitlichen Spätfolgen der Besprühung. Brustkrebs, Herzprobleme, Alpha-Thalassämie, Diabetes Typ zwei, hoher Blutdruck und Chlorakne stehen in ihrer Krankenakte.
Von der Gerichtsentscheidung zeigte sie sich unbeeindruckt. In einer kämpferischen Ansprache betonte sie, weiter durch alle Instanzen gehen zu wollen. Noch stärker als bisher sollte in den Prozess die ökologische Dimension des Kriegsverbrechens „Agent Orange“ einfließen. So wolle sie den Begriff „Ökozid“ starkmachen, um das Ausmaß des Schadens für die Umwelt von Vietnam hervorzuheben. 80 Millionen Liter der hochgiftigen Chemikalie waren während des Krieges über Vietnam ausgebracht worden.
Tran To Nga ist ebenfalls Mitglied im Collectif Vietnam Dioxine, welches alte VeteranInnen, die den Vietnamkrieg noch selbst erlebt haben, mit einer jungen Generation neuer AktivistInnen verbindet, die den Kampf um Gerechtigkeit für das Land, aus dem ihre Familien einst nach Frankreich emigrierten, auch als Akt des antikolonialen und antirassistischen Widerstandes begreifen.
Die nachfolgenden RednerInnen vergewisserten Tran To Nga ihre Solidarität und betonten die Wichtigkeit des Prozesses. Offensichtlich war die Demonstration der politische Ausdruck des Kampfes, der in Evry vor Gericht mit rechtlichen Mitteln geführt wurde. Die neokoloniale Dimension des globalen Pestizidhandels thematisierte ein Vertreter des Netzwerkes ZÉRO CHLORDÉCONE ZÉRO POISON, eine Organisation von MigrantInnen aus den französischen Überseegebieten Gouadeloupe und Martinique. Er schilderte die verheerenden Zustände in diesen Regionen, denn Großkonzerne des globalen Nordens wie BAYER nutzen Länder wie Goudaloupe und Martinique als Absatzmärkte für Pestizide, die in der EU schon längst verboten sind. Die Folge: Die EinwohnerInnen leiden massiv unter den gesundheitlichen Folgen dieser Ultragifte. Das Netzwerk und seine AktivistInnen sorgten dann auch noch für ein besonderes Highlight, als die Demo sich nach dem Ende des ersten Redeblocks lautstark in Richtung der Pariser Innenstadt in Bewegung gesetzt hatte. Da schlug nämlich die Stunde für eine Performance. Diese war zu gleichen Teilen Demo-Chor und Gesangsdarbietung und wurde unterstützt von einer eigenen Demoband, deren treibende Rythmen der ganzen Demonstration Energie verliehen.
Die Coordination steuerte zum Erscheinungsbild ihr eigenes Transparent mit dem passenden Slogan „Tod auf den Feldern“ bei. Denn das ist es, was BAYER/MONSANTO Mensch und Umwelt weltweit bringt. Das Transparent trug Stelzmann gemeinsam mit GenossInnen der ASSOCIATION D‘AMITIÉ FRANCO-VIETNAMIENNE, bei denen er auch über das Wochenende untergebracht war.
Im Verlaufe der Demonstration kam es traurigerweise noch zu einem Akt brutaler Polizeigewalt: Die Polizei beschoss die friedlichen AktivistInnen mit Tränengas. Dieses Niveau von Polizeibrutalität schien jedoch niemanden zu überraschen: Spätestens seit den Protesten der „Gilets jaunes“ waren die Menschen in Frankreich wesentlich Schlimmeres gewohnt. Und so ging die Demonstration nach einem kurzen Ausspülen der Augen genauso kraftvoll weiter wie vorher.
Auf der Abschlusskundgebung hielt die CBG eines der Schlussworte. Viele AktivistInnen hatten noch ausgeharrt, da sie gespannt waren, was der internationale Gast zu sagen hatte. In seiner Rede verurteilte Marius Stelzmann zunächst die Polizeigewalt und erklärte dann seine Solidarität mit den kämpfenden Völkern von Martinique und Guadeloupe. Die Vergiftung dieser Länder gehe von der Konzernzentrale in Leverkusen aus. Also, so Stelzmann, sei es notwendig, alle Kräfte zu bündeln, und den Leverkusener Multi direkt vor seiner Haustür mit seinen Verbrechen zu konfrontieren. Dazu lud er unter lautem Jubel der Anwesenden alle Gruppen und Personen vor Ort ein. Auch zeigte er auf, dass BAYER/MONSANTO unter dem Druck der vielen Geschädigten des Konzerns, die ihr Recht geltend machen, wankt. So musste das Unternehmen, vor allem aufgrund „rechtlicher Risiken“ als Folge einer Masse von Schadensersatz-Klagen, Rückstellungen in Milliarden-Höhe bilden und für das Geschäftsjahr 2020 ein negatives Konzern-Ergebnis verkünden. Auch zur aktiven Rolle MONSANTOs bei der Verwendung von Agent Orange als Kriegswaffe nahm Stelzmann Stellung: Bereits seit den 50er Jahren hatte MONSANTO auf das Pentagon eingewirkt, den Einsatz der Substanz zu kriegerischen Zwecken in Erwägung zu ziehen.
Zum Schluss übergab Stelzmann den OrganisatorInnen vom Collectif noch ein symbolisches Geschenk: Ein Transparent der CBG, welches das Glyphosat-Verbrechen anklagt. Mit einem prallen Adressbuch voller französischer Kontakte, um neue Perspektiven des Kampfes bereichert und angespornt durch die Vielfalt der Stimmen gegen den Riesen BAYER/MONSANTO geht die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN durch das hoffentlich weiter kooperationsreiche Jahr.

[Ein Aufrechter] Friedhelm Meyer ist tot

CBG Redaktion

Am 15. Juni 2021 ist der langjährige CBG-Mitstreiter Friedhelm Meyer im Alter von 85 Jahren verstorben

Von Axel Köhler-Schnura

Der Pfarrer Friedhelm Meyer war in der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) seit den frühen Anfängen in den 80er Jahren aktiv. Von dieser Zeit an war Friedhelm bei unzähligen regionalen, überregionalen und internationalen Aktionen des konzernkritischen Netzwerkes dabei. Er hat es aktiv mit aufgebaut und dazu beigetragen, dass die Coordination heute da steht, wo sie steht.
Auch in der Höhle des Löwen, auf den jährlichen Hauptversammlungen des BAYER-Konzerns, stand er immer wieder als Kritischer Aktionär am Mikrofon. Und es war für die Vorstandsriege des Unternehmens immer schon ein besonderes Erlebnis, wenn Friedhelm seine Kanzel mit dem RednerInnen-Pult des AktionärInnen-Treffens vertauschte und wider den Profit predigte.
Der Leverkusener Multi nahm dieses Engagement bei der CBG ebenso wenig hin wie das von Friedhelms Kollegin, der Pfarrerin Friedel Geisler aus Solingen. So drohte er öffentlich, seine damals 170.000 Beschäftigten dazu anzuhalten, keine Kirchensteuer mehr zu zahlen. Die Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland ging sofort vor BAYER auf die Knie und holte den Konzern in die Leitung des Kirchentags in Düsseldorf. Friedel Geisler und Friedhelm Meyer hingegen bekamen heftigen Druck von oben zu spüren.
Auch ansonsten war Friedhelm bei den Kirchen-Oberen nicht eben wohlgelitten. In seiner 35 Jahre währenden Amtszeit in der Düsseldorf-Garather Hoffnungkirche hat sein Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und das (Über-)Leben auf der Erde immer wieder das Missfallen der Kirchenleitung erregt. So z. B. zur alljährlichen Mobilisierung für den Ostermarsch, wenn er die Kirchenglocken in Garath läutete und die Friedensfahne mit der weißen Taube auf blauem Grund auf der Kirchturmspitze hisste.
Nach der Beendigung der aktiven Zeit als Pfarrer in Garath steckte Friedhelm Meyer nicht etwa zurück, sondern vergrößerte seinen Aktionsradius noch. Er arbeitete im Vorstand des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge, bei „Düsseldorf stellt sich quer“, im Düsseldorfer Sozialforum und bei zahlreichen weiteren Initiativen mit. Keine Aktion, keine Demonstration konnte beginnen, bevor nicht Friedhelm auf seinem Fahrrad angeradelt war.
Friedhelm Meyer war Menschenfreund, Familienmensch, Friedensaktivist, Antifaschist, Kapitalismus- und Konzernkritiker und Umweltschützer. Beispielgebend war, dass er Antikommunismus nie Raum gab und sich vehement für den gemeinsamen Einsatz aller ehrlich interessierten Kräfte für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz einsetzte.
Friedhelm Meyer war einer von uns. Wir werden sein Werk ehren und in seinem Sinne weiter wirken. ⎜

[„BAYER liefert nur den Tod“] Interview mit Philippe Piard

CBG Redaktion

Am Pariser „March contre MONSANTO/BAYER et l‘agrochimie“ im Mai 2021 hatte neben der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auch die Initiatve SECRETS TOXIQUES teilgenommen. Sie setzt sich zum Ziel, versteckte giftige Stoffe, welche in als „glyphosatfrei“ deklarierten Pestiziden enthalten sind, sichtbar zu machen. In Frankreich sind glyphosathaltige Pestizide nämlich seit 2019 für den Verkauf an Privatpersonen verboten. BAYER/MONSANTO reagieren darauf mit der Einführung giftiger neuer Formulierungen, deren harmlos klingende Hauptzutat Essig ist. Nicht aufgeführt sind aber weitere Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Arsen. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann sprach mit Philippe Piard über die Arbeit der Organisation.

Könntest Du dich und deine Organisation kurz vorstellen?

Ich bin Philippe Piard, ein Kleinbauer aus dem Süden Frankreichs. Der Verein, dem ich angehöre, heißt SECRETS TOXIQUES (Toxische Geheimnisse, Anm. SWB) Dieser Verein ist ein Dachverband. Ungefähr 30 Gruppen sind zur Zeit Mitglied.

Was motivierte euch, am March teilzunehmen?

Wir sind heute hier in Paris, weil BAYER/MONSANTO ein Symbol ist: ein Symbol für die Vergiftung der Welt, ein Symbol für die Lügen, die man den Leuten über die Ungiftigkeit ihrer Unkrautvernichtungsmittel erzählt.

Seit wann besteht eure Gruppe?

Unsere Gruppe nahm im Dezember 2020 ihre Arbeit auf, als wir eine Anzeige gegen Unbekannt erstatteten, auf Grundlage einer Studie von Prof. Gilles-Éric Séralini und Gerald Jungers, die das Vorkommen von nicht deklarierten Giftstoffen in mehreren Unkrautvernichtungsmitteln ohne Glyphosat als Wirkstoff nachwies (Zum Beispiel in BAYERs ROUNDUP SPEED EVERGREEN, Anm. SWB). Diese Unkrautvernichtungsmittel sollten nur Essigsäure, Pelargonsäure oder Caprinsäure enthalten. Die Studie zeigte jedoch, dass auch Schadstoffe drin waren: Arsen, Blei und andere Schwermetalle, aber auch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. Diese Produkte werden von BAYER, CLEARLAND, COMPO, SOLABIOL u. a. verkauft. Es ist sehr schockierend, diese Schadstoffe in Produkten zu finden, die sicher sein sollen! Also haben wir die Staatsanwaltschaft aufgefordert, Untersuchungen anzustellen und haben Anzeige gegen Unbekannt wegen Etikettenschwindels, Falschdeklaration, Gefährdung des Lebens Dritter und Umweltschädigung erstattet.

Was sind die Ziele der Kampagne, und wie wollt ihr diese erreichen?

Das Hauptziel unserer Kampagne ist es, die Schlupflöcher im System der Bewertung von Pestiziden aufzuzeigen. Wir berufen uns auf ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union, das sich mit den EU-Regularien zur Genehmigung von Pestiziden befasst. Das Gericht sagt uns, wie die Regeln anzuwenden sind. Wir haben den Verdacht, dass die europäische Lebensmittelbehörde EFSA sich nicht an diese hält. Wenn nämlich eine Studie über Pestizide, die neu auf den Markt kommen sollen, korrekt durchgeführt würde, müsste sie zeigen, dass die kumulativen Wirkungen der verschiedenen Schadstoffe im Produkt 1.000 bis 100.000 mal gefährlicher sind als der Wirkstoff, der von der EFSA untersucht wird. Wir haben auch den Verdacht, dass keine Untersuchung der langfristigen Giftigkeit und krebs-erregenden Wirkung des gesamten Inhalts der Produkte durchgeführt wird.Wir werden alles tun, was wir auf dem Gerichtsweg erreichen können, um das Gesetz durchzusetzen, sowohl in Europa als auch in Frankreich. Warum? Weil kein Pestizid auf den Markt und auf die Felder kommen kann, wenn seine tatsächliche Giftigkeit bekannt ist.

Du bist selber Bauer. Wie beeinflusst das deinen Blickwinkel im Kampf gegen BAYER/MONSANTO?

Als Bauer, der seit 16 Jahren biologisch arbeitet, weiß ich, dass es eine andere Art Pflanzen anzubauen und Vieh zu züchten gibt. Leben liebt das Leben. BAYER/MONSANTO liefert nur den Tod. Tod für die Umwelt, Tod für den Bauern, der ihre Pestizide benutzt, Tod für Menschen, die diese ungesunden Lebensmittel essen und verschmutztes Wasser trinken.

Was war für dich heute beim March das Wichtigste?

Für mich war heute der Hauptpunkt zu zeigen, dass wir vereint sind, enschlossen und bereit, unseren Kampf zu gewinnen.

Wie lange seid ihr schon Teil des Bündnisses, das den March organisiert?

Für mich ist es das erste Mal, dass ich am Marsh teilnehme, und ich war sehr stolz darauf, mich zu beteiligen. Für SECRETS TOXIQUES ist es auch das erste Mal – wir sind eine junge Organisation. Aber wir werden nächstes Jahr auch hier sein.

Kannst Du uns von weiteren Konzernverbrechen von BAYER/MONSANTO in Frankreich erzählen?

Das Hauptverbrechen von BAYER/MONSANTO in meinen Augen ist die Lüge, die sie so viele Jahrzehnte lang über die angebliche Unschädlichkeit ihrer Pestizide verbreitet haben. Dieses Verbrechen ist für eine allgemeine Vergiftung unserer Körper, unserer Felder, unserer Natur verantwortlich. Es ist für die Abnahme der Zahl der Vögel, Insekten und Säugetiere verantwortlich. Es ist für die Zunahme der Nervenkrankheiten, Krebs-Erkrankungen und genetischen Störungen verantwortlich. Es ist verantwortlich für die Zerstörung unserer Demokratien durch massives Lobbying mit dem Effekt, dass Menschen das Recht genommen wird, eine gesunde Lebensweise zu wählen.

Was sind deine Forderungen an BAYER/MONSANTO?

Ich fordere sie auf, ihre Verbrechen anzuerkennen, und ebenso fordere ich nichts von ihnen, denn wir brauchen sie nicht.

Hast Du eine Botschaft an die Vorstandsmitglieder von BAYER?

Ja, ich möchte sie fragen, wie sie ihren eigenen Kindern und Enkeln ihre Verbrechen erklären werden, nachdem sie gerichtlich verurteilt worden sind.

Hast Du eine Botschaft an unsere AktivistInnen?

Oh ja, die habe ich! Bitte erhebt Euch und schließt Euch zusammen. Wir können stärker sein als sie, aber wir müssen dafür zusammenstehen. Ihr könnt in eurem Land so etwas wie SECRETS TOXIQUES gründen, Ihr könnt Euch der europäischen Bewegung anschließen, die im Aufbau ist. Ihr könnt bei eurer nationalen Lebensmittelsicherheitsbehörde nach den Produkten fragen, die in der Untersuchung von Séralini und Junger analysiert wurden. Manche von ihnen werden auch in Deutschland verkauft! Dieser Kampf ist unser Kampf, und wir werden gemeinsam siegen!

[Ticker 03/21] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion
BLOCK BAYER in Aktion Der BAYER-Konzern vertreibt in den Ländern der sogenannten Dritten Welt zahlreiche Pestizide, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben. Aus Protest dagegen haben AktivistInnen von BLOCK BAYER am 16. April 2021 zwei Verladestationen des Dormagener Chemie-„Parks“ besetzt, wo der Agro-Riese einige dieser Mittel wie z. B. Probineb produziert. „Es ist ein Skandal, dass ein deutscher Konzern im globalen Süden hochgefährliche Pestizide verkauft, die hier verboten sind. Das wollen wir hier deutlich machen und fordern, dass BAYER die Produktion hochtoxischer Pestizide stoppt“, erklärte eine Sprecherin von BLOCK BAYER. Toxic BAYER 256 Seiten stark ist das Schwarzbuch zu BAYER, das der französische Journalist Martin Boudot verfasst hat. Die ganze Geschichte des Leverkusener Multis floss in „Toxic BAYER“ ein; von den Anfängen über die Mittäterschaft im NS-Staat bis hin zum MONSANTO-Deal reicht der Bogen, den Boudot spannt. Dabei stützte er sich nicht zuletzt auf Informationen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), deren konzern-kritische Arbeit in dem Werk dann auch nicht zu kurz kommt. Patent-Krake BAYER BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe gentechnischer Methoden, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten. Dadurch droht die Kontrolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hände der Agro-Riesen zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert das Europäische Patentamt deshalb in einer Petition dazu auf, keine solchen Schutzrechte mehr zu erteilen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) unterstützt dieses Anliegen und unterzeichnete den Appell. Insgesamt kamen 196.000 Unterschriften zusammen. Mercosur-Abkommen stoppen! Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lehnt den Handelsvertrag ab, den die EU mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abschließen will. Dieser droht nämlich das agro-industrielle Modell in diesen Ländern noch einmal voranzutreiben. Und damit steigen auch die Risiken und Nebenwirkungen dieser Wirtschaftsweise wie mehr Monokulturen, mehr Pestizide und Gentechnik, mehr Vertreibungen von Indigenen und weniger Regenwald, denn die Übereinkunft verspricht den lateinamerikanischen Nationen einen erleichterten Zugang zum EU-Markt für ihre Agrar-Güter. Das wiederum erhöht die Absatz-Chancen und damit auch die Produktion – und die Nachfrage nach Glyphosat & Co. Aber BAYER würde nicht nur davon profitieren, sondern auch von den Gegenleistungen, welche die Mercosur-Mitglieder erbringen müssen, haben diese sich doch zur Senkung der Einfuhr-Zölle für Güter aus Europa verpflichtet. Brüssel erwartet durch die Reduktion der Sätze, die bisher für Autos 35 Prozent des Warenwerts, für Chemikalien bis zu 18 Prozent und für Pharmazeutika bis zu 14 Prozent betrugen, Einsparungen von rund vier Milliarden Euro für die EU-Unternehmen. Grund genug also für den Leverkusener Multi, trotz der desaströsen Folgen des Abkommens für Mensch, Tier und Umwelt für eine Unterzeichnung zu streiten. Und Grund genug für die CBG, Mercosur abzulehnen und den entsprechenden Aufruf des SEATTLE TO BRUSSELS NETWORK zu unterzeichnen. Hormongifte stoppen! Viele Pestizide von BAYER wie z. B. ARENA C, BALET oder CONSENTO wirken hormon-ähnlich und zählen deshalb zu den sogenannten endokrinen Disruptoren (EDCs). Diese können den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln und Krankheiten wie Krebs oder Diabetes auslösen. Darum appellierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gemeinsam mit den Gruppen HEJSUPPORT, WOMEN ENGAGE FOR A COMMON FUTURE (WECF) und dem PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN), welche die Initiative gestartet hatten, an die Bundesregierung, endlich zu handeln. „Das Fehlen dringend nötiger politischer Maßnahmen und der offensichtliche Schutz der Interessen einer starken Chemie-Industrie gefährden die Gesundheit jetziger und künftiger Generationen. Hier kann die Politik nicht tatenlos zusehen. Sie hat eine Verantwortung für die BürgerInnen, die sie erfüllen muss“, so Johanna Hausmann von WECF. Glyphosat stoppen! Die kanadische Grünen-Politikerin Jenica Atwin hat eine Initiative zum Stopp von Glyphosat ins Leben gerufen und einen Gesetzesvorschlag ins Parlament eingebracht. „Dieser Erlass ändert den Pest Control Products Act, um die Herstellung, den Besitz, die Handhabung, die Lagerung, den Transport, den Import, den Vertrieb und die Verwendung von Glyphosat zu verbieten“, heißt es in der „Bill C-285“. Dabei ist Atwin bewusst, dass sie einen langen Weg vor sich hat. „Es geht gegen die großen Industrien“, sagt sie: „Es wird eine Menge Hürden geben, aber es ist der Beginn einer Diskussion.“

KAPITAL & ARBEIT

Aufsichtsrat bekommt 19 Prozent mehr Der BAYER-Aufsichtsrat hat sich eine gewaltige Lohn-Erhöhung gegönnt. Die Bezüge steigen im Vergleich zu 2017 um rund 19 Prozent. Der oder die Vorsitzende des Gremiums erhält künftig ein Fix-Gehalt von 480.000 Euro, der oder die Vize-Vorsitzende schlappe 320.000 Euro. Das gemeine Aufsichtsratsmitglied kann auf einen Betrag von bis zu 360.000 Euro kommen, die Sitzungsgelder von 1.500 Euro pro Zusammenkunft noch nicht einmal mitgerechnet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Maßlosigkeit in einem Gegenantrag, den sie zur diesjährigen Hauptversammlung einreichte. „Diese Summen sind der arbeitenden Bevölkerung im Allgemeinen und den BAYER-Beschäftigten im Besonderen nicht zu vermitteln“, hieß es darin. Ohnehin liegen beim Leverkusener Multi Welten zwischen den ManagerInnen-Gehältern und denen der ArbeiterInnen und Angestellten. Nach einer Erhebung der „Hans-Böckler-Stiftung“ lag der Verdienst des BAYER-Vorstandsvorsitzenden im Jahr 2017 um den Faktor 58 über dem Durchschnittslohn der Belegschaft. Angehörige der Leitungsebenen strichen 41 Mal so viel ein und die Vorstandsmitglieder 24 Mal so viel. Auf der Hauptversammlung von 2009 hatte eine Vertreterin des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE die Vorstandsriege auf der Hauptversammlung einmal gefragt, ob sie bereit wäre, die eklatante Lohn-Spreizung erst einmal auf den Faktor 20 zurückzuführen. Sie erhielt jedoch eine schnöde Abfuhr. BAYERs damaliger Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Schneider sprach sich vehement gegen solche „statistischen Grenzen“ aus.

POLITIK & EINFLUSS

NRW will Steuer-Wettbewerb Im Jahr 2012 zog der BAYER-Konzern seine Patent-Abteilung aus Leverkusen ab und verlegte sie nach Monheim, das sich ihm mit der niedrigsten Gewerbesteuer ganz Nordrhein-Westfalens als gute Adresse für eine Briefkasten-Firma empfohlen hatte. Damit trat er einen gnadenlosen Unterbietungswettbewerb los. 2019 gab sich dann auch Leverkusen geschlagen. Die Stadt ließ sie sich in Kamin-Gesprächen auf einen Deal mit BAYER ein. Der Pillen-Produzent sagte die Rückverlagerung von Teil-Gesellschaften zu und erhielt im Gegenzug Hebe-Sätze auf Monheim-Niveau. Mit diesen Tarifen ging die Kommune sogar auf Werbetour und versuchte, Unternehmen aus dem Umland zu akquirieren. Das wiederum nahm die Landes-SPD zum Anlass für eine Kleine Anfrage im Landtag. „Wie will die Landesregierung den Gewerbesteuer-Kannibalismus verhindern?“, wollte sie wissen. Die Antwort lautete zusammengefasst: Gar nicht. Das Land NRW sieht anders als Brandenburg, wo Gemeinden mit hohen Gewerbesteuer-Einnahmen eine Umlage zahlen müssen, keinerlei Anlass, den ruinösen Konkurrenz-Kampf der Städte und Gemeinden um Industrie-Ansiedlungen zu beenden. Es benennt den Grund für die Misere von BAYERs Stammsitz zwar eindeutig: „Der Rückgang in Leverkusen stand in Zusammenhang mit dem vollständigen Verlust der Steuer-Einnahmen von dem bis dahin größten Gewerbesteuer-Zahler infolge der gezielten Verlagerung ausgewählter Geschäftsbereiche dieses Betriebs“, will aber nicht an der Ursache ansetzen. Stattdessen unterstützen CDU und FDP Leverkusen bei der Kapitulation vor dem Kapital bzw. dabei, „den Standort auch im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig zu machen und dadurch einerseits Steuer-Erträge ihres größten Gewerbe-Betriebs zurückzuerlangen und andererseits die bereits kommunizierte Abwanderung anderer Großsteuerzahler abzuwenden.“ Für immer virtuelle HVs Schon lange vor Corona hatten BAYER & Co. mit der Abkehr von Präsenz-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit, ihre AktionärInnen-Treffen online abhalten zu können, was BAYER als erster DAX-Konzern nutzte. Nun will die Politik den Unternehmen die Flucht ins Internet dauerhaft ermöglichen. Im Juni 2021 fasste die Konferenz der JustizministerInnen der Länder einen entsprechenden Beschluss. An das Justizministerium erging der Auftrag, dafür ein Gesetz zu erarbeiten. „Unser Aktienrecht braucht mehr digitalen Schwung“, meinte der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) und konstatierte: „Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass Hauptversammlungen auch virtuell gut abgehalten werden können.“ Ein bisschen weniger Glyphosat Gegen einen Glyphosat-Stopp vor dem Auslaufen der EU-Zulassung Ende 2023 hatte die Große Koalition sich schon im September 2019 ausgesprochen. Sie gab sich mit einer Minderungsstrategie zufrieden. Für diese ließen sich die PolitikerInnen dann zu allem Übel auch noch Zeit bis kurz vor Toresschluss der Legislatur-Periode. Überdies fielen die Regelungen äußerst bescheiden aus. SPD und CDU verabschiedeten diese im Rahmen des Insektenschutz-Gesetzes. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für die Anwendung im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fällt. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid bis 2024 erlaubt. Erst dann erfolgt das Aus – und das auch noch unter Vorbehalt. Wenn die EU Glyphosat bis dahin nämlich nicht aus dem Verkehr zieht, wackelt auch der Beschluss der Bundesregierung. „Sollten sich in diesem Zusammenhang Änderungen der Dauer der Wirkstoff-Genehmigung ergeben, ist das Datum des vollständigen Anwendungsverbots gegebenenfalls anzupassen“, hält die „Pflanzenschutzanwendungsverordnung“ fest. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte weisen ebenfalls starke Mängel auf. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch zunahmen. So sicherten sich die Länder Öffnungsklauseln. Zudem drückte die CDU einen „Erschwernisausgleich Pflanzenschutz“ durch, der den LandwirtInnen den Spritz-Entzug durch Zahlungen in Höhe von 65 Millionen Euro erleichtert.

Lieferketten-Gesetz verabschiedet

Die Lieferketten BAYERS erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi seine Arznei-Grundstoffe zu einem guten Teil aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei zunächst davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne ausüben und setzte auf Freiwilligkeit. Sie hob den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe und machte sich daran, erst einmal ein Lagebild zu erstellen. Dazu startete die Große Koalition eine Umfrage unter den Betrieben und bat um Informationen darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollte sie dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Nur ein Bruchteil der angeschriebenen Firmen antwortete überhaupt, und von diesen genügte bei der Beschaffung kaum eines den sozialen und ökologischen Anforderungen. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Und den bereitete die Politik dann auch vor, was die Industrie-VertreterInnen in Panik versetzte. „Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmen verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, was sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“, echauffierte sich etwa der damalige Präsident der „Bundesvereinigung der Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), Ingo Kramer. In der Folge taten die LobbyistInnen der Industrie alles, um das Schlimmste zu verhindern. Sie mahnten eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnten eine Haftungsregelung vehement ab. Schlussendlich konnten sie sich damit durchsetzen. Im jetzigen Paragrafen-Werk fehlt beides. Dem Leverkusener Multi dürfte es daher erspart bleiben, mit einer Klage von solchen InderInnen oder ChinesInnen konfrontiert zu werden, die in den Hot Spots der globalen Pharma-Produktion leben und unter den gesundheitlichen Folgen leiden. Dazu liegen nämlich zu viele Zwischenhändler zwischen BAYER und den Arznei-Produzenten vor Ort. Zudem müssten die Betroffenen in Deutschland noch eine Nichtregierungsorganisation finden, die in ihrem Namen vor Gericht zieht und so eine „Prozess-Standschaft“ wahrnimmt. Eine Möglichkeit, direkt Ansprüche anzumelden, lässt das Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz den Geschädigten nämlich nicht „Eine Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz begründet keine zivilrechtliche Haftung“, heißt es auf Drängen der Konzerne nun im Paragraf 3, Absatz 3. Milliarden-Amnestie für BAYER & Co. Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage gilt der Förderung alternativer Energien. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken, die sich pro Gigawatt-Stunde auf rund 64.000 Euro belaufen. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen vor einiger Zeit verklagt. Der Leverkusener Multi, der Betrugsvorwürfe „entschieden“ zurückweist, sah sich mit immensen Nachforderungen konfrontiert und schickte ein Hilfe-Ersuchen nach Berlin. Fast 20 solcher Schreiben von Unternehmen gingen bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein. Und die Briefe zeigten Wirkung. Das Bundeswirtschaftsministerium fügte ins „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ von 2021 den Paragrafen 104 ein, der BAYER & Co. die Möglichkeit einräumt, mit den Übertragungsnetzbetreibern einen Vergleich zu schließen. „Eine Milliarden-Amnestie für Konzerne“ nannte der Spiegel das. Kein Unternehmensstrafrecht „Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Sogar höhere Strafen für Multis planten die Parteien: „Die geltende Bußgeld-Obergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig.“ Und wirklich nahm auch alles seinen parlamentarischen Gang. Mitte 2019 veröffentlichte das Justizministerium erste Vorschläge und im Weiteren zwei ReferentInnen-Entwürfe. Im Juni 2020 kam dann der Gesetzesentwurf der Bundesregierung – und dann nichts mehr. Der Lobby-Druck von BAYER & Co. brachte die CDU zum Umfallen. Sie trug das Vorhaben nicht mehr mit, was Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erboste: „Das ist ein Bruch des Koalitionsvertrags, für den mir jedes Verständnis fehlt. Das zeigt, wie wenig die CDU aus Skandalen gelernt hat.“ So braucht der Leverkusener Multi auch künftig bei Abrechnungsbetrügereien mit falschen Arznei-Rechnungen (siehe RECHT & UNBILLIG), Preisabsprachen, unlauterer Werbung oder der Vermarktung gefährlicher Produkte die Macht des Gesetzes nicht allzu sehr zu fürchten. Hickhack um Hartwig BAYERs langjähriger Chef-Jurist Roland Hartwig sitzt heute für die AfD im Bundestag. Er gehört zu den vier stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion und hat keine Berühungsängste mit extrem rechten Positionen. So hielt er im Juni 2019 eine Rede beim „Staatspolitischen Kongress“, einer Veranstaltung des von Götz Kubitscheck und Karlheiz Weißmann gegründeten braunen Thinktanks „Institut für Staatspolitik“. Ende 2020 musste Hartwig den Vorsitz der „Arbeitsgruppe VS“ abgeben, welche die Aufgabe hat, die Partei aus dem Visier des Verfassungsschutzes zu bugsieren. Der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen veranlasste seine Ablösung, nachdem der EX-BAYER ihn für die Aussage kritisiert hatte, nicht alle AfDlerInnen stünden auf dem Boden der Verfassung. Auf Initiative Björn Höckes fasste der AfD-Bundesparteitag im Frühjahr 2021 allerdings den Beschluss, den Juristen wieder in Amt und Würden zu bringen. Der Bundesvorstand lehnte das – gegen die Stimmen von Alice Weidel, Tino Chrupalla, Stephan Brandner und Stephan Protschka – jedoch ab.

DRUGS & PILLS

DUOGYNON-Studie erst 2022 Ein hormoneller Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das unter den Namen DUOGYNON und PRIMODOS vertriebene Medizin-Produkt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Geschädigte oder deren Eltern fordern den Leverkusener Multi seit Jahren auf, die Verantwortung dafür zu übernehmen, bislang allerdings vergeblich. „BAYER schließt DUOGYNON als Ursache für Missbildungen aus“, erklärte der Global Player auf der jüngsten Hauptversammlung. Die Bundesregierungen jedweder Couleur sahen ebenfalls keinen Handlungsbedarf. In England hatten die Betroffenen mehr Erfolg. Die Politik gab einen Untersuchungsbericht in Auftrag, der den Behörden zahlreiche Versäumnisse im Umgang mit den Risiken des Medizinprodukts bescheinigte, woraufhin sich der damalige Gesundheitsminister bei den Geschädigten entschuldigte. Auch die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik versagten. So stand der damals im Bundesgesundheitamt zuständige Referatsleiter Klaus-Wolf von Eickstedt früher selbst in Diensten SCHERINGs und tat in alter Verbundenheit alles dafür, das Mittel auf dem Markt zu halten. Genau diese Machenschaften soll jetzt eine Untersuchung aufklären. Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte eine solche bereits im September 2020 an. Geschehen ist bisher jedoch noch nichts. Darum hakten Bündnis 90/Die Grünen in einer Kleinen Anfrage nach. Zurzeit laufe die Auftragsvergabe, antwortete die Bundesregierung. Die Veröffentlichung der Arbeit kündigte sie für das Frühjahr 2022 an. Die Betroffenen bezog das Gesundheitsministerium bei der Konzeption des Studien-Designs jedoch nicht ein. Das stieß ebenso auf die Kritik der Initiative NETZWERK DUOGYNON wie die Wahl eines geheimen Ausschreibungsverfahrens. ASTEPRO ohne Rezept Nach Meinung vieler ExpertInnen müsste die Rezeptpflicht für viel mehr Medikamente gelten. Nicht wenige der Pharmazeutika, die frei in der Apotheke erhältlich sind, haben nämlich starke Nebenwirkungen und verlangen einen sorgsamen Umgang. Dazu zählen etwa das Schmerzpräparat ASPIRIN oder die Magenarzneien ANTRA und IBEROGAST aus dem Hause BAYER. Die Pharma-Multis versuchen hingegen mit allen Mitteln, den Menschen immer mehr ihrer Produkte auch ohne eine Verschreibung zugänglich zu machen, um den Absatz zu erhöhen. So setzte der Leverkusener Multi das Thema bereits einmal auf die Agenda seiner regelmäßigen Lobby-Runden in Berlin, den „Politik-Lunches“. Mit einem natürlich eindeutigen Ergebnis: „Die Referenten sprachen sich dafür aus, dass die Rahmenbedingungen für einen OTC-Switch (Wechsel von der Verschreibungspflicht zum rezeptfreien Arzneimittel) in Deutschland optimiert werden können.“ Auch in Australien ist da dem Unternehmen zufolge noch Luft nach oben, denn die Aufsichtsbehörden des Landes lehnten einen OTC-Switch seines Potenzmittels LEVITRA ab. Aber dafür konnte der Konzern in den USA jüngst einen Erfolg verbuchen. Für sein Antihistaminikum ASTEPRO, ein Nasenspray für AllergikerInnen, ist künftig keine ärztliche Verordnung mehr nötig. CIPROBAY schädigt Herzklappen Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen auslösen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hinaus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Aorten-Aneurysmen und -Dissektionen – krankhafte Ausweitungen der Hauptschlagader verbunden mit der lebensbedrohlichen Gefahr eines Risses – traten ebenfalls bereits auf. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachten die MedizinerInnen schon. Und jetzt muss der Leverkusener Multi auf seinen Packungsbeilagen noch einen weiteren Warnhinweis ergänzen. Fluorchinolone können nämlich die Herzklappen angreifen. Schlechte Zeiten für YASMIN & Co. Von BAYERs Verhütungsmitteln mit dem Wirkstoff Drospirenon wie YAZ, YASMIN und YASMINELLE geht ein erhöhtes Embolie-Risiko aus (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Während es bei neun bis zwölf von 10.000 Frauen, welche diese Pharmazeutika oder andere der dritten oder vierten Generation gebrauchen, zu Blutgerinnseln kommt, ist das nur bei fünf bis sieben von 10.000 derjenigen Frauen der Fall, die Pillen mit den älteren Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nutzen. Glücklicherweise hat sich das in der Bundesrepublik inzwischen herumgesprochen. Der Versorgungsanteil der Drospirenon-Präparate sank von 2009 bis 2019 von 22 auf zwei Prozent. Auf den übrigen Märkten macht der Leverkusener Multi aber immer noch gute Geschäfte mit den Mitteln. Im Jahr 2020 betrug der weltweite Umsatz mit YAZ & Co. 670 Millionen Euro. Mehr Glaukome durch Kontrazeptiva Durch die Einnahme von Verhütungsmitteln auf Hormon-Basis steigt die Gefahr, an Grünem Star zu erkranken. Forschende der „University of British Columbia“ machten bei Frauen, welche diese Kontrazeptiva nutzten, ein mehr als doppelt so hohes Risiko aus, das Augenleiden zu bekommen, als bei solchen, die nicht zu YASMIN & Co. greifen. Lieferengpässe bei BAYER-Arzneien Der Pharma-Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. BAYER und andere große Unternehmen setzen mehr und mehr auf neue, patent-geschützte Pillen, da diese besonders hohe Renditen versprechen. Bei ihrem nicht so viel Geld abwerfenden Alt-Sortiment rationalisieren die Konzerne hingegen nach Kräften. So beziehen sie Vor- und Zwischenprodukte zur Wirkstoff-Herstellung und manchmal auch die komplette Substanz zunehmend aus Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien und China. Dort produzieren hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. Damit nicht genug, konzentriert sich die Fabrikation auf immer weniger Anbieter. Und wenn da einmal Störungen im Betriebsablauf auftreten, leiden PatientInnen auf der ganzen Welt unter Lieferengpässen. Seit einiger Zeit passiert das immer häufiger. Im letzten Jahr konnten die Apotheken den PatientInnen 16,7 Millionen Packungen nicht aushändigen. Auch Präparate des Leverkusener Multis glänzen zunehmend durch Abwesenheit, 2021 waren es bisher ASPIRIN i. v. 500 mg, das Herzmittel NIMOTOP, der Gerinnungshemmer XARELTO und das umstrittene Verhütungsmittel YASMINELLE (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Die Produktion des Mittels BAYOTENSIN zur Akutbehandlung eines hohen Blutdrucks stellte der Konzern ganz ein. Für die Spezial-Behältnisse, in die der Wirkstoff abgefüllt war, gab es dem Unternehmen zufolge nämlich keine Lieferanten mehr. Globale Pharma-Lieferketten Die Lieferketten BAYERS im Pharma-Bereich erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi Arznei-Grundstoffe aus Indien und China (s. o.). Dort locken nämlich Standort-Vorteile wie niedrige Herstellungskosten und laxe Umweltauflagen – mit den entsprechenden Risiken und Nebenwirkungen. Bei der BAYER-Hauptversammlung im April 2021 erfragte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, welche Substanzen genau der Konzern aus diesen Ländern bezieht. Antibiotika und Vorstufen für Röntgen-Kontrastmittel, lautete die Antwort.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat und kein Ende? Im Jahr 2023 läuft in der Europäischen Union die Glyphosat-Genehmigung aus. BAYER und die anderen Hersteller haben jedoch einen Antrag auf eine Zulassungsverlängerung gestellt. Und im Juni 2021 keimte bei ihnen auch Hoffnung auf. Da gab nämlich die sogenannte Bewertungsgruppe für Glyphosat (AGG) ein positives Votum ab. Durch die Behandlung von Pflanzen mit Glyphosat sei kein „chronisches oder akutes Risiko“ für die VerbraucherInnen zu erwarten, hielt die AGG fest. Das Gremium, in dem sich Prüfbehörden-VertreterInnen aus Frankreich, Ungarn, den Niederlanden und Schweden zusammenfanden, kam zu dem Schluss, dass „Glyphosat die Zulassungskriterien für die menschliche Gesundheit erfüllt“. Dementsprechend hieß es dann in der Pressemitteilung der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA: „Eine Einstufung für Keimzell-Mutagenität, Karzinogenität oder Reproduktionstoxizität war nicht gerechtfertigt. Der Vorschlag der vier Mitgliedstaaten beabsichtigt keine Änderung der bestehenden Einstufung.“ BAYER zeigte sich erfreut. Der Bericht bestätige „die Schlussfolgerungen führender Gesundheitsbehörden“, so der Konzern. Trotzdem stehen die Zukunftschancen für das Herbizid nicht eben gut. „Ich glaube nicht, dass es eine ernsthafte Chance für eine Verlängerung der Glyphosat-Lizenz gibt. Dafür ist die politische Stimmung gegen das Mittel zu aufgeheizt“, zitierte das Handelsblatt einen EU-Insider. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird alles in ihren Kräften stehende tun, um es nicht zu einem Temperatur-Abfall kommen zu lassen. Mehr Kindestode durch Glyphosat In Brasilien erhöht sich durch Glyphosat-Rückstände im Wasser die Kindersterblichkeit. Das ergab die Studie „Down the River: Glyphosate Use in Agriculture and Birth Outcomes of surrounding Populations“ von Mateus Dias, Rudi Rocha und Rodrigo R. Soares. Eine Steigerung um fünf Prozent durch das Mittel machten die drei aus, was ein Plus von 503 Sterbefällen pro Jahr ergibt. Auch die Zahl der Frühgeburten und der Babys mit einem niedrigen Geburtsgewicht steigt den ForscherInnen zufolge. Alan Tygel von der brasilianischen PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGROGIFTE UND FÜR DAS LEBEN forderte daraufhin einen sofortigen Vermarktungsstopp. Der BAYER-Konzern sah dafür keinen Grund. Er nannte die wissenschaftliche Arbeit, die im Auftrag der „Latin American and the Caribbean Economic Association“ entstand, „unsolide und schlecht durchgeführt“ und betonte, der Sicherheit bei all seinen Produkten immer die höchste Priorität einzuräumen. Glyphosat schädigt die Darmflora Glyphosat hat das Potenzial, eine Schädigung der Darmflora, eine sogenannte Dysbiose, hervorzurufen. Das ergab eine Analyse von Studien, die Jacqueline A. Barnett und Deanna L. Gibson von der kanadischen „University of British Columbia“ vornahmen. Sogar als Auslöser für Gesundheitsstörungen, die viele MedizinerInnen mit einer Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) in Verbindung bringen, kommt das BAYER-Herbizid nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen in Betracht. „Glyphosat kann eine Rolle bei vielen Krankheiten spielen, die mit der Dysbiose in Zusammenhang stehen, darunter Zöliakie, entzündliche Darm-Erkrankungen und das Reizdarm-Syndrom“, so die Forscherinnen. Damit nicht genug, vermag das Pestizid durch seine Einwirkung auf das Darm-Mikrobiom Barnett und Gibson zufolge auch die psychische Gesundheit zu beeinträchtigen und beispielsweise Depressionen auszulösen. Insektensterben durch Glyphosat BAYERs Pestizid Glyphosat trägt zum Insektensterben bei. Einen neuen Beleg dafür liefert eine Studie, die WissenschafterInnen der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität gemeinsam mit ihren KollegInnen vom „Max-Planck-Institut für chemische Ökologie“ und des japanischen „National Institute of Advanced Industrial Science and Technology“ durchführten. So greift das Herbizid ihren Angaben zufolge ein Bakterium an, das in enger Symbiose mit dem Getreideplatt-Käfer lebt und Schutzfunktionen erfüllt, ohne die das Insekt nicht existieren kann. Dabei halten die ForscherInnen ihren Befund auch übertragbar: „Da wir beobachten konnten, wie Glyphosat die symbiotische Gemeinschaft schädigt, fragten wir uns, ob Glyphosat auch für andere Insekten, die auf ihre mikrobiellen Partner angewiesen sind, eine Gefahr darstellt.“ Glyphosat gegen Koka-Pflanzen Der kolumbianische Präsident Iván Duque plant, die im Jahr 2015 von seinem Amtsvorgänger Juan Manuel Santos gestoppten Flugzeug-Sprüheinsätze mit Glyphosat zur Zerstörung von Koka-Pflanzen wieder anlaufen zu lassen (siehe auch SWB 3/21). Dabei fällt die Bilanz des Chemie-Krieges gegen die Droge verheerend aus, sowohl in gesellschaftlicher und sozialer als auch in gesundheitlicher und ökologischer Hinsicht. Entsprechend groß ist die Empörung im Land. Auch bei den aktuell stattfindenden Protesten, die sich massiver Gewalt von Polizei und Militär ausgesetzt sehen, spielt das Thema eine Rolle. So beteiligten sich indigene LandwirtInnen an einem landesweiten Streik und forderten die Regierung auf, „das Versprühen von Glyphosat aus der Luft und die Gesundheitsreform zu stoppen und die aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen“. Der Leverkusener Multi wollte sich der Financial Times gegenüber nicht zum neuen Glyphosat-Programm Kolumbiens äußern, da er nicht direkt in die Praxis involviert sei. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte das Unternehmen dagegen unmissverständlich auf, das Pestizid für solche Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen. Dicamba: EPA übt Selbstkritik Bei einer internen Revision stellte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA schwere Mängel bei der Dicamba-Zulassung im Jahr 2018 fest. Donald Trump hatte der Behörde gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine neue Führungsspitze verpasst, die sich offenbar massiv in den Prüfungsprozess einschaltete. „In unseren Interviews nannten die Wissenschaftler der Pestizid-Abteilung Beispiele dafür, dass wissenschaftliche Analysen geändert wurden, um die politischen Entscheidungen leitender Beamter zu unterstützen“, heißt es in dem Bericht. So fehlten dann in den Abschluss-Dokumenten plötzlich Passagen über das Gefährdungspotenzial von Dicamba. Auch erhielten die ExpertInnen die Anweisung, sich bei der Sichtung der Unterlagen ausschließlich auf Daten der Hersteller zu stützen. „Die Wissenschaft selber können wir nicht ändern, aber unsere Politik basiert nicht immer auf deren Ergebnissen“, zitiert der Report einen frustrierten EPA-Beschäftigten. Der niederschmetternde Befund veranlasste die AutorInnen der Untersuchung, eine Reihe von Reformen zur Wahrung der Unabhängigkeit der Einrichtung anzumahnen. Aus deutschen Landen Der BAYER-Konzern vertreibt in den Ländern des Globalen Südens zahlreiche Pestizide, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben. Einige dieser Ackergifte stellt er sogar in Deutschland her und exportiert sie dann. So produziert der Global Player in Dormagen den Wirkstoff Probineb und in Frankfurt Indaziflam sowie Ethoxysulfuron.

GENE & KLONE

Schlappe für CUREVAC Der Corona-Impfstoff von BAYERs Kooperationspartner CUREVAC hat bei den klinischen Tests ein enttäuschendes Endergebnis erzielt. Das Gentech-Mittel kam nur auf eine Wirksamkeit von 48 Prozent gegen SARS-CoV-2. ExpertInnen führen das auf die im Vergleich zu anderen Präparaten niedrige Dosierung der Wirksubstanz zurück. Die ForscherInnen hatten bewusst keine höhere gewählt, um das Vakzin nicht so stark wie etwa dasjenige von BIONTECH herunterkühlen zu müssen. Der Leverkusener Multi arbeitete seit Anfang Januar 2021 mit CUREVAC zusammen. Er erklärte damals, „sein Fachwissen und seine etablierte Infrastruktur“ einbringen zu wollen, um der Firma bei der Durchführung der Klinischen Studien, dem Zulassungsprozedere, der späteren Überwachung der Sicherheit des Vakzins sowie bei der Organisation der Lieferkette für die benötigten Zusatzstoffe zur Seite zu stehen. Rund einen Monat später erweiterten die beiden Firmen ihre Verbindung noch einmal. Sie erstreckt sich nun auch auf den Produktionsprozess; BAYER baut dafür zurzeit in Wuppertal Kapazitäten auf. Nun steht allerdings in den Sternen, ob diese überhaupt einmal zum Einsatz kommen werden. Warnung vor EYLEA Das BAYER-Präparat EYLEA zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zu Blindheit führen kann – ist nicht ohne. In einer Fertigspritze verabreicht, erhöht das Gentech-Mittel das Risiko eines Anstiegs des Augeninnendrucks. Die Aufsichtsbehörden haben den Leverkusener Multi deshalb angewiesen, vor dieser Nebenwirkung zu warnen und den ÄrztInnen einen sogenannten „Rote-Hand-Brief“ zuzustellen. Viel Geld für METAGENOMI Die Gen-Scheren, die bei der Gentechnik 2.0 zum Einsatz kommen, schnippeln längst nicht so präzise, wie ihre ErfinderInnen behaupten. Allzu oft kommt es zu so genannten Off-Target-Effekten, also zu Veränderungen der DNA an Stellen, die gar nicht im Visier der ForscherInnen standen. Dem abzuhelfen, hat sich das Start-Up METAGENOMI verschrieben. Es will zielgerichtetere Methoden des Genome Editing auf Basis der CRISPR-Cas-Technik entwickeln und konnte dafür viele Unterstützer gewinnen. BAYER, der Humboldt Fund, HOF CAPITAL und andere Investoren stellten METAGENOMI rund 65 Millionen Dollar zur Verfügung. Neues Gensoja für Brasilien Der BAYER-Konzern bringt in Brasilien ein neues Gensoja auf den Markt. Das Erbgut der Pflanze der Produktlinie ROUNDUP READY 2 XTEND ist so manipuliert, dass das Gewächs sowohl Duschen mit Glyphosat als auch solche mit Dicamba übersteht, wenn diese Herbizide auf den Feldern gegen Wildwuchs zum Einsatz kommen. Und gegen Raupen hat der Konzern die Ackerfrüchte ebenfalls gentechnisch gewappnet. SMARTSTAX-Start mit Gentech 2.0 Der BAYER-Konzern setzt massiv auf die Gentechnik 2.0. Rund 100 Patent-Anträge hat er in diesem Bereich schon beim Europäischen Patentamt eingereicht und bis jetzt sieben positive Bescheide erhalten. 2022 startet der Leverkusener Multi in den USA nun mit der Vermarktung der ersten Pflanze, in der eines der neuen Verfahren zur Anwendung kommt. Der Mais der SMARTSTAX-PRO-Produktreihe wartet nämlich nicht nur mit den üblichen Resistenzen gegen die Herbizide Glyphosat und Glufosinat auf, sondern auch mit der RNAi-Technologie. Mit Hilfe dieser sogenannten Ribonukleinsäure-Interferenz blockiert das Gewächs ein Gen im Erbgut des Maiswurzelbohrers und schützt sich so vor dem Schadinsekt. Ohne Nebenwirkungen geht das allerdings nicht ab: Die Ribonukleinsäure kann mit der Darmflora von Mensch und Tier interagieren, in den Blutkreislauf gelangen und sogar in die Steuerung von Genen eingreifen. Aber BAYER ficht das an. „Uns liegen keine verlässlichen wissenschaftlichen Nachweise dafür vor, dass die sachgerechte Anwendung von Produkten mit einer Wirkungsweise auf RNAi-Basis zu negativen Effekten führt“, erklärte Agrar-Vorstand Liam Condon auf der letzten Hauptversammlung. EU-Parlament gegen Import-Zulassungen Im März 2021 sprach sich das Europäische Parlament gegen Import-Zulassungen für zwei Gen-Pflanzen von BAYER und SYNGENTA aus. Bei der Baumwolle des Leverkusener Multi aus der Produktreihe GHB 614 x T 304-40 x GHB 119 füllte die Mängel-Liste fünf Seiten. Unter anderem machten die PolitikerInnen Fehler bei der Gefahren-Analyse der Laborfrucht aus, die zur Insekten-Abwehr mit gleich zwei Sorten des Bacillus thuringiensis (Bt) bestückt und zudem gegen die beiden Herbizide Glufosinat und Glyphosat resistent ist. So ignorierte die „Europäische Lebensmittelbehörde“ (EFSA) bei ihren Risiko-Prüfungen den Abgeordneten zufolge die Tatsache, dass die Bt-Proteine in der Baumwolle eine viel stärkere Giftigkeit entfalten als in der freien Wildbahn. Sie interagieren nämlich mit den Enzymen der Gewächse. Trotzdem untersuchte die EFSA nur der Bacillus selber. Die Initiative TESTBIOTEST begrüßte die Entscheidung der EU-ParlamentarierInnen: „Damit wächst der Druck auf die EU-Kommission, wesentlich kritischer mit den Prüfberichten der EFSA umzugehen.“ Der Gentech-Schmetterling In Brasilien startet ein Freiluft-Versuch mit gentechnisch veränderten Eulenfaltern. Da sich Raupen dieser Schmetterlingsart zum Verdruss von BAYER & Co. an Mais schadlos halten, haben ForscherInnen der Firma OXITEC in das Erbgut des Spodoptera frugiperda eingegriffen. Um die Bestände der Spezies zu dezimieren, ist es nun so verändert, dass die weiblichen Nachkommen das Larvenstadium nicht überstehen. Der BAYER-Konzern unterstützt das Projekt finanziell, denn sein Gentech-Mais kann sich dieses Wurms nicht mehr erwehren, weil „einige der wirksameren Kontroll-Strategien resistenz-anfällig geworden sind“. Konkret versagt das in den Pflanzen eigentlich für die Schadinsekten-Abwehr zuständige Bt-Toxin zunehmend seinen Dienst. Die Risiken, die mit der Freisetzung der Labor-Schmetterlinge einhergehen, ignoriert der Global Player geflissentlich. Ihm geht es einzig und allein darum, die Profite im Geschäft mit seinen Gen-Pflanzen zu sichern.

WASSER, BODEN & LUFT

Neues Klimaschutz-Gesetz Im März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutz-Gesetz stattgegeben. Die Karlsruher RichterInnen teilten den Standpunkt der BeschwerdeführerInnen, wonach dieses Paragrafen-Werk die grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechte künftiger Generationen ungebührlich einschränke, weil die Bundesregierung diesen die Hauptlast bei der Kohlendioxid-Einsparung aufbürde. „So sind die notwendigen Freiheitsbeschränkungen der Zukunft bereits in den Großzügigkeiten des gegenwärtigen Klimaschutz-Rechts angelegt“, heißt es in der Begründung des Urteils. Darum musste die Große Koalition nachbessern und die Klimaziele verschärfen. Jetzt legte sie sich auf eine CO2-Reduktion von 65 statt wie bisher 55 Prozent bis 2030 fest, ausgehend vom Basis-Jahr 1990. Dementsprechend senkten CDU und SPD die zulässigen Jahres-Emissionsmengen für Gebäude-Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft, Energie-Branche und Industrie ab. Für BAYER & Co. reduzierten sich die Grenzen des Erlaubten gegenüber dem Klimaschutz-Gesetz von 2019 um 22 Millionen Tonnen. 2022 dürfen sie noch 177 Millionen Tonnen ausstoßen und dann sukzessive immer weniger bis 118 Millionen im Jahr 2030. Die im Vergleich zu den anderen Bereichen strengeren Vorgaben für Industrie und Energie hatten Gründe. „Dies folgt einerseits dem ökonomischen Gedanken, dort zu mindern, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind, andererseits sind Industrie- und Energie-Sektor weiterhin die Sektoren mit den höchsten Emissionen“, heißt es im Gesetz. Der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) kritisiert das Paragrafen-Werk. Er vermisste unter anderem Subventionsregelungen, „um Wettbewerbsnachteile auszugleichen“ und politische Weichenstellungen für „günstigen Strom“. Grüne wollen Kampfstoff-Bergung 1,6 Millionen Tonnen Munition, Minen und chemische Kampfstoffe aus zwei Weltkriegen lagern in den Gewässern von Nord- und Ostsee, darunter auch die einst von BAYER entwickelten Substanzen Lost, Tabun und Sarin. Da die Metall-Umhüllung der Chemie-Waffen mittlerweile durchrostet, treten die Gifte aus. Als besonders gefährlich betrachtet das Umweltbundesamt dabei neben bestimmten Arsen-Verbindungen Zäh-Lost, eine Mixtur aus Schwefel-Lost und Verdickungsmitteln. Während sich andere Kampfstoffe im Wasser allmählich zersetzen, behält diese Chemikalie nämlich eine feste Konsistenz und verliert kaum etwas von seiner Wirksamkeit. „Die meisten der bisher bekannten Unfälle mit Kampfstoffen wurden durch Zäh-Lost rund um das Versenkungsgebiet östlich der dänischen Ostsee-Insel Bornholm verursacht, wobei Klumpen von Zäh-Lost in Fischernetze gerieten“, konstatiert die Behörde. Die FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben die Bundesregierung jetzt aufgefordert, endlich etwas gegen die tickenden Zeitbomben in den Meeren zu unternehmen die schon viele Todesopfer gefordert haben. „Munitionsaltlasten in den Meeren bergen und umweltverträglich vernichten“, ist ihr gemeinsamer Antrag überschrieben, mit dem sich der Bundestag Mitte April 2021 befasste. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) begrüßte diesen Vorstoß, trat aber dafür ein, das Verursacher-Prinzip greifen zu lassen und die damaligen Hersteller der Kriegswerkzeuge wie etwa BAYER an der Finanzierung des Unterfangens zu beteiligen. „Die Räumungsarbeiten sind laut FDP und Grünen mit immensen Kosten verbunden. Darum ist es nur recht und billig, BAYER als Pionier auf dem Gebiet der chemischen Kampfstoffe mit zur Kasse zu bitten“, hieß es in der Presseerklärung der CBG. Glyphosat gefährdet Grundwasser Bis zu 50 Prozent des ausgebrachten Glyphosats kann ins Grundwasser gelangen. Das stellte ein ForscherInnen-Team um Andreas Hartmann von der Universität Freiburg und Thorsten Wagener von der Universität Potsdam fest. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass 99 Prozent des Pestizides im Boden versickert. Wie Hartmann und Wagener aber in einem Aufsatz, den die Zeitschrift Proceedings veröffentlichte, darlegen, leiten Risse und Hohlräume in der Erde große Mengen des Mittels bis ins Grundwasser weiter. Wasser-Strategie ohne Plan Der Klimawandel macht Wasser zu einer immer kostbareren Ressource. Das hat auch die Politik erkannt. Im Juni 2021 stellte Bundesumweltministerin Svenja Schulze den Entwurf zu einer nationalen Wasser-Strategie vor, um das Lebenselixier besser zu schützen. BAYER & Co. als die größten Wasserverbraucher und Wasserverschmutzer nahm das 76-seitige Papier dabei allerdings nicht in den Blick. Es führte keinerlei konkrete Vorhaben auf, um das gefährdete Gut vor dem Zugriff der Profit-Interessen zu bewahren, obwohl allein der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020 auf einen Wassereinsatz von 57 Millionen Kubikmetern kam. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte das scharf. „Zunehmende Trockenheitsperioden, eine schwindende Grundwasser-Neubildungsrate, der immense Durst der Konzerne und eine wachsende Schadstoff-Belastung der Gewässer verlangen ein sofortiges gesetzgeberisches Handeln. Dazu kann oder will sich die Umweltministerin aber offensichtlich nicht entschließen. So bleibt es bei bloßer Symbol-Politik“, hieß es in ihrer Presseerklärung. BAYERs großer Durst Der BAYER-Konzern hat einen enormen Wasser-Durst (s. o.) Bei der jüngsten Hauptversammlung erfragte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, wie viel Kubikmeter der kostbaren Ressource die Standorte in Nordrhein-Westfalen verbrauchen. Auf insgesamt 4,4 Millionen Kubikmeter kommen die Niederlassungen in Leverkusen, Wuppertal, Bergkamen und Monheim, bekam die Coordination zur Antwort.

ÖKONOMIE & PROFIT

Rating-Agentur stuft BAYER herab Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Glyphosat-Geschädigten platzen und legte stattdessen einen eigenen Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten vor (siehe RECHT & UNBILLIG). Unmittelbar danach stufte die Rating-Agentur MOODY’S INVESTORS SERVICE die Kreditwürdigkeit des Konzerns von Baa1 auf Baa2 herab. „Die anhaltende Unsicherheit in Bezug auf die abschließende Beilegung von Rechtsfällen gegen BAYER im Zusammenhang mit Glyphosat“, führte sie als einen der Gründe für die Entscheidung an. Auch die hohen Kosten für den Rechtskomplex „Glyphosat“ stellte die Agentur in Rechnung. Zudem zeigte sie sich von den „mittelfristigen Finanzzielen“ des Leverkusener Multis enttäuscht und bewertete die Profit-Aussichten im Agrar-Geschäft wegen des verstärkten Wettbewerbs negativ. Trotz des Verkaufs von Unternehmensteilen, eines kostensparenden Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramms und steigenden Renditen im Bereich „Consumer Health“ kam MOODY’S bei der „Betriebsprüfung“ letztlich „zu Finanzkennzahlen, die nur mit einem Baa2 bewertet werden können“. Hohe Abschreibungen In die BAYER-Bilanz fließt auch der Wert der Zukäufe ein. Dieser sogenannte Goodwill macht beim Leverkusener Multi 118 Prozent des Eigenkapitals aus. Für MONSANTO hatte er den Goodwill allerdings viel zu hoch angesetzt. Die immensen Schadensersatz-Ansprüche in Sachen „Glyphosat“ und schlechte Geschäfte im Agro-Bereich erforderten eine massive Korrektur: 9,3 Milliarden Euro musste der Global Player abschreiben.

RECHT & UNBILLIG

Immer mehr Dicamba-Klagen Neben Glyphosat entwickelt sich für den BAYER-Konzern auch das Herbizid Dicamba, das er hauptsächlich in Kombination mit gentechnisch gegen die Substanz immunisierten Gewächsen anbietet, zu einem Sorgenkind. Der Wind treibt das vom Leverkusener Multi z. B. unter dem Namen XTENDIMAX vertriebene Mittel nämlich zu Ackerfrüchten hin, die dem Stoff nichts entgegenzusetzen haben und deshalb eingehen. 57 Wein-AnbauerInnen und vier WeiterverarbeiterInnen machen wegen dieser Abdrift auf einer Fläche von 1.200 Hektar Schädigungen an Weinreben geltend und fordern eine Kompensation in Höhe von 114 Millionen Dollar plus 228 Millionen Dollar Strafe. Zudem zog ein Imker vor Gericht, weil die chemische Keule seine Bienenvölker dezimierte und der Pflanzen-Kahlschlag den Tieren Pollen und Nektar nahm, sodass die Honig-Produktion einbrach. Zwei weitere Prozesse in Sachen „Dicamba“ laufen bereits seit Längerem. Darüber hinaus schloss der Global Player im Juni 2020 mit rund 170 KlägerInnen einen Vergleich, der ihn zu einer Zahlung von 400 Millionen Dollar verpflichtete. Trotzdem lässt das Unternehmen auf das Ackergift nichts kommen. „BAYER ist von der Sicherheit und dem Nutzen des Herbizids XTENDIMAX überzeugt. Wir werden diese Technologie auch weiterhin verteidigen“, ließ der Gen-Gigant verlauten. Klage gegen Phosphorit-Abbau „Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hochproblematischer Stoff“, sagt die Umwelt-Aktivistin Hannah Connor von der US-amerikanischen Organisation Center for Biological Diversity. Und tatsächlich sorgt das Herbizid sogar schon vor seiner eigentlichen Geburt für so einige Verwerfungen. Der Abbau des Sediment-Gesteins Phosphorit, das BAYER zur Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor benötigt, belastet Mensch, Tier und Umwelt nämlich massiv. So gelangen etwa Schwermetalle und radioaktive Stoffe wie Uran, Radom, Radium und Selen in die Umwelt. Darum fechten mehrere US-amerikanische Umweltverbände die Genehmigung zum Abbau des Phosphorits ein, die BAYERs Minen-Gesellschaft P4 PRODUCTIONS im Jahr 2019 erhielt. Das Center for Biological Diversity, das Western Watersheds Project und die WildEarth Guardians werfen dem „Bureau of Land Management“ vor, bei der Prüfung des Antrages Umweltrichtlinien missachtet zu haben, und reichten Klage ein. Besonders das Selen stellt den Organisationen zufolge eine Bedrohung dar. „Zwischen 1996 und 2012 starben in der Nähe der Phosphorit-Minen im Südosten von Idaho über 600 Stück Vieh an Selen-Vergiftung“, hält die Klageschrift fest. Die Gewässer verseucht das Halbmetall ebenfalls. „Die Selen-Konzentration im Blackfoot-Fluss entspricht schon jetzt nicht mehr den Wasserqualitätsstandards von Idaho. Mehr Selen in fragilen Ökosystemen ist das Letzte, was die Region braucht“, so Chris Krupp von den WILDEARTH GUARDIANS. Erst Anfang März 2021 musste der Leverkusener Multi für Schäden, welche die Phosphorit-Förderung während der 1950er und 1960er Jahre in der inzwischen stillgelegten Ballard-Mine verursachte, eine hohe Summe zahlen (siehe Ticker 2/21). Der Prozess, den die US-amerikanische Umweltbehörde EPA, der Bundesstaat Idaho und eine Gruppe von Indigenen angestrengt hatten, endete mit einem Vergleich, der den Konzern fast 2,5 Millionen Dollar kostete. Ähnliche Verfahren gegen P4 PRODUCTIONS gab es in den Jahren 2011 und 2015. Bienengift-Bann bleibt Im Jahr 1999 begann die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihre Kampagne gegen BAYERs bienengefährliche Pestizide. Es sollte jedoch noch fast 20 Jahre dauern, bis sich der Erfolg einstellte: Im April 2018 verbot die Europäische Union die Wirkstoffe von BAYERs GAUCHO und PONCHO (heute BASF) sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam. Aber die Konzerne gaben sich nicht geschlagen. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGh) war nämlich noch die Klage von BAYER und SYNGENTA gegen das im Jahr 2013 von Brüssel erlassene vorläufige Verbot anhängig. 2018 verloren die Unternehmen in erster Instanz, und Anfang Mai 2021 scheiterte auch das Berufungsverfahren. Entsprechend zerknirscht reagierte der Leverkusener Multi: „BAYER ist enttäuscht darüber, dass die wesentlichen Aspekte dieses Falles vom Gericht nicht anerkannt wurden.“ Allerdings dürfen die Mittel in einigen Teilen der EU per Notfall-Zulassungen weiter ihr Unwesen treiben (s. u.) – und im Rest der Welt sowieso. Klage wg. Vogelschwund Der französische Vogelschutzbund „Ligue de protection des oiseaux“ LPO) hat BAYER und NUFARM verklagt. Der Verband macht den von beiden Unternehmen verkauften Pestizid-Wirkstoff Imidacloprid aus der Gruppe der Neonicotinoide für den Rückgang der Vogel-Populationen verantwortlich und verlangt Reparationszahlungen. Zudem fordert die LPO das Gericht auf, ein Total-Verbot der Agro-Chemikalie zu verhängen und damit die Ausnahmeregelungen des „loi du décembre 2020“ aufzuheben. „Die Neonicotinoide stehen für ein industriell geprägtes Agrarmodell, das unsere Landwirte in eine wirtschaftliche Sackgasse führt und die Vögel auf dem Land hat verschwinden lassen (...) Die Verantwortlichen für diese Katastrophe müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte LPO-Präsident Allain Bougrain Dubourg. Mexiko: Glyphosat-Bann bleibt Im Jahr 2020 hatte die mexikanische Regierung Glyphosat verboten. Der BAYER-Konzern ging gegen die Entscheidung gerichtlich vor, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Auch eine Klage des „National Farm Councils“, einer Vereinigung von GroßagrarierInnen, scheiterte. Kein Glyphosat-Vergleich Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Glyphosat-Geschädigten platzen (siehe auch SWB 3/21). Der Konzern sah keine Chance mehr, den richterlichen Segen für sein Ansinnen zu bekommen, das Herbizid unbegrenzt weiter zu vermarkten, aber für weitere Gesundheitsschäden nur noch begrenzt zu haften. Stattdessen präsentierte der Leverkusener Multi einen eigenen 5-Punkte-Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten. Dieser sieht vor, auf den Packungen des Pestizids statt eines Warn-Labels einen Hinweis auf wissenschaftliche Studien zu Glyphosat anzubringen. Überdies erwägt der Agro-Riese, das Mittel nicht mehr auf dem PrivatkundInnen-Markt anzubieten, da aus diesem Kreis über 90 Prozent der KlägerInnen stammten. Zum Umgang mit künftigen Schadensersatz-Ansprüchen enthält der Plan nichts Konkretes. „Das Unternehmen wird andere Lösungen für potenzielle künftige Klagen zu ROUND UP prüfen“, heißt es lediglich. Niederlage im Fall „Hardeman“ Der Leverkusener Multi hat bisher in allen drei großen Glyphosat-Prozessen Niederlagen erlitten. Den ersten, den Dewayne Johnson gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO angestrengt hatte, musste das Unternehmen sogar schon endgültig verloren geben. Und im Fall „Hardeman“ unterlag der Agro-Riese Mitte Mai 2021 in zweiter Instanz. Dabei hatte sich der Global Player gerade hier Chancen ausgerechnet, denn er konnte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA als Entlastungszeugen aufbieten. Gemeinsam mit dem Justizministerium nutzte die Einrichtung das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht, das es Unbeteiligten gestattet, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, hieß es in dem „Brief of the United States as Amicus Curiae in Support of MONSANTO“, was das Wall Street Journal damals so kommentierte: „Die Trump-Administration stützt BAYER in Herbizid-Verfahren.“ FRAG DEN STAAT vs. BfR Anfang 2019 hatte das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) die Initiative „FRAG DEN STAAT“ verklagt (Ticker 3/19). Die Behörde warf der Organisation vor, mit der Veröffentlichung eines BfR-Gutachtens zu Glyphosat, das diese unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz angefordert und auf ihrer Website veröffentlicht hatte, gegen das Urheberrecht verstoßen zu haben. Das 6-seitige Dokument spielt eine Schlüsselrolle im wissenschaftlichen Streit um das Pestizid. Im Jahr 2015 bewertete die „Internationale Agentur für Krebsforschung“ (IARC) der Weltgesundheitsorganisation das Breitband-Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend“ und setzte sich damit von dem Glyphosat-Prüfbericht des „Bundesinstituts für Risiko-Bewertung“ ab. Die Politik sah Klärungsbedarf und erbat vom BfR eine Stellungnahme. Daraufhin erstellte die Behörde eine ergänzende Expertise. Die Kurzfassung dieses „Addendum I“ ging dann als Handreichung an das Bundeslandwirtschaftsministerium und enthält offenbar so brisantes Material, dass das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ dieses lieber unter Verschluss halten möchte. Aber das gestaltet sich schwierig. Nach Ansicht des Landgerichts Köln kann das Dokument keine Schutzrechte mehr beanspruchen. FRAG DEN STAAT hatte nämlich einfach an UnterstützerInnen appelliert, ebenfalls Anträge zur Einsicht in das Schriftstück nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu stellen. Das geschah 45.000 Mal, auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beteiligte sich damals. Und damit war das Gutachten dann in der Welt. Darüber hinaus deckt die im Urheberrechtsgesetz garantierte Zitat- und Berichterstattungsfreiheit das Vorgehen der AktivistInnen, befanden die RichterInnen im November 2020. Das BfR ging gegen die Entscheidung vor, verlor im Mai 2021 jedoch auch in zweiter Instanz. Pestizid-Kritikerin verurteilt Im Herbst 2020 hatte die französische Initiative ALERTE AU TOXIQUES ein Dossier über Pestizid-Rückstände in französischen Weinen aus der Region um Bordeaux veröffentlicht. Der Befund war alarmierend: In allen der 20 untersuchten Fabrikate fanden sich Ackergift-Spuren. In manchen Flaschen stießen die WissenschaftlerInnen auf bis zu 15 unterschiedliche Wirkstoffe. Sogar das EU-weit verbotene Iprodion – enthalten unter anderem in BAYERs ROVRAL und CHIPCO GREEN – wiesen die ForscherInnen nach. Der Branchenverband CIVB sah seine Umsätze in Gefahr. Deshalb verpflichtete er einen Anwalt, der schon in Diensten von MONSANTO gestanden hatte, und ging gerichtlich gegen die Alerte-Gründerin Valérie Murat vor. In erster Instanz verurteilte das Gericht die Pestizid-Kritikerin zu einer Strafzahlung in Höhe von 125.000 Euro. Murat will den RichterInnen-Spruch jedoch anfechten. Zahlreiche Gruppen stärkten ihr bei dem Prozess mit einer Solidaritätserklärung den Rücken, darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). In Sachen „Agent Orange“ Das im Vietnam-Krieg von den USA als Entlaubungsmittel eingesetzte Agent Orange hat unermessliches Leid über das Land gebracht. Dennoch hat bisher noch noch kein Vietnamese und keine Vietnamesin eine Entschädigung erhalten. Das will die in Vietnam geborene und seit Langem in Frankreich lebende Tran To Nga ändern. Sie berief sich auf ein Gesetz in ihrer Wahlheimat, das die rechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen gestattet, auch wenn diese außerhalb der Grenzen des Staates geschahen, und verklagte die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO sowie dreizehn weitere Unternehmen. „Ich kämpfe nicht für mich selbst, sondern für meine Kinder und die Millionen von Opfern“, sagt die 79-Jährige. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und zahlreiche andere Organisationen unterstützen sie dabei. BAYER hingegen erklärt die Schadensersatz-Ansprüche für unbegründet. Der Konzern behauptet, MONSANTO hätte lediglich als Erfüllungsgehilfe der US-Army agiert, obwohl das Unternehmen mit dem Pentagon bereits seit 1950 in einem regen Austausch über die Kriegverwendungsfähigkeit der „Agent Orange“-Chemikalie 2,4,5-T stand. BAYER-Anwalt Jean-Daniel Bretzner zog schon die Zuständigkeit des Gerichts in Zweifel. Er bestritt ihm das Recht, über die Verteidigungspolitik eines souveränen ausländischen Staates in Kriegszeiten zu richten. Die RichterInnen folgten den Argumentationen von Bretzner & Co. Sie befanden, dass die Firmen „auf Anweisung und im Namen des amerikanischen Staates“ gehandelt hätten und sprachen die Unternehmen frei. Tran To Nga akzeptiert dieses Votum jedoch nicht und kündigte an, in Berufung zu gehen.
  • YASMINELLE-Klage abgewiesen
Ende Juni 2021 hat das Oberlandesgericht Karlsruhe die Klage der Arznei-Geschädigten Felicitas Rohrer gegen den BAYER-Konzern abgewiesen. Die 37 Jahre alte Frau forderte 200.000 Euro von dem Unternehmen, weil sie nach der Einnahme des Verhütungsmittels YASMINELLE eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand erlitten hatte. Diese „Nebenwirkung“ des Medikaments ist seit Langem bekannt. Zudem reicht dem Arzneimittelgesetz eine bloße Kausalitätsvermutung, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Einen exakten wissenschaftlichen Nachweis über eine Kausalbeziehung zwischen einer Arzneimittel-Einnahme und dem Auftreten von Nebenwirkungen zu erbringen, erweist sich nämlich allzu oft als eine unlösbare Aufgabe. Trotz alledem sprach die Richterin den Leverkusener Multi frei. Dessen AnwältInnen war es nämlich gelungen, die Juristin zu überzeugen, dass auch eine lange Flugreise Rohrers den Venenverschluss ausgelöst haben könnte. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Entscheidung scharf. „Das ist ein Skandal-Urteil. In den USA haben bisher schon 12.000 Leidensgenossinnen von Felicitas Rohrer Recht bekommen und insgesamt zwei Milliarden Dollar Schmerzensgeld von BAYER erhalten. Hierzulande aber kuscht die Justiz vor der Macht der Konzerne“, hieß es in ihrer Presseerklärung. Ähnlich reagierte die Klägerin. „Ich bin sehr enttäuscht über dieses Urteil und hätte es so nicht erwartet. Wir werden es nun genau prüfen und schauen, welche weiteren juristischen Schritte möglich sind“, erklärte sie. Da das Gericht eine Revision skandalöserweise nicht zuließ, bleibt Felicitas Rohrer nur noch der Weg, eine Nichtzulassungsbeschwerde einzureichen, um ein endgültiges Schließen der Akte „YASMINELLE“ zu verhindern. LIPOBAY-Klage stattgegeben BAYERs Cholesterinsenker LIPOBAY hat mindestens 100 PatientInnen den Tod gebracht, bis der Konzern ihn im Sommer 2001 vom Markt nehmen musste. In der Folge sah sich das Unternehmen mit einer Unmenge von Entschädigungsprozessen konfrontiert. Derjenige, den der italienische Arzt Roberto Trevisanato führte, zog sich über 20 Jahre hin, bis er im Mai 2021 nun mit einer Verurteilung des Leverkusener Multis endete. Das Gericht bezeichnete die Arznei als gefährlich und warf dem Pharma-Riesen vor, auf den Packungsbeilagen nicht ausreichend vor den Nebenwirkungen gewarnt zu haben. Im Rückblick sagte Trevisanato in einem Interview: „Mein Leben wurde zerstört: Als ich dieses Mittel für zwei Monate einnahm, landete ich für zwei Jahrzehnte in der Hölle.“ BAYER vor Gericht In Italien müssen sich BAYER, NOVARTIS und der Krankenhaus-Konzern SAN DONATO wegen Abrechnungsbetrugs zulasten der öffentlichen Gesundheitssysteme vor Gericht verantworten. Das Hospital hatte beim regionalen Gesundheitsdienst der Lombardei Arznei-Rechnungen der beiden Unternehmen eingereicht, die nicht den wahren Preisen entsprachen, da die Pharma-Riesen SAN DONATO unter der Hand Rabatte gewährten. Auf ähnliche Weise hatte der Leverkusener Multi in Tateinheit mit anderen Pillen-Produzenten, Krankenhäusern, ÄrztInnen und Apotheken Anfang der 2000er Jahre die US-amerikanischen staatlichen Gesundheitsprogramme Medicaid und Medicare geschröpft. Den Einrichtungen, die Bedürftigen Arzneien zur Verfügung stellen, entstand so Jahr für Jahr ein Schaden von rund einer Milliarde Dollar. Im Jahr 2000 zahlte der Global Player dafür 14 Millionen Dollar Strafe und 2003 sogar 250 Millionen Dollar. Ermittlungen wg. Bestechung Der BAYER-Konzern sieht sich in Griechenland mit dem Vorwurf der ÄrztInnen-Bestechung konfrontiert. Er soll von 2005 bis 2008 rund 800 MedizinerInnen mit Sachzuwendungen und Geld-Geschenken von bis zu 20.000 Euro veranlasst haben, Medikamente des Konzerns zu verschreiben. Im Jahr 2015 hat die Staatsanwaltschaft deshalb eine Anzeige erstattet. Über den aktuellen Stand der Ermittlungen liegen keine Informationen vor.