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Veröffentliche Beiträge von “Marius Stelzmann”

BAYERs maritime Altlasten

Marius Stelzmann

Weltkriegsmunition en masse in Nord- und Ostsee

Allein in den deutschen Gebieten von Nord- und Ostsee lagern mehr als 1,6 Millionen Tonnen Bomben, Minen und Granaten. Viele dieser gefährlichen Altlasten zweier Weltkriege haben BAYER bzw. die IG FARBEN produziert. Die Politik nimmt sich dieses brisanten Themas bis heute nur widerstrebend an.

Von Burkhard Ilschner

Es begann vor mehr als 100 Jahren und eskalierte vor rund 75 Jahren. Was einst – fälschlich – als vermeintliche Lösung gepriesen wurde, wird seit gut einem Vierteljahrhundert immerhin als Problem benannt: Die Rede ist von eben jenen Munitionsaltlasten zweier Weltkriege, die auf dem Meeresgrund langsam vor sich hin rotten und eine eklatante Gefahr bedeuten für Menschen auf See und an den Küsten, für Fischerei, Sportschifffahrt und Tourismus und vor allem für die Meeresumwelt. Sie enthalten nicht nur hochriskante Sprengstoffe und Zünder verschiedenster Arten, sondern viele von ihnen auch chemische Kampfstoffe (siehe Kasten), zusammen mehrere tausend Tonnen.

Ewigkeitskosten

Was daraus wird, ist bis heute weitgehend ungeklärt. Das Problem dürfte noch Generationen beschäftigen. Zwar wird seit Jahrzehnten und immer lauter wirksames Entsorgungshandeln gefordert. Tatsächlich wird die ganze Sache aber bis heute – politisch und administrativ – verschleppt, verharmlost oder geleugnet. Erst in diesem Jahr hat die Bundesregierung die Entwicklung von Lösungskonzepten in Auftrag gegeben, die 2024/25 zu ersten Bergungsversuchen führen sollen – Ende offen.

Zwar ist dieses marine Altlastenproblem ein globales, es ist aber unstrittig, dass die größten Anteile der in nordeuropäischen Gewässern lagernden Spreng- und Giftstoffe aus deutscher Produktion, nicht zuletzt vom BAYER-Konzern bzw. der von ihm mitgegründeten IG FARBEN stammen: Nach dem Ersten Weltkrieg wurde vorwiegend auf Veranlassung der Alliierten Munition des besiegten deutschen Reichs von der Biskaya über die Nordsee bis Gotland im Meer versenkt, häufig durch „einfaches“ Überbordkippen, oft aber auch durch Versenkung ganzer Schiffe mit giftiger oder explosiver Ladung. Übliche Methoden der Kampfmittelvernichtung (Sprengung oder Verbrennung) galten angesichts der zu bewältigenden Mengen als zu zeit- und kostenaufwändig und zu riskant für das beteiligte Personal. Versenkung auf See hingegen schien effizient und eben unproblematisch.

In den 1940er Jahren war es zunächst die deutsche Wehrmacht, die kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs Kampfstoffmunition in der Ostsee versenkte, um sie dem Zugriff gegnerischer Streitkräfte zu entziehen. Nach der Kapitulation Nazideutschlands indes praktizierten die Siegermächte dasselbe, was sie 30 Jahre zuvor auch getan hatten. Und der eigenen Bequemlichkeit halber packten die Alliierten ihre eigenen, nicht mehr benötigten Munitionsmengen gleich dazu, verklappten sie nicht nur in Nord- und Ostsee, sondern teilweise auch in eigenen Küstengewässern. Insgesamt wird vermutet, dass allein nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Millionen Tonnen Munitionsaltlasten und Giftkampfstoffe in Europas Meeren versenkt wurden. Aber dabei blieb es nicht, auch seitens BRD und DDR wurden solche Versenkungen bis in die 1960er Jahre vorgenommen.

Rücksicht auf SeefahrerInnen oder KüstenbewohnerInnen kamen in den Jahrzehnten nach Kriegsende im Denken der Verantwortlichen selten vor – und Meeresumweltschutz spielte bekanntlich auch keine Rolle: Schließlich wurden in und auf den Meeren allgemein bis weit in die 1980er Gift-Müll, -Abfälle und -Abwässer verklappt, eingeleitet oder verbrannt. Für kurze Zeit gab es in den 1950er Jahren gezielte Versuche, versenkte Kampfmittel wieder zu bergen, um enthaltene Rohstoffe zurückzugewinnen. Und gelegentlich flackerten Debatten über die versenkten Altlasten auf, wenn FischerInnen Teile davon in ihren Netzen fanden oder Unfälle gemeldet wurden. Allerdings führte all dies nie zu nennenswerten politischen oder administrativen Aktivitäten, die gezieltes Bergen und Entsorgen der Unmengen versenkter Kampf- und Giftstoffe beabsichtigt hätten.

Diese praktizierte und propagierte Sorglosigkeit hatte unter anderem eine wesentliche Ursache: Die wenigsten Versenkungen waren seinerzeit ordentlich dokumentiert worden – aus den Augen, aus dem Sinn. Folge dieser fast schon organisiert zu nennenden Nachlässigkeit sind bis heute lückenhafte oder fehlende Angaben über vollzogene Munitionsversenkungen: Die meisten Daten über Umfang, Ort, Art und Menge basieren mehr auf Schätzung und Hörensagen als auf konkreten und belegbaren Fakten.

Erste Debatten

Zwar gab es etwa ab Mitte der 1980er Jahre (nicht nur) in Deutschland erste Debatten über mögliche Gefährdungen von Mensch und Umwelt durch versenkte Kampfmittel, Auslöser waren vor allem die Schadensfälle in der Fischerei. Unfälle in Tourismusgebieten, beispielsweise durch am Strand angespülte Munitions- oder Kampfstoffreste, wurden hingegen gerne kleingeredet oder gar verschwiegen, mensch wollte potentielle Gäste (aktuelle wie künftige) ja nicht verschrecken.

Ab den 1990er Jahren wurde häufig intensiver recherchiert, es gab Anfragen und Debatten im Bundestag, es gab behördliche Untersuchungen etwa über „Chemische Kampfstoffmunition in der südlichen und westlichen Ostsee“ oder über die Sicherheit der maritimen Transportwege in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (1). Es gab vereinzelte Bestrebungen, die Geschichte der Munitionsversenkungen in ihren Dimensionen und erwartbaren Folgen aufzuarbeiten – nur Planungen oder gar Umsetzung handfester Maßnahmen zur Bergung und Entsorgung gab es weiterhin nicht.

Vielmehr beschwichtigten die Behörden damals, dass vor der deutschen Nordseeküste Munitionsaltlasten nur in einer Größenordnung von 10.000 Tonnen lagern würden und es nur eine Handvoll von Unfällen mit diesem explosiven Erbe gegeben habe. Es ist dem Koblenzer Meeresbiologen und Umweltgutachter Stefan Nehring zu verdanken, dass das wahre Ausmaß der Millionen Tonnen und mehr als 1.000 Opfer versenkter Munition öffentlich bekannt wurde. Ab 2005 veröffentlichte er kontinuierlich (und das meiste davon exklusiv) in der damaligen Zeitschrift Waterkant Hintergründe und eigene Rechercheergebnisse – brisante Aktenfunde über Versenkungsprotokolle, detaillierte Unfallberichte und -statistiken, aktuelle Bewertungen zur beginnenden Entsorgungsdebatte und vieles andere mehr (2).

Es waren zunächst vor allem die einstige Bremer Meeresschutzorganisation  Aktionskonferenz Nordsee (AKN) und parallel auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU), die auf Grundlage von Nehrings Recherchen auf Kongressen und in Publikationen dringendes Handeln anmahnten. Durch den steigenden Druck der begleitenden Medienberichte und Anfragen in den Parlamenten sah sich die 1997 gegründete Arbeitsgemeinschaft Bund/Länder-Messprogramm für die Meeresumwelt von Nord- und Ostsee (3) genötigt, sich ab 2008 im so genannten ExpertInnenkreis „Munition im Meer“ organisiert mit der marinen Altlastenproblematik zu beschäftigen.

Verharmlosungen

Allerdings fanden sich in dessen 2011 veröffentlichtem Ergebnisbericht (4), der alle durch Nehring recherchierten Daten bestätigte, eher überraschende Aussagen, etwa unter dem Titel „Gesamtbewertung“ folgender Satz: „Derzeit ist nicht erkennbar, dass eine großräumige Gefährdung der marinen Umwelt über den lokalen Bereich der munitionsbelasteten Flächen hinaus vorhanden oder zukünftig zu erwarten ist. Eine Gefährdung besteht jedoch punktuell für Personengruppen, die im marinen Bereich der Nord- und Ostsee mit Grundberührung tätig sind.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte es über Jahre bereits neben diversen Unfällen in der Berufs- und Freizeitfischerei auch Verletzungen etwa an touristisch genutzten Stränden durch angespülte Kampfstoffreste gegeben. Und auch dieser Satz aus derselben Publikation konsternierte damals kritische ExpertInnen: „Eine efährdung es erbrauchers durch möglicherweise kontaminierte marine Produkte, insbesondere Nahrungsmittel, ist nach derzeitigem Kenntnisstand als äußerst unwahrscheinlich einzuschätzen. Es sind keine in diese Richtung deutenden konkreten Belege bekannt.“ Tatsächlich gab es zu dieser Zeit bereits Veröffentlichungen, die erhebliche Zweifel an dieser Sichtweise äußerten und teilweise fundiert begründeten. So waren nicht nur Berichte über Schadstoffspuren aus Kampfstoffresten in der marinen Nahrungskette veröffentlicht worden, sondern auch Prognosen, dass dieses Problem aufgrund von Verrottungsprozessen in den kommenden Jahrzehnten eskalieren dürfte.

Pikant aus damaliger wie heutiger Sicht war es vor allem, dass die AutorInnen ihren Bericht explizit „als lebendiges und wachsendes Dokument“ bezeichneten, „regelmäßige Aktualisierung und fortlaufende Erweiterung sind vorgesehen“. Es folgten nämlich sieben jährliche Fortschrittsberichte, allerdings sind – so der Kieler Professor Uwe Jenisch 2021 im marineforum – die zugehörigen Karten dabei „leider“ nie aktualisiert worden: Unter anderem bei Stefan Nehring hätten die ExpertInnen in all diesen Jahren genügend Material dazu finden können. Insgesamt brauchte es nach 2011 weitere acht Jahre, bis Ende 2019 die 93. Umweltministerkonferenz des Bundes und der Länder eine finale Aktualisierung dieses Berichts beschloss. Der erschien dann als ganze zwei Seiten umfassendes Dokument im März 2021 – konstatierte inzwischen aber immerhin „dringenden Handlungsbedarf“ (5).

Um nicht missverstanden zu werden: In Bundes- und Landesparlamenten, in Administrationen, Behörden oder Instituten gab und gibt es viele engagierte, um Aufklärung bemühte Kräfte, Einzelpersonen oder Kleingruppen wie Forschungsteams; nur blieb ihnen all die Jahrzehnte jene politisch-administrative Gesamtkoordination versagt, die eine Problemlösung entscheidend hätte näher bringen können. „Munition im Meer“ war über lange Zeit – schaut man durch eine Lupe öffentlichen Interesses – vor allem eine Art verstecktes Schubladenthema.

Punktuelles Aufsehen gab es etwa, wenn brisante Altlasten in oder am Rande einer wichtigen Schifffahrtsstraße vermutet, gesucht, entdeckt und oft zügig geräumt oder gesprengt wurden (nicht immer im Einklang mit geltendem Naturschutzrecht). Auch konkrete wirtschaftliche Motive führten zu Aktionismus: Für neue Windparks etwa, für die Trasse der Nordstream-Pipeline oder für den anhaltend umstrittenen Tunnelbau im Fehmarnbelt wurde nach Kriegsaltlasten gesucht, die das Vorhaben hätten beeinträchtigen können, wurde im Falle der Entdeckung vor Ort geräumt. Auf unzähligen Konferenzen wurden teils parallel, teils mit solchen Vorhaben zusammenhängend Daten zusammengetragen und ausgetauscht. Aber niemals gab es den entscheidenden „Kick“ von verantwortlicher politischer Seite, den Weg zu ebnen für eine planmäßige und großflächige Erfassung samt Erarbeitung eines Gesamtkonzepts zur zügig sich anschließenden Beseitigung der brisanten Hinterlassenschaften.

Es handelt sich im Grunde genommen um organisiertes politisches Versagen. Ob vorsätzlich oder fahrlässig, sei dahingestellt – es ist die konsequente Fortsetzung jener Nachlässigkeit, mit der vor Jahrzehnten verklappt und versenkt worden ist. Immer wieder gab und gibt es Berichte und Enthüllungen über „Gefahr aus der Tiefe“, „Giftgasklumpen an den Stränden“, „Bombenstrände“, „Giftgasgranaten im Schleppnetz“, „Senfgasopfer im Hospital“, „Tickende Zeitbomben im Meer“ oder „Giftiges Arsen in Schollen“ – einige wenige Beispiele aus Schlagzeilen mehrerer Jahrzehnte. Nur hatte das eben lange Zeit keine politischen oder administrativen praktischen Folgen.

Ampel-Aktivitäten

Erst seit Kurzem scheint sich das zumindest ansatzweise zu ändern. Es bleibt nach den Erfahrungen vergangener Jahrzehnte allerdings abzuwarten, mit welcher Konsequenz und Ausdauer das auch zu Erfolgen führt. In ihrem Koalitionsvertrag hat die amtierende Berliner Koalition im November 2021 knapp, aber markant vermerkt: „Für die Bergung und Vernichtung von Munitionsaltlasten in der Nord- und Ostsee wird ein Sofortprogramm aufgelegt sowie ein Bund-Länderfonds für die mittel- und langfristige Bergung eingerichtet und solide finanziert.“ Entschieden klingende Worte, die aber möglicherweise nicht so gemeint waren. Ein halbes Jahr später, im Mai 2022, kritisierte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Kurzinformation: „Bislang war die Kartierung dieser Munitionsaltlasten lückenhaft, nur ein Teil der Munitionsversenkungsgebiete ist bekannt. Infolge von Explosionsvorfällen kommen immer wieder weitere hinzu. Eine detaillierte und umfassende Kartierung liegt bislang nicht vor“ (6).

Das ist aber längst nicht alles. Im August 2022 wimmelte die Ampel-Koalition eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erst einmal ab: „Nach Auffassung der Bundesregierung (…) besteht in Bezug auf Altmunition im Meer keine allgemeine rechtliche Verpflichtung des Bundes oder der Länder zum Tätigwerden. Daraus abgeleitet existiert auch keine finanzielle Verpflichtung.“ Im Kern bedeutet das nichts anderes als: Mensch gibt sich bemüht, verbittet sich aber, gedrängelt oder gar beim Wort genommen zu werden. Gleichzeitig kündigte die Ampel jedoch ein Sofortprogramm an, dessen interdisziplinär vorbereitende Arbeiten bereits begonnen hätten, und lobte sich selbst: Dies wäre „die weltweit erste Erprobung zielgerichteter und konzertierter Beräumung munitionsbelasteter Flächen auf dem Meeresboden“ (7).

Geplant ist, eine technisch innovative Bergungsplattform entwerfen und bauen zu lassen, die angeblich schon 2024/25 ihre Arbeit zunächst in der Ostsee aufnehmen soll. Sie soll mit Hilfe von Robotik Munition vom Meeresboden bergen und an Bord unschädlich machen, so dass Gift- und andere Gefahrstoffe danach an Land vernichtet werden können. Klingt gut? Ja, geht aber nicht so schnell. Falls der Plan funktioniert, wird es dennoch eine vermutlich viele Jahrzehnte dauernde Aufgabe. Um so wichtiger wäre es, das Vorhaben nun zügig anzupacken. Nur sieht es danach momentan nicht aus.

Vor knapp zwei Jahren hatten sich in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt mehr als 150 ExpertInnen bei der „Kiel Munition Clearance Week“ mit Bestandsaufnahme und Aufgabenstellung befasst. Am Ende des Kongresses forderte die Landesregierung von „der nächsten Bundesregierung“ rasche Zusagen für eine industrielle Bergung der gefährlichen Altlasten, denn die Küstenländer könnten dies allein nicht lösen. Wie es danach weiterging, ist oben fragmentarisch beschrieben; was indes zu ergänzen bleibt, ist die Frage der Finanzierung – und die wird, typischerweise, zum Bremsklotz.

Grob geschätzt, geht es um mehr als 100 Millionen Euro, die das Vorhaben „Plattform“ von Entwicklung, Bau und Ausrüstung bis zum praktischen Einsatz zunächst kosten soll. Die Küstenländer sehen den Bund in der Pflicht, der Bund sieht es als unabdingbar an, dass die Küstenländer sich beteiligen – das übliche Gerangel. Die Bundesregierung hat zwar mittlerweile einen 100-Millionen-Euro-Etat bereitgestellt und vom Bundestag beschließen lassen. Aber im entsprechenden Beschluss des parlamentarischen Haushaltsausschusses wurde im November 2022 eindeutig festgelegt, bis zum 30. Juni dieses Jahres „soll die Ausschreibung für die mobile, schwimmende Anlage erfolgen und bis Ende des Jahres sollen entsprechende Verträge geschlossen werden“. Das sei erforderlich, um die „Verträge für den Bau der Anlage noch 2023 schließen zu können und das Pilotprojekt so schnellstmöglich umzusetzen“.

Der Stichtag ist inzwischen deutlich überschritten, die Ausschreibung bislang nicht erfolgt. Stattdessen gewinnt die Ausein-andersetzung an Schärfe und ist vermutlich nur dank der parlamentarischen Sommerpause bislang nicht eskaliert. Anfang August sorgte die Industrie- und Handelskammer Nord für Druck mit einem Appell für sofortiges politisches Handeln. Zuvor hatte Anfang Juni die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke „ein Konzept für das von ihr angekündigte ‚Sofortprogramm‘ zur Bergung von Munitionsaltlasten aus Nord- und Ostsee vorgelegt“ (8), das sofort in die Kritik geriet. Es hieß, darin sei vorgesehen, mit der Altlastenbergung zügig zu beginnen, und zwar zunächst „mit verfügbarer Technik“. Das soll 30 Millionen Euro kosten, die geplante Plattform erst währenddessen parallel entwickelt werden. Eine Überprüfung dieses Berichts war nicht möglich, weil das Ministerium dem Autor auf Anfrage mitteilte, das Dokument sei „bislang nicht öffentlich verfügbar. Wir informieren Sie, wenn sich daran etwas ändern sollte“ (9). Das ist bis Redaktionsschluss nicht erfolgt.

Kritik an Lemkes Vorgehensweise kam unter anderem von der ostholsteinischen SPD-Abgeordneten Bettina Hagedorn, die darin einen klaren Verstoß gegen den Beschluss des Haushaltsausschusses sieht (10), denn in diesem sei nicht vorgesehen, einen Teil der Gelder anders als für das Plattformprojekt zu verwenden. Ob Zufall oder nicht, sei dahingestellt – etwa zeitgleich berichtete die Tagesschau über den Auftritt von Annalena Baerbock (Grüne) auf der Außenministerkonferenz des Ostseerats Anfang Juni in Wismar: Baerbock soll dort unter anderem eine Beteiligung der Investoren von Offshore-Windparks an den Kosten der Munitionsaltlastenbergung ins Gespräch gebracht haben.

Das passt zwar zu der geschilderten Hagedorn-Kritik (die auch von anderen Abgeordneten ähnlich geäußert wurde), Lemkes Konzept schmälere den Etat für das innovative Bergungsplattform-Projekt: Eine Beteiligung von dritter Seite könnte schließlich helfen, die dabei entstehenden Finanzierungslücken zu schließen. Das passt aber auch exakt zu der hier – angesichts der Komplexität nur exemplarisch – geschilderten Geschichte des gesamten Problems und des Verhaltens von Politik und Administration: Eine Menschen und Meeresumwelt schützende, flächendeckende und effektive Erfassung, Bergung und Entsorgung von Munitionsaltlasten und Giftkampfstoffen wird so nur dorthin verschoben, wo sie schon jahrzehntelang hat ausharren müssen – aufs Wartegleis. ⎜

Burkhard Ilschner war lange Jahre Mitherausgeber und Redakteur der maritimen Zeitschrift Waterkant und ist heute verantwortlich für das gleichnamige, kostenlose Online-Portal (Unterstützung und Mitarbeit willkommen).

Anmerkungen:

1. Laut UN-Seerechtskonvention stehen Küstenstaaten bis zu 200 (in Ausnahmen 350) Seemeilen als so genannte Ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZ) zu – Meeresgebiete, in denen sie exklusiv wirtschaften, die Schifffahrt aber nicht behindern dürfen. Da sich in Nord- und Ostsee die AWZ-Ansprüche der Anrainer überlappen, hat mensch hier eine gegenseitige Zonierung geringeren Ausmaßes vereinbart. Details siehe auch https://worldoceanreview.com/de/wor-1/seerecht/rechtsordnung-der-ozeane/

2. Unter https://waterkant.info/?page_id=9200 sind die Beiträge von Stefan Nehring vollständig und kostenlos abrufbar.

3. ARGE BLMP Nord- und Ostsee – Vorläuferorganisation der heutigen Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Nord- und Ostsee (BLANO).

4. Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer – Bestandsaufnahme und Empfehlungen; Ergebnisbericht, 10. November 2011

5. BLANO – Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer, https://www.schleswig-holstein.de/uxo/DE/Kurzfassung/kurzfassung_node.html

6. WD 8 - 3000 - 036/22 vom 12. Mai 2022

7. Deutscher Bundestag, Drucksache 20/3198

8. https://www.nordschleswiger.dk/de/ vom 20. Juni 2023

9. E-Mail des BMUV an den Verfasser vom 7. Juli 2023

10.           Pressemitteilung vom 16. Juni 2023

BAYERs Waffenarsenal

Ein gehöriger Teil der chemischen Kampfstoffe, Bomben und Sprengstoffe in Nord- und Ostsee ist made by BAYER. So sorgte der Konzern im Ersten Weltkrieg dafür, dass „die Chemie die ihr in der modernen Kriegsführung zukommende Rolle spielen“ kann, wie der Generaldirektor Carl Duisberg es ausdrückte. Mit Feuereifer arbeitete das Unternehmen daran, „die große, schwierige Frage der Verpestung der Schützengräben mit chemischen Substanzen der Lösung näherzubringen“, und entwickelte Waffen auf Basis von Dianisidin, Blausäure, Chlorkohlenxoxid und anderen Chemikalien. Ein Senfgas trug dabei sogar die Signatur der beiden BAYER-Forscher Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf: Es hieß Lost.

Im Zweiten Weltkrieg avancierte die vom Leverkusener Multi mitgegründete IG FARBEN zum Hauptlieferanten der Wehrmacht. 95 Prozent der Giftgase wie etwa Sarin und Tabun sowie 84 Prozent der Sprengstoffe stammten aus IG-Fabriken. Zudem gehörten Brandbomben, Handgranaten und Maschinengewehre zur Produkt-Palette.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert den Global Player deshalb immer wieder auf, sich an den Kosten für die Bergung des maritimen Waffenlagers zu beteiligen. Das lehnt die Aktiengesellschaft jedoch stets ab.

Die Kampfstoff-Liste

I. Konventionelle Kampfmittel

Diverse chemische Stoffe wurden während beider Weltkriege als konventionelle Kampfmittel entwickelt, um im Einsatz durch Detonation oder als Brandbeschleuniger Objekte oder Menschen zu schädigen. Daneben haben diese Kampfmittel stoffliche und toxikologische Eigenschaften, die für Mensch und Umwelt gefährlich sind, wie die zwei wichtigsten Beispiele von im Meer lagernder Munition zeigen:

2,4,6-Trinitrotoluol (TNT)

Explosivstoff, mit Abstand am häufigsten während des Zweiten Weltkrieges produziert; giftig beim Einatmen, Verschlucken und Berührung mit der Haut; Verdacht auf kanzerogene und mutagene Wirkung; gefährlicher Wasserschadstoff; in der Umwelt persistent mit Gefahr der kumulativen Wirkung.

Phosphor

Brandmittel und Ätzstoff, eingesetzt vor allem in Brandbomben; sehr giftig beim Verschlucken, Berührung mit der Haut und beim Einatmen; fruchtschädigende Wirkung; unter Wasser persistent; kann durch enthaltene Beimischungen (Kautschuk) aufschwimmen; ähnelt optisch Bernstein, zündet beim Abtrocknen selbsttätig, verbrennt mit einer 1300 Grad Celsius heißen Flamme.

II. Chemische Kampfstoffe

Chemische Kampfstoffe stören die physiologischen Funktionen des menschlichen Organismus dermaßen, dass die Kampffähigkeit von Menschen beeinträchtigt oder sogar der Tod herbeigeführt wird. Es sind gasförmige, flüssige oder feste Stoffe, die in Bomben und Granaten oder durch Abblasen oder Versprühen mit Gasflaschen oder Kanistern eingesetzt werden.

Die während des Zweiten Weltkrieges produzierten chemischen Kampfstoffe lassen sich folgenden Wirkstoffgruppen zuordnen:

1. Nervenkampfstoffe

Wichtige Vertreter: Tabun, Sarin, Soman

Hauptsymptome: Krämpfe sowie Lähmung des Atemzentrums (Atemstillstand).

2. Hautkampfstoffe

Wichtige Vertreter: Lost (Senfgas), Lewisit

Hauptsymptome: Hautrötungen, Blasenbildung, nekrotische Gewebezerstörungen mit außerordentlich schlechter Heilungstendenz, Schädigung aller Organe mit ggf. tödlichem Ausgang, stark kanzerogen.

3. Lungenkampfstoffe

Wichtige Vertreter: Phosgen, Diphosgen

Hauptsymptom: toxisches Lungenödem.

4. Nasen- und Rachenreizstoffe

Wichtige Vertreter: Adamsit, Clark I, Clark II

Hauptsymptome: Husten- und Niesreiz, verstärkte Sekretion der Nasenschleimhaut und Speicheldrüsen, Atemnot, Kopfschmerz und Schmerzen im Brustbeinbereich. In hohen Konzentrationen ist Ausbildung eines toxischen Lungenödems möglich.

5. Augenreizstoffe

Wichtiger Vertreter: Chloracetophenon

Hauptsymptome: Brennen und Stechen der Augen, Tränenfluss, Fremdkörpergefühl, Lidschluss, zeitweilige Blindheit und Bindehautentzündungen. In hohen Konzentrationen sind bleibende Augenschäden und Ausbildung eines toxischen Lungenödems möglich.

BAYERs Ewigkeitschemikalien

Marius Stelzmann

Giftig, ätzend & explosiv

PFAS – die neue Gefahr

Asbest, DDT, PCBs – so die Namen einiger Stoffe, die bis in die Gegenwart hinein für Angst und Schrecken sorgen, obwohl BAYER & Co. sie längst nicht mehr in Umlauf bringen dürfen. Die Substanzen gehören nämlich zu den Ewigkeitschemikalien, die sich – wenn überhaupt – nur äußerst langsam abbauen. Jetzt drängen neue Ultragifte auf diese schwarze Liste: die PFAS. Und natürlich hat auch der Leverkusener Multi solche per- und polyfluorierten Alkylverbindungen im Angebot: Er zählt zu den zwölf weltgrößten Produzenten dieser Erzeugnisse.

Von Jan Pehrke
PFAS – noch kommt dieses Wort den meisten nur schwer über die Lippen, und das, wofür diese vier Buchstaben stehen: per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, noch schwerer. Aber es wird. Vor allem der Hollywood-Film „Vergiftete Wahrheit“, der die juristische Auseinandersetzung eines PFAS-Geschädigten mit einem Chemie-Konzern in den Mittelpunkt stellt, gab da Nachhilfe. Immer mehr Menschen wissen inzwischen, worum es sich bei diesen Substanzen handelt. Und wer bisher dachte, dass die Ultragifte Asbest, DDT und PCB keine Nachfolger mehr finden würden, weil BAYER & Co. für die Folgen bezahlt und ihre Lektion gelernt hätten, der oder die wurde eines Besseren belehrt. Mit den PFAS bekommen die alten Ewigkeitschemikalien Zuwachs. Auch die per- und polyfluorierten Alkylverbindungen gehören nämlich zu den Stoffen, die ihre schädliche Wirkung extrem lange entfalten und sich in der Umwelt sogar noch anreichern, weil es extrem stabile und darum nur schwer abbaubare Chemikalien sind.
Unter den Oberbegriff „PFAS“ fallen rund 12.000 verschiedene Erzeugnisse, die ein Charakteristikum teilen: Bei ihnen haben die WerkschemikerInnen die Wasserstoff-Atome ganz oder teilweise durch Fluor-Atome ersetzt. Diese sogenannte Fluorinierung dient zum einen dazu, die Effektivität zu steigern, bei Arzneien etwa für eine gute Bioverfügbarkeit zu sorgen, damit der Körper das Medikament gut aufnehmen kann. Zum anderen macht der Prozess die Substanzen stabiler. Sie halten Hitze ebenso stand wie den Effekten von aggressiven Chemikalien und sind quasi unkaputtbar. Die elektro-negativen Eigenschaften des Fluor-Atoms verschaffen den PFAS überdies eine wasser-, fett- und schmutzabweisende Wirkung. Damit nicht genug, weisen die Stoffe noch viele weitere Qualitäten auf.
Das verschafft ihnen zahlreiche Einsatz-Möglichkeiten, als wahre Tausendsassas gelten sie. Die Jahres-Produktion beläuft sich auf rund 320.000 Tonnen. Von Antibeschlagmitteln bis zu Zahnseide reicht die Liste der Anwendungen (siehe Kasten 1). In Outdoor-Kleidung halten sie den Regen ab. Auch in Lederwaren und Teppichen kommen sie zur Imprägnation zum Einsatz. In Antihaft-Beschichtungen von Bratpfannen und anderen Koch-Utensilien wirken die Stoffe, und in Pestiziden erfüllen die Substanzen die gegenteilige Funktion: Sie sorgen dafür, dass die Ackergifte einen besseren Halt auf den Pflanzen finden. Zudem optimieren sie – wie auch in Feuerlösch-Schaum – den Sprühvorgang. Dank ihnen verteilen sich die Mittel nämlich besser auf den Ziel-Objekten.

BAYER unter den Big 12
Deshalb tummeln sich PFAS in zahlreichen Wirkstoffen, die sich auch in BAYER-Pestiziden finden. Dazu gehören unter anderem Flufenacet, Bifenthrin, Diflufenican, Difluthrin, Flubendiamide und Isoxaflutole (siehe Kasten 2). Im Pharma-Sektor setzt der Leverkusener Multi ebenfalls auf die Substanzen, etwa in Arznei-Verpackungen. Überdies nutzt der Konzern Methanone und weitere PFAS als Zwischenprodukte in diversen Herstellungsprozessen (siehe Kasten 3). Der niederländischen Nichtregierungsorganisation CHEMSEC zufolge gehört BAYER damit zu den zwölf größten PFAS-Produzenten auf der Welt.
Gerade aber die Eigenschaften, die BAYER & Co. an den PFAS so schätzen, ihre Vielseitigkeit und ihre stabile chemische Struktur, bereiten auch die meisten Probleme. Der menschliche Organismus kriegt die Substanzen kaum klein, und auch in der Umwelt halten sie sich lange. Die US-amerikanische Umweltbehörde „Environmental Protection Agency“ (EPA) stuft die Stoffe nicht zuletzt deshalb schon in geringsten Mengen als extrem gefährlich ein: „Die EPA hält jeden PFAS-Gehalt für potenziell toxikologisch signifikant.“
Studien bestätigten diesen Befund. „Unsere Daten zeigen einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen PFAS im Blut und schädlichen Blutfetten, die mit einem kardiovaskulären Risiko assoziiert sind“, sagt die niederländische Neuroepidemologin Monique Breteler vom Bonner „Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen“. Aber nicht nur Herz/Kreislauf-Erkrankungen können die Tausendsassas befördern. Ihre Nebenwirkungen gehen weit darüber hinaus. So haben sie das Potenzial, Krebs, Diabetes und Fruchtbarkeitsstörungen auszulösen. Darüber hinaus vermögen sie die Leber zu schädigen sowie die Schilddrüsen-Funktionen und das Immunsystem zu schwächen (siehe Kasten 4).

PFAS sind überall
Diese Gefahren beunruhigen umso mehr, als sich PFAS wegen der breiten Palette ihrer Anwendungen fast überall in der Umwelt finden. Die Gewässer und die Böden weisen zum Teil große Belastungen auf. Besonders hoch sind die PFAS-Konzentrationen im Rhein. Als Eintragsquelle Nr. 1 firmiert der Chem„park“ Leverkusen. Die ehemalige BAYER-Tochter LANXESS stellte dort bis zum Frühjahr 2024 PFAS-Chemikalien her, deren Produktionsrückstände die Kläranlage des Chem„park“-Betreibers CURRENTA nicht in ausreichendem Maß aus den Abwasser-Strömen herausfiltern konnte. Der Großeinsatz der Feuerwehr bei der großen Explosion im Entsorgungszentrum am 27. Juli 2021, die sieben Menschenleben forderte, steigerte das Aufkommen der Substanzen in dem Fluss dann noch einmal. Rund zwei Kilogramm PFAS enthielt das Lösch- und Ereigniswasser nach Angaben des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums. Das alles macht Leverkusen zu einem der rund 300 PFAS-Hotspots in Deutschland.
Die Last trägt jedoch hauptsächlich Holland, denn dahin strömen die Giftfrachten. Sie treiben flussabwärts bis in die Nordsee. Die Flut spült die Chemikalien jedoch teilweise wieder an Land. Besonders in den Meeresschäumen halten sie sich. Darum warnte das niederländische Gesundheitsministerium im Sommer davor, Kinder und Hunde darin spielen zu lassen. Alarm schlagen auch die Wasserwerke des Landes, denn sie gewinnen Trinkwasser aus dem Rhein. „Wir sehen in unserem Trinkwasser PFAS-Chemikalien, die aus Leverkusen stammen“, hält etwa Gerald Stroomberg vom Verein der Fluss-Wasserwerke fest: „Diese Ewigkeitschemikalien verschwinden nicht einfach wieder, sondern bleiben lange bei uns.“ Im September 2024 schrieben die holländischen Trinkwasser-Versorger deshalb einen Brandbrief an die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke und appellierten an sie, Grenzwerte für PFAS-Einleitungen in den Rhein zu erlassen. „Unsere Trinkwasser-Quelle für fünf Millionen Menschen in den Niederlanden verdient das höchstmögliche Schutz-Niveau“, hieß es darin.
Auch viele Böden sind verseucht. Einen großen Eintragsweg stellen Klärschlämme dar, die in der Landwirtschaft als Dünger zum Einsatz kommen. „Grundsätzlich sind PFAS in geringen Konzentrationen überall in Böden nachweisbar“, so das Umweltbundesamt in seiner Veröffentlichung „PFAS – gekommen, um zu bleiben“. Im Staub, in der Luft und im Regenwasser wurden WissenschaftlerInnen ebenfalls schon fündig. Die beiden ForscherInnen Klaus Günther Steinhäuser und Ingo Valentin resümieren in dem Magazin Umwelt & Gesundheit: „Die vielfältigen Emissionen und die großräumige Verteilung der Einträge führen zu einer ubiquitären Belastung der Umwelt.“ Und damit auch zu einer Belastung der menschlichen Gesundheit. So antwortete etwa die PFAS-Geschädigte Carla Bartlett in ihrem Prozess gegen die Chemie-Firma DUPONT auf die Frage des Richters nach der Entstehung ihrer Krebs-Krankheit lapidar mit dem Satz: „Ich habe Wasser getrunken“.

Erste Restriktionen
Aber so langsam tut sich ein bisschen was. In den USA stellte die Biden-Administration im Oktober 2021 einen „Plan zur Bekämpfung der PFAS-Verschmutzung“ mit einem ganzen Maßnahmen-Katalog vor. Ende 2022 hat die US-amerikanische Umweltbehörde EPA dann zwölf PFAS-Chemikalien in Pestiziden verboten. Einige Bundesstaaten gehen noch viel weiter. Maine hat bereits einen konkreten Ausstiegsplan für alle nicht unbedingt nötigen PFAS-Anwendungen erarbeitet, der 2026 greift. Ab diesem Jahr sind die Ewigkeitschemikalien in Koch-Utensilien, Textilien, Kosmetika und Produkten für Kinder nicht mehr erlaubt. Dann kommen sukzessive immer mehr Erzeugnisse hinzu, bis 2032 alle PFAS aus Dingen des täglichen Gebrauchs verschwunden sind. Minnesota, Vermont, Connecticut und Colorado haben ähnliche Regelungen getroffen. Entsprechende Pläne haben Kalifornien, New York und andere Bundesstaaten.
Im April diesen Jahres hat die US-Regierung landesweite Trinkwasser-Richtlinien festgesetzt, die Grenzwerte für fünf gängige PFAS-Klassen vorsehen, um „100 Millionen Menschen vor PFAS zu schützen“. Zudem beschloss sie Limits für Umweltbelastungen durch die Stoffe. Damit wollen Biden & Co. Einträge in Trinkwasser-Quellen minimieren. Den Kommunen stellen sie darüber hinaus 21 Milliarden Dollar aus dem Infrastruktur-Fonds zur Verfügung, damit sie bessere Möglichkeiten haben, die Gifte aus den Wasserleitungen fernzuhalten. Auch an die PFAS, die durch Industrie-Emissionen in die Umwelt gelangen, wollen die Demokraten ran. Ihre PFAS-Roadmap dürfte nach dem Wahlsieg Donald Trumps allerdings in einer Sackgasse enden.
Die Europäische Union hat die Gruppe der PFOS verboten, weil sie unter die Stockholm-Konvention der besonders gefährlichen Substanzen fallen, die POPs (Persistant Organic Pollutans). Zudem erließ sie Restriktionen für sechs weitere PFAS-Klassen. BAYER & Co. wussten sich jedoch zu helfen. Der Beratungsfirma VALUESTREAM zufolge „kam es zu Fällen sog. ‚bedauernswerter Substitutionen‘ – dabei wurde direkt nach der Regulierung eines Stoffes ein anderer Stoff am Markt eingeführt, der über die gleichen Eigenschaften verfügt und genauso schädlich für Mensch und Natur ist“.
Darüber hinaus schrieb die EU Höchstgrenzen für PFAS-Rückstände in Lebensmitteln und Kosmetik-Artikeln vor und plant, Ewigkeitschemikalien in Verpackungen und Feuerlöschschaum zu untersagen. Im September 2024 erließ Brüssel zudem Beschränkungen für den PFAS-Stoff Unecafluorhexansäure – allerdings mit großzügigen Ausnahmeregelungen z. B. für die Verwendung in Halbleitern, Batterien oder für mit „grünem“ Wasserstoff betriebene Brennstoff-Zellen.
Die EU-Trinkwasser-Richtlinie von Ende 2020 enthält ebenfalls Bestimmungen zu PFAS. 2023 setzte sie die Ampel-Regierung in nationales Recht um. So gilt ab 2026 ein Grenzwert von 100 Nanogramm pro Liter für die summierten Konzentrationen von 20 PFAS und ab 2028 einer von 20 Nanogramm für vier besonders harte Fälle. Das stellt die Wasserwerke allerdings vor Probleme, denn sie sind nicht dafür gerüstet, diese Limits einzuhalten. Dazu müssen die Versorger viel Geld in Technik investieren und beispielsweise Aktivkohle-Filter installieren. Martin Weyand vom „Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft“ besteht deshalb auf dem Verursacher-Prinzip und fordert eine Beteiligung der Industrie an den Kosten. „Es kann nicht sein, dass die Bürger für diese Aufbereitungsanlagen zahlen müssen“, so Weyand.
Aber auch eine große Lösung steht EU-weit an, eingebracht von Deutschland, Norwegen, den Niederlanden, Dänemark und Schweden: übergreifende PFAS-Restriktionen, die alle Stoff-Gruppen und Anwendungen umfassen. Nur Pestizide, Biozide und Arzneimittel sind ausgenommen, weil diese Substanzen nicht unter die REACH-Verordnung zur Regulierung von Chemikalien fallen.

BAYER & Co. auf 180
Den Unternehmen laufen Sturm gegen dieses Ansinnen. „Ein pauschales Verbot der gesamten PFAS-Stoffgruppe ohne eine differenzierte stoff- und anwendungsspezifische Bewertung ist nicht angemessen“, meint der „Verband der chemischen Industrie“. Auch der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) sieht die „breite PFAS-Beschränkung mit Sorge“. Der „Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau“ und der „Verband der Elektro- und Digitalindustrie“ sprechen sich ebenfalls dagegen aus. In den Augen der beiden Präsidenten Karl Haeusgen und Gunter Kegel haben die Ewigkeitschemikalien zwar „in einigen Fällen“ durchaus eine gesundheitsschädigende Wirkung auf Mensch und Tier, „[a]ber die Antwort auf dieses Problem kann und darf nicht ein Generalverbot einer ganzen Stoffgruppe sein, will man das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Und es wäre auch nicht zielführend, ein solches Generalverbot mit zahlreichen Ausnahmen zu flankieren“, schreiben sie in der FAZ. Natürlich schließen sich BAYER und BASF da an. Ein mögliches Verbot dürfe nicht die Verwendung von PFAS in Schlüsselsektoren verhindern, so die beiden Chemie-Multis gegenüber der Tagesschau.
BAYER & Co. drohen mit Abwanderung und sehen einmal mehr das Abendland bzw. den „Wirtschaftsstandort Europa“ untergehen. Ein Bann hätte „fatale Auswirkungen auf die Industrie-Produktion in allen Branchen, auf die Arbeitsplatz-Sicherheit, die Planungssicherheit der Unternehmen, zukünftige Innovationen sowie auf fast alle Hochtechnologie-Anwendungen“, konstatiert Nora Schmidt-Kesseler, die Hauptgeschäftsführerin der Nordost-Chemieverbände.
Und dann hat die Industrie sich noch etwas ganz Schlaues ausgedacht. Weil sich die PFAS – ihrer Allgegenwart geschuldet – auch in Windrädern, Brennstoffzellen-Membranen und Lithiumionen-Batterien finden, betont sie deren Bedeutung für die Klima-Politik. Als „Schlüsselkomponenten für die Herstellung von grünem Wasserstoff, Batterien für Elektrofahrzeuge und Solarzellen, die alle zu sauberer Energie und zur Reduzierung von Emissionen beitragen“, bezeichnet der Chemie-Multi CHEMOURS die PFAS in einem Artikel, für den er sich beim Webportal Euractiv Platz erkaufte. „Die Regulierungsbehörden müssen die wesentliche Rolle der chemischen Industrie für die künftigen Innovationen anerkennen, die zur Realisierung einer neuen green economy erforderlich sind“, fordert der CHEMOURS-Manager Gerardo Familiar. „Ohne die Fluor-Chemie gibt es keinen Green Deal“, lautet das Resümee des mit dem Warnhinweis „promoted content“ versehenen Textes. Der BDI teilt Familiars Ansicht selbstverständlich. Ein Verbot hätte zur Folge, „dass wir bei zentralen technologischen Themen der europäischen Transformation zur Klimaneutralität in nicht erwünschte Zielkonflikte geraten“, warnt die Lobby-Organisation. Nette Aussichten eröffnen uns da diejenigen, die durch ihren immensen CO2-Ausstoß selbst einen gehörigen Anteil an der Erderwärmung haben: entweder giftfrei in die Klima-Katastrophe oder außen „Prima Klima“ und innen ganz viel PFAS.
Im August 2024 schrieben rund 500 Unternehmen einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie verlangten von der Politik, statt ganze Stoffgruppen zu verbieten oder deren Gebrauch stark einzuschränken, Einzelfall-Prüfungen auf der Basis eines risiko-basierten Ansatzes durchzuführen. Diesen spielen BAYER & Co. immer gegen den gefahren-orientieren Ansatz aus, wenn mal wieder ein Stoff wegen seines Gefährdungspotenzials in die Schlagzeilen gerät und Diskussionen über Maßnahmen beginnen. Gefährlichkeit ist nämlich eine objektive Eigenschaft einer Substanz, weshalb sie auch nach eindeutigen Schutz-Vorkehrungen wie einem Verbot verlangt. Risiko ist hingegen ein relativer Begriff. Es steht in Abhängigkeit zu anderen Faktoren wie etwa der Wirkungsschwelle – „die Dosis macht das Gift“. Darum brauchen die Hersteller für einen nach einem solchen Kriterium begutachteten Stoff keine so starken Konsequenzen zu fürchten; in der Regel tun es da Grenzwerte.
Aufs Briefeschreiben beschränkte sich die politische Landschaftspflege der Konzerne jedoch nicht. Sie bearbeiteten die Bundestagsabgeordneten auch direkt. Das deutsche Lobby-Register weist entsprechende Bemühungen von 3M, BASF, BAYER, CHEMOURS, DAIKIN CHEMICAL, DUPONT, EXXON MOBILE, GORE, HONEYWELL, MERCK und SOLVAY aus. BAYER selbst setzte sich dabei schwerpunktmäßig für PFAS im Pharma-Bereich ein. „Angesichts des geplanten EU-Verbots von PFAS fordert BAYER die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass PFAS in der Arzneimittelproduktion weiterhin erlaubt bleibt. Dies ist notwendig, um die Arzneimittelproduktion in Europa und die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu sichern“, heißt es in dem Register-Eintrag.
Aber nicht nur BAYERs Berliner Verbindungsbüro entfaltete Aktivitäten, auch der Brüsseler Ableger legte sich kräftig ins Zeug. Daneben heuerte der Agro-Riese zur Einfluss-Arbeit bei der Europäischen Union noch die PR-Agentur EUTOP – „Ihr Partner für Governmental Relations“ – an. Zusätzlichen Beistand liefern am EU-Sitz der „Bundesverband der deutschen Industrie“, der „Verband der Chemischen Industrie“ und vor allem dessen europäisches Pendant CEFIC. Die Organisation verfügt über einen Jahres-Etat von zehn Millionen Euro und ist damit der Top-Lobbyist am Platze. Das reichte dicke, um eine PFAS-Spezialeinheit zu gründen, die „FluoroProducts and PFAS for Europe“ (FPP4EU), der BAYER und 13 weiter Hersteller angehören. FPP4EU fordert nichts weniger als eine „zeitlich unbegrenzte Ausnahmeregelung für PFAS, die in der Industrie verwendet werden“ und mahnte die EU, bei ihrem Regulierungsvorschlag, „primäre und sekundäre finanzielle Auswirkungen“ mitzubedenken. „[D]as Streben nach einem wettbewerbsfähigen, widerstandsfähigen und nachhaltigen Europa“ dürfe dabei nicht auf der Strecke bleiben, mahnten BAYER & Co. Dafür nahmen sie sich VertreterInnen der EU-Kommission auch gleich zwei Mal persönlich zur Brust, wie das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) herausfand. Und in den USA hat der Chemie-Verband „American Chemistry Council“, der auch den Leverkusener Multi zu seinen Mitgliedern zählt, eine Klage gegen die neue, Grenzwerte für PFAS vorsehende Trinkwasser-Richtlinie eingereicht.

Gefahren waren bekannt
Dabei wusste die Industrie früh um die Gefahren. Während in medizinischen Fachblättern erst Ende der 1990er Jahre erste Artikel über die Gesundheitsgefährdung durch PFAS erschienen, waren die Chemie-Multis schon Jahrzehnte früher im Bilde. Ein DUPONT-Wissenschaftler bezeichnete PFAS bereits 1970 als „hochgiftig, wenn sie inhaliert werden“. „Der Teufel, den sie kannten“ ist deshalb passenderweise die Studie überschrieben, die interne Firmen-Dokumente durchforstete. So sagte dann auch der Anwalt Robert Bilott, der die Vorlage für die Hauptfigur in dem Film „Vergiftete Wahrheit“ war: „Es waren die Dokumente aus den Unternehmen selbst, (…) die mir die Augen geöffnet haben. Und der Grund, warum wir diesen Bauern vertreten haben und warum wir bis heute solche Fälle betreuen, ist das üble Verhalten der Konzerne.“
Trotzdem wiegeln die Unternehmen ab. Der BAYER-Konzern etwa steht weiter in Treue fest zu seinem Pestizid Flufenacet, obwohl bei der Zersetzung – wie auch bei Fluopyram – der PFAS-Stoff Trifluoressigsäure (TFA) als Metabolit entsteht. „[D]ass es keine Hinweise auf ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt gibt“, antwortete der Global Player auf eine Anfrage der taz. Der Wirkstoff werde „in Europa seit über 25 Jahren sicher verwendet“ und überhaupt seien alle seine Produkte „sicher für Mensch und Umwelt, wenn sie entsprechend der Anwendungshinweise verwendet werden“, hält er fest. Dabei hat der Leverkusener Multi das Pestizid-Abbauprodukt bei der obligatorischen EU-Einstufung gemäß der Chemikalien-Verordnung REACH selbst als „vermutlich reproduktionstoxisch beim Menschen“ bezeichnet.
Und TFA ist nicht irgendein PFAS, sondern das PFAS. „Derzeit sind die TFA-Konzentrationen um Größenordnungen höher als die von anderen PFAS – und um Größenordnungen höher als die von anderen Pestiziden und Pestizid-Metaboliten“, konstatieren Hans Peter H. Arp und seine MitautorInnen in der Studie „The Global Threat from the irreversible Accumulation of Trifluoroacetic Acid (TFA)“.
In fast jedem Gewässer findet sich diese Ewigkeitschemikalie. Und die Initiative GLOBAL 2000 wies in zehn von 19 Mineralwässern Spuren von Trifluoressigsäure nach, was auf Grundwasser-Verunreinigungen hindeutet.
Nicht umsonst hat das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ deshalb im Oktober 2024 die Zulassung von Flufenacet widerrufen. Und zwei Monate später schlug die EU-Kommission ein Verbot vor.

Die Politik beugt sich
Im Großen aber beugt sich die Politik wieder mal vor den Konzernen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht sich lediglich für einen differenzierten Umgang mit den Ultragiften aus: „Bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregelung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologie-Entwicklung hemmt.“ Umweltministerin Steffi Lemke bezeichnet die Fülle der PFAS-Hotspots in Deutschland mit 300 stark kontaminierten Arealen zwar als „erschreckend“, plädiert aber ebenfalls bloß für Einschränkungen. „PFAS sollen überall dort ersetzt werden, wo dies bereits heute oder in absehbarer Zeit möglich ist“, verlautet aus ihrem Ministerium. „Wir brauchen eine starke Chemiebranche, die für ihre Weiterentwicklung zu nachhaltiger Chemie Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen bekommen muss“, meint Lemke. Sie kündigt dazu sogar einen eigenen Beitrag an: „Außerdem wollen wir Anreizsysteme für kluge und innovative Alternativen schaffen, um damit neue Märkte für die chemische Industrie zu erschließen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz nahm BAYER & Co. derweil auf ihrer Verbandstagung alle Befürchtungen. „[A]uch bei PFAS setzen wir uns für eine praktikable und ausgewogene Regulierung für Sie ein. Darauf können Sie sich auch für die Zukunft verlassen. In den Brüsseler Dschungeln ist es ja wichtig, dass man einen klaren Kompass hat“, sagte er am 12. September auf dem „Chemie & Pharma Summit 2024“.
Aber die Brüsseler Dschungel lichten sich, nicht zuletzt dank der Kettensägen made in Germany. Für PFAS ist da jetzt gut durchkommen. Am 20. November haben Deutschland, Norwegen, die Niederlande, Dänemark und Schweden Hand angelegt und ihren eigenen strengen Regulierungsvorschlag einer Revision unterzogen. Die offiziellen Eingaben von BAYER & Co. als Reaktion auf die erste Fassung bewirkten den Meinungsumschwung. „Die zusätzlichen Informationen, die im Rahmen der Konsultation 2023 vorgelegt wurden, führen auch dazu, dass geprüft wird, ob andere Beschränkungsoptionen als ein Verbot das Ziel erreichen, die PFAS-Emissionen während ihres gesamten Lebenszyklus‘ deutlich zu reduzieren“, halten die Länder in Tateinheit mit der Europäischen Chemikalien-Agentur ECHA fest. Das gelte besonders für solche Verwendungen und Sektoren, „für die Informationen vorgelegt wurden, die zeigen, dass die sozioökonomischen Auswirkungen eines Verbots unproportional hoch sind“, heißt es in der Stellungnahme. Das Arbeitsplatz-Argument hat also offensichtlich wieder einmal verfangen.
Das ganze Jahr 2025 geht nun erst einmal für die Überarbeitung des Regulierungsvorschlags drauf. Anschließend durchläuft er wieder ein Konsultationsverfahren. Erst dann irgendwann will die Chemikalien-Agentur mit einer Empfehlung für den Umgang mit den PFAS um die Ecke kommen. Und die Verantwortung für den ganzen Prozess teilen sich Industrie-Kommissar Stéphane Séjourné und Umweltkommissarin Jessika Roswall, die eine große Gemeinsamkeit haben: Beide haben sich bisher nicht groß mit Umweltfragen befasst.

Großer Widerstand
Ohne Druck von außen wird sich daher kaum etwas bewegen. Und diesen Druck gibt es. Seit der Landwirt Wilbur Tennant mit Hilfe von Robert Bilott erfolgreich gegen DUPONT vor Gericht zog, weil sein in der Nähe der Chemie-Fabrik weidendes Vieh verendete, häufen sich die juristischen Auseinandersetzungen. BASF beispielsweise sieht sich mit über 4.000 Klagen konfrontiert und musste bereits über 300 Millionen Euro für Vergleiche aufbringen. 3M zahlte schon 10,3 Milliarden Dollar und DUPONT, CHEMOURS und CORTEVA jeweils über eine Milliarde.
Auch gehen immer mehr Menschen gegen die PFAS-Belastungen auf die Straße. So fanden sich Ende Mai 2024 im französischen „Tal der Chemie“ nahe Lyon über 500 AktivistInnen zusammen, um einen Produktionsstopp zu fordern. In Belgien, den Niederlanden, den USA, Schweden, Dänemark und Italien kam es ebenfalls schon zu Protesten.
Im November 2023 schrieb die INVESTOR INITIATIVE ON HAZARDOUS CHEMICALS Briefe an die 50 größten Produzenten von PFAS und anderen gefährlichen Chemikalien, darunter die deutschen Unternehmen BASF, BAYER, COVESTRO, EVONIK und LANXESS. Darin forderte die Organisation die Multis unter anderem auf, einen detaillierten Ausstiegsplan zu entwickeln. Und Anfang Dezember 2024 appellierten zahlreiche WissenschaftlerInnen, Umweltgruppen und andere Initiativen in einem Offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nicht vor der Industrie-Lobby einzuknicken und den vorliegenden Regulierungsvorschlag zu verwässern: „Gemeinsam mit allen unterzeichnenden Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen bitten wir Sie, eine ungestörte Fortsetzung der Evaluierung des sehr weitgehenden PFAS-Beschränkungsvorschlags in unveränderter Form zu unterstützen, damit eine deutliche und zeitnahe Reduzierung der PFAS-Emissionen erreicht werden kann.“
Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gehört zu den Unterzeichnern des Schreibens, das der BUND und das Europäische Umweltbüro (EBB) initiiert haben. Zudem wird die Coordination das Thema „PFAS“ auf die Tagesordnung der nächsten BAYER-Hauptversammlung setzen. ⎜

PFAS sind überall
Outdoor-Kleidung, Imprägniermittel, Pizza-Kartons, Kosmetika wie etwa Wimperntusche, Zahnseide, Backpapier, Pestizide, Bratpfannen-Beschichtungen, Kontaktlinsen, Feuerlöschschaum, Plastik-Behältnisse, Skiwachs, Spielzeug, Bodenbeläge, Batterien für E-Autos, Möbel, Toilettenpapapier, Kältemittel für Wärmepumpen, Schuhe, Antibeschlagmittel für Brillengläser, Fotopapier, Klebeetiketten, Spezialfarben und -lacke, Elektrogeräte, Mobiltelefone, Windräder, Pharmazeutika wie Tränenersatzmittel, Kochgeschirr, medizinische Geräte wie Resektoskope, Arzneimittel-Verpackungen, Kettenfett, Brennstoffzellen, Sonnenschutzmittel, Haarschampoos

BAYERs PFAS-Pestizide
Bifenthrin, Diflufenican, Difluthrin, Flubendiamide, Fluopicolide, Fluopyram, Flufenacet, Imidacloprid, Inpyrfluxam, Isoxaflutole, Oxyfluorfen, Pyrasulfotole, Spiromesifen, Sulfentrazone, Tembotrione, Tetraniliprole, Trifloxystrobin

BAYERs PFAS-haltige Zwischenprodukte
1,3,4-Thiadiazole, 2-(methylthio)-5-(trifluoromethyl)
1,3-Cyclohexanedione, 2-[2-chloro-4-(methylsulfonyl)-3-[(2,2,2-trifluoroethoxy)methyl]benzoyl]-, ion(1-),potassium (1:1)
Benzoic acid, 2-(methylthio)-4-(trifluoromethyl)-
Benzoic acid, 2-chloro-4-(methylsulfonyl)-3-[(2,2,2-trifluoroethoxy)methyl]
Benzoyl chlorid, 2-(methylsulfonyl)-4-(trifluoromethyl)
Benzoyl chlorid, 2-chloro-4-(methylsulfonyl)-3-[(2,2,2-trifluoroethoxy)methyl]
Methanone, (5-hydroxy-1,3-dimethyl-1H-pyrazol-4-yl)[2-(methylsulfonyl)-4-(trifluoromethyl)phenyl]-, potassium salt (1:1)

PFAS-Gesundheitsrisiken
Fettleibigkeit
Verringertes Geburtsgewicht
Schwächung des Immunsystems
Schwächung der Schilddrüsen-Funktionen
Diabetes
Leberschäden
Herz/Kreislauferkrankungen
Anstieg des Cholesterinspiegels
erhöhtes Risiko für Brust-, Nieren- und Hodenkrebs
erhöhter Blutdruck
Schädigungen des Embryos im Mutterleib
Fruchtbarkeitsstörungen

Ticker 04/24

Marius Stelzmann

mit dieser Krankheit produzieren die Neuronen im Gehirn zu wenig Dopamin. Das Fehlen dieses Neurotransmitters führt dann zu Symptomen wie Zittern, Krämpfen und Steifheit. Die Konzern-Tochter ASKBIO will nun ein Gen in das Gehirn der Kranken einführen, das eine „Regeneration von Mittelhirn-Neuronen“ anregt, und dazu als Transport-Fähren Erkältungsviren nutzen.

Der auf 18 Monate angesetzte klinische Test der Phase Ib mit elf ProbandInnen hatte aber erst einmal nur zum Ziel, die Verträglichkeit von „AB-1005“ zu prüfen, was dem Unternehmen zufolge auch gelungen ist. „Diese frühen Daten bestärken uns und zeigen, dass der Medikamenten-Kandidat bei Patienten mit milder bis mittelschwerer Parkinson-Krankheit gut verträglich ist“, so ASKBIO.

Mit was für Risiken solche Schnell-Verfahren verbunden sein können, demonstriert der Fall „Aliqopa“. Ebenfalls auf der Überholspur zur Genehmigung gekommen, zeigten sich bei dem BAYER-Pharmazeutikum mit dem Wirkstoff Copanlisib zur Therapie von PatientInnen mit dem Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) – einer bestimmten Form des Lymphdrüsen-Krebses – bald schon die Nebenwirkungen. Wie eine Überprüfung mehrerer Zulassungsstudien durch die FDA ergab, haben ALIQOPA und andere Arzneien, die das Enzym P13K blockieren, zwar kurzfristig positive Effekte, führen bei den Test-Personen auf lange Sicht aber zu erhöhten Sterblichkeitsraten. Die Toxizität der Mittel akkumuliert sich nämlich. Der Leverkusener Multi musste das Präparat daraufhin vom Markt nehmen.

Gentherapie für Parkinson-Subtyp

Die BAYER-Tochter ASKBIO hat in den USA mit einem klinischen Test der Phase I für eine Gen-Therapie zur Behandlung des Parkinson-Subtyps MSA-P begonnen. Bei PatientInnen mit dieser Krankheit produzieren die Neuronen im Gehirn zu wenig Dopamin. Die ForscherInnen wollen nun in das Gehirn der PatientInnen ein Protein einführen, das die Neuronen stärkt und so den Verlauf der Krankheit positiv beeinflusst.

Krebs durch CAR-T-Zell-Arzneien

Bei Therapien auf der Basis von CAR-T-Zellen werden körpereigene oder fremde Immunzellen im Genlabor mit „Chimären Antigen-Rezeptoren“ (CAR) ausgestattet, die krankheitserregenden Zellen anhand bestimmter Eiweiße auf deren Oberfläche orten und – im Idealfall – zerstören können. Manchmal nutzen die Mediziner-Innen auch die mRNA-Technologie und übertragen mit ihr nur die genetischen Informationen zum Aufbau der CAR-T-Zellen, die der Körper dann selbst herstellt.

Aber all das ist nicht ohne. Die Steuerung der CAR-T-Zellen fällt nämlich schwer. Sie greifen mitunter auch intaktes Gewebe an, da sich die Eiweiße, die ihnen als Andock-Stelle dienen, nicht nur auf den avisierten Zellen finden. Zudem ist die Reaktion des Körpers auf die Zellen schwer vorhersehbar. Nicht selten lösen diese einen lebensgefährlichen Zytokin-Sturm im Immunsystem aus, das sogenannte cytokine release syndrome (CRS).

Bei einem klinischen Test der BAYER-Gesellschaft ATARA zur Behandlung von Brustfellkrebs CAR-T-Zellen starb ein Proband. Daraufhin stoppte die Aufsichtsbehörde die Versuche – und der Leverkusener Multi stieß ATARA ab. Nun warnte auch das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) vor CAR-T-Zell-Präparaten, welche ASKBIO – eine Tochtergesellschaft des Leverkusener Multis – gerade zur Therapie von Herzerkrankungen erprobt. Die Behörde verwies auf eine Untersuchung der „Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA“, wonach von den Mitteln eine Krebsgefahr ausgeht. Die WissenschaftlerInnen untersuchten das Gewebe von Tumor-PatientInnen und fanden dort Spuren der CAR-Konstrukte. „Dies deutet darauf hin, dass das CAR-T-Zell-Arzneimittel an der Krankheitsentwicklung beteiligt war“, resümiert das BfArM.

Kooperation mit NextRNA

Das US-amerikanische Start-Up NextRNA forscht an Molekülen, die bestimmte tumor-treibende-Ribonukleinsäuren (RNAs) ausschalten. Der BAYER-Konzern setzt auf diese Technologie und hat mit dem Unternehmen eine Kooperation vereinbart. Im Falle einer erfolgreichen Therapie-Entwicklung winken NextRNA bis zu 547 Millionen Dollar.

Ghana gibt Gentech-Bohne frei

Die ghanaische Nationale Biosicherheitsbehörde NBA hat eine Gentech-Bohne für den Anbau zugelassen. Dabei handelt es sich um eine Augenbohne, die das staatliche „Savannah Agricultural Reseach Institute“ mit einem Bt-Toxin des Leverkusener Multis bestückt hatte, um die Pflanzen gegen den Bohnen-Zünsler zu wappnen. Zuvor hatte schon Nigeria ein solches Gen-Konstrukt genehmigt.

Das Projekt geht auf eine in den 2010er Jahren begonnene Kooperation von BAYERs jetziger Tochter-Gesellschaft MONSANTO mit US-amerikanischen und britischen Entwicklungshilfe-Agenturen sowie der Rockefeller-Stiftung zurück. Wegen der ökologischen und ökonomischen Folgen stieß es von Anfang an auf Kritik. Organisationen wie das Afrikanische Zentrum für Biodiversität (ACB) sahen darin einen möglichen Türöffner für die Laborfrüchte der Agro-Riesen und warnten vor neuen Abhängigkeiten der afrikanischen FarmerInnen durch jährlich zu erneuernde Lizenz-Verträge. Zudem machten sie auf die Gefahr von Auskreuzungen aufmerksam.

In Ghana fochten Initiativen die Entscheidung der NBA an. Aber der ghanaische Gerichtshof lehnte die Klage Ende Mai 2024 ab.

Ghana erlaubt Gentech-Importe

Im April 2024 hat die ghanaische Nationale Biosicherheitsbehörde NBA Einfuhr-Genehmigungen für 14 gentechnisch veränderte Mais- und Soja-Sorten erteilt. Dreizehn davon sind made by BAYER. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Mais-Arten MON810, MON87411, MON87427, MON87460, MON88017, MON89034 und NK603 sowie die Soja-Arten 40-3-2, MON87701, MON877775, MON87708, MON87751 und 89788. Die Entscheidung stieß auf massive Kritik. Die „Peasant Farmers Association of Ghana“ (PFAG) warf der NBA vor, damit lediglich „die Agenda der multinationalen Saatgut-Unternehmen“ umzusetzen. ACTION-AID GHANA kritisierte die Import-Freigabe derweil, weil davon „erhebliche Risiken für die Ernährungssicherheit, die biologische Vielfalt und das Wohlergehen gefährdeter Gemeinschaften“ ausgingen. Und LandwirtInnen, die herkömmliches Soja anbauen, fürchten geschäftsschädigende Verunreinigungen ihrer Pflanzen durch die Laborfrüchte.

WASSER, BODEN & LUFT

BAYERs Klima-Plan

Der BAYER-Konzern will die AktionärInnen auf der nächsten Hauptversammlung über seinen „Transition and Transformation Plan“ zur Senkung klima-schädlicher Emissionen abstimmen lassen (siehe auch PROPAGANDA & MEDIEN).

Der Transitionsteil befasst sich nicht nur mit dem Treibhausgas-Ausstoß, der bei der Produktion der selbst erzeugten und der zugekauften Energie entsteht, sondern auch mit demjenigen, der entlang der vor- oder nachgelagerten Lieferketten anfällt.  In diesen Bereichen strebt der Leverkusener Multi eine Absenkung von 90 Prozent bis zum Jahr 2050 an, wobei 2019 als Reverenz-Jahr dient. Warum 2019? Ganz einfach: Weil die Zahlen da besonders hoch waren und ein Herunterkommen von dieser Basis aus leichter fällt.

Größere Anstrengungen will der Agro-Riese nur bei der extern bezogenen Energie unternehmen und hier verstärkt auf Erneuerbare setzen. Bei der selbst produzierten Energie hingegen sieht er kaum CO2-Reduktionsmöglichkeiten. Und bei den Lieferketten gibt sich die Aktien-Gesellschaft ganz bescheiden: Um gerade einmal 12,3 Prozent bis 2029 möchte sie hier den Ausstoß von CO2 & Co. verringern. „Wettbewerb und einen Mangel an globaler Abstimmung“ nennt BAYER als Grund für das nur wenig ehrgeizige Ziel.

Stattdessen heißt die Devise: CO2-Kompensation statt -Reduktion. Das Unternehmen beabsichtigt den Schaden, den es dem Klima zufügt, an anderer Stelle wieder auszugleichen und investiert in Waldschutz- und Wiederaufforstungsvorhaben. Deren Ertrag für seine Klima-Bilanz beziffert der Global Player für 2023 auf 600.000 Tonnen CO2. An der Belastbarkeit dieser Zahl bestehen allerdings erhebliche Zweifel. Der Agro-Riese hat für einen Teil seiner Kompensationsgeschäfte nämlich Zertifikate der Firma VERRA erworben, die nach Recherchen von Die Zeit und anderen Medien gar nicht von wirklichen Kohlendioxid-Einsparungen gedeckt, sondern „[e]in Haufen Schrott“ waren.

Trotz allem fühlt sich der Global Player noch bemüßigt, darüber nachzudenken, „wie wir den Klimawandel über unsere Grenzen hinaus abschwächen können“ und beschreibt dies zusammen mit seinen angeblichen Beiträgen zur Klima-Anpassung im „Transformation Plan“. In diesem bringt er dann Glyphosat, das de facto wegen seiner extrem energie-intensiven Produktion ein veritabler Klima-Killer ist, einmal mehr als Klima-Retter ins Spiel, weil es LandwirtInnen das minimal Kohlendioxid freisetzende Pflügen erspart. Und da der Klima-Wandel auch Auswirkungen auf die Gesundheit hat, sieht der Konzern sich mit seiner Pharma-Abteilung irgendwie am richtigen Platze. Nur ein einziges Mal auf diesen 16 Seiten wird er konkreter und kann ein Produkt präsentieren, das tatsächlich positive Auswirkungen auf das Klima hat: einen Direktsaat-Reis, bei dessen Anbau nicht mehr so viel Methan in die Atmosphäre gerät.

Alles in allem also ein „Transition and Transformation Plan“, dem BLACKROCK & Co. getrost zustimmen können.

Ein bisschen Emissionshandel

„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren.

Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So erhielten die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben von ihr indessen verschont.

Darum brauchte der Leverkusener Agro-Riese im Geschäftsjahr 2023 nur mit fünf seiner Anlagen, deren Kohlendioxid-Ausstoß sich auf rund 265.000 Tonnen belief, Emissionshandel zu betreiben. In Deutschland waren es das Kraftwerk in Bergkamen mit rund 27.108 Tonnen (2022: 30.814), die Energie-Zentrale Berlin mit 36.585 Tonnen (2022: 41.677) und das Wuppertaler Heizhaus mit 12.583 Tonnen (2022: 15.748). Insgesamt kam der Global Player im letzten Jahr jedoch auf 3 Millionen Tonnen CO2.

BAYERs Ökostrom-Deal

„Der Vertrag mit den Wuppertaler Stadtwerken ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Verringerung unseres CO2-Fußabdrucks“, so freute sich BAYERs Kommunikationschef Matthias Berninger im April diesen Jahres über den neuen Vertrag mit den Wuppertaler Stadtwerken (WSW). Und tatsächlich: Künftig werden die Standorte Darmstadt, Weimar, Bitterfeld, Bergkamen, Berlin und Wuppertal nur noch erneuerbaren Strom beziehen. Die im Vertrag zugesicherten 120 GWh Wind- und Solarstrom sind da ein zentraler Schritt, das Ziel des Leverkusener Multis zu erreichen, bis 2030 zu 100 Prozent auf Erneuerbare umgestellt zu haben. Immerhin entsprechen die 120 GWh ungefähr der Menge an Strom, mit der ein Jahr lang 30.000 Haushalte versorgt werden könnten. Hier ist allerdings anzumerken, dass sich die 100 Prozent nur auf den eingekauften Strom beziehen. Beim selbst produzierten Strom verfolgt der Agro-Riese nicht so ehrgeizige Ambitionen. Dort fielen 2023 dann auch 63 Prozent der insgesamt emittierten drei Millionen Tonnen Kohlendioxid an, was dem energie-bedingten Jahresausstoß von ca. 375.000 deutschen BürgerInnen entspricht.

Aber nicht nur deshalb steht BAYERs Klimapolitik in der Kritik: Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wirft dem Konzern unter anderem vor, die extrem klima-schädliche Glyphosat-Produktion am Standort Soda Springs nur sehr zögerlich zu modernisieren. Auch stößt sich die CBG an der Strategie des Unternehmens, den Schaden, den es dem Klima zufügt, an anderer Stelle wieder auszugleichen und in Waldschutz- und Wiederaufforstungsvorhaben mit zweifelhaftem Nutzen zu investieren.

BAYER 04 vs. Wasserschutz #1

Der Trainingscampus von BAYER 04 Leverkusen muss dem Ausbau der Autobahn A1 weichen. Bereits seit Längerem sucht der Club deshalb einen neuen Standort. Ein Gelände in Langenfeld schied dabei eigentlich schon aus, weil es in einem 22 Hektar großen Wasserschutzgebiet liegt. Aber jetzt kommt das Areal auf Wiedervorlage – als frischgebackener deutscher Fußballmeister hat die Werkself gegenüber der Bezirksregierung als Genehmigungsbehörde nämlich einen besseren Stand.

Der Langenfelder Bürgermeister Frank Schneider ist von den Plänen alles andere als begeistert. „Die gesamte Anlage – immerhin 13 Fußball-Plätze plus Internat plus sämtliche Anlagen, die zur Sache dazugehören, Parkplätze und Parkhäuser – alles steht direkt neben unseren Brunnen und fließt sofort unseren Brunnen zu“, so der Christdemokrat. Rudolf Gärtner vom Verbandswasserwerk Langenfeld-Monheim hat vor allem wegen der Risiken und Nebenwirkungen der Rasenpflege mit Dünger und Pestiziden Befürchtungen: „Das ist ein ehemaliges Rheinbett, hier sind Sande und Kiese unter der Oberfläche, und in diesen Sanden und Kiesen fließt eben Grundwasser sehr schnell. Insofern sind Schadstoffe, die von oben nach unten durchsickern, auch sehr schnell im Grundwasser drin.“ Der zusätzliche Wasserverbrauch durch ein Trainingsgelände an dieser Stelle macht ihm ebenfalls Sorgen.

Die Bezirksregierung Düsseldorf erklärte gegenüber dem WDR, dass hinsichtlich einer Genehmigung immer noch Bedenken bestehen. Erforderlich wäre der Behörde zufolge ein beträchtlicher bürokratischer Aufwand, um die wasserrechtlichen Fragen zu klären, den Regionalplan sowie die landesplanerischen Vorgaben zu ändern. Sie kündigte eine Entscheidung in der Sache bis Ende August 2024 an, lud alle Beteiligten dann aber erst einmal zu einem Gespräch ein.

Neben VertreterInnen von BAYER Leverkusen, dem Langenfelder Bürgermeister Frank Schneider und seinem Kollegen Daniel Zimmermann aus Monheim nahmen Stefan Figge als Leiter des Verbandswasserwerks Langenfeld/Monheim, der Mettmanner Landrat Thomas Hendele, der Leiter der Oberen Wasserbehörde sowie EmissärInnen der Staatskanzlei und des Landeswirtschaftsministeriums an dem Treffen teil.

Auf der Tagesordnung standen unter anderem wasserrechtliche Fragen, mögliche Grundwasser-Verunreinigungen durch die Düngung des Trainingsareals und die Auswirkungen seines Wasserbedarfs auf die Trinkwasser-Versorgung Langenfelds. Im Anschluss verkündete eine Sprecherin der Bezirksregierung der Rheinischen Post zufolge, der zuständige Kreis Mettmann werde in enger Abstimmung mit der Bezirksregierung prüfen, ob BAYER 04 die für den Bau des Campus erforderliche Befreiung von der Satzung des Wasserschutz-Gebietes erteilt werden könnte.

Das Nachleben der Weltkriegsmunition

Allein in den Teilen von Nord- und Ostsee, die zum deutschen Hoheitsgebiet gehören, liegen auf dem Meeresgrund rund 1,6 Millionen Tonnen Munition aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg; nicht wenig davon made by BAYER. Die Bundesregierung hat ein Pilot-Projekt zum Aufspüren und zur Bergung der Minen, Bomben und Kampfstoffe initiiert (siehe unten), und das federführende Bundesumweltministerium verwies in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Gefährlichkeit des maritimen Waffenlagers: „Neuere Forschung hat gezeigt, dass sich von den Sprengstoffen herrührende, teils krebserregende und das Erbgut schädigende Substanzen in Meeres-Lebewesen wie Muscheln und Fischen anreichern können. Das gefährdet aktuell vor allem die Meeres-Umwelt. Jedoch könnten auf diesem Weg Schadstoffe aus Sprengstoff-Verbindungen zukünftig auch in die menschliche Nahrungskette gelangen.“

Pilot-Projekt zur Munitionsbergung

Seit Juli 2024 laufen die Vorarbeiten zum Aufspüren und zur Bergung von Weltkriegsmunition aus dem Meer. In der Ostsee startete ein Pilot-Projekt zur Erprobung bestimmter Techniken. Später im Jahr beginnt dann der Aufbau einer schwimmenden Industrie-Anlage zur Entsorgung der tickenden Zeitbomben.

Die Bundesregierung spricht von einem wichtigen Schritt, der jedoch noch „keine größere mengenmäßige Entlastung“ bringe. In der Test-Phase ist lediglich die Räumung von 50 Tonnen vorgesehen. Insgesamt lagern aber allein in den deutschen Hoheitsbereichen von Nord- und Ostsee 1,6 Millionen Tonnen Munition, davon 300.000 Tonnen chemische Kampfstoffe.

Das alles hervorzuholen und unschädlich zu machen, erfordert weit mehr Mittel als die im Rahmen des „Sofortprogramms Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee“ bereitgestellten 100 Millionen Euro. „Die Anschluss-Finanzierung dieser Aufgabe, mit der sich noch unsere Enkel beschäftigen werden, ist nun die nächste Aufgabe für die Politik“, sagte der schleswig-holsteinische Umweltminister Tobias Goldschmidt (Bündnis 90/Die Grünen) beim Start des Bergungsunternehmens. „Der BAYER-Konzern muss sich an dieser Aufgabe beteiligen, denn er hat die Waffenarsenale der Militärs in beiden Weltkriegen mit Minen, Kampfstoffen und Bomben gefüllt“, forderte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) deshalb in einer Presseerklärung.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Rheinalarm wg. BAYER-Pestizid

Am 24. August 2024 gelangten vom Klärwerk Leverkusen-Bürrig aus 180 Kilogramm des Pestizid-Bestandteils 2,6-Dimethyl-1-Aminoindan in den Rhein. Die Bezirksregierung Düsseldorf löste sofort Rheinalarm aus. Noch am 4. September maß das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) an verschiedenen Stellen wie Düsseldorf-Flehe und Duisburg-Homberg deutlich erhöhte Werte für die Komponente des BAYER-Ackergiftes Indaziflam.

Die Substanz wirkt akut toxisch und kann Haut- und Augenschäden verursachen. Für Wasserlebewesen stellt sie eine unmittelbare Bedrohung dar.

Dem LANUV zufolge gehört 2,6-Dimethyl-1-Aminoindan zur Wassergefährdungsklasse 2, was „deutlich wassergefährdend“ bedeutet. „Das ist vor allem für trinkwasser-gewinnende Betriebe im weiteren Verlauf des Rheins, vor allem in den Niederlanden, von Bedeutung“, so LANUV-Pressesprecherin Birgit Kaiser de Garcia gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Der Klärwerksbetreiber Currenta stieß bei einer Routine-Kontrolle auf den massiven Pestizid-Eintrag in den Fluss. Eine Erklärung dafür konnte er nicht vorbringen.

„Es ist ein Unding, dass die Currenta die Pestizid-Einleitungen nur zufällig entdeckte. Ein Klärwerk sollte technisch so ausgestattet sein, dass es die Abwasser-Ströme misst und bei Unregelmäßigkeiten sofort Alarm schlägt“, kritisierte die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) in ihrer Presseerklärung. Zudem hatte die Substanz nach Ansicht der Coordination überhaupt nichts in Leverkusen zu suchen. BAYER produziert Indaziflam nämlich im Chem„park“ Dormagen, wo es ein eigenes Klärwerk gibt. Die Currenta aber schiebt die Fabrikationsrückstände aus ökonomischen Gründen zwischen Dormagen und Leverkusen hin und her, um die Kapazitäten möglichst optimal zu nutzen. Das Unternehmen drückt das freilich ein bisschen anders aus und spricht von einem „wechselseitigen Entsorgungsverbund“.

STANDORTE & PRODUKTION

Haushaltssperre in Leverkusen

Leverkusen hat im August 2024 eine Haushaltssperre verhängt. Die Kommune finanziert nur noch das, wozu sie gesetzlich verpflichtet ist. Alles Übrige, beispielsweise Ausgaben für Kultur, Sport oder Karneval, kommt auf den Prüfstand. Als Grund gibt die Stadt geringere Gewerbesteuer-Einnahmen von BAYER, COVESTRO und anderen Chemie-Betriebe an. Sie musste an BAYER & Co. sogar Steuern, die die Firmen als Vorauszahlungen geleistet hatten, wieder zurückzahlen. In der entsprechenden Pressemitteilung hieß es: „Aus Sicht der Stadtspitze sind die geringer ausgefallenen Gewerbesteuer-Einnahmen im Wesentlichen auf die Belastungen für die chemische Industrie zurückzuführen.“

Und tatsächlich darbt diese. So rechnet BAYER für 2024 bloß noch mit einem Gewinn von schlappen zehn Milliarden Euro, und die COVESTRO sogar nur mit einem von 1 bis 1,4 Milliarden Euro – das reicht natürlich hinten und vorne nicht. Um den Konzernen zu besseren Zahlen zu verhelfen, will Oberbürgermeister Uwe Richrath (SPD) nun versuchen, „für die chemische Industrie eine stabile Steuer-Basis zu schaffen“. Dafür betätigt er sich als Oberlobbyist und verlangt Subventionen: „Die energie-intensive chemische Industrie, besonders in unserer Stadt, muss eine Möglichkeit haben, adäquat auf die derzeit weltweiten Krisen zu reagieren. Bereits seit einem Jahr fordere ich wiederholt die Einführung eines Brückenstrompreises.“

2019 hatte Leverkusen die Unternehmen mit einer Gewerbesteuer-Senkung auf 8,75 Prozent beglückt, um im Unterbietungswettbewerb mit Monheim gleichzuziehen, aber offensichtlich zeigten die Firmen sich nicht erkenntlich. Trotzdem steht eine Erhöhung der Abgabe nicht zur Debatte. Als „Standortvorteil“ bezeichnete die SPD-Fraktion den gegenwärtigen Gewerbesteuer-Hebesatz. Bereits im Jahr 2014 sah sich die Stadt wegen BAYER & Co. zu einer Haushaltssperre gezwungen. Und damals wie heute äußerte sie die Absicht, sich weniger abhängig von der Chemie-Industrie zu machen.

BAYER verkauft Erholungshaus

An vielen seiner Standorte unterhielt der BAYER-Konzern einst nicht nur Produktionsstätten, sondern auch eine soziale Infrastruktur mit Schwimmbädern, Kaufhäusern, Bibliotheken, Breitensport-Vereinen, Werkskindergärten und Werkswohnungen. Diese Sozialpolitik sollte eine „BAYER-Familie“ begründen, die Beschäftigten an den Global Player binden und so davon abhalten, auf dumme, klassenkämpferische Gedanken zu kommen.

Doch von dieser Strategie hat der Global Player sich schon lange abgewendet. Die Einrichtungen schloss er peu-à-peu, und auch seine Immobilien stieß er nach und nach ab. Im Jahr 2002 trennte die Aktien-Gesellschaft sich von ihren 9.600 Werkswohnungen, 2023 veräußerte sie die BeamtInnen-Kolonie. Und jetzt will der Leverkusener Multi an seinem Stammsitz das Erholungshaus, die Bürgerhalle und zwei Parkanlagen abstoßen. Nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeigers hat er der Stadt das ganze Paket zum Kauf angeboten.

Kein Wasserstoff-Cluster in Bergkamen

Der BAYER-Konzern gab im Januar 2024 Pläne für eine Kooperation mit E.ON und IQONY bekannt, die sich zum Ziel gesetzt hatte, seinen Industrie-„Park“ in Bergkamen klima-schonend mit grünem Wasserstoff als Energie-Träger zu versorgen. Die Partner wollten diesen jedoch nicht selbst produzieren, sondern – in Ammoniak gebunden – importieren. Vor Ort sollte dann eine Anlage den Wasserstoff wieder aus dem Ammoniak lösen („cracken“) und den einzelnen Werken zuführen.

Im Juni 2024 bliesen die drei Unternehmen das Vorhaben allerdings wieder ab. „Eine Machbarkeitsstudie hat ergeben, dass die bislang identifizierten Wasserstoff-Bedarfe nicht ausreichen, um das Projekt zum jetzigen Zeitpunkt wirtschaftlich darstellen zu können. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass nach wie vor eine Reihe von regulatorischen Entscheidungen aussteht, von denen spürbare Auswirkungen sowohl auf die künftige Preisbildung als auch auf die Wasserstoff-Nachfrage zu erwarten sind“, erklärte das Trio.

Ohnehin wäre ein solches Cluster fragwürdig gewesen, weil es beabsichtigte, den Wasserstoff aus anderen Ländern vornehmlich des globalen Südens zu beziehen, wo dessen Herstellung zu Umweltbelastungen führt. „Wir sprechen über Mega-Projekte, die enorme Mengen an Wasser verbrauchen und riesige Flächen beanspruchen“, sagt etwa Andreas Stamm vom „German Institute of Development and Sustainability“.

VIVIDION baut an

Die BAYER-Tochter VIVIDION sucht mit Hilfe neuer Technologien Proteine, die eine Rolle bei der Entstehung von Krankheiten spielen und deshalb als Ansatzpunkte für Therapien in Frage kommen. „Unsere firmen-eigene Chemoproteomik-Plattform überwindet die wesentlichsten Einschränkungen konventioneller Screening-Verfahren und ermöglicht uns, bisher unbekannte oder verborgene funktionelle Taschen auf der Oberfläche von Proteinen zu entdecken und niedermolekulare Wirkstoffe zu identifizieren, die sich selektiv an diese Targets binden“, so VIVIDION-Chef Jeff Hatfield. Dafür erweitert die im Jahr 2021 vom Leverkusener Multi aufgekaufte Firma am Standort San Diego nun ihre Kapazitäten und errichtet ein neues Zentrum für Forschung und Entwicklung.

Mehr Arzneien aus Mexiko

Der BAYER-Konzern baut seine Pharma-Fertigungsstätten in Mexiko aus. Rund 200 Millionen Euro will der Leverkusener Multi an seinen beiden Standorten Orizaba und Lerma investieren. Orizaba ist ein Glied der Verhütungsmittel-Wertschöpfungskette. Aus Kostengründen stellt der Global Player dort die Grundstoffe für YASMIN & Co. her und verarbeitet sie anschließend in Bergkamen weiter. In Lerma produziert er hauptsächlich ASPIRIN und ALKA SELTZER.

ÖKONOMIE & PROFIT

BAYER Nr. 16

In der Aufstellung der größten Unternehmen Deutschlands belegt BAYER mit einem Umsatz von 47,6 Milliarden Euro Platz 16 (2022: 18). Europa-weit kommt der Konzern damit auf Rang 58 (2022: 62). Für eine Platzierung in der Top 100 der Welt reichten die Geschäftszahlen allerdings nicht.

RECHT & UNBILLIG

Tran To Nga vs. BAYER & Co.

Im August 2024 hat ein Pariser Berufungsgericht in dem Verfahren gegen die BAYER-Tochter MONSANTO und dreizehn weitere Produzenten von Agent Orange zuungunsten der franco-vietnamesischen Geschädigten Tran To Nga entschieden. Es sprach die Konzerne von einer Mitverantwortung für die Gesundheitsstörungen frei, die die heute 82-jährige Frau durch das zur Chemie-Waffe umfunktionierte Herbizid erlitten hatte.

Die RichterInnen billigten den Firmen einen Immunitätsstatus zu, weil sie im Auftrag eines souveränen Landes – der USA – handelten. Der „Cour d’Appel“ bestätigte damit das Urteil des Gerichts von Evry und folgte wie dieses der Argumentation der VerteidigerInnen der Unternehmen. Dabei hatten die Rechtsanwälte von Tran To Nga zahlreiche Beweise für ein schuldhaftes Verhalten der Multis vorgelegt. Bertrand Repolt und William Bourdon präsentierten mehrere Dutzend interne Dokumente, die belegen, dass die Chemie-Betriebe keine reinen Befehlsempfänger waren. „Der Herstellungsprozess lag exklusiv in der Hand der Unternehmen. Sie hatten einen Spielraum, um das Produkt weniger gefährlich zu machen. Sie taten dies nicht, im Namen einer kommerziellen Logik“, konstatierte Repolt.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte das Votum scharf. „MONSANTO hat nicht lediglich ‚im Auftrag‘ gehandelt. Der Agro-Riese spielte eine aktive Rolle. So stand er beispielsweise mit dem Pentagon bereits seit 1950 im regen Austausch über die Kriegsverwendungsfähigkeit der Basis-Chemikalie von Agent Orange“, hieß es in der Presseerklärung der CBG.

Tran To Nga ließ sich durch den RichterInnen-Spruch nicht entmutigen und kündigte an, nun vor das französische Verfassungsgericht ziehen.

Australien: Glyphosat-Klage abgewiesen

Die weitaus meisten Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ fallen in den Vereinigten Staaten an, weil die US-amerikanische Gesetzgebung VerbraucherInnenschutz ernst nimmt. Außerhalb der USA landeten bisher nur rund 40 Fälle vor dem Kadi. Zudem muss der BAYER-Konzern dort nicht so oft harte Strafen hinnehmen.

So wies ein australisches Gericht Ende Juli 2024 die Sammelklage von mehr als 800 Glyphosat-Geschädigten ab, die das von BAYER unter dem Namen ROUNDUP vermarktete Herbizid für ihre Krebserkrankung verantwortlich gemacht hatten. Der zuständige Richter Michael Lee erachtete die vorgebrachten Belege für Glyphosat als Verursacher des Non-Hodgkin-Lymphoms (NHL) – eine Krebs-Form, die das Lymph-Gewebe befällt – als nicht ausreichend. „Es ist in diesem Verfahren bei Abwägung der Wahrscheinlichkeiten nicht bewiesen, dass die Verwendung von ROUNDUP-Produkten oder die Exposition gegenüber ROUNDUP-Produkten während des relevanten Zeitraums das Risiko einer Person, an NHL zu erkranken, erhöht“, erklärte er.

Der Vertreter der KlägerInnen will nun erst einmal die Urteilsbegründung prüfen und dann entscheiden, ob er in Berufung geht. Der BAYER-Konzern zeigte sich indessen erwartungsgemäß hocherfreut über das Votum. „Die Entscheidung des Gerichts steht im Einklang mit den weltweiten behördlichen und wissenschaftlichen Bewertungen, einschließlich der australischen Behörde für Pestizide und Tierarzneimittel, die belegen, dass Glyphosat (ROUNDUP) sicher und nicht krebserregend ist“, konstatierte der Leverkusener Multi.

Mexiko: Glyphosat-Bann bleibt

Im Jahr 2020 beschloss die mexikanische Regierung unter Staatspräsident Andrés Manuel López Obrador, Glyphosat ab 2024 aus dem Verkehr zu ziehen. 2021 erweiterte sie den Bann auf Gen-Mais. BAYER ging dagegen juristisch vor und konnte zunächst auch Erfolge erringen. So erklärte ein Gericht das Gesetz für verfassungswidrig.

Unterstützung erhielt der Global Player auch durch die USA. Die Biden-Administration wandte sich gegen das Verbot von gentechnisch manipuliertem Mais, weil die USA Mexiko massenhaft mit der Laborfrucht beliefern. Die US-Regierung warf Obrador & Co. vor, mit dem Dekret gegen Bestimmungen des Handelsvertrags USMCA verstoßen zu haben und leitete entsprechende Schritte im Rahmen des Streitbeilegungsmechanismus ein.

Im Juli 2024 jedoch zog der Leverkusener Multi seine Klage zurück. Der die Regierungen beratende „Nationale Rat für Geisteswissenschaften, Wissenschaften und Technologien“ Conahcyt sprach daraufhin von einem „Sieg für das Leben, die Gesundheit und die Ernährungssouveränität“.

BAYERs Daten-Schatz

Marius Stelzmann

Bits & Bytes

Zugriff auf die elektronische PatientInnen-Akte

Jubel in den Chefetagen der Pharma-Industrie und im Gesundheitsministerium – Trübsal bei DatenschützerInnen und KonzernkritikerInnen: Anfang 2025 kommt die elektronische PatientInnen-Akte, und die Konzerne können darin nach Herzenslust blättern. Wer das nicht will, muss ausdrücklich widersprechen.

Von Max Meurer

Im September 2024 setzten die ersten Krankenkassen ihre Mitglieder über die Einführung der elektronischen Patienten-Akte (ePA) Mitte Januar nächsten Jahres in Kenntnis. „Sie ist ein digitales Angebot und bietet Ihnen viele Vorteile. Mit der ePA haben Sie immer alle wichtigen gespeicherten Informationen zu Ihrer Gesundheit griffbereit dabei – ob beim Besuch einer Arzt-Praxis oder bei einem plötzlichen Klinik-Aufenthalt“, schrieb etwa die DAK. Über die Nachteile verlor sie kein Wort. So haben zum Beispiel die Pillen-Riesen Akten-Einblick. „Wir haben den größten Datenschatz der Welt für die Forschung von Pharma-Unternehmen geöffnet. Das ist etwas, was alle anderen Länder jetzt neidisch betrachten“, lobte sich Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem „Pharma & Chemie Summit“ des „Verbandes der Chemischen Industrie“ selbst.

Der BAYER-Konzern wollte diesen Tresor schon lange knacken. „In Krankenhäusern und Arzt-Praxen entstehen täglich enorme Daten-Mengen, die für die medizinische Forschung von unschätzbarem Wert sind“, lechzte er und bezeichnete diese Informationen als „Rohstoff“. Bereits 2018 schreibt dazu Kathrin Langguth von BAYER Pharmaceuticals: „Durch die Kombination von Daten aus klinischen Studien, Krankheitsregistern, elektronischen Gesundheitsakten und mobilen Gesundheits-Apps werden Forscher Zugang zu einer Fülle von Erkenntnissen haben, die zu einem besseren Verständnis von Erkrankungen beitragen.“

Auch bei Gesundheitsminister Karl Lauterbach schlägt im Vorwort der Erklär-Broschüre des Gesundheitsministeriums der alte Gesundheitsökonom durch. Ihm zufolge hilft seine Digitalisierungsstrategie „uns als Gesellschaft, die mehrwertstiftende Nutzung von Gesundheits- und Pflegedaten sowie Anforderungen an Datenschutz beziehungsweise -sicherheit in eine angemessene Balance zu bringen.“ Um Forschung geht es also bei der elektronischen Patientenakte schon, aber halt vor allem um die „mehrwertstiftende Nutzung von Gesundheits- und Pflegedaten“. Dabei hatte der DGB bereits vor vier Jahren mit Bezug auf die Digitalisierungsvorhaben gefordert, „den Kreis der zur Datenverwendung in Frage kommenden Dritten im Voraus auf öffentliche, den Sozialversicherungsträgern angehörende oder nicht gewinnorientierte Akteure und Institutionen zu begrenzen.“

EU-weiter Datenschatz

Dies wurde gekonnt ignoriert. Nach mehreren Jahren Diskussion tritt nun ab Januar 2025 die elektronische Patientenakte auf den Plan. Darüber hinaus geht es um die Schaffung eines „europäischen Datenraums“. Der Prozess der Datenkonzentration soll also nicht auf nationalstaatliche Rahmen beschränkt bleiben. Während bisher ohne analoge PatientInnen-Daten wenig ging, stehen nun Änderungen an. BefürworterInnen sehen in der neuen Regelung die Möglichkeit der besseren Koordination von Gesundheitsinformationen zum Nutzen der PatientInnen und sprechen von einer „freiwillige(n) Datenspende zu gemeinwohl-orientierten Zwecken“. DatenschützerInnen indes kritisieren die sehr laxen Bestimmungen zum Datenschutz. Doch einmal von vorne: Worum geht es eigentlich?

Sekundärnutzung für wen?

Im Dezember 2023 verabschiedete der Bundestag mit der Zustimmung von SPD, Grünen und FDP zwei neue Gesetze mit den eingängigen Namen: „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ und „Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“. Auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums heißt es, die „Krankenkassen stellen ihren Versicherten (…) ohne deren Zutun eine ePA zur Verfügung“. Das klingt nobel, doch de facto wird die ePA verpflichtend. Es ist zwar möglich, innerhalb von sechs Wochen nach Ausstellung Widerspruch einzulegen, doch wer diese Frist versäumt, dessen Daten werden nicht nur digital gespeichert, nein, auch die Sekundärnutzung der Daten „für Zwecke des öffentlichen Interesses, Politikgestaltungs- und Forschungszwecke sowie statistische Zwecke“ (EU-Rat) ist geplant. Ab dem 15. Juli 2025 dürfen BAYER & Co. hier zugreifen, ein Widerspruch ist auch erst ab diesem Datum möglich. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurde für die ePA ganz einfach durch ein neues Paragrafen-Werk passend gemacht: das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG), das wiederum die Verstöße gegen bestehende Datenschutz-Regeln einfach legalisieren sollte.

Die undurchsichtige Widerspruchsregelung ebenso wie die zahlreichen Bedenken in Bezug auf die Verwendung der Daten ruft DatenschützerInnen auf den Plan. So merkt der im Sommer 2024 aus dem EU-Parlament ausgeschiedene Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer an, dass „nur eine Minderheit der Patienten einen europaweiten Zugriff auf ihre Daten wünsche.“. Martin Tschirsich vom Chaos Computer Club kritisiert: „Herr Lauterbach vernachlässigt den Datenschutz.“ Und auch Carmela Troncoso von der „Ecole Polytechnique Lausanne“, wo sie den Bereich „Security and Privacy Engineering Laboratory“ leitet, merkt an: „Das Problem fängt an, wenn wir diese Daten mit anderen Zwecken verbinden.“ Der Leverkusener Multi hat damit natürlich kein Problem. Was DatenschützerInnen aufschreckt, heißt für ihn einfach „den Datenschutz an die innovativen Möglichkeiten anpassen“.

Doch weshalb wird überhaupt diese Sekundärnutzung gefordert? Ganz einfach: Für die Pharmaindustrie ergibt sich daraus die Gelegenheit, Millionen von PatientInnen-Daten aus dem gesamten EU-Raum auszuwerten und für ihre Forschung zu nutzen. Der EU-Rat findet das gut und sieht darin, ebenso wie die Bundesregierung, die Möglichkeit, die Forschung näher an den PatientInnen auszurichten. Was sie jedoch verschweigen, ist dies: Pharmakonzerne wie BAYER und Co. sind keine Wohltätigkeitsanstaltungen, sondern profit-orientierte Unternehmen, woraus logisch folgt, dass sie kein Interesse daran haben, zum Wohle der PatientInnen zu forschen. Das ist maximal eine Nebenwirkung, doch die Forschungsschwerpunkte orientieren sich in allererster Linie daran, womit am meisten Geld zu machen ist. Die Verwertung der Gesundheitsdaten hilft dabei insofern, als dass eine Menge von Daten, die vorher nur mit spezifischen Studien erfragbar waren, was teuer ist und von der Pharmaindustrie bezahlt werden musste, nun ganz einfach frei Haus zu den Laboratorien der Pharmamultis kommt. Das bedeutet geradeheraus: Mit den bestehenden Regelungen sorgt das neue Gesetz vor allem dafür, dass Großkonzerne von persönlichen Daten der PatientInnen profitieren können, während selbige kaum Möglichkeiten haben, sich aus diesem Netz auszuklinken. So kritisierte der DGB in seinem Positionspapier vom Mai 2020 zum Thema, es sei kein „ausreichende[r] Schutz vor einer Verwendung der Daten zu anderen als den angegebenen Zwecken“ in den Plänen zur Gesundheitsdigitalisierung angelegt. Um derartige Kritik zu beschwichtigen, hat der Bundestag am 15.12.23 in seiner Sitzung nochmal „nachgebessert“. Das sieht dann wie folgt aus: Die bisherigen Deckelungen für die Anwendung von Telemedizin und digitalen Gesundheitsanwendungen sollen zwar entfallen, aber dafür übernimmt der Digitalbeirat bei der „Gematik“ (Gesellschaft für Telematikanwendungen) die Aufgabe, darüber zu wachen, dass die Datenschutz-Regelungen eingehalten werden. Das tröstet nur wenig, da das Gesundheitsministerium nur 51 Prozent der Gematik-Anteile hält. Der Rest verteilt sich auf verschiedene Interessensgruppen, zu denen eben auch der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI), die Krankenkassen, der „Deutsche Apothekerverband“ und viele andere gehören. Auch hier spielen also privatwirtschaftliche Interessen eine nicht zu unterschätzende Rolle, was die Frage aufwirft, wie der Vorrang von Datenschutz und PatientInnen-Wohl wirklich garantiert werden soll. Darüber hinaus kritisieren „dieDatenschützer Rhein-Main“, dass die Verantwortlichkeiten innerhalb der Gematik unübersichtlich bleiben, weil letztlich keine/r für alles geradestehen wollte. Als Behelfslösung musste dann die in § 307 (5) SGB V festgelegte „Auffangverantwortlichkeit“ dienen. Diese widerspricht den DatenschützerInnen zufolge aber dem Europa-Recht und erfüllt darüber hinaus ihren Zweck nicht: „Eine ‚lückenlose Verantwortlichkeit‘ kann durch eine Auffangverantwortlichkeit gerade nicht erreicht werden.“ 

Wir können festhalten: Noch mehr Intransparenz für PatientInnen, noch mehr Schlupflöcher für DatenschutzdekonstruiererInnen.

Innovationsvorsprung?

BefürworterInnen der neuen Gesetze stellen demgegenüber vor allem die angebliche Notwendigkeit in den Mittelpunkt, jetzt in Sachen „Innovation und Digitalisierung“ aufzuholen, ehe man als Bundesrepublik von allen anderen Staaten abgehängt werde. So erklärte Karl Lauterbach: „Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück. Das können wir nicht länger verantworten. Deshalb machen wir einen Neustart – erschließen die elektronische Patientenakte für alle, machen das elektronische Rezept alltagstauglich und erleichtern die Forschung auf Grundlage von Gesundheitsdaten.“ Und die berüchtigte US-Beraterfirma McKinsey sieht in der ePA ein Einspar-Potenzial von sieben Milliarden Euro, da Doppeluntersuchungen und Ähnliches wegfielen.

Der Rechtsanwältin Silvia Woskowski und der CDU-Abgeordnete Erwin Rüddel (seines Zeichens ehemaliger Vorsitzender des Gesundheitsausschusses) war das nicht genug. Die beiden machten den Vorschlag, den Krankenkassen den Verkauf von PatientInnen-Daten zur Stabilisierung ihrer Finanz-Lage zu erlauben. Aber einstweilen konnten die beiden damit noch nicht durchdringen.

Deine Daten bei HackerInnen?

Doch selbst wenn mensch die Profit-Interessen hinter dem neuen Gesetz mal rechts liegen lässt, offenbaren sich doch noch einige weitere, sehr grundsätzliche Probleme: Die Digitalisierung der Daten eröffnet auch neue Angriffsflächen für HackerInnen und andere Gestalten, die möglicherweise Zugriff auf Leidensgeschichten, die sexuelle Orientierung, medizinische Nacktbilder und so weiter erhalten und damit PatientInnen erpressen können. Der Grünen-Abgeordnete Janosch Dahmen sieht dennoch in der Neuerung einen Fortschritt, spricht von „Empowerment“ durch die neuen Gesetzgrundlagen für Datenschutz und Patientenrechte, von „Datensolidarität“ und einem Ende der Fragmentierung der PatientInnen-Daten. Dem entgegnet Troncoso: „Menschen sind gewissermaßen einzigartig (…), die Kombination unserer Attribute macht uns identifizierbar.“

Und trotz all dieser Punkte soll der Patient-Innen-Aktenraum der EU kommen, ist die Nutzung von Abermillionen von PatientInnen-Daten nunmehr gesetzlich legitimiert, und für die Betroffenen besteht aufgrund der extrem nebulösen Datenschutzregelungen kaum eine Möglichkeit zu durchblicken, was da eigentlich genau mit ihren Daten angestellt wird. Und während DatenschützerInnen, KonzernkritikerInnen und PatientInnenvertreterInnen im strömenden Regen stehengelassen werden, dürfen sich BAYER und Co. freuen, denn Daten sind bares Geld wert – und um bares Geld geht es der Pharmaindustrie unterm Strich immer. ⎜

BAYERs Lobbyliste

Marius Stelzmann

Politik & Einfluss

Umfangreiche Landschaftspflege

Über drei Millionen Euro gab BAYER 2023 allein für die Pflege der politischen Landschaft in Deutschland aus.

Von Max Meurer

Der Eintrag des BAYER-Konzerns im deutschen Lobbyregister wurde am 28.06. zuletzt aktualisiert. Grund genug, einmal ein bisschen genauer hinzuschauen, was der Chemieriese zwecks politischer Einflussnahme alles so treibt.

Zunächst fällt auf: Unter den 25 offiziell gelisteten „betraute[n] Personen, die Interessensvertretung unmittelbar ausüben“, also als LobbybotschafterInnen für BAYER durch die Bundesrepublik ziehen, sind vier Personen dabei, die schon für Mitglieder des Bundestages gearbeitet haben. Dabei ist unter anderen Constantin Marquardt, der Pressesprecher des „Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz“ von Mecklenburg-Vorpommern war und dann das Bundestagsbüro von Wilhelm Priesmeier, dem damaligen agrarpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, leitete. Britta Jacob von den Grünen, die aktuell einen Sitz im Bundestag anstrebt, war bis 2022 stellvertretende Büroleiterin von Anna Lührmann, der Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt.

Interessant liest sich neben den Biografien der LobbyistInnen selbst auch die Liste der Mitgliedschaften der BAYER AG bei Lobbygruppen und anderen Organisationen. Neben dem „Verband der Chemischen Industrie“ und dem „Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V.“ gehören zu dieser Gruppe auch der CDU-Wirtschaftsrat, das SPD-Wirtschaftsforum und der Thinktank Atlantik-Brücke, der sich unter der Leitung des Sozialdemokraten Sigmar Gabriel um die Durchsetzung US-amerikanischer Interessen in der Bundesrepublik und die Zusammenarbeit zwischen deutschem- und US-Imperialismus kümmert.

Zu den sechs konkreten Gesetzesvorhaben, für oder gegen die BAYER sich ins Zeug gelegt hat, zählen eine Änderung des Tierschutzgesetzes, die der Chemiekonzern unter Verweis auf eine angebliche Gefährdung der Forschung ablehnt, die „Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung“, bei der sich BAYER für Glyphosat stark machte, oder die Unterstützung der „Strategie Fachkräftegewinnung“, mit der ein Maßnahmenpaket zugunsten der deutschen Industrie vorangetrieben wird, um den angeblichen „Fachkräftemangel“ zu bekämpfen.

Besonders auffällig ist auch der Einsatz von LobbyistInnen für das Pharma-Parket der EU, das „neue Anreizmodelle für Antibiotika-Forschung schaffen“, Zulassungsverfahren „entbürokratisieren“ und die „Hoheit des Herstellers über Produktinformationen“ festschreiben“ soll. Ebenfalls interessant gestaltet sich BAYERs Streiten für die weitere Nutzung von PFAS-Chemikalien in der Arzneimittelverpackungsproduktion angesichts des geplanten EU-Verbots dieser gesundheitsschädlichen Substanzen.

Diese Vorhaben hat sich der Chemie-Konzern so einiges kosten lassen: So gab die BAYER AG allein in Deutschland für ihre „Interessensvertretung“ im letzten Jahr rund 2,6 Millionen Euro aus. Dazu kommen nochmal 350.000 Euro der Tochter-Gesellschaft Bayer Vital und rund 100.000 Euro von BAYER CROPSCIENCE. Aus der öffentlichen Hand bekam der Leverkusener Multi dafür aber auch einiges zurück.  Der Lobbybericht ist hier zwar recht ungenau, doch selbst wenn mensch die Förderzahl niedrig ansetzt, flossen mindestens 590.000 Euro aus staatlichen Kassen an den Global Player. ⎜

Eine verpasste Chance

Marius Stelzmann

Konzern & Vergangenheit

1984 verklagten Holzgifte-Geschädigte eine BAYER-Tochter

Vor 40 Jahren reichte die Interessengemeinschaft Holzschutzmittel-Geschädigter Klage gegen die Firma SADOLIN und die damalige BAYER-Gesellschaft DESOWAG wegen Körperverletzung ein. Damit nahm das bisher größte Umwelt-Strafverfahren in der Geschichte Deutschlands seinen Anfang.

Von Jan Pehrke

Im Februar 1984 zog die Interessengemeinschaft Holzschutzmittel-Geschädigter (IHG) vor Gericht. Sie tat dies jedoch nicht in Düsseldorf, wo sowohl die IHG als auch der größte Holzgifte-Produzent – die damalige BAYER-Tochter DESOWAG – ihren Sitz hatten, sondern in Frankfurt. In Nordrhein-Westfalen fürchteten die KlägerInnen nämlich die kurzen Dienstwege zwischen der Politik, der Justiz und dem Leverkusener Multi. Überdies gab es am Frankfurter Landgericht seit Kurzem ein Umweltdezernat.

Dort landet der Vorgang nach einiger Zeit bei dem Staatsanwalt Erich Schöndorf, der im Juni 2023 verstarb (eine ausführliche Würdigung seiner Person findet sich in der „BIG Business Crime“-Beilage von SWB 4/23). Der damals 36-Jährige verbeißt sich in den Fall und macht aus ihm das größte Umwelt-Strafverfahren in der deutschen Geschichte. Ein Großteil seiner KollegInnen hätte die Causa wohl schon im Zuge der Vorermittlungen zu den Akten gelegt. Schöndorf aber zeigt sich entschlossen, den mehr als 200.000 Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ihre Leiden – von Akne und Allergien über Muskelkrämpfe und epileptische Anfälle bis hin zu Hirnfunktionsstörungen oder Krebs reichen die Symptome – als Körperverletzungsdelikte zur Anklage zu bringen.

Denn die ManagerInnen von DESOWAG und SADOLIN wussten, was sie taten. So warnte das Münchner „Institut für Ökologische Chemie“ die BAYER-Tochter bereits 1975 vor dem dioxin-haltigen XYLADECOR-Inhaltsstoff Pentachlorphenol (PCP). Zwei Jahre später vermeldete der DESOWAG-Werksarzt der Firmenleitung dann, dass die in Innenräumen gemessenen XYLADECOR-Werte „bei empfindlichen Menschen sogar Gesundheitsschäden hervorrufen konnten“. BAYER selbst war auch im Bilde. Der Hauptlabor-Leiter Karl-Heinz Büchel erhielt 1977 einen „vertraulichen“ Brief, dessen Absender Prof. Dr. Schäfer von der Medizinischen Hochschule Hannover keinen Zweifel an der Gefährlichkeit der Holzschutzmittel hatte. „Ich glaube in der Tat, dass PCP mit seinem relativ großen Dampfdruck aus dem Holz allmählich abgegeben und mit der Atemluft in den menschlichen Organismus übertragen werden kann“, hieß es in dem Schreiben an den Kollegen.

Trotz allem reagierte die DESOWAG nicht. Ein „anderes Taktieren“ sei mit dem Risiko behaftet, als Schuldeingeständnis zu gelten, meinten die Verantwortlichen und entschieden sich für eine „Vorwärtsstrategie“. „Gesundheitsschäden durch XYLADECOR und XYLAMON nicht nachgewiesen“ stand auf ganzseitigen Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, die das Unternehmen schaltete. Und die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bekam Ähnliches zu hören, als sie das Thema auf die Tagesordnung der Hauptversammlung setzte. Holzschutzmittel für massive Krankheitserscheinungen verantwortlich zu machen, bezeichnete der damalige BAYER-Chef Herbert Grünewald der CBG gegenüber als „größte Lüge von der Nordsee bis zu den Alpen”.

Schöndorf und seine KollegInnen setzten alle Hebel in Bewegung, um das Gegenteil zu beweisen. Sie beauftragten das Bundeskriminalamt mit Ermittlungen, fuhren zum Bundesgesundheitsamt nach Berlin, nahmen Kontakt mit WissenschaftlerInnen auf und sprachen mit den Betroffenen. Schließlich wurde der Eifer der beamteten UmweltdetektivInnen belohnt. Eine Hausdurchsuchung bei der DESOWAG förderte Belastungsmaterial zutage: dicke Aktenordner mit 4.000 Briefen, in denen Holzgifte-AnwenderInnen ihre gesundheitlichen Beschwerden darlegten. Nach einem Urteil in einem ähnlichen Fall, dem sog. Lederspray-Verfahren, hätten diese alarmierenden Meldungen die beiden Geschäftsführer der DESOWAG zu einem Rückruf von XYLADECOR und XYLAMON bewegen müssen. Sie aber ließen den Geschädigten Standardbriefe zukommen, die ihnen versicherten, die Produkte seien völlig unbedenklich und bisher habe es auch noch keine Schadensmeldungen gegeben. Dieses Vorgehen der Manager erlaubte schließlich eine Anklage wegen Körperverletzung.

Der Prozess begann im Dezember 1991 und endete im Mai 1993 mit einem Schuldspruch. Die beiden DESOWAG-Manager Fritz Hagedorn und Kurt Steinberg wurden wegen fahrlässiger Körperverletzung und Freisetzung von Giften in 29 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und zu einer Zahlung von 240.000 DM (120.000 Euro) verurteilt. Dagegen gehen nicht nur Hagedorn und Steinberg, sondern auch Schöndorf und sein Kollege Reinhard Hübner in Revision. Sie halten das wissentliche Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichen Produkten für vorsätzliche und nicht nur fahrlässige Körperverletzung.

Dafür geht Schöndorf noch mal in die Beweisaufnahme. Im Juni 1994 fährt er – mit zwei Dutzend BeamtInnen des Bundeskriminalamts als Geleitschutz – bei BAYER in Leverkusen vor. Der Chef-Justitiar des Konzerns zeigt sich davon jedoch unbeeindruckt und droht: „Sie sind nicht mehr lange Staatsanwalt! Noch heute Abend treffe ich in Bonn den Schäuble (den damaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Anm. SWB). Dann sind Sie erledigt!” Anschließend ordert er den Werksschutz, der sich mit Waffen vor den Akten-Regalen aufbaut. Schöndorf gelingt es anschließend zwar doch, die Dokumente sicherzustellen, aber lesen darf er diese nicht. Das Beschwerdegericht verweigert ihm die Akten-Einsicht. 1995 hob dann der Bundesgerichtshof das Urteil vom Mai 1993 auf. 1996 wurde das Verfahren gegen eine Zahlung von 100.000 Mark an die Gerichtskasse und von vier Millionen Mark für die Schaffung eines Lehrstuhls für Toxikologie eingestellt.

„Ich frage mich, wo die Macht liegt, in Bonn oder in Leverkusen”, so das Resümee Erich Schöndorfs. Er quittierte frustriert seinen Dienst und nahm einen Ruf der Fachhochschule Frankfurt auf eine Professur für Umweltrecht und öffentliches Recht an. 1998 veröffentlicht der Jurist ein Buch „über das Scheitern der Justiz im Holzschutzmittel-Skandal“: „Von Menschen und Ratten“. 1999 interviewte ihn das Stichwort BAYER dazu. „Die Industrie kann sich schon ziemlich sicher sein, dass ihr nichts geschieht. Das Holzschutzmittel-Verfahren hatte die Chance, diese Verhältnisse umzukehren (…) das ist wieder weg, es passt wieder kein Mensch mehr auf“, sagte er da. Vehement kritisierte Schöndorf die Justiz: „Sie gehorcht ihrem Herrn. Der Herr, das ist der politische Vorgesetzte, aber es sind auch die anderen Macht-Positionen innerhalb der Gesellschaft, die wirtschaftlichen Macht-Positionen, die Konzerne halt.“ Und an denen rieb er sich bis zu seinem Lebensende, denn die Niederlage im Holzgifte-Prozess konnte seinen Kampfeswillen nicht brechen. ⎜

Gesetzgeber BAYER

Marius Stelzmann

Rechtsschutz für Glyphosat

Weil der BAYER-Konzern vor US-Gerichten Glyphosat-Geschädigten oft unterlag und hohe Zahlungen leisten musste, will er nun die Gesetze ändern.

Von Jan Pehrke

Im Jahr 2015 stufte die Weltgesundheitsorganisation WHO das Pestizid Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. In den USA löste das eine Prozess-Welle aus, weil es dort die Möglichkeit der Sammelklage gibt. Diese erlaubt es den Geschädigten nämlich, ihr Recht zu suchen, ohne untragbare finanzielle Risiken auf sich zu nehmen.

Die ersten Verfahren endeten für den BAYER-Konzern, der sich das Herbizid mit der Übernahme von MONSANTO eingehandelt hatte, desaströs. Er musste jeweils hohe 2-stellige Millionen-Beträge als Strafe zahlen. In der Folge brach der Aktien-Kurs ein und erholte sich bis heute nicht, denn noch immer sind rund 57.000 Fälle anhängig.

Gegen eine Einigung mit den Geschädigten sträubte sich der Leverkusener Multi, aus dem Mediationsverfahren stieg er aus. Stattdessen setzte er auf juristische Winkelzüge, die jedoch bis dato erfolglos blieben. Eine Arbeitsplatzvernichtung im großen Stil konnte die Finanzmärkte auch nicht gnädig stimmen. Große Fonds forderten immer wieder die Zerschlagung des Unternehmens und den Kopf des Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann.

2023 bekamen sie ihn dann schließlich. Unter Baumann-Nachfolger Bill Anderson leitete das Unternehmen verschiedenste Maßnahmen ein, um die Akte „Glyphosat“ zu schließen. Es berief die US-Amerikanerin Lori Schechter in den Aufsichtsrat, die sich durch eine besondere Qualifikation für den Job empfahl: Sie hatte in der Opioid-Krise erfolgreich juristische Schadensbegrenzung für die Pharma-Firma McKesson betrieben. Zudem trennte sich der Agro-Riese von den Kanzleien, die ihn bisher vertreten hatten. Aber er suchte auch nach anderen Wegen. Auf der Bilanz-Pressekonferenz im März 2024 kündigte die Aktien-Gesellschaft „neue Ansätze inner- und außerhalb der Gerichtssäle“ an. „Aber es ist klar, dass eine Verteidigungsstrategie allein nicht ausreicht“, hielt Anderson fest. Zu den Maßnahmen, „diesen Rechtskomplex im Sinne unseres Unternehmens und unserer Kunden abzuschließen“, gehöre darüber hinaus „eine intensivere Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Bereich der Politik“, so der Vorstandsvorsitzende.

Lex BAYER

Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stehen legislative Aktivitäten, denn der Leverkusener Multi schreibt seine Niederlagen in den Schadensersatz-Prozessen „fehlgeleitete(n) staatliche(n) Regulierungsbemühungen“ zu. Mit Verweis auf diese Bestimmungen erfolgten nämlich immer wieder Verurteilungen wegen versäumter Warnungen vor den Risiken und Nebenwirkungen des unter dem Produkt-Namen ROUNDUP vermarkteten Mittels. BAYERs VerteidigerInnen führten zur Entlastung regelmäßig die US-amerikanische Umweltbehörde EPA an, die das Pestizid nicht als krebserregend einstuft;  sie konnten sich damit allerdings nicht durchsetzen. Im Juli 2024 etwa verwarf ein Gericht in Oregon – wie vor ihm schon andere – die Argumentation des BAYER-Konzerns. Er „beruft sich auf die Genehmigung der EPA für die Kennzeichnung von Roundup und behauptet, dass diese Genehmigung – die keine Krebs-Warnung enthält – den Ansprüchen des Klägers entgegensteht“, rekapitulierten die Richter, um dem Leverkusener Multi dann eine Abfuhr zu erteilen. „Unserer Ansicht kann die Genehmigung eines Etiketts durch die EPA (…) bundesstaatliche Bestimmungen nicht außer Kraft setzen.“ Das Pestizid-Gesetz FIFRA erlaube den Bundesstaaten ausdrücklich, eigene regulatorische Entscheidungen zu treffen, hielt der „Oregon Court of Appeals“ fest. Konkret hob er das Urteil der Vorinstanz auf, weil diese den VertreterInnen des Klägers nicht erlaubten, den Wissenschaftler Charles Tenbrock seine Kritik am Umgang der EPA mit Glyphosat im Gerichtssaal vortragen zu lassen.

Wegen solcher RichterInnen-Sprüche lanciert der Agro-Riese nun Paragrafen-Werke, welche die EPA-Bewertung als bindend für alle Gerichte der Vereinigten Staaten erklären sollen. Die Koordination liegt dabei in den Händen des „Heads of Public Affairs, Sustainability and Safety“, dem ehemaligen Grünen-Politiker Matthias Berninger. „Seine Pressure-Boys bearbeiten jetzt Abgeordnete in einem guten Dutzend Bundesstaaten, damit sie die Oberhoheit der EPA anerkennen“, so das Manager Magazin.

In Iowa präsentierte der BAYER-Konzern die entsprechende Vorlage gleich selbst. Sein Lobbyist Craig Mischo stellte sie in einem Unterausschuss des dortigen Repräsentantenhauses gemeinsam mit Brad Epperly von der Beratungsfirma CWL vor. Natürlich hatte das Unternehmen vorher die politische Landschaft entsprechend gepflegt. Die Top Ten führt Iowas Landwirtschaftsminister Mike Naig mit Spenden in Höhe von 19.500 Dollar an. Der letzte auf der Liste, der Republikaner Bobby Kaufmann, erhielt immerhin noch 2.250 Dollar vom Agro-Riesen.

Idaho dürfte BAYER ähnlich viel gekostet haben. Im dortigen Senatsausschuss sprach Mark Harris von den Republikanern zumindest ein paar einleitende Worte, bevor er alles Weitere James Curry, BAYERs Mann für „State and Local Government Affairs“, überließ. In Missouri und Florida läuft die Gesetzes-Maschinerie ebenfalls bereits an, orchestriert von massiver Öffentlichkeitsarbeit mit Slogans wie „Missouri’s Crops can’t wait. Protect Glyphosate“ oder „Stand with Missouri Farmers – Not Trial Lawyers“. Sogar an die patriotischen Gefühle appellierte der Konzern: „Don’t make Missouri Farmers reliant on foreign countries.“

Er sieht sich durch die „Klage-Industrie“ nämlich vom Untergang bedroht und warnt kaum verhohlen davor, China Platz machen zu müssen. „Dahinter steht ein Schreckensszenario. BAYER ist der einzige Hersteller im Land. Wenn das Unternehmen als Lieferant ausfällt, könnte dies die Lebensmittel-Versorgung in den USA gefährden und die heimische Landwirtschaft mittelfristig von China abhängig machen. Denn dort sitzen die meisten anderen großen Glyphosat-Produzenten“, so analysierte das Handelsblatt die Kampagne.

Aber Erfolge mit dem, was die Wirtschaftszeitung aus Düsseldorf „Gesetzesanpassungen“ nennt, kann der Leverkusener Multi noch in keinem Bundesstaat verbuchen. In Idaho etwa scheiterte das Paragrafen-Werk auch in einer überarbeiteten Fassung, und die Chancen für die dritte Variante stehen ebenfalls schlecht. Einige Abgeordnete wollten zunächst zustimmen, überlegten es sich der Journalistin Lisa Held vom US-Portal Civil Eats zufolge aber doch anders, weil ihnen plötzlich Krebs-Kranke aus ihrem persönlichen Umfeld in den Sinn kamen. Auch mochten sie BAYER & Co. nicht generell aus der Verantwortung entlassen. Einen von ihnen, den Republikaner Brian Lenney, zitierte Civil Eats. „Wir opfern unsere Zukunft für die Gegenwart“, sagte er: „Und schließlich glaube ich nicht, dass die Gewährung lebenslanger Immunität für milliardenschwere Pharmaunternehmen auf der Bingo-Karte unserer Wähler stand, als sie uns hierher schickten.“

Auf Bundesebene treibt der Konzern indessen den „Agricultural Labeling Uniformity Act“ voran, der es untergeordneten politischen Einheiten verbietet, eigenmächtig das Anbringen von Warnhinweisen auf Pestizid-Verpackungen anzuordnen. Bill Anderson machte das Ganze zur Chefsache. So nutzte er im Februar 2024 die Münchner Sicherheitskonferenz zur Werbung für dieses Unterfangen. Am Rande der Veranstaltung versuchte der Vorstandsvorsitzende, die prominenten US-PolitikerInnen Nancy Pelosi, Hillary Clinton, John Kerry und Mike Pompeo von der Notwendigkeit neuer Bestimmungen zur Regulierung von Agro-Chemikalien zu überzeugen. Zudem reiste der US-Amerikaner in der Angelegenheit mehrmals nach Washington und sprach bei EntscheidungsträgerInnen vor. In einer Rede vor WirtschaftsvertreterInnen in Chicago bezeichnete er das Thema „Glyphosat-Klagen“ als existenziell für BAYER mit Folgen weit über den Konzern hinaus. „Wenn Glyphosat aus dem landwirtschaftlichen System entfernt würde, dürften die Lebensmittel-Kosten für eine durchschnittliche vierköpfige Familie in den USA nach Schätzungen um mehr als 40 Prozent steigen“, sagte Anderson bei einem Vortrag im „Executives‘ Club of Chicago“. Sogar die Welternährung sah der BAYER-Chef in Gefahr, weil die Gerichtskosten den Forschungsetat schmälerten und so angeblich Fortschritte bei der Suche nach Wegen gefährdeten, eine wachsende Weltbevölkerung trotz des Klimawandels ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen.

Immenser Lobby-Einsatz

BAYER investierte 2023 einen Großteil seines offiziellen US-amerikanischen Lobby-Etats von 7,35 Millionen Dollar in das Gesetzes-Projekt und begleitende PR-Maßnahmen. Als „eines der wesentlichen Schwerpunkte unserer politischen Interessensvertretung“ bezeichnete es Finanz-Vorstand Wolfgang Nickl auf der letzten Hauptversammlung in seiner Antwort auf eine entsprechende Frage der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG). Der Republikaner Dusty Johnson, der das Vorhaben maßgeblich vorantreibt und Input von BAYER-LobbyistInnen bei der Erstellung der Vorlage freimütig einräumt, bekam für seine Dienste im laufenden Jahr bisher 4.000 Dollar vom Leverkusener Multi. Der ihm zur Seite stehende Jim Costa von den Demokraten erhielt 3.500 Dollar. Insgesamt bedachte BAYER PolitikerInnen seiner Partei, die einen Sitz im Senat oder Repräsentantenhaus haben, bisher mit 63.000 Dollar und ihre republikanischen Pendants mit 103.591 Dollar.

Beim Einbringen des „Agricultural Labeling Uniformity Acts“ betonten Johnson und Costa, die beide dem Agrar-Komitee des Repräsentantenhauses angehören, die Dringlichkeit, das Patchwork unterschiedlicher Vorschriften zu beenden und warnten vor Ernährungsnotständen durch die gegenwärtigen Regelungen. „Inmitten einer globalen Lebensmittelkrise müssen wir alle Herausforderungen für die Märkte vermeiden, die unsere Lebensmittelsicherheit gefährden. Dieser Gesetz-Entwurf wird eine einheitliche Kennzeichnung von Pestiziden nach staatlichem Recht gewährleisten, was zu einer nachhaltigeren und sichereren Lebensmittelversorgung führen wird“, versicherte Jim Costa.

Es gelang den LobbyistInnen der Aktien-Gesellschaft, massive Unterstützung von Landwirtschaftsverbänden für die Lex BAYER zu organisieren. Rund 360 Vereinigungen wie etwa die Agroindustrie-Interessensvertretung „Croplife America“, die „National Corn Growers Association“, die „National Milk Producers Federation“ oder die „US Rice Producers Association“ stellten sich hinter den Konzern und bildeten die „Modern Ag Alliance“. „Wenn die Landwirte wegen eines Flickenteppichs staatlicher oder lokaler Kennzeichnungen den Zugang zu Mitteln verlieren, wird dies nur ihre Fähigkeit beeinträchtigen, ihre Pflanzen zu schützen“, hielt Daryl Cates von der „American Soybean Association“ fest. Auch die „Agricultural Retailers Association begrüßte die Initiative. Sie helfe, Bundesstaaten wie Kalifornien künftig daran zu hindern, „trotz des Konsenses der weltweiten Pestizid-Aufsichtsbehörden, einschließlich der EPA, dass Glyphosat sicher ist“, Krebs-Warnungen vorzuschreiben, behauptete die ASA. Die konzertierte Aktion fand sogar Eingang in die Hauptversammlungsrede des BAYER-Chefs. „Wir haben unsere Kräfte gebündelt, um sicherzustellen, dass die amerikanischen Landwirte in dieser wichtigen Frage von den Gesetzgebern und der breiten Öffentlichkeit gehört werden“, teilte Bill Anderson seinen AktionärInnen am 26. April 2024 mit.

Massiver Protest

Doch gegen die Gesetzes-Pläne erhebt sich massiver Protest sowohl aus den Reihen der Republikaner als auch aus denen der Demokraten. Im Januar sandten 140 PolitikerInnen beider Parteien aus 30 Bundesstaaten einen Alarm-Brief an das Agrar-Komitee. „Wir schreiben, um unseren entschiedenen Widerstand gegen jegliche Bestrebungen zum Ausdruck zu bringen, die seit Langem bestehenden bundesstaatlichen und lokalen Befugnisse zur Regulierung von Pestiziden zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt einzuschränken“, heißt es darin. Das Ansinnen schade dem öffentlichen Interesse, weil es die Möglichkeit beschneide, „gegen unverantwortliche Unternehmen vor Gericht zu ziehen“, mahnen die UnterzeichnerInnen und sehen die Praxis, vor Ort Regulierungsmaßnahmen zu beschließen, vom zentralen Pestizid-Gesetz FIFRA und dem Obersten Gerichtshof des Landes gedeckt. Ende März wandten sich überdies 20 PolitikerInnen der Demokraten in einem Schreiben an die beiden Fraktionssprecher im Senat, ihren Kollegen Charles E. Schumer und den Republikaner Mitch McConnell. „Während die bundesstaatlichen Vorschriften einen Basisschutz gegen die schädlichen Effekte von Pestiziden bieten, sind nur die Kommunen und Bundesstaaten in der Lage, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die speziell auf die Bedürfnisse ihrer Bürger zugeschnitten sind“, konstatieren die Absender. Als Beispiele nennen sie die Notwendigkeit, besondere Sicherheitsvorkehrungen für Schulen, LandarbeiterInnen, ländliche Regionen, Trinkwasser, aber auch Bienen und andere Tiere zu treffen.

Von anderen Seiten hagelt es ebenfalls Kritik. „Sie haben verloren, also kommen sie mit dem Hut in der Hand zum Kongress und versuchen, das Gesetz zu ändern“, sagt Daniel Savery von Earthjustice. Daniel Hinkle von der American Association for Justice zieht indessen Parallelen zu Vorgängen in der Vergangenheit: „Dies ist die gleiche Strategie, die wir bei Firmen im Zusammenhang mit Asbest, Tabak und anderen Produkten gesehen haben, die über Jahrzehnte hinweg immenses Unheil angerichtet haben und trotzdem versuchten, ungeschoren davonzukommen.“ Beide Gruppen gehörten zu den 185 Organisationen, die einen Brief an die Abgeordneten des Repräsentantenhauses aufsetzten, um an diese zu appellieren, den „Agricultural Labeling Uniformity Act“ nicht zu verabschieden. „Wir fordern Sie auf, sich auf die Seite der öffentlichen Gesundheit, der Verantwortlichkeit und der Umwelt zu stellen anstatt auf die Seite der Profite der chemischen Industrie“, schrieben sie.

Die CBG verurteilte das Vorgehen BAYERs ebenfalls scharf. „Es darf nicht sein, dass Unternehmen ohne demokratische Legitimation allein durch ihre Wirtschaftskraft legislative Macht erhalten. Der BAYER-Konzern muss seine Gesetzes-Maschine sofort stoppen“, schrieb sie in ihrer Presseerklärung.

Der Leverkusener Multi aber beteuert scheinheilig, den PolitikerInnen lediglich helfend zur Hand zu gehen: „Wir unterstützen die staatliche Gesetzgebung zusammen mit Dutzenden anderer landwirtschaftlicher Organisationen, weil die Zukunft der amerikanischen Landwirtschaft von einer zuverlässigen, wissenschaftlich fundierten Regulierung wichtiger Pflanzenschutzmittel abhängt, die von der EPA als sicher für die Anwendung eingestuft wurden.“

Im August 2024 teilte der „3rd U.S. Circuit Court of Appeals“ in Pennsylvania diese Auffassung BAYERs betreffs der EPA und wies eine Entschädigungsklage ab – zweifellos ein Erfolg der Kampagne. Von einer Konzern-Macht, die „beängstigend“ sei, spricht der KlägerInnen-Anwalt Ronald Miller deshalb.

Und da es nun unterschiedliche Urteile in der Sache gibt, hofft der Agro-Riese auf die Möglichkeit, den Supreme Court als höchstes Organ der Rechtsprechung in den USA anzurufen. „Wir werden erneut einen Versuch unternehmen, die Glyphosat-Klagen wegen angeblich fehlender Warnhinweise vor den Supreme Court zu bringen“, kündigte Matthias Berninger an: „Wir wollen auf verschiedenen Wegen der Wissenschaft zu ihrem Recht gegen die Klage-Industrie verhelfen.“

Im Jahr 2022 scheiterte dieses Ansinnen. Damals mochte der Supreme Court über das BAYER-Begehr nicht allein entscheiden und bat die US-Regierung im Dezember 2021 um Amtshilfe. Diese erfolgte dann im Mai 2022 durch die Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelogar und sorgte beim Global Player für Ernüchterung. Nach Ansicht des „Solicitor Generals“ erlaubt das Pestizid-Recht den einzelnen Bundesstaaten, spezielle Vorschriften zu erlassen, wenn diese dem FIFRA nicht explizit widersprechen. Kalifornien hat das mit Verweis auf die WHO getan und sich dabei auf ein Landesgesetz von 1986 berufen, das zu Warnungen verpflichtet, wenn eine öffentliche Körperschaft eine Substanz als krebserregend einstuft. Prelogar beurteilte dieses Vorgehen als korrekt, eine absolute Kongruenz verlange der Gesetzgeber nicht, daher dürften die Bundesstaaten auch dann Warnhinweise anordnen, wenn die EPA solche nicht für nötig halte. „Die Genehmigung der EPA für eine Kennzeichnung, die nicht vor bestimmten chronischen Risiken warnt, bedeutet nicht, dass eine amtliche Anordnung, die solche Warnungen vorsieht, außer Kraft gesetzt wird“, hielt die Juristin fest. Sie verwies zudem auf von der EPA positiv beschiedene Anträge von Glyphosat-Herstellern, die beabsichtigten, von sich aus vor Krebs zu warnen, um Haftungsansprüchen zu entgehen.

Damit nicht genug erwägt der Leverkusener Multi Presseberichten zufolge nach wie vor, sich den hohen Zahlungen an Glyphosat-Geschädigte durch das Anmelden einer Teil-Insolvenz zu entziehen, wie sie das Firmenrecht im Bundesstaat Texas erlaubt. Als „Texas Two-Step“ firmiert das in Unternehmenskreisen.

Der Konzern arbeitet derzeit also mit aller Kraft daran, die Akte „Glyphosat“ zu schließen, aber auch der Widerstand dagegen bleibt beharrlich. ⎜

BAYER-Genmais kreuzt aus

Marius Stelzmann

Gene & Klone

Alarmierende Studien-Daten

BAYERs gentechnisch manipulierter Mais MON810 kann sich Studien zufolge mit der Wildpflanze Teosinte kreuzen und unkontrolliert ausbreiten.

Von Christoph Then (TESTBIOTECH)

Die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) hat einen Bericht über das Monitoring des Anbaus von Mais MON810 in Spanien veröffentlicht. Die Behörde kritisiert die Firma BAYER dafür, ihre Verpflichtungen zur Überwachung des Anbaus dieses insektengiftigen Mais‘ nicht zu erfüllen. Seit mehreren Jahren wird davor gewarnt, dass der transgene Mais fähig ist, sich mit Teosinte zu kreuzen und hybride Nachkommen zu erzeugen. Teosinte gilt in den Maisanbaugebieten Spaniens als besonders schwer kontrollierbares Unkraut. Obwohl sie dazu verpflichtet ist, hat die Firma BAYER die Institutionen der EU nicht offiziell über diese Risiken informiert.

Jüngst wurden von einer staatlichen Forschungseinrichtung aus Spanien neue Daten veröffentlicht, die zeigen, dass die Risiken für derartige Auskreuzungen bisher unterschätzt wurden. Die WissenschaftlerInnen fanden heraus, dass der transgene Mais seine Genkonstrukte mit einer wesentlich größeren Wahrscheinlichkeit an Teosinte weiterzugeben vermag, als bisher angenommen. Die transgenen Nachkommen wiesen im Vergleich zu Teosinte einen stärkeren Wuchs und eine verfrühte Blüte auf, was das Risiko für deren Ausbreitung erhöht. Die Nachkommen produzierten das Insektengift in einer ähnlichen Konzentration wie MON810. Falls solche Hybridpflanzen in den Feldern entstehen, könnten sie sich schnell ausbreiten und zu einer Bedrohung sowohl des Maisanbaus als auch der Ökosysteme werden. Im Gegensatz zu Mais sind Teosinte und entsprechende Hybride in der Lage, dauerhaft in der Umwelt zu bestehen und Nachkommen zu produzieren. In der Folge können auch die Transgene in der Umwelt überdauern und sich unkontrolliert ausbreiten. Für den kommerziellen Anbau von Gentechnik-Pflanzen schreiben die Gentechnikgesetze der EU ein fortlaufendes Monitoring vor, bei dem die Risiken für die Umwelt erfasst werden müssen. Doch die Firma BAYER hat in ihren jährlichen Monitoringberichten nie über das Problem mit Teosinte berichtet. Stattdessen hatte Testbiotech die Kommission über die neuen Erkenntnisse informiert, die ihrerseits dann bei der EFSA eine Bewertung in Auftrag gab.

Jetzt bestätigt die EFSA: Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass das Potential für eine Hybridbildung zwischen MON810 und der in Spanien vorkommenden Teosinte größer sein kann, als bisher angenommen. Dabei können die Nachkommen vitaler sein als die ursprüngliche Teosinte (größer, dickere Stängel, mehr Blätter), und sie produzieren das Insektengift Cry1Ab in ähnlicher Konzentration wie MON810.

Die EFSA verlangt weitere Untersuchungen bezüglich der möglichen Invasivität und der Häufigkeit der Hybridisierung zwischen MON810 und Teosinte unter Feldbedingungen. Sie kritisiert den BAYER-Konzern auch dafür, dass er beim Anbau des Mais‘ keine Abstände zu geschützten Gebieten vorsieht. Zudem zeigen die von der EFSA publizierten Daten bei bestimmten Schadinsekten eine leichte Zunahme von Resistenzen.  Das Auftreten von Teosinte wurde 2014 zum ersten Mal in Spanien beobachtet. Sie gilt als Urform des Mais‘ und stammt ursprünglich aus Mexiko. Ihre Ausbreitung in Spanien führt zu Ernteverlusten, die unerwünschten Pflanzen werden oft erst zum Zeitpunkt der Ernte auf dem Acker erkannt. Schon 2016 hatte Testbiotech die EU-Kommission aufgefordert, den Anbau von Gentechnik-Mais in den betroffenen Regionen zu stoppen, um eine unkontrollierte Ausbreitung der Transgene zu verhindern. Es gibt Berichte darüber, dass die Teosinte bereits eine Herbizidresistenz aus früheren Kreuzungen in anderen Regionen erworben hat.

Die EU-Anbauzulassung für den Mais war schon 2008 ausgelaufen, zehn Jahre nach der Erstzulassung. Seitdem – also bereits seit 17 Jahren – erfolgt der Anbau der Maispflanzen ohne erneuerte Genehmigung. Nach Ansicht von Testbiotech zeigt sich darin ein Versagen der EU-Kommission, die für die entsprechenden Genehmigungsverfahren zuständig ist.

Im April 2024 hatte Testbiotech einen Brief an die EU-Kommission geschrieben, in dem aufgrund der neuen Forschungsergebnisse ein Anbaustopp gefordert wurde. Die EU-Kommission, deren Pro-Gentechnik-Haltung bekannt ist, hatte diese Forderung aber zurückgewiesen.  ⎜

BAYER muss sich zu historischer Schuld bekennen!

Marius Stelzmann

Jahrestag der Auschwitz-Befreiung

Am heutigen Montag jährt sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum 80. Mal. Über eine Millionen Menschen brachten die Nazis dort um. Der BAYER-Konzern wirkte als wesentlicher Teil der I.G. FARBEN an der Tötungsmaschinerie mit. Die I.G. unterhielt auf dem Gelände ein eigenes KZ, beschäftigte SklavenarbeiterInnen und führte Menschenversuche durch. Zum industriellen Massenmord des Holocaust lieferte das Unternehmen den Rohstoff: Zyklon B.

Der Einsatz von SlavenarbeiterInnen ist auf Carl Duisberg zurückzuführen, den ehemaligen Generaldirekter des BAYER-Konzerns und den Gründer der I.G. FARBEN. Er entwickelte bereits im Ersten Weltkrieg die Idee, Kriegsgefangene als Arbeitssklaven einzusetzen und „testete“ dies mit Zehntausenden von gefangenen Soldaten im BAYER-Werk Leverkusen. Diese Idee wurde vom Hitler-Regime und der gesamten deutschen Industrie Im Zweiten Weltkrieg flächendeckend umgesetzt. Die I.G. FARBEN ging sogar den unfassbaren Schritt, unmittelbar in dem Nazi-Vernichtungslager Auschwitz ein eigenes Werk, die I.G. Monowitz/Buna-Werke, zu errichten.

Der 2016 verstorbene Elie Wiesel hat in seinem Buch „Die Nacht“ all die Schrecken festgehalten, die ihm in den Fängen von SS und I.G. FARBEN widerfuhren. Als 14-Jähriger wurde er gemeinsam mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert. Der Junge und sein Vater kamen ins KZ Auschwitz III Monowitz, um beim Bau der neuen Produktionsstätte der I.G. FARBEN Sklavendienste zu verrichten, während die Mutter und seine drei Schwestern ins Vernichtungslager Birkenau mussten. Vier Reichsmark pro Tag für Fachkräfte zahlte die I.G. FARBEN an die SS, drei Reichsmark für Hilfskräfte.

Da der tägliche Fußmarsch vom Stammlager Auschwitz I zum Gelände der Buna-Werke der I.G. FARBEN die Gefangenen so entkräftete, dass die Arbeitsleistung darunter litt, errichtete die I.G. 1942 direkt neben der Baustelle der Produktionsanlagen der Buna-Werke das konzern-eigene KZ Monowitz/Buna. „… Buna (war) die wahre Hölle. Es gab kein Wasser, keine Decken (…) Nachts schlief man fast nackt, und das bei 30 Grad unter Null. Jeden Tag sammelte man die Leichen zu Hunderten ein“, erinnerte sich Wiesel. Insgesamt 30.000 Menschen wurden dort „durch Arbeit vernichtet“.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1978 fordert die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) nicht nur die Aufarbeitung der Verbrechen von BAYER/ I.G. FARBEN an den konzerneigenen SklavenarbeiterInnen, sondern auch eine gerechte Entschädigung der Opfer oder ihrer Hinterbliebenen sowie eine öffentliche Entschuldigung. Jahr für Jahr sprachen die Kritischen AktionärInnen der CBG dies auf den Aktionärshauptversammlungen des Konzerns an, Jahr für Jahr verweigerten sich die BAYER-Vorstände. Im Gegenteil, sie gingen immer wieder rüde mit überlebenden ehemaligen BAYER-/ I.G. FARBEN-SklavInnen um, die auf Aktien der CBG an den Mikrofonen der Hauptversammlung sprechen konnten.

Erst 1995 entschuldigte sich Helge Wehmeier in einer Rede bei Elie Wiesel. Der Konzern weigerte sich jedoch, die Rede von Wehmeier an die Öffentlichkeit zu geben. Erst auf öffentlichen Druck hin wurde sie JournalistInnen zugänglich gemacht. Aber nicht nur das, schlimmer noch: Seine Entschädigungspflichten hat der Konzern in übelster Art und Weise im Jahr 2000 in einem Nacht-und-Nebel-Komplott mit dem DAIMLER-Konzern und anderen Unternehmen sowie mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder an die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ übertragen.

Am 19. April 2023 kündigte der BAYER-Konzern zwar eine Wende im Umgang mit seiner Nazi-Vergangenheit an. Er rief die „Hans und Berthold Finkelstein Stiftung“ ins Leben und betraute sie mit der Aufgabe, sich der Konzern-Vergangenheit zu widmen. Auch hat er an seinem Stammsitz ein Mahnmal für ZwangsarbeiterInnen errichtet. „Dieser Ort erinnert an die rund 16.000 Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs an den Niederrhein-Standorten der I.G. FARBEN-INDUSTRIE Zwangsarbeit leisten mussten“, informiert eine Tafel. Allerdings gab es bei I.G. noch viel mehr Standorte – mindestens 23 nämlich – an denen Häftlinge aus KZs und Gefängnissen schuften mussten. Dementsprechend erhöht sich die Zahl der ArbeitssklavInnen auf insgesamt 55.445.

Und: Eine angemessene Entschädigung für diese oder ihre Hinterbliebenen steht noch immer aus. Bis diese erfolgt ist, muss der Leverkusener Multi sich die Frage gefallen lassen, ob ihm an einer wirklichen Aufarbeitung gelegen ist oder ob er lediglich PR-Maßnahmen zur Image-Pflege betreibt.

Die CBG bei „Wir haben es satt“

Marius Stelzmann

Wie jedes Jahr im Januar fuhr die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auch 2025 wieder nach Berlin zu den „Wir haben Agrarindustrie satt“-Protesten, um gemeinsam mit VertreterInnen der bäuerlichen Landwirtschaft, Umweltinitiativen und VerbraucherInnenverbänden für eine Agrar-Wende auf die Straße zu gehen.

Dieses Mal war die Coordination auch organisatorisch eingebunden. Sie bildete einen der Hot Spots entlang der Route, an denen der Protest direkt adressiert wurde und es jeweils eine Antwort auf die Frage gab, wer eigentlich vom gegenwärtigen agro-industriellen Modell profitiert, das Mensch, Tier und Umwelt so zusetzt. Bei der CBG lautete sie naturgemäß: BAYER & Co. Sie stand mit dem Demo-Banner „Wer profitiert vom Handel mit gesundheitsschädlichen Pestiziden?“ aus gegebenem Anlass an der Friedrichstraße. In unmittelbarer Nähe befinden sich nämlich die Berlin-Dependancen vom „Verband der Chemischen Industrie“ und vom „Industrieverband Agrar“.

Auf ihrem eigenen Transparent wurde sie dann konkreter. „Parkinson für die Bauern – Profite für BAYER & Co.“ stand darauf zu lesen. Sie protestierte damit dagegen, dass die Nervenkrankheit zwar seit letztem Jahr als Berufskrankheit für LandwirtInnen anerkannt ist, diese aber selbst für die Behandlungskosten aufkommen sollen und nicht etwa die Ackergifte-Hersteller. Die Krankenversicherungsbeiträge der Bauern und Bäuerinnen steigen aus diesem Grund um satte 20 Prozent.

Auf einem Workshop zum Thema im Haus der „Heinrich Böll“-Stiftung, zu dem auch die CBG einen kurzen Input beisteuerte, nannte ein Vertreter der „Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau“ bereits eine exakte Summe für den zusätzlichen finanziellen Aufwand: unglaubliche 270 Millionen Euro pro Jahr! Ein Beispiel für die gesellschaftlichen Kosten, die als Nebenwirkung der gnadenlosen Rendite-Jagd der Konzerne entstehen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird deshalb weiterhin dafür kämpfen, dem Verursacherprinzip Geltung zu verschaffen und die Chemie-Multis für die Parkinson-Therapien zahlen zu lassen.

Parkinson durch Pestizide: BAYER & Co. sollen zahlen!

Marius Stelzmann

CBG bei „Wir haben Agrarindustrie satt“-Demo

Treffpunkt CBG:
Samstag, den 18.1.2025
12:45 Uhr
Industrieverband Agrar
Neustädtische Kirchstr. 8
10117 Berlin

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) nimmt auch dieses Jahr wieder an der „Wir haben Agrarindustrie satt“-Demonstration teil. Sie geht am 18. Januar in Berlin gemeinsam mit VertreterInnen der bäuerlichen Landwirtschaft, Umwelt-Initiativen und VerbraucherInnen-Verbänden auf die Straße, um für eine Agrar-Wende einzutreten. 

„Zu viele Politiker*innen in Berlin und Brüssel stellen seit Jahrzehnten Konzern-Interessen vor das Gemeinwohl und fördern mit unseren Steuergeldern ein schädliches Ernährungssystem. Agrar-Konzerne wie BAYER-MONSANTO, Tönnies und Cargill fahren horrende Profite ein (…) Ihre Lobby-Verbände verlangen unter dem Deckmantel des Bürokratie-Abbaus einen desaströsen Verzicht auf Klima-, Tier- und Umweltschutz – statt wirtschaftlicher Perspektiven für die Betriebe, wie Bäuerinnen und Bauern sie schon lange fordern“, heißt es in dem mit „Wer profitiert hier eigentlich? überschriebenen Aufruf.  

Eine konkrete Frage lautet: „Wer profitiert eigentlich, wenn die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Parkinson zwar als Berufskrankheit anerkennt, aber die Kosten dafür auf die Betriebe abwälzt?“ Die schlichte Antwort lautet: BAYER & Co. Eigentlich nämlich müssten sie für die neue Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ haften und nicht die LandwirtInnen selbst, denn sie haben die Krankmacher produziert.

Auf die Anwendung des Verursacherprinzips wird die Coordination an dem Tag dann auch drängen – und zwar gleich an dem dafür passenden Ort: dem Hauptstadt-Sitz des „Industrieverbandes Agrar“. Er gehört zu einem der Hot Spots der Demo-Route, an dem Protest direkt adressiert wird.

Von 16.30 bis 17.15h wird es zudem bei der Heinrich-Böll-Stiftung noch einen Workshop zu „Parkinson durch Pestizide“ geben. Daran nehmen unter anderem der Toxikologe Peter Clausing vom „Pestizid Aktions-Netzwerk“ und Jörg Heinel von der IG Bau als Vertreter der LandarbeiterInnen teil.

Die CBG weist bereits seit 1999 auf den Zusammenhang zwischen Parkinson und Pestizid-Exposition hin und zitiert einschlägige Studien dazu. Diese liefern immer wieder neue Belege dafür, dass viele Agro-Chemikalien neurotoxisch wirken und diejenigen Nervenzellen im Gehirn schädigen, die Dopamin produzieren. Das Fehlen dieses Neurotransmitters führt dann zu den Parkinson-Symptomen Zittern, Krämpfe und Gliedersteifheit.

Aber die Politik regierte nicht. Sie beugte sich stattdessen dem Lobby-Druck von BAYER & Co. Noch im Zuge des EU-Verfahrens um eine Zulassungsverlängerung für Glyphosat vor zwei Jahren hatten WissenschaftlerInnen in dem renommierten Fachblatt „The Lancet“ ebenso eindringlich wie vergeblich an die MandatsträgerInnen appelliert, dem Herbizid wegen der von ihm ausgehenden Parkinson-Gefahr keine erneute Genehmigung zu erteilen. 

„Trotz der eindeutigen Beweis-Lage streitet der Industrieverband Agrar den Befund ‚Parkinson durch Pestizide‘ weiterhin ab und behauptet stattdessen: ‚Die Entstehung von Parkinson ist komplex und in der Medizin nicht vollständig geklärt.‘ Mit der Kritik an dieser Realitätsverleugnung werden wir den Verband am 18. Januar direkt konfrontieren“, kündigt CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann an.

Auch die Haltung des Deutschen Bauernverbandes zu der Problematik stößt bei der Coordination auf Unverständnis. „Es ist die Aufgabe des Bauernverbands, die Bauern und Bäuerinnen zu schützen. Stattdessen schweigt er zu der Gesundheitsgefährdung, die von Pestiziden ausgeht, weil er es sich nicht mit BAYER & Co. verderben will. Das ist eine Unterlassungssünde“, so Stelzmann abschließend.

Pressekontakt:

Marius Stelzmann 0211/33 39 11 

presse@cbgnetwork.org

CBG-Mahnwache zu „40 Jahre Bhopal“

Marius Stelzmann

Am 3. Dezember 1984 ereignete sich die Chemie-Katastrophe von Bhopal. In einer Pestizid-Fabrik des US-Unternehmens UNION CARBIDE explodierte ein mit Methylisocyanat gefüllter Tank. Allein in den ersten drei Tagen nach der Detonation starben 2.500 bis 3.000 Menschen; den Spätfolgen erlagen rund 20.000. Und noch heute bedrohen die damals freigesetzten Chemikalien die AnwohnerInnen, denn eine Sanierung des Geländes fand nie statt. Zum 40. Jahrestag von Bhopal hielt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN eine Mahnwache ab, um auf die permanente Gefahr aufmerksam zu machen, die durch die Chemie-Produktion droht. Aus gegebenem Anlass tat sie das in Leverkusen, denn im dortigen Chem„park“ der CURRENTA flog 2021 ebenfalls ein Tank in die Luft, was sieben Menschen das Leben kostete.

Aber es gibt auch direkte Bezüge von Bhopal zu BAYER. Der Konzern hatte im Jahr 2001 nämlich vom neuen UNION-CARBIDE-Besitzer DOW CHEMICAL das in Institute, West Virginia stehende Schwester-Werk von Bhopal übernommen. Über diese MIC-Produktionsstätte hatte es immer geheißen, der Herstellungsprozess laufe ganz anders ab als in Indien, aber es gab offenbar doch noch genug Familien-Ähnlichkeiten, wie sich am 28. August 2008 erweisen sollte. Da ging eine Anlage zur Fertigung des Ackergifts Methomyl hoch. Zwei Beschäftigte starben, acht erlitten Verletzungen. Von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“ sprachen AugenzeugInnen.

Katastrophe von Bhopal jährt sich zum 40. Mal

Marius Stelzmann
Im Gedenken an die Opfer von Bhopal und Leverkusen: CBG ruft zu Mahnwache auf
Presse-Information vom 2.12.24
Mahnwache im Gedenken an Bhopal, Leverkusen und alle Opfer von Chemie-Katastrophen
Dienstag, den 03.12.2024
18.00 Uhr 
Rathaus-Platz neben dem Weihnachtsmarkt, Leverkusen
Am 3. Dezember jährt sich die Katastrophe von Bhopal zum vierzigsten Mal. In einer Pestizid-Fabrik der US-Firma Union Carbide Cooperation flog ein mit Methylisocyanat (MIC) gefüllter Tank in die Luft. Allein in den ersten drei Tagen nach der Detonation starben 2.500 bis 3.500 Menschen durch die Giftgase, den Spätfolgen erlagen rund 20.000. Viele der Betroffenen warten immer noch auf Gerechtigkeit. Die damals freigesetzten Chemikalien bedrohen die Gesundheit  der Anwohner*innen bis heute, denn eine Sanierung des verseuchten Geländes fand nie statt.Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) nimmt diesen traurigen Jahrestag zum Anlass, den Opfern von Bhopal und aller Chemiekatastrophen weltweit zu gedenken. Denn Bhopal war leider kein Einzelfall: Katastrophen in Chemiewerken ereignen sich überall, auch direkt vor unserer Haustür. Am 27. Juli 2021 detonierte im Entsorgungszentrum des Chem„parks“ der CURRENTA in Leverkusen ein Tank mit giftigem Abfall. Die Explosion kostete sieben Menschen das Leben, 31 wurden teilweise schwer verletzt. Auch hier wurde nichts aus der Katastrophe gelernt. Der Betrieb läuft wieder im gleichen Modus wie vorher. Dementsprechend bleiben neue Störfälle nicht aus. Zuletzt kam es am 23. Mai 2024 zu einem Brand im Entsorgungszentrum. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann kommentiert die Vorfälle mit den Worten: "Das Gedenken an Bhopal ernstzunehmen kann nur eines heißen: Die Chemieindustrie unter zivilgesellschaftliche Beobachtung stellen, damit fatale Lücken in den Sicherheitssystemen niemals wieder Menschen das Leben kosten. Dies tun wir bei unserer lokalen Gefahrenquelle direkt vor unserer Haustür, wo direkt nach einer ebenfalls tödlichen Katastrophe direkt wieder zum Business as usual übergegangen wurde. Wir wollen endlich Sicherheit für alle CURRENTA-Beschäftigten und alle Anwohner*innen!"Am 40. Jahrestag der Bhopal-Katastrophe fordert die CBG:1.  Die Betroffenen von Bhopal, ihre Familien und Hinterbliebenen müssen angemessen entschädigt werden! Es muss eine Sanierung des Geländes stattfinden, damit Anwohner*innen durch die Giftrückstände der Katastrophe keine gesundheitlichen Schäden erleiden!2. Die Geschädigten und Hinterbliebenen von Leverkusen müssen ebenfalls angemessen entschädigt werden!3. Endlich Sicherheit für Leverkusen! Wir können das "Business as usual" im Entsorgungszentrum der CURRENTA nicht länger hinnehmen! Es müssen neue, bessere Sicherheitsvorkehrungen und verschärfte Kontrollen her! Die lukrativen Geschäfte mit dem Müll aus dem In- und Ausland müssen ein Ende haben. Zuletzt muss es strengere Abstandregelungen zu Wohngebieten geben.Für diese Ziele gehen wir am 3. Dezember um 18.00 Uhr zu einer Mahnwache auf die Straße. Für Interviews und Fotos stehen unsere Aktivist*innen bereit. Auch während der Aktion sind wir unter der unten genannten Nummer erreichbar.

Pressekontakt:Marius Stelzmann 0211/33 39 11 
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Mahnwache im Gedenken an Bhopal, Leverkusen und alle Opfer von Chemie-Katastrophen

Marius Stelzmann


Dienstag, den 03.12.2024
18.00 Uhr 
Rathaus-Platz neben dem Weihnachtsmarkt (siehe Foto unten)
Leverkusen

Am 3. Dezember jährt sich die Katastrophe von Bhopal zum vierzigsten Mal. In einer Pestizid-Fabrik der US-Firma Union Carbide Cooperation flog ein mit Methylisocyanat (MIC) gefüllter Tank in die Luft. In den ersten drei Tagen nach der Detonation starben 2.500 bis 3.500 Menschen durch die Giftgase, den Spätfolgen erlagen rund 20.000. Viele der Betroffenen, deren Familien und Hinterbliebene, warten immer noch auf Gerechtigkeit. Die damals freigesetzten Chemikalien bedrohen ihre Gesundheit  bis heute, denn eine Sanierung des verseuchten Geländes fand nie statt.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren möchte diesen traurigen Jahrestag zum Anlass nehmen, den Betroffenen von Bhopal und allen Chemiekatastrophen weltweit zu gedenken. Denn Bhopal war kein Einzelfall. Es war nicht einmal eine Ausnahme. Eine andere Katastrophe in einem Chemiewerk hat hier direkt vor unserer Haustür stattgefunden: Die Rede ist natürlich von der Explosion im Entsorgungszentrum des Chem„parks“ der CURRENTA in Leverkusen am 27. Juli 2021. Die Explosion kostete sieben Menschen das Leben, 31 wurden teilweise schwer verletzt. Auch hier wurde nichts aus der Katastrophe gelernt. Die Anlage läuft wieder im gleichen Modus wie vor der Explosion, bereits mehrmals kam es zu Unfällen. Zuletzt kam es am 23. Mai 2024 zu einem Brand im Entsorgungszentrum. 

Deshalb sind unsere Forderungen am  40. Jahrestag der Bhopal-Katastrophe:

1.  Die Betroffenen von Bhopal, ihre Familien und Hinterbliebenen müssen angemessen entschädigt werden! Es muss eine Sanierung des Geländes stattfinden, damit Anwohner*innen durch die Reste der Katastrophe keine gesundheitlichen Schäden erleiden!

2. Die Geschädigten und Hinterbliebenen von Leverkusen müssen ebenfalls angemessen entschädigt werden!

3. Endlich Sicherheit für Leverkusen! Wir können das "Business as usual" in der Verbrennungsanlage der CURRENTA nicht länger hinnehmen! Es müssen neue, bessere Sicherheitsvorkehrungen und eine externe, öffentlich nachvollziehbare Kontrolle der Anlagen her! Die lukrativen Geschäfte mit Müllverbrennung von außerhalb müssen ein Ende haben. Zuletzt muss es  strengere Abstandregelungen zu Wohngebieten geben

Für diese Ziele gehen wir am 3. Dezember um 18.00 Uhr zu einer Mahnwache auf die Straße. 

Datum und Ort:
Dienstag, den 3.12.2024
18.00 Uhr 
Rathaus-Platz neben dem Weihnachtsmarkt (siehe Foto unten)
Leverkusen

Erfolgreiche Lobby-Arbeit von BAYER & Co.

Marius Stelzmann

UN-Biodiversitätskonferenz scheitert

Presse-Information vom 04.11.24

Die Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen im kolumbianischen Cali endete am Wochenende ohne konkrete Ergebnisse. Dafür sorgte nicht zuletzt der Lobby-Einfluss der großen Konzerne. So gelang es ihnen, die Einrichtung eines Fonds zu verhindern, in den sie einzahlen müssen, wenn sie den Artenreichtum des Globalen Südens zur Entwicklung profitträchtiger Arzneien, Kulturpflanzen oder anderer Produkte nutzen. Das „benefit sharing“ bleibt freiwillig. Dabei hatte die Präsidentin der COP16-Konferenz, die kolumbianische Umweltministerin Susana Muhamad, diese Frage als einen Test für die Fähigkeit der Weltgemeinschaft bezeichnet, sich zum Wohle aller über Einzelinteressen hinwegsetzen zu können.

„Diese Prüfung haben die Länder nicht bestanden. Offensichtlich war der Druck von BAYER & Co. zu stark. Auch die EU hat sich diesem gebeugt und sich gegen eine Zahlungsverpflichtung der Industrie ausgesprochen“, kritisiert Marius Stelzmann von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG).

Parallel zur COP16 hatte das Europäische Patentamt Ende Oktober noch einmal ein Patent bestätigt, das dem Leverkusener Multi den Zugriff auf hunderte Gen-Varianten von wilden und kultivierten Soja-Pflanzen aus Australien und Asien erlaubt und eine Beschwerde von Gentechnik-GegnerInnen abgewiesen.

Für die Erträge, die auf dieser Basis entwickelte Gewächse abwerfen, Zwangsabgaben zu erheben, würde zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise führen, gab die bei BAYER für die Verwertung genetischer Ressourcen zuständige Jasmina Muminovic zu bedenken. „Es ist die Wertschöpfungskette, die Sie mitberücksichtigen müssen“, sagte sie der „Financial Times“: „Es endet nicht damit, dass wir Saatgut produzieren und verkaufen. Jemand kauft das Saatgut und zahlt mehr.“

Der internationale Agrarindustrie-Verband CropLife sah durch die Regelung gleich die Nahrungsmittelsicherheit gefährdet. Darüber hinaus würde jene die Innovationskraft der Branche schwächen, behauptete die Lobby-Organisation. Überdies warnte sie wie auch der internationale Pharma-Verband IFPMA vor einem unübersichtlichen Patchwork von Regularien. Damit nicht genug, beschwörten in Cali VertreterInnen europäischer Unternehmen die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung herauf, weil die Vereinigten Staaten das Biodiversitätsabkommen nicht unterschrieben hätten und die US-amerikanische Firmen deshalb von Zahlungen ausgenommen wären.

„Der BAYER-Konzern hat vor allem durch seine Pestizide einen erheblichen Anteil am Artensterben.  Zudem plündert er als Biopirat auch noch den Planeten aus, um aus der Natur Profit zu schlagen. Ihn dafür nicht zu Kasse zu bitten, ist ein unverzeihliches Versäumnis“, hält CBG-Geschäftsführer Stelzmann abschließend fest.

Pressekontakt:

Marius Stelzmann 0211/33 39 11

presse@cbgnetwork.org

[SWB Archiv] STICHWORT BAYER – ARCHIV

Marius Stelzmann

Alle Ausgaben von 1997 bis 2004 als pdf-Dateien. Wir danken der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt (Berlin) für die Hilfe bei der Digitalisierung

Stichwort BAYER 01/1997 (PDF nicht mehr erhältlich)

Stichwort BAYER 02/1997

Stichwort BAYER 03/1997

Stichwort BAYER 04/1997

Stichwort BAYER 01/1998

Stichwort BAYER 02/1998

Stichwort BAYER 03/1998

Stichwort BAYER 04/1998

Stichwort BAYER 01/1999

Stichwort BAYER 02/1999

Stichwort BAYER 03/1999

Stichwort BAYER 04/1999

Stichwort BAYER 01/2000

Stichwort BAYER 02/2000

Stichwort BAYER 03/2000

Stichwort BAYER 04/2000

Stichwort BAYER 01/2001

Stichwort BAYER 02/2001

Stichwort BAYER 03/2001

Stichwort BAYER 04/2001

Stichwort BAYER 01/2002

Stichwort BAYER 02/2002

Stichwort BAYER 03/2002

Stichwort BAYER 04/2002

Stichwort BAYER 01/2003

Stichwort BAYER 02/2003

Stichwort BAYER 03/2003

Stichwort BAYER 04/2003

Stichwort BAYER 01/2004

Stichwort BAYER 02/2004

Stichwort BAYER 03/2004

Stichwort BAYER 04/2004

Der Konzern stürzt immer tiefer in Krise

Marius Stelzmann

Kahlschlag bei BAYER

Im November 2023 verschärfte sich die angespannte Lage beim Leverkusener Multi noch einmal. Dementsprechend arbeitet das Management rund um die Uhr an einer Krisenbewältigungsstrategie. Klar ist bisher nur eines: Die Maßnahme wird Arbeitsplätze vernichten.

Von Jan Pehrke

„Der Kapitalmarkt hat bekommen, was er gefordert hat“, so kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Frühjahr 2023 die Entscheidung des BAYER-Aufsichtsrats, den amtierenden Konzern-Chef Werner Baumann vorzeitig abzulösen und zum 1. Juni durch Bill Anderson zu ersetzen. Und wirklich hatten die Hedgefonds darauf gedrungen, den Vorstandsvorsitzenden nicht bis zum Ende seines Vertrags bleiben zu lassen, weil sie diesem nicht mehr zutrauten, das Unternehmen aus dem MONSANTO-Tief führen und den Aktien-Kurs wieder nach oben treiben zu können.

Mit konkreten Plänen für ein solches Unterfangen hielt der Baumann-Nachfolger allerdings lange zurück. Anderson sprach nur vage davon, beim Leverkusener Multi eine andere Unternehmenskultur schaffen zu wollen. Flachere Hierarchien, weniger Meetings und weniger „Top down“-Management schwebten ihm vor. „Ich habe sehr viel positive Eindrücke gewonnen – insbesondere über die Innovationskraft und die Identifikation mit der Mission. Ein Feedback ist aber auch, dass wir im Unternehmen noch viel Bürokratie haben“, fasste er seine ersten Wochen bei der neuen Arbeitsstelle zusammen. Was genau er unter Bürokratie versteht, konkretisierte der US-Amerikaner dann am 8. November 2023 bei der Vorstellung der Geschäftszahlen für das dritte Quartal, die einen Verlust von 4,5 Milliarden Euro auswiesen: Arbeitsplätze. Dementsprechend kündigte er ein Umbau-Paket an, das „die Belegschaft erheblich reduzieren werde“.

Arbeitsplatzvernichtung

Obwohl die letzte, nach dem Kurs-Sturz der Aktie in der Folge der Glyphosat-Prozesse eingeläutete Rationalisierungsrunde, die 12.000 Jobs kostete, erst im Jahr 2021 auslief, steht beim Global Player also wieder eine beträchtliche Arbeitsplatzvernichtung an. Diesmal setzt der Kahlschlag bei den Beschäftigten mit Leitungsfunktion an, die rund 17 Prozent der rund 100.000 Beschäftigten bei BAYER ausmachen.

„Trotz zahlreicher Umstrukturierungen ist die Zahl der leitenden Angestellten gleich geblieben“, hat Anderson nämlich zu seinem Leidwesen herausgefunden. Als reines Kostensenkungsprogramm möchte er die Maßnahmen jedoch nicht verstanden wissen: „Wir beginnen nicht mit einer Zahl. Wir stellen den Kunden und das Produkt in den Mittelpunkt. Dann schauen wir, welche Ressourcen dafür nötig sind. Alles andere muss weg.“ Und im Handelsblatt findet der Vorstandsvorsitzende drastische Worte für diejenigen, die nicht mitziehen wollen.„Es gibt Leute, bei denen sich alles um ihr Ego dreht oder die keine Lust auf Veränderung haben. Sie können vielleicht in einer traditionellen Arbeitsumgebung effektiv sein, aber sicher nicht in unserer. Wer für diese Veränderung nicht offen ist, wird es bei BAYER schwer haben“, droht Anderson. „Das hat Methode bei BAYER. Stets müssen die Beschäftigten für Fehler des Managements büßen“, kritisierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) deshalb die Pläne des Vorstandsvorsitzenden.

Statt der Annoncierung solcher Einschnitte hatten viele BeobachterInnen von Anderson eigentlich eher Aussagen zur Zerschlagung der Aktien-Gesellschaft erwartet, drängen die FinanzinvestorInnen doch bereits seit Langem auf eine solche Operation. Für Blackrock & Co. ist nämlich das Ganze weniger wert als die Summe seiner Teile. Hier jedoch blieb der BAYER-Boss unkonkret und verwies auf den Kapitalmarkt-Tag im März 2024, an dem der Agro-Riese dann seine Entscheidung bekanntgeben will.

Aber Zwischenergebnisse der internen Beratungen präsentierte der US-Amerikaner bereits. „Einige Optionen sind mittlerweile vom Tisch. So haben wir beispielsweise die Möglichkeit geprüft, das Unternehmen gleichzeitig in drei Teile aufzuspalten. Diese Option schließen wir aus“, bekundete er. Zur Disposition steht jedoch eine Trennung von der Agrar- oder der „Consumer Care“-Sparte. Die Veräußerung der Abteilung mit ASPIRIN und den anderen nicht rezeptpflichtigen Medikamenten erscheint dabei wahrscheinlicher, da sich momentan wegen der Glyphosat-Rechtsrisiken kaum Interessenten für die Division „Landwirtschaft“ finden dürften. Tatsächlich stieß der Konzern nach den teuren Glyphosat-Urteilen auch bereits seine Anteile an dem Chemie„park“-Betreiber CURRENTA, das Tierarznei-Segment, einzelne „Consumer Care“-Produkte und den Geschäftsbereich „Environmental Science“ ab, aber die Trennung von einer ganzen Sparte wäre nicht so einfach. BAYER hat 2016 nach der Abspaltung des Kunststoff-Sektors nämlich seine Holding-Struktur aufgegeben und und die übriggebliebenen Bereiche „Agrar“, „Pharma“ und  „Consumer Care“ wieder enger miteinander verzahnt.

„Der Status Quo ist für BAYER schlicht keine Option“, konstatierte Bill Anderson aber auf jeden Fall schon einmal und versicherte den AktionärInnen: „Es zählt nur, was nachhaltig Wert schafft. Und wenn man überzeugt ist, dass sich ein Geschäft außerhalb von BAYER besser entwickeln kann, muss man entsprechend handeln. BAYER hat übrigens genau das bewiesen, als man sich von Chemie und Kunststoffen trennte.“, resümierte das Webportal Börse Online.

Neue Hiobsbotschaften

Wenig später kamen dann erneut schlechte Zahlen und Nachrichten, die den Druck auf den Konzern noch einmal erhöhten. Am 17. November 2023 verlor BAYER den vierten Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ nacheinander. Hier sah er zuletzt optimistischer in die Zukunft, weil er seine Prozess-Strategie geändert hatte. Nur noch bei besonders aussichtsreichen Fällen riskierte die Aktien-Gesellschaft Gerichtsverfahren und strebte ansonsten Vergleiche mit den Krebskranken an. „Aktuell geht es um Abschreckung“, mit diesen Worten umriss das Handelsblatt die Strategie. Und tatsächlich ging diese zunächst auf. Der Agro-Riese gewann neun Prozesse in Folge. Nun aber geht die Abschreckungsstrategie nach hinten los: Viele neue Betroffene sehen sich durch die jüngsten Entscheidungen ermutigt, vor Gericht zu ziehen. „Im amerikanischen Rechtssystem mit Laien-Jurys und emotionaler Prozess-Führung lässt sich leider nicht ausschließen, dass auch mal Prozesse verlorengehen, obwohl wir die wissenschaftlichen Fakten auf unserer Seite haben“, erklärte der Global Player. Er kündigte zwar wacker an, die Urteile anfechten zu wollen, aber die InvestorInnen konnte das nicht beruhigen. Sie mahnten ein Überdenken der Prozess-Strategie an. Und ein weiteres Urteil zu Ungunsten BAYERs, das RichterInnen am 5. Dezember in Philadelphia fällten, bestätigte sie darin.

Zwei Tage später folgte die nächste Hiobsbotschaft, die den Pharma-Giganten noch schlimmer traf. Er musste den Abbruch einer Zulassungsuntersuchung mit seinem Gerinnungshemmer Asundexian bekanntgeben. Es war ein Scheitern mit Ansage: Das Unternehmen begann die klinischen Tests der Phase 3 mit dem Präparat, obwohl die Ergebnisse zweier Prüfungen der Phase 2 enttäuscht hatten. Der Wirkstoff konnte weder die Zahl der Hirninfarkte noch die der ischämischen, also durch verstopfte Hirn-Arterien ausgelösten Schlaganfälle verringern und erreichte die jeweiligen Studien-Ziele nicht. Der Pillen-Riese machte aber trotzdem weiter, weil er unter Zugzwang steht, einen Nachfolger für seine Milliarden-Seller Xarelto und Eylea zu finden, deren Patente bald auslaufen. Und Asundexian hat er seinen InvestorInnen schon als einen solchen präsentiert: Ein Umsatz-Potenzial von fünf Milliarden Euro traute der Global Player dem Mittel zu.

Also ließ er die Versuche „Oceanic AF“ und „Oceanic Stroke“ der Phase 3 anlaufen. Mit insgesamt 30.000 ProbandInnen aus 46 Ländern zählten diese zu den bislang größten – und teuersten – klinischen Prüfungen in seiner Geschichte. Nun aber verkündete BAYER für „Oceanic AF“ das vorzeitige Aus.

Dem Konzern zufolge zeigte sich „eine unterlegene Wirksamkeit von Asundexian im Vergleich zum Kontrollarm der Studie“, deren TeilnehmerInnen ELIQUIS von PFIZER/BRISTOL MYERS SQUIBB erhalten hatten. Ganz freiwillig geschah der Abbruch überdies nicht. Das die Studie beaufsichtigende „Data Monitoring Committee“ war eingeschritten, als sich das negative Resultat abzeichnete, um die Asundexian-PatientInnen nicht länger einer suboptimalen Arznei-Therapie auszusetzen. Aber die Aktiengesellschaft gibt sich noch nicht geschlagen. Sie kündigte an, „Oceanic Stroke“ fortzuführen, und überdies nach Anschlussverwendungen für die Arznei zu suchen, etwa bei „Patienten, die eine antithrombotische Behandlung benötigen“.

Zuvor schon hatte es einen herben Rückschlag für BAYERs Pillen-Sparte gegeben. Das Unternehmen musste den Verkauf seines Krebsmittels ALIQOPA einstellen. Es hatte ein beschleunigtes Zulassungsverfahren durchlaufen und gelangte auf der Basis eines Tests der Phase 2 mit lediglich 104 ProbandInnen auf den Markt. Die nachgereichte Studie der Phase 3 mit einem weit größeren TeilnehmerInnen-Kreis bestätigte die Heil-Wirkung jedoch nicht, was das Schicksal des Medikaments besiegelte.

Die Nachricht vom neuerlichen Pharma-Flop schickte die BAYER-Aktie auf Sinkflug. Zeitweilig verlor sie mehr als ein Fünftel ihres Wertes – das hatten nicht einmal milliarden-schwere Urteile zu Entschädigungszahlungen in Sachen „Glyphosat“ vermocht. Weil das Unternehmen bei dem aktuell schwachen Kurs von kaum über 30 Euro – im Jahr 2015 waren es fast 144 Euro – Opfer von Hedgefonds oder feindlichen Übernahmen zu werden droht, hält Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann nach Informationen der Rheinischen Post gerade fieberhaft Ausschau nach einem verlässlichen Großaktionär.

„Eine Ikone der deutschen Industrie befindet sich in freiem Fall“, konstatierte die FAZ. Die Zeit fragte indessen: „Weltapotheke am Ende?“, und Markus Manns von Union Investment hielt fest: „Der Umgang mit Asundexian ist ein weiteres Beispiel für das Versagen des Risiko-Managements bei BAYER“.

Tatsächlich ruhten alle Pharma-Hoffnungen einzig auf Asundexian. Ansonsten sieht es mau aus. Nur zwei weitere Arznei-Kandidaten des Leverkusener Multis befinden sich aktuell in Klinischen Prüfungen der Phase 3 und drei in solchen der Phase 2. Zum Vergleich: BOEHRINGER als zweitgrößtes bundesdeutsches Medikamenten-Unternehmen kommt auf vier bzw. zwölf. Nach Ansicht von Bill Anderson floss lange Zeit einfach zu wenig Geld in die Pillen-Sparte. „Wir hatten einige Jahre mit Unter-Investitionen bis etwa 2018“, sagte er der Financial Times.

Zur Schadensbegrenzung berief BAYER schon kurz nach der Katastrophen-Meldung eine Telefon-Konferenz mit den Finanz-AnalystInnen ein. Dort gab der Vorstandsvorsitzende sich kleinlaut. „Ich bedaure das zutiefst. Die Ereignisse der vergangenen Tage waren eine große Herausforderung für uns, aber wir sind uns auch der sehr negativen Auswirkungen bewusst, die sie auf unsere Anlieger hatten“, bekundete er. Pharma-Chef Stefan Oelrich gestand derweil: „Wir müssen nun das Spitzenumsatz-Potenzial von Asundexian neu bewerten“ und fügte hinzu: „[A]ber es ist unnötig zu sagen, dass es mit Sicherheit unter fünf Milliarden sein werden.“

Einen nochmals erhöhten Handlungsbedarf erkannten die ManagerInnen des Leverkusener Multis jedoch nicht. „Wir machen es so schnell, wie wir können, aber in einer sinnvollen Art“, erklärte Bill Anderson in dem Telefon-Call: „Wir wollen nicht zu einem Urteil eilen und dabei eine falsche Abzweigung nehmen.“ Auch hat sich die Ausgangslage, die er bei der Vorstellung der Geschäftszahlen für das dritte Quartal 2023 skizzierte, nicht verändert: „Ich denke, die Möglichkeiten sind dieselben.“

Beschäftigte beunruhigt

In der Belegschaft herrscht schon seit Andersons Ankündigung, die Zahl der Beschäftigten „erheblich reduzieren“ zu wollen, Unruhe. Die Meldungen über den Studien-Flop von Asundexian sorgten dann noch einmal für zusätzliche Verunsicherung. Er könnte nämlich das Ausmaß des Kahlschlags erheblich erweitern und nicht mehr nur das mittlere Management, sondern auch andere Stellen betreffen. So wollte BAYER mit Asundexian die neue Produktionsstätte „Solida-1“ in Leverkusen einweihen, zu deren Richtfest der Bundeskanzler Olaf Scholz höchstpersönlich angereist war. „Die Investition beweist großes Vertrauen in den Standort Leverkusen und in die Region als Zentrum der Chemie- und Pharma-Industrie. Projekte wie diese sind entscheidend dafür, dass Deutschland auch im 21. Jahrhundert wirtschaftlich und technologisch zu den globalen Spitzenreitern gehört“, sagte er damals über den Bau.

Mit Asundexian kann der Pillen-Riese das nun kaum mehr demonstrieren, auch wenn er beteuert, das Mittel weiterhin dort produzieren zu wollen und ansonsten auf die Modernität der Fabrik verweist, die schnell auf alle Gegebenheiten reagieren könne. „Solida-1 ist modular aufgebaut und somit flexibel in der Produktion – auch im Hinblick auf künftige Entwicklungen im Pharma-Bereich“, verlautet aus der Konzern-Zentrale. Ob das aber reicht, um alle 100 Solida-1-Arbeitsplätze zu halten, steht sehr in Frage.

„Auch wir prüfen derzeit die Situation“, ließ sich Gesamtbetriebsratschefin Heike Hausfeld deshalb vernehmen. Und in Wuppertal fand am 30. November 2023 eine Betriebsversammlung zum Stand der Dinge bei BAYER statt.

Gegen eine Aufspaltung hatte sich die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE schon im Frühjahr ausgesprochen, als aktivistische InvestorInnen eine solche Lösung eingefordert hatten. „Aus Sicht der Beschäftigten ist BAYER mit seinen drei Standbeinen genau richtig aufgestellt für die Herausforderungen der Zukunft“, erklärte Francesco Grioli vom Vorstand der IG BCE damals. „Die Transformation der Industrie bewältigt man nur mit einer Unternehmenspolitik, die auf Risiko-Streuung und Nachhaltigkeit beruht – und nicht auf Hedgefonds-Aktivismus“, so Grioli, der auch im BAYER-Aufsichtsrat sitzt. Ob er die Kapital-Seite in dem Gremium mit dieser Ansicht überzeugen kann, wird sich im Verlaufe dieses Jahres zeigen – dem Jahr der Entscheidung für BAYER. ⎜

BAYERs Glyphosat darf in die Verlängerung

Marius Stelzmann

Ohne Rücksicht auf Verluste

Mitte November 2023 setzte sich die EU-Kommission über alle wissenschaftlichen Bedenken hinweg und verlängerte die Glyphosat-Zulassung um zehn Jahre. BAYERs Lobby-Arbeit hatte sich wieder einmal ausgezahlt.

Von Jan Pehrke

2017 kam Glyphosat nur mit freundlicher Unterstützung des damaligen deutschen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt zu einer Zulassungsverlängerung um fünf Jahre. Der CSU-Politiker verstieß bei der EU-Abstimmung kurzerhand gegen die Koalitionsabsprache und räumte dem BAYER-Herbizid mit seinem „Ja“ den Weg frei. Solche Manöver schienen eher unwahrscheinlich, als die Frist ablief und Brüssel sich wieder mit dem umstrittenen Mittel befassen musste. Und nicht nur das ließ auf ein Glyphosat-Ende hoffen. Es hatte sich auch weiteres Belastungsmaterial angesammelt – und das nicht zu knapp.

Aber am 16. November 2023 – 165.000 Klagen von Glyphosat-Geschädigten, zahl-reiche neue Krebs-Studien und zwei EU-Wahlgänge ohne eine qualifizierten Mehrheit für das Pestizid später – erteilte die EU-Kommission BAYERs Topseller wiederum die Genehmigung. Bereits unmittelbar nach dem Scheitern des Verlängerungsantrags im Berufungsausschuss stellten von der Leyen & Co. die neue Lizenz aus. „Im Einklang mit den EU-Rechtsvorschriften und in Ermangelung der erforderlichen Mehrheit in einer der beiden Richtungen ist die Kommission nun verpflichtet (…) eine Entscheidung zu treffen“, erklärten sie und gaben den Entschluss bekannt, eine Laufzeit bis 2033 zu gewähren – offensichtlich ein Vorratsbeschluss. Die EU-Kommission hat es noch nicht einmal wie noch 2017 für nötig befunden, auf die Bedenken der Mitgliedsländer einzugehen und die Zulassungsspanne entsprechend zu verkürzen.

Sie untersagte lediglich den Einsatz von Glyphosat als Trocknungsmittel kurz vor der Ernte und kündigte an, die Ausbringungsmengen zu deckeln. Zudem verpflichtete die Kommission die Hersteller, Brüssel in einigen Jahren Material über die Auswirkungen der Substanz auf die biologische Vielfalt vorzulegen. Den Umgang mit den Restrisiken überließ sie den einzelnen EU-Staaten, obwohl die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA da so einiges zu Tage gefördert hatte. Mehr als 20 Daten-Lücken machte sie bei ihrer Bewertung des Gefährdungspotenzials von Glyphosat aus. Eine dieser Fehlstellen betrifft die Entwicklungsneurotoxizität, also die Auswirkungen des Stoffes auf die noch im Wachstum befindlichen Nervensysteme von Embryos, Säuglingen und Kindern. Zu den möglichen Beeinträchtigungen von Zellteilungsprozessen und Schädigungen von Chromosomen durch das Mittel vermochte die Behörde ebenfalls keine Aussagen zu treffen: „data gaps“ sowohl für Glyphosat selbst als auch für das Abbau-Produkt AMPA. Zudem blieb „die Bewertung des ernährungsbedingten Risikos für Verbraucher“ offen, da keine Angaben zu den Glyphosat-Rückständen auf Karotten, Weizen und Salat vorlagen.

„Ich halte die Entscheidung der EU-Kommission für falsch, Glyphosat bis 2033 zu genehmigen und sehe sie auch nicht vom Votum der EU-Staaten gedeckt“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nach dem schwarzen Donnerstag. Im Votum Deutschlands fand diese Einschätzung jedoch keinen Ausdruck. „Leider ließ sich hierzu innerhalb der Bundesregierung keine Einigung herstellen. Mir blieb in Brüssel deshalb gemäß unserer gemeinsamen Geschäftsordnung nur die Enthaltung“, bedauerte er. Dabei hätte Özdemir die FDP nur auf den Koalitionsvertrag verpflichten müssen, in dem es unmissverständlich heißt: „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.“

Das ist jetzt Schnee von gestern. Am 15. Dezember gab das Landwirtschaftsministerium eine Eilverordnung heraus, die das 2021 neu im Pflanzenschutz-Gesetz festgelegte Anwendungsverbot für Glyphosat ab dem 1. Januar 2024 aufhob und die nationale Zulassung erst einmal bis zum 30. Juni 2024 verlängerte. In der Zwischenzeit will der Minister nach Wegen suchen, die Anwendungen des Pestizids „wirksam einzuschränken“, um „unserer Koalitionsvereinbarung zu Glyphosat trotz EU-Genehmigung so weit wie möglich nachzukommen“. „Ich setze dabei auf die Unterstützung aller Ampelpartner!“, betont er, wobei das Ausrufezeichen nicht gerade Zuversicht ausdrückt.

Die Landwirtschaft braucht sich vor den Reduktionsplänen jedoch nicht zu fürchten. Özdemir hat eher „die Anwendung durch nicht professionelle Nutzer in Klein- und Hausgärten“ sowie die „flächige Anwendung auf Dauergrünland“ im Blick. Dabei fällt der Privatgebrauch von Glyphosat kaum ins Gewicht, der Hauptteil landet auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Nach Angaben des Bundesumweltamtes findet es sich auf 40 Prozent der bundesdeutschen Äcker.

Überdies hatte bereits die „Glyphosat-Minderungsstrategie“ von Cem Özdemirs Amtsvorgängerin Julia Klöckner die Verwendung von Glyphosat im Haus- und Gartenbereich ab dem September 2021 bis auf wenige Ausnahmen untersagt und noch weitere Restriktionen vorgenommen. Auswirkungen hatte das alles aber bisher kaum: 2022 sanken die Verkaufsmengen im Vergleich zum Vorjahr lediglich um 182 Tonnen auf 3.915 Tonnen.

Ein Komplett-Verbot kommt für Cem Özdemir nicht in Betracht. Hier drohte der BAYER-Konzern vorsorglich schon einmal eine Klage an. Gegen Luxemburg, das die Substanz im Januar 2021 aus dem Verkehr gezogen hatte, prozessierte er bereits erfolgreich. Das will aber nichts heißen. So hat der Bann, den Frankreich 2019 mit dem Verweis auf mögliche genotoxische Effekte gegen 36 Glyphosat-Produkte aussprach, nach wie vor Bestand. Schließlich liefern interne Dokumente der BAYER-Tochter MONSANTO selbst Belege für diese Nebenwirkung. Und das fest im EU-Reglement verankerte Vorsorge-Prinzip bietet noch weitere Ansatzpunkte, Genehmigungen anzufechten. In Sachen „Langzeit-Toxizität“ und „Toxizität der Glyphosat-Zusatzstoffe“ konnten die Hersteller nämlich bisher keine Entlastungsstudien vorlegen, und neue wissenschaftliche Evidenz für die Gefährlichkeit des Produkts liegt mit der Leukämie-Untersuchung des Ramazzine-Instituts auch vor.

So müssen sich die RichterInnen dann auch erst einmal mit Klagen gegen die bestehenden und neuen Glyphosat-Zulassungen beschäftigen. Das pestizid-kritische Netzwerk PAN Europe hat unmittelbar nach der Brüsseler Entscheidung „The Great Glyphosate Court Case“ auf den Weg gebracht, und die DEUTSCHE UMWELTHILFE leitete bereits vor einiger Zeit juristische Schritte gegen das Total-Herbizid ein. Zudem tut sich in den USA ebenfalls etwas. Dort zogen das CENTER FOR FOOD SAFETY, die FARMWORKER ASSOCIATION OF FLORIDA und andere Organisationen gegen Glyphosat vor Gericht. Ruhiger wird es also vorerst um das Pestizid nicht werden. ⎜

BAYERs Pharma-Produktion in der Kritik

Marius Stelzmann

Hätte, hätte, Lieferkette

Mit neuen Lieferketten-Gesetzen wollen Deutschland und die EU den zweifelhaften Praktiken von BAYER & Co. beim Bezug ihrer Grundstoffe aus aller Herren Länder begegnen. Bis dato fällt es oft bestechend schwer, die Konzerne für derlei zur Verantwortung zu ziehen. Ob die Paragrafen-Werke eine Veränderung einläuten können, steht allerdings in Frage. Dabei zeigt eine neue Studie der AOK über die Arzneimittel-Produktion in indischen und europäischen Fabriken dringenden Handlungsbedarf an.

Von Max Meurer

„Unser Einkauf stellt die weltweite, termingerechte Versorgung mit Waren und Dienstleistungen zu den entsprechenden Marktkonditionen, in der erforderlichen Qualität und unter Einbeziehung unserer ethischen, ökologischen und sozialen Prinzipien sicher“, so wirbt der Pharma-Gigant BAYER auf seiner Website großspurig für den Glauben an seine menschenfreundlichen Intentionen. Da selbst die Politik zwischenzeitlich bemerkte, dass sie derlei Absichtserklärungen kaum vertrauen kann, brachte sie in den letzten Jahren mit wechselndem Personal auf diverse Probleme und kleine bis große Skandale reagierend mehrere Paragrafen-Werke auf den Weg. 2019 trat das „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittel-Versorgung“ in Kraft und 2023 das „Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz“ (LkSG), das demnächst auf kleinere Unternehmen ausgeweitet wird. Der auf freiwillige Maßnahmen bauende „Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte“ war zuvor gescheitert, nur 13-17 Prozent der Unternehmen beteiligten sich daran und gaben Auskünfte über ihre Lieferketten. Nähere Aufschlüsse über die Wirksamkeit der gesetzlichen Maßnahme dürften erst die Berichte erlauben, welche die Unternehmen im Frühjahr 2024 vorzulegen haben.

Worum handelt es sich aber bei einer Lieferkette, auf die hier so viel Bezug genommen wird? Bei Großkonzernen setzte sich nach und nach die Tendenz durch, größtmögliche Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern und die Wertschöpfungsketten über den ganzen Globus zu verteilen. Der Grund: Trotz der teils niedrigeren Produktivität aufgrund der schlechteren technischen Möglichkeiten im Vergleich mit hochindustrialisierten Ländern wie der Bundesrepublik lohnt sich das ab einer gewissen Größe. Lockerere Arbeitsrechte (z. B. bei Arbeitszeiten und Arbeitssicherheit), weniger Umweltauflagen und -kontrollen  – diese Faktoren sorgen für eine größere Profit-Marge. Wo ohne Rücksicht auf Mensch, Tier und Natur produziert werden kann, wird günstiger produziert.

Stichjahr 1994

Im Pharma-Bereich kam es vor rund 30 Jahren zu einer Forcierung dieser Entwicklung. Sie setzte mit dem vorerst letzten Globalisierungsschub ein, den 1994 die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) einläutete. Wer dem Club angehören wollte, musste vorher das internationale Patentschutz-Abkommen TRIPS anerkennen – dafür hatten vor allem die Lobby-Aktivitäten des US-amerikanischen Pillen-Riesen PFIZER gesorgt. Indien wollte, und so hatte die stärkere Integration des südasiatischen Landes in den Weltmarkt dann auch gleich massive Auswirkungen auf die heimische Arznei-Industrie. Die Unternehmen konnten fortan nicht mehr einfach den Schutz des geistigen Eigentums umgehen, indem sie Pharmazeutika aus den Industrieländern kopierten und billiger weiterverkauften. Deshalb blieb der Pillen-Industrie des Landes nichts anderes übrig, als ihr Geschäftsmodell zu ändern.

Und dabei spielte BAYER eine bedeutende Rolle. Als erster großer Pharmazeutika-Produzent schloss der Konzern 1999 mit einem indischen Unternehmen einen Vertrag ab. RANBAXY schaffte es, das Interesse des Leverkusener Multis für dessen eigenen – und wegen seiner zahlreichen Nebenwirkungen alles andere als unumstrittenen – Antibiotikum-Inhaltsstoff Ciprofloxacin in einer neuen Formulierung zu wecken. Ein Ciprofloxacin, von dem die PatientInnen nur einmal täglich eine Tablette zu nehmen brauchten – das war dem bundesdeutschen Konzern viel Geld wert. Für die weltweiten Vermarktungsrechte über einen Zeitraum von 20 Jahren zahlte er RANBAXY 65 Millionen Dollar. Und im selben Jahr kaufte das indische Unternehmen seinem neuen Partner auch die BASICS GmbH, eine Tochter-Gesellschaft für Nachahmer-Produkte, sogenannte Generika, ab, um einen Brückenkopf nach Europa zu haben.

Allerdings gelang der inzwischen von SUN PHARMACEUTICAL geschluckten Firma ein solcher Coup wie mit Ciprofloxacin seither nicht mehr. Darum muss sie sich weitgehend auf die Funktion des Zulieferers für Pharma-Unternehmen aus den Industrie-Ländern beschränken – wie die Branche im ganzen Land.

Und auf diese Firmen wollen BAYER & Co. natürlich nur ungern verzichten. Deshalb sorgten sie mit Extrem-Lobbyismus dafür, dass im oben erwähnten „Nationalen Aktionsplan“ keine rechtlich bindenden Regelungen auftauchten und ihnen beim Lieferketten-Gesetz das Schlimmste erspart blieb. So mahnte die Industrie eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnte eine Haftungsregelung vehement ab. Mit Erfolg: In der Endfassung fehlt beides.

Die Pharma-Lieferketten

Wie viel bei den ersten Gliedern der Lieferketten von Big Pharma im Argen liegt, belegte jetzt eine 2021 gestartete Studie der AOK Baden-Württemberg aufs Neue. Diese untersuchte das Abwasser von zehn Antibiotikawirkstoff-Fabriken in Europa und Indien und stellte fest, dass bei dreien die Grenzwerte für Antibiotikawirkstoffe in naheliegenden Gewässern massiv überschritten wurden. Besonders Ciprofloxacin, das inzwischen auch viele andere Firmen außer Bayer herstellen, fiel dabei auf. Die Konzentration lag teilweise um 11.000 Prozent über dem festgelegten Grenzwert. Bei anderen Antibiotika-Substanzen stellte es sich ähnlich dar. Die AOK setzte diese Zahl eindrucksvoll in Verhältnis: „Die Umweltprobe mit der höchsten Überschreitung eines Schwellenwertes wurde einem Gewässer entnommen, das durch den Regenwasserüberlauf einer indischen Produktionsstätte entsteht. Dieses Gewässer führt dabei unmittelbar durch ein Gebiet, das als Viehweiden genutzt wird. Die hier gemessene Gewässerkonzentration von Azithromycin übersteigt den ökotoxikologisch relevanten Schwellenwert um mindestens 1.600.000 Prozent (!). Das Verhältnis von Schwellenwert zu Umweltkonzentration entspricht damit in etwa dem der Fläche der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart zur gesamten EU.“

Das Problem: Derlei Stoffe, die über das Wasser, angrenzende Ackerflächen oder über Nutztiere zum Menschen gelangen, sorgen für die Bildung von resistenten Bakterienstämmen, die sich mit den gängigen Antibiotika dann immer schwerer bekämpfen lassen. In Indien treten dabei solche als „Superbugs“ bezeichnete resistente Krankheitserreger in ungekannter Häufung auf: So starben beispielsweise im Jahr 2013 58.000 Babys an solchen Keimen.

Verbindliche Verpflichtungen, hier Maßnahmen zur Vorsorge zu treffen, wie sie z. B. die „Davos Declaration“ vorsieht, geht der Leverkusener Multi nicht ein. Er zog sich mit der Begründung, Antibiotika seien nicht mehr im Fokus des Produkt-Portfolios, aus der Verantwortung. Man richte Workshops und Schulungen aus, um den Umgang damit zu verbessern, hieß es lediglich.

Das zeitigt natürlich wenig Wirkung. Die AOK Baden-Württemberg zitierte eine Studie aus dem Januar 2022, wonach die multiresistenten Keime für die Mehrzahl an weltweiten Todesfällen verantwortlich seien. Allein in Deutschland erkranken der Untersuchung zufolge jährlich 54.500 Menschen an Infektionen durch antibiotikaresistente Erreger. Dieser besorgniserregenden Zahlen wegen schlägt die AOK Alarm. „Die bisherigen Ergebnisse der Pilotstudie machen den hohen Handlungsdruck auf nationaler, vor allem aber auf europäische Ebene deutlich. Dies umso mehr, weil die Studien-Partner bisher nur einen Ausschnitt aus der Arznei-Produktion beleuchten konnten und vermutlich nur die ‚Spitze des Eisbergs‘ gesehen haben (zu den Forderungen der AOK siehe Kasten).

Das EU-Lieferkettengesetz

Das EU-Lieferkettengesetz, über das die Kommission, der MinisterInnenrat und das EU-Parlament kurz vor Weihnachten im Trilog-Verfahren eine Einigung erzielt haben, trägt diesem Handlungsdruck Rechnung. Es geht nämlich in wesentlichen Punkten über sein deutsches Pendant hinaus. So greift die Regelung schon bei Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Auch geht sie weiter bei der Rückverfolgung und bezieht nicht nur die direkten Zulieferer ein. Zudem schließt das Gesetz den Rechtsweg nicht aus und macht BAYER & Co. für Verfehlungen haftbar. Überdies müssen die Konzerne die CO2-Einsparziele über ihre ganzen Lieferketten hinweg verfolgen und entsprechende Klima-Pläne aufstellen.

Dementsprechend aufgeschreckt reagierten die Multis. „Unsere Unternehmen ersticken bereits jetzt in Bürokratie. Nun kommen noch mehr Vorschriften on top. Das ist ein weiterer Nackenschlag“, ereiferte sich der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI). Und der „Bundesverband der deutschen Industrie“ stimmte mit ins Untergangslied ein: „Der Kompromiss bedroht Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft, da sich Unternehmen aufgrund rechtsunsicherer Bestimmungen und drohender Sanktions- und Haftungsrisiken aus wichtigen Drittländern zurückziehen könnten.“

Die FAZ überschrieb ihren Kommentar mit „Standortrisiko ‚Brüssel‘“ und schloss mit den Worten: „Das EU-Lieferkettengesetz passt nicht in die Zeit. Es noch zu stoppen, wäre wichtig“. Die Zeitung gab da auch ihre Hoffnung nicht auf, obwohl die Umsetzung von Trilog-Beschlüssen sonst eigentlich immer nur noch Formsache ist. „Bei einigen umstrittenen Gesetzen war das zuletzt vor allem im Ministerrat nicht immer der Fall“, sprach das Blatt den Multis Mut zu. Und VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup, der nicht wenige Jahre seines Berufslebens beim Leverkusener Multi verbrachte, appellierte an die Ampel-Koalition: „Die Bundesregierung muss jetzt Farbe bekennen und ihre Zustimmung verweigern.“ Ein Übriges werden die Lobby-Truppen der Unternehmen tun. Allein der BAYER-Konzern verfügt über einen Etat von über sechs Millionen Euro, um die politische Landschaft in Brüssel zu pflegen und die gesetzlichen Angriffe auf seine Profitmarge so klein und wirkungslos wie möglich zu halten. ⎜

Kampf für Würde, Anerkennung und Entschädigung

Marius Stelzmann

Protest gegen BAYER & Co.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren und der Verein der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein nahmen den Weltkindertag zum Anlass, um vor den schleswig-holsteinischen Landtag zu ziehen. Die Ex-Heimkinder forderten von BAYER & Co. Entschädigungen für die mit ihnen in frühen Jahren unternommenen Medikamenten-Versuche und protestierten gegen Misshandlungen und sexualisierte Gewalt in den Einrichtungen.

Von Marius Stelzmann

Seit 2018 steht die Coordination gegen BAYER-Gefahren in engem Kontakt mit dem Verein der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein. Die Organisation hat sich die Aufarbeitung des Unrechts auf die Fahne geschrieben, welches an Heimkindern von den 1950er bis in die 1970er Jahre hinein verübt wurde: Misshandlungen, sexualisierte Gewalt und Medikamentenversuche. Gegen ihren Willen mussten die ehemaligen Heimzöglinge – entweder in den Einrichtungen selbst oder aber in Kinder- und Jugendpsychiatrien – verschiedenste Pharmazeutika einnehmen, meist Psychopharmaka oder Neuroleptika. Nicht wenige davon stammten von BAYER. Unter den Folgen leiden viele bis heute. Darum unterstützt die CBG die Heimkinder in ihrer Auseinandersetzung mit den Pharma-Konzernen, Kirchen und staatlichen Stellen um Entschädigung, Anerkennung und Würde. Zum Weltkindertag am 20. September traten beide Netzwerke zusammen in Aktion: Vor dem Kieler Landtag wurde der Protest auf die Straße getragen.

Fünf Jahre zuvor hatten die Ex-Heimkinder dort auf einem Symposium bereits von ihrem Leid berichtet. Versprochen wurde danach einiges. Die meisten Ehemaligen warten jedoch immer noch auf Entschädigungen. Darum kamen sie zurück. Um auf die Verwicklung der Pharma-Unternehmen hinzuweisen, errichtete der Verein vor dem Eingang des Landtags zusammen mit der Coordination eine symbolische Mauer aus Medikamentenpackungen. Auf den großen Kartons prangten die Logos von BAYER, MERCK und anderen Konzernen, die mit den an den Heimkindern getesteten Medikamenten Millionengewinne erwirtschafteten. AktivistInnen hielten Schilder mit Forderungen hoch, die sich nicht nur an die Pillen-Riesen, sondern auch an die staatlichen Stellen und die Kirchen als Träger vieler der Einrichtungen richteten. Unter anderem protestierten die Geschädigten dagegen, dass Anträge auf Opferentschädigungsrenten immer wieder abgelehnt werden. Auch die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung angekündigte Prüfung der Einrichtung einer Landesstiftung, an der sich alle für das Leid und Unrecht Verantwortliche beteiligen, stehe noch aus, kritisierten sie.

Die Reaktionen

Die Abgeordneten kamen nicht umhin, der mahnenden Präsenz Rechnung zu tragen. Mehrere PolitikerInnen verschiedener Parteien stießen zur Kundgebung, um mit den Heimkindern über Ihre Lage zu sprechen und Möglichkeiten der Aufarbeitung und Entschädigung zu erörtern. Ein ebenfalls anwesender Richter bot an, Fälle, in denen den Heimkindern Entschädigung verweigert wurde, nochmals nachzuprüfen. Auch der NDR war vor Ort und dokumentierte die Aktion. O-Ton der Reportage: „Die ehemaligen Heimkinder fordern, dass die Landesregierung endlich Nägel mit Köpfen macht.“ Franz Wagle, der Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein, sagte dem Fernseh-Team: „Unsere Forderung ist, dass die Opfer zu ihrem Recht kommen. Und dass die Politik das, was sie uns mal zugesagt hat in dem Symposium von 2018, auch umsetzt.“ Die Aktion erreichte ihr Ziel: Druck auf die Politik zu machen, damit diese die Verbrechen von Kirche, Pharmakonzernen und staatlichen Stellen endlich aufklärt und für eine angemessene Entschädigung der Betroffenen sorgt.                                              

Einige Heimkinder haben durch eine Kampagne, zu der auch die CBG beigetragen hat, bereits Entschädigungen erhalten. Im Jahr 2019 waren Franz Wagle, Eckhard Kowalke und Günter Wulf von der Coordination auf die BAYER-Hauptversammlung eingeladen worden. Dort konfrontierten sie den Vorstand des Konzerns direkt mit ihren Krankengeschichten. Das Publikum reagierte mit hörbarem Raunen. Ein PR-Desaster, das auch der damalige Vorstandsvorsitzende Werner Baumann nicht mehr verhindern konnte. In seiner Antwort auf die Reden der ehemaligen Heimkinder bekundete Baumann, dass sich im Unternehmensarchiv keine Hinweise auf eine BAYER-Verwicklung finden würden. Um Druck aus dem Kessel zu nehmen, kam dann ein Vorstandsmitglied vom Podium herunter und machte den Dreien ein Angebot: Sie könnten den Aktenstand zu ihrer Frage im eigentlich für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen BAYER-Archiv selbst prüfen. Die Heimkinder kamen – anders als vom Konzern erwartet – vorbereitet nach Leverkusen und brachten den Historiker Dr. Klaus Schepker von der Universität zu Ulm mit. Und dem Team gelang das, womit BAYER nicht gerechnet hat: Es förderte Dokumente zutage, die belegten, dass der Global Player in die Medikamentenversuche verwickelt war. Diese Funde flossen als Quellengrundlage in eine Studie der Universität Kiel ein, die wiederum vom Landtag Schleswig-Holstein als Grundlage dafür herangezogen wurde, zumindest einigen der Heimkinder eine Entschädigung zuzusprechen. Den Betroffenen reicht das jedoch nicht: Für sie ist Gerechtigkeit erst erreicht, wenn alle eine solche erhalten. Deshalb werden die CBG und der Verein der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein ihre Kampagne in diesem Jahr fortsetzen. Die Coordination wird sich dafür einsetzen, dass die ehemaligen Heimkinder 2024 auf der BAYER-Hauptversammlung wieder die Möglichkeit haben werden, ihr Anliegen vorzutragen. Auch wollen CBG und Heimkinder die Aktion in größerem Maßstab in der zweiten Jahreshälfte wiederholen. Dieses Mal haben sich großen Opfer- und Kinderschutzverbände wie zum Beispiel der Weiße Ring angesagt, die im vergangenen Jahr leider erfolglos angefragt worden waren.

Es bleibt also heiß in der Frage des Kampfes der Heimkinder um Würde, Anerkennung und Entschädigung. Die CBG wird sich weiterhin nach Kräften mit ihnen zusammen dafür einsetzen, dass Konzerne, Kirchen und Staat sich endlich öffentlich zu ihrer Verantwortung bekennen und die Betroffenen dafür entschädigen, dass sie sie für ihr Leben geschädigt haben. ⎜