Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Veröffentliche Beiträge von “CBG Redaktion”

[Wasser Wacken] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

Bauern oder BAYER – wem gehört das Grundwasser?

Nächste Runde im Wasserstreit von Wacken

Der kleine Ort Wacken im schleswig-holsteinischen Landkreis Steinburg (Kreisstadt Itzehoe) ist heute eher durch das jährliche Heavy-Metal-Festival und natürlich den dazu gedrehten Dokumentarspielfilm „Full Metal Village” bekannt. Der seit mittlerweile 30 Jahren schwelende Streit um das Wasserwerk in Wacken und die Entschlossenheit einiger Betroffener, sich gegen eine Allianz aus Wirtschaftsinteressen, Verwaltungsapparat und willfährigen Gutachtern zur Wehr zu setzen, verdient aber mindestens dieselbe Wahrnehmung und Anerkennung (siehe SWB 1/06).

Von Thomas Kleineidam

Es ist inzwischen eingetreten, was schon 2005 abzusehen war: Dem Betreiber des Wackener Wasserwerks wurde die wasserrechtliche Bewilligung erteilt, aus den Brunnenfassungen Wacken und Pöschendorf auf die Dauer von 30 Jahren bis zu fünf Millionen Kubikmeter Grundwasser zu fördern1. Diese jährliche Fördermenge ist nach den Erfahrungen der vom Wasserwerksbetrieb geschädigten Landwirte und Hausbesitzer aber viel zu hoch.
Das Wasserwerk in der Gemeinde Wacken wurde im April 1977 in Betrieb genommen, um das Industriegebiet Brunsbüttel an der Elbe und hier vor allem den so genannten BAYER Industriepark2 mit hochwertigem und billigem Brauchwasser zu versorgen. Bereits im Sommer 1979 machten sich die Auswirkungen der Grundwasserentnahme bemerkbar. Die Pumpen in Haus- und Weidebrunnen zogen nur noch Luft, weil der Grundwasserspiegel so stark abgesunken war. Kleine Quellen versiegten und zehn Jahre zuvor verlegte Rohrdränagen blieben trocken. Die Trinkwasserversorgung brach teilweise zusammen und schleunigst wurden die Häuser ans Wasserwerk angeschlossen. Ab 1986 fielen an Gebäuden in mehreren Ortsteilen von Wacken Schäden in Form von Rissen auf.
Ein Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Wasserwerks und der Verursachung von Schäden durch die Absenkung des Grundwassers haben die Wasserwerksbetreiber von Anfang an abgestritten. Viele Betroffene wehrten sich, stellten Entschädigungsanträge und Anträge auf Reduzierung der Fördermengen. Den meisten blieb im Laufe der Jahre die finanzielle “Luft” weg, sie scheuten die hohen und abschreckenden Gerichts- und Gutachterkosten, ließen sich von Drohungen einschüchtern oder konnten einfach nervlich die Verteidigung ihrer Interessen nicht mehr durchstehen.
Einer aber kämpft seit Anfang an, unterstützt von seiner Familie und wenigen Mitstreitern, um eine angemessene Kompensation der Schäden auf seinen Flächen und an seinem Hof sowie um eine Reduzierung der Fördermengen: Landwirt Hans Möller. Die Geschichte des Streits um das Wackener Grundwasser ist zum Teil der Lebensgeschichte der Familie Möller geworden.
Im Jahr 2004 lief die auf 30 Jahre erteilte Bewilligung zur Grundwasserentnahme ab. Daher hatte der Zweckverband Wasserwerk Wacken im Dezember 2003 den Antrag auf Neubewilligung der Grundwasserentnahme in Höhe von 6,2 Millionen Kubikmeter pro Jahr gestellt, davon sollten vier Millionen Kubikmeter aus den Wackener Brunnenfassungen kommen.
Im Erörterungsverfahren 2005 wurden 195 Einwendungen vorgebracht, davon 15 von Trägern öffentlicher Belange und acht Einzeleinwendungen von direkt Betroffenen. Gegenstand waren meist die Absenkung oberflächennahen Grundwassers und die daraus folgenden Gebäude- und Bodenschäden, die durch den Betrieb des Wasserwerks verursacht wurden. Das zuständige Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein (LANU) brauchte zwei Jahre, um die Einwendungen zu prüfen und zu einem Ergebnis zu kommen.
Die Bewilligung vom Juli 2007 liegt mit fünf Millionen Kubikmeter pro Jahr niedriger als die beantragten 6,2 Millionen Kubikmeter. Sie enthält Nebenbestimmungen, von denen einige als Teilerfolg gewertet werden können, wie etwa die Auflage, Bodensackungen und Gebäudeschäden zu untersuchen und in Kontrollmessstellen bestimmte Grundwasserstände nicht zu unterschreiten.
In den Erläuterungen zum Bewilligungsbescheid wird bestätigt, „ ... dass das ... geförderte Grundwasser zwar zu Trinkwasser aufbereitet wird, jedoch zu einem hohen Prozentsatz als Brauchwasser an die Industrie verkauft wird”3. Auch die von den Einwendern nachgewiesene mangelhafte Qualität der Umweltverträglichkeitsstudie und ihrer Rechenspiele wird amtlich bestätigt: „Darüber hinaus wird der Gesamtheit der hypothetischen Grundwasserneubildungsrate die Grundwasserentnahmemenge gegenüber gestellt und vorgerechnet, dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Grundwasserneubildungsmenge für die Entnahme genutzt wird. Dieses ist irreführend.”
Sogar die Absenkung des oberflächennahen Grundwassers und die wichtige Rolle Hans Möllers für die Untersuchungen wird von Amts wegen bestätigt: „Im hydrogeologischen Gutachten wird darauf hingewiesen, dass auf Grund der geringen Datendichte ein Flurabstandsplan für die Gesamtheit des Einzugsgebiets des Wasserwerks nicht erstellt werden kann. ... In Teilbereichen ... ist dieses jedoch möglich, nicht zuletzt, weil hier auf Initiative des Einwenders H. Möller ... ein engständiges oberflächennahes Grundwassermessstellennetz betrieben wird. Das Phänomen der sinkenden Wasserstände ist ... am Beispiel der Messstellenstandorte 24 und 25 dargestellt. ... Diese Wasserstandstrends können nicht auf die Flurbereinigung in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zurückgeführt werden, weil sich die Absenkungen sonst schon früher bemerkbar gemacht hätten. Außerdem reichen die Absenkungen unter Vorflutniveau. ... Der Abwärtstrend ist zweifelsfrei in mehreren Messstellen belegt. Er beträgt im Einzelfall bis zu 1,5 Meter. ... Es kommt hier also zu einer zusätzlichen Absenkung, die ihre Ursache nur in der Grundwasserförderung haben kann.”
Wer allerdings glaubte, nach solchen Erkenntnissen würde die Grundwasserentnahme eingeschränkt, wurde schnell enttäuscht. Die auf den ersten Blick positiv scheinenden Nebenbestimmungen erweisen sich bei näherer Betrachtung als unzureichend. So liegen die Grundwasserstände, die nicht unterschritten werden dürfen, bis zu fünf Meter unter denjenigen, die noch vor Beginn des Wasserwerksbetriebs vorherrschten, also viel zu tief, um Nachteile aus der Grundwasserförderung verhindern zu können. Auch die vorgeschriebenen Untersuchungen dienen nicht dazu, das tatsächliche Ausmaß aller Schäden zu erfassen. So heißt es im Bewilligungsbescheid klipp und klar: „Ziel dieses Bewilligungsverfahrens ist nicht, über etwaige Schäden, die aus dem vergangenen Vorhaben” – gemeint ist die Grundwasserförderung bis 2007 – „herrühren, zu befinden. Um zukünftige Schäden feststellen zu können, muss die derzeitige Ist-Situation dokumentiert werden” 3.
Im Prinzip heißt das nichts anderes, als dass die Betroffenen sich mit den bisher eingetretenen Schäden abzufinden und sie als „Ist-Situation” zum Zeitpunkt der Neubewilligung hinzunehmen haben. Dabei wird unterstellt, es sei möglich, bisher eingetretene und eventuelle zukünftige Schäden eindeutig auseinanderzuhalten. Das ist praktisch ausgeschlossen, weil die bisher eingetretenen Schäden niemals systematisch dokumentiert wurden. Diese technokratische Sichtweise mit der Festlegung eines Datums, an dem bestehende „Altschäden” von neu eintretenden Schäden getrennt werden sollen, hat mit den realen Vorgängen außerhalb der Amtsstuben nichts zu tun.
Das größte Problem ist aber die bewilligte Fördermenge. Alleine in den Wackener Brunnenfassungen dürfen drei Millionen der genehmigten fünf Millionen Kubikmeter gefördert werden. Nach den Erfahrungen von Hans Möller können dort aber nur 1,4 bis maximal zwei Millionen Kubikmeter entnommen werden, ohne die Böden, die Landwirtschaft auf diesen Flächen und Gebäude im Ort zu schädigen.
Folgerichtig haben Möller und andere Betroffene Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid eingelegt. Die amtliche Antwort kam am 19. Dezember 2007: Darin wird der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Im Bescheid an Hans Möller steht, „eine nachteilige Betroffenheit der Widerspruchsführer ist nicht zutreffend, da über die Nebenbestimmungen eine nachteilige Veränderung des Natursystems ... verhindert wird”4. So einfach geht das. Wenn die Behörde Auflagen zur Dokumentation möglicher zukünftiger Schäden macht, dann gibt es von vornherein gar keine Schäden.
Am 21. Januar 2008 hat Hans Möller zusammen mit sechs anderen Betroffenen Klage gegen das LANU und dessen Bewilligung beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Als die Grundwasserentnahme in Wacken 1974 bewilligt wurde, hatten Betreiber und Bewilligungsbehörden an vieles gedacht. Aber dass es Betroffene geben werde, die sich seitdem gegen Schäden durch den Wasserwerksbetrieb ebenso wehren wie gegen die Verschwendung ihres guten Grundwassers durch Brunsbüttels Industrie – das haben sie wohl nicht erwartet. 30 Jahre geht das jetzt und ein Ende ist nicht abzusehen.

ANMERKUNGEN

1LANU: Bewilligung, Aktenzeichen 45-5201.11/61-107 vom 9. Juli 2007 (Wasserrechtlicher Bewilligungsbescheid auf den Antrag des Zweckverbandes Wasserwerk Wacken vom 15. Dezember 2003).
2http://www.brunsbuettel.bayer.de
3LANU: Bewilligungsverfahren Wasserwerk Wacken, Erläuterungen zum Bewilligungsbescheid, 20. Juni 2007.
4LANU: Bewilligung des Rechts zur Grundwasserentnahme durch das Wasserwerk Wacken, Widerspruch von Herrn Hans Möller vom 13. August 2007, Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2007.

Der vorstehende Artikel wurde entnommen aus der Zeitschrift Waterkant, ISSN 1611-1583, Heft 2 / 2008, Seite 24-25, im 24. Jahrgang Zeitschrift für Umwelt + Mensch + Arbeit in der Nordseeregion, herausgegeben vom Förderverein Waterkant (in Gründung), ehemaliges Mitteilungsblatt der AKTIONSKONFERENZ NORDSEE e. V. (AKN), Nachdruck mit Erlaubnis des Autors und der Redaktion.

[Mitbestimmung] STICHWORT BAYER 04/2008

CBG Redaktion

BAYERs Sozialpolitik

„Stimmt die Chemie? Mitbestimmung und Sozialpolitik in der Geschichte des BAYER-Konzerns“ ist der Titel eines dickleibigen Buches, das Manfred Demmer sich genauer angesehen hat.

Die Herausgeber sind Wissenschaftler des „Institut für soziale Bewegungen“ an der Ruhr-Universität Bochum, mit dessen Direktor Klaus Tenfelde an der Spitze, der auch den einleitenden Beitrag über Mitbestimmung und Unternehmenskultur in der Chemieindustrie verfasst hat. Deutlich wird daraus, dass „Mitbestimmung“ den Industriebossen überhaupt nicht schmeckte, durch den Druck der Arbeiterbewegung entstand und heute „nicht nur ‚im Gerede’, sondern ernsthaft gefährdet ist - „jedenfalls in der Wirtschaft, während das Personalvertretungsrecht der Arbeiter, Angestellten und Beamten von Bund, Ländern und Kommunen eher hinter vorgehaltener Hand kritisiert, mancherorts aber auch bereits eingeschränkt wird. Recht besehen, war das immer so. Als in den Jahrzehnten des Kaiserreichs und vor allem mit dem Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst vom Dezember 1916 betriebliche Arbeitervertreter, später dann auch Arbeitnehmer-Vertretungen in den Aufsichtsräten großer Unternehmen, gesetzlich verordnet wurden, haben sich die Arbeitgeber stets energisch dagegen gewehrt. Das gilt auch für die zweite Nachkriegszeit, als die Mitbestimmung mit gewissen Varianten in mehreren gewichtigen Schritten ihre heutige Gestalt annahm.“ (S.26)

BAYER in der IG-FARBEN-Ära
Im Anschluss an diesen ins Thema einstimmenden Aufsatz schreibt der Historiker Paul Erker über „Die BAYER-AG. Entwicklungsphasen eines Chemiekonzerns im Überblick.“ Auf den Seiten 42 bis 45 geht es unter dem Untertitel um „Kooperation, Fusion und relative Autonomie: BAYER in der IG-FARBEN-Ära (1920 bis 1952)“. Dabei ergeben sich dann doch schon einige Fragen. Die durchgängige Darstellung der ökonomischen und wissenschaftlichen Entwicklung bei BAYER erscheint positiv (was durch vielfältige informative Grafiken untermauert wird), wird allerdings nur selten mit Blick auf die damals herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen beleuchtet. So heißt es z.B. angesichts der „BAYER-Kultur“ eines „Primats der Organisation und der Forschung“: „Gleichzeitig jedoch musste BAYER die rüstungs- und kriegwirtschaftliche Ausrichtung des IG FARBEN mitmachen“. Mitmachen? Wer zwang BAYER dazu? Und gab es nicht gerade auch bei BAYER ein großes Interesse, die Früchte zu ernten, die mit Wissen und im Handeln des IG FARBEN-Vorstands um den mit den deutschen Faschisten ausgekungelten Benzin-Deal gesät worden waren? Immerhin erfährt der/die LeserIn in neun Worten, dass diese Ausrichtung der Konzern-Politik „eine tiefe Verstrickung in die Verbrechen des NS-Regimes“ mit sich brachte. Gerne hätte man ja auch erfahren, worin die Ausrichtung und Verstrickung bestanden hat. Hier gibt es dazu jedenfalls keinen Hinweis – vielleicht an anderer Stelle des Buches?
Ab Seite 57 werden in einem Aufsatz „Carl Duisberg und die Anfänge der Sozialpolitik und Mitbestimmung“ behandelt. Unter der Überschrift: „Taktierender Wirtschaftsführer, fürsorglicher Patriarch oder überzeugter Sozialpolitiker?“ begibt sich der Historiker Jürgen Mittag auf eine Spurensuche. Dabei erfährt man interessante Details über Duisberg, der im und nach dem Ersten Weltkrieg zu „einem Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik“ wurde und der für diese „Anstrengungen ein zusätzliches Jahresgehalt von den Farbenfabriken (erhielt).“ (S.63)
Es finden sich auch Hinweise auf Duisbergs Position im Ersten Weltkrieg, in dem er sich vehement für eine Steigerung der militärischen Anstrengungen einsetzte. Er trieb „seine“ Arbeiter zur freiwilligen Meldung für den Kriegsdienst. Hier wäre es natürlich interessant gewesen zu erfahren, was Duisberg unternahm, um die Produktion in den Werken aufrechtzuerhalten. Doch dazu gibt es keinen Hinweis, z. B. auf den Einsatz von belgischen Zwangsarbeitern. Er, der in jenen Tagen eine „stark nationalistische Haltung“ an den Tag legte und dem enger Kontakt mit dem reaktionären Militär Ludendorff nachgesagt wurde, forderte immer wieder „den Kampf siegreich durchzuführen“.

Alles andere als Sozialisierung im Kopf
Dass dieser Wirtschaftsführer dann nach Kriegsende - als die kriegsmüden Massen nach gesellschaftlichen Veränderungen strebten - erkannt hatte, welche Gefahren dadurch entstehen könnten, zeigt seine Mitarbeit in der „Sozialisierungskommission“, wo er natürlich alles andere als „Sozialisierung“ im Kopf hatte. Später entwickelte er als Chef des „Reichsverbandes der Deutschen Industrie“ Pläne, die mithelfen sollten, die Verwertungsbedingungen für das Kapital zu verbessern. (Anmerkung: viele der sozialen Grausamkeiten heutiger „Sozialpolitiker“ könnten von Duisberg abgeschrieben worden sein). Angesprochen wird auch Duisbergs Verhältnis zu den Nazis, das angeblich von „ausgesprochener Kritik“ geprägt gewesen sei. Nach Meinung des Verfassers hat er sich zu Beginn der 20er Jahre zu einem „Vernunftrepublikaner“ gewandelt. Als Beweis wird die Unterstützung Duisbergs für Hindenburg bei der Reichspräsidentenwahl 1932 erwähnt. Dabei sei auch ein namhafter Geldbetrag der IG FARBEN gespendet worden. Dass damals vom „System Duisberg“ Finanzmittel an alle Parteien (außer der KPD) gingen, wird nicht thematisiert. Allerdings liest man dann: „Später zeigte er sich jedoch Plänen der Nationalsozialisten gegenüber aufgeschlossener. Noch im Juni 1933 betätigte er sich als Spendensammler Hitlers.“ (S.65)
Es folgen die betrieblichen „Wohlfahrtseinrichtungen“, die Duisbergs Ruf als sozialer Patron begründeten. In gewissem Maße trifft das Urteil von Ralf Stremmel (1) zu, der dazu feststellt: „Mittags Forschungsergebnis widerspricht immer noch kursierenden Pauschalurteilen über betriebliche Sozialpolitik. Ein wenig verwundert freilich, dass ein weiterer Motivstrang betrieblicher Sozialpolitik im Kaiserreich kaum erwähnt wird: Hatte BAYERs Sozialpolitik nicht auch überbetriebliche gesellschaftspolitische Ziele und Funktionen? Konkret: Ging es nicht auch darum, die Sozialdemokratie einzudämmen?“
Hinzufügen könnte man, dass viele dieser „Wohlfahrtseinrichtungen“ von Duisbergs Nachfolgern auf dem Altar der ungehemmten Profitjagd geopfert wurden – trotz der Proteste vieler BürgerInnen, die an die heutigen Konzernherrn appellieren, das „soziale Werk (!)“ Duisbergs nicht zu schänden. Auch das zeigt, dass das Wissen um die Sozialpolitik von Duisberg & Co. viele Lücken hat, die Veröffentlichungen wie diese wenigstens ein bisschen hätten schließen können.

Nicht ins Stadtarchiv geschaut?
Im Kapitel „Anfänge der Mitbestimmung: Gewerkschaften, betriebliche Sozialpolitik und Arbeitskonflikte in Leverkusen bis 1933/39“ behandelt Werner Plumpe (siehe auch SWB 1/08) die Auseinandersetzungen, welche die Arbeiterbewegung zur Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen führen musste. Im Hinblick auf die 1919 konstituierte Weimarer Republik, die viele Forderungen der Novemberrevolution aufsaugen musste, um revolutionäre Ansätze abzufangen, kommt Plumpe zu der Feststellung, dass es mit dem Betriebsrätegesetz von 1920 „zur Verankerung von Mitbestimmungsrechten in Betrieben (kam), deren Leitungen diese Mitbestimmung gerade nicht wünschten. Die Ablehnung der neuen Regeln durch die Unternehmer war flächendeckend, da man sich (sic!) von einem weit gefassten Mitspracherecht der Belegschaften bestenfalls Zeitverzögerungen und höhere Kosten erwartete, schlimmstenfalls aber eine Fernsteuerung der Betriebe durch betriebsfremde Gewerkschaften und revolutionäre Gruppen befürchtete.“
Die „legalen und legitimen Handlungsmöglichkeiten der Belegschaften, (schränkte das Gesetz), gemessen an den revolutionären Usancen der Jahre 1918 und 1919 drastisch ein.“(S. 91) In den Unterkapiteln – wo auf die Geschehnisse in Leverkusen eingegangen wird – finden sich mancherlei Hinweise, wie der „Generaldirektor“ im Interesse des Kapitals versuchte, die Entwicklung zu beeinflussen und damit letztendlich auch erfolgreich war. Bezüglich der Bewertungen einzelner Vorkommnisse wäre es hilfreich gewesen, wenn der Autor sich auch jener Quelle bedient hätte, die seit fast 30 Jahren im Leverkusener Stadtarchiv einzusehen ist. Rainer Balluff (Schulze) - langjähriger Vorsitzender der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. - hatte damals eine Diplomarbeit unter dem Titel „Die Geschichte der Arbeiterbewegung in Leverkusen in der Weimarer Republik“ vorgelegt, die eine unverzichtbare Quelle für jeden ist, der sich mit der Arbeiterbewegung bei BAYER und in Leverkusen befasst. Eine für 2005 von der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. vorgesehene Veröffentlichung scheiterte bisher aus mancherlei Gründen – jedoch ist sie weiterhin noch vorgesehen.

Entschädigung für Zwangsarbeit?
Valentina Maria Stefanski berichtet über den Einsatz von (polnischen) ZwangsarbeiterInnen bei BAYER. Im Großen und Ganzen gibt sie eine korrekte Beschreibung der Verhältnisse (wie schon in ihrem 2000 erschienenen Buch „Zwangsarbeit in Leverkusen – Polnische Jugendliche im IG- Farbenwerk“), unter denen die ArbeitssklavInnen als Ersatz für die im Krieg befindlichen deutschen Arbeiter den Profit der Farbenwerke erwirtschaften mussten. Dass dies auch heute noch als vollkommen legitim angesehen wird, wurde bei einer Veranstaltung zur ZwangsarbeiterInnen-Entschädigung in Leverkusen deutlich, wo ein Diskutant genau diese Sichtweise vehement verteidigte, um damit die Verpflichtung für eine Entschädigung durch den Konzern in Abrede zu stellen.
Die beiden BAYER-Archivare Hans Hermann Pogarell und Michael Pohlenz behandeln in ihrem Beitrag die „Betriebliche Sozialpolitik in der Nachkriegszeit: Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum hundertjährigen Firmenjubiläum 1963“. Ihren durchaus faktenreichen Streifzug durch die betrieblichen Sozialpolitik (von vielen als „Sozialklimbim“ bezeichnet, der von heutigen Konzerngewaltigen nach und nach abgeschafft wird) von der Improvisation und Mangelverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum systematischen Wiederaufbau der „Wohlfahrtseinrichtungen“ wird man trotzdem als wenig kritische Darstellung bewerten dürfen. Nebenbei wird hier auch eine fragwürdige Geschichtsdeutung sichtbar.

Wer kolportiert hier?
Die Sozialpolitik des Konzerns hatte nach Kriegsende besonders mit den Folgen des von den Nazis und dem sie fördernden Industrie- und Bankenkapital entfesselten Zweiten Weltkriegs zu tun. Um auf ihre Weise deutlich zu machen, wie die Situation war, haben die AutorInnen über die Luftangriffe berichtet. Da heißt es z. B.: „Die Trefferquote der Angriffe war häufig nicht sehr hoch…Allerdings trafen (am 26.Oktober 1944) nur 10 % der 576 Tonnen Bomben die Industrieanlage. Dafür wurden in der Stadt Leverkusen über 2.000 Häuser beschädigt, etwa 130 Menschen getötet und 750 verletzt…Offensichtlich wurde die Betriebsgemeinschaft Niederrhein jedoch nicht absichtlich geschont, wie vielfach geglaubt und bis heute gelegentlich kolportiert wird.“
Kolportiert? Haben denn die BAYER-Archivare nichts von den seit 1929 bestehenden Geschäftsbeziehungen (und Kartellabsprachen) mit der „Standard Oil of New Jersey“ gehört, die auch während des Zweiten Weltkriegs aufrechterhalten wurden? Und glauben die HistorikerInnen des Konzerns, der auch heute noch Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt, dass die damaligen Verantwortlichen tatenlos blieben, wenn Gefahr bestand, dass Bomber kurz vor Kriegsende ihre Werke in Schutt und Asche legen und somit ihre Geschäftsgrundlage zumindest schwer beschädigen könnten? Ihre Erklärung im Buch: „Allerdings spielte neben der mangelhaften Zielgenauigkeit alliierter Bomberpiloten auch die vergleichsweise geringe Intensität der Angriffsbemühungen aufgrund des geringen technischen Werts der Produkte für die Kriegsproduktion eine entscheidende Rolle.“(S.115)
Als vor Jahren Herr Pohlenz bei einer Tagung zum Kriegsende in Leverkusen die gleiche Äußerung zum Besten gab, traf er auf Widerspruch anwesender HistorikerInnen – u. a. auch vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf. Trotzdem kolportiert er seine Auffassung weiter.

„BAYER-Familie“?
Die Jahre vor und nach der Einführung des Betriebsverfassungsgesetzes (1952) untersucht Kirsten Petrak. Sie nennt als Grund für die „gute“ Umsetzung der Mitbestimmung bei BAYER, u. a. das Vertrauensverhältnis zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden Walter Hochapfel und dem Vorstandsvorsitzenden Ulrich Haberland. Allerdings fällt beim Lesen des Beitrags auf, dass es mancherlei Konflikte zu bewältigen gab, die - trotz der „guten Chemie“ zwischen den beiden - durch die Werksleitung ausgelöst wurden.
Der Darstellung von Ruth Rosenberger, seit den 1990er-Jahren seien die Handlungsspielräume der einzelnen Beschäftigten gewachsen und deren direkte Beziehungen zur Geschäftsleitung für die Ausgestaltung von Mitbestimmung bedeutsamer geworden, wird man angesichts aktueller Geschehnisse im Chemiepark (wie ja jetzt die in viele Einzelbetriebe aufgelöste „BAYER-Familie“ heißt, von deren ehemaligen Mitgliedern viele diesen „Park“ nur noch von außen ansehen dürfen ) ebenfalls kräftig hinterfragen müssen.
Am Schluß dieses wissenschaftlichen Teils des Buches untersucht Walther Müller-Jentsch aus soziologischer Sicht jene Entwicklungen, die sich nach dem großen Arbeitskampf von 1971 im Arbeitgeberverband der Chemieindustrie ergaben und die die Politik des Verbandes formten.
Neben den erwähnten WissenschaftlerInnen befassen sich in dem Buch auch „PraktikerInnen“ mit der Thematik. Der ehemalige IG Chemie-Gewerkschafter Karl Otto Czikowski (zugleich Mitherausgeber des Bandes) geht ausführlich und informativ den Wahlperioden, Wahlentscheidungen bei den BAYER-Betriebsratswahlen und ihren handelnden Personen nach. Dabei erfährt man längst Vergessenes, so wie jene Aktion der „staatstragenden Parteien“ SPD, CDU und FDP bei der Betriebsratswahl 1981. (S.207) Dort wurde mit einem Wahlaufruf dieser Parteien Politik in den Betrieb gebracht und Einfluss auf die Wahl genommen. Und lesenswert ist auch der Wahlaufruf der SPD von 1984, in dem die „Forderung nach aktiver Beschäftigungspolitik, nach Arbeitszeitverkürzungen im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit und nach einer Sicherung und Ausweitung der Mitbestimmung“ bekräftigt wird. Weiter heißt es da: „Wachsender Rationalisierungsdruck und die Auswirkungen neuer Technologien auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen machen die Arbeit der Betriebsräte wichtiger denn je.“ (S.209)

Oppositionelle Betriebsratsarbeit
Im Anschluss an diesen Beitrag und fast als Co-Beitrag zu werten, untersucht Stefan Moitra vom „Institut für soziale Bewegungen“ an der Ruhr-Uni in Bochum „Oppositionelle Betriebsratsarbeit bei BAYER: Zwischen parteipolitischer, persönlicher und struktureller Konfrontation.“ In seiner Einleitung macht der Autor sichtbar, dass dieses Thema in der „historischen Forschung“ kaum beachtet wurde. Beginnend mit dem Wiederaufbau des Betriebsrates nach Kriegsende 1945 untersucht Moitra auf fast dreißig Seiten die verschiedenen oppositionellen Betriebsratsgruppen, sowie die teilweise tief reichenden Konflikte innerhalb der Arbeiterbewegung . Dabei wird neben Hinweisen auf die Arbeit heutiger Betriebsratsgruppen wie die „Durchschaubaren“, die „Basisbetriebsräte“ oder die „Belegschaftsliste“ auch an die Herausdrängung der Kommunisten aus dem BAYER-Betriebsrat erinnert: „Als prominentester und langjährigster kommunistischer Arbeitervertreter lässt sich in dem Zusammenhang der Betriebsrat Georg Holdenried beispielhaft betrachten. 1905 geboren und bereits seit 1920 Gewerkschafts-, seit 1928 KPD-Mitglied, saß er unter den Nationalsozialisten mehr als sechs Jahre wegen ‚Vorbereitung zum Hochverrat’ in Haft. Seit 1945 war er Stadtverordneter in Leverkusen, seit 1949 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtages. Schon bei der Konstituierung eines ersten provisorischen Betriebsrates in den ersten Tagen nach Kriegsende gehörte er zum gewerkschaftlichen Kreis um Hochapfel. Bei Betriebsratswahlen erhielt er bei den Arbeitern bis in die 1950er Jahre hinein die größte Stimmenzahl hinter Walter Holzapfel, genoss also innerhalb des Betriebes trotz der von ihm vertretenen politische Richtung einiges Ansehen. In den Protokollen tritt er wenig konfrontativ auf, wenn er auch zum Teil grundsätzliche KPD-Positionen zu vertreten suchte, etwa die Forderung nach verstärktem Osthandel bzw. nach ‚Aufhebung der Exportbeschränkungen nach den Ostländern’.“ (S.223)

Kündigung wegen „Staatsgefährdung“
Die heutigen LeserInnen wundern sich dann bei der weiteren Schilderung, dass und wie in konzertierter Aktion von Betriebsleitung, Betriebsrat und Gewerkschaft dieser verdienstvolle Arbeiterfunktionär – der auch dem Vorstand der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. angehörte – „abgesägt“ wurde. In den damaligen Zeiten des Kalten Krieges wurde mit allen Methoden gegen missliebige BürgerInnen, die sich der Politik der Adenauer-Regierung widersetzten, vorgegangen. Und das waren beileibe nicht nur KommunistInnen. Da wurden zum Beispiel vom „Antikommunistischen Volksbund für Frieden und Freiheit, Betriebsgruppe der Farbenfabriken, BAYER-Werk Leverkusen“ Flugblätter verteilt, die zur „Wachsamkeit“ und zur „richtigen Wahl“ aufriefen.(S.222) Etwa fünfzig Jahre vorher war bei BAYER der „Reichsverband gegen die Sozialdemokratie“ aktiv geworden, wozu der Generaldirektor auch kräftig Geldmittel an den Verband beisteuerte.
Angesichts dieser Praxis des Konzerns wird man in der Annahme nicht fehl gehen, dass auch diese Hetzorganisation Geld vom Konzern bekam. In diesem vergifteten Klima wurde gegen Georg Holdenried der Vorwurf der „Staatsgefährdung“ erhoben. Sein „Verbrechen“: Er hatte GewerkschaftskollegInnen aus der DDR eingeladen. Dabei – und das war der Hauptvorwurf – habe er Adressen von BAYER-Betriebsratsmitgliedern weitergegeben. Dass die Adressen allgemein bekannt waren und dass der Konzern die Adressen an den Arbeitgeberverband weiterreichte – was spielte das für eine Rolle. Holdenried stand unter Anklage der „Staatsgefährdung“. Wie dünn die Anklage war, erwies sich beim Prozess gegen ihn. In einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom 14. September 1954 heißt es: „Der Staatsanwalt wie auch der Verteidiger beantragten Freispruch. Das Gericht erkannte im selben Sinne. In der Urteilsbegründung wurde betont, dass ein Verstoß gegen § 92 (Staatsgefährdung und Nachrichtensammlung) nicht festgestellt werden konnte“.(S.224)

„Ein unerhörter Willkürakt“
In einem „Offenen Brief an die BAYER-Belegschaft“, den Georg Holdenried schrieb, las man zum Freispruch, dass damit der Öffentlichkeit bestätigt wurde, „was viele meiner Kollegen bereits wussten. Meine fristlose Entlassung war ein unerhörter Willkürakt. Ein wohl vorbereiteter Schlag nicht nur gegen meine Person, Euer gewähltes Betriebsratsmitglied, sondern gegen den gesamten Betriebsrat, gegen die Gewerkschaft Chemie, gegen die in der Verfassung verbürgte Meinungsfreiheit, gegen die gesamte BAYER-Belegschaft. Die Direktion will ein abschreckendes Beispiel schaffen. Wird dieser Schlag von der Belegschaft ohne ernsthaften Widerstand hingenommen, so wird die Direktion ermuntert, genau wie im Dritten Reich, bald alle Betriebsabteilungen und Büros von allen „Kritikern“ zu säubern. Der Gesinnungsterror, der Herr-im-Hause-Standpunkt soll alleine bestimmend werden… Kolleginnen und Kollegen! Es gibt nur soviel Demokratie im Lande, wie es Demokratie im Betrieb gibt! Die Unternehmer scheffeln Riesengewinne. Unsere Lohn- und Gehaltserhöhungen sind längst zwingend notwendig Die Konzernherren wehren sich verzweifelt, einer Erhöhung zuzustimmen. Die Arbeitsleistung des Einzelnen ist enorm gesteigert worden. Von Mitbestimmungsrecht im Betrieb keine Spur. In ganz Westdeutschland werden große Lohnkämpfe durchgeführt und zeigen den wachsenden Widerstand der Arbeiterschaft. Auch der Widerstand gegen Adenauers EVG-Wiederaufrüstungspolitik zeigt sich im Volk immer deutlicher. Das Volk will Frieden und die Wiedervereinigung Deutschlands. In dieser Situation holt das Unternehmertum zum Schlage aus und möchte die mutigen Vertreter einer gerechten Sache mundtot machen.“ (S.225)

Kriegsverbrecher im Aufsichtsrat
Um das Bild der damaligen Zeit abzurunden, und weil dies leider in dem Buch fehlt, sei erwähnt, dass zur gleichen Zeit, in der die Repressalien gegen Holdenried (der auch nie rehabilitiert wurde) stattfanden, ein verurteilter Kriegsverbrecher im Aufsichtsrat von BAYER saß. Fritz ter Meer war seit Beginn der IG FARBEN Mitglied des Vorstands dieses Konzerns. Während des Zweiten Weltkriegs war er verantwortlich für den Aufbau des IG-FARBEN-Werks bei Auschwitz, in dem rund 25.000 ZwangsarbeiterInnen den Tod fanden. Im IG-FARBEN-Prozess wurde er am 30. Juli 1948 wegen Plünderung und Versklavung im Zusammenhang mit dem KZ Auschwitz III Monowitz zu sieben Jahren Haft verurteilt. Als er im Prozess befragt wurde, ob er die Versuche an Menschen im KZ Auschwitz für gerechtfertigt gehalten habe, antwortete er, diesen KZ-Häftlingen sei dadurch kein besonderes Leid zugefügt worden, da man sie ohnehin getötet hätte.
Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung im Jahr 1951 wurde er Mitglied im Aufsichtsrat bzw. Aufsichtsratsvorsitzender der Firma BAYER AG. Diese ehrt den ehemaligen Kriegsverbrecher nicht nur durch die Fritz-ter-Meer-Stiftung – heute BAYER-Studienstiftung –, die ChemiestudentInnen durch Stipendien fördert, sondern tat es bis vor kurzem noch an jedem Todestag durch eine pompöse Kranzniederlegung an seinem Grab in Krefeld-Uerdingen. Das Beispiel zeigt, dass der BAYER-Konzern seine Geschichte in der Nazi-Zeit durch weitere wissenschaftliche Untersuchungen aufarbeiten und jegliches Beschönigen und Verschweigen beenden muss.
Immerhin wird man dem Autor des gerade besprochenen Kapitels attestieren dürfen, dass er sich bemühte, die jahrzehntelange oppositionelle Betriebsratsarbeit bei BAYER im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu schildern und auch aktuelle Bezüge herzustellen. „Am Beispiel der KPD-Betriebsräte“ so stellt er abschließend fest, „lassen sich die Hoffnungen der Arbeiterbewegung nach Kriegsende nachvollziehen, die alten Richtungskämpfe zu überwinden und gemeinsame Ziele durchsetzen zu können, was jedoch angesichts des Kalten Krieges zum Scheitern verurteilt war (…) Die Auseinandersetzungen zwischen den an der Belegschaftsbasis orientierten Gewerkschaftern der 1970er Jahre und den Mehrheitsbetriebsräten bzw. der IG CKP (Chemie, Kohle, Pharmazie, Anm. SWB)-Verwaltungsstelle in Leverkusen waren Bestandteil des Kampfes um einen Richtungswechsel innerhalb der Chemiegewerkschaft, in dem sich ‚linke’ Traditionalisten und stärker pragmatisch gestimmte Gewerkschafter gegenüberstanden. Nicht nur in Leverkusen blieben die Vertreter einer traditionellen, konfrontativen Ausrichtung in der Opposition. Mit den „Durchschaubaren“ etablierte sich jedoch bei BAYER eine Gruppe, die es über einen langen Zeitraum vermocht hat, solchen weiter bestehenden oder auch – angesichts der internationalen Umstrukturierungen des BAYER-Konzerns – sich neu entwickelnden kritischen Auffassungen innerhalb der Belegschaft als Sprachrohr zu dienen.“ (S.243)
Werner Bischoff, Hauptvorstandsmitglied der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE und dort zuständig für Tarifpolitik, unternimmt in seinem Beitrag den Versuch „Tarifpolitische Probleme in der Chemieindustrie und ‚bei BAYER’“ zu schildern, wobei er auch auf die Historie zurückgreift. Aktive, an den Interessen der Belegschaft orientierte GewerkschaftInnen dürften hier zu manchen Punkte kritische Anmerkungen machen.
Die „Mitbestimmungs-‚kultur’ bei BAYER in der Praxis: Betriebliche Aus- und Fortbildung“ untersuchen Jörg Feldmann und Uwe Menzen. Wörtliches Fazit der beiden Betriebsräte: „Wenn auch beide Seiten grundsätzlich unterschiedliche Interessen vertreten, zeigt die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Aus- und Fortbildung doch, dass sowohl der Arbeitgeber wie Arbeitnehmer bemüht sind, die Qualifizierungsmöglichkeiten der Mitarbeiter zu fördern. Hier haben sich Formen der Zusammenarbeit herausgebildet, deren Beibehaltung auch in Zukunft eine praktikable Lösung kommender Probleme möglich machen wird.“ ( S.318)

Frauenerwerbsarbeit und Gleichstellungspolitik
Die Betriebsrätin Roswitha Süßelbeck behandelt in ihrem informativen Beitrag die „Frauenerwerbsarbeit und Gleichstellungspolitik bei BAYER im Überblick“. Direkt zu Beginn konfrontiert sie die LeserInnen mit der Haltung Carl Duisbergs, der 1898 schrieb: „Meiner persönlichen Ansicht nach hasse ich überhaupt alles chemisch-weibliche und wünsche, dass die Damen alles andere, nur nicht Chemie studieren, da sie hierzu schlecht geeignet sind.“
In der weiteren Darstellung finden sich Hinweise auf die schlechten Arbeitsbedingungen und langen Arbeitszeiten bei BAYER. Dabei wird auch ein sechswöchiger Streik im Jahr 1904 bei BAYER erwähnt, der „im Sande verlief.“ Die Direktion verlangte von allen ArbeiterInnen die Zusicherung ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer Arbeiterorganisation. Die, die sich weigerten, der Erpressung nachzugeben, flogen. Aber, so stellt die Autorin fest, „Schritt für Schritt wurden soziale Einrichtungen geschaffen, die auch den Familien der Arbeiter zugute kamen.“ Man wird, wie schon oben angedeutet, in diesem Zusammenhang das angebliche soziale Verhalten von Duisberg hinterfragen müssen. Das wird untermauert, bei der Darstellung des nach dem Streik entstandenen „Frauenvereins“, der seine Hauptaufgabe in der Unterstützung von Werksangehörigen sah, wobei die Entscheidungshoheit über „Bedürftigkeit“, wie Süßelbeck feststellt, „letztendlich beim Vorstand der Farbenfabriken“ lag. Auch das 1906 eröffnete Mädchenheim galt als soziale Tat, unterwarf aber dessen Bewohnerinnen Verhaltensregeln, die bei Zuwiderhandlung strenge Maßnahmen nach sich zogen.
In diesem Aufsatz wird auch detailliert die Entwicklung der Frauenarbeit bei BAYER (besonders in der Zeit des Ersten Weltkrieges geschildert: „Von 1914 bis 1917 stieg der Anteil der Frauen von rd. 600 auf rd. 2.200, das heißt von 9.4 % auf fast 25 %“ (S.322). Die Entlohnung war dabei sehr unterschiedlich. Bekam z. B. ein Handwerker im Oktober 1914 0,61 Mark Stundenlohn, so betrug der für Arbeiterinnen 0,31 Mark. Und im Juli 1919 war das Verhältnis noch schlechter: 2,57 Mark zu 1,02 Mark. (S.322) Die Autorin weist auch darauf hin, dass diese Lohndiskriminierung keineswegs eine Erscheinung des Krieges war, sondern in der Weimarer Republik fortgesetzt wurde - „mindestens bis in die 1950er Jahre“.

Kommunisten als erste dran
Nicht schlecht wäre es in diesem Zusammenhang gewesen, wenn die Autorin auch darauf verwiesen hätte, dass sich 1921 Leverkusener BAYER-Beschäftigte in Arbeitskämpfenfür eine Veränderung dieser Lohndifferenz einsetzten, wie auch für den Erhalt des im Gefolge der Novemberrevolution erkämpften Achtstundentages. Die Antwort der Direktion: Aussperrung von 8.300 ArbeiterInnen. Auch zwei Jahre später, im August 1923, standen die BAYER-KollegInnen wieder in einem Arbeitskampf, in dem sie angesichts der Inflation eine „Wirtschaftbeihilfe“ forderten. Antwort der BAYER-Bosse: Polizeieinsätze gegen Streikende. In einem Artikel der Bergischen Arbeiterstimme vom 31.1.1933 hieß es dazu: „Den vereinten Bemühungen der Staatsmacht, der Bürokratie des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund, Anm. SWB) und der Führer der christlichen Gewerkschaft gelang es am 4. Tag die Streikfront zu sprengen.“ Als sich angesichts solcher Erfahrungen die Arbeiter und Arbeiterinnen zu Recht wehrten, ließ die Unternehmerseite die „Unruhestifter“ aus dem Betrieb entfernen. Dass dabei kommunistische Kolleginnen als erste dran waren, erlebte die spätere langjährige Vorsitzende der Kulturvereinigung Leverkusen e.V., Cilly Müller. Sie wurde - nach sieben Jahren Betriebszugehörigkeit - wegen ihres Engagements entlassen. Zur Begründung wurde angegeben, sie sei für die Arbeit „ungeeignet“. Daraufhin sagte sie ihrem Meister: „Dann tut es mir aber leid, dass der Betrieb solange brauchte, um dies festzustellen!“
Doch auch Kollegin Süßelbeck liefert viele Beispiele dafür, wie mühsam sich der Prozess der Emanzipation von Männern und Frauen im Betrieb vollzog. „Langsam bewegte sich der Betriebsrat…“, schreibt sie. Und abschließend: „Mit vielen kleinen Schritten haben wir in den letzten Jahren schon viel erreicht. Aber wir sind auch ungeduldig. Wir wollen mit großen Schritten zum Ziel. Das gelingt nur, wenn die Unternehmensleitung, aber auch unsere Betriebsratskollegen, Gleichstellungspolitik ernst nehmen. Auch in schwierigen Zeiten muss Gleichstellungspolitik eine hohe Priorität haben“. (S.334)
Oliver Zühlke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, der von 1988 bis 1994 Jugend- und Auszubildendervertreter war, liefert anschließend eine „Momentaufnahme betrieblicher und gewerkschaftlicher Jugendarbeit in den 1980er und 90er Jahren“. In einem zweiten Betrag befasst sich der Mitherausgeber des Bandes, Karl-Otto-Czikowski (Gewerkschaftsmitglied seit 1980, seit 1983 bei BAYER im Zentralbereich Personalwesen „administrativ zuständig für die Betriebsräte im Unternehmen“) mit „Angestellten und Angestelltenvertretungen“.
Dabei wird die Diskrepanz zwischen der Zahl der beschäftigten Angestellten und den in der Gewerkschaft organisierten Kollegen deutlich. Nur knapp 21 Prozent waren im Jahre 2000 in der IG BCE organisiert. In der Tat: „Zeit also für eine neue Offensive!“ - Diese wird - so darf man mutmaßen - aber nur dann (und nicht nur für die Angestellten) erfolgreich sein, wenn sie den Interessen der KollegInnen gerecht wird und wenn die Offensive dazu dient, wieder mehr die Basis in die Entscheidungen über ihre Interessen einzubeziehen.

Kein nazifreier Raum
Im Beitrag der beiden Betriebsräte Dimitrios Labrianidis und Alessandro Sandri über die „Interessenvertretung der ausländischen Arbeitnehmer in der BAYER AG“ wird der mühevolle Weg sichtbar, zu einer Interessenvertretung, der schon 1972 rund 10 % der Gesamtbelegschaft ausmachenden BAYER-Werktätigen mit Migrationshintergrund zu kommen. Die mangelnde Präsenz dieses Belegschaftsteils im Betriebsrat habe, neben den Problemen einer damals unerfahrenen ersten Generation mit der Listenwahl, ihre Gründe auch „in der mangelnden Bereitschaft und Weitsichtigkeit der damaligen führenden und verantwortlichen Funktionäre“ gehabt. (S. 367) Bei der Betriebsratwahl im Mai 1972 wurde dann zwar der damals schon bekannte gewerkschaftliche Vertrauensmann Labrianidis in den Betriebsrat gewählt – „prozentual wären allerdings aufgrund der Anzahl der ausländischen Mitarbeiter bei der BAYER AG in Leverkusen fünf BR-Mandate möglich gewesen“. (S.367)
In der Darstellung von „Formen der Betreuung von ausländischen Kolleginnen und Kollegen durch den Betriebsrat“ wird die Vielfältigkeit dieser Arbeit sichtbar. Hier fehlen leider einige Ausführungen dazu, ob und in welcher Weise seitens der BetriebsrätInnen versucht wurde, der immer stärker werdenden Hetze gegen ausländische ArbeiterInnen zu begegnen - zumal ja BAYER kein „nazifreier Raum“ war und ist. Leverkusener Antifaschisten haben sich jedenfalls mit dieser Thematik befasst. Und auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wies schon 2002 darauf hin, dass in den letzten Jahren mehrfach Mitarbeiter des BAYER-Werks Leverkusen offen für rechtsextreme Ziele warben.
Da war z. B. Hans-Dieter Stermann, Sprecher der rechten „Leverkusener Offensive“ oder Dr. Hans-Ulrich Höfs, Abteilungsleiter bei BAYER in Leverkusen und Sprecher des Krefelder „Forum Freies Deutschland“, das regelmäßig in den Berichten des Verfassungsschutzes NRW auftaucht. Höfs gründete in Krefeld die Republikaner und gehörte zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs „Ja zu Deutschland - Ja zur NPD“. Zudem warb ein Mitarbeiter von BAYER CROPSCIENCE offen (sogar von seinem Arbeitsplatz aus) für die rechtsextreme Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo).

Kein Platz für die „Durchschaubaren“
Gegen solche und andere Entwicklungen luden am 5. Juni 2002 die „Kolleginnen und Kollegen für eine durchschaubare Betriebsratsarbeit“ zu einer Veranstaltung „Aktiv gegen rechts“ ins Gemeindehaus Carl Bosch-Straße ein, wo u. a. die Frage diskutiert werden sollte: „Was können wir gegen Rassismus und Neofaschismus unternehmen?“ Da der ursprünglich zugesagte Saal dann aber doch nicht benutzt werden konnte (wer mag wohl ein Interesse daran gehabt haben?), wurde die Veranstaltung bei der Kulturvereinigung Leverkusen e.V. durchgeführt, wo dann auch Neonazis auftauchten. Angesichts aktueller Entwicklungen wie der verstärkten Aktivitäten von „Pro NRW“ wäre es schon wichtig gewesen, dass in dem Band über solche Probleme informiert worden wäre und dass die „Durchschaubaren“ darin auch einen angemessenen Platz gefunden hätten.
Weitere Beiträge von Rolf Nietzard/Paul Laux, beide langjährige Betriebsräte bzw. Vorsitzende, behandeln die „Betriebliche Kulturarbeit der Betriebsräte bei BAYER“. Das „BAYER-Europa-Forum“ (1994 in seiner heutigen Form entstanden) wird „Von den Anfängen hin zu einem funktionierenden europäischen sozialen Dialog im BAYER-Konzern“ durch die leitenden Betriebsräte Hans Joachim Müller und Thomas de Win dargestellt. Dabei werden auch Fragen an das bei der Gründung des Europa-Forums federführende Vorstandsmitglied der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE), Hubertus Schmoldt gestellt. Seine Aussage: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinteressen auch auf europäischer Ebene wirkungsvoll vertreten werden“ (S.387) wird man angesichts der Erfahrungen, welche die „ArbeitnehmerInnen“ in Leverkusen z. B. schon mit dem „sozialen Dialog“ vor Ort machen mussten, mehr als hinterfragen dürfen.
Zur dieser Thematik passt auch der Beitrag des führenden europäischen Chemiegewerkschafters Reinhard Reibsch, der den Europäischen Betriebsrat unter der Fragestellung „Papiertiger oder Exportschlager der Mitbestimmung?“ behandelt. Die Darstellung wirft viele Fragen auf, die von Kolleginnen und Kollegen, die gegen die ungehemmte Macht der Chemiekonzerne und den sich daraus ergebenden Gefahren kämpfen, untersucht werden müssten.
Thomas de Win lobt in einem weiteren Beitrag „Von BAYER zu Lanxess“ die Mitbestimmung als wesentlichen Baustein der Umstrukturierung des BAYER-Konzerns. Der Leiter des Bereichs „Human Resourses Strategie und Politik“ im Corporate Center der BAYER AG, Wolfgang Schenk, untersucht die Rolle der SprecherInnen-Ausschüsse der leitenden AngestelltInnen im BAYER-Konzern von 1971 bis 2007. Auch hier werden sicher angesichts seiner Feststellung, dass es BAYER vor mehr als 35 Jahren verstanden habe, „die Mitbestimmung seiner Führungskräfte zu einer Erfolgsgeschichte werden zu lassen“ (S. 427) einige Fragezeichen bei informierten LeserInnen auftauchen.
Abgeschlossen wird der Band durch einen Beitrag des Konzernbetriebsratsvorsitzenden (bis 2005) Erhard Gipperich mit dem Titel „Vom Alltag der Mitbestimmung in der Gegenwart: Ausschnitte aus dem Leben eines Betriebsratsvorsitzenden“ und ein Interview mit dem derzeitigen IG-BCE-Vorsitzenden Hubertus Schmoldt und dem Vorstandsvorsitzenden der BAYER AG, Werner Wenning. Hier malen Fragen und Antworten im Großen und Ganzen das Bild einer „Kultur der Sozialpartnerschaft“, wie Wenning es formuliert (S. 430). Und der Vergleich von Schmoldts und Wennings Aussagen macht - bei allen erkennbaren Unterschieden - deutlich, dass zwischen den beiden die Chemie stimmt. Ob das allerdings als positiv für die Beschäftigten zu bewerten ist, darf angesichts der meisten Beschlüsse der Entscheidungsträger im Konzern mehr als bezweifelt werden.
Trotz solcher und anderer kritischer Anmerkungen, ist dieses Buch - ausgestattet mit hochinteressanten Grafiken und Bildern - ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des BAYER-Konzerns und gehört deshalb in die Hände von Menschen, die sich mit dieser beschäftigen wollen.

(1) Ralf Stremmel: Rezension zu: Tenfelde, Klaus; Czikowsky, Karl-Otto; Mittag, Jürgen; Moitra, Stefan; Nietzard, Rolf (Hrsg.): Stimmt die Chemie? Mitbestimmung und Sozialpolitik in der Geschichte des BAYER-Konzerns. Essen 2007. In: H-Soz-u-Kult, 02.05.2008, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-086.

„Stimmt die Chemie?
Mitbestimmung und Sozialpolitik in der Geschichte des BAYER-Konzerns“,
2007 im Essener Klartext-Verlag erschienen, 472 Seiten

Phosgen

CBG Redaktion

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) NRW
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Presse Information vom 1. Oktober 2008

Neue Anlagen in den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld:

„Keine Erweiterung der Phosgen-Produktion!“

Anlässlich der geplanten Ausweitung der Isocyanat-Produktion in Dormagen fordern der nordrhein-westfälische Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Coordination gegen BAYER-Gefahren die BAYER AG auf, phosgenfreie Verfahren zur Produktion von Kunststoffen zur Marktreife zu bringen. Nur so ließe sich die Gefährdung der Anwohner und der Belegschaft verringern. Außerdem dürfe es keine Erweiterung der Produktion ohne Beteiligung der Öffentlichkeit geben.

BAYER will im Werk Dormagen die Herstellung von Toluylendiisocyanat (TDI) stark ausweiten, im Gespräch ist auch eine weitere Erhöhung der Polycarbonat-Produktion in Krefeld-Uerdingen. In beiden Fällen soll Phosgen als Zwischenprodukt eingesetzt werden. Phosgen gehörte im 1. Weltkrieg zur ersten Generation von Giftgasen und zählt heute zu den giftigsten Industrie-Chemikalien überhaupt. Die Phosgenproduktion gehört nach Atomkraftwerken zu den risikoreichsten Industrie-Anlagen in Deutschland.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG): „Es ist technisch möglich, Polycarbonat phosgenfrei herzustellen. Für BAYER ist es aber offenbar preisgünstiger, die bestehenden Verfahren weiter anzuwenden – Profit geht vor Sicherheit. Bei einer Lebensdauer der Anlagen von 25-35 Jahren würde diese gefährliche Produktionsweise damit für Jahrzehnte festgeschrieben.“ Dass die Risiken für die Anwohner nicht nur theoretischer Natur sind, zeigt der schwere Störfall im BAYER-Werk Institute (USA) am 28. August: die Explosion war in einem Umkreis von 10 Meilen zu spüren; Tausende Anwohner durften über Stunden hinweg ihre Häuser nicht verlassen. Auch in Institute werden große Mengen Phosgen hergestellt.

Angelika Horster, BUND-Chemieexpertin: „Die Anwohner haben ein Recht auf Informationen, welcher Gefahr sie im Falle eines Störfalles ausgesetzt sind und wie sie sich vor dem Giftgas schützen können. Vor einer möglichen Erweiterung der Produktion muss daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden.“

Bereits im Jahr 2002 hatte BAYER in Krefeld-Uerdingen die Produktion von Polycarbonat und Methyldiisocyanat (MDI) um 100.000 bzw. 24.000 Tonnen/Jahr erhöht. Hiermit einher ging eine Erhöhung der Phosgenproduktion um rund 60.000 Tonnen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit fand nicht statt. BUND und CBG hatten erfolglos nach freigesetzten Phosgen-Mengen im Falle eines worst case, Notfallplänen, zwischengelagerten Phosgen-Mengen und den Gefahren bei Flugzeugabstürzen gefragt. Mit Hinweis auf “Terrorgefahr“ blieben die Nachfragen jedoch unbeantwortet.

Die Umweltverträglichkeitsrichtlinie schreibt vor, dass auch vor Änderungs-Genehmigungen risikoreicher Anlagen ungefährlichere Alternativen geprüft werden müssen.

weitere Informationen:
EU-Beschwerde gegen Erweiterung in Krefeld
Westdeutsche Zeitung „Phosgen eine enorme Gefahr“
Artikel „Phosgen – die tickende Zeitbombe“: http://www.cbgnetwork.org/Ubersicht/Zeitschrift_SWB/SWB_2003/SWB_01_2003/Phosgen/phosgen.html

Dormagen

CBG Redaktion

Dormagen, 01. Okt. 08
Bündnis 90 / Die Grünen, Ratsfraktion Dormagen

Erweiterung der Phosgen-Produktion

hier: Aufnahme in die Tagesordnung der Ratssitzung am 21. Oktober 2008

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Hilgers,

im Namen der Fraktion von Bündnis 90/Die GRÜNEN bitte ich Sie den vorstehenden Punkt in die Tagesordnung der nächsten Ratssitzung am 21. Oktober 2008 aufzunehmen:

Beschlussvorschlag:
Der Rat der Stadt Dormagen bittet die Verwaltung sich aktiv am Verfahren zur Erweiterung der Phosgen-Produktion in Dormagen einzubringen und Stellungnahme in diesen Verfahren vorab dem Rat und den entsprechenden Fachausschüssen zur Diskussion vorzulegen

Begründung:
Der Betreiber des Chemieparks in Dormagen will die Herstellung von Toluylendiisocynat (TDI) stark ausweiten, dies ist der Presse zu entnehmen, siehe hierzu die „Rheinische Post“ vom 01. Oktober 2008. Bei diesem Produktionsprozess soll Phosgen als Zwischenprodukt eingesetzt werden. Im 1. Weltkrieg gehörte diese Chemikalie zur ersten Generation von Giftgasen und zählt heute zu den giftigsten Industrie Chemikalien überhaupt.

Nach Informationen von Fachleuten ist es heute technisch möglich, TDI phosgenfrei herzustellen. Aufgrund der langen Laufzeit solcher Anlagen würde diese gefährliche Produktionsweise für Jahrzehnte festgeschrieben. Die Behörden sollten hier auf eine phosgenfreie Produktion drängen.

Das Gefährdungspotential wird auch deutlich, wenn sich der schwere Störfall 2006 in der TDI-Produktion im Bayer-Werk Baytown/USA in Erinnerung gerufen wird (siehe hierzu: http://www.cbgnetwork.org/1802.html.) Hier wurden rund 20 Arbeiter verletzt und die Anlage stand vier Monate still. Eine Anfrage des damaligen Staatlichen Umweltamtes ergab, dass im Bayer-Werk Krefeld ständig 34 Tonnen Phosgen vorhanden sind (im Reaktor, in den Leitungen, in kleineren Zwischenlagern etc.). Hier wäre es sinnvoll zu erfahren, wie hoch die Menge in Dormagen, aktuell und nach einer möglichen Erweiterung, ist?

In diesem Zusammenhang erlauben wir uns die Information, dass Ende der 90er Jahre ein von Bayer geplantes TDI-Werk in Taiwan nicht genehmigt wurde, nachdem die örtlichen Behörden eine Umweltverträglichkeitsprüfung verlangten und vor Ort Forderungen laut wurden, eine phosgenfreie Produktion aufzubauen.

Darüber hinaus haben die AnwohnerInnen ein Recht auf Information, welche Gefahren sie im Falle eines Störfalles ausgesetzt sind und wie sie sich vor dem Giftgas schützen können.

Wir bitten in diesem Zusammenhang um Information durch die Verwaltung, wie das Betriebsgenehmigungsverfahren aussieht, welche Stelle für die Genehmigung der Erweiterung zuständig ist, ob die Stadtverwaltung Dormagen über die geplante Erweiterung von offizieller Seite informiert bzw. zur Stellungnahme aufgefordert wurde, ob diese bereits abgegeben wurde und wie der weitere Fortgang des Verfahrens sich darstellt.

Sollte der Anlagenbetreiber den Vorgang als Erweiterung der Anlage betrachten und keine Umweltverträglichkeitsprüfung beabsichtigen, so wird die Verwaltung gebeten, sich bei den entsprechenden Stellen dafür zu verwenden, dass diese gleichwohl durchgeführt wird, da es aus unserer Sicht nicht angehen kann, dass eine solche Gefährdungsmaximierung ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden soll. Insbesondere mag die Verwaltung den Anlagenbetreiber dann dazu befragen, welche Notfallpläne konkret vorliegen, die Mengen des Phosgen zwischengelagert werden und wie den Gefahren bei Flugzeugabstürzen entgegengewirkt werden kann.

Weitere Begründung kann mündlich in der Sitzung erfolgen.

Mit freundlichen Grüßen

Ingo Kolmorgen

[Italien] Bienensterben

CBG Redaktion

Presse Information vom 18. September 2008
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Bienensterben: Italien verhängt Pestizid-Verbot

Anwendungsverbot für Beizmitel Thiamethoxan, Clothianidin, Imidacloprid und Fipronil

Die italienische Regierung hat ein sofortiges Anwendungsverbot für die Saatgutbehandlungsmittel Thiamethoxan, Clothianidin, Imidacloprid und Fipronil verhängt. Betroffen sind die Kulturen Mais, Raps und Sonnenblumen. Italienische Imker machen die Pestizide für die Bienensterben im Frühjahr verantwortlich, in verendeten Bienen war u.a. der Wirkstoff Clothianidin nachgewiesen worden.

Die italienischen Imkerverbände fordern seit langem ein Verbot der Agrogifte. Italien ist nach Deutschland und Slowenien das dritte europäische Land, das ein Verbot von Pestiziden aus der Wirkstoffklasse der Neonicotinoide verhängt. In Frankreich wurde Clothianidin gar nicht erst zugelassen; die Zulassung von Imidacloprid war in Frankreich bereits 1999 (Sonnenblumen) bzw 2003 (Mais) entzogen worden. In Deutschland ist unterdessen auf Druck des Herstellers BAYER die Zulassung auf Raps wieder erteilt worden.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) hatte im August Strafanzeige gegen den Vorstandsvorsitzenden der BAYER AG, Werner Wenning, gestellt. Der Verband wirft BAYER vor, die Bienensterben in Europa und Nordamerika billigend in Kauf genommen zu haben, um den Umsatz seiner Pestizide Gaucho (Imidacloprid) und Poncho (Clothianidin) nicht zu gefährden. Gaucho gehört mit einem jährlichen Umsatz von knapp 600 Millionen Euro zu den meistverkauften Insektiziden weltweit. Die CBG fordert die deutschen Behörden auf, dem italienischen und französischen Beispiel zu folgen und die Mittel zu verbieten.

Harro Schultze, Rechtsanwalt der CBG: „Die Staatsanwaltschaft muss dringend klären, welche Bemühungen der BAYER-Konzern unternommen hat, um ein drohendes Verbot der von ihm produzierten Pflanzenschutzmittel auf dem deutschen Markt zu verhindern, nachdem in Frankreich der Verkauf längst gestoppt worden war. Es ist davon auszugehen, dass die von BAYER bei den Zulassungsbehörden eingereichten Studien derart angelegt wurden, dass die Bienengefährlichkeit der Wirkstoffe möglichst gering erschien und Pestizid-Rückstände in behandelten Pflanzen verharmlost wurden.“

Die Meldung des italienischen Gesundheitsministeriums findet sich unter: http://www.cbgnetwork.de/2633.html

Die Kampagne wird gefördert von der Stiftung Menschwürde und Arbeitswelt (Berlin) und dem Ökofonds der Grünen NRW.

Störfälle

CBG Redaktion

12. September 2008

zur heutigen Debatte „Chemieunfälle häufen sich - welche Konsequenz zieht die Landesregierung?“

Offener Brief an die Landesregierung NRW

Regelmäßig kommt es in der nordrhein-westfälischen Chemieindustrie zu schweren Unfällen. Die Leidtragenden sind in erster Linie die Mitarbeiter und Anwohner der Werke.

Das Risiko ist zum großen Teil hausgemacht: Die Belegschaften werden seit Jahren ausgedünnt, für viele Unfälle sind steigende Arbeitsbelastung und Sparmaßnahmen verantwortlich. Ausgerechnet in sicherheitsrelevanten Abteilungen werden Kosten reduziert: Meßwagen zum Aufspüren von austretenden Chemikalien werden abgeschafft, Sicherheitspersonal wird eingespart, in mehreren Werken wurde gar die Werksfeuerwehr geschlossen.

Nach Meinung des Umweltbundesamts besteht dringend Handlungsbedarf: eine bessere Wartung der Anlagen, intensivere Schulungen der Mitarbeiter sowie ausreichendes Personal könnten die Zahl der Störfälle und die damit verbundenen Schäden deutlich verringern.

Größtes Chemie-Unternehmen in NRW ist die BAYER AG. Immer wieder kommt es bei BAYER zu schweren Unfällen, über deren Auswirkungen die Öffentlichkeit im Unklaren gelassen wird. Jüngstes Beispiel: die Explosion im BAYER-Werk Institute (USA) am 29. August, bei der ein Arbeiter das Leben verlor. Die verheerende Explosion war in einem Umkreis von 15 km zu spüren, Tausende Anwohner durften ihre Häuser nicht verlassen. Obwohl in dem Werk große Mengen tödlicher Chemikalien wie Phosgen und MIC gelagert werden, erhielten die Rettungskräfte über Stunden hinweg keine Informationen über den Unfallhergang. Im Falle eines Austritts gefährlicher Gase wäre das Leben Tausender Anwohner gefährdet worden.

Von sich aus berichten Konzerne wie BAYER kaum oder gar nicht über Unfälle. Selbst nach großen Störfällen findet sich auf der BAYER-homepage kein Hinweis auf die Ursachen eines Störfalls oder auf die ausgetretenen Chemikalien. Es wird verheimlicht und vertuscht.

Es ist daher nicht hinzunehmen, dass sich Unternehmen der Chemie-Industrie selbst überwachen und prüfen - entweder über den von der Industrie gegründeten TÜV oder über „traditionelle“ Selbstüberwachungsrechte, wie sie BAYER besitzt. An die Stelle der Deregulierung muss die Re-Regulierung im Interesse des Schutzes der Bevölkerung treten.

Gefahrstoffe müssen dezentral hergestellt werden. Die CO-Pipeline zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld würde einen Präzedenzfall darstellen. Die Pipeline dient nicht dem Allgemeinwohl, sondern lediglich betriebswirtschaftlichen Interessen.

Vor diesem Hintergrund fordert die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) von der Landesregierung:

=> Die Verwaltungsstrukturreformen der letzten Jahre haben zu einem Verlust von qualifiziertem Personal geführt. Das Land NRW muss mehr Personal für die Anlagen-Genehmigung und -Überwachung einstellen, um den Schutz vor schweren Unfällen sicher zu stellen.

=> Keine Betriebsgenehmigung für die Kohlenmonoxid-Pipeline von Dormagen nach Uerdingen.

=> Die gefährlichsten Industrie-Anlagen in NRW sind die Phosgenreaktoren in den BAYER-Werken Uerdingen und Leverkusen. BAYER unternimmt keine Anstrengungen, phosgenfreie Verfahren für die Kunststoff-Produktion zur Serienreife zu entwickeln. Die Chemie-Industrie muss notfalls gezwungen werden, risikoarme Produktionswege einzuschlagen. Das Land NRW darf keine Genehmigungen für Hochrisiko-Verfahren erteilen.

=> Die Öffentlichkeit trägt wesentlich dazu bei, die Anwohner von Chemieanlagen und die Umwelt zu schützen. Bürger und Umweltinitiativen müssen daher mehr Rechte erhalten. Die in den letzten Jahren eingeschränkten Informations- und Beteiligungsrechte müssen wieder hergestellt und ausgeweitet werden. Ein Höchstmaß an Transparenz hinsichtlich der Menge und der Gefährlichkeit der verwendeten Chemikalien, eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit in allen Stadien von Genehmigungsverfahren, eine Offenlegung der Sicherheitskonzepte sowie ein umfassendes Klagerecht müssen Elemente einer verbesserten Partizipationsmöglichkeit werden.

=> gefährliche Anlagen müssen aus dichtbesiedelten Gebieten ausgelagert werden.

=> Opfer und Hinterbliebene von Unfällen müssen gerecht entschädigt werden.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren wurde vor 30 Jahren nach Groß-Unfällen in den BAYER-Werken Wuppertal und Dormagen gegründet. Der Verband legte vor wenigen Wochen eine Aufstellung von rund 80 Unfällen bei BAYER in den vergangenen 15 Jahren vor.

Informationen zum Störfall in Institute/USA

[BPA] Bisphenol A

CBG Redaktion

Ein Artikel der F.A.Z. vom 10. September 2008 beschäftigt sich mit den Risiken von Bisphenol A. Größter europäischer Hersteller ist die Bayer AG:

Ein Weichmacher sorgt für verhärtete Fronten

Das in vielen Kunststoffen enthaltene Bisphenol A kommt nicht aus den Schlagzeilen. Über die gesundheitlichen Risiken dieser im Tierversuch hormonartig wirkenden Substanz ist nun ein Streit unter Wissenschaftlern entbrannt.

Setzt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) leichtfertig die Gesundheit von Kindern aufs Spiel? Das befürchtet zumindest Gilbert Schönfelder, Toxikologe an der Universität Würzburg. Gemeinsam mit Andreas Gies vom Umweltbundesamt und Ibrahim Chahoud von der Charité-Universitätmedizin Berlin hat Schönfelder einen Brief nach Parma geschickt, wo die Direktorin der Behörde residiert. Darin fordern die drei Wissenschaftler die zuständige Kommission auf, eine gerade erst veröffentlichte Einschätzung zur gesundheitsschädigenden Wirkung von Bisphenol A zu überprüfen. Nach Ansicht von Schönfelder und seinen Kollegen sind wichtige Studien am Menschen nicht berücksichtigt worden, die Entscheidung des Gremiums stehe im Widerspruch zu bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Der Gegenstand des Konflikts, der schon lange schwelt, ist die Alltagschemikalie Bisphenol A. Sie dient zur Herstellung von Polycarbonat und Epoxidharz-Lacken. Bisphenol A ist deshalb in manchen Trinkflaschen aus Kunststoff - darunter auch Babyflaschen - enthalten und steckt in der Innenbeschichtung von Konservendosen. Auf diese Weise kann die Substanz in geringen Mengen in die Nahrung gelangen. Tierversuche haben gezeigt, dass der Plastikgrundstoff wie ein Hormon wirkt. Bei neugeborenen Tieren kann es zu Fehlbildungen und Veränderungen im Erbgut kommen. Daher steht die Chemikalie unter verstärkter Beobachtung.

Die Europäische Behörde bekräftigt nun in ihrem neuen Gutachten die Einschätzung, dass „die Exposition menschlicher Föten gegenüber Bisphenol A zu vernachlässigen sei, da dieses im Körper der Mutter rasch abgebaut und ausgeschieden wird“. Neue Daten seien berücksichtigt worden. Schönfelder hält dagegen an seiner Meinung fest, aufgenommenes Bisphenol A sei nicht so harmlos. Schon vor sieben Jahren hat er die Substanz im Blut von Schwangeren und Föten nachgewiesen. „Die Grundannahme der Behörde ist einfach falsch“, sagt Schönfelder, „die Substanz wird von der Schwangeren ans Kind weitergegeben.“ Mit dieser Ansicht ist er nicht alleine. Zahlreiche Kollegen etwa in Japan und den Vereinigten Staaten haben inzwischen die Chemikalie im Blut gefunden. Das europäische Gremium würde diese Daten aber ignorieren, klagt Schönfelder.

Nun fällt den drei Kritikern jedoch die eigene Zunft in den Rücken. In einer rasch entworfenen Stellungnahme attestiert die Beratungskommission der Gesellschaft für Toxikologie, dass die Europäische Behörde alles korrekt beurteilt habe. „Mit gesundheitlichen Schäden ist nicht zu rechnen“, heißt es in dem Schreiben aus der vergangenen Woche. Und dann geht die Kommission zum Angriff über. Das nachgewiesene Bisphenol A könnte auch aus Plastikmaterial im Labor stammen, das bei der Probenaufarbeitung benutzt wurde. „Eine Diffamierung unserer Daten“, empört sich Schönfelder. Selbstverständlich habe man nach wissenschaftlichen Standards und auch mit Blindproben gearbeitet. Außerdem zeigten alle bisher veröffentlichten Studien, dass eine Belastung mit der Chemikalie vorliege. Die Vorgehensweise der Kommission befremde ihn, sagt Schönfelder, er könne nur vermuten, dass hier ein Interessenkonflikt vorliege. Offenbar stehen tatsächlich einzelne Mitglieder der Beratungskommission auf der Gehaltsliste von Bisphenol- A-Produzenten.

Die aktuelle Risikobewertung von Bisphenol A beruht auf Tierexperimenten. Der Stoffwechsel von Ratten wurde untersucht und der Einfluss der Substanz auf Fortpflanzung und endokrines System ermittelt. Es kam zu Fehlbildungen und neurologischen Störungen. Allerdings bauen die Labortiere den Plastikgrundstoff langsamer ab als Menschen, die Substanz zirkuliert länger im Körper und wirkt entsprechend stärker. Auf Grund dieser Studien wurde der Wert für die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge von der EFSA im Jahr 2002 zunächst auf zehn Mikrogramm pro Kilogramm Körpermasse festgelegt. Zu Beginn des vergangenen Jahres wurde die Begrenzung dann gelockert, der Wert auf 50 Mikrogramm angehoben, „aufgrund der inzwischen vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse“, so die europäische Lebensmittel-Behörde.

Für normale Erwachsene sei dieser Grenzwert wohl akzeptabel, sagt Schönfelder. Schwangere, Säuglinge und Heranwachsende müssten jedoch besser geschützt werden. Ihr Stoffwechsel funktioniere anders, sie würden die Substanz wahrscheinlich langsamer abbauen und ausscheiden. Er verweist auf Kanada, wo die Gesundheitsbehörde den Plastikgrundstoff vor kurzem als „gefährliche Substanz“ eingestuft hat und wo Babyflaschen aus Polycarbonat verboten werden sollen. Momentan sieht es nicht so aus, als würde sich die Europäische Behörde dieser Haltung anschließen. UTA BILOW

Institute / USA

CBG Redaktion

Presse Information vom 2. September 2008
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Explosion in US-Werk: Kritik an Krisenmanagement von BAYER

„Informationen vollkommen wertlos“ / tödliche Chemikalien gelagert / Risiken bereits in BAYER-Hauptversammlung diskutiert / Konsequenz für CO-Pipeline gefordert

Drei Tage nach dem schweren Störfall im BAYER-Werk Institute (USA) hält die Kritik an der Informationspolitik des Konzerns an. Vertreter der Rettungskräfte bemängelten, dass nach dem Unfall mehr als zwei Stunden lang unklar war, welche Chemikalien beteiligt waren. Im Falle eines Austritts gefährlicher Chemikalien wären hierdurch Tausende Anwohner gefährdet worden. Bei der verheerenden Explosion, die in einem Umkreis von 15 km zu spüren war, verlor ein Arbeiter das Leben, ein weiterer erlitt schwere Verbrennungen.

Der Präsident des zuständigen Verwaltungsbezirks Kanawha County, Kent Carper, hatte bereits in der Unglücksnacht scharfe Kritik geübt: „Wir bekommen aus dem Werk dürftige Informationen, das ist vollkommen wertlos.“ In einem Brief an die staatliche Aufsichtsbehörde Chemical Safety Board kritisierte Carper, dass die Rettungskräfte erst zweieinhalb Stunden nach der Explosion über die Menge und die Gefährlichkeit der ausgetretenen Chemikalien informiert wurden. Das Kanawha County werde daher einen eigenen Experten einstellen, um im Notfall künftig nicht auf Informationen aus dem Chemie-Werk angewiesen zu sein. Prentice Cline von der Arbeitsschutzbehörde Occupational Safety and Health Administration (OSHA) bemängelte nach einer Inspektion des Werks “signifikante Mängel der Sicherheitsabläufe“.

Die Sicherheit des Werks im Bundesstaat West Virginia steht seit langem in der Kritik, da es das einzige in den USA ist, in dem große Mengen der tödlichen Chemikalie Methyl-Isocyanat (MIC) gelagert werden. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hatte zur diesjährigen BAYER-Hauptversammlung einen Gegenantrag zur ungenügenden Sicherheits-Situation in Institute eingebracht; dieser wurde vom BAYER-Vorstand jedoch als „unbegründet“ abgewiesen.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG): „Hochgefährliche Stoffe wie Phosgen oder MIC haben in der Massenproduktion nichts verloren – schon gar nicht in der Nähe der Wohnbevölkerung. Wir kritisieren daher, dass BAYER beim Bau neuer Produktionsanlagen, wie aktuell in China, weiterhin auf Vorprodukte wie Phosgen setzt. Auch die in NRW geplante Kohlenmonoxid-Pipeline gefährdet die Bevölkerung in vollkommen unnötiger Weise.“ Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG ergänzt: „Die Vernachlässigung von Gesundheit und Umwelt zugunsten von Konzernprofiten hat bei BAYER System. Durch die ständigen Sparmaßnahmen wird die Sicherheitslage in den Werken immer prekärer. Bereits seit den 80er Jahren fordern wir einen Ausstieg aus der Chlorchemie."

Der Unfall vom Donnerstag ereignete sich in einer Produktionsanlage des Pestizids Methomyl. BAYER verwendet Methomyl als Vorprodukt des hochgiftigen Pestizids Thiodicarb (Markenname: Larvin). Bei der Herstellung kommt auch MIC zum Einsatz. Im betroffenen Werksteil ruht derweil die Produktion. Das U.S. Chemical Safety Board hat eine Untersuchung zu den Ursachen des Unfalls eingeleitet.

Das Werk in Institute gehörte früher zu UNION CARBIDE und war das „Schwester-Werk“ der Fabrik in Bhopal. In Bhopal fielen 1984 bis zu 15.000 Menschen einem Austritt von MIC zum Opfer. Etwa die vierfache Menge des in Bhopal ausgetretenen MIC sowie große Mengen des Giftgases Phosgen lagern in Institute. Ein worst-case-Szenario kam 1994 zu dem Ergebnis, dass bei einem Großunfall in einem Umkreis von 15 km tödliche Vergiftungen auftreten könnten. Bereits bevor das Werk im Jahr 2001 von BAYER gekauft wurde, kam es in Institute zu mehreren schweren Unfällen mit Todesfolgen. Ende letzten Jahres trat aus dem Werk das hochgefährliche Pestizid Thiodicarb aus. Erst vor wenigen Wochen hatte BAYER wegen der häufigen Vorfälle eine Strafzahlung geleistet.

weitere Informationen:
=> Forbes: 1 killed, 1 injured in West Virginia chemical plant blast
=> Artikel “Hochrisiko Fabrik Institute”
=> Hintergrundinfos zum Werk Institute (engl.)
=> Dokumentation „Störfälle bei BAYER“

Störfälle

CBG Redaktion

Presse Information vom 29. August 2008
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Schwere Explosion im BAYER-Werk Institute/USA

wahrscheinlich ein Toter / Pestizidproduktion betroffen / Sicherheits-Problematik bereits in BAYER-Hauptversammlung diskutiert / „Schwester-Werk“ von Bhopal

Im amerikanischen BAYER-Werk in Institute gab es in der vergangenen Nacht (22.30 Uhr Ortszeit) eine schwere Explosion. Zwei Arbeiter wurden verletzt, einer wird noch vermisst. Ein lokaler TV-Sender berichtet von einem Todesopfer. Anwohner klagen über Kopfschmerzen.

Die Erschütterungen waren in einem Umkreis von mehr als 15 km zu spüren, Augenzeugen sprachen von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“. Tausende Einwohner der Städte South Charleston, Cross Lane, Dunbar und St. Albans wurden aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen. Die benachbarte Autobahn, Interstate 64, wurde während der Nacht geschlossen. Die Nachrichtenagentur Associated Press spricht von einem „hundreds of feet“ hohen Feuerball.

Ersten Berichten zufolge ereignete sich die Explosion in einer Produktionsanlage des hochgiftigen Pestizids Methomyl. Nach Angaben von BAYER waren daran die Vorprodukte Dimethyldisulfid, Methylisobutylketon und Hexan beteiligt. Unklar ist, ob auch giftige Pestizidwirkstoffe austraten. Der Präsident des zuständigen Verwaltungsbezirks Kanawha County, Kent Carper, übte in der Nacht scharfe Kritik: „Wir bekommen aus dem Werk dürftige Informationen, das ist vollkommen wertlos.“

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG): „Regelmäßig kommt es in Institute zu schweren Unfällen. Die Werksleitung muss als Erstes umgehend klären, ob in der vergangenen Nacht giftige Stoffe wie Methomyl oder MIC ausgetreten sind. Zudem erneuern wir unsere Forderung, die hochgefährlichen MIC-Tanks in Institute abzubauen. Die gestrige Explosion zeigt einmal mehr, dass die Sicherheit der Anwohner nicht garantiert ist.“ Die CBG hatte zur diesjährigen BAYER-Hauptversammlung einen Gegenantrag zur ungenügenden Sicherheits-Situation in Institute eingebracht; dieser wurde vom BAYER-Vorstand jedoch als „unbegründet“ abgewiesen.

Das Werk in Institute gehörte früher zu UNION CARBIDE und war das „Schwester-Werk“ der Fabrik in Bhopal. In Bhopal fielen 1984 mindestens 4000 Menschen der Chemikalie Methyl-Isocyanat (MIC) zum Opfer. Heute ist Institute das einzige Werk in den USA, in dem MIC in großen Mengen produziert und gelagert wird. Auch bei der Produktion von Methomyl wird MIC verwendet. Etwa die vierfache Menge des in Bhopal ausgetretenen MIC sowie große Mengen des Giftgases Phosgen lagern in Institute, genaue Angaben verweigert die Werksleitung. Ein worst-case-Szenario kam 1994 zu dem Ergebnis, dass bei einem Großunfall in einem Umkreis von 15 km tödliche Vergiftungen auftreten könnten.

Bereits bevor das Werk im Jahr 2001 von BAYER gekauft wurde, kam es in Institute zu mehreren schweren Unfällen mit Todesfolgen. Kurz vor Silvester trat aus dem Werk das hochgefährliche Pestizid Thiodicarb aus.

weitere Informationen:
=> Artikel “Hochrisiko Fabrik Institute”
=> Hintergrundinfos zum Werk Institute (engl.)
=> Dokumentation „Störfälle bei BAYER“

[Nanotubes] Nanotechnik

CBG Redaktion

WOZ vom 28.08.2008

Nanotubes

Die unheimliche Ikone

Kohlenstoff-Nanoröhren gelten als das Wundermaterial der Zukunft. Dabei sind sie voller bislang unaufgelöster Widersprüche.

Wie kaum ein Objekt aus dem Reich der Moleküle symbolisiert die Kohlenstoff-Nanoröhre die grossen Erwartungen, die mit der Nanotechnik verbunden werden. Im Fachjargon kurz «Nanotube» genannt wartet sie mit geradezu fantastischen Eigenschaften auf. Sie ist fester als Stahl, leitet Strom besser als Kupfer und Wärme besser als Diamant. Damit nicht genug: Ein Nanotube hat mitunter auch die Eigenschaften eines Halbleiters, auf der die heutige Computertechnik aufbaut. Kein Wunder, dass die ForscherInnenherzen angesichts dieser Entdeckung höher schlugen.
Das lang gestreckte Molekül verdankt seine Eigenschaften seiner ungewöhnlichen Struktur, die der Miniaturausgabe eines aufgerollten Maschendrahtzauns ähnelt: Es besteht aus zu Röhren aufgerollten Schichten von Kohlenstoffatomen, die in regelmässigen Sechsecken angeordnet sind. Die hübsche geometrische Anordnung ist zu einer Ikone der Nanotechnik geworden und ziert Buchumschläge und Konferenzplakate gleichermassen. Eine Ikone ist die Nanoröhre allerdings auch in einem anderen Sinne: Sie verkörpert die Widersprüche der Nanotechnik wie kein anderes Material.

Wann wurde sie nun entdeckt?
Das beginnt schon mit der Geschichte ihrer Entdeckung, die ganz unterschiedlich datiert wird, wenn auch diese Diskussion in den Hochglanzbroschüren zur Nanotechnik kaum auftaucht. Die Frage ist nämlich, wie neu diese Nanoröhren wirklich sind - und ob es sich bei vielen Forschungsprojekten mit dem Etikett «Nano» nicht um modische Umbenennungen handelt, um leichter an Forschungsgelder heranzukommen.
Die Entdeckung der Kohlenstoff-Nanoröhren wird meist ins Jahr 1991 datiert, als der japanische Chemiker Sumio Iijima sie im Wissenschaftsjournal «Nature» der Fachwelt präsentierte. Die Röhren waren aber schon in den fünfziger Jahren wiederholt aufgetaucht, als ForscherInnen Rückstände untersuchten, die sich bei einer elektrischen Bogenentladung aus Grafit gebildet hatten - jener Kohlenstoffform, die in Bleistiften vorkommt oder als Schmiermittel genutzt wird. 1976 entdeckte und beschrieb der Japaner Morinobu Endo das längliche Ding. Das Konzept der Nanotechnik existierte damals noch nicht, auch wenn der Begriff zwei Jahre zuvor erstmals in einem Fachartikel verwendet wurde. In den achtziger Jahren formulierten verschiedene ForscherInnen dann die Idee einer Technik im molekularen Massstab. Doch erst 1991 war offenbar die Zeit reif, die langen Moleküle als mögliche technische Objekte zu begreifen.
Im Übrigen entdeckten Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden im Jahr 2006 in alten Schwertern aus sogenanntem Damaszener Stahl Nanotubes. Seit langem ist bekannt, dass Stahl seine Festigkeit der geringfügigen Beimischung von Kohlenstoff verdankt. Offenbar hatten die Schmiede des mittelalterlichen Orients unwissentlich beim Schmiedevorgang Nanoröhren erzeugt, die dem Damaszener Stahl seine legendäre Härte verliehen haben muss.

Noch lange nicht bereit
Heute werden Nanoröhren bereits in zahlreichen Industrieprodukten genutzt. Als Zusatz machen sie etwa die Elektroden von Laptopakkus leistungsfähiger oder Fahrradrahmen und Tennisschläger bei gleichem Gewicht stabiler. Mischt man sie in Kunststoffe, werden diese elektrisch leitfähig und eignen sich damit für Plastikumhüllungen, die sich nicht mehr elektrostatisch aufladen, wodurch ein Funkenflug verhindert wird. Das nutzt etwa die Autoindustrie, indem sie Benzinleitungen von Autos nun aus solch sichereren Kunststoffen fertigt.
Während diese Anwendungen bereits Standard sind, erweist sich der Einsatz von Nanotubes in anspruchsvolleren Konzepten als schwierig. Zum Beispiel in der Elektronik: 1998 war es dem niederländischen Physiker Cees Dekker erstmals gelungen, aus einer halbleitenden Nanoröhre einen Transistor zu bauen - den Grundbaustein von Computerchips. Nun haben einzelne Nanotubes einen Durchmesser von nur einem Nanometer, also einem Millionstel Millimeter, und sind damit nur einen Bruchteil so gross wie die Bauteile heutiger Computerprozessoren. Wäre es also möglich, mit Nanotubes Computerchips zu bauen, liesse sich ein Problem lösen, auf das die Computerindustrie unaufhaltsam zusteuert: Die seit Jahrzehnten anhaltende Verkleinerung von Chips wird - mit der heute gängigen Technik - bald an ihre Grenze stossen.
Noch immer ist eine solche «Nanotube-Elektronik» aber weit von einem marktfähigen Produkt entfernt. Es ist eine Sache, einen einzelnen Nanotubetransistor im Labor zu konstruieren. Eine andere ist es, Hunderte von Millionen solcher Schaltelemente auf einem Chip zu platzieren. Bis heute gibt es kein Verfahren, das es erlauben würde, derart viele Nanoröhren so präzise und vor allem so schnell anzuordnen, wie es mit der gängigen Technik gelingt.
Äusserst reissfeste Nanotubegarne und -folien - geeignet etwa zur Fertigung von besonders leichten schusssicheren Westen - stehen vor ähnlichen Hürden. Zwar lassen sie sich bereits im Labor herstellen. Aber wie überführt man die Verfahren in eine industrielle Massenfertigung? Der Weg von der Idee zur marktreifen Nanoanwendung für ein Millionenpublikum ist noch lang. Und das, obwohl Industrie und Regierungen viel investieren: Im Jahr 2007 waren es bereits 13,5 Milliarden Dollar.

Der neue Asbest?
Umsetzungsprobleme sind das eine - von Nanotubes können aber auch neue Gefahren für Umwelt und Gesundheit ausgehen. Als um das Jahr 2000 die Risiken der Nanotechnik erstmals breiter debattiert wurden, muteten die Warnungen so futuristisch an wie die Verheissungen. In wissenschaftlichen Feuilletons wimmelte es von amoklaufenden Nanorobotern, die den Menschen bedrohen, ja den Planeten kahl fressen könnten - irgendwann in ferner Zukunft. 2002 äusserte der US-Forscher Mark Wiesner dann einen irdischeren Verdacht: Nanotubes könnten sich als der «neue Asbest» entpuppen.
Mit einer Länge von meist einigen Mikrometern - also dem Tausendfachen ihres Durchmessers - ähneln Nanotubes in der Tat Asbestfasern. 2004 zeigte der US-Toxikologe Günter Oberdörster in Versuchen mit Ratten, dass Nanoröhren von der Nasenhöhle über den Riechkolben ins Geruchszentrum des Gehirns vordringen und dort das Hirngewebe schädigen können. Für Schlagzeilen sorgte vor allem eine im Mai dieses Jahres veröffentlichte Studie unter der Leitung des Mediziners Ken Donaldson von der Universität Edinburgh: Sein Team hatte Mäusen Nanotubes in das Gewebe der Bauchhöhle gespritzt, die dort ein «asbestartiges Verhalten» zeigten - sie verursachten Entzündungen und als Granulome bekannte Gewebewucherungen.
Bewiesen ist damit allerdings noch nichts. Nur einen Monat zuvor waren andere ForscherInnen zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen: Sie hatten keine Schädigungen durch Nanotubes in Mäusen entdecken können. Der Molekularbiologe Peter Wick von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen präsentierte im vergangenen Jahr eine Untersuchung, in der sein Team verglichen hatte, wie verschiedene Nanotubes respektive Asbestfasern auf Bakterienkulturen wirken. Sein Fazit war nicht eindeutig: Nanotubebündel waren weniger toxisch als Asbestfasern, grosse Nanotubeverklumpungen wirkten hingegen toxischer. Zudem scheinen Verunreinigungen, die im Produktionsprozess der Röhren entstehen, einen Einfluss auf ihre Toxizität zu haben. Eine vergangene Woche vorgestellte Studie von Menachem Elimelech von der Yale University weist überdies darauf hin, dass Veränderungen der Form und der Oberflächenbeschaffenheit die Schädlichkeit von Nanoröhren für Bakterien erhöhen.
Diese Befunde widerspiegeln zwei weitere Probleme, die in der Nanotechnik ungelöst sind. Zum einen hängen die Ergebnisse in der Nanotoxikologie stark von den jeweiligen Versuchsanordnungen ab - für die es noch keine internationalen Standards gibt. Das wird sich kaum ändern, solange die Mittel, die Regierungen für die Nanorisikoforschung ausgeben, nur wenige Prozente der jeweiligen Förderbudgets betragen.
Zum anderen fehlen Qualitätsstandards bei den HerstellerInnen von Nanoröhren, obwohl weltweit inzwischen einige hundert Tonnen produziert werden. Die Kapazitäten werden derzeit beträchtlich gesteigert: Der deutsche Chemiemulti Bayer stellte im vergangenen Jahr dreissig Tonnen Nanotubes her &

  • 8201;- ab Ende 2009 sollen bereits 200 Tonnen, 2012 gar 3000 Tonnen im Jahr produziert werden können.

Fünf Studien, mehr Meinungen
Obwohl bereits einige hundert einfache Nanotubeprodukte auf dem Markt sind, gibt es keine einheitlichen Regelungen für Sicherheit und Qualität. Wer hier Bedenken anmeldet, wird auf öffentlichen Veranstaltungen seitens der Industrie gerne als BremserIn abgestempelt. Die Chemikerin Vicki Colvin hatte in einer Anhörung vor dem US-Kongress im vergangenen Jahr Behutsamkeit gefordert: «Wenn Sie etwa fünf Teams die Toxizität von Kohlenstoff-Nanoröhren untersuchen lassen und die kommen dann zu fünf verschiedenen Ergebnissen, ist das zwar schmerzlich für Ihre Forschungsinvestitionen, weil das zu Ungewissheit führt. Das Problem ist aber, dass wir zurzeit deutlich mehr als fünf Meinungen zur Nanotubetoxizität haben.»
In der Debatte über die Risiken von Nanomaterialien tritt zudem der schon erwähnte Streit zutage, wie neuartig die Nanotechnik denn nun wirklich sei. Kohlenstoff-Nanoteilchen gebe es als Verbrennungsprodukte, seit der Mensch Feuer mache, die potenziellen Risiken würden unnötig aufgebauscht. So argumentieren dieselben Leute, die sonst betonen, wie einzigartig und innovativ ihre Nanoprodukte seien. Tatsächlich entwickelt die Nanotechnik gerade Materialien, die es so bisher nicht gegeben hat - weder in der Industrie noch in der Natur.
Auf LaiInnen kann das Bild, das sich aus diesen Widersprüchen abzeichnet, nur verwirrend wirken. Die gesellschaftliche Debatte über einen verantwortungsvollen Umgang mit der neuen Nanotechnik jedenfalls kommt nur langsam in Gang - in Deutschland etwa in Form von öffentlichen Dialogen und Bürgerforen. Angesichts der Zahl von Nanoprodukten, die bereits auf dem Markt sind, hinkt sie schon jetzt hinterher. Von Niels Boeing

[Freiburg] Bienensterben

CBG Redaktion

Bayer - Gift und Bienen: Rede bei der Kundgebung gegen die Bienenvergiftung

Demo am 28.8.08 in Freiburg

Kundgebung gegen Bienensterben
Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Imker, Umweltschützer, Naturschützer,
Trinkwassertrinker und Honigesser,

Warum sind wir heute hier?
Das Bienensterben geht uns alle an / Doch Bienensterben ist das falsche Wort
Sterben müssen irgendwann alle Bienen

Es geht nicht ums Bienensterben / Es geht um die Bienenvergiftung

Und es geht nicht nur um die Vergiftung der Honigbienen.
Es geht auch um die Vergiftung der Wildinsekten und der Wildbienen.

Die Bienenvergifter haben einen Namen: Verantwortlich für die Produktion der Saatgutbeize ist die Firma Bayer CropScience.
Grund für das Bienensterben ist der im Pflanzenschutzmittel „Poncho“ enthaltene Wirkstoff Clothianidin
Über die Verursacher des Giftabriebs wird gestritten.

Von der Bienenvergiftung mit Poncho waren allein im Rheintal über 700 Imker mit knapp 11.500 Bienenvölkern betroffen.

In der Zeit in der hier am Oberrhein Millionen von Bienen starben, hab ich mal Fernsehen geschaut

Was lief in der ZDF Werbung?: Ein Bayer Werbefilm
Die Bienen sterben am Bayer Gift und Bayer wirbt für sich

Was war der Inhalt der Werbung?
Bayer: Science for a better life.
Bayer ist gutes Leben / Bayer ist tolle Umwelt / Bayer ist guter Sex

Die Bienen sterben und die Bienenvergifter machen Greenwash:
Sie basteln sich ein grünes Image

Was lassen wir uns eigentlich alles gefallen?
Vor 15 Jahren wären in Freiburg bei einer solchen Umweltvergiftung noch 5000 Leute auf die Strasse gegangen

Und heute?
Wir erleben eine zutiefst befriedete Umweltbewegung in ihrer Ökokuschelecke

Ich sage nur:
Friede, Freude, Ökohauptstadt / Es genügt nicht in einer GREEN City zu wohnen

Bienensterben = Bienenvergiftung
Wir müssen uns wieder stärker engagieren
-Gegen die schleichende Vergiftung der Umwelt
-für eine nachhaltige umwelt- bienen und damit menschenfreundliche Landwirtschaft
-Gegen Greenwash

Die Bienenvergiftung und die verfehlte Bekämpfung des Maiswurzelbohrers sind ein Thema

Die Bekämpfung des Maiswurzelbohres: Eine Geschichte von Pleiten Pech und Pannen
“Erster Maiswurzelbohrer” Jahr 2003 im Elsass
Hubschrauber versprühen 1,5 Tonnen des Gifts „Karate“
Fische sterben in Gartenteichen

danach: gigantische chemische Abwehrschlacht am Rhein
Im Jahr 2007 werden die ersten Exemplare des Maiswurzelbohrers auf der badischen Rheinseite entdeckt
Bekämfung mit Insektengift Biscaya

Biscaya wurde erst in einem Notverfahren am 31.7.2007 für den Einsatz gegen den Maiswurzelbohrer zugelassen. Es gibt ein Verbot des menschlichen Verzehrs bei drei Spritzungen.

Wichtig:
es geht heute hier nicht nur um die Bienen / Es geht immer auch um die Menschen

Die Bienenvergiftung in diesem Frühsommer war der negative Höhepunkt der Entwicklung
Im Elsass in Battenheim wurde vor wenigen Tagen wieder ein einzelner Maiswurzelfiesling gefunden.
Und wieder läuft eine riesige Vergiftungsaktion
Die Chemieindustrie verdient / Mensch und Natur leiden

Der Maiswurzelbohrer lässt sich nicht mehr ausrotten. Er lässt sich sehr erfolgreich mit Fruchtfolgen zurückdrängen

Fruchtfolge statt Bayergift
das ist keine grüne Theorie
das ist die landwirtschaftliche Praxis in der Schweiz
das sagen auch die Wissenschaftler in Deutschland

Der BUND fordert: Die dumme umweltfeindlich-chemieindustriefreundliche EU Quarantäneverordnung muss fallen

Ich habe es gesagt:
Mensch und Natur leidet
Die Chemieindustrie verdient

Die Pflanzenschutz-Industrie in Deutschland blickt auf ein gutes Geschäftsjahr zurück,
Der Inlandsumsatz der Mitgliedsfirmen stieg 2007 gegenüber dem Vorjahr um fast 11 Prozent auf 1,23 Milliarden Euro, die abgesetzte Giftmenge um rund neun Prozent auf 32.213 Tonnen.
Weltweit wird die chemische Keule wieder hemmungslos geschwungen.
Global wurden im Jahr 2007 Pestizide im Wert von rund 33,2 Milliarden Dollar verkauft, 7,8 Prozent mehr als 2006. Die Pestizidumsätze der weltgrößten Agrochemie-Konzerne stiegen in diesem Zeitraum zwischen 8 und 15 Prozent
„Das Geschäft mit Pestiziden macht wieder Spaß„, findet Hans Theo Jachmann, Deutschland-Chef von Syngenta, der weltweiten Nummer 2 des Pestizidmarktes, in der Tageszeitung „Die Welt“.
Uns machen diese giftigen Geschäfte keinen Spass.
Die “Entschädigung" für die Imker (die mit einem Maulkorb verbunden ist) zahlt Bayer aus der Portokasse.

In Baden-Württemberg haben wir manchmal den Eindruck die Landwirtschaftspolitik des Landes wird nicht im Landwirtschaftsministerium bei Herrn Hauk gemacht
Die Landwirtschaftspolitik wird bei Bayer und Co. gemacht
Herr Minister Hauk:
Lösen sie sich endlich aus der Abhängigkeit der Agrochemielobby!

Sie vereten nicht nur die Großagrarier sondern auch die Imker

Wir erwarten von Ihnen, dass Sie das Beizen von Saatgut mit Poncho und ähnlichen Giften und das Spritzen dieser Mittel in Baden-Württemberg verbieten -
das Pflanzenschutzgesetz gibt den Ländern die Möglichkeit dazu

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Imker, Umweltschützer, Naturschützer, Trinkwassertrinker und Honigesser,

Die Bienenvergiftung war die Spitze des Eisbergs der Umweltbelastung mit Agrargiften.

Es ist gut und wichtig Bioprodukte zu kaufen / Der Rückzug in die Kuschelbioecke aber ist verkehrt

Wir müssen uns auch um die konventionelle Landwirtschaft kümmern

Darum sagt der BUND:
-Nein zur Bienenvergiftung
-Nein zu einer idiotischen EU Quarantäneverordnung
-Ja, zu einer umweltfreundliche nachhaltigen Landwirtschaft und zur Fruchtfolge
Ich danke Euch

Axel Mayer / BUND Regionalverband

Pestizide

CBG Redaktion

Mannheimer Morgen, 20. August 2008

Schutzlos und unwissend - wo Chemie zur Gefahr wird

Entwicklungsländer: Unsachgemäßer Einsatz legaler Chemikalien und illegal exportierter Giftmüll aus den Industriestaaten gefährden in Armutsregionen die Gesundheit der Menschen

Sie verstehen die Anleitung nicht oder haben kein Geld für Arbeitskleidung. In Entwicklungsländern vergiften sich jedes Jahr Millionen Menschen mit Pestiziden.
Seit Tagen gingen sie ihrem ohnehin gefährlichen Job nach, ohne zu wissen, was neben ihnen im Wasser schlummerte. Immer wieder tauchten die Männer vor San Fernando hinab in die „Princess of the Stars“, auf der Suche nach den Menschen, die der Taifun „Fengshen“ in der Fähre begraben hatte. Plötzlich das Stop-Kommando. Abbruch der Bergung, obwohl es noch Hunderte Vermisste gab. Aber auch Container, gefüllt mit mehr als 1000 Kilogramm giftiger Pflanzenschutzmittel.
Für die Menschen, die bei dem Unglück am 21. Juni vor den Phillippinen Angehörige verloren hatten, ging zum zweiten Mal eine Welt unter. Wütend protestierten sie gegen Reederei und Behörden, die die Bergung auf unbestimmte Zeit verschoben. Ein Sprecher verteidigte das Unternehmen laut Agenturberichten mit Unwissen: „Auf den Papieren stand nur ,Endosulfan‚“, sagte er im Hinblick auf eines der entdeckten Pflanzenschutzmittel. „Da stand nicht drauf, dass das giftig war.“

Martinique ist massiv verseucht
Chemikalien, ohne Wissen des Reeders transportiert an Bord einer Personenfähre? Carina Weber, Vorstandsmitglied des internationalen Pestizid Aktions-Netzwerks PAN, ist davon nicht überrascht. „Das ist ein typisches Beispiel, dass hochgefährliche Produkte in vielen Ländern unter völlig untauglichen Bedingungen eingesetzt werden“, sagt Weber, auch Geschäftsführerin der deutschen PAN-Sektion, der unter anderem das renommierte Freiburger Öko-Institut sowie die Umweltschutzorganisationen BUND und Greenpeace angehören. „Das fängt beim Transport an und betrifft die gesamte Existenz eines Produkts: Verpackung, Etikettierung, Lagerung, Einsatz und Entsorgung.“
PAN kann zu allen Punkten Fälle mit tödlichen Folgen nennen: Insektizide, die peruanische Kinder mit Milchpulver verwechselten, weil Hinweise auf den Tüten in Spanisch, nicht aber in ihrer Indio-Sprache verfasst waren. Die massive Verseuchung der französischen Antilleninseln Martinique und Goudeloupe durch das beim Bananenanbau eingesetzte Mittel Chlordecon - Krebserkrankungen und Missbildungen bei Neugeborenen sind laut einem Expertenbericht die Konsequenz, der im französischen Parlament vorgestellt wurde. Oder der unwissende Umgang äthiopischer Dorfbewohner mit den vor sich hinrottenden Altbeständen nicht mehr eingesetzter Pflanzenschutzmittel.
Gesicherte Zahlen über Schäden weltweit gibt es nicht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzte in den 90er Jahren, dass bis zu 25 Millionen Menschen jährlich durch Pestizide vergiftet werden und 20 000 bis 40 000 daran sterben. „Landarbeiter werden untrainiert und ohne Schutzkleidung auf die Plantagen geschickt“, klagt Carina Weber. Bei vielen Kleinbauern sieht die Lage nicht besser aus, weiß Wolfgang Schimpf von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die vorwiegend im Auftrag des Bundesentwicklungshilfeministeriums arbeitet. „Bauern kaufen Produkte, da steht ein chemischer Name drauf, das war‘s“, sagt Schimpf, der für die GTZ in China und Südamerika Projekte zur sicheren Chemikalienentsorgung leitet. „Die Behälter sind für die Menschen wertvoll, oft werden sie anschließend zum Trinken verwendet - schon ist es passiert.“
„Die Regierungen vieler Staaten haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht“, kritisiert Weber. „Und die Konzerne halten sich nicht an den Verhaltenskodex der FAO.“ Diesen Kodex hatte die Welternährungsorganisation bereits 1985 aufgestellt. Demnach sollen Hersteller Verantwortung für ihre Produkte bis hin zum Endverbraucher übernehmen.
„Selbstverständlich ist der FAO-Kodex die Grundlage unseres Geschäftes“, sagt Elise Kissling, Sprecherin der BASF, des weltweit drittgrößten Produzenten von Pflanzenschutzmitteln. „Ich war erst kürzlich in Nigeria und habe gesehen, wie BASF-Mitarbeiter in die Dörfer gehen. Sie zeigen, wie man die Schutzkleidung anzieht, wie man die Mittel vernünftig auf die Felder bringt, und sie bauen ein sicheres Verkaufsnetz auf.“Außerdem beteilige sich der Konzern an CropLife International, einem Verband der Produzenten, der Schulungen in Entwicklungsländern durchführt, sowie an Container-Management-Programmen zur Entsorgung leerer Behälter und am internationalen Africa Stockpiles Programme, mit dem Zehntausende Tonnen Altlasten beseitigt werden.
Überdies vertreibe die BASF nur noch „eine sehr kleine Anzahl“ an Produkten mit Wirkstoffen, die die WHO als extrem oder hochgefährlich eingestuft hat. Die als Weltmarktführer geltende Bayer Crop-Science AG äußert sich auf Anfrage gar nicht zu einer solchen Zahl. Allerdings steht in ihrem Nachhaltigkeitsbericht, dass nach wie vor für mehrere dieser Produkte „noch keine Alternative verfügbar“ sei. Insgesamt ist man bei Bayer zum gleichen Thema weit weniger gesprächsbereit. Sprecher Utz Klages teilt lediglich mit, dass sich auch Bayer dem FAO-Kodex verpflichtet habe und verweist anschließend auf den Bericht. Dort werden im Wesentlichen die gleichen Maßnahmen wie bei der BASF beschrieben.

„Arbeit im Anzug eine Tortur“
„Die großen Firmen machen das inzwischen gut“, meint Wolfgang Schimpf von der GTZ. Problematischer seien kleine lokale Hersteller, die ihre eigenen Produkte zusammenmischen. Und dennoch findet er wie Carina Weber von PAN, dass die Schulungen „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“ sind. Viel zu groß sei die Zahl derer, die man erreichen müsste, so Weber, und zu hoch oft der Preis für Arbeitskleidung. „Es bleibt zudem die Diskrepanz zwischen Wissen und Tun“, sagt Schimpf. „In den tropischen Regionen zieht sich kaum jemand einen Schutzanzug an. Ich habe in Malaysia selbst mal den Versuch gemacht. Das ist eine Tortur.“
Während Schimpf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln dennoch für notwendig hält, kann es für PAN nur eine Konsequenz geben: „Wir müssen ganz auf Pestizide verzichten“, sagt Weber. Auch der von den UN einberufene Weltagrarrat hat im April die Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden gefordert. PAN hat für mehrere Pflanzen Alternativen veröffentlicht, mit denen zum Beispiel Endosulfan überflüssig werde.
Das im philippinischen Fährwrack entdeckte Insektizid steht derzeit sowieso im Fokus. In Kürze soll entschieden werden, ob der in der EU bereits verbotene Wirkstoff sowohl in die Stockholm- als auch in die Rotterdam-Konvention aufgenommen wird. Erstere verbietet den Einsatz, die zweite legt einen Informationsaustausch beim Handel fest (siehe auch Artikel „Dreckiges Dutzend“). PAN wirft den Produzenten vor, selbst Letzteres verhindern zu wollen. Bei Bayer CropScience will man sich auch dazu nicht äußern.
Öffentlich macht der Konzern hingegen, dass vier andere Produkte auf der „Princess of the Stars“ aus seiner Produktion stammen. Die Ware sei gemäß der philippinischen Vorschriften deklariert gewesen. Wegen der mehr als 7000 Inseln des Landes seien Schiffe „eines der wichtigsten und regulären Transportmittel“, teilt Sprecher Utz Klages mit. Warum Personenfähren dazu gehören, schreibt er nicht. Acht Wochen nach dem Unglück warten die Angehörigen der Opfer noch immer auf die Bergung der „Princess“. Die EU hat äußerste Vorsicht gefordert.
Von unserem Redaktionsmitglied Klaus Becker

[Störfall] Kohlenmonoxid Pipeline

CBG Redaktion

19.08.2008 – Rheinische Post
Nach Gasunfall in Mönchengladbach

Steinbrück fordert CO-Gipfel

Nach dem Gasunfall in Mönchengladbach am Wochenende wird die Kritik an der geplanten CO-Pipeline wird lauter. Wie sicher ist die Leitung? Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) fordert eine Neubewertung des Gefährdungspotenzials.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), der in Mettmann für den Bundestag kandidiert, fordert nach dem schweren Gas-Störfall von Mönchengladbach Konsequenzen für die Planung der Kohlenmonoxid(CO)-Pipeline am Niederrhein. „Der Unfall zeigt, wie ernst die Kritik an der CO-Pipeline zu nehmen ist“, sagte Steinbrück unserer Redaktion. „Ich fordere Landes- und Bezirksregierung auf, mit allen Beteiligten das Gespräch zu suchen und die Sicherheitsmaßnahmen noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Die Sicherheit der Menschen muss für uns die höchste Priorität haben.“ Die im Bau befindliche CO-Pipeline des Bayer-Konzerns soll die Standorte Dormagen und Krefeld-Uerdingen verbinden.
In Mönchengladbach waren am Wochenende nach einem Unfall in einer Lackfabrik 107 Menschen durch Kohlendioxid vergiftet worden, eine Frau lag gestern noch im Krankenhaus. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen.
Kohlenmonoxid ist ebenfalls geruch- und farblos, aber gefährlicher als Kohlendioxid. Grünen-Fraktionsvize Remmel verlangte nach der „Beinahe-Katastrophe“ eine Neubewertung des Pipeline-Baus. „Wir fordern Ministerpräsident Rüttgers auf, einen CO-Gipfel einzuberufen“, so Remmel. „Mit allen Bürgermeistern, Bayer und Bürger-Initiativen muss endlich der gordische Knoten durchschlagen werden, um die Hängepartie für die Menschen zu beenden.“
Von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) war dazu keine Stellungnahme zu erhalten. Wie berichtet, war er vom Monheimer Bürgermeister Dünchheim (CDU) aufgefordert worden, das Pipeline-Projekt zur Chefsache zu erklären und zu stoppen. Diese Forderung wurde in Düsseldorfer Regierungskreisen als naiv bezeichnet. „Selbst wenn man es wollte, könnte das Projekt gar nicht gestoppt werden“, hieß es. Das NRW-Wirtschaftsministerium verwies derweil auf das Planfeststellungsverfahren, bei dem es noch Ergänzungen geben werde. Außerdem werde weiter an dem Gefahrenabwehr-Plan gearbeitet. Das Ministerium sei bereit, mit Bürgermeistern noch einmal zu sprechen. „Es wird alles getan, um die Bevölkerung aufzuklären.“
Im Gegensatz zu Steinbrück wollte sich die Spitze der Landes-SPD nicht zum Thema CO-Pipeline äußern. Ein Sprecher verwies auf einen Parteitagsbeschluss von 2007. Darin werden „höchst mögliche Sicherheitsstandards und Katastrophenschutzpläne“ für alle Standorte gefordert. VON MICHAEL BRÖCKER, DETLEV HÜWEL UND GERHARD VOOGT

18.08.2008, Rheinische Post

Bürgermeister: Rüttgers muss CO-Pipeline stoppen

Kritiker der geplanten langen Kohlenmonoxid-Pipeline zwischen Dormagen und Krefeld sehen sich nach dem Gas-Unfall von Mönchengladbach in ihren Sicherheitsbedenken bestätigt.
„Der Vorfall zeigt, welche Gefahren von geruchlosem Gas ausgehen“, erklärte der Langenfelder Bürgermeister Magnus Staehlers im Gespräch mit unserer Zeitung. „Ein vergleichbarer Austritt von Kohlenmonoxid hätte verheerende Folgen gehabt. Ich hoffe, dass der Unfall die letzten Befürworter der CO-Pipeline aufgerüttelt hat.“
Die geplante CO-Pipeline ist 67 Kilometer lang und verbindet zwei Chemie-Standorte des Chemie-Konzerns Bayer. Die Leitung unterquert zweimal den Rhein und soll im Rechtsrheinischen entlang der Autobahn A3 verlaufen. Trassen-Anlieger wollen das Projekt gerichtlich stoppen. Ein Gutachten der Stadt Mettmann kam zu dem Ergebnis, dass bei einem Leck in der Pipeline mehr als 143000 Menschen in einem Umkreis von 1,5 Kilometern durch das hochgefährliche Atemgift CO gefährdet würden.
Thomas Dünchheim, Bürgermeister der Stadt Monheim, forderte die Landesregierung auf, aus dem Unfall von Mönchengladbach Konsequenzen zu ziehen. „Ministerpräsident Jürgen Rüttgers muss die Angelegenheit jetzt zur Chefsache machen und die CO-Pipeline stoppen“, sagte der CDU-Politiker. Bislang sei die Staatskanzlei jedoch „beratungsresistent“ gewesen.
VON GERHARD VOOGT

[Strafanzeige] Strafanzeige gegen BAYER

CBG Redaktion

Presse Information vom 13. August 2008
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Bienensterben: Strafanzeige gegen BAYER-Vorstand

„Risiken von Pestiziden seit langem bekannt“ / CBG kooperiert mit betroffenen Imkern

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) hat heute bei der Staatsanwaltschaft Freiburg Strafanzeige gegen den Vorstandsvorsitzenden der BAYER AG, Werner Wenning, eingereicht. Der Verband wirft dem BAYER-Konzern vor, über Jahre hinweg gefährliche Pestizide verkauft und dadurch verheerende Bienensterben in aller Welt in Kauf genommen zu haben. Die CBG kooperiert mit Imkern, deren Bienen im Frühjahr durch das BAYER-Pestizid Poncho vergiftet wurden.

Der Beginn der Vermarktung der BAYER-Pestizide Gaucho (Wirkstoff Imidacloprid) und Poncho (Wirkstoff Clothianidin) fällt mit dem Auftreten großer Bienensterben u.a. in Italien, der Schweiz, Deutschland, Österreich, England, Slowenien und den USA zusammen. Allein in Frankreich starben innerhalb von zehn Jahren rund 90 Milliarden Bienen, die Honigproduktion sank um bis zu 60%. Da Honigbienen außerdem den größten Teil der Blütenbestäubungen erbringen, gingen auch die Erträge von Äpfeln, Birnen und Raps zurück.

Harro Schultze, Rechtsanwalt der CBG: „Die Staatsanwaltschaft muss dringend klären, welche Bemühungen der BAYER-Konzern unternommen hat, um ein drohendes Verbot der von ihm produzierten Pflanzenschutzmittel auf dem deutschen Markt zu verhindern, nachdem in Frankreich der Verkauf längst gestoppt worden war. Es ist davon auszugehen, dass die von BAYER bei den Zulassungsbehörden eingereichten Studien derart angelegt wurden, dass die Bienengefährlichkeit der Wirkstoffe möglichst gering erschien und Pestizid-Rückstände in behandelten Pflanzen verharmlost wurden.“ Wegen der Gefährlichkeit für den Bienenbestand hatte die französische Regierung schon 1999 den Einsatz von Imidacloprid zur Saatgutbeizung von Sonnenblumen verboten. Die Zulassung des Wirkstoffs als Beizmittel von Mais wurde 2004 aufgehoben. Auch das Nachfolgeprodukt Clothianidin erhielt in Frankreich keine Zulassung.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Der Vorstandsvorsitzende von BAYER trägt persönlich eine Mit-Verantwortung für die Bienensterben in aller Welt, da die Risiken der Wirkstoffe seit mindestens zehn Jahren bekannt sind. Weitere Bienensterben können nur verhindert werden, wenn der Verkauf gefährlicher Pestizide wie Gaucho und Poncho gestoppt wird.“ BAYER hat im vergangenen Jahr mit Imidacloprid und Clothianidin fast 800 Millionen Euro umgesetzt. „In den hohen Umsatzzahlen ist der Grund zu sehen, weswegen sich das Unternehmen trotz der gravierenden Umweltschäden mit aller Macht gegen Anwendungsverbote wehrt“, so Mimkes weiter.

Die CBG stellt die Strafanzeige gemeinsam mit dem Imker Fritz Hug, dessen Bienen im Frühjahr durch Clothianidin getötet wurden.

Informationen zur Strafanzeige finden Sie online: http://www.cbgnetwork.de/2561.html

Für Rückfragen:
Rechtsanwalt Harro Schultze: Tel 0221 - / 25 21 75, E-Mail: RA_Schultze@freenet.de

Das Verfahren wird bei der Staatsanwaltschaft Freiburg (Telefon: 0761 2050) unter dem Aktenzeichen 520 UJs 1649/08 geführt

Die Kampagne wird gefördert von der Stiftung Menschwürde und Arbeitswelt (Berlin) und dem Ökofonds der Grünen NRW.

Zwangsarbeit

CBG Redaktion

11. August 2008, FAZ

BAYER: Zwangsarbeit schon im 1. Weltkrieg

Katastrophale Lebensbedingungen

„Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“, rief Carl Duisberg, Generaldirektor der Bayer-Werke in Leverkusen, dem preußischen Kriegsminister im September 1916 zu. Duisberg und andere prominente deutsche Industrielle wie Stinnes, Krupp und Rathenau wollten durchsetzen, dass belgische Arbeiter nach Deutschland deportiert und den Unternehmen der Kriegswirtschaft als dringend benötigte Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt würden. In dieser Forderung waren sie sich einig mit der seit August 1916 amtierenden Obersten Heeresleitung Hindenburg/Ludendorff, die zu einer tendenziell totalen Kriegführung überging. Wenige Wochen vor der Sitzung im preußischen Kriegsministerium, in der vom „Menschenbassin Belgien“ gesprochen wurde, fiel die Entscheidung. Gegen den Widerstand der Zivilverwaltung im Generalgouvernement Belgien und das anfängliche Zögern der Reichsleitung wurde unter dem Druck der Heeresleitung beschlossen, arbeitslose Belgier ins Deutsche Reich zu verbringen, um sie dort zur Zwangsarbeit einzusetzen, vor allem bei Unternehmen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Man glaubte, auf diese Weise mehrere hunderttausend Arbeitskräfte gewinnen zu können. Mit den seit Ende Oktober 1916 in Belgien durchgeführten Zwangsaushebungen begann ein besonders unrühmliches Kapitel der deutschen Kriegspolitik.
Die Deportationen aus Belgien gediehen für Deutschland zu einem gewaltigen Debakel, einem doppelten Fiasko. Zum einen wurde das angestrebte Ziel, massenhaft Arbeiter für die deutsche Kriegswirtschaft rekrutieren zu können, deutlich verfehlt. Zum anderen lieferte die völkerrechtlich höchst umstrittene, wenn nicht gar völkerrechtswidrige Aktion den Mächten der Entente begehrte Waffen für den Propagandakampf gegen das Deutsche Reich. Die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Russlands protestierten sofort offiziell und klagten Deutschland an, internationale Abkommen, die Menschenrechte und die Grundsätze der Humanität zu verletzen. In der Presse wurde die „Versklavung der belgischen Zivilbevölkerung“ aufs schärfste angeprangert. Um die barbarische Dimension der Deportationen anschaulich zu machen, bemühte man auch Vergleiche mit angeblichen historischen Vorbildern wie den arabischen Sklavenjagden in Afrika oder dem Vorgehen der Hunnen Attilas. Besonders gravierend für Deutschland wirkten sich die Reaktionen in den Vereinigten Staaten aus, deren Neutralität zu diesem Zeitpunkt auf des Messers Schneide stand. Die Befürworter eines Kriegseintritts auf Seiten der Alliierten nutzten die Gelegenheit und geißelten die Aktion der Deutschen als moderne Sklaverei. Die Deportationen verstärkten die vorhandenen antideutschen Ressentiments und Stimmungen. Der deutsche Botschafter in Washington, Graf Bernstorff, sprach von allgemeiner, tiefgehender und aufrichtiger Empörung und meinte, um die Jahreswende 1916/17 habe Deutschland das „Ringen um die amerikanische Seele“ verloren.
Als die Deportationen im Februar 1917 eingestellt wurden, war dies nicht ausschließlich, aber auch auf die internationalen Proteste zurückzuführen. Entscheidender freilich war die Enttäuschung darüber, dass die Aktion nicht zu der erwarteten massenhaften Rekrutierung einsatzfähiger Arbeitskräfte führte. Etwa 60 000 überwiegend arbeitslose Belgier wurden zwischen Ende Oktober 1916 und Februar 1917 nach Deutschland transportiert. Fast ein Drittel entließ man - aus unterschiedlichen Gründen - wieder nach Belgien. Nur etwa ein Viertel der Deportierten gelangte überhaupt in Unternehmen der Kriegswirtschaft, wo man mit ihren Arbeitsleistungen oft sehr unzufrieden war. Die Übrigen hausten in Sammellagern unter meist katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen, etwa 12 000 der Deportierten starben in Deutschland. Diese traurige Bilanz verdeutlicht das Ausmaß des Misserfolgs der von Oberster Heeresleitung und deutschen Großindustriellen durchgesetzten Aktion einer Zwangsrekrutierung belgischer Arbeiter.
Über den gesamten Problemkomplex der Deportationen aus Belgien im Ersten Weltkrieg informiert jetzt eingehend und zuverlässig eine umfängliche, aber dank klarer schnörkelloser Diktion gut lesbare Untersuchung. Jens Thiel bietet nicht nur eine genaue Nachzeichnung des Entscheidungsprozesses, der in den Deportationsbeschluss mündete, sowie eine Schilderung von Vorbereitung, Ablauf und Ende der Deportationen, sondern er bettet seine Darstellung der Zwangsrekrutierung belgischer Arbeiter in einen umfassenden Kontext ein. Ausführlich behandelt er die deutsche Arbeitskräftepolitik gegenüber Belgien vor und nach den Deportationen, die - überwiegend kritischen - Stellungnahmen deutscher Politiker zu den Zwangsmaßnahmen gegen belgische Arbeiter, die (Feind-)Wahrnehmung des belgischen Arbeiters bei vielen Deutschen und in der Publizistik, schließlich die langwierigen Auseinandersetzungen nach Kriegsende und Friedensvertrag um belgische Entschädigungsforderungen und die (unterbleibende) Strafverfolgung der für die Deportationen Verantwortlichen.
Keine Untersuchung über Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg kann auskommen ohne einen Blick auf die Zwangsarbeiterbeschäftigung im Zweiten Weltkrieg: Hat die zwangsweise Rekrutierung und Beschäftigung belgischer und anderer ausländischer Arbeiter ein Vorbild für die brutale Ausbeutung von Zwangsarbeitern durch das nationalsozialistische Deutschland abgegeben? Thiel stellt sich abschließend dieser Frage und kommt zu einer differenzierten Antwort. Mit anderen Forschern ist er sich darin einig, dass die Zwangsmaßnahmen im Ersten Weltkrieg eine gewisse Vorbildwirkung für die Ausformung des nationalsozialistischen Zwangsarbeitersystems besaßen, er sieht aber auch die Gefahr, „die spezifischen Ausgangsbedingungen, Hintergründe und Determinanten der Arbeitskräftebeschaffung im Ersten Weltkrieg zu vernachlässigen und die zweifelsohne vorhandenen Kontinuitätslinien einseitig zu betonen“. Dass Thiel die Arbeitskräftepolitik während des Ersten Weltkriegs als eigenständiges historisches Phänomen behandelt, ebendas macht die hohe Qualität seiner Studie aus. EBERHARD KOLB

Jens Thiel: „Menschenbassin Belgien“. Anwerbung, Deportation und Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Klartext Verlag, Essen 2007. 426 S., 39,90 Euro.

[Brunsbüttel] Klimakiller

CBG Redaktion

auf dem Gelände von Bayer Brunsbüttel sollen zwei Kohle- und ein Müllkraftwerk errichtet werden

8. August 2008, Wilstersche Zeitung

Müll- und Kohlekraftwerke: Beschwerde in Brüssel erhoben

Kraftwerkspläne und die Einspeisung des Offshore-Windstroms wurden von der Bürgerinitiative beraten.

„Die Landesregierung tut alles, um den Bau von Kohlekraftwerken an der Unterelbe baurechtlich abzusichern.“ Diese Meinung vertrat Dr. Karsten Hinrichsen auf einem Treffen der Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe im Sportlerheim in Flethsee.

Aktuell diskutierte die Bürgerinitiative den Entwurf des Landesentwicklungsplanes, mit dem Brunsbüttel bis zum Jahr 2025 zu einem Standort von Großkraftwerken gemacht werden soll. Deshalb habe - so Dr. Hinrichsen - der Bauausschuss der Stadt Brunsbüttel einen Antrag beschlossen, den künftigen Offshore-Windstrom nicht am Knotenpunkt Brunsbüttel, sondern am Schaltwerk bei Wilster ins Netz einzuspeisen. „Dadurch würde der Netzknoten Brunsbüttel für die geplanten Steinkohlekraftwerke freigehalten“, sieht Hinrichsen einen Grund für die Brunsbütteler Planungen.

Beides schwächt nach seiner Meinung die Position der Bürgerinitiative und der umliegenden Gemeinden, die die Umweltbelastungen zu tragen haben. Dr. Hinrichsen rief die Gemeinden dazu auf, sich ablehnend gegen die Vorschläge der Stadt Brunsbüttel zu äußern. Die BI selbst werde ihre Position informell der Landesentwicklungsbehörde zur Kenntnis bringen.

Die Planungen der Energieversorger gehen in die gleiche Richtung. So soll schon 2010 im Industriepark auf dem Bayer-Gelände das Industrieheizkraftwerk mit 140 Megawatt in Betrieb gehen. 2010/11 soll das 800-MW-Kohlekraftwerk von Electrabel auf dem Bayer-Areal folgen. 2012 soll das Doppelblock-Kohlekraftwerk der Südweststrom mit zwei 800 bis 900 MW starken Kraftwerksblöcken ans Netz gehen, ehe 2014 das Getec-Kohlekraftwerk auf Bütteler Gemeindegebiet folgen soll. Gesamtinvestition: mehr als fünf Milliarden Euro. „Und wenn Moorburg fällt, kommt Vattenfall auch noch“, übt sich Dr. Hinrichsen in Schwarzmalerei.

Getec, so erinnerte er noch einmal, habe das erforderliche Grundstück von Bayer im Rahmen eines Erbbauvertrages erworben. Die Getec-Planer gehen davon aus, dass sie das Kohlekraftwerk ohne Kühltürme werden betreiben können. „Der Vertrag ist aber strengstens geheim“, bedauert Hinrichsen die Geheimniskrämerei.

Nach Ansicht des in Brokdorf lebenden Meteorologen werden mit den Brunsbütteler Kraftwerken zwar die Grenzwerte der Emissionen eingehalten, aber nicht alle technischen Möglichkeiten ausgenutzt, um die Belastungen noch weiter zu drücken. Beim Industrieheizkraftwerk werden sogar die EU-Vorgaben nicht eingehalten. Ein Grund mehr, dass die Bürgerinitiative mit ihrem Pinneberger Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Mecklenburg inzwischen Beschwerde bei der EU-Kommission in Brunsbüttel eingereicht hat.

In diesem Zusammenhang begrüßt Dr. Hinrichsen die vom Kieler Landwirtschafts- und Umweltministerium erlassenen neuen Leitlinien, mit denen die bisherigen Grenzwerte weiter gesenkt werden sollen. Das Ministerium ist überzeugt, dass Anlagen moderner Technik in der Lage sind, die Emmissionsgrenzwerte teilweise sehr deutlich zu unterschreiten. Mit einer Reduzierung der Grenzwerte könnte eine „Akzeptanzerhöhung der Vorhaben“ in der Bevölkerung erreicht werden.
Von Jochen Schwarck

[Presse Konferenz] Neonicotinoide

CBG Redaktion

Die tageszeitung, 18. Juli 2008

Das große Bienensterben

Gift für Jungbienen

Zwei Pestizide haben mindestens 330 Millionen Bienen getötet. Daran verdient hat die Bayer AG. Jetzt werden die Imker böse. VON SVENJA BERGT

Imker und Umweltschützer haben ein Verbot von Bienen gefährdenden Pestiziden gefordert. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) und der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund beziehen sich mit ihrer Forderung vor allem auf die Insektengifte Imidacloprid und seinen Nachfolger Clothianidin. Letzteres ist auch der Wirkstoff des Pestizids Poncho, das allein in der ersten Jahreshälfte zum Tod mehrerer tausend Bienenvölker in der Rheinebene und der Region um Freiburg geführt hat. Umweltschützer gehen sogar von zehntausenden toten Bienenvölkern aus.

„In Deutschland muss immer erst alles richtig kaputt sein, bevor man reagiert“, kritisierte Manfred Hederer, Präsident des Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbunds. Das Bienensterben sei nicht nur eine „dramatische Entwicklung im Naturhaushalt“, es entstehe auch ein volkswirtschaftlicher Schaden. Angesichts dessen, dass 80 Prozent aller Nutzpflanzen von Bienen bestäubt würden, bezifferte er den Nutzen von Bienen auf über 400 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Chemiekonzern Bayer hat nach eigenen Angaben 2007 mit den beiden Pestiziden einen Umsatz von 793 Millionen Euro erzielt.

Kritik übten Imker und Umweltschützer nicht nur an Agrarminister Horst Seehofer (CSU), sondern auch am Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Das hatte die Zulassung von Beizmitteln mit Clothianidin und Imidacloprid zunächst ausgesetzt, nachdem das Bienensterben in Süddeutschland bekannt wurde. Seit Ende Juni ist der Einsatz der beiden Wirkstoffe jedoch wieder erlaubt - zumindest beim Raps. Daher fordern die Imker neben der Verschärfung auch transparentere Zulassungsverfahren für die Wirkstoffe. „Momentan laufen die Versuche bei der Zulassung nur mit ausgewachsenen Bienen“, kritisiert Hederer. Problematisch seien die Gifte aber vor allem für Jungbienen, deren Immunsystem noch schwächer sei.

Die freiwillige Entschädigungszahlung von insgesamt zwei Millionen Euro, die Bayer den Imkern versprochen hat, sei „ein Witz“. Er erwartet, dass viele Imker die mit der Entschädigung verbundene Bürokratie angesichts des Missverhältnisses zwischen tatsächlichem Wert eines Bienenvolks und der Zahlung, scheuen werden.

Gemeinsame Pressemitteilung des Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN), des Deutschen Berufs- und Erwerbs-Imkerbunds (DBIB) und des BUND vom 17. Juli 2008

BUND, PAN und Berufsimker fordern Verbot Bienen tötender Pestizide

Berlin: Das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN), der Deutsche Berufs- und Erwerbs-Imkerbund (DBIB) und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) forderten heute Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer auf, alle Pestizide mit den Bienen gefährdenden Insektengiften Clothianidin und Imidacloprid der Firma Bayer CropScience umgehend zu verbieten. Seehofer müsse zudem dafür sorgen, dass Bienen gefährdenden Pestiziden in Deutschland und der EU die Zulassung entzogen wird. Wenn Ende August mit Clothianidin und Imidacloprid gebeizter Raps ausgesät werde, drohe ein ähnliches Bienensterben wie im Frühjahr, als mit Clothianidin-haltigen Pestiziden gebeizter Mais in Baden-Württemberg zehntausende von Honigbienen-Völkern tötete.

Nachdem zunächst die Zulassung von Clothianidin- und Imidacloprid-haltigen Beizmitteln ausgesetzt worden war, hatte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) Ende Juni die Zulassung einiger dieser Mittel für die Anwendung bei Raps wieder in Kraft gesetzt. Die genannten Wirkstoffe werden meist in Beizmitteln für Mais, Karotten, Rüben, Raps und Kartoffeln eingesetzt.

„Die Folgen des Bienensterbens sind nicht nur für uns Imker verheerend. Bienen sind auch für die Bestäubung vieler Kulturpflanzen in der Landwirtschaft extrem wichtig“, sagte Manfred Hederer, Präsident der Berufsimker. „Das Gift, das jetzt auf die Felder kommt, kann erneut große Schäden anrichten, auch wenn der Beize mehr Haftmittel beigemengt werden soll. Clothianidin und Imidacloprid bleiben auf dem Acker und jede neue Aussaat bringt mehr davon in die Umwelt.“

Mit Produkten, die die Wirkstoffe Clothianidin und Imidacloprid enthalten, machte Bayer CropScience im vergangenen Jahr weltweit einen Umsatz von 793 Millionen Euro. Susan Haffmans von PAN wies auf mögliche Umweltschäden auch in anderen Ländern hin. „Wenn schon der hohe technische Standard hierzulande keinen ausreichenden Schutz vor Vergiftungen bietet, dann ist es höchst zweifelhaft, dass Tierwelt und Natur in den Exportländern unversehrt bleiben. Statt gebetsmühlenhaft beschworener `technischer Lösungen` dürfen Bienen gefährdende Pestizide gar nicht erst zugelassen werden. Erforderlich ist die konsequente Umsetzung praxiserprobter Alternativverfahren. Dazu zählt insbesondere eine dreigliedrige Fruchtfolge, bei der auf einem Acker nur alle drei Jahre die gleiche Kultur angebaut wird.“

Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND: „Landwirtschaftsminister Seehofer muss sich auf EU-Ebene für einen besseren Schutz der Bienen und der biologischen Vielfalt insgesamt einsetzen. Für den Menschen und für die Natur gefährliche Pestizide müssen endlich verboten werden. Die naturnahe Landwirtschaft braucht diese Agrargifte nicht, deshalb ist auch die entschlossene Förderung des Ökolandbaus ein entscheidender Schritt bei der Zurückdrängung der Risiken.“

Ein Hintergrundpapier über die Bedrohung (speziell der Bienen) durch Pestizide finden Sie im Internet unter:
http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/chemie/20080716_chemie_bienen_hintergrund.pdf

Pressekontakt: Katja Vaupel (BUND), Tel. 030-27586422, Susan Haffmans (PAN), Tel. 040–399191025, Manfred Hederer (DBIB), Tel. 0172–8206459 bzw. Rüdiger Rosenthal, BUND-Pressestelle, Tel. 030-27586-425/489, Fax: -440, E-Mail: presse@bund.net

Antibiotika

CBG Redaktion

AP, 09.07.2008

Warnhinweis bei Antibiotikum Cipro angeordnet

Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat die Hersteller des Antibiotikums Cipro und ähnlicher Mittel angewiesen, auf der Packung vor möglichen Risiken zu warnen. Dabei geht es um die Gefahr möglicher Sehnenrisse. Die FDA reagierte mit ihrer Anordnung auf einen Vorstoß der Verbraucherschutzorganisation Public Citizen. Cipro wird von Bayer hergestellt, das ähnliche Antibiotikum Levaquin von Ortho-McNeil. Das Mittel wird unter anderem zur Behandlung von Infektionen der Harnwege verschrieben.

weitere Informationen zu Nebenwirkungen von Antibiotika

Bienensterben

CBG Redaktion

7. Juli 2008 ka-news

Chlotianidin soll verboten werden

Karlsruhe/Stuttgart - Der NABU Baden-Württemberg hat zusammen mit dem Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund und dem Landesverband badischer Imker eine Petition vor dem Landtag eingereicht, in der das sofortige Verbot des Insektizides Chlotianidin gefordert wird. Zudem fordern die Naturschützer auch die deutliche Reduzierung von Pestizideinsätzen in der Landwirtschaft generell.
„Wir fordern das Land auf, das für das Bienensterben verantwortliche Insektengift sofort aus der Landwirtschaft zu verbannen (ka-news berichtete). Solche Nervengifte gehören in den fest verschlossenen Giftschrank und nicht auf unsere Äcker.“ Mit diesen Worten reichten vergangenen Freitag die Petenten ihre Beschwerde ein. Die Petition fällt zusammen mit dem „Tag der deutschen Imkerei“ am 5. Juli.
330 Millionen Bienen seien nach Schätzungen der Imker vergiftet worden. Von amtlicher Seite wurden im Frühsommer 11.500 geschädigte Bienenvölker gemeldet. Außerdem seien über 350 Wildbienenarten und andere bedrohte Insekten betroffen, unter anderem die artverwandte Ameise.

Wie groß ist der Schaden für die Umwelt?
Für Natur und Landwirtschaft sei vor allem der Mangel an bestäubenden Insekten gravierend, weil Kulturpflanzen wie Obstbäume und Erdbeeren zur Fortpflanzung auf Bestäuber angewiesen sind. Auch gefährdete Wildpflanzen seien von der Problematik betroffen. Der Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim, Dr. Peter Rosenkranz spricht von der „größten Vergiftungskatastrophe Deutschlands“.
„Diese Tatsachen sollten für Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) Grund genug sein, für ein Verbot von Clothianidin zu sorgen“, so die Beschwerdeführenden. Das Bienensterben ist in ihren Augen die Quittung für die jahrelange Untätigkeit seitens der Landesregierung im Bezug auf ein Verbot schädlicher Pestizide.

Wie konnte es soweit kommen?
Das Bundesamt für Verbraucherschutz hatte im Mai den Verkauf gestoppt (ka-news berichtete). Laut Cynthia Böhm vom Deutschen Imkerbund habe es zwar Informationen gegeben, die den Landwirten von der Benutzung des Mittels abriet. Jedoch hätten die meisten das Mittel schon gekauft gehabt. Da der Hersteller-Konzern Bayer keine Entschädigung zahlte, seien die Bauern aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen gewesen, Chlotianidin-behaftetes Saatgut auszustreuen.
Die Samen werden mit pneumatischen Maschinen in die Erde gebracht. Zu wenig Klebemittel, mit dem das Pestizid am Saatgut haften soll, sei der Grund, weshalb bei der maschinellen Aussaat Clothianidin auch in die umliegende Landschaft gelangt sei. Von Seiten der Clothianidin-Gegner wird vermehrt die Anwendung von Fruchtfolgen gefordert, mit Hinweis auf Erfahrungen aus dem Ausland. Große Monokulturen ohne jährlichen Wechsel seien eine Einladung an Schädlinge zur schnellen Ausbreitung.

Steht das nächste Bienensterben schon kurz bevor?
„Wenn Clothianidin weiter ausgebracht werden darf, ist das nächste Insekten-Massensterben nicht mehr weit“, sagen sie weiter. Unterstützt wird die Petition auch von der SPD-Landtagsfraktion. Deren naturschutzpolitischer Sprecher Christoph Bayer fordert Minister Hauk auf, seine laut Bayer „althergebrachte“ Pestizidpolitik zu ändern.
Das Verbot sei die einzig mögliche Reaktion auf die Politik des „Weiter so“ von Hauk. Man fordere, das Mittel solange nicht mehr einzusetzen, bis sichergestellt sei, dass sich ein Desaster wie das diesjährige Bienensterben nicht mehr wiederhole.
Dass die Landesregierung das Mittel bereits wieder einsetzen wolle, obwohl sie noch nicht einmal genau wisse, welche Umweltschäden durch das Mittel entstanden seien, könne der Umweltpolitiker nicht verstehen. „Das enthüllt altes Denken, welches nur die chemische Keule kennt“, sagt er weiter. Manchem Imker seien nur noch „eine Hand voll“ Bienen geblieben, so Böhm. (tjb)