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Beiträge verschlagwortet als “BlackRock”

[Online-HVs gehen weiter] BAYER & Co. setzen sich durch

CBG Redaktion

Die Corona-Pandemie ermöglichte es den DAX-Unternehmen, sich einen lang ersehnten Wunsch zu erfüllen und Online-Hauptversammlungen statt der sonst üblichen Präsenz-Veranstaltungen abzuhalten. BAYER und die anderen Firmen nutzten das, um die Rechte von Konzern-KritikerInnen massiv zu beschneiden. So kehrte in die neuen Konzern-Videoshows eine bis dahin unbekannte Stille ein: Keine Proteste, keine kritischen Reden und keine Nachfragen. Das hätten die Aktien-Gesellschaften gerne wieder so. Darum forderten sie die Bundesregierung auf, die bis Ende 2020 geltende Ausnahme-Regelung zu entfristen. Und CDU und SPD lieferten: Trotz des vielen Unmuts über den Ablauf der virtuellen HVs ging die Verordnung am 29. Oktober unverändert in die Verlängerung.

Von Jan Pehrke

Das ließ BAYER sich nicht nehmen: Die erste rein virtuelle Hauptversammlung eines DAX-Unternehmens richtete der Leverkusener Multi aus. „Als digitaler Pionier“ feierte der Konzern sich am 28. April selber. Den AktionärInnen beschied der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann derweil: „Sehr gerne hätte ich Sie heute persönlich vor Ort in Bonn begrüßt. Aber die Corona-Krise lässt das leider nicht zu.“

Das waren allerdings nur Krokodilstränen, denn eine Online-HV eröffnete dem Agro-Riesen ungeahnte Möglichkeiten. Die entsprechenden Regelungen im „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“ erlaubten Aktien-Gesellschaften unter anderem, statt Reden nur noch Fragen zuzulassen. Sie konnten dabei sogar noch aussieben. BAYER & Co. hatten das eingefordert. Sie begründeten dies mit der Angst vor sogenannten BerufsklägerInnen, welche die Vorstände mit ihren Auskunftsbegehren willentlich vor unlösbare Aufgaben stellen, um die Hauptversammlungen anschließend vor Gericht anzufechten und davon erst nach Auszahlung einer hoch dotierten „Lästigkeitsprämie“ zu lassen. Der entsprechende Passus schützte die Firmen dann aber nicht nur vor den BerufsklägerInnen, sondern auch gleich noch vor Konzern-KritikerInnen, wohingegen er BLACKROCK & Co. eine Sonderstellung einräumte. Die Verwaltung „hat (...) keinesfalls alle Fragen zu beantworten, sie kann zusammenfassen und im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen auswählen. Sie kann dabei Aktionärsvereinigungen und institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugen“, hieß es nämlich in dem Paragrafen-Werk.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hatte gemeinsam mit dem DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE in einem Offenen Brief an BAYER Änderungen angemahnt. „Die neue ‚virtuelle’ HV ist in ihrer jetzigen Form ein Bruch mit den bisher bereits geringen Mitgestaltungsmöglichkeiten von AktionärInnen“, konstatierten die beiden Organisationen. Aber der Leverkusener Multi reagierte nicht. Dementsprechend unerquicklich gestaltete sich am 28. April die Hauptversammlung für Umwelt-AktivistInnen, ImkerInnen, Pestizid-GegnerInnen und andere kritische AktionärInnen. Reden akzeptierte der Global Player nicht, und die Fragen, die zwei Tage vorher eingereicht werden mussten, referierte Baumann ton- und lustlos. Noch nicht einmal die Namen nannte er – angeblich aus Datenschutz-Gründen. Allein den jeweiligen Sacherverhalt zu verstehen, bereitete Außenstehenden deshalb oft schon Schwierigkeiten. Es macht eben einen fundamentalen Unterschied, ob etwa eine Medikamenten-Geschädigte vor das Mikrofon tritt, ihre Leidensgeschichte erzählt und am Schluss fragt, wann BAYER die betreffene Arznei endlich vom Markt zu nehmen gedenkt, oder ob es einfach heißt: „Eine Aktionärin fragte nach dem Produkt DUOGYNON.“

Darum bescheinigte die Frankfurter Allgemeine Zeitung dem BAYER-Chef Werner Baumann dann auch, „eine entspannte Hauptversammlung“ hinter sich gebracht zu haben. „Die Öffentlichkeit wohnte Statements und Fragen via Internet bei. Für unliebsame Störenfriede war kein Platz“, so die Zeitung. Seine KollegInnen von den anderen börsen-notierten Unternehmen verlebten ähnlich ruhige Stunden. In ihrer Rückschau auf die 2020er-HVs schrieb die FAZ, „dass die sterilen Frage-Antwort-Blöcke der vergangenen Wochen sämtliche Spontanität und Bissigkeit vermissen ließen“ und appellierte: „Rettet die Erbsensuppe!“ Das Urteil der Rheinischen Post fiel nicht eben besser aus: „Das waren sterile Veranstaltungen, Vorstände hatten leichtes Spiel, unliebsame Fragen abzubügeln.“

Der DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE fällte gleichfalls ein vernichtendes Urteil. „In der Hauptversammlungssaison 2020 haben wir gesehen, dass virtuelle Hauptversammlungen im Vergleich zu Präsenz-Versammlungen inakzeptable Schwachstellen aufweisen“, hielt die Initiative fest und konkretisierte: „In einigen Fällen wurden Fragen bei der Beantwortung so zusammengefasst, dass dahinterliegende Kritik-Punkte bewusst nicht übermittelt wurden. Oder ganze Frage-Komplexe wurden mit fadenscheinigen Begründungen überhaupt nicht beantwortet.“

BAYER & Co. wollten es natürlich genauso wiederhaben und begannen mit der Lobby-Arbeit. Bereits Anfang September setzte das „Deutsche Aktieninstitut“ (DAI), das die Interessen der Aktien-Gesellschaften vertritt, in der Sache einen Offenen Brief an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht auf. „Virtuelle Hauptversammlungen auch 2021 ermöglichen“, war er überschrieben. „Eine frühzeitige Verlängerung der aktuellen Ausnahmeregelung ist unter epidemologischen Gesichtspunkten richtig und für die Planungssicherheit der Unternehmen wichtig“, so das DAI.

Die SPD-Politikerin tat wie geheißen und widmete sich der Aufgabe. Sie holte dafür allerdings auch eine Stellungnahme des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE ein. Dieser formulierte im Lichte der gemachten Erfahrungen eine Reihe von Forderungen und Änderungsvorschlägen. „Es reicht leider nicht aus, dass der Vorstand nur ‚nach eigenem Ermessen’ Auskünfte auf die Fragen der AktionärInnen gibt“, konstatierte der Dachverband und sprach sich für ein verbrieftes Auskunftsrecht aus. Dieses sollte nicht zuletzt auch zu Nachfragen befugen. Zudem trat der Verband für die Möglichkeit von Hybrid-Hauptversammlungen ein, die es den AktionärInnen gestattet, ihre Anliegen in einer Präsenz-Veranstaltung vorzutragen. Überdies verlangte er, die gestellten Gegenanträge zur Nichtentlastung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern nicht länger außen vor zu lassen und in der HV zu behandeln. Überdies drängte die Organisation darauf, die kurzen Einladungsfristen, die es der CBG so ungemein erschwert hatten, rechtzeitig alle Stimmrechtsübertragungen zu erhalten, wieder abzuschaffen.

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Heribert Hirte forderte eine Streichung der verkürzten Fristen. Darüber hinaus mahnte er eine „Überprüfung der Reduzierung des Ermessens bei den Antworten“ an. „Interaktion macht eine Hauptversammlung aus“, betonte er. Die beiden Rechtsanwälte Günter Seulen und Andreas Krebs pflichteten dem bei und plädierten für „eine Annäherung der Mitwirkungsrechte der Aktionäre an die physischen Versammlungen“. Zur Gewährleistung des Schutzes der Unternehmen vor BerufsklägerInnen bei einem umfassenden Frage-Recht wussten sie ebenfalls ein Mittel: die Reform der Regeln für die Beschluss-Anfechtung auf der Basis der Vorschläge, die der „Deutsche Juristentag“ 2018 erarbeitet hat.

Die Schutzgemeinschaft der Kapital-Anleger (SdK) lehnte eine einfache Verlängerungen der Bestimmungen „wegen der mittlerweile unverhältnismäßigen Einschränkung von Aktionärsrechten“ schlichtweg ab. Schon für die abgelaufene Saison fand die SdK den Verweis auf das Neuland „World Wide Web“ zur Begründung der Einschnitte „zweifelhaft“. Für das kommende Jahr mochte sie das überhaupt nicht mehr gelten lassen. Und mit Besorgnis beobachtete die Schutzgemeinschaft „das Bestreben einzelner Kräfte, die virtuelle Hauptversammlung in der Ausformung des COVID-19-Gesetzes zur Blaupause für ein Zukunftsmodell der Hauptversammlung als das ‚new normal’ (...) nutzen zu wollen.“

Aber Justizministerin Christine Lambrecht zeigte sich von alledem unbeeindruckt. Die Gesetzes-Passagen gingen unverändert in die Verlängerung. Ansonsten blieb es bei Appellen. Die Unternehmen sollten sich nur ins Virtuelle begeben, „wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemie-Geschehens erforderlich erscheint“ und bezüglich der Frage-Möglichkeit „insbesondere bei der vorherigen Einreichung der Fragen, weiterhin möglichst aktionärsfreundlich verfahren“. Damit ist es natürlich nicht getan. Es braucht Druck. Und den wird die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN entfalten.

[BAYER kann mit Biden] 634.5000 Dollar an Wahlkampf-Spenden

CBG Redaktion

Der BAYER-Konzern hat hunderttausende Dollar in den US-Wahlkampf investiert und dabei republikanische KandidatInnen bevorzugt. Der Wahlsieg der DemokratInnen bereitet dem Leverkusener Multi allerdings auch keine größeren Probleme.

Von Jan Pehrke

BAYER hat sich den US-amerikanischen Wahlkampf 634.500 Dollar kosten lassen. Von den deutschen Konzernen wendeten nur T-MOBILE, FRESENIUS und BASF mehr auf. Das geht aus Zahlen der „Federal Election Commission“ hervor, die das „Center for Responsive Politics“ ausgewertet hat. Da die Vereinigten Staaten direkte Spenden von Konzernen nicht erlauben, floss das Geld über das „BAYER U.S. LLC Political Action Committee“. Der Leverkusener Multi stellt dieses Komitee der Presse gegenüber zwar stets als unabhängige Initiative der Belegschaft dar, aber sein eigenes Statement auf der USA-Website lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. „Das BAYERPAC unterstützt Kandidaten, die im Einklang mit den politischen Zielen BAYERs stehen, ohne Rücksicht auf die persönlichen politischen Präferenzen der Führungskräfte“, heißt es dort. Und während viele andere bundesdeutsche Unternehmen wg. Trump die Seiten gewechselt haben, hielt der Global Player an ihm fest. 56,49 Prozent der 327.500 Dollar, die er in die Wahlen zum Kongress und zum Senat investierte, gingen an RepublikanerInnen und nur 43,51 Prozent an DemokratInnen.

Während sich das Verhältnis bei den PolitikerInnen, die einen Sitz im Kongress anstrebten, recht ausgewogen darstellte und mit 50,1 zu 49,81 Prozent sogar noch leicht zu Gunsten der DemokratInnen ausfiel, hatten deren SenatskandidatInnen klar das Nachsehen. Hier kamen die BAYER-Dollar zu 86 Prozent RepublikanerInnen zugute. Ganz offensichtlich wollte der Agro-Riese so im Falle eines Sieges von Joe Biden ein Durchregieren der Demokraten verhindern und die zweite Kammer des US-Kongresses als Blockade-Instrument für bestimmte Gesetzesvorhaben genutzt sehen. Insbesondere die angekündigte Wiederanhebung der Unternehmenssteuer, die Joe Biden auf 28 Prozent zu erhöhen beabsichtigt, nachdem Trump den Satz zuvor von 35 auf 21 Prozent abgesenkt hatte, passt dem Global Player nicht.
Mit der Gießkanne verteilte er das Geld dabei nicht. Der Global Player suchte sich die EmpfängerInnen unter den RepublikanerInnen genau aus. So stand mit Blaine Luetkemeyer nicht umsonst ein Klimawandel-Leugner auf seiner Payroll. Luetkemeyer, der von einer „als falsch entlarvten Wissenschaft der Erderwärmung“ spricht, erhielt 10.000 Dollar, genauso viel wie sein Gesinnungsgenosse Kevin McCarthy. Und auch im Senat möchte der Leverkusener Multi diese Haltung repräsentiert sehen. Zu diesem Behufe strich Joni Ernst 10.000 Dollar ein. Zu den anderen 20 BewerberInnen, die der Agro-Riese mit Schecks bedachte, gehörte auch Mitch McConnell. Er nimmt im Senat als Mehrheitsführer nämlich eine Schlüsselfunktion ein. Unter anderem obliegt es McConnell, festzulegen, welche Gesetzes-Vorhaben der Senat zur Entscheidung annimmt und welche nicht. Und hier hat der Republikaner in der Vergangenheit kräftig ausgesiebt. Über 400 Vorlagen mussten draußen bleiben, unter anderem ein Paragrafen-Werk der Demokraten zur Senkung der Medikamenten-Preise. Die 2.500 Dollar, die das BAYERPAC ihm zahlte, hat er sich also reichlich verdient. Ob Mitch McConnell dem Global Player weiter so nützlich sein kann, stellt sich am 5. Januar (nach SWB-Redaktionschluss) heraus: An dem Tag findet eine Nachwahl statt, deren Ergebnis für die Mehrheitsverhältnisse in dieser Kammer ausschlaggebend ist.

Aber nicht nur wegen treuer Dienste zur Verteidigung der Pharma-Profite und zur Senkung der Unternehmenssteuern zeigt sich der Konzern den Republikanern gegenüber besonders erkenntlich. Er fand in Donald Trump überdies einen treuen Fürsprecher der MONSANTO-Übernahme, der BAYER-Chef Werner Baumann sogar eine Privat-Audienz gewährte, um sich den Deal noch einmal besonders ans Herz legen zu lassen. Darüber hinaus brachte der Präsident die US-amerikanische Umweltbehörde EPA auf Linie und räumte der Aktien-Gesellschaft zahlreiche lästige Umwelt-Bestimmungen zum Schutz des Wassers oder aussterbender Tierarten ganz oder teilweise aus dem Weg. Der New York Times zufolge lockerte Donald Trump während seiner Amtszeit fast 100 solcher Regelungen. Vor allem jedoch leistete er der Aktien-Gesellschaft Schützenhilfe in Sachen „Glyphosat“. So intervenierten Regierungsstellen in einem Schadensersatz-Prozess zu ihren Gunsten und zwangen Thailand durch massiven politischen Druck, von einem geplanten Glyphosat-Verbot abzurücken.

Vor einem Demokraten als US-Präsident braucht sich das Unternehmen jedoch auch nicht zu fürchten. BAYER kann mit Biden. „Ich bin sicher, dass wir mit beiden Administrationen gut zusammenarbeiten werden“, sagte Baumann kurz vor der Wahl. Und als dann Joe Biden gewann, war er auch gleich zur Stelle: „Wir gratulieren Joe Biden und Kamala Harris zur Wahl. Wir hoffen, dass es ihnen gelingt, ideologische Gräben zu überbrücken und den Geist der Kooperation zu stärken – in den USA wie auch in den internationalen Beziehungen“ Der Chef-Lobbyist des Konzerns in Washington, Matthias Berninger (siehe SWB 4/20) ist da ganz zuversichtlich. „Amerika wird sich unter einem Präsidenten Biden wohl wieder etwas der Welt zuwenden“, meint er und fordert: „Europa muss Amerika mit einer Freihandelsagenda die Hand reichen.“ Die Klima-Agenda der Demokraten verschreckt BAYERs Mann fürs Grüne nicht, und mit anderem will er sich abfinden. „Die diesjährigen Rekord-Subventionen im Agrar-Bereich werden wohl bald der Vergangenheit angehören. Und der Preisdruck auf die Pharma-Industrie, wie wir ihn auch in China sehen, wird in ähnlicher Form in Zukunft auch in Amerika stattfinden. Auf Situationen wie diese müssen wir uns einstellen“, gibt sich Berninger pragmatisch.

Auf strengere Umwelt-Gesetze wird der Konzern sich ebenfalls einstellen müssen, denn die Demokraten haben angekündigt, Trumps Eingriffe rückgängig zu machen. Besorgt zeigten diese sich in ihrem Wahl-Programm auch über „die Zunahme des Konzentrationsprozesses in einer Vielzahl von Branchen, von Krankenhäusern und Pharma-Firmen bis hin zur Agrar-Industrie und zum Lebensmittelhandel“. Deshalb sinnen Biden & Co. auf Abhilfe: „Wir werden die Aufsichtsbehörden anweisen, einige der Fusionen und Übernahmen zu überprüfen, die seit dem Amtsantritt von Präsident Trump stattgefunden haben.“ Dabei nennt die „Democratic Party Platform“ explizit auch den Agrar-Bereich. Aber BAYERs MONSANTO-Akquisition dürfte kaum auf Wiedervorlage kommen. Der neue demokratische Landwirtschaftsminister ist nämlich der alte und damit derjenige, der dem Geschäft damals seinen Segen erteilte: Tom Vilsack. In einem Interview, das er Bloomberg TV im September 2016 kurz nach der Unterzeichnung des Übernahme-Vertrags gab, zerstreute er alle Bedenken gegenüber dem Mega-Deal. Den Wettbewerb gefährdete die Transaktion seiner Meinung nach nicht. „Die Marktaufsichtsbehörden werden sicherlich einige Fragen zu stellen haben, aber ich glaube, was wir am Ende des Tages sehen werden, ist ein Innovationsschub.“ Warum Größe allerdings zu mehr Innovation führen soll, blieb dem Moderator schleierhaft, der Neuentwicklungen eher kleineren Firmen zutraute, aber Vilsack mochte ihm da nicht zustimmen. Ebenfalls mit dem Zugriff eines ausländischen Multis auf einen großen US-amerikanischen Konzern hatte der Politiker keine Probleme. „Das gehört zu der Welt, in der wir leben“, meinte der Demokrat. Und „Think big“ ist seine Losung nicht nur bei den Anbietern von Pestiziden, Saatgut und Gentech-Gewächsen, sondern auch bei den Abnehmern, den Bauern und Bäuerinnen. „Was die unabhängige, von Farmer-Familien betriebene Landwirtschaft angeht, ist die Erfolgsbilanz von Tom Vilsack miserabel“, kritisiert etwa Joe Maxwell von der Organisation „Family Farm Action“.

Seine industrie-freundlichen Positionen haben Vilsack nicht von ungefähr den Ruf des „Mr. MONSANTO“ eingetragen. So beschleunigte die US-Landwirtschaftsbehörde USDA in seiner Amtszeit die Genehmigungsverfahren für Gentechnik-Gewächse und ließ z. B. eine gegen Glyphosat resistente Luzerne-Pflanzen ohne Auflagen zu, obwohl Umweltverbände vor drohenden Auskreuzungen gewarnt hatten. Auch die Regelung zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel gestaltete Tom Vilsack im Sinne der Agro-Giganten. Die USDA unter Vilsacks Ägide „war die gentechnik-freundlichste, die es je gab“, konstatiert die Umweltgruppe FOOD AND WATER WATCH. Bereits als Gouverneur von Iowa, der er von 1999 bis 2007 war, legte der Politiker sich für die Risiko-Technologie ins Zeug. Und BAYER & Co. zeigten sich erkenntlich. Ihr Lobby-Club, die „Biotechnology Industry Organisation“, dankte Vilsack bereits im Jahr 2001 für die „Unterstützung des ökonomischen Wachstums der Industrie und der biotechnologischen Forschung im Agro-Bereich“ mit der Verleihung des Titels „Governor of the Year“.

Und mit Bidens Personal-Entscheidungen geht der Leverkusener Multi auch sonst d’accord. Sehr zusagen dürfte ihm die Nominierung von Brian Deese zum Leiter des Wirtschaftsberatungsgremium „National Economic Council“. Deese kommt nämlich vom weltgrößten Investment-Fonds BLACKROCK, der rund vier Prozent der BAYER-Aktien hält. Darum ist von dem gelernten Juristen kaum eine Politik zu erwarten, die für die Multis Kurs-Risiken birgt. Damit nicht genug, machte Biden Deeses’ BLACKROCK-Kollegen Adewale Aedyemo zum stellvertretenden Finanzminister. Und vielleicht gesellt sich noch der eine oder die andere dazu, denn bis zum SWB-Redaktionsschluss hatte der neue Präsident sein ganzes Kabinett noch nicht zusammen. Eines steht jedoch schon fest: BAYER kann damit arbeiten.

[ASKBIO] BAYER kauft ASKBIO

CBG Redaktion

Einstieg ins Gentherapie-Geschäft

Ende Oktober 2020 erwarb der Leverkusener Multi die US-amerikanische Firma ASKBIO und steigt damit in das derzeit profitträchtigste Segment des Pharma Marktes ein: die Gentherapie. Die Risiken und Nebenwirkungen dieser Methode ignoriert er dabei geflissentlich.

Von Jan Pehrke

Als teuerste Arznei der Welt machte vor einiger Zeit ZOLGENSMA Schlagzeilen. Die einmalig durchzuführende Gentherapie mit dem Präparat schlägt mit 2,1 Millionen Dollar zu Buche. Zur Anwendung kommt sie bei einer seltenen, zumeist schon im frühen Lebensalter diagnostizierten Erbkrankheit: der spinalen Muskel-Atrophie. Durch einen Defekt des SMN1-Gens produziert der Körper der Kinder nicht genug Nervenzellen zur Steuerung der Muskelzellen, was zu Muskelschwäche bis hin zu Lähmungserscheinungen führt und sich als lebensbedrohlich erweisen kann. ZOLGENSMA bietet hier nun eine Lösung an, nach deren Muster auch die meisten anderen Gentherapien funktionieren: Das Präparat schleust ein gesundes Gen in den Körper ein und nutzt dafür Viren als Transportmittel zum Ziel-Ort.
Den Zugriff auf den Millionen-Seller sicherte sich NOVARTIS. 2018 kaufte der Schweizer Pharma-Riese das US-amerikanische Biotech-Unternehmen AVEXIS und damit die Rechte an der Vermarktung von ZOLGENSMA. Auf solche Coups spekulieren auch die Mitbewerber. Darum tut sich in dem Segment zurzeit viel. Im letzten Jahr erstand ROCHE für 4,3 Milliarden Dollar SPARK und der japanische Konzern ASTELLAS die US-Gesellschaft AUDENTES THERAPEUTICS für drei Milliarden Dollar.
Da wollte BAYER nicht nachstehen. Ende Oktober 2020 erwarb der Global Player die US-Firma ASKLEPIOS BIOPHARMACEUTICAL (ASKBIO), die AVEXIS einst die Basis-Technologie für ZOLGENSMA geliefert hatte. Zwei Milliarden Euro zahlt der Konzern sofort, weitere zwei Milliarden stellt er bei erfolgreichen Arznei-Kreationen in Aussicht. Als potenzielle Kandidaten dafür gelten bei ASKBIO Pharmazeutika gegen Parkinson, Herz-Insuffizienz und die Stoffwechsel-Erkrankung Morbus Pompe, welche zurzeit die klinische Entwicklung durchlaufen. An anderen arbeitet das Unternehmen nicht selbst weiter. Aber die Verträge, die es mit anderen Firmen abgeschlossen hat, garantieren Lizenz-Einnahmen, sollten die Pharmazeutika Marktreife erlangen. Überdies gehen durch den Deal 500 Patente in den Besitz des Leverkusener Multis über. Auch eine Tochtergesellschaft, die für externe Auftraggeber Viren zu Gen-Fähren präpariert, gehört zum Paket. „Als einem aufstrebenden Unternehmen auf dem Gebiet der Gentherapien werden uns die Expertise und das Portfolio von ASKBIO bei der Etablierung hochinnovativer Behandlungsoptionen für Patienten unterstützen und unser Portfolio stärken“, erklärte BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich.

Mit dem Zukauf des Genmedizin-Betriebes, der innerhalb des Konzerns seine Eigenständigkeit behalten soll, will BAYER jetzt NOVARTIS & Co. Paroli auf einem Feld bieten, auf dem der Neuen Zürcher Zeitung zufolge ein „starker Konkurrenzdruck“ herrscht. Bei der Viren-Herstellung macht das Blatt sogar schon gewisse Überkapazitäten aus.

Viele Gefahren

Allzu lange währt der Boom noch nicht. Immer wieder gab es nämlich skandal-trächtige Zwischenfälle während der Erprobungen. 1999 machte der Tod Jesse Gelsingers bei einer Gentherapie-Studie weltweit Schlagzeilen. Der 18-Jährige litt an einer seltenen Stoffwechsel-Krankheit, und die Mediziner wollten in seine Leber ein Enzym einschleusen, das diese Gesundheitsstörung behob. Aber die Milliarden als Gen-Fähren benutzten Adeno-Erkältungsviren infizierten nicht nur wie vorgesehen die Leber-Zellen, sondern griffen auch Abwehr-Zellen an. Diesem Ansturm zeigte sich das Immunsystem des Jungen nicht gewachsen; es kam zu einem multiplen Organ-Versagen.

BAYER musste ebenfalls bereits Versuche wegen des Gefährdungspotenzials der Therapeutika einstellen. 2001 stoppte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde eine in Kooperation mit AVIGEN gestartete Testreihe zur Entwicklung eines Bluter-Präparats. Es hatten sich Adeno-Viren in der Samenflüssigkeit eines Probanden gefunden, was die Gefahr von Erbgut-Schädigungen bei den Nachkommen des Mannes heraufbeschwor.

Ein Jahr später diagnostizieren die MedizinerInnen bei einem der zehn Kinder, die in Frankreich an einem vom Mediziner Alain Fischer durchgeführten Gentherapie-Test zur Behandlung ihrer Immunschwäche-Krankheit X-SCID teilgenommen haben, Leukämie. 2003 tritt ein zweiter Fall auf, 2005 ein dritter. US-amerikanische WissenschaftlerInnen kommen später zu dem Schluss, dass dieses Mal nicht die Transport-Viren, sondern das eingeschmuggelte Gen selber den Krebs bei den drei jungen ProbandInnen ausgelöst hat.

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA reagierte schließlich und empfahl Gentherapie-Versuche auf bislang unheilbare Krankheiten zu beschränken. Das alles bremste die Euphorie merklich. Aber die ForscherInnen gaben nicht auf. So bauten sie statt auf Adeno-Viren vermehrt auf bloß noch adeno-assoziierte Viren (AAV), wie sie auch ASKBIO nutzt. „Pionierleistungen“ auf diesem Gebiet bescheinigt BAYER-Chef Werner Baumann seinem Neuerwerb stolz. Die Adeno-Viren 2.0. können keine Krankheiten übertragen, und ihre einzelnen Varianten bevorzugen jeweils bestimmte Zell-Typen, weshalb sich die AAV besser steuern lassen. Zudem ist die Krebs-Gefahr herabgesetzt, weil dieser Viren-Typ nur selten auf eine unspezifische Art Eingang in das Erbgut der Ziel-Zelle findet.
Trotz alledem bleibt das Risiko-Potenzial von Gentherapien hoch. Mitte Oktober 2020 meldete LYSOGENE den Tod einer Fünfjährigen, die gemeinsam mit 19 weiteren ProbandInnen an einer Arznei-Prüfung mit dem Gentherapie-Präparat LYS-SAF302 teilgenommen hatte. Das Mädchen litt an der Erbkrankheit Mucopolysaccharidose. Aufgrund eines defekten SGSH-Gens produzierte ihr Körper ein Enzym, das in den Zellen bestimmte Stoffe abbaut, nicht in ausreichendem Maße, so dass es zu Ablagerungen kam, die den zellulären Stoffwechsel störten. Die Prozedur aber, dieses Gen mittels adeno-assoziierter Viren durch ein funktionstüchtiges zu ersetzen, vertrug die Patientin nicht. Sie verstarb einige Monate nach der Gabe des Pharmazeutikums. Genauere Angaben zu den Umständen ihres Todes blieb das französische Unternehmen bisher schuldig. Erste Alarmzeichen in Sachen „LYS-SAF302“ gab es bereits vorher. Im Juni musste LYSOGENE die Studie einmal kurzzeitig unterbrechen, da die FDA Sicherheitsbedenken geltend gemacht hatte.
AUDENTES hatte im August 2020 über den dritten Todesfall bei einer Versuchsreihe mit Kindern informiert, die aufgrund eines defekten MTM1-Gens an der neuromuskulären Erkrankung „Myotubuläre Myopathie“ (XLMTM) leiden. Erste Tests mit adeno-assoziierten Viren, die eine korrekte Version des Gens in die Muskelzellen einbrachten, verliefen vielversprechend. Daraufhin hob AUDENTES die Dosis an und schraubte sie auf eine bisher bei solchen Erprobungen nur selten erreichte Höhe. Drei der 17 Probanden vertrugen die Injektion nicht und entwickelten eine Sepsis. Ihr Immunsystem identifizierte die AAV als fremde Eindringlinge und mobilisierte alle Abwehrkräfte. Dabei konnte es nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden und zerstörte so den ganzen Organismus.
Bei der Gentherapie-Studie „IGNITE DMD“ von SOLID BIO zur Behandlung der Muskel-Erkrankung Duchenne-Muskeldy-strophie (DMD) ereignete sich im November 2019 nach einer Dosis-Erhöhung ebenfalls ein Zwischenfall. Ein Patient reagierte darauf mit Nieren-Störungen. Daraufhin stoppte die FDA den Versuch und hob das Moratorium erst elf Monate später unter der Bedingung, weniger AAV zu verwenden, wieder auf. Das war bereits die zweite Intervention der Gesundheitsbehörde bei SGT-001. Die erste Pause musste SOLID BIO schon im März 2019 einlegen, weil bei einem Probanden Funktionsstörungen der Niere auftraten – schon die vorklinische Phase von IGNITE DMD hatte Hinweise auf eine solche Nebenwirkung erbracht.
Einer, der es wissen muss, beobachtet diese Entwicklung bereits seit längerer Zeit mit Sorge. Jim Wilson, der die für Jesse Gelsinger so fatale Gentherapie-Studie geleitet hatte, mahnte schon vor zwei Jahren mit Verweis auf die Erkenntnisse aus zwei neuen Studien: „Bei jedem biologischen Produkt stellen sich ab einer bestimmten Dosis toxische Effekte ein.“

Und selbst bei ZOLGENSMA hapert es nun. Bei immer mehr PatientInnen scheint die einmalige Gabe nicht zu reichen, weshalb einige MedizinerInnen sich zu einer Begleit-Behandlung mit anderen Pharmazeutika entschlossen haben. Auch die Bemühungen von NOVARTIS, das Anwendungsgebiet des Präparates auf Kinder bis zu fünf Jahren auszuweiten, zeigen bisher kein Erfolg. Nachdem präklinische Tests den Verdacht auf Rückenmarksentzündungen und Nervenzellen-Schäden geschürt hatten, stoppte die FDA Ende Oktober 2020 den Studien-Arm mit denjenigen ProbandInnen, die hochdosiertes ZOLGENSMA verabreicht bekamen. Gleiches tat die Behörde schon Ende 2019, und im September 2020 mahnte sie neue Untersuchungen an. Zudem deckte die Einrichtung bei den Tier-Versuchen, die NOVARTIS zur Zulassung des Medikamentes eingereicht hatte, Daten-Manipulationen auf. Sie entschied sich zwar, das Mittel trotzdem auf dem Markt zu lassen, behielt sich aber zivil- oder strafrechtliche Schritte vor.

Unsichere Aussichten

Ob der BAYER-Konzern also mit ASKBIO mehr Freude haben wird als mit MONSANTO, bleibt dahingestellt, zumal die Herstellung von Gentherapeutika einen hohen Produktionsaufwand erfordert. Ein Finanz-Analyst der Bank MORGAN STANLEY äußerte schon erste Zweifel. Seiner Ansicht nach zahlte der Leverkusener Multi einen zu hohen Preis für die US-Firma, da von ihr in den nächsten Jahren kein nennenswerter Beitrag zum Unternehmensumsatz zu erwarten sei.
Einen eigenen Forschungsbereich „Gentherapie“ aufzubauen, hätte den Konzern aber noch mehr Geld gekostet, sagte Pharma-Boss Stefan Oelrich in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. „Es wäre zu kosten-intensiv geworden und hätte auch zu lange gedauert. Mir ist es wichtig, dass BAYER in diesem wichtigen Zukunftsfeld der Medizin zeitnah vertreten ist“, so Oelrich.

Tatsächlich baut die Aktien-Gesellschaft auch sonst kaum noch auf die heimischen Labore. Mit dem Anfang 2018 gestarteten Rationalisierungsprogramm „Super Bowl“, das die Groß-InvestorInnen ihm abverlangt hatten, um die mit der MONSANTO-Übernahme verbundene Schuldenlast stemmen zu können, bereitete der Global Player auch einen Strategie-Wechsel im Arznei-Sektor vor. Und als der Agro-Riese im Zuge des Aktienkurs-Einbruchs nach dem ersten Schadensersatz-Urteil in Sachen „Glyphosat“ Ende 2018 den von BLACKROCK & Co. eingeforderten Kahlschlag verkündete und die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen annoncierte, setzte er deshalb nicht zuletzt bei der Pharma-Forschung an. Hier sah der Vorstandsvorsitzende die Streichung von 900 Jobs vor. Stattdessen wolle BAYER „eine verstärkte Ausrichtung auch auf externe Innovationen“ vornehmen, erklärte Baumann damals.

Und das tat der Konzern dann auch. Im letzten Jahr band er den Zelltherapie-Spezialisten BLUEROCK ganz an sich. Am 2. Dezember 2020 verschmolz der Leverkusener Multi ihn mit ASKBIO „zu einer neuen Plattform für Zell- und Gentherapie (C & GT)“, die bald Zuwachs erhielt. Am 7. Dezember gab er nämlich die Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen ATARA BIOTHERAPEUTICS bekannt, das Krebstherapien auf der Basis von CAR-T-Zellen entwickelt. Zudem kaufte die Aktien-Gesellschaft die britische Biotech-Firma KANDY, die an einem ohne Hormone auskommenden Mittel gegen Wechseljahres-Beschwerden arbeitet. Dazu kommen noch mehrere Kooperationsabkommen.

Allzu große Sprünge darf BAYER aber nach der dem 66 Milliarden Dollar schweren MONSANTO-Deal nicht machen. „Die Mittel sind beschränkt. Daher versuchen wir, spannende Medikamenten-Entwicklungen in frühen Phasen zu finden, die weniger kosten und ein höheres Wertsteigerungspotenzial besitzen“, so Oelrich. Diese Pharmazeutika besitzen allerdings auch ein höheres Risiko, die in sie gesetzten Profit-Erwartungen nicht zu erfüllen, weil sie es nicht bis zum fertigen Produkt schaffen. Dabei steht der Leverkusener Multi unter Zugzwang. Der Konzern muss liefern, sieht er sich im Pillen-Sektor doch mit dem baldigen Auslaufen der Patente für die umsatzträchtigsten Mittel konfrontiert, ohne Ersatz aus den eigenen Labors parat zu haben.

[Der Desaster-Deal] Immer mehr MONSANTO-Nebenwirkungen

CBG Redaktion

Der BAYER-Konzern hat sich bei der Übernahme des US-Unternehmens MONSANTO übernommen und muss deshalb zu drastischen Maßnahmen greifen. Zu spüren bekommen das hauptsächlich die Beschäftigten.

Von Jan Pehrke

BAYERs MONSANTO-Übernahme war erst wenige Wochen amtlich, da begann das Verhängnis auch schon. Es erging das erste Urteil in einem Prozess um Glyphosat-Entschädigungen. Am 10. August 2018 verurteilte ein US-amerikanisches Geschworenen-Gericht den Leverkusener Multi zur Zahlung von 289 Millionen Dollar. Die Aktie des Konzerns stürzte massiv ab und fing sich selbst dann nicht, als die Richterin Suzanne R. Bolanos die Strafsumme später auf 78 Millionen Dollar herabsetzte. Zum damaligen Zeitpunkt gab es nämlich noch fast 10.000 weitere Klagen. BLACKROCK und andere Investment-Häuser meldeten da Handlungsbedarf an – und der Agro-Riese lieferte. Er verkündete Ende November 2018 ein Einspar-Programm, das ein Volumen von 2,6 Milliarden Euro hatte und unter anderem die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen vorsah. Aber das reichte offenbar nicht. Ende September 2020 musste der Global Player eine Gewinn-Warnung verkünden und legte deshalb nach. Er gab Kürzungen in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro bekannt. Das erste Paket zum Maßstab genommen, liefe das auf den Verlust von 7.000 weiteren Stellen hinaus. Überdies will der Global Player sich von einzelnen Produkt-Segmenten seiner Agro-Sparte trennen.

Der Tag der Wahrheit

Über das ganze Ausmaß der Verluste berichtete BAYER am 2. November 2020 bei der Vorstellung der Zahlen für das dritte Quartal des Jahres. Der Konzern vermeldete einen Umsatz-Rückgang von 5,1 Prozent auf 8,5 Milliarden Euro. Besonders hohe Einbrüche verzeichnete er mit minus 11,5 Prozent im Landwirtschaftsbereich. Dafür nannte das Unternehmen eine ganze Reihe von Ursachen: den Verfall der brasilianischen Währung, gesunkene Lizenz-Einnahmen, Produkt-Retouren, die schrumpfende Nachfrage nach Biokraftstoffen, den Preisverfall bei Saatgut aufgrund des Konkurrenz-Drucks, den Handelskonflikt zwischen den USA und China, das Wetter – und natürlich Corona. Am Ende des Tages kam der Multi nicht darum herum, im Agro-Bereich eine Wertberichtigung in Höhe von 9,3 Milliarden Euro vorzunehmen. Zu zwei Dritteln waren dafür laut Konzern-Angaben Währungs- und Zins-Einflüsse verantwortlich und bloß zu einem Drittel das ausgebliebene Wachstum. Ob die Wertberichtigung eher auf das Konto des von dem Neuerwerb eingebrachten Sortiments geht oder den Altbestand betrifft, konnten – oder wollten – weder der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann noch Finanz-Vorstand Wolfgang Nickl näher aufschlüsseln. „Das lässt sich so genau nicht mehr sagen, was MONSANTO und was BAYER ist. Wir haben ein Cropscience-Geschäft“, so Nickl.
Der 2. November war aber noch aus einem anderen Grund ein entscheidendes Datum für die Aktien-Gesellschaft. Da lief nämlich die Frist ab, die der US-Richter Vince Chhabria für das Einreichen einer Vergleichslösung in Sachen „Glyphosat“ gesetzt hatte. Eine solche hatte der Leverkusener Multi eigentlich schon im Juni präsentiert, Chhabria verlangte jedoch Nachbesserungen. Der Konzern hatte nämlich falsche Angaben über die Zahl der bisher erreichten Einigungen mit den rund 125.000 Glyphosat-Geschädigten gemacht. Nicht drei Viertel aller Fälle hatte BAYER zum Abschluss gebracht, wie im Juni behauptet, noch nicht einmal annähernd so viele: Bis Ende August lagen bloß 30.000 Vereinbarungen vor. Darüber hinaus hatte der Agro-Riese einen äußerst fragwürdigen Vorschlag über den Umgang mit den zukünftig zu erwartenden Klagen vorgelegt, mit denen zu rechnen ist, da er sein hauptsächlich unter dem Namen „ROUNDUP“ vermarktetes Mittel partout auf dem Markt halten will. Das Ansinnen, kommende Verfahren der Zuständigkeit der Justiz zu entziehen und einem Wissenschaftsgremium zu überantworten, betrachtete Vince Chhabria als eine Missachtung des Gerichts. Er äußerte massive Zweifel daran, „ob es verfassungsgemäß (oder generell gesetzmäßig) wäre, die Entscheidung der Kausalitätsfrage (d. h. ob – und wenn ja, ab welcher Dosis – ROUNDUP in der Lage ist, Krebs zu verursachen) über Richter und Jurys hinweg an ein Gremium von Wissenschaftlern zu delegieren“.
Und diese Zweifel blieben über den 2. November hinaus ebenso bestehen wie die große Zahl nicht ausverhandelter Deals. Dabei wäre eine außergerichtliche Bereinigung bitter notwendig gewesen. Das hatte sich ein paar Tage vorher gezeigt: Am 21. Oktober 2020 nämlich lehnte der kalifornische Supreme Court BAYERs Antrag auf Berufung in dem vom Glyphosat-Geschädigten Dewayne Johnson angestrengten Verfahren ab, was die Aussicht auf einen Gewinn der juristischen Auseinandersetzung noch einmal schmälert.

Aber der Leverkusener Multi konnte zum Stichtag nicht liefern. „Obwohl Fortschritte erzielt wurden, wird dieser Prozess mehr Zeit brauchen“, erklärte der Agro-Riese. Er vermochte noch nicht einmal die genaue Zahl der bisher geschlossenen Übereinkommen zu nennen. „Im Zusammenhang mit glyphosat-basierten ROUNDUPTM-Produkten hat das Unternehmen zu etwa 88.500 Klagen verbindliche Vergleichsvereinbarungen abgeschlossen, ist derzeit dabei, diese abzuschließen oder hat sich dem Grund nach geeinigt“, hieß es lediglich. Damit war die Geduld Vince Chhabrias zuende. Der Richter hatte für die Zeit der Mediationsgespräche BAYERs mit den Geschädigten-AnwältInnen alle laufenden Glyphosat-Verfahren ausgesetzt. Am 10. November erklärte Chhabria jedoch, sie wieder vor Gericht bringen zu wollen, weil er keinen Aufschub mehr duldet: „Ich bin nicht daran interessiert, den Zeitplan für die Entscheidung dieser Fälle so lang zu strecken.“

Der Global Player sollte es noch nicht einmal schaffen, andere Rechtsstreitigkeiten, die er in einem Aufwasch mit dem Glyphosat-Komplex zu den Akten legen wollte, zu beenden, wie sich Anfang Dezember herausstellte. So fanden die Vereinbarungen, die der Konzern geschlossen hat, „um den wesentlichen Teil des Verfahrenskomplexes zu den Auswirkungen von PCB (Polychlorierte Biphenyle) in Gewässern beizulegen“, nicht die Gnade des Bezirksrichters Fernando Olguin. Er bezeichnete die Abmachungen als „zu weit gefasst“, weil diese BAYER vor allen zukünftigen Ansprüchen schützten, und nannte die den klagenden Städten in Aussicht gestellte Kompensation von 650 Millionen Dollar „sehr bescheiden“. Die Summe reiche zur Deckung der Kosten nicht aus, die den Kommunen durch das Herausfiltern der gesundheitsschädlichen Industrie-Chemikalie aus ihren Wasserversorgungssystemen erwüchsen, befand Olguin.

In Treue fest zum Deal

Trotz alledem hält der Leverkusener Multi weiter in Treue fest zu dem MONSANTO-Deal. Die JournalistInnen-Frage, ob die Übernahme ein Fehler war, verneinte Werner Baumann. Er sehe „dieses Geschäft langfristig sehr, sehr gut aufgestellt mit den führenden Positionen, die wir haben, und darüber hinaus auch einem langfristig wachsenden Markt“, beschied der BAYER-Chef Antje Höning von der Rheinischen Post. Der Nachrichtenagentur AFP gegenüber räumte er allerdings ein, die Kaufsumme von 59 Milliarden Euro wäre vielleicht doch ein wenig hoch ausgefallen. „Der Preis, den wir seinerzeit in 2016 bezahlt haben, war einer, der sich auch im Wettbewerb mehrerer Bieter ergeben hat“, so Baumann, die Bewertung eines Unternehmens wäre „auch immer eine Frage der jeweiligen Zeit“.
Das Presse-Urteil nach dem 2. November fiel verheerend aus. „MONSANTO wird zu BAYERs Mühlstein“ lautete die Überschrift des FAZ-Artikels – „Verkalkuliert“ lautete schlicht das Resümee des Blattes. „Letzter Platz, überall – der nächste Sturz einer deutschen Legende“ befand Springers Welt, und von einem „Desaster“ sprach die Wirtschaftswoche. Die Rheinische Post überschrieb ihren Kommentar derweil: „Mitarbeiter zahlen für BAYERs Milliarden-Fehler“. Zu Anfang verwies der Text auf die ehrgeizigen Ziele des Unternehmens: „Der Anspruch von BAYER ist groß: Nichts weniger als die Welternährung will der Leverkusener Konzern retten“, dann blickte er zurück: „Die Vergangenheit ist nicht minder groß: Als Apotheke der Welt hatte sich der Erfinder von ASPIRIN und Antibiotika einst einen Namen gemacht“, um schließlich in der Gegenwart anzukommen: „Groß sind bei BAYER nur noch die Verluste und die Zahl der Glyphosat-Kläger.“ Der letzte Satz lautete dann unmissverständlich: „Der Vorstandschef ist gescheitert.“ Und die LeserInnen stimmten zu. „In der Unterzeile zur Überschrift schreibt Frau Höning, dass die MOSANTO-Übernahme zum Alptraum wird. Das trifft es, denn Tausende Familien leben jetzt in der Angst um ihren Arbeitsplatz“, hieß es etwa in einem Brief an die Redaktion.

Auch die institutionellen Investoren kamen zu keiner anderen Einschätzung. „Die MONSANTO-Strategie ist unterm Strich bisher gescheitert“, konstatierte Ingo Speich von der Fonds-Gesellschaft DEKA. Der Aktien-Kurs reagierte entsprechend und sank am 3. November um fast zwei Prozent ab. Die Rating-Agentur MOODY’S hatte schon die Gewinn-Warnung Ende September zum Anlass genommen, den Ausblick für den Agro-Riesen von „stabil“ auf „negativ“ nach unten zu korrigieren. Da fühlte der Vorstand sich zu einer symbolischen Aktion aufgerufen. Allein Werner Baumann kaufte BAYER-Papiere im Wert von über 2,4 Millionen Euro zum Zeichen dafür, dass er an den Konzern glaubt.

Der Glaube des Konzerns an ihn ist allerdings nicht ganz so unerschütterlich. Der Vorstandsvorsitzende erhielt zwar einen neuen Vertrag, aber keinen mit der üblichen Laufzeit. Er endet nicht nach vier, sondern nach drei Jahren – auf Baumanns Wunsch, wie es hieß. Selbst das erscheint einigen Großinvestoren allerdings zu lang. Sie drängen auf eine frühere Ablösung. Zudem fordern einige Fonds eine Aufspaltung des Unternehmens. Und Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann hat beides nicht rundheraus abgelehnt, wie das Medienhaus Bloomberg berichtete. Erst einmal müsste aber die Causa „Glyphosat“ vom Tisch, so gibt ein Insider den Journalisten Eyk Henning und Tim Loh gegenüber die Worte von BAYERs Oberaufseher wieder. Auch in den kommenden Jahren dürfte beim Leverkusener Multi also keine Ruhe einkehren. 

[Berninger] BAYERs Mann für Grüne

CBG Redaktion

Der neue Konzern-Lobbyist Matthias Berninger

Um BAYERs Image war es schon vor dem MONSANTO-Deal nicht zum Besten bestellt. Die Übernahme des US-Konzerns, dem der Makel „schlimmstes Unternehmen der Welt“ anhängt, ruinierte den Ruf noch zusätzlich. Da mussten Image-Korrekturen her. Und wer könnte diese besser vornehmen als ein Mann mit einer Vergangenheit als Grünen-Politiker, dachte sich der Leverkusener Multi und verpflichtete Matthias Berninger.

Von Jan Pehrke
MONSANTO bereitet BAYER nicht bloß wegen der vielen Klagen in Sachen „Glyphosat“ Sorgen. Das schlechte Image, das dem US-Konzern anhaftet, tut ein Übriges. Mit dem Ruf des Leverkusener Multis war es zwar auch nie zum Besten bestellt, aber was jetzt noch erschwerend hinzukam, war selbst einigen AnlegerInnen zu viel. „BAYER hat unterschätzt, dass viele Investoren mittlerweile auch darauf achten, ihr Geld nachhaltig anzulegen“, sagt der Fonds-Manager Ingo Speich vom Vermögensverwalter UNION INVESTMENT. Und seine Kollegin Janne Werning sekundiert: „Reputation ist eine reale Wirtschaftsgröße.“ Das merkte der Global Player konkret, als er im September 2018 aus dem „DOW JONES Nachhaltigkeitsindex“ flog und seine Aktie danach aus vielen Depots verschwand.

Der Tatort-Reiniger
Es gab also Greenwashing-Bedarf. Und wer könnte so einen Job besser erledigen als ein ehemaliger Grünen-Politiker, dachte sich das Unternehmen und engagierte Matthias Berninger, obwohl dieser nicht mehr so ganz farbecht war. Nach seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter, parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium unter Renate Künast und wirtschaftspolitischer Sprecher hat er nämlich bereits beim Schokoriegel-Fabrikanten MARS Lobby-Dienste für Konzerne verrichtet. Beim Agro-Riesen leitet Berninger nun den Bereich „Public Affairs, Science & Sustainability“, den die Aktiengesellschaft extra für ihn geschaffen hat. Zu der Personalie hieß es beim Leverkusener Multi nur knapp: „Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Daneben engagierte das Unternehmen mit Ertharin Cousin, die ehemalige Direktorin des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen, als Aufsichtsrätin. Bluewashing pur. „Mit ihrer außergewöhnlichen Erfahrung im Ernährungsbereich sowie in der US-Regierung und bei den Vereinten Nationen rundet sie das Kompetenz-Profil des Aufsichtsrats in idealer Weise ab“, so der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning.

„Die Botschaft: BAYER wird ökologisch und sozial“, meinte Zeit online zum PR-Coup des Konzerns mit Matthias Berninger und Ertharin Cousin. Die Wirtschaftswoche wartete in ihrem Berninger-Porträt gleich mit einer Arbeitsplatz-Beschreibung auf: „Der Tatort-Reiniger von BAYER“. Die gesamte Branche hat es indessen laut Handelsblatt als „geschickte(n) Schachzug der BAYER-Führung gewertet, einen aus den Reihen der Öko-Bewegung als neuen Chef-Lobbyisten zu verpflichten“. Und Berninger selber ließ es sich nicht nehmen klarzustellen, er sei nicht trotz seiner grünen Überzeugung zum Agro-Riesen gegangen, sondern gerade deshalb. Und auch nicht trotz, „sondern wegen der Übernahme von MONSANTO“. „Ich tat es, weil es meine feste Überzeugung ist, dass das Unternehmen wie kaum ein anderes in der Welt dazu beitragen kann, die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“, meinte er trotzig in einem Spiegel-Interview.

Bei seinem ersten größeren Arbeitseinsatz im Mai 2019 musste der Mann sich aber erst einmal profaneren Dingen widmen. Da waren nämlich tatsächlich sofort seine Qualitäten als „Tatort-Reiniger“ gefragt, bescherten die sogenannten MONSANTO-Listen BAYER doch einen PR-Gau, der für Negativ-Schlagzeilen satt sorgte. Tausende Personen hatte MONSANTO von 2014 bis 2018 nach Recherchen französischer Medien durch die Firma FLEISHMANHILLARD ausspionieren lassen. Bis ins Private hinein schnüffelte das Unternehmen. So standen unter anderem auch „Freizeit und andere Interessen (Golf, Tennis, Jagd, etc.)“ im Zentrum der Aufmerksamkeit. Mit all diesem Wissen legte der Nachrichtendienstleister dann Dossiers an und teilte die PolitikerInnen, JournalistInnen, MinisteriumsmitarbeiterInnen und Akti-vi-stInnen dabei in Kategorien wie „Verbündete“, „mögliche Verbündete“, „zu erziehen“ oder „im Auge behalten“ ein, um seinem Auftraggeber eine zielgenaue Pflege der politische Landschaft zu ermöglichen.

Berninger distanzierte sich zunächst von den Praktiken. Es gebe eine Reihe von Beispielen, „wo, um in der Fußball-Sprache zu sprechen, man nicht den Ball gespielt hat, sondern eher auf den Mann gegangen ist oder auf die Frau“, so der Reputationsmanager. Aber nur um dann gleich zu verharmlosen: „Aggressive Lobby-Arbeit ist bei US-Firmen weit verbreitet.“ Der Leverkusener Multi kennt so etwas nach seinem Dafürhalten hingegen nicht (mehr): „BAYER steht (...) seit vielen Jahren für einen anderen Weg.“ Und überhaupt: Es gebe keine Hinweise auf ein illegales Verhalten, es könne sich auch um einen „Sturm im Wasserglas“ handeln. Immerhin versprach Matthias Berninger „maximale Transparenz“. Aber weder er selbst noch der Konzern sorgten für diese. Lieber als über das Gestern wollte der Chef-Lobbyist über das Morgen reden: „Man kann jetzt krampfhaft an der Vergangenheit festhalten oder sich den großen Herausforderungen der Zukunft zuwenden. Wir halten Letzteres für deutlich wichtiger.“ Also delegierte das Unternehmen das, was es für eine Aufarbeitung der Affäre hielt, an einen externen Dienstleister. Er beauftragte die Anwaltskanzlei SIDLEY AUSTIN mit einem Untersuchungsbericht und hielt ein paar Monate später den bestellten Persilschein in den Händen. „Keine Hinweise auf illegales Verhalten“, vermeldete der Leverkusener Multi postwendend. Damit war dann für ihn das Kapitel beendet.

Das Gesellenstück
Sein Gesellenstück durfte Matthias Berninger erst Mitte Juni 2019 vorlegen. Da veröffentlichte BAYER in großen bundesdeutschen und US-amerikanischen Tageszeitungen eine ganzseitige Anzeige. Sie trug die Überschrift: „Wir haben zugehört. Und verstanden.“ Der Konzern verfolgte damit ein einziges Ziel: die Bedenken zu zerstreuen, mit denen er sich wegen der MONSANTO-Übernahme konfrontiert sah. „Darum beginnen wir mit dem heutigen Tag, höhere Maßstäbe für unser Handeln zu setzen: für Transparenz, Nachhaltigkeit und unseren Umgang mit allen Interessensgruppen“, verlautbarte der Global Player in der Annonce. Er versprach, beim Verkauf seiner Pestizide in Entwicklungsländern mehr Vorsicht walten zu lassen und die Ackergifte dort nur noch anzubieten, „wenn diese auch den Sicherheitsstandards einer Mehrheit der führenden Zulassungsbehörden entsprechen“. Zudem kündigte das Unternehmen an, die Umweltbilanz seiner Agro-Chemikalien verbessern zu wollen und bis 2019 fünf Milliarden Euro in die Suche nach Alternativen zu seinem umstrittenen Produkt Glyphosat zu investieren. Aber vorerst sollte alles beim Alten bleiben: „Glyphosat wird (...) weiterhin eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft und in unserer Produkt-Palette spielen“.
Zu den Risiken und Nebenwirkungen zählt der Konzern sowieso bloß „Unkraut-Resistenzen“. Alles andere schreibt er „unbeabsichtigten Fehlanwendungen“ zu. Mit der angekündigten Kraftanstrengung bei der Suche nach einem Glyphosat-Ersatz ist es auch nicht allzu weit her. Bei den in Aussicht gestellten fünf Milliarden handelt es sich nicht um Extra-Geld, die Summe ist, wie ein Unternehmenssprecher gegenüber der Nachrichten-Agentur Bloomberg einräumte, vielmehr Teil des existierenden Etats für Forschung & Entwicklung. Und die Vergiftungsraten in den Ländern des Südens dürften sich auch durch den Schritt hin zu einer einheitlicheren Vermarktungspraxis nicht merklich reduzieren, denn mit den doppelten Standards möchte der Leverkusener Multi nicht grundsätzlich Schluss machen. Dafür hätte er versichern müssen, in diesen Ländern künftig nur noch Pestizide mit einer EU-Genehmigung zu vertreiben, was er wohlweislich nicht tat.

Der zweite Aufschlag
Der zweite Aufschlag Berningers erfolgte am 10. Dezember 2019. An diesem Tag stellte der Global Player seine große Nachhaltigkeitsstrategie vor. „BAYER wird seine Nachhaltigkeitsziele mit dem gleichen Nachdruck verfolgen und darüber berichten wie seine Finanzziele“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. So gelobte der Multi, bis zum Jahr 2030 ein klima-neutrales Unternehmen zu werden. Zu diesem Behufe gedenkt die Aktiengesellschaft, bei der Stromversorgung komplett auf Erneuerbare Energien umzusteigen und Ressourcen effizienter zu nutzen. Die verbleibenden Emissionen trachtet er zu kompensieren und zwar so, „dass CO2 im Boden gespeichert und Biodiversität gefördert wird“. Zudem will der Leverkusener Multi bis 2030 100 Millionen Kleinbauern und -bäuerinnen „in Ländern mit geringen und mittleren Einkommen“ unterstützen und dortselbst auch für 100 Millionen Menschen die Gesundheitsversorgung verbessern und 100 Millionen Frauen den „Zugang zu einer verantwortungsvollen Familienplanung ermöglichen“.

Wie eine runde Sache hört sich das indes nur wegen der glatten Zahlen an. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Paket um einen Flickenteppich aus vagen Ankündigungen, als Entwicklungshilfe getarnten Absatz-Strategien, Business as usual und teilweise hoch problematischen Elementen. Zudem erweist sich der Konzern als vergesslich: Die noch im Frühjahr unter dem „Wir haben zugehört. Und verstanden.“-Signum vorgestellten Maßnahmen, beispielsweise zum Umgang mit Pestiziden, fehlen in dem Sammelsurium.

In puncto „Klimawandel“ belässt es das Unternehmen bei Absichtserklärungen. Bei den Erneuerbaren etwa müsste der Leverkusener Multi binnen zehn Jahren von Null auf 100 kommen, ist bei ihm momentan doch nur ein „niedriger einstelliger Prozentsatz“ des Stroms made by Wind & Co. Auch die Rede vom „kompensieren“ macht skeptisch, denn da kommt Glyphosat ins Spiel. Der Global Player versucht das Mittel ungeachtet seines übergroßen CO2-Fußabdrucks bei der Herstellung als Klimaretter zu verkaufen, weil es den LandwirtInnen angeblich das Kohlendioxid freisetzende Pflügen erspare. Allerdings streiten die Agrar-ForscherInnen noch darüber, ob eine solche landwirtschaftliche Praxis wirklich das im Boden gebundene Kohlendioxid wieder entfesselt, und BAYERs Gewährsmann in dieser Frage, Professor P. Michael Schmitz, musste gerade seinen wissenschaftlichen Offenbarungseid leisten. Schmitz hat sich die Arbeit an solchen Sätzen wie „Mit einer angepassten Glyphosat-Strategie in der Fruchtfolge können ohne Ertragsreduzierung die Maschinen- und Arbeitskosten sowie der CO2-Ausstoß gesenkt werden“, nämlich von MONSANTO bezahlen lassen (siehe SWB 1/20). Dessen ungeachtet lancierte der Konzern im Juli 2020 die „Carbon Initiative“, in deren Rahmen er zunächst 1.200 LandwirtInnen aus Brasilien und den USA nach dem Motto „Von Pflugscharen zum CO2-Sparen“ dafür belohnen will, auf das Pflügen zu verzichten, was de facto auf eine Glyphosat-Prämie hinausläuft.
Und Menschen in „unterversorgten Regionen“ mit ASPIRIN, IBEROGAST und anderen nicht rezeptpflichtigen Arzneien zu fluten, wie der Pharma-Riese es vorhat, folgt nur dem Business-Plan, sich „low-income markets“ zu erschließen. Gleiches gilt für die – überdies alles andere als neue – Praxis des Unternehmens, mit freundlicher Unterstützung der „Bill & Melinda Gates Foundation“ und anderen Institutionen Familienplanung in den Ländern des Südens zu betreiben und dort Verhütungsmittel unter die Frauen zu bringen. BAYER hält es da mit dem ehemaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson: „Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar.“

Dabei erweist sich besonders der Einsatz des Präparates JADELLE, das Matthias Berninger in der Telefon-Konferenz mit den InvestorInnen zur Nachhaltigkeitsstrategie als Beispiel nannte, als hoch problematisch. Das Medizinprodukt, das in den Oberarm implantiert wird und dort über einen Zeitraum von fünf Jahren Hormone abgibt, hat nämlich starke Nebenwirkungen. Noch dazu kommt es nach Angaben der Initiative „Population Council“ bei der Entfernung des Kontrazeptivums aus dem Körper in 7,5 Prozent der Fälle zu Komplikationen. Damit nicht genug, zeugt die Verwendung des Mittels von Paternalismus, Kolonialismus und Rassismus, ist es doch „provider controlled“, also von den Nutzerinnen nicht selbstbestimmt ein- und absetzbar und von einem Konzern des globalen Nordens entwickelt, der es in den „weißen“ Ländern aber als nicht vermarktbar erachtet.
Die annoncierte Unterstützung von Kleinbauern und -bäuerinnen erscheint ebenfalls mehr als fragwürdig, denn BAYER stellt dabei nur auf LandwirtInnen ab, die „markt-orientiert arbeiten“. Der Konzern fasst unter diese Kategorie FarmerInnen mit einem „geringen und mitterem Einkommen“ und einer bewirtschafteteten Fläche von bis zu 10 Hektar. Diese machen jedoch nur zehn bis 25 Prozent der kleinbäuerlichen ErzeugerInnen aus. Und mit was will der Agro-Riese diese Gruppe beglücken? Mit „quality inputs and good agricultural practices“, also mit Glyphosat & Co. „Lassen Sie die Kleinbauern in Ruhe, sie sind keine Opfer“, forderte der Hauptgeschäftsführer der kirchlichen Entwicklungshilfe-Organisation Misereor, Pirmin Spiegel, denn auch Matthias Berninger in einem von der Wochenzeitschrift Die Zeit arrangierten Streitgespräch auf. Sarah Schneider, Spiegels Kollegin beim größten katholischen Hilfswerk stellte derweil die medien-wirksam präsentierte neue Nachhaltigkeitsstrategie des Agrar-Multis grundlegend infrage: „BAYER versucht, sich als Vorreiter in Sachen ‚Klimaschutz’ zu präsentieren. Doch wenn man etwas Entscheidendes fürs Klima tun will, brauchen wir weltweit den Wechsel zu einer ökologisch orientierten Landwirtschaft.“

Der Welternährungsmythos
Jenseits solcher längerfristig geplanter PR-Offensiven schwadroniert Matthias Berninger am liebsten über das Thema „Welternährung“. Er spinnt damit den Faden weiter, den der Leverkusener Multi aufnahm, um dem profanen MONSANTO-Erwerb höhere Weihen zu verschaffen. „Gemeinsam können wir noch mehr dazu beitragen, dass im Jahr 2025 zehn Milliarden Menschen satt werden“, verkündete Konzern-Chef Werner Baumann damals. Eine solche Mission kauften ihm aber noch nicht einmal die konservativen Zeitungen ab. Als eine „stets etwas salbungsvoll klingende Kapitalmarkt-Story für den Mega-Deal“ bezeichnete etwa die FAZ solche Bekenntnisse. Das hindert Berninger jedoch nicht daran, die Mär wieder und wieder zu erzählen. Bekannten gegenüber stellte er das Nahrungsmittel-Problem sogar als Grund dafür da, zu BAYER zu wechseln. „Wie die Welt innerhalb ihrer planetarischen Grenzen im Jahr 2025 fast zehn Milliarden Menschen ernähren kann, ist eine Frage, die mir Sorgen bereitet“, hieß es in der E-Mail: „In meiner neuen Rolle hoffe ich, einen bescheidenen Beitrag leisten zu können, diese Herausforderung anzugehen.“ In der Diskussion mit Pirmin Spiegel von MISEREROR durfte das Mantra deshalb nicht fehlen: „Wir müssen alles daransetzen, Lösungen zu finden, wie wir die wachsende Weltbevölkerung künftig ernähren und zugleich die planetaren Grenzen besser respektieren können – und zwar auf nachhaltige Art und Weise. Das schließt modernen Pflanzenschutz und innovatives Saatgut ausdrücklich mit ein.“ Sein Vorgesetzter Baumann wird in dieser Hinsicht noch deutlicher. „Es wäre illusorisch zu glauben, wir könnten ohne Pflanzenschutzmittel die bald acht Milliarden Menschen auf der Erde ernähren, die Biodiversität schützen und zugleich keine weiteren Flächen für die Landwirtschaft erschließen“, hält er fest. Und dann kommt natürlich auch gleich Glyphosat ins Spiel. „Wenn Unkraut nicht effektiv bekämpft wird, verlieren wir 30 bis 40 Prozent der Ernte. Ein Verzicht auf Glyphosat hätte nach wissenschaftlichen Berechnungen Ernte-Verluste im zweistelligen Millionen-Tonnen-Bereich zur Folge. Das können wir uns angesichts der steigenden Weltbevölkerung nicht leisten“, sagte Berninger in einem Spiegel-Interview. Als „systemrelevant“ bezeichnet er das Total-Herbizid deshalb. Nicht zuletzt um bei steigender Nachfrage nach Nahrungsmitteln den Flächenfraß zu vermeiden, ist dem Tatortreiniger zufolge eine intensive Landwirtschaft mit Glyphosat & Co. vonnöten.

Glyphosat als nachhaltiges Mittel gegen den Welthunger – diese Greenwashing-Geschichte hat BAYERs Mann fürs Grüne rund um das Pestizid gesponnen. Sie darf in keinem Interview fehlen, das er gibt. Aber auch die anderen Agro-Riesen fabulieren gerne in dem Stil. Die Initiative OXFAM hat diese Storys jüngst einem Fakten-Check unterworfen. Das Ergebnis fällt eindeutig aus: unterirdisch, durchgefallen, „Sechs“ – setzen! So hält die Organisation die Zahlen, mit denen BAYER & Co. die Notwendigkeit einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion (und damit auch des Einsatzes von Ackergiften) begründen, für nicht belastbar. In jene fließt nämlich nicht nur der mutmaßliche Bedarf an Lebensmitteln, sondern auch derjenige an Futtermitteln und Agrar-Rohstoffen zum industriellen Gebrauch ein. Den Zusammenhang zwischen der Menge an vorhandenen Nahrungsgütern und dem Hunger zweifelt OXFAM ebenfalls an. „Er suggeriert, dass eine höhere Produktion weniger Hunger bedeutet. Menschen hungern jedoch, weil sie extrem arm sind und sich keine Lebensmittel leisten können“, konstatiert die NGO. Darum spricht sie von einem „Welternährungsmythos“, den die Unternehmen aus einem bestimmten Interesse heraus kreiert haben: „Jenen, die den Welternährungsmythos bemühen, geht es in erster Linie um die Profite von Agrar-Konzernen und weniger um bessere Bedingungen für Hungerleidende.“

Verrat oder Konsequenz?
Matthias Berninger war sich bewusst, wie schwer sich die Grünen mit seinem neuen Job tun würden. Einige hat er sicherheitshalber sogar rechtzeitig vorgewarnt. Und zu manchen seiner ParteifreundInnen sei das Verhältnis jetzt auch „weniger herzlich“, räumt der studierte Lehrer ein. „Es gibt einige, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, gegen die Agrar-Konzerne zu kämpfen. Die verstehen meine Entscheidung sicher nicht. Es gibt aber eine Menge Leute, die an den Prinzipien der Aufklärung interessiert sind und verstehen, was ich hier mache“, schildert er die Reaktionen. Berninger selbst sieht sich als eine Art Entspannungspolitiker. „Beide Seiten können sich den alten Grabenkrieg nicht mehr leisten“, meint er und rüstet in einem Spiegel-Interview weiter ab: „Ich glaube, es ist ein Fehler, in alten Feindbildern zu denken, in Groß und Klein und Bio und Nicht-Bio.“ Bei seiner ehemaligen Chefin Renate Künast trifft seine Job-Wahl auf nicht viel Verständnis. „Matthias Berninger hat sich vor zwölf Jahren aus der Politik zurückgezogen, sagte sie laut Tagesspiegel: „Dass ich mich heute wundere, ist unerheblich.“ Kollege Harald Ebner sieht die Personalie vor allem als partei-schädigend an, da der Leverkuser Multi Berninger gerade als Grünen eingekauft hat. Dass BAYER diese private Eigenschaft ihres neuen Mitarbeiters herausstellt und für Image-Werbung missbraucht“, geht Ebner sehr gegen den Strich.

Dabei ist Matthias Berninger kein Einzelfall. Immer wieder wechseln Grüne die Seiten. Die ehemalige grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer übernahm bei der PR-Agentur PLEON den Bereich „Gesundheit“, die einstige Grünen-Vorsitzende Gunda Röstel heuerte bei GELSENWASSER an, die Bundestagsabgeordnete Marianne Tritz ging zum „Deutschen-Zigarettenverband“ und die einstige wirtschaftspolitische Sprecherin Kerstin Andreae zum „Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft“. Der Staatssekretär Volker Ratzmann lobbyiert indes seit Mai 2020 für die DEUTSCHE POST. Und Joschka Fischer dient sich gleich der ganzen Industrie an. Seine Unternehmensberatung JOSCHKA FISCHER & COMPANY arbeitete unter anderem schon für RWE, BMW und SIEMENS und versichert sich dabei auch der Mithilfe weiterer Partei-FreundInnen wie Dietmar Huber, Markus Kamrad und Michael Scharfschwerdt.

Aber auch die Partei als Ganzes sucht seit einiger Zeit verstärkt die Nähe zur Industrie. So rief sie im Jahr 2018 den Wirtschaftsbeirat ins Leben. „Wir Grüne im Bundestag streben eine sowohl ökonomisch als auch ökologisch erfolgreiche Wirtschaft an (...) Uns ist es wichtig, den Weg dorthin verlässlich, gerecht und krisenfest zu gestalten – und dabei alle mitzunehmen. Das geht nur, wenn die Wirtschaft diesen Weg mitgeht“, erklärt die Fraktion dazu. Folgerichtig hält der Wirtschaftsbeiratsleiter Danyal Bayaz fest: „Wir sind nicht industrie-feindlich“. Grenzen des Wachstums existieren für ihn dann auch nicht: „Wir sollten uns aber fragen, was wachsen soll und was nicht.“ Dafür, dass dabei nicht allzu viel auf dem Müllhaufen der Industrie-Geschichte landet, sorgen in dem Gremium unter anderem der BASF-Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller, sein Kollege Hagen Pfundner vom Pharma-Unternehmen ROCHE und der ehemalige BOSCH-Geschäftsführer Rolf Bulander. Sichtlich angetan zeigt sich dieser von den als „offen und konstruktiv“ empfundenen Diskussionen mit den Grünen: „Mein Eindruck ist, dass die Positionen der Wirtschaft aufgenommen und bearbeitet werden. Ob sich das dann letztlich in einer wirtschaftsfreundlichen Politik niederschlägt, muss sich aber noch zeigen.“ Da bleibt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nur noch, den Wirtschaftsbeirat über den grünen Klee zu loben: „Er dürfte einen wesentlichen Anteil daran haben, dass die Vorbehalte der Wirtschaft gegenüber den Grünen und umgekehrt zuletzt deutlich kleiner geworden sind“.

Der Wirtschaftskongress, zu dem Bündnis 90/Die Grünen Anfang März 2020 geladen hatten, stand dementsprechend unter der Losung „Gemeinsam den Wohlstand von morgen sichern“. Auf den Foren und Podiumsdiskussionen tummelten sich unter anderem Joe Kaeser von SIEMENS sowie VertreterInnen der SALZGITTER AG und des „Verbandes der Chemischen Industrie“. Der BUND warnte aus gegebenem Anlass vor „einem Schulterschluss mit der Industrie“ bei der Aufgabe, die Produktionssphäre klima-freundlicher zu gestalten: „Auch wenn einzelne Unternehmen vorbildlich voranschreiten, haben sich große Industrie-Unternehmen und die Interessensvertretung der deutschen Industrie bisher als größte Blockierer dieses Umbaus hervorgetan.“

Ein Wesensmerkmal des wirtschaftsfreundlichen Kurses ist das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, wenn sie denn sozial und ökologisch ist. Märkte können, wie es in dem Beschluss des Bielefelder Parteitags vom 17. November 2019 mit Verweis auf die Finanzkrise von 2007 heißt, „nicht nur verheerende Krisen entzünden“, sondern auch, „wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird“. Berninger sieht diese schon ante portas, für die nötigen Anreize haben ihm zufolge ausgerechnet BLACKROCK & Co. gesorgt. „Unser größter Investor BLACKROCK fordert etwa eine Klimaschutz-Strategie, genauso wie viele der anderen großen Anleger. Die unsichtbare Hand des Marktes wird grün, glauben Sie mir“, versichert er in dem Zeit-Interview.

In ihrem Ende Juni 2020 vorgestellten Grundsatz-Programm vertrauen die Grünen solchen Kräften eingedenk des Marktversagens, das sich im Angesicht von Corona offenbart hat, allerdings nur bedingt. „Es gilt das Primat der Politik, auch gegenüber Wirtschaft und Kapital“, heißt es stattdessen. Und jene müsse „mehr tun, als nur einen Rahmen zu setzen“, so die Partei, unregulierte Märkte seien „zukunftsblind, krisenanfällig und instabil“.

Auf solche und andere Programm-Punkte reagierten die neuen Freunde aus den Konzernen etwas ungehalten. Hatten sich die Grünen nach Ansicht der FAZ in letzter Zeit „immer biegsamer in der Wirtschafts- und Sozialpolitik“ gezeigt, so machte die Zeitung jetzt eine gewisse Erstarrung aus. „Sie schleifen hier ein wenig an den Eigentumsrechten, feilen dort am Wettbewerb, huldigen Protektion. Das ist die falsche Richtung für ein Land, das nach der Pandemie um seinen Wohlstand ringen muss“, konstatierte das Blatt. Auch dem „Bundesverband der deutschen Industrie“ missfiel in seiner Analyse der grünen Vorstellungen, die sich auf 20 Seiten erstreckte, so einiges. „Undifferenziert wird in Ziffer 67 gefordert, es müsse ‚die Verschmutzung der Erde mit Plastik, Müll, Chemikalien und Pestiziden ein Ende haben’. Der erhebliche Nutzen von Kunststoffen und chemischen Stoffen wird negiert. Eine solche Stigmatisierung ist aus BDI-Sicht abzulehnen“, so der Lobby-Club. Die Steuererhöhungspläne erzürnen ihn ebenfalls: „Unverständlich bleibt die unternehmensfeindliche Steuerpolitik als wesentlicher Bestandteil der grünen Programmatik.“ Und schließlich warfen die Maßstäbe, nach welchen die Partei ökonomisches Handeln ausgerichtet wissen wollte, Fragen auf. Wer etwa meinte, an einem Satz wie „Wirtschaftliche Aktivität muss sich an langfristigen Zielen und gesamtgesellschaftlichem Wohlstand ausrichten“ gebe es nicht viel zu deuteln, der kennt den BDI schlecht. Er versah die Sentenz mit der Anmerkung „Diskussionsbedarf“, und den meldete der Bundesverband noch bei vielen weiteren Passagen an. „Unklar ist, ob die Partei in Zukunft tatsächlich den Weg einer wirtschaftsfreundlicheren Politik einschlägt“, merkte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang deshalb an.

Der Verband fand jedoch auch lobende Worte, etwa für das klare „Ja“ zum Industriestandort Deutschland und zur Herstellung auch solcher Produkte in Europa, die wie Stahl, Glas, Papier und Chemikalien im Fertigungsprozess viel Energie verschlingen. Und die Gentechnik nicht mehr allein unter dem Gesichtspunkt der Risiken, sondern auch dem der Chancen beurteilen zu wollen, fand gleichfalls die Zustimmung des BDI.

Ebenso positiv fielen die Bewertungen zur Europa- und Sicherheitspolitik der Grünen aus. Das Bekenntnis zur Gewalt als Instrument der Konfliktlösung – natürlich immer nur als „äußerstes Mittel“ – fand ebenso die Zustimmung der KlassensprecherInnen von BAYER & Co. wie das zur NATO und zum Prinzip der Schutzverantwortung, das militärische Eingriffe „out of area“ völkerrechtlich erst ermöglicht. Die Abkehr vom Pazifismus vollzog die Partei aber schon lange vorher, nämlich mit der Zustimmung zum Kosovo-Krieg im Jahr 1999. Und auch die Verabschiedung von anderen ehemaligen grünen Grundpositionen geschah nicht erst 2020.

Die Grünen & die CBG
Parallel zu dieser Entwicklung entfremdeten sich die Grünen immer mehr von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. „In den 80er Jahren hat die Bundestagsfraktion der Grünen geschlossen das sogenannte Umwelt-Zentrum des Konzerns im Stammwerk Leverkusen besetzt und zusammen mit BAYER-KritikerInnen aus aller Welt Seite an Seite ‚Für sofortigen Ausstieg aus der Chlorchemie’ und eine ‚Sanfte Chemie‘ gekämpft“, erinnert sich CBG-Urgestein Axel Köhler-Schnura: „Heute sichern ehemalige Top-Leute der Grünen wie Matthias Berninger das Image des Konzerns. Das ist Greenwashing im wahrsten Sinn des Wortes!“
Aber selbst damals bei den Protesten gegen die Rhein-Verschmutzung des Konzerns scherten schon einige aus und setzten stattdessen auf Kooperation mit dem Unternehmen. Unter Joschka Fischer verstärkte sich diese Tendenz dann noch einmal. Die Partei verabschiedete sich von der „sanften Chemie“ und Forderungen wie dem Ausstieg aus der Chlorchemie. BAYER zeigte sich mit großformatigen Anzeigen in der Mitglieder-Zeitschrift Schrägstrich erkenntlich. Sogar zu Treffen mit den Bossen der Chemie-Multis kam es. Heute setzt die grüne Co-Vorsitzende Annalena Baerbock die Tradition fort. Mitte August 2020 machte sie BAYER-Chef Werner Baumann ihre Aufwartung. Sie bekundete zwar, „dass ich heute hier bin, heißt nicht, dass ich einige Sachen nach wie vor nicht verstehe oder anders machen würde als BAYER“, signalisierte aber Bereitschaft zur Zusammenarbeit. So erklärte Baerbock etwa vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, es ginge nun darum, „gemeinsam zu Lösungen zu finden, wie wir im Bereich ‚Gesundheit’ besser gewappnet sein können.“

Die Entwicklung Matthias Berningers steht also in einem gewissen Kontext, wenngleich es immer noch genug Grüne gibt, die den Idealen von einst nicht abgeschworen haben. So ganz auf Berninger verlassen will sich indessen auch der Leverkusener Multi nicht. Er verpflichtete neben dem Mann fürs Grüne mit Max Müller auch noch einen Mann für Grobe. „Um die Reputation zu verbessern, kommt jetzt einer der erfahrensten und effektivsten Lobbyisten des Gesundheitswesens: Max Müller“, kommentierte DAZ.online die Verpflichtung. Während der ehemalige Grünen-Politiker sich beim Global Player um die „Public Affairs“ kümmert, die in Washington so anfallen, antichambriert Müller künftig in Berlin und in Brüssel. Der Konzern warb ihn von der Versand-Apotheke DOCMORRIS ab, der Müller gute Dienste geleistet hatte. So schaffte es der Jurist zwar nicht, das Fremdbesitz-Verbot für Apotheken zu kippen und dem Online-Handel mit Medikamenten die Gewährung von Rabatten zu ermöglichen, aber immerhin gelang es ihm, eine Reihe von PolitikerInnen unterschiedlicher Parteien für seine Agenda zu gewinnen. Besonders gut kennt der PR-Profi Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Beide lernten sich bei dem von Müller gemeinsam mit dem Journalisten Martin S. Lambeck ins Leben gerufenen Gesprächskreis „Politik und Wein“ kennen und kamen bald miteinander ins Geschäft. Mit der Beratungsagentur POLITAS machten sie ab 2006 Spahns gesundheitspolitische Kontakte zu Geld. „Wir hatten beide Lust, die Gesundheitsbranche ein bisschen aufzumischen“, so Max Müller. Spahn verlor daran erst den Spaß, als seine Beteiligung an POLITAS wegen der Vermengung von Politik und Geschäft massiv in die Kritik geriet: „Heute würde ich anders handeln.“
Müller operiert im Stillen. Bis jetzt weiß Google von seinen Aktivitäten für BAYER nichts. Matthias Berninger wäscht seine grüne Wäsche dagegen vorzugsweise in aller Öffentlichkeit, weil es dazu zwangsweise Publikum braucht.

Dass es zu einem Grünen in BAYER-Diensten kommen konnte, hält die Coordination für eine fatale Entwicklung. In einer Erklärung zur Causa „Berninger“ hält sie fest: „Konzerne wie BAYER ruinieren Klima, Wasser, Umwelt. Sie gefährden den Frieden und die soziale Harmonie. Sie gefährden Gerechtigkeit und soziale Sicherheit. Alles zu Gunsten der Profite. Die Welt lässt sich nicht mit solchen Rendite-Jägern retten. Die Grünen, die einen Berninger möglich machten, stehen auf der falschen Seite und verraten ihre GründerInnen, ihre Programmatik und ihre Unterstützer- und WählerInnen. Nicht Lobbyismus für BAYER & Co. ist das Gebot der Stunde, sondern ein Ausstieg aus dem Profit-Prinzip. Klima- und Umweltzerstörer wie BAYER müssen unter demokratische Kontrolle gestellt werden.“ ⎜

[Missglückte Flucht] Die BAYER-Hauptversammlung 2020

CBG Redaktion

Weltweit steht kein Unternehmen so unter Beobachtung wie der BAYER-Konzern. Seit 1978 schon schaut ihm die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf die Finger, rund um die Uhr, rund um den Globus. Auf den Hauptversammlungen der AktionärInnen ist sie seit 1982 präsent. Von Anfang an versuchte der Leverkusener Multi, diese Kritik loszuwerden. Dazu war ihm jedes Mittel recht. Er diffamierte und verleumdete, unterwanderte und schleuste Spitzel ein, doch nichts fruchtete. Ein Vorstandsvorsitzender nach dem anderen trat ab, doch die Coordination blieb. Damit sollte 2020 endgültig Schluss sein: Im Windschatten der Corona-Pandemie hebelte der Global Player die AktionärInnen- und Grundrechte aus und floh mit seiner Hauptversammlung ins Internet. So wollte er sich der Proteste entledigen. Doch die Rechnung ging nicht auf.

Von Marius Stelzmann und Axel Köhler-Schnura

Die AktionärInnen-Hauptversammlungen des BAYER-Konzerns sind weltweit einzigartig. Seit 1982 werden sie durchgehend von Protesten begleitet. Nicht nur auf der Straße, vor den Türen der Hauptversammlung, sondern auch im Saal an den Mikrofonen werden die Kehrseiten der Profite und die Verbrechen des Unternehmens thematisiert. Gegenmaßnahmen des Konzerns – und davon gab es viele – fruchteten nicht. Jahr für Jahr übertragen Hunderte von AktionärInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) immer wieder aufs Neue zehntausende Aktien-Stimmrechte. Einmal waren es sogar Millionen, was die CBG in die Lage versetzte, die Tagesordnung verändern zu können.

HV-Kritik seit 1982

Dutzende der von BAYERs Geschäftspolitik betroffenen Menschen aus aller Welt – Medikamentengeschädigte, AnwohnerInnen der Werke, Pestizid-Vergiftete und andere – sie alle erhalten durch die Stimmrechte der Kritischen AktionärInnen der CBG auf jeder Hauptversammlung eine Stimme. Darüber hinaus reicht die Coordination zu allen Tagesordnungspunkten regelmäßig Gegenanträge ein.
Zunehmend ging es auf den Hauptversammlungen des BAYER-Konzerns nicht mehr nur um Profit, Gewinn und Dividende, sondern um die Kehrseiten der Bilanzen. Dutzende RednerInnen thematisierten die Risiken und Nebenwirkungen der gnadenlosen Profit-Jagd: die Umweltverseuchung, die Klima-Erwärmung, die Gesundheitsschädigung durch BAYER-Produkte, die Arbeitsplatz-Vernichtung und andere Konzern-Verbrechen.

Im Jahr 2019 dann die geschichtlich einmalige Sensation: Was sonst immer nur die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gefordert hatte, wurde Wirklichkeit: Die Hauptversammlung entlastete BAYERs Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann nicht! Dieses historische Ereignis wurde möglich, weil die Glyphosat-Prozesse dem Konzern gleichzeitig moralischen und wirtschaftlichem Schaden einbrachten. Die von der Öffentlichkeit in aller Welt aufmerksam verfolgten juristischen Verfahren mit ihren Schadensersatz-Urteilen hatten dramatische Folgen für BAYER. Glyphosat wurde der Inbegriff für alles, was im agro-industriellen Modell der Landwirtschaft schiefläuft. Zu guter Letzt veränderte dies auch die Haltung der AktionärInnen. Sie verkauften ihre Papiere in Panik, der Kurs der BAYER-Aktie stürzte daraufhin massiv ab. Das Unternehmen verlor zwischenzeitlich mehr als die Hälfte seines Börsenwertes. Als Folge davon traten „Großinvestoren“ wie BLACKROCK und andere auf den Plan und entzogen dem Vorstand am 26. April 2019 ebenfalls das Vertrauen. Zwar gab der Aufsichtsrat noch in der Nacht nach der HV ein Treuebekenntnis ab und hielt den Vorstand unverändert im Amt, doch änderte das nichts an der Tatsache, dass eine Mehrheit aller Aktien gegen den BAYER-Chef Werner Baumann gestimmt hatte. Und das waren immerhin fast 300 Millionen Aktien!

Wenning muss gehen

Noch vor der Hauptversammlung 2020 wirkte das HV-Desaster aus dem Jahr 2019 nach. Zur Bilanz-Pressekonferenz im Februar 2020 wurde ohne Nennung weiterer Gründe bekannt gegeben, dass der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning vorzeitig gehen muss. Klar war hier, dass Wenning abgestraft werden sollte, denn er war es, der die Übernahme von MONSANTO eingefädelt hatte und mit seinem Schützling Werner Baumann realisierte. Soweit die Vorgeschichte. Was dann kam, stellte allerdings alle Vorstellungen für die diesjährige Hauptversammlung auf den Kopf.

Für die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN starteten die Vorbereitungen bereits im Dezember 2019. Bis sich die Welle des Protestes aufschaukeln kann, muss nämlich lange vorgearbeitet werden. Es gilt, BündnispartnerInnen einzubinden und Kontakte in alle Welt aufzubauen. Planen, planen, planen, heißt die Devise. Die CBG wollte sich frühzeitig rüsten, denn sie weiß um die Bereitschaft des Konzerns, dem Protest und Widerstand immer wieder Steine in den Weg zu legen.
Als das neue Jahr begann, fühlte sich die CBG gut aufgestellt. Schließlich hatte sie Auftrieb durch die letzte Hauptversammlung bekommen, als die Coordination nicht nur den größten Protest in der Geschichte des Konzerns auf die Beine gestellt, sondern darüber hinaus daran mitgewirkt hatte, ein historisches Novum zu schaffen: Die Nicht-Entlastung eines BAYER-Vorstands.

Im Windschatten dieses Erfolges vermochte die CBG ihr Protest-Bündnis stark zu verbreitern. Die junge Protestbewegung der FRIDAYS FOR FUTURE (FFF), welche die letzte Hauptversammlung mit einer 500 Personen starken Demonstration heimgesucht hatte, setzte 2020 passenderweise einen Klimastreik kurz vor der Hauptversammlung an: Am 24. April. Auch hatte sich zu Beginn des Jahres das „BLOCK BAYER“-Bündnis konstituiert, welches zivilgesellschaftliche Blockaden der Pestizid-Produktionsstätten des Leverkusener Multis plante, um auf die verheerenden Folgen von Glyphosat & Co. für Mensch, Tier und Umwelt aufmerksam zu machen.

Weg vom Freitag

Die Konzernführung beobachtete den sich organisierenden und vernetzenden zivilgesellschaftlichen Widerstand sorgfältig und plante ihre Antwort. Der erste Schritt kam zu Jahresanfang. War die Hauptversammlung ursprünglich immer auf einen Freitag terminiert, so änderte BAYER das diesmal. Das Unternehmen legte das AktionärInnen-Treffen erstmals auf einen Dienstag. Offensichtlich hatte der Vorstand keine Lust, nochmals Besuch von FRIDAYS FOR FUTURE zu erhalten.
Ende Februar dann die Bilanz-Pressekonferenz des BAYER-Konzerns. Der Termin für die HV 2020 wurde da offiziell verkündet: Dienstag, 28. April. Ein nicht nur im Hinblick auf den Wochentag wohlweislich gewähltes Datum. An diesem Tag fand nämlich zufällig auch die RWE-Hauptversammlung statt, und der Konzern baute darauf, dass der Klima-Protest dorthin ziehen würde. Das nach dem Aktienrecht vorgesehene Prozedere zur HV sollte dann Anfang März mit der offiziellen Einladung des Konzerns starten.

Parallel zu diesen Entwicklungen hatte sich allerdings der Corona-Virus ausgebreitet, was weltweit für mehr und mehr Veränderungen im normalen gesellschaftlichen Geschehen sorgte. So auch in Deutschland. Kaum war die Einladung zur Hauptversammlung von BAYER veröffentlicht, erfolgten die ersten Verordnungen zu Verboten von Veranstaltungen. Die Hauptversammlungen der Konzerne waren ebenfalls davon betroffen. Es machte sich Unsicherheit breit, einige Konzerne gaben Verschiebungen ihrer AktionärInnen-Versammlungen bekannt. Bei BAYER allerdings herrschte Schweigen im Walde. Die Öffentlichkeit wunderte sich, Woche um Woche verstrich, der Termin der Hauptversammlung wurde nicht geändert. Nicht bekannt war allerdings, dass BAYER längst im Stillen mit seinen Lobby-Verbänden und einer Beraterfirma die Bundesregierung massiv bearbeitete, um rechtliche Voraussetzungen für eine Verlagerung von Hauptversammlungen ins Internet zu erreichen. Und der Multi hatte damit Erfolg: Im Schatten der weltweiten Corona-Pandemie erwirkte BAYER in Kooperation mit anderen Konzernen ein Aktionärs-Notstandsgesetz, das als Teil des „Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie“ ohne jede öffentliche und ohne jede demokratische Debatte am Bundestag vorbei durchgepeitscht wurde.

Der BAYER-Coup

Offenkundig war das von langer Hand geplant, denn die Konzerne träumten schon lange von virtuellen Hauptversammlungen im stillen Kämmerlein ohne lästige Proteste. Die Corona-Pandemie kam da nur zur rechten Zeit und lieferte einen Vorwand. Entsprechend verkündete der Konzern kurz nach der Verabschiedung die Corona-Notstandverordnung, die Hauptversammlung ins Internet verlegen zu wollen.
Womit das Unternehmen allerdings nicht gerechnet hatte, war die Gegenwehr, die die CBG in Kooperation mit dem DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE organisierte. So veröffentlichten die beiden Initiativen einen Offenen Brief, der „die beispiellose Aushebelung der Aktionärs- und Grundrechte“ massiv anprangerte. Diese Kritik fand sofort ihren Weg in die Öffentlichkeit. Selbst traditionelle Kleinaktionärsvereinigungen und die Wirtschaftspresse von Handelsblatt bis Wirtschaftswoche und Capital schlossen sich der im Offenen Brief zum Ausdruck kommenden Bewertung des undemokratischen BAYER-Vorgehens an. Das Schreiben, auf das der Konzern nie offiziell reagiert hat, ist auf der CBG-Internetseite zu finden: www.CBGnetwork.org.

Bereits vor der Corona-Krise war es der CBG überdies gelungen, Kontakt zu den US-amerikanischen KritikerInnen von BAYER/MONSANTO aufzunehmen. Zu diesen zählt die Journalistin Carey Gillam, die von MONSANTO wegen ihrer Recherchen mit einer massiven Schmutzkampagne überzogen wurde. Auch vernetzte die Coordination sich mit zahlreichen Menschen, die durch Glyphosat gesundheitlich geschädigt wurden.
Kontakte baute die CBG zudem in vielen anderen Länder auf: Kanada, Neuseeland, Australien, viele Staaten Lateinamerikas, aber auch in anderen europäischen Nationen wie der Schweiz, Österreich oder auch Frankreich fand sie KooperationspartnerInnen.

In Deutschland schuf die CBG ebenfalls ein breites Bündnis des Protestes. Dieses umfasste neben BLOCK BAYER und FRIDAYS FOR FUTURE u. a. die Partei DIE LINKE, INKOTA, MISEREOR, die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT, OXFAM, den BUND, SUMOFUS, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und COLABORA TOGETHER. Viele der Gruppen stimmten schon im Vorfeld mit Presseerklärungen auf die HV ein, und fast alle lieferten auch am Tag selber Beiträge.

Proteste trotz Corona

Die Notstandsverordnung zum Aktienrecht erlaubte es BAYER nicht nur, das Rederecht der AktionärInnen zu suspendieren und nur noch – vorher einzureichende – Fragen zuzulassen, sondern auch noch eine ganze Reihe weiterer undemokratischer Einschränkungen vorzunehmen. Der Konzern erhoffte sich davon, die Proteste der CBG sowie der anderen KleinaktionärInnen auszuhebeln. Die Fristen für die Abwicklung der Formalitäten wurden von ursprünglich sechs Wochen auf wenige Tage verkürzt. Die Verfahren für AktionärInnen, um an der HV überhaupt teilnehmen, die Stimmrechte übertragen, Fragen stellen und abstimmen zu können, wurden zudem massiv verkompliziert, was die abschreckende Wirkung noch einmal erhöhen sollte.

Doch die CBG trug dieser veränderten Situation Rechnung. In Windeseile wurden die mehreren hundert mit der CBG kooperierenden AktionärInnen informiert. Gemeinsam mit ihnen setzte die Coordination dann alle technischen Anforderungen um. So wurde es möglich, mehrere zehntausend Stimmrechte zu realisieren, mehrere Dutzend Konzern-KritikerInnen in der virtuellen HV bei BAYER zu platzieren, weit über einhundert Fragen einzureichen und an der Abstimmung über alle Anträge teilzunehmen.

Protest real & virtuell

Parallel dazu gingen die anderen Vorbereitungen der Coordination gegen BAYER-Gefahren weiter. Dabei hielt die CBG an der Tradition fest, die Proteste zur BAYER-Hauptversammlung mit einer Auftakt-Veranstaltung einige Tage vor der eigentlichen HV einzuläuten. Seit jeher führt die Coordination nicht nur Aktionen durch, sondern liefert auch Argumente für die Konzern-Kritik. Dies wollte sie auch in diesem Jahr tun, allerdings notgedrungen komplett online, in Form eines international besetzten Podiums.

Und da die CBG damit rechnete, dass die Proteste in ihrer ursprünglichen Gestalt keinen Eingang in BAYERs Online-Stream finden würden, stellte sie eine ganztägige Parallelaktion im Netz auf die Beine. Hier sollten neun Stunden lang begleitend zur BAYER-Hauptversammlung KritikerInnen des Konzerns aus aller Welt zu Wort kommen. Zugleich war geplant, BAYERs Online-HV in Live-Blöcken zu bestimmten Uhrzeiten zu kommentieren. Überdies war die Möglichkeit gegeben, dass sich zu diesen Nachrichten-Blöcken auch JournalistInnen per Hotline direkt durchschalten lassen und Fragen stellen konnten. Unter dem Motto „BAYER geht online, der Protest auch“ wurden die Proteste auf allen für die CBG erreichbaren Internet-Kanälen im In- und Ausland bekannt gemacht: auf YouTube, verschiedenen Internetseiten, Facebook, Twitter etc.

Trotzdem fand die CBG es aber auch nach wie vor sehr wichtig, auf der Straße zu demonstrieren. Doch wo, wenn es keine reale HV gibt? Natürlich vor dem BAYER-Studio in der Leverkusener Konzern-Zentrale! Mit einer solchen Demonstration sollte nicht nur die Tradition des Straßenprotestes zur BAYER-HV fortgeführt werden, es sollte auch deutlich gemacht werden, dass sich Protest selbst in Zeiten von Corona nicht zum Schweigen bringen lässt und dass die Coordination Grundrechte auch in dieser Situation verteidigt wissen will. Ihr war aber klar, dass sie um eine solche Demonstration kämpfen musste. Zunächst erhielt die Coordination den Bescheid, dass alle Kundgebungen verboten seien – und einen Insider-Hinweis mit der Information, dass der „Krisenausschuss“ der Stadt Leverkusen auf Druck „einer bestimmten Firma“ hin ein komplettes Demonstrationsverbot für Leverkusen erlassen hätte.

Doch glücklicherweise kam das Bundesverfassungsgericht zu Hilfe. Es stellte kurz vor der Hauptversammlung in einem Grundsatz-Urteil fest, dass auch in Corona-Zeiten Demonstrationen unter besonderen Voraussetzungen zugelassen werden müssten. Entsprechend erneuerte die CBG ihren Antrag und machte corona-gerechte Vorschläge für die Aktion. Und tatsächlich bekam sie einen Tag vor der HV per Email eine Sondergenehmigung. Dabei war sie bereits darauf vorbereitet, Rechtsmittel gegen das Verbot einlegen zu müssen. Mit politischer Hartnäckigkeit und juristischer Argumentation hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN so das Recht auf die Demonstration am Tag der HV durchgesetzt.

Erste Aktionen
Aber schon davor war so einiges los. Am 23. April hielten INKOTA, MISEREOR und die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Webinar zu den doppelten Standards von BAYER und BASF bei ihren Pestizid-Geschäften in Brasilien und Südafrika ab und schalteten dabei auch AktivistInnen aus diesen Ländern zu. Am darauffolgenden Tag fand der Online-Klimastreik von FRIDAYS FOR FUTURE statt. Unter anderem präsentierten die AktivistInnen im Internet eine Deutschland-Karte, auf der mensch in seiner jeweiligen Stadt mit Protest-Fotos zumindest virtuell vor Ort sein konnte, was die CBG – zusammen mit 87.000 anderen digitalen MitstreiterInnen – auch nutzte. Und zu dem am 25. April im World Wide Web von MULTIWATCH aus Basel im World Wide Web organisierten „March against BAYER & SYNGENTA“ schickte die Coordination eine Video-Botschaft.

Am 26. April fand dannwie geplant die internationale Online-Auftaktveranstaltung der CBG zu den HV-Protesten 2020 statt. Moderiert wurde sie von Christiane Schnura und Marius Stelzmann von der CBG.

>Lena Luig von INKOTA stellte dabei die Studie „Gefährliche Pestizide“ über die Pestizid-Verkäufe von BAYER und BASF in Südafrika und Brasilien vor. BAYER vermarktet in den untersuchten Ländern 15 Ackergifte, die keine EU-Genehmigung haben. Bei fünf davon lehnte Brüssel eine Zulassung wegen der Gesundheitsschädlichkeit der Mittel explizit ab oder widerrief diese.

>Falko Schröder von FRIDAYS FOR FUTURE gab zwei Tage nach dem Online-Klimastreik aus gegebenem Anlass Informationen zum Klimakiller BAYER und zu dem Druck, den das Unternehmen auf die Regierungen ausübt, um weiter ungehindert Kohlendioxid ausstoßen zu können.

>Anna Schönberg von der AKTION UNTERHOLZ berichtete über den praktischen Widerstand gegen die von BAYER, RWE & Co. betriebene klima-zerstörende Geschäftspolitik.

>Der US-Amerikaner Jeffrey Smith vom „Institute for Responsible Technology“ schaute tief ins Herz der Finsternis des agro-industriellen Modells von BAYER/MONSANTO, für das Glyphosat ein Sinnbild geworden ist. Sein Fazit: „Ein System, das die Intelligenz der Natur nutzt, braucht so etwas alles nicht“.

>Die bekannte Fernsehköchin und grüne EU-Politikerin Sarah Wiener schloss sich diesem Statement an und zog eine verheerende Bilanz der grünen Pestizid-Revolution.

Der große Tag

Am Tag der Hauptversammlung, am 28. April, dann die beiden Großprojekte: Die Kundgebung vor der Konzern-Zentrale und die ganztägige Protest-Begleitung von BAYERs Online-HV im Internet. Zur realen Demonstration vor der Konzern-Zentrale in Leverkusen hatten sich morgens um 9 Uhr 16 TeilnehmerInnen eingefunden. Vertreten waren neben der CBG die Partei DIE LINKE, LandwirtInnen, BLOCK BAYER und EXTINCTION REBELLION.

Der bekannte Liedermacher Konstantin Wecker schickte ein Video-Grußwort, mit dem die Kundgebung per Lautsprecher eröffnete. Die Reden der AktivistInnen, die alle live in den Protest-Stream der CBG eingespeist wurden, hatten nicht zuletzt das Versagen von BAYER im Angesicht der Corona-Pandemie zum Thema, was auch zur Forderung führte, den Konzern unter demokratische Kontrolle zu stellen. Und die Transparente der Kundgebung thematisierten dieses Mal nicht nur die Risiken und Nebenwirkungen von BAYERs gnadenloser Profit-Jagd, sondern auch die Aushebelung von AktionärInnen- und Grundrechte durch das Unternehmen. Sogar für ein kleines Kulturprogramm war gesorgt. Das Kölner Demo-Urgestein Klaus, der Geiger bestritt es.

Der neunstündige Online-Protest-Stream zur BAYER-HV bildete am 28. April das Kernstück des Protestes. Da kamen dann alle Probleme und Verbrechen auf die Tagesordnung, die bei der BAYER-Veranstaltung durch Abwesenheit glänzten. In einem ebenso kurzweiligen wie umfangreichen und sachkundigen Programm informierte die CBG den ganzen Tag durchgängig. Natürlich wurde da auch immer wieder darüber gesprochen, wie Konzernmacht eingedämmt und gebrochen werden kann. Nicht umsonst stand morgens bei der Real-Kundgebung auf einem der Transparente bereits die Losung „Brecht die Macht der Konzerne!“.

Viele, teils prominente Gäste und hochkarätige VertreterInnen aus Politik, Gesellschaft und Kultur gingen für die CBG auf Sendung. Von der Partei DIE LINKE war die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Fraktionschefin Sarah Wagenknecht zugeschaltet. Ebenso Gesine Lötzsch, auch Bundestagsabgeordnete sowie stellvertretende Fraktionschefin der Partei DIE LINKE und nicht zuletzt Eva Bulling-Schröter, ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken und CBG-Beiratsmitglied. Von den Grünen sprachen die ehemalige Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Renate Künast, sowie der Bundestagsabgeordnete Harald Ebner.

Zudem gab es Statements von Betroffenen der Geschäftspolitik von BAYER. So kamen Glyphosat-, DUOGYNON- und Verhütungsmittel-Geschädigte zu Wort. Auch ehemalige Heimkinder, an denen der Pharma-Riese einst Medikamente getestet hatte, erhielten ein Forum. Die Videos dokumentierten in erschütternder Weise die Schicksale der von den BAYER-Produkten geschädigten Menschen. Viele hatten neben ihren gesundheitlichen auch finanzielle und soziale Schäden erlitten, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten. Die Solidarität mit ihnen stellt eine der zentralen Säulen dar, auf denen die CBG ruht. Für BAYER wiederum ist der Kampf dieser Menschen um Schuldeingeständnisse des Vorstands und um angemessene Entschädigungen einer der Gründe dafür gewesen, in eine virtuelle Hauptversammlung zu flüchten, anstatt das AktionärInnen-Treffen zu verschieben.

Weltweite Beteiligung

Durch die Corona-Pandemie war es für unsere vielen ausländischen Gäste aus Lateinamerika, USA, Kanada und anderen Ländern nicht möglich, nach Deutschland zu reisen. Carey Gillam und andere internationale Gäste, darunter auch Glyphosat-Geschädigte, schafften es aber dennoch, am Tag der HV mit eigens aufgenommen Videoclips oder per Live-Zuschaltung ihre Stimmen hörbar und ihren Protest sichtbar zu machen.

Jeder Block des Online-HV-Protestes wurde von CBG-Vorstand Jan Pehrke eröffnet. Der für Stichwort BAYER verantwortliche Redakteur sprach am Morgen Einführungsworte, kommentierte und ordnete ein, was an dem Tag nebenan bei BAYER geschah und hielt nach, was BAYER-Chef Werner Baumann bei der Beantwortung der KritikerInnen-Fragen „vergaß“.

Aber das tat nicht nur Pehrke. Zahlreiche Netz-AktivistInnen waren dem Aufruf der CBG gefolgt und haben dem BAYER-Chef Werner Baumann bei seinen Ausführungen genau auf den Mund geschaut. Wenn er etwa auf den Klimawandel zu sprechen kam, posteten sie den genauen Kohlendioxid-Ausstoß des Konzerns: 3,71 Millionen Tonnen im Jahr 2019. Und wenn es um die Glyphosat-Klagen ging, lieferten sie die genaue Anzahl nach. Aber es gab natürlich nicht nur „Fakten, Fakten, Fakten“. Unter dem Hashtag „

  • meineStimmeGegenKonzernverbrechen“ fand sich natürlich auch beißende Kritik wie diese: „Das ist ein Zynismus sondergleichen: Ein Mittel wie Glyphosat verkaufen, bei dem ich davon ausgehe, der Gewinn ist immer noch höher als das, was ich den Opfern, die daran krebskrank werden, als Entschädigung zahlen muss: Das ist BAYERs menschenverachtende Kalkulation, die dahintersteht“. Und in Zeiten von Corona geriet vor allem die Pharma-Sparte in den Blick: „BAYERs Ausrichtung am Shareholder Value begünstigt Forschung in den Bereichen, in denen man Medikamente mit Mondpreisen verkaufen kann, und widerspricht der nötigen Forschung in Impfstoffe und andere elementaren Medikamente.“ Und da die Coordination im Vorfeld für solche Messages einen großen Resonanz-Raum organisiert hatte, braute sich in den sozialen Netzwerken ganz schon was über den Leverkusener Multi zusammen.

Beim Leverkusener Multi war dagegen schon um 16.00 Schluss. Bereits zu dieser Zeit beendete der Konzern – historisch einzigartig – die Frage-Runde und leitete die Abstimmungen ein.

BAYER-Vorstand Werner Baumann hatte vor der HV großmundig angekündigt, alle Fragen von AktionärInnen zu beantworten. Tatsächlich geschah dies nicht. Der CBGler Axel Köhler-Schnura nahm dazu im WDR Stellung: „BAYER verlangte, dass alle Fragen zwei Tage vor der HV schriftlich eingereicht werden. Damit hatte der Konzern genügend Zeit, sich vorzubereiten. Er fasste die Fragen unter allgemeinen Oberthemen zusammen, zog seine vorgefertigten Stellungnahmen aus der Schublade und verlas sie. Das war‘s!“ Und so musste auch BAYER gegenüber dem Sender zurückrudern: „Die Fragen konnten nicht alle in vollem Wortlaut vorgetragen werden, deshalb wurden die Fragen so zusammengefasst, dass das Thema für die Zuhörer verständlich war. Die Fragen wurden so beantwortet.“ Kein Dialog, keine Nachfragen. Überdies blieben die Namen der Fragenden unerwähnt –– wenn es sich nicht gerade um GroßaktionärInnen handelte.

Um ca. 17.45 Uhr meldete sich dann die Coordination zum letzten Mal zu Wort. CBG-Gründer Axel Köhler-Schnura und CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann präsentierten eine Tour de Force der Verbrechen des Konzerns: IG FARBEN-Gründung, Medizin-Verbrechen, Umweltsünden. Und bekräftigt wurde einmal mehr das Versprechen der CBG für 2021 und die nächsten Jahre: Sie wird dem Konzern auf den Fersen bleiben!

15 % gegen den Vorstand

Insgesamt konnte ein positives Fazit der Aktionen gezogen werden: Hunderte von AktionärInnen hatten der CBG ihre Stimmrechte übertragen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN war mit Tausenden von Aktien auf der Online-HV präsent. Mehr als 100 kritische Fragen wurden von dutzenden Konzern-KritikerInnen gestellt. Bei den Abstimmungen votierten viele Millionen Aktien mit der CBG für „Nein“ und stattdessen für die Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie gegen die maßlose Dividenden-Ausschüttung. Weitere zig Millionen Aktien enthielten sich der Stimme. Überhaupt musste BAYER erstmals seit langer Zeit wieder die Enthaltungen bekanntgeben, womit der Gesamtumfang der nicht mit dem Vorstand konform gehenden Aktien deutlich wurde. Bei der Entlastung des Vorstands stimmten mehr als 43 Mio. Aktien mit „Nein“, viel mehr als zu allen anderen Tagesordnungspunkten. Insgesamt ca. 15 Prozent aller Aktien optierten für „Nein“ oder eine Enthaltung.

Und: Viele Tausende Male wurden die Online-Proteste der CBG über den Tag im Internet aufgerufen, und die Medien berichteten über die Demonstration vor der Konzern-Zentrale in Leverkusen. Die Flucht des BAYER-Konzerns mit dem Ziel, die Proteste im Umfeld der HV und auf der HV selbst einzudämmen oder gar zu unterbinden, war damit gründlich missglückt! Die FreundInnen der CBG waren ebenfalls rundum zufrieden. „Toll, wie ihr das auf die Beine gestellt habt. Und post coronam gehen wir wieder auf die Straße“, schrieb etwa Konstantin Wecker.

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CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Appell zur EU-Ratspräsidentschaft

Am 1. Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO), LOBBYCONTROL, die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und zahlreiche andere Organisationen haben die Befürchtung, dass dabei die großen Konzerne die Marsch-Richtung vorgeben werden. Die Gründe dafür legten die Initiativen in der Studie „Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft – Industrie in der Hauptrolle“ dar. Die Untersuchung zeigt, welch großen Einfluss die Unternehmen auf die Entscheidungen in Berlin haben. Im Einzelnen beschäftigen die AutorInnen sich etwa damit, wie die Auto-Industrie, die Banken, die Pharma-Riesen und die Erdgas-Multis die politische Landschaft pflegen. Die Umtriebe der Chemie-Industrie im Allgemeinen und BAYERs im Besonderen zeichnete die CBG nach. Angesichts dieser Gemenge-Lage appellieren die Gruppen an die Große Koalition: „Die Bundesregierung muss die Vergangenheit hinter sich lassen, sich von Konzern-Interessen frei machen (trotz der massiven Lobby-Aktivitäten, die derzeit unter dem Stichwort „Coronawashing“ laufen) und das Gemeinwohl an die oberste Stelle setzen.“ In diesen Zeiten Individual-Interessen, den Interessen Superreicher oder einseitig den Unternehmen entgegenzukommen, könnte für die Europäische Union weitreichende und zutiefst destruktive Folgen haben, warnen die Initiativen.

Lieferengpässe: AOK wehrt sich

Der Pharma-Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. BAYER und andere große Unternehmen setzen mehr und mehr auf neue, patent-geschützte Pillen, da diese besonders hohe Renditen versprechen. Bei ihrem nicht so viel Geld abwerfenden Alt-Sortiment rationalisieren die Konzerne hingegen nach Kräften. So beziehen sie Vor- und Zwischenprodukte zur Wirkstoff-Herstellung und manchmal auch die komplette Substanz zunehmend aus Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien und China. Dort konzentriert sich die Fabrikation auf immer weniger Anbieter. Und wenn da einmal Störungen im Betriebsablauf auftreten, leiden PatientInnen auf der ganzen Welt unter den Lieferengpässen. Seit einigen Jahren passiert das immer häufiger. Auch Präparate des Leverkusener Multis glänzen in den Apotheken zunehmend durch Abwesenheit. Die Schuld dafür geben die Firmen gerne den Krankenkassen. Diese zwängen die Hersteller durch den Preis-Druck ihrer Rabatt-Verträge, eigene Pharma-Produktionen aus Kosten-Gründen zu schließen und die benötigten Substanzen stattdessen auf dem Weltmarkt einzukaufen. Der AOK-Vorstandschef Johannes Bauernfeind weist die Kritik zurück: „Dieser Argumentationsgang ist ebenso eingängig wie unwahr. Bereits seit den späten siebziger Jahren wich die Wirkstoff-Produktion nach Fernost aus.“ Zudem träten Lieferengpässe auch in Ländern auf, in denen es gar keine Rabatt-Verträge gebe, so Bauernfeind.

Mexiko: Pestizid-Beschwerde

Im Jahr 2017 hatten 43 Personen bei der mexikanischen Menschenrechtskommission CNDH wegen des unkontrollierten Einsatzes hochgefährlicher Pestizide in dem Land eine Beschwerde eingereicht. Unter den inkriminierten Ackergift-Wirkstoffen finden sich zahlreiche, die auch in BAYER-Produkten enthalten sind, wie z. B. Mancozeb, Glyphosat, Atrazin, Deltamethrin, Methamidophos, Imidacloprid, Carbofuran, Endosulfan, Bifenthrin und Carbendazim. Die CNDH gab den Beschwerde-TrägerInnen im Februar 2019 Recht und empfahl der Politik eine Reihe von Maßnahmen. Diese umfassten beispielsweise Vorschläge zu einer strengeren Regulierung der Agro-Chemikalien, zu einem besserem Schutz der LandwirtInnen und LandarbeiterInnen sowie zu einer besseren Ermittlung des Risiko-Potenzials der Substanzen.

MONSANTO-Listen: Die CBG hakt nach

Die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO hat über Jahre hinweg in eigener Regie oder über externe Dienstleister hunderte von JournalistInnen, PolitikerInnen, AktivistInnen und andere Personen ausspioniert. Mit diesem Wissen wollte sie dann unter anderem die Entscheidung der EU über die Zulassungsverlängerung für das Herbizid Glyphosat, die im Herbst 2017 anstand, im Sinne des Konzerns beeinflussen. Im Frühjahr 2019 flog der Skandal dann auf. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) startete sofort eine Reihe von Initiativen, um das ganze Ausmaß der Umtriebe aufzuklären. Unter anderem forderte die Coordination die Datenschutz-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen auf, aktiv zu werden. Das lehnte diese jedoch zunächst ab. Es lägen keine Anhaltspunkte für ein zielgerichtetes Auskundschaften einzelner Personen vor, MONSANTO hätte vielmehr themen-bezogen agiert, lautete die Antwort. Damit gab sich die CBG allerdings nicht zufrieden. In einem weiteren Schreiben zitierte sie aus den Unterlagen des von MONSANTO mit der Observation beauftragten Unternehmens FLEISHMANHILLARD. Diesen Dokumenten zufolge hatte die Agentur bei ihren Ziel-Objekten auch „Freizeit oder andere Interessen (Golf, Tennis, Jagd etc.)“ im Blick. Und mit der Drecksarbeit, „Auskünfte und Informationen zu sammeln, die NICHT (Hervorhebung im Original) öffentlich zugänglich sind“, beauftragte sie die Firma PUBLICIS. Diese Fakten-Lage bewog die Landesdatenschutz-Beauftragte dann, sich in der Sache doch noch mal an BAYER zu wenden. Eine Antwort steht jedoch noch aus.

CBG beim Online-Klimastreik dabei

Wegen der Corona-Pandemie konnte der Klimastreik am 24. April nicht wie gewohnt auf der Straße stattfinden. Trotzdem gab es viele Aktionen. Die Menschen stellten Plakate ins Fenster, bestückten Bäume, Briefkästen und Tor-Eingänge mit Demo-Schildern und legten Transparente vor den Ratshäusern aus. Und um zumindest digital vor Ort präsent zu sein, suchten sie auf der von FRIDAYS FOR FUTURE ins Netz gestellte Deutschland-Karte ihre Stadt und luden da Protest-Fotos hoch. Daran beteiligte sich auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) – zusammen mit 87.000 anderen virtuellen MitstreiterInnen.

Patent-Kampagne erfolgreich

Der BAYER-Konzern hält nicht nur Patente auf gen-manipulierte Pflanzen, sondern auch auf solche aus konventioneller Zucht. Das Europäische Patentamt (EPA) erteilt diese recht freigiebig, rund 200 Anträge genehmigte es. Sogar nach einem im Juni 2017 erfolgten Beschluss des Verwaltungsrates, in dem VertreterInnen aus 38 Ländern sitzen, solche Genehmigungen nicht mehr zu erteilen, wich das Amt nicht von seiner Linie ab. Seine technische Beschwerdekammer bewertete das Verwaltungsratsvotum nämlich als Verstoß gegen EU-Bestimmungen. Daraufhin gewährte das EPA Produzenten, die auf traditionellem Wege eine Tomate mit reduziertem Wassergehalt sowie einen Brokkoli mit angeblich krebs-präventiven Nebenwirkungen entwickelt hatten, Schutzrechte. Das wiederum rief das Europäische Parlament auf den Plan. Die Abgeordneten prüften die Praxis der Behörde und kamen zu einem eindeutigen Ergebnis. In einer Entschließung sprachen sie sich gegen die Verleihung solcher Patente aus. Schließlich musste sich dann die Große Beschwerdekammer des EPA mit der Sache befassen und ein Grundsatz-Urteil fällen. Im Vorfeld reichte ein breites Bündnis aus verschiedenen Organisationen – darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) – und Einzelpersonen Stellungnahmen ein, welche die Kammer bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen muss. Und das blieb offenbar nicht ohne Wirkung. Die Große Beschwerdekammer befand am 14. Mai 2020, dass Pflanzen und Tiere aus „im Wesentlichen biologischen“ Züchtungsverfahren nicht patentierbar sind. Der Beschluss gilt rückwirkend und betrifft alle Anträge, die ab Juni 2017 eingingen. Die Initiative KEINE PATENTE AUF SAATGUT und andere Gruppen begrüßten dieses Votum, allerdings machten sie noch rechtliche Grauzonen aus. „Das aktuelle Urteil kann dazu beitragen, ein Jahrzehnt voller rechtlicher Absurditäten und chaotischer Entscheidungen am EPA zu beenden. Es gibt aber immer noch ein großes Risiko, dass große Konzerne wie BAYER, ehemals MONSANTO, das Patent-Recht dazu missbrauchen, um die Kontrolle über Landwirtschaft und Lebensmittel-Produktion zu erhalten“, so Katherine Dolan von ARCHE NOAH. Beispielsweise besteht für die Unternehmen immer noch die Möglichkeit, zufällige Pflanzen-Mutationen als eigene Erfindungen auszugeben. So hat das EPA bereits kurz nach dem Spruch der Großen Beschwerdekammer einige mit einem Moratorium belegte Patent-Verfahren wieder anlaufen lassen. Darum dringen die Patent-KritikerInnen unter anderem darauf, die Unterschiede zwischen technischen Erfindungen und den Methoden konventioneller Züchtung genauer zu bestimmen. Um der Forderung nach mehr Klarheit in diesem Bereich mehr Nachdruck zu verleihen, setzte die Initiative TESTBIOTECH einen Offenen Brief an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) auf, den neben vielen anderene Organisationen auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN unterschrieben hat.

Kunst gegen Konzerne

Die US-amerikanische Künstlerin Kirsten Stolle setzt sich intensiv mit dem Treiben der Agro-Industrie auseinander. Ihre persönlichen Erfahrungen motivierten sie dazu: „Meine von Pestiziden verursachten Gesundheitsstörungen haben mich dazu gebracht, mich mit der unheilvollen Geschichte von BAYER/MONSANTO und DOW CHEMICAL zu befassen und deren Desinformationspolitik bloßzustellen.“ Im Zuge dessen nahm sich Kirsten Stolle etwa die ganzseitige Glyphosat-Anzeige vor, die BAYER am 4. Juni 2019 in der New York Times geschaltet hatte, um gut Wetter für das Mittel zu machen. Die Künstlerin „überarbeitete“ die Annonce und schwärzte den größten Teil des Textes ein, so dass nur noch Wort-Fetzen wie „likely to be carcinogenic“ übrig blieben. Umgekehrt ging sie bei „Annotated“ vor, da ließ sie den Glyphosat-Text stehen, versah ihn aber mit einer Fülle von Anmerkungen. Auch bei TV-Spots von MONSANTO legte Kirsten Stolle Hand an. Zudem entwickelte sie eine makabre BAYER/MONSANTO-Version des Spiels „Scramble“: Zu den Wörtern, die aus einem Quadrat mit 400 Buchstaben herauszuklauben waren, gehören unter anderem „Auschwitz“, „Vietnam“ und „DDT“.

Anfrage in Sachen „Glyphosat“

Im Streit um das Ackergift Glyphosat, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft, hat sich die Bundesregierung gegen einen sofortigen Stopp entschieden. CDU und SPD beschlossen im September 2019 lediglich eine Minderungsstrategie. Andere Länder gehen da rigoroser vor. So erließ Österreich ein Verbot. Das nahm ein Mitglied der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zum Anlass, sich bei Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nach den Gründen für diese zögerliche Haltung zu erkundigen. „Die Risiko-Bewertung von Glyphosat im Rahmen der Erneuerung der Genehmigung hat unter Zugrundelegung aller verfügbaren Studien ergeben, dass alle gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen für eine erneute Genehmigung gegeben sind“, anwortete das „Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft“ (BMEL). Weder eine krebserregende noch eine nervenschädigende Wirkung habe die „Europäische Chemikalien-Agentur ECHA bei ihrer Prüfung feststellen können, so das BMEL. Der Fragesteller hatte in seinem Brief auf Untersuchungen verwiesen, die zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen waren. Darauf aber ging das Ministerium nicht ein.

KAPITAL & ARBEIT

AktionärInnen-Richtlinie light

Im Jahr 2017 hat die Europäische Union als späte Reaktion auf die Finanz-Krise von 2008 eine neue Richtlinie zum AktionärInnen-Recht erlassen (Ticker 2/20). Unter anderem ermächtigt die Verordnung die AnteilseignerInnen, über die Gehälter der ManagerInnen mitzuentscheiden. „Um sicherzustellen, dass die Aktionäre auch tatsächlich Einfluss auf die Vergütungspolitik nehmen können, sollten sie das Recht erhalten, eine Abstimmung mit verbindlichem oder empfehlenden Charakter über die Vergütungspolitik (...) durchzuführen“, hält die Direktive fest. Und zu den dabei auf den Hauptversammlungen anzulegenden Maßstäben heißt es: „Die Leistung von Mitgliedern der Unternehmensleitung sollte anhand sowohl finanzieller als auch nicht-finanzieller Kriterien, gegebenenfalls einschließlich ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren, bewertet werden.“ Also ausdrücklich nicht nur nach Profit-Kriterien. Ende 2019 hat der Bundestag die Richtlinie 2017/828 in bundesdeutsches Recht überführt. Allerdings fehlen bedeutende Teile. Von sozialen und ökologischen Messgrößen zur Ermittlung des ManagerInnen-Salärs findet sich in dem „Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechte-Richtlinie“ kein Wort mehr, stattdessen heißt es nur noch: „Die Vergütungsstruktur ist bei börsen-notierten Gesellschaften auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten.“

Wenning weg

BAYERs Aufsichtsratschef Werner Wenning gibt sein Amt vorzeitig auf. Die GroßaktionärInnen des Konzerns schassten ihn offenkundig wegen des desaströsen Krisen-Managements des Konzerns in Sachen „MONSANTO“, für das Wenning Mitverantwortung trägt. Vor seiner Zeit als Ober-Aufseher stand er dem Leverkusener Multi lange als Vorstandsvorsitzender vor. Sein Amtsantritt im Jahr 2002 markierte eine Zäsur. Mit ihm gelangte zum ersten Mal ein Finanz-Experte an die Spitze des Leverkusener Multis, und genau das strich der Global Player bei seiner Bestallung auch heraus: „Als ausgewiesener Finanzfachmann besitzt er hohe Akzeptanz auf den internationalen Kapitalmärkten.“ Die besaß Wennings Vorgänger Manfred Schneider nämlich eher nicht. Schneider war Betriebswirt und hat nicht selten sein Befremden über die Finanz-AnalystInnen geäußert. In seinen Augen waren das alles Laien, grüne Jungs, die noch nie ein Unternehmen geführt hatten. Er wusste auch gar nicht so recht, woher diese Leute sich plötzlich das Recht nahmen, ihm etwas sagen zu wollen. Wenning hingegen wusste das nur allzu gut. Schon in seiner Zeit als Finanzchef hatte er BAYER finanzmarkt-kompatibler gestaltet. So führte er beispielsweise das Wertmanagement ein, die konsequente Ausrichtung jeder Unternehmenshandlung, jedes Beschäftigen auf die Steigerung des Aktienkurses. Und Wenning richtete 1998/1999 auch eine eigene Abteilung für „Investor Relations“ ein. Als Vorstandsvorsitzender bestand dann eine seiner ersten Amtshandlungen darin, aus BAYER eine Holding zu machen, um „Werttreiber und Wertvernichter noch leichter identifizieren zu können“. Und mit der Chemie-Sparte hatte er bald auch schon einen „Minderleister“ identifiziert. Im Jahr 2003 trennte sich die Aktien-Gesellschaft von diesem Geschäft und gab damit dem Druck der Kapitalmärkte nach, dem Manfred Schneider noch widerstanden hatte. Von da an setzte sich der Umbau des Konzerns dann munter fort – bis hin zur verhängnisvollen MONSANTO-Akquisition.

Arbeitsplatz-Vernichtung in Berlin

Die Prozesse in Sachen „Glyphosat“ mit ihren millionen-schweren Schadensersatz-Urteilen haben zu einem Absturz der BAYER-Aktie geführt. Großaktionäre wie BLACKROCK mahnten Handlungsbedarf an, und der Leverkusener Multi lieferte. Im November 2018 verkündete er ein großes Rationalisierungsprogramm („Super Bowl“), das unter anderem die Streichung von 12.000 Stellen vorsieht. Dabei kommt es auch am Standort Berlin zu Einschnitten. Dort gibt der Global Player die Forschung auf dem Gebiet klein-molekularer Wirkstoffe auf. Die Firma NUVISAN übernimmt zwar den Bereich, aber längst nicht alle der rund 400 Beschäftigten.

Tarifvertragsquote: 55 Prozent

Weltweit hat BAYER im Geschäftsjahr 2019 nur mit 55 Prozent seiner Beschäftigten Tarifverträge abgeschlossen, 2014 waren es 52 Prozent. In der Region „Europa/Nahost/Afrika“ gibt es solche Vereinbarungen für 80 Prozent der Belegschaften (2014: 87 Prozent), in Lateinamerika beträgt die Quote 54 Prozent (2014: 45 Prozent) und in den USA lediglich zwei Prozent (2014: fünf Prozent).

599 Arbeitsunfälle

Für das Geschäftsjahr 2019 führt BAYER 599 „berichtspflichtige Arbeitsunfälle mit Ausfall-Tagen“ auf. In fünf Prozent der Fälle war dabei der Kontakt mit Chemikalien die Ursache.

34 Fälle von Berufskrankheiten

Im Geschäftsjahr 2019 kam es bei BAYER laut Nachhaltigkeitsbericht zu 34 „arbeitsplatz-bedingten Erkrankungen“. „Sie betrafen u. a. den Bewegungsapparat und Haut-Reaktionen, ohne dass sich klare Risiko-Bereiche abzeichnen lassen“, heißt es darin.

IG FARBEN & HEUTE

Keine Stunde Null

Am 8. Mai vor 75 Jahren befreiten die Alliierten Deutschland vom Faschismus. Das von BAYER mitgegründete Industrie-Konglomerat IG FARBEN war ein wesentlicher Bestandteil des NS-Systems. Der Mega-Konzern hatte sich schon 1932 mit Hitler verbündet und den „Benzinpakt“ geschlossen. Nach der Machtergreifung erstellte er die Blaupause für den Vierjahresplan, mit dem die Nazis die Wirtschaft wehrtüchtig machten. Als es dann 1939 so weit war, vermochte der Multi die Armee fast alleine auszustatten. An der Vernichtungspolitik wirkte die IG FARBEN ebenfalls mit. Sie errichtete in unmittelbarer Nähe von Auschwitz ein Chemie-Werk und unterhielt in der Nähe der Baustelle ein eigenes ZwangsarbeiterInnen-Lager als Arbeitskräfte-Reservoir, während ihre Tochter-Firma DEGESCH den FaschistInnen mit dem Zyklon B die Mordwaffe lieferte. Darum stand die Zerschlagung des Giganten zunächst ganz oben auf der Agenda der Kriegskoalition. „Wenn es die Politik der Alliierten ist, dass ‚Deutschland nie wieder seine Nachbarn oder den Frieden der Welt bedrohen wird’, dann müssen die IG FARBEN zusammen mit ihren kriegswichtigen Anlagen zerstört werden“, hieß es in einem Bericht des US-Finanzministeriums. Aber es sollte anders kommen. Zum einen änderten sich in den USA die politischen Kräfteverhältnisse, sodass die „Tabula Rasa“-Fraktion unter Finanzminister Henry Morgenthau in die Defensive geriet. Zum anderen unterhielt die US-Industrie umfangreiche Geschäftsbeziehungen zu deutschen Unternehmen und verlangte von der Regierung, ihre Absatzgebiete zu sichern. Und schließlich begann der Kalte Krieg, weshalb ein starkes Deutschland gefragt war, das als „Frontstaat“ agieren konnte. Die westlichen Besatzungsmächte beließen es deshalb bei einer mehr als halbherzigen Entflechtung, die BAYER, BASF und HOECHST unbeschadet überstanden. Und bereits 20 Jahre später waren die einstigen IG-Teile allein größer als das damalige Ganze.

IG FARBEN & HEUTE

Benjamin Ferencz wurde 100

Im März 2020 feierte Benjamin Ferencz seinen 100. Geburtstag. Bei den Nürnberger KriegsverbrecherInnen-Prozessen hatte er das Verfahren gegen die Einsatz-Truppen des NS-Regimesgeleitet. In den 1950er Jahren dann verhandelte der Ungar im Auftrag der „Jewish Claims Conference“ mit der Bundesregierung und denjenigen Unternehmen, die während der Nazi-Zeit ZwangsarbeiterInnen beschäftigt hatten, über Entschädigungszahlungen. Die von BAYER mitgegründete IG FARBEN musste nur 27 Millionen DM aufbringen. Da blieb für die ehemaligen SklavenarbeiterInnen nicht viel übrig. „Sogar die strengen Härtefälle unter denen, die die Arbeit für die IG FARBEN in Auschwitz überlebt haben, erhielten jeder nicht mehr als 1.700 Dollar“, klagte Ferencz.

KONZERN & VERGANGENHEIT

100 Jahre Betriebsräte-Gesetz

Die Weimarer Verfassung sah umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten für Betriebsräte vor. Sie billigte den Beschäftigten-VertreterInnen im Artikel 165 das Recht zu, „gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken“. Näheres sollte das Betriebsräte-Gesetz regeln. BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg ersann darum prophylaktisch schon einmal geeignete Gegenmaßnahmen. So plante er unter anderem, die Gesamtzahl an Betriebsratssitzen zu erhöhen, um die Beschäftigten überstimmen zu können. Am Ende erwiesen sich solche Tricks jedoch als unnötig, denn es gelang der Kapital-Seite, die Regelungen massiv zu verwässern. Dementsprechend kritisch standen die KPD sowie Teile von USPD und Freien Gewerkschaften dem Gesetzes-Vorhaben gegenüber. Für den Tag der 2. Lesung des Paragrafen-Werkes riefen sie deshalb zu Protesten auf, bei denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Die Schätzungen reichen von 20 bis hin zu 42 Toten; zudem gab es über 100 Verletzte. Niemals zuvor und niemals wieder hat in der deutschen Geschichte eine Demonstration so viele Opfer gefordert. Von all dem findet sich in BAYERs Firmen-Chronik „Meilensteine“ nichts. In ihr feiert sich der Global Player unter der Überschrift „Schneller als die Gesetze: Mitbestimmung und Mitverantwortung“ hingegen als ein Unternehmen, das seinen Beschäftigten aus freien Stücken schon weit vor dem Betriebsräte-Gesetz und dem 1916 verabschiedeten „Vaterländischen Hilfsdienst-Gesetz“ eine Interessensvertretung zugestanden hatte.

Feine Füße von drüben

Der Fußball-Club BAYER Leverkusen hatte die DDR bereits in den 1980er Jahren als Spieler-Reservoir entdeckt. Wie aus Stasi-Unterlagen hervorgeht, beobachtete er mit Hilfe des in die Bundesrepublik geflohenen Trainers Jörg Berger DDR-Kicker bei Auswärtsspielen und verleitete geeignete Kandidaten wie Falko Götz oder Dirk Schlegel zur Republikflucht (Ticker 3/00). Und nach der Wende legte der Verein in Tateinheit mit anderen Bundesligisten erst so richtig los. „Am 5. Januar 1990 kam ich zum ersten Training nach der Winterpause und wusste nicht, wer überhaupt noch da war“, klagte etwa der Trainer des PSV Schwerin, Manfred Radtke, über das Ausmaß des „Schlussverkaufs“. Im Juni des Jahres bestritt er mit seiner Mannschaft das DDR-Pokalfinale gegen Dynamo Dresden. Der damalige BAYER-Manager Reiner Calmund saß damals auf der Tribüne und lockte Matthias Stammann für 350.000 DM vom PSV weg. Andreas Thom hatte Calmund da schon eingesackt. Am liebsten hätte er auch noch den zu der Zeit bei Dynamo Dresden spielenden Matthias Sammer verpflichtet, aber da war der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl vor. „Sie können die DDR nicht einfach leerkaufen“, redete dieser den Leverkusener ManagerInnen ins Gewissen. Aber BAYER ließ nicht locker und angelte sich dann noch Ulf Kirsten. Unter der Überschrift „‚Go West’– Zwischen Flucht und Mauerfall – Feine Füße von drüben“ handelt der Verein selber das Ost-Kapitel ab.

POLITIK & EINFLUSS

Online-HV nach BAYER-Gusto

Der Leverkusener Multi ergreift stets jede Gelegenheit, um sich die bei seinen Hauptversammlungen notorischen Proteste so gut es geht vom Leib zu halten. Im Jahr 2020 hieß die Gelegenheit „Corona-Pandemie“. Der Leverkusener Multi nutzte die Ungunst der Stunde und flüchtete vor den Konzern-KritikerInnen ins Virtuelle: Er berief eine Online-HV ein. Die rechtliche Handhabe dazu bot ihm das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“. Dessen Passagen zu den AktionärInnen-Treffen erlaubten den Konzernen, statt Reden nur noch Fragen zu gestatten. Sie konnten dabei sogar noch aussieben und Groß-Investoren wie BLACKROCK den Vortritt lassen. Ein Aktivist der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) stellte dazu einige Bundestagsabgeordnete zur Rede und erhielt erhellende Antworten. So schrieb der CDUler Dr. Carsten Brodesser, in den letzten Jahren würden Hauptversammlungen „zunehmend als politisches Forum genutzt, was bei den Abläufen zu teilweise unübersichtlichen Situationen führte“. Das sei in der realen Welt noch zu managen, nicht aber in der virtuellen, und „dem will der Gesetzgeber mit seinem Vorstoß unter anderem Rechnung tragen“. Das Büro des CDU-Parlamentariers Sepp Müller hielt bei nur im Netz stattfindenden Hauptversammlungen hingegen „eine Flut von Fragen und auch – wie bei sozialen Medien nicht unüblich – inhaltlich inakzeptablen Einwürfen“ für denkbar, dem Vorschub geleistet werden müsse. Und dabei halfen BAYER & Co. kräftig mit. Stellungnahmen zum Gesetzes-Entwurf „werden vermutlich auch die Vorstände mancher AGs geschrieben haben“, hielt Brodesser-Mitarbeiter Carl Canzler fest. Sein Kollege aus dem Büro Müller verwies indessen etwas unkonkreter auf „externe Expertise aus allen Bereichen“, die es den Abgeordneten ermöglicht habe, „auch praktische Auswirkungen auf unterschiedliche Akteure abbilden zu können“. Auf der Hauptversammlung selber hat BAYER dann auch eine Einflussnahme über den „Bundesverband der deutschen Industrie“, den „Verband der Chemischen Industrie“ und das „Deutsche Aktieninstitut“ eingeräumt.

Forschungsförderung für BAYER & Co.

Seit Jahr und Tag fordert der BAYER-Konzern die staatliche Förderung von Forschungsaufwendungen. Nun hat die Bundesregierung die Signale erhört. Anfang 2020 trat das „Forschungszulagen-Gesetz“ in Kraft, das jährliche Subventionen in Höhe von 1,27 Milliarden Euro vorsieht. Bis zu 500.000 Euro kann ein einzelnes Unternehmen abgreifen – und im Zuge der Corona-Maßnahmen erhöhte die Große Koalition die Summe dann noch einmal auf vier Millionen. Ursprünglich sollten nur kleine und mittelgroße Firmen in den Genuss der Gelder kommen, aber Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) räumte den Weg für die Multis frei. Dem „Verband der chemischen Industrie“ (VCI) gelang es bei seiner Lobby-Arbeit für BAYER & Co. darüber hinaus sogar noch, finanzielle Unterstützung für Labor-Arbeiten herauszuschlagen, die gar nicht bei den Konzernen selber stattfinden: Auch für Auftragsforschung hält die Große Koalition Mittel bereit.

Verfassungsrichter nach BAYER-Gusto

Der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, ist ein Mann ganz nach dem Geschmack der Leverkusener. Als Anwalt und späterer Partner der Wirtschaftskanzlei SZA hat er nämlich schon zahlreiche Unternehmen wie etwa VW vor rechtlichem Unbill geschützt. Das hat bei SZA eine Tradition, die weit zurückreicht. So tüftelten die beiden Gründer Heinrich Kronstein und Wilhelm Zutt in der Weimarer Republik die rechtliche Konstruktion für die von BAYER mitgegründete IG FARBEN aus, den späteren Mörder-Konzern mit eigenem ZwangsarbeiterInnen-Lager in Auschwitz. Auch bei von BAYER gesponserten Events trat Harbarth schon auf. So hielt der Jurist im Jahr 2018 auf der „German American Conference“, zu deren Förderern außerdem noch SIEMENS und die BOSTON CONSULTION GROUP zählten, eine Rede über den Schutz der Meinungsfreiheit.

MONSANTO verstieß gegen Lobby-Regeln

Die nunmehrige BAYER-Tochter MONSANTO investierte Unsummen, um für ihr umstrittenes Pestizid Glyphosat 2017 eine erneute EU-Zulassung zu bekommen. Die von ihr zu diesem Behufe engagierte PR-Firma FLEISHMANHILLARD scheute dabei vor keinem Mittel zurück. Sie legte umfangreiche Listen von PolitikerInnen, JournalistInnen sowie Behörden-MitarbeiterInnen an und ordnete sie in Kategorien wie „Verbündeter“, „möglicher Verbündeter“, „zu erziehen“ oder „im Auge behalten“ ein (siehe SWB 3/19). Allein in Brüssel bei der EU betrieb FLEISHMANHILLARD mit rund 60 Beschäftigten Einfluss-Arbeit. Die Kosten für die von Oktober 2016 bis Dezember 2018 dauernde „Glyphosate Renewal Campaign“ hat BAYER auf 14,5 Millionen Euro beziffert. Diese Summe findet sich im Lobby-Register der EU allerdings nicht wieder (siehe Ticker 2/20). Dort gab FLEISHMANHILLARD für 2016 lediglich 0,8 Millionen Euro an und MONSANTO für den Zeitraum von September 2016 bis August 2017 bloß 1,45 Millionen Euro. „Diese Zahlen zeigen, dass die Lobby-Macht der Pestizid-Industrie viel größer ist, als offiziell verlautbart (...) Diese Diskrepanz zwischen den angegebenen Aufwendungen und den 14,5 Millionen Euro kann als ein klarer Fall von Desinformation angesehen werden“, konstatierte das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) und reichte eine Beschwerde ein. Daraufhin prüfte das Sekretariat des Lobby-Registers die MONSANTO-Zahlen. Dabei kam heraus, dass der Konzern nur seine Aufwendungen für das Antichambrieren in Brüssel selber aufgeführt und die Lobbying-Investitionen in den Mitgliedsländern ausgespart hatte. Damit verstieß das Unternehmen gegen die Vorschriften. Die Meldungen müssen nämlich alle Ausgaben „zum Zweck der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme auf EU-Organe, unabhängig vom Ort, an dem die Tätigkeiten ausgeführt werden“, enthalten. Eine Strafe will die Europäische Union trotzdem nicht verhängen, sie kündigte lediglich an, die Regeln klarer fassen zu wollen.

Konzerne schreiben neues EEG-Gesetz

Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage ist für die Förderung alternativer Energien bestimmt. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu fiktiven Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen nun verklagt. Der Leverkusener Multi hingegen ist sich keiner Schuld bewusst und beteuert, sich immer an geltendes Recht gehalten zu haben. Betrugsvorwürfe wies BAYER-Chef Werner Baumann auf der Hauptversammlung des Konzerns am 28. April 2020 „entschieden“ zurück. Damit nicht genug, gehen die Firmen in die Offensive. Wie wiederum der Spiegel berichtete, möchten sie eine Gesetzes-Änderung erreichen, die sie vor Strafzahlungen schützt. Dazu haben BAYER & Co. dem Wirtschaftsministerium schon einmal frei Haus die passende Vorlage geliefert und eine „Novellierung Paragraf 104 Absatz 4 Erneuerbare Energien Gesetz (EEG)“ verfasst. Zudem trafen sich AnwältInnen und andere VertreterInnen der Firmen sowie EmissärInnen des „Verbandes der chemischen Industrie“ und anderer Organisationen in der Causa bereits mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Und nach dem Gespräch zeigte sich ein Konzern-Jurist auch hoffnungsfroh, dass „Missverständnisse“ über das Eigenstrom-Privileg bald „zielführend ausgeräumt“ werden.

Baumann kritisiert „Green Deal“

Im Mai 2020 hat die Europäische Union zwei wesentliche Elemente ihres „Green Deals“ vorgestellt: die Biodiversitätsstrategie und die Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“. Letztere gibt nach Ansicht der EU „eine umfassende Antwort auf die Herausforderungen nachhaltiger Lebensmittel-Systeme und erkennt an, dass gesunde Menschen, gesunde Gesellschaften und ein gesunder Planet untrennbar miteinander verbunden sind“. Auf der Agenda steht unter anderem eine Verringerung des Pestizid-Einsatzes bis 2030 um 50 Prozent. Das passt BAYER-Chef Werner Baumann gar nicht. „Es wäre illusorisch zu glauben, wir könnten ohne Pflanzenschutzmittel die bald acht Milliarden Menschen auf der Erde ernähren, die Biodiversität schützen und zugleich keine weiteren Flächen für die Landwirtschaft erschließen“, sagte er in einem Interview mit der FAZ. Ähnlich argumentiert der Konzern seit Jahren. Die Initiative OXFAM spricht in diesem Zusammenhang vom „Welternährungsmythos“. Sie hält die Zahlen, mit denen BAYER & Co. die Notwendigkeit einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion (und damit des Gebrauchs der Ackergifte) begründen, für nicht belastbar. In diese fließt nämlich nicht nur der mutmaßliche Bedarf an Lebensmitteln, sondern auch derjenige an Futtermitteln und Agrar-Rohstoffen zum industriellen Gebrauch ein. Auch zweifelt OXFAM den Zusammenhang zwischen der Menge an vorhandenen Nahrungsgütern und dem Hunger an. „Er suggeriert, dass eine höhere Produktion weniger Hunger bedeutet. Menschen hungern jedoch, weil sie extrem arm sind und sich keine Lebensmittel leisten können“, konstatiert die Organisation. Ihr schlichtes Fazit lautet: „Jenen, die den Welternährungsmythos bemühen, geht es in erster Linie um die Profite von Agrar-Konzernen und weniger um bessere Bedingungen für Hungerleidende.“

„Green Deal“: Klöckner reserviert

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zeigt sich wenig begeistert von der Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“, welche die Europäische Union am 20. Mai 2020 als „Kernstück“ ihres „Green Deals“ vorstellte. Diese sieht nämlich unter anderem eine Reduzierung des Pestizid-Einsatzes um 50 Prozent bis 2030 vor. „Die Vorschläge sind sehr ambitioniert“, konstatierte die CDU-Politikerin und führte weiter – ganz im Sinne von BAYER-Chef Werner Baumann (s. o.) – aus: „Die ausreichende Verfügbarkeit unserer Grundnahrungsmittel und die Ernährungssicherung der EU und global müssen stets im Vordergrund stehen. Und das wird immer Umwelt-Einflüsse haben.“ Klöckner bezeichnete die 24 Seiten lediglich als „Diskussionsgrundlage“ und stimmte schon einmal auf Kontroversen ein. Vielsagend wies sie in ihrer Presseerklärung darauf hin, dass der EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bei der Präsentation der „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie fehlte.

BfR unter Einfluss

Das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) fällt immer wieder durch Entscheidungen im Sinne der Konzerne auf. So stellte es dem von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften BAYER-Pestizid Glyphosat im Rahmen der EU-Entscheidung über die Zulassungsverlängerung eine aus Industrie-Unterlagen zusammengeklaubte Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Das wundert allerdings nicht weiter, denn das Bundesinstitut steht unter Einfluss. So sitzt in der „BfR-Kommission für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände“ neben VertreterInnen von BASF auch der BAYER-Manager Dr. Frank Pierre Laporte.

PROPAGANDA & MEDIEN

VCI macht Schule

BAYER & Co. drängen mit aller Macht in die Schulen, um Einfluss auf die Lehrpläne zu nehmen und ForscherInnen-Nachwuchs zu rekrutieren. Nach einer Studie der „Otto Brenner Stiftung“ haben sie bereits rund 800.000 – natürlich kostenlose – Lehrmaterialien erstellt, die noch nicht einmal die bei normalen Schulbüchern üblichen pädagogischen Eignungstests durchlaufen müssen, ehe sie in den Klassenzimmern landen. Ganz vorne mit dabei: der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI). Mit einem Etat von ca. zwölf Millionen Euro gedenkt er im Jahr 2020 die Schullandschaft zu pflegen. Dabei reicht das Programm von „Finanzmitteln für Experimente über kostenfreie Unterrichtsmaterialien bis hin zu Angeboten für die Lehreraus- und -fortbildung“.

EU ermöglicht Gift-Importe

Die Europäische Union hatte sich vorgenommen, konsequent zu sein und Rückstände von Pestiziden, die sie wegen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkungen verboten hat, auch nicht mehr in Lebensmittel-Importen zu dulden (siehe auch SWB 3/20). Das wussten BAYER & Co. allerdings zu verhindern. Immer wieder trafen EmissärInnen des Leverkusener Multis mit EU-KommissarInnen und/oder deren Kabinettsmitgliedern zusammen, um die Pläne zu vereiteln. So präsentierte der Konzern der Generaldirektion Handel etwa einen Report, der vor großen finanziellen Einschnitten durch die avisierten EU-Maßnahmen warnte. Und der beharrliche Lobby-Einsatz zahlte sich am Ende aus. Die Wünsche der Unternehmen fanden Eingang in die neue EU-Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“. In dem entsprechenden Passus heißt es, Brüssel gewähre „Einfuhr-Toleranzen für Pestizid-Wirkstoffe, die in der EU nicht mehr genehmigt sind“. „Das ist ein Offenbarungseid. Die EU-Kommission räumt den Konzern-Interessen den Vorrang vor der menschlichen Gesundheit ein“, konstatierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in ihrer Presseerklärung.

DRUGS & PILLS

EMA überprüfte CIPROBAY

Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen auslösen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hinaus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachten die MedizinerInnen schon. Da sich in letzter Zeit zudem Meldungen über Schädigungen der Herzklappen durch die Mittel häuften, leitete die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ (EMA) ein Prüfverfahren ein. Dieses bestätigte den Verdacht jedoch nicht. Darum müssen BAYER & Co. die Warnhinweise auf den Beipackzetteln nicht ändern.

Gefährliche Hormonersatz-Therapie

BAYER & Co. ist es gelungen, die Wechseljahre zu einer Krankheit zu erklären, bei der nur eins hilft: die Hormonersatz-Therapie. Was die Konzerne „Menopausen-Management“ nennen, bezeichnen KritikerInnen als „die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen“. Und diese setzt die Patientinnen erheblichen Gesundheitsgefahren aus. Da neue Studien das Brustkrebs-Risiko von Hormonersatz-Therapien zu bestätigen schienen, hatte die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ (EMA) ein Prüfverfahren eingeleitet. Erhöhten Handlungsbedarf sah die EMA nach Vorlage des Berichts jedoch nicht. „Zurzeit keine weiteren Maßnahmen“, verkündete sie.

Mehr Umsatz mit YASMIN & Co.

Verhütungsmittel der dritten und vierten Generation wie die Präparate aus BAYERs YASMIN-Produktreihe stehen seit Jahren wegen des erhöhten Thrombose-Risikos, das von ihnen ausgeht, in der Kritik. Während sich unter YASMIN, YAZ, YASMINELLE & Co. bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen ein Blutgerinnsel bildet, kommt es bei älteren Arzneien mit den Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nur bei 5 bis 7 von 10.000 Frauen dazu. Die Geschäfte des Pharma-Riesen beeinträchtigt das jedoch nicht. Im Geschäftsjahr 2019 stieg sein Umsatz mit diesen Medikamenten gegenüber 2018 um 42 Millionen auf 681 Millionen Euro.

Neue Arznei gegen Prostata-Krebs

BAYER hat gemeinsam mit dem finnischen Unternehmen ORION ein Medikament zur Behandlung von Prostata-Krebs entwickelt. Das Präparat NUBEQA mit dem Wirkstoff Darolutamid ist dabei auf solche Patienten zugeschnitten, die zwar noch keine Metastasen haben, aber erhöhte, nicht auf eine Therapie mit Testosteron-Blockern reagierende PSA-Werte. Bei dieser Gruppe von Kranken stört das Darolutamid angeblich die Arbeit des Androgen-Rezeptors und hemmt so die Bildung von Testosteron, welches das Tumor-Wachstum befördert.

PCOS-Kooperation mit EVOTEC

BAYER hat mit dem Hamburger Biotech-Unternehmen EVOTEC eine Kooperation auf dem Gebiet der Frauen-Heilkunde vereinbart. Die Firma will für den Leverkusener Multi eine Arznei zur Therapie des polyzystischen Ovarial-Syndroms (PCOS) entwickeln. Bei dieser Gesundheitsstörung handelt es sich um eine Erkrankung des Eierstocks, bei der Zysten-Bildungen den Ei-Sprung und so auch mögliche Schwangerschaften verhindern. Daneben forscht EVOTEC für den Global Player noch an Präparaten gegen Gebärmutterschleimhaut-Wucherungen, Husten und Nierenschäden. Die engen Verbindungen zum Pillen-Riesen kommen dabei nicht von ungefähr. Das ehemalige BAYER-Vorstands- und jetzige Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Plischke steht nämlich dem EVOTEC-Aufsichtsrat vor.

Galileo-Studie: Keine Aufklärung

BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO hat viele Risiken und Nebenwirkungen. So kann er beispielsweise schwere Blutungen verursachen, die allzu oft tödlich enden. Trotzdem versucht der Leverkusener Multi unermüdlich, neue Anwendungsfelder für sein Präparat zu finden. Nicht einmal dramatische Zwischenfälle bei den entsprechenden klinischen Prüfungen halten ihn davon ab. So musste der Pharma-Riese im Oktober 2018 die Galileo-Studie abbrechen, weil die Erprobung des Mittels an PatientInnen, die gerade eine künstliche Herzklappe bekommen hatten, gehäuft zu Todesfällen führte (Ticker 1/19). Anfang 2020 publizierten der Konzern und sein US-amerikanischer Vertriebspartner JANSSEN einen Aufsatz über den Arznei-Test in einer Fachzeitschrift. Aber Aufschluss über die hohe Sterberate konnten die beiden Unternehmen nicht geben. „Wir verstehen die Ergebnisse nicht ganz“, gab James List von JANSSEN anlässlich der Veröffentlichung zu Protokoll, vergaß dabei aber nicht, XARELTO eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen. „Da die TeilnehmerInnen am GALILEO-Test sich grundlegend von denen der anderen XARELTO-Tests unterscheiden, bleibt das Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil von XARELTO bei den acht von der FDA (US-amerikanische Gesundheitsbehörde, Anm. Ticker) genehmigten Indikationen positiv“, so der Pharma-Manager.

Zahlreiche XARELTO-Nebenwirkungen

BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO löst immer wieder schwere Gesundheitsstörungen aus. 113.707 Meldungen über gravierende Nebenwirkungen gingen bis zum 30. Mai 2020 bei der Europäischen Datenbank für unerwünschte Arzneimittel-Effekte ein.

XARELTO für junge Erwachsene

Bald läuft das Patent für BAYERs umsatzstärkstes Pharmazeutikum, dem mit vielen Risiken und Nebenwirkungen behafteten Gerinnungshemmer XARELTO, aus. Darum versucht der Konzern fieberhaft, seinem Top-Seller mit dem Wirkstoff Rivaroxaban neue Anwendungsgebiete zu erschließen. So beantragte der Pharma-Riese jetzt in Aussicht auf eine sechsmonatige Patent-Verlängerung eine EU-weite XARELTO-Zulassung zur Behandlung von jungen Thromboembolie-PatientInnen bis 17 Jahre. Dabei ist die Fakten-Lage dünn. Am entsprechenden klinischen Test nahmen nur 500 Kinder und Jugendliche teil. Zudem handelte es sich nicht um eine Doppelblind-Studie. Auch das Ergebnis spricht nicht gerade für das Präparat. Unter dem BAYER-Mittel bekamen 1,2 Prozent der TeilnehmerInnen eine Thromboembolie, unter der Standard-Medikation Heparin mit drei Prozent nicht viel mehr. Zudem traten in der XARELTO-Gruppe mehr Blutungen auf (drei Prozent gegenüber 1,9). Diese seien aber weniger schwer verlaufen, versucht der Leverkusener Multi zu relativieren.

Neue XARELTO-Zulassung

Der BAYER-Konzern hat seinem umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO in den Vereinigten Staaten ein neues – das bisher achte – Anwendungsgebiet erschlossen. Die US-Gesundheitsbehörde FDA erteilte dem Präparat eine Zulassung zur präventiven Behandlung von solchen PatientInnen mit Thromboembolie-Risiko, die wegen akuter internistischer Gesundheitsstörungen wie etwa Schlaganfällen, Infektionskrankheiten oder Herzinsuffienz in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssen.

GLYPHOSAT & CO.

Größeres Krebs-Risiko durch Dicamba

Der von BAYER und anderen Agro-Konzernen vermarktete Pestizid-Wirkstoff Dicamba lässt für LandwirtInnen die Wahrscheinlichkeit steigen, an Leber- und Gallenwegkrebs zu erkranken. Bei FarmerInnen, welche die Substanz intensiv nutzen, stieg das Risiko gegenüber solchen, welche den Stoff nicht einsetzen, um den Faktor 1.8. Die Leukämie-Gefahr nahm ebenfalls zu. Das ergab eine Untersuchung der US-amerikanischen „National Institutes of Health“ (NIH) auf der Basis eines rund 50.000 Bauern und Bäuerinnen umfassenden Daten-Satzes der „Agricultural Health Study“. Auch 20 Jahre nach der Erst-Exposition blieb die erhöhte Gefährdung noch bestehen. Nach dem Fall „Glyphosat“ droht BAYER nun also auch ein Fall „Dicamba“. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte die Bundesregierung in einer Presseerklärung auf, die neuen Erkenntnisse bei den Entscheidungen über Zulassungsverlängerung für dicamba-haltige Produkte zu berücksichtigen. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, hielt die CBG fest.

Notfall-Zulassungen in Deutschland

„Wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist, kann das ‚Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit’ kurzfristig das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung und für maximal 120 Tage zulassen“, heißt es auf der Webpage der Behörde. Und das tut diese immer häufiger. Schon 60 Notfall-Zulassungen gewährte das BVL im laufenden Jahr. Zumeist handelt es sich dabei um die Erlaubnis, die Pestizide in weiteren Kulturen gegen Schadinsekten oder Wildpflanzen nutzen zu können. So verhielt es sich auch bei dem BAYER-Insektizid MOVENTO SC 100. Gleich vier Mal genehmigte das Bundesamt eine Ausweitung der Anwendungszone. So dürfen die bundesdeutschen LandwirtInnen das Mittel mit dem Wirkstoff Spirotetramat zusätzlich gegen die Maulbeer-Schildlaus, die Rote Austern-Schildlaus, den Gemeinen Birnenblatt-Sauger, die Hopfen-Blattlaus, die Apfel-Blutlaus, die Reben-Schildlaus und zahlreiche weitere Tiere einsetzen.

Notfall-Zulassungen in der EU

Nicht nur Deutschland erteilt Notfall-Genehmigungen für Pestizide (s. o.), auch andere europäische Länder tun das. Dabei schrecken einige Staaten nicht einmal davor zurück, bereits auf den Index gesetzte Agro-Chemikalien wie etwa BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO aus der Gruppe der Neonicotinoide kurzzeitig wieder zuzulassen. Finnische, belgische und spanische LandwirtInnen können das Mittel, das die Europäische Union wegen seiner Bienengefährlichkeit im Jahr 2018 aus dem Verkehr gezogen hatte, in diesem Jahr wieder nutzen. Nur in Einzelfällen interveniert die EU. So untersagte sie im Februar 2020 Rumänien und Litauen, die Neonicotinoide wieder aus dem Giftschrank zu holen. Daneben durften sich noch einige Produkte des Leverkusener Multis über eine Ausweitung der Anwendungszone auf bisher verbotene Früchte freuen, so SIVANTO mit dem Wirkstoff Flupyradifuron und RONSTAR (Oxadiazon) in Griechenland, MOVENTO 48 C (Spirotetramat) in Italien und CONVISO ONE (Foramsulfuron und Thiencarbazone-methyl) in der Slowakei. Die einzelnen EU-Mitgliedsländer nutzen das Instrument der Notfall-Zulassungen in unterschiedlichem Maß. Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, strebt die Europäische Union nun eine Harmonisierung der Praxis an. Geschehen ist allerdings bisher noch nichts.

Artensterben durch PONCHO

Die EU hat Pestizid-Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonicotinoide im Jahr 2018 wegen ihrer bienenschädlichen Effekte verboten. In den meisten anderen Ländern der Welt dürfen sich Produkte wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel PONCHO (Wirkstoff: Clothianidin) jedoch weiterhin auf den Feldern tummeln und dort ihr Gefährdungspotenzial entfalten. Und dieses beschränkt sich bei Weitem nicht nur auf Bienen. So haben PONCHO & Co. einen fatalen Effekt auf das Ökosystem „Reisfeld“, wie eine Studie des japanischen Wissenschaftlers Masumi Yamamuro ergab. Die von den Reisbauern und -bäuerinnen eingesetzten Neonicotinoide lösen nämlich eine ganze Ketten-Reaktion aus. Die Mittel töten Libellen ab, die vielen Fischen als Nahrung dienen. Darum ging der Stint-Bestand drastisch zurück, und viele FischerInnen mussten ihren Beruf aufgeben. Der Leverkusener Multi aber bestreitet den Befund und zieht Methodik und Daten-Interpretation Yamamuros in Zweifel. „Es gibt keinen Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Rückgang von Insekten-Populationen und dem Gebrauch von Neonicotinoiden in der Landwirtschaft“, erklärte der Konzern.

PFLANZEN & SAATEN

Pilot-Projekt „Kurzhalm-Mais“

BAYER führt in Mexiko ein Pilot-Projekt mit Kurzhalm-Mais durch. Dem Konzern zufolge erweist sich die gestutzte Pflanze Wetter-Einflüssen gegenüber als stabiler. Zudem braucht die hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete Sorte mit dem Produkt-Namen VITALA weniger Wasser. Auch kommt sie angeblich mit weniger Pestiziden aus, die überdies nicht mehr von der Luft aus versprüht werden müssen. Auf der letzten Hauptversammlung Ende April 2020 gab sich BAYER-Chef Werner Baumann hoffnungsvoll, „dass diese Innovation den Mais-Anbau, und damit den Anbau einer der wichtigsten Kultur-Pflanzen überhaupt, revolutionieren kann.“

GENE & KLONE

Schweine als Ersatzteillager

BAYER setzt sowohl im Pharma- als auch im Agro-Bereich stark auf die „Gentechnik 2.0“, also zum Beispiel auf Gen-Scheren wie CRISPR-Cas9, die das Erbgut angeblich genau an einer vorgegebenen Stelle auftrennen können, um es dann „umzuschreiben“ oder neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einzufügen. Diverse Kooperationsabkommen in Sachen „Genome Editing“ hat der Leverkusener Multi bereits geschlossen. Und Anfang November 2019 investierte er 50 Millionen Dollar in das Start-up eGENESIS. Dieses nimmt sich vor, Schweine als Ersatzteillager für Menschen zu nutzen und in den Tieren Organe für Transplantationen zu züchten. Bisher galten derartige Unterfangen – von moralischen Bedenken ganz abgesehen – als extrem risiko-reich. Im Organismus von Schweinen tummeln sich nämlich viele Viren, sogenannte PERVs (porcine endogenous retrovirus), die das Potenzial haben, gefährliche Krankheiten auszulösen. Die 2009 ausgebrochene Schweinegrippe etwa kostete hunderttausende Menschen das Leben. Aber die eGENESIS-FoscherInnen wollen die PERVs im Erbgut der Tiere einfach mit einer Genschere herausschneiden und damit die Gefahr bannen. „Unser Team wird den PERV-freien Schweinestamm weiterentwickeln, für eine sichere und wirksame Xeno-Transplantation“, so eGENESIS-Mitgründerin Luthan Yang über das Projekt „pig3.0“. Von einer „Sprung-Innovation“ spricht BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich deshalb. Und sein Kollege Dr. Jürgen Eckhardt sekundiert: „Wir glauben, dass eGENESIS den gesamten Markt für Organ-Transplantationen revolutionieren kann.“ Frühere Versuche des Leverkusener Multis, Tiere in Wert zu setzen, erwiesen sich nicht als erfolgreich. Das Klon-Schaf „Dolly“ der schottischen Biotech-Firma PPL THERAPEUTICS, an welcher BAYER einst 8,5 Prozent der Anteile hielt, verstarb vorzeitig. Zudem verweigerten die Tiere auch dem „Gene Pharming“ den Gehorsam. Das vollmundig als „Doing drugs the milky way” angekündigte PPL-Vorhaben, in Euter ein menschliches Gen einzuschleusen und aus ihnen so Reaktoren zur Herstellung eines Wirkstoffes zur Behandlung von Lungenkrankheiten zu machen, scheiterte.

Neue Zulassung, alte Standards

Seit Ende 2013 gelten in der Europäischen Union strengere Standards bei den Import-Genehmigungen für Gen-Pflanzen. Wenn es bloß um die Verlängerungen der Einfuhr-Erlaubnisse geht, will Brüssel diese Maßstäbe jedoch nicht in Anschlag bringen. So erhielt der BAYER-Konzern im Dezember 2019 eine erneute Zulassung für zwei Soja-Arten, obwohl keine bzw. nur mangelhafte Fütterungsstudien vorlagen und die Feldversuche sich nicht an den tatsächlichen Anbau-Bedingungen orientierten. Konkret handelte es sich dabei um das glyphosat-resistente Produkt MON89788 und um die Laborfrucht A2704-12, die immun gegen das jetzt von der BASF vermarktete und in der EU wegen seiner Gesundheitsschädlichkeit nicht mehr zugelassene Pestizid Glufosinat ist. Die Initiative TESTBIOTECH kritisiert die Entscheidung. Nach Ansicht der Organisation bestehen nämlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beschlusses. Sie verweist dabei auf eine EU-Verordnung, in der heißt: „Damit sichergestellt ist, dass Anträge auf Zulassungsverlängerungen in Bezug auf die Prüfverfahren denselben Standards entsprechen, sollten diese Anforderungen auch für Anträge auf Verlängerung der Zulassung von GV-Lebens- und Futtermitteln gelten (GV = gentechnisch verändert, Anm. Ticker)“. Hätte die bisherige Praxis aber trotzdem weiter Bestand, „gäbe es in der EU doppelte Sicherheitsstandards für transgene Pflanzen“, warnt TESTBIOTECH.

WASSER, BODEN & LUFT

CO2-Ausstoß steigt

Der BAYER-Konzern hat erstmals seit vielen Jahren wieder einen separaten Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt. Er hat seine Umweltberichterstattung also nicht reduziert, wie irrtümlicherweise im Ticker 2/20 berichtet. Nur leider gibt es in der Sache selbst kaum Positiveres zu melden, was das Unternehmen hauptsächlich dem „akquirierten Agrar-Geschäft“, also dem MONSANTO-Deal, zuschreibt. So stiegen die Kohlendioxid-Emissionen im Geschäftsjahr 2019 um 830.000 Tonnen auf 3,71 Millionen Tonnen. Ein Großteil dieses Zuwachses ist auf die extrem energie-intensive Glyphosat-Produktion am Standort Soda Springs zurückzuführen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert hier bereits seit Langem Maßnahmen ein, bisher blieb der Global Player allerdings untätig.

BAYER verbraucht mehr Strom

Der im Geschäftsjahr 2019 erstmals vollständig in BAYERs Energie-Bilanz einfließende Strom-Verbrauch des zugekauften MONSANTO-Geschäfts sorgt für eine massive Erhöhung der Zahlen. Der Energie-Einsatz des Konzerns erhöhte sich von 29.903 Terrajoule auf 38.744 Terrajoule.

Mehr Kohle im Strom-Mix

Der BAYER-Konzern verbrauchte im Geschäftsjahr 2019 nicht nur mehr Energie (s. o.), diese kam, was den selbst erzeugten Strom angeht (für den zugekauften Strom macht das Unternehmen keine detaillierteren Angaben), im Vorgleich zum Vorjahr teilweise auch aus schmutzigeren Quellen. So erhöhte sich der Kohle-Anteil am Energie-Mix von 2,38 Prozent auf 13,5 Prozent. Für Flüssigbrennstoffe sanken die Werte hingegen. Sie reduzierten sich von 23,11 Prozent auf 13,44 Prozent. Hauptenergie-Lieferant für den Leverkusener Multi ist mit 66,86 Prozent Erdgas.

Mehr ozon-abbauende Substanzen

Im Geschäftsjahr 2019 haben die BAYER-Werke mehr ozon-abbauende Substanzen ausgestoßen. Der Wert für die „Ozone Depleting Substances“ (ODS) stieg von 9,3 auf 17,8 Tonnen. Und diesmal ist daran nicht MONSANTO schuld. Die Uralt-Dreckschleudern des Konzerns im indischen Vapi sorgten für den Großteil des Zuwachses. An diesem Standort hatte das Unternehmen zwar jahrelang Modernisierungsarbeiten durchgeführt, aber ausgezahlt hat sich das Ganze offenbar nicht.

Mehr flüchtige Substanzen

2019 hat BAYER mehr flüchtige Substanzen in die Luft emittiert als 2018. Von 1.360 Tonnen auf 1.610 Tonnen erhöhte sich der Wert.

Weniger Kohlenmonoxid-Emissionen

Der Kohlenmonoxid-Ausstoß von BAYER ging 2019 gegenüber dem Vorjahr von 3.990 Tonnen auf 3.300 Tonnen zurück.

Mehr Stickstoff-Emissionen

2019 hat der BAYER-Konzern mehr Stickstoff in die Luft emittiert als 2018. Der Wert erhöhte sich von 3.260 auf 4.700 Tonnen.

Mehr Schwefeloxid-Emissionen

2019 hat der BAYER-Konzern mehr Schwefeloxid in die Luft emittiert als 2018. Der Wert erhöhte sich von 730 Tonnen auf 2.310 Tonnen.

Weniger Staub-Emissionen

BAYERs Staub-Emissionen sanken im Geschäftsjahr 2019 gegenüber 2018 von 2.350 Tonnen auf 1.580 Tonnen.

Höhere Abwasser-Frachten

Im Geschäftsjahr 2019 stieg BAYERs Wasserverbrauch gegenüber 2018 von 42 Millionen Kubikmeter auf 59 Millionen Kubikmeter und dementsprechend auch das Abwasser-Aufkommen. Die Gesamtmenge wuchs um 42,1 Prozent auf 26 Millionen Kubikmeter.

Mehr Einleitungen in Gewässer

Im Geschäftsjahr 2019 leitete der BAYER-Konzern mehr schädliche Stoffe in die Gewässer ein als 2018. „2019 stiegen alle Emissionen in das Wasser. Dies ist insbesondere auf die ganzjährige Einbeziehung der Standorte des akquirierten Agrar-Geschäftes zurückzuführen“, heißt es dazu im Nachhaltigkeitsbericht. Die Phosphor-Werte stiegen von 180 auf 510 Tonnen, die Stickstoff-Werte von 390 auf 420 Tonnen, die Schwermetall-Werte von 2,4 auf 2,6 Tonnen, die für organisch gebundenen Kohlenstoff von 600 auf 980 Tonnen und diejenigen für anorganische Salze von 97.000 auf 167.000 Tonnen.

Viele Pestizide in NRW-Gewässern

Die Gewässer in Nordrhein-Westfalen sind stark mit Agro-Chemikalien belastet, wie eine Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen an die CDU/FDP-Landesregierung ergab. Demnach weisen von 351 untersuchten Fluss-Abschnitten des Rheins 207 Pestizid-Rückstände über dem Beurteilungswert auf, der für die WissenschaftlerInnen den Übergang von einem guten in einen mäßigen Zustand markiert. Für die Ems traf dies auf 58 von 59 Bereichen zu, für die Maas auf 47 von 68 und für die Weser auf 65 von 82.

Dormagen: Ein bisschen Umweltschutz

Der BAYER-Konzern baut seine Dormagener Fertigungsanlage zur Herstellung der beiden Fungizide ASCRA XPRO (Wirkstoffe: Bixafen, Prothioconazol, Fluopyram) und ANTRACOL (Wirkstoff: Propineb) nicht nur aus (siehe STANDORTE & PRODUKTION), sondern aus Umweltschutz-Gründen zudem ein wenig um. Das erscheint angesichts der verheerenden Öko-Bilanz des Unternehmens (s. o.) auch dringend geboten. So kündigte die Firma Investitionen in eine leistungstärkere Aufbereitung von Abgasen und Abwässern an. Unter anderem will sie das bei der Prothioconazol-Produktion anfallende Eisen(II)-Clorid zu Eisen(III)-Clorid aufbereiten und wieder in den Herstellungsprozess leiten. Nach Angaben der „Deutschen Energie-Agentur“ sorgt das für eine Reduzierung der Abfall-Ströme um 95 Prozent. Überdies kann der Leverkusener Multi auf diese Art nicht nur den Rohstoff-, sondern auch den Energie-Verbrauch drosseln, was die Kohlendioxid-Emissionen der Fertigungsstätte um rund 9.000 Tonnen pro Jahr reduziert.

PolitikerInnen wollen Geld von BAYER

Die Gewässer Deutschlands sind nicht nur stark mit Pestiziden belastet (s. o.), sondern auch mit Arznei-Rückständen. Den Wasserwerken verursacht das enorme Zusatzkosten bei der Trinkwasser-Aufbereitung. Darum fordern die verantwortlichen PolitikerInnen eine Beteiligung von BAYER & Co. an den Mehraufwendungen. „Nach Auffassung der Umweltministerinnen und -minister sowie der -senatorinnen und -senatoren der Länder gibt es klare Adressaten für eine verursacher-gerechte Kostentragung, da es nur eine geringe Anzahl von Herstellern und Inverkehrbringern von Pflanzenschutzmitteln bzw. von unter Gewässerschutz-Aspekten problematischen Medikamenten gibt“, so die nordrhein-westfälische Landesregierung in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Dementsprechend haben die Bundesländer die Bundesregierung gebeten, „Regelungsperspektiven aufzuzeigen und mögliche nationale und europäische Instrumente zu prüfen“.

Runder Tisch zu Röntgen-Kontrastmitteln

BAYERs Röntgen-Kontrastmittel haben es in sich. Bei deren Inhaltsstoffen handelt es sich nämlich um Abkömmlinge des Schwermetalls Gadolinium. GADOVIST enthält Gadobutrol, PRIMOVIST Gadoxet-Säure und MAGNEVIST Gadopentent-Säure. Diese Substanzen können zahllose Gesundheitsschäden verursachen wie z. B. Herzrhythmus-Störungen, Muskel-Zuckungen, Blutdruck-Schwankungen, Leber-Erkrankungen und Fibrose, ein unkontrolliertes Wachstum des Bindegewebes. Noch dazu zählen die Präparate zu den Arzneimitteln, welche die Gewässer am stärksten belasten. Und auch das liegt an den Schwermetallen, denn diese bauen sich biologisch nur sehr langsam ab. Darum gibt es bereits ein Forschungsprojekt, das bei Röntgen-PatientInnen den Einsatz von Urin-Beuteln testet, um GADOVIST & Co. in den Sondermüll statt in die Kanalisation gelangen zu lassen. Daneben hat die Bundesregierung ein ExpertInnen-Gremium ins Leben gerufen, das die Aufgabe hat, Vorschläge zur Verminderung der Stoff-Einträge von Röntgen-Kontrastmitteln, anderen Medikamenten und Pestiziden zu erarbeiten.

Pilotanlage eliminiert kaum PCB

Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie (SWB 1/14). Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheitsrisiko dar. Von den 1985 in der Bundesrepublik verkauften 72.000 Tonnen landete mehr als ein Sechstel im Bergbau, wo die schweren Gerätschaften viel Hydraulik-Öl zum Schmieren brauchten. „Wir sind mit dem Zeug umgegangen, als wäre es Milch“, zitiert der Spiegel einen Bergmann. Dementsprechend leiden viele seiner KollegInnen heute an den Spätfolgen und zeigen Vergiftungssymptome wie Haut-, Nieren- und Leberschäden. Die Altlasten lagern in Fässern und anderen Behältern, die nicht selten Leckagen aufweisen. Um das PCB nicht in das Grundwasser und die Flüsse gelangen zu lassen, muss der Bergbau-Konzern RAG das Grubenwasser über ein bestimmtes Niveau pumpen. Die kontaminierte Fracht leitet er dann in die Gewässer ein. Das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz entnahm unter anderem an den Bergwerken in Bottrup, Bergkamen und Essen Proben und wies PCB-Belastungen nach, die an manchen Stellen um das Dreifache über den Grenzwerten lagen. Darum hat die RAG jüngst an den Einleitungsstellen „Bergwerke Ost“ und „Ibbenbüren“ Pilotanlagen zum Herausfiltern des PCB aus dem Grubenwasser erprobt. Die Ergebnisse ließen allerdings zu wünschen übrig. Es gelang nur, 30 bis 40 Prozent der Polychlorierte Biphenyle zu eliminieren. Jetzt empfiehlt eine ExpertInnen-Gruppe unter anderem, „zu gegebener Zeit alternative Aufbereitungsverfahren an anderen Einleitungsstellen mit vorhandener Fracht zu testen“.

RAG will fluten

In Nordrhein-Westfalen muss der RAG-Konzern aus seinen stillgelegten Bergwerken das Grubenwasser vollständig abpumpen, um die darin enthaltenen Giftstoffe wie z. B. Polychlorierte Biphenyle – oftmals made by BAYER (s. o.) – nicht ins Grundwasser gelangen zu lassen. Zudem kann so Erd-Erschütterungen vorgebeugt werden. Im Saarland besteht keine Pflicht zu diesen Arbeiten, weil die geographische Lage eine andere ist. Das wollte das Unternehmen ausnutzen und viele Pumpen abstellen. Dagegen klagte jedoch die Gemeinde Nalbach, zu welcher der ehemalige Schacht Primsmulde gehört. Sie erhielt Ende 2019 auch Recht zugesprochen, aber die RAG legte Beschwerde gegen das Urteil ein. Jetzt liegt die Angelegenheit dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zur Entscheidung vor.

Das Rheinbrücken-Fiasko

Durch nichts ließen sich die nordrhein-westfälischen PolitikerIn-nen von CDU, SPD und FDP davon abhalten, Leverkusens marode Rheinbrücke durch einen Neubau zu ersetzen und im Zuge dessen auch die Autobahn A1 auf zwölf Spuren auszubauen, obwohl sie dazu Hand an BAYERs Dhünnaue-Altlast legen mussten. Vergeblich warnten UmweltschützerInnen vor Stoff-Austritten aus der stillgelegten Giftmüll-Deponie und vor Baugrund-Absenkungen durch die fortwährende Zersetzung der organischen Substanzen. Der rot-grünen NRW-Landesregierung unter Hannelore Kraft konnte es gar nicht schnell genug gehen. Der damalige Bau-Minister Michael Groschek (SPD) brachte sogar eine „Lex Leverkusen“ auf den Weg, um Klage-Möglichkeiten gegen das Vorhaben einzuschränken und so die Umsetzung zu beschleunigen. Aus dem gleichen Grund verzichtete er bei der Ausschreibung auf ein Verhandlungsverfahren. Damit vergab sich das Land die Möglichkeit, dem ausgewählten Unternehmen genauere Bedingungen, z. B. zu den Qualitätsstandards, zu stellen. Nur billig sollte alles sein. Und genau das fällt der Politik jetzt auf die Füße. Auf den Stahl, den der General-Unternehmer PORR für die Brücken-Konstruktion von einem chinesischen Subkontraktor bezog, konnte nämlich niemand bauen. 250 bis 600 Mängel pro Bauteil entdeckte der Landesbetrieb „Straßen.NRW“. Nach langem Hin und Her zog die schwarz-gelbe Landesregierung dann die Reißleine. Sie kündigte den Vertrag mit PORR und schrieb die Arbeiten neu aus. Dadurch kommt es nicht nur zu großen Verzögerungen, sondern auch zu erheblichen Kosten-Steigerungen zu Lasten der SteuerzahlerInnen. Für eine Realisierung von Alternativen beim Neustart wie etwa der Tunnel-Lösung, welche die Dhünnaue unangetastet ließe, ist es nach Meinung vieler UmweltschützerInnen allerdings zu spät.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Der Untergang der „Grande America“

Nicht weniger als 25 Transport-Unfälle mit zum Teil als Gefahrgut deklarierter Ladung verzeichnet BAYERs Nachhaltigkeitsbericht für 2019. Der fatalste ereignete sich am 12. März des Jahres. Da geriet das Container-Schiff „Grande America“ rund 330 Kilometer vor der französischen Westküste in Brand und sank. Es bildete sich ein zehn Quadratkilometer großer Ölteppich, der mehr als 250 Vögel das Leben kostete. Neben 2.100 Autos, 62 Tonnen Kunstharz, 16 Tonnen Terpentin-Ersatz und 720 Tonnen Salzsäure befanden sich auch 25 Tonnen BAYER-Fungizide an Bord. Ob die Behälter ausliefen oder mehr oder weniger friedlich auf dem Mee

[Monsanto-Krise] Presse-Information CBG vom 27.02.20

CBG Redaktion

Immer mehr Klagen, immer weniger Jobs, immer schlechtere Umwelt-Werte

BAYERs MONSANTO-Krise verschärft sich

Die MONSANTO-Krise macht BAYER immer mehr zu schaffen. Das belegen die zur Bilanzpresse-Konferenz vorgelegten Zahlen. Die Klagen von Glyphosat-Geschädigten erhöhten sich noch einmal deutlich auf nunmehr 48.600. Zudem kommt es wegen der Risiken und Nebenwirkungen des Pestizids Dicamba zu immer mehr gerichtlichen Auseinandersetzungen; 170 nennt der Geschäftsbericht. Ein erstes Verfahren endete für BAYER und BASF mit der Verurteilung zu einer Summe in Höhe von 265 Millionen Dollar.

Eines ist jetzt schon klar: Der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning muss seinen Hut nehmen. Die Großaktionär*innen des Konzerns schassen ihn offenkundig, weil er derjenige ist, der für die MONSANTO-Übernahme hauptverantwortlich ist und es ihm nun seit Jahren nicht gelingt, die damit verbundenen Skandale und Katastrophen einzudämmen. Es war Wenning, der den Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann ins Amt gehievt hat und seine Hand schützend über diesen und den desaströsen MONSANTO-Deal hielt. Baumann wurde auf der vergangenen BAYER-HV 2019 wegen der drohenden „Reputationsschäden durch die MONSANTO-Übernahme“ die Entlastung verweigert. Noch in der Nacht nach der HV stellte sich Wenning vor Baumann und hielt ihn im Amt. Der vorzeitige Rückzug des Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Wenning erscheint da nur folgerichtig, als „Signal an die Investoren“ meint das „Handelsblatt“.

Das Management aber macht gute Miene zum bösen Spiel und verweist dabei auf den um 3,5 Prozent gestiegenen Umsatz. „Der BAYER-Konzern war im vergangenen Jahr strategisch und operativ erfolgreich“, heißt es in der Pressemitteilung des Unternehmens. „Geliefert haben wir auch mit Blick auf die Ende 2018 angekündigten Portfolio-, Effizienz- und Strukturmaßnahmen“, erklärt der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann. Bestellt hatten das Paket die Investoren nach dem ersten Glyphosat-Prozess, der eine Strafzahlung von 78 Millionen Dollar zur Folge hatte, was BLACKROCK & Co. angesichts der vielen weiteren Klagen das Schlimmste befürchten ließ. Und bezahlt haben es die Beschäftigten. Hinter den „Portfolio-, Effizienz- und Strukturmaßnahmen“ verbirgt sich nämlich die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen.

Auf die Umweltbilanz wirkt sich die Aquisition ebenfalls verheerend aus: Die Kohlendioxid-Emissionen stiegen von 2,88 auf 3,71 Millionen Tonnen. Und auch dafür trägt wieder hauptsächlich Glyphosat die Verantwortung. Die Gewinnung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor aus Phosporit ist nämlich extrem energie-aufwendig. Auf eine Betriebstemperatur von 1500° muss der Ofen kommen, damit das Phosphorit das Phosphor preisgibt. Der Geschäftsbericht gibt dazu jedoch nur verklausuliert Auskunft. „Mit dem akquirierten Agrargeschäft haben wir neben Standorten für die Saatgutproduktion u. a. auch eine Rohstoffgewinnung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten übernommen, mit der energieintensive Auf- und Weiterverarbeitungen verbunden sind“, steht da zu lesen. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hatte da schon auf der letzten Hauptversammlung Handlungsbedarf angemahnt, der Konzern hat aber offensichtlich nichts unternommen. Überhaupt hat der Konzern seine Umweltberichterstattung auf Schrumpfstufe gestellt. So fehlen etwa Angaben zum Ausstoß von Phosphor, Schwermetallen, Schwefeldioxid und Stickstoff. Die ständigen Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit erscheinen angesichts dessen wie blanker Hohn.

„Reine Profitgier hat den BAYER-Konzern dazu getrieben, MONSANTO zu übernehmen. Jetzt zeigen sich die Auswirkungen dieses rücksichtslosen Handelns auf allen Ebenen: Die Zahl der Glyphosat-Klagen nimmt immer mehr zu, 12.000 Beschäftigte kostete der Deal bisher schon den Job und die Glyphosat-Fabrik in Soda Springs entpuppt sich als veritabler Klima-Killer. Wann zieht das Management endlich die Konsequenzen aus dem Desaster?“, so Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren.

Nur folgerichtig, wenn der erste Gegenantrag (siehe Anhang) der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) zur BAYER-Hauptversammlung am 28. April 2020 mit Verweis auf das Glyphosat-Desaster die Nicht-Entlastung des Vorstands fordert.

Pressekontakt:
Marius Stelzmann 0211/33 39 11

[Der Lagebericht] BAYER weiter in der Krise

CBG Redaktion

MONSANTO im Allgemeinen und Glyphosat im Besonderen bereiten BAYER nach wie vor viele Probleme. Durch den Hedge-Fonds ELLIOT droht sogar die Zerschlagung des Konzerns.

Von Jan Pehrke

Mit 18.400 Klagen von Geschädigten des Pestizids Glyphosat sieht sich der Leverkusener Multi mittlerweile konfrontiert (Stand: 30.07.2019). Von Quartalsbericht zu Quartalsbericht steigt die Zahl. Wegen dieser Prozess-Flut muss der Konzern jetzt sogar mit einer gerichtlich angeordneten Sonderprüfung rechnen. Der Aktionär Christian Strenger bereitet einen entsprechenden Antrag vor, nachdem er auf der Hauptversammlung für die Einleitung einer solchen Untersuchung nicht die nötige Mehrheit gefunden hatte. Strenger wirft dem Management vor, die mit der MONSANTO-Übernahme verbundenen rechtlichen Risiken nicht ausreichend beachtet zu haben und will das Agieren des Vorstands nun einer detaillierten Inspektion unterziehen.

Von der Entwicklung, dass die Richter*in-nen der bisherigen drei großen Verfahren gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO die Geld-Bußen im Nachhinein verringert hatten, zeigte sich der Anteilseigner wenig beeindruckt. Im Fall „Dewayne Johnson“ schrumpfte die Summe von 289 auf 78 Millionen Dollar, im Fall „Pilliod“ von zwei Milliarden auf 86,7 Millionen und im Fall „Hardeman“ von 80 auf 25 Millionen. Den eigentlichen Schadensersatz ließen die Jurist*innen dabei unberührt. Bei den „punitive damages“ – der eigentliche Strafe – legten sie Hand an. Die Versicherungen hatten für diesen Posten nämlich vor einiger Zeit eine Grundsatz-Entscheidung erzwungen. Seither darf der Betrag das Schmerzensgeld höchstens noch um das Neunfache übersteigen. Deshalb musste es zu den Absenkungen kommen. In der Sache aber gab es kein Vertun. „MONSANTO verdient es, bestraft zu werden“, sagte etwa der Richter Vince Chhabria bei der Ankündigung der Reduzierung. Dementsprechend fiel die Freude des Global Players einigermaßen verhalten aus. „Ein Schritt in die richtige Richtung“, hieß es jeweils.

Elliot legt die Axt an
Vorher schon hatte der Konzern die Prozesse zur Chef-Sache erklärt und die Weichen für einen Strategie-Wechsel gestellt. Es blieb ihm auch kaum etwas anderes übrig, hatte die Hauptversammlung dem Vorstand im April 2019 wegen der Causa „Glyphosat“ doch die Entlastung verweigert. „Der Aufsichtsrat sieht die negativen Auswirkungen, die von der Unsicherheit im Zusammenhang mit den Gerichtsverfahren auf den Aktien-Kurs und die Wahrnehmung der Stakeholder ausgehen“, konstatierte Ober-Aufseher Werner Wenning Ende Juni 2019 und gelobte Besserung. So gab er die Verpflichtung des in Produkthaftungsklagen beschlagenen US-Anwalts John H. Beisner als Berater bekannt. Zudem verkündete der Aufsichtsratschef die Einrichtung eines Sonder-Ausschusses, dem die Aufgabe zukommt, für zusätzliche juristische Expertise zu sorgen.

Der berühmt-berüchtige Hedge-Fonds ELLIOT, der sein schon länger bestehendes Engagement bei BAYER im Herbst 2018 öffentlich gemacht hatte, reagierte umgehend. Er zeigte sich zunächst einmal zufrieden mit den Beschlüssen. Zur Personalie „Beisner“ ließ die von Paul Elliot Singer gegründete Gesellschaft verlauten: „Wie aus seiner Arbeit für MERCK (VIOXX) und JOHNSON & JOHNSON (DEPUY-Hüftimplantate) ersichtlich, hat Herr Beisner eine nachweisbare Erfolgsbilanz, vielbeachtete Produkthaftungsfälle zu einer erfolgreichen Lösung zu führen.“ Auch dem neuen Sonder-Ausschuss erteilte der Fonds sein Placet. Die annoncierten Veränderungen bilden eine geeignete Basis dafür, die Prozesse zu einem guten Ende für die Anleger*innen zu führen, so das Resümee.

Das ist aber noch nicht alles, Singer & Co. denken schon über den Moment hinaus. „Auch wenn die Lösung der Herausforderungen in den Rechtsstreitigkeiten unmittelbare Priorität hat, ist ELLIOT der Ansicht, dass BAYER mehr für die langfristige Wertschöpfung zum Vorteil aller Stakeholder machen könnte“, heißt es in der Presseerklärung. Für die ELLIOT MANAGEMENT CORPORATION spiegelt der derzeitig niedrige Aktien-Kurs nämlich den Wert der einzelnen Geschäftseinheiten – „bzw. die bestehende Wertbeschaffungsmöglichkeit von mehr als 30 Milliarden Euro“ – nicht wider. Im Klartext: Eine Zerschlagung des Konzerns ist in den Augen des Hedge-Fonds lukrativer als die Beibehaltung der jetzigen Struktur. Dementsprechend ruft er den Vorstand zum Handeln auf. Singer sieht einem „glaubwürdigen Bekenntnis der Gesellschaft entgegen, (...) auch langfristige Wertschöpfungsmaßnahmen im Sinne aller Stakeholder zu prüfen“.

„Mit ELLIOT wird BAYERs Alptraum wahr“, konstatierte die Rheinische Post, denn Singer gilt als der aggressivste unter den aggressiven Aktionär*innen. Mit Vorliebe betätigt sich sein Unternehmen als Krisen-Profiteur, weshalb es sich die Bezeichnung „Geier-Fonds“ mehr als verdient hat. So stürzten sich die Finanz-Strateg*innen just zu dem Zeitpunkt auf die Staatsanleihen Argentiniens, da das Land sich für zahlungsunfähig erklärt hatte. Und während ein Großteil der anderen Käufer*innen sich auf einen Schuldenschnitt einließ, verweigerte der Finanz-Konzern sich diesem. Stattdessen verklagte er das südamerikanische Land erfolgreich und verbuchte auf diese Weise eine Rendite von 1.000 Prozent. Im Falle Griechenlands gingen die Fonds-Manager*innen ähnlich vor. Bei angeschlagenen Kapitalgesellschaften hingegen drängen sie in der Regel auf einen Ausverkauf und verfolgen dieses Anliegen dann ohne Rücksicht auf Verluste. Bei THYSSENKRUPP etwa bewog das den Aufsichtsratschef Ulrich Lehner dazu, von seinem Posten zurückzutreten. Von „Psycho-Terror“ sprach er nachher.

Dabei bemisst sich die Macht ELLIOTs nicht nach der Größe des Wertpapier-Depots. Beim Leverkusener Multi hält der Finanz-Konzern eine Beteiligung von 1,1 Milliarden Euro; BLACKROCK kommt auf ein Vielfaches davon. Aber der Hedge-Fonds schafft es immer wieder, auch andere Anleger*innen hinter sich zu bringen, die auf die gute Nase Singers für üppige Schlachtessen bauen. Im Falle BAYERs gab es darauf bereits unmittelbar nach dem Statement der ELLIOT MANAGEMENT CORPORATION zu den Plänen des BAYER-Aufsichtsrates einen Vorgeschmack: Der sogenannte „ELLIOT-Effekt“ trat ein und verschaffte der Aktie des Agro-Riesen ein Kurs-Plus von fast neun Prozent.

Aber nicht nur ELLIOT liebäugelt mit einer Aufspaltung des Konzerns. Die Finanz-Analyst*innen von BERNSTEIN RESEARCH hatten diese Forderung bereits in der Vergangenheit erhoben und wiederholten sie in einem Brief, der dem Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann im Juni 2019 zuging. „Wir haben Schwierigkeiten, große Synergien zwischen den beiden Bereichen zu sehen“, hieß es darin unter anderem. Dem Begehr BERNSTEINs, sich wenigstens von der Veterinär-Sparte zu trennen, kam der Ober-BAYER unterdessen schon nach. Sie ging für 7,6 Milliarden Euro an die US-Firma ELANCO. Die Transaktion ist Teil des Rationalisierungsprogramms, das der Leverkusener Multi im November 2018 beschloss, um seinen Investor*innen wieder Vertrauen in die Aktie einzuflößen, die nach den ersten Urteilen in den Glyphosat-Prozessen massiv an Wert verloren hatte. Die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen sowie das Abstoßen diverser Betriebsteile kündigte Baumann damals an. Und er lieferte. Die annoncierte Verkaufsliste hat der BAYER-Chef mit dem ELANCO-Deal jetzt bereits abgearbeitet. Zuvor wechselten die Sonnenschutz-Mittel der COPPERTONE-Reihe, die Fußpflege-Präparate der Marke DR. SCHOLL’S und die Anteile des Konzerns am Chemie„park“-Betreiber CURRENTA den Besitzer. Bei der CURRENTA schlug MIRA, der Infrastruktur-Fonds der australischen Investmentbank MACQUARIE, zu. Auch DR. SCHOLL’S landete bei einem Finanz-Investor; YELLOW WOODS zahlte dafür 585 Millionen Dollar. COPPERTONE schließlich wanderte für 550 Millionen Dollar zu BEIERSDORF.

Rund 6.500 Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens verschwinden durch diese Geschäfte. Und außerhalb dürften längst nicht alle davon erhalten bleiben. Besonders denjenigen, die unter die Kuratel von Finanz-Investoren geraten sind, droht im Stellenplan der kw-Vermerk für „künftig wegfallend“. MIRA etwa garantiert die geltenden betrieblichen und tariflichen Regelungen nur für drei Jahre. Wie es dann weitergeht, steht dahin, denn längerfristige Pläne hat die MACQUARIE-Tochter nicht. „Wir gehen von einer Haltedauer von zehn bis zwölf Jahren aus“, erklärte Deutschland-Chef Hilko Schomerus lapidar.

Aber nicht nur durch den Verkauf der verschiedenen Sparten gehen Stellen verloren. Der Global Player schließt zudem nach Kräften Standorte. In den USA macht er etwa die Niederlassungen in Durham, Robinson und Mishawaka dicht, was insgesamt über 800 Jobs kostet. In der Bundesrepublik scheut der Agro-Riese solche drastischen Schritte bisher, weil es stärkere Beschäftigten-Vertretungen gibt. Den Stand der Dinge hierzulande fasste der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Oliver Zühlke in einem Interview mit der Rheinischen Post zusammen. „Wir verhandeln weiter mit dem Konzern über die Verteilung auf die verschiedenen Bereiche und Standorte. BAYER prüft, Prozesse zu verändern, Aufgaben zu streichen oder auszulagern. Das ist komplex und braucht Zeit“, so der Gewerkschaftler.

Zu allem Übel hat das Rationalisierungsprogramm nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Es tangiert auch Sicherheitsfragen. Die CURRENTA trägt nämlich einen Teil der Verantwortung für die – immer noch nicht in Betrieb genommene – Kohlenmonoxid-Pipeline, die zwischen Krefeld und Dormagen verläuft. Das Unternehmen überwacht die Giftgas-Röhre nämlich über ihre Kontrollstellen in den Chemie-„Parks“. Bei einem Finanz-Investor wie MIRA ist eine solche Aufgabe denkbar schlecht aufgehoben. Entsprechend besorgt reagierten die Bürgerinitiativen auf die Nachricht von dem Besitzer-Wechsel.

Trumps helfende Hand
Unterdessen erhielt der Leverkusener Multi in Sachen „Glyphosat“ einige Unterstützung von offizieller Seite. So hat die US-amerikanische Umweltbehörde EPA einen Erlass des Staates Kalifornien aufgehoben, der BAYER und alle anderen Vertreiber von Glyphosat anwies, die Käufer*innen auf den Etiketten über die von dem Mittel ausgehende Krebs-Gefahr zu informieren. „Es ist unverantwortlich, das Anbringen von Warnhinweisen auf Produkten vorzuschreiben, wenn die EPA das Produkt für nicht krebserregend hält“, erklärte die „Environmental Protection Agency“. „BAYER is getting a helping hand from Donald Trump“, kommentierte das Internet-Portal Markets Insider den Vorgang. Der US-Präsident hatte nämlich die Spitze der Einrichtung neu besetzt, damit diese die Industrie nicht mehr länger durch so viele lästige Vorschriften am Profitmachen hindert. Seither geht ein Riss durch die Behörde, wie der von der BAYER-Tochter MONSANTO engagierte Schnüffeldienst HAKLUYT (siehe auch SWB 3/19) seinem Auftraggeber meldete: „Die politische Leitung favorisiert Deregulierungen und setzt sich über die Risiko-Analysen der Experten hinweg (...) Besonders, was Glyphosat angeht, gibt es starke Differenzen zwischen dem politischen und dem professionellen Personal.“
Auch die Bundesregierung sprang BAYER bei. Sie entschied sich gegen ein sofortiges Glyphosat-Verbot und beschloss lediglich eine Minderungsstrategie. Das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid bleibt jetzt so lange im Umlauf, wie seine EU-Zulassung währt. Erst zum Jahr 2024 will die Große Koalition es dann aus dem Verkehr ziehen. Bis dahin darf das Pestizid auf den Feldern weiter sein Unwesen treiben; zu mehr als ein paar Einschränkungen konnten sich CDU und SPD nicht durchringen. Lediglich den Gebrauch im Haus- und Garten-Bereich sowie auf öffentlichen Flächen untersagten die Parteien. „Kein Verbot, bis es ohnehin ein Verbot gibt – Hier bekommen wir von der Regierung eine echte Mogelpackung serviert. Dass der Gebrauch von Glyphosat nun ‚systematisch gemindert’ werden soll, ist keine Maßnahme zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt, sondern ein Geschenk an BAYER und die anderen großen Produzenten, die nun die Möglichkeit haben, ihr profit-trächtiges Agrar-Gift dreieinhalb weitere Jahre zu verkaufen“, konstatierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in ihrer Presseerklärung. Der Leverkusener Multi gab sich trotzdem nicht zufrieden. „Wir sehen die Entscheidung der Bundesregierung kritisch, bis Ende 2023 aus Glyphosat auszusteigen“, erklärte der Agrar-Chef Liam Condon.

Kurz vorher hatte er im Hinblick auf die abermalige Zulassungsverlängerung für das Herbizid, über welche die EU 2022 befindet, Gesprächsbereitschaft signalisiert. Das Unternehmen respektiere, dass in einigen europäischen Ländern der Wunsch der Politik bestehe, den Einsatz von Glyphosat zu reduzieren, sagte Condon dem Tagesspiegel zufolge. „Daher werden wir mit den unterschiedlichsten Interessensgruppen zusammenarbeiten, um alternative Lösungen zu entwickeln“, kündigte er an. Was da unter der Anmutung einer Charme-Offensive auftritt, ist indessen knallhartes Kalkül. Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner beschrieb die Strategie des Global Players mit diesen Worten: „BAYER fürchtet um die Glyphosat-Zulassung. Darum deutet der Konzern jetzt einen Kuhhandel wie bei der Gentechnik an.“ Nach Ansicht Ebners setzt der Leverkusener Multi darauf, eine Opt-out-Lösung zu erreichen: Eine EU-weite Genehmigung, die den einzelnen Mitgliedsländern aber Verbote erlaubt. Dann hätte das umstrittene Mittel zumindest in Teilbereichen des europäischen Marktes, der zum Gesamt-Umsatz mit dem Ackergift rund zehn Prozent beiträgt, noch eine Chance.

Die BAYER-Aktie hat sich unterdessen in den letzten Monaten ein wenig erholt, erreicht aber noch längst nicht wieder den Stand, den sie vor dem MONSANTO-Deal einnahm. Ihr Wohl und Wehe hängt immer noch von den Glyphosat-Prozessen ab, und fast jede Meldung dazu bildet sich im Kurs ab. Darum ergehen sich die Finanzmarkt-Akteur*innen auch immer noch in Spekulationen darüber, wie viele Milliarden der Konzern am Ende für die Risiken und Nebenwirkungen des Herbizids zahlen muss und erstellen entsprechend düstere oder weniger düstere Prognosen. Wie stark der Leverkusener Multi sich durch den Desaster-Deal hingegen schon heute verändert hat und was das für die Beschäftigten und die Standort-Städte bedeutet, interessiert die Börse hingegen nicht. ⎜

[CURRENTA] Presse-Information vom 08.08.19

CBG Redaktion

BAYER verkauft CURRENTA-Anteile

Es droht Arbeitsplatz-Vernichtung

Gestern veräußerte BAYER gemeinsam mit LANXESS das Unternehmen CURRENTA. Der Chemie„park“-Betreiber, an dem BAYER 60 Prozent und LANXESS 40 Prozent der Anteile hielt, ging für 3,5 Milliarden Euro an MIRA, den Infrastruktur-Fonds der australischen Investmentbank MACQUARIE. Angesichts der millionen-schweren Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ hatte der Leverkusener Multi im letzten Herbst auf Druck seiner Großinvestoren ein Rationalisierungsprogramm angekündigt, das neben der Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen auch die Trennung von Unternehmensteilen umfasst. Die Sonnenschutz-Mittel der COPPERTONE-Reihe und die Fußpflege-Präparaten der Marke DR. SCHOLL’S stieß die Aktien-Gesellschaft bereits ab.

„Wir freuen uns, mit MIRA als dem weltweit führenden Infrastruktur-Betreiber den richtigen Partner gefunden zu haben, der die CURRENTA mit seiner internationalen Expertis erfolgreich weiterentwickeln kann“, sagte BAYER-Vorstandsmitglied Dr. Hartmut Klusik zu dem Geschäftsabschluss. Die rund 3.200 CURRENTA-Beschäftigten dürften sich da kaum mitfreuen, denn sie blicken einer unsicheren Zukunft entgegen. Bestandsgarantien mochte MACQUARIE INFRASTRUCTURE AND REAL ASSETS nämlich nur für die nächsten drei Jahre geben. „Wir haben uns verpflichtet, in den ersten drei Jahren keine Unternehmensteile zu verkaufen“, so MIRAs Deutschland-Chef Hilko Schomerus. Nur für diesen Zeitraum bleiben auch die geltenden betrieblichen und tariflichen Regelungen bestehen.

Und weit über den Horizont von drei Jahren hinaus plant die MACQUARIE-Tochter nicht. „Wir gehen von einer Haltedauer von zehn bis zwölf Jahren aus“, erläuterte Schomerus. Spätestens dann muss sich das Investment für den Fonds ausgezahlt haben, der auf seiner Website damit wirbt, „realen und nachhaltigen Wert für unsere Kunden und die Menschen, denen unsere Anlagen dienen“ zu schaffen.

„BAYER opfert Arbeitsplätze auf dem Altar von BLACKROCK & Co. und liefert die Beschäftigten einem Fonds aus, den nur das Wohl und Wehe seiner InvestorInnen antreibt. Den Leverkusener Multi interessiert nichts weiter, als schnell Kasse zu machen“, kritisiert Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG).

Um die Rendite-Ziele zu erreichen, bedient sich die MIRA-Mutter MACQUARIE überdies nicht immer nur legaler Methoden. So ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft zurzeit gegen die Bank. Das Geldhaus steht in Verdacht, in den Cum-Ex-Skandal verwickelt zu sein und rund um fällige Dividenden-Zahlungen Aktien zwischen einzelnen Niederlassungen hin- und hergeschoben zu haben. Damit firmierte sie gleich zwei Mal an einem Tag als Besitzer der entsprechenden Papiere – und konnte auf diese Weise doppelt von den Kapitalertragssteuer-Rückzahlungen der Finanzämter profitieren.

[Nicht-Entlastung] BAYER-Vorstand nicht entlastet

CBG Redaktion

Ein historischer Tag

Solch eine Hauptversammlung gab es in der ganzen BAYER-Geschichte noch nicht: Vor Beginn eine Kundgebung mit mehreren hundert Teilnehmer*innen, ellenlange Warte-Schlangen vor dem Eingang, 35 Reden von Konzern-Kritiker*innen und 30 weitere, oftmals auch nicht gerade konzern-freundliche von Klein-Aktionär*innen und Fonds-Manager*innen und zu guter Letzt eine mit der Nicht-Entlastung des Vorstands endende Abstimmung.

Von Jan Pehrke

„Zukunft vor Profit“ stand neben einem durchgestrichenen BAYER-Kreuz auf dem Transparent, mit dem hunderte „Fridays For Future“-Demonstrant*innen in die Kundgebung zur BAYER-Hauptversammlung platzten, die auch zuvor schon mit Wort-Beiträgen, internationalen Musik-Darbietungen, Gruß-botschaften aus dem Hambacher Forst und Theater-Einlagen bunt und lebendig war.
Die Schüler*innen zogen bei ihrer Ankunft auf dem Platz der Vereinten Nationen an einem überdimensionalen BAYER-Chef Werner Baumann vorbei, der auf einem Haufen voller Probleme saß, weshalb sein kühner, mangelnde Risikobereitschaft in Deutschland beklagender Spruch „Mit voller Hose gewinnen Sie eben keinen 100-Meter-Lauf“ nun auf ihn selbst zurückfiel, und streiften an den gegen die bienengefährlichen Pestizide des Leverkusener Multis protestierende Imker*innen vorüber. Dann umkurvten sie den Polizei-Kordon, der zeitweilig die Aktionär*innen vor den Kundgebungsteilnehmer*innen abschirmte, und drückten sich schließlich um die symbolischen Grabes-Kreuze für Medikamenten-Opfer und banner-bestückten Trecker der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄU-ER-LICHE LANDWIRTSCHAFT herum, ehe sie haltmachten.
„Es sind Ferien, und wir sind trotzdem hier“, konstatierte ihr Sprecher Felix Pohl in seiner Rede, um die Dringlichkeit des Anliegens zu betonen, das da lautete: „System change, not climate change.“ Aber danach stand dem Agro-Riesen nicht der Sinn. Er verweigerte einigen Schüler*innen trotz gültiger Eintrittskarte den Zutritt zum Aktionär*innen-Treffen. „Das zeigt, dass BAYER Angst hat, und es zeigt, dass Protest was bringt“, resümierten die beiden Schüler*innen Lisa und Noah auf der Kundgebungsbühne trocken.
Pohl hatte es jedoch in die heiligen Hallen geschafft. In seinem Beitrag griff er die klima-schädigende Geschäftspolitik scharf an und stellte detaillierte Fragen zu Kohle und anderen schmutzigen Energie-Trägern des Konzerns. „Zukunft statt Profit“ forderte er zum Schluss und setzte damit das Signal für die Fortsetzung des Demonstrationszuges in kleinerem Rahmen. Mit einem „Fridays for Future“-Transparent zogen eine Handvoll Schüler*innen durch den Saal und versetzten damit den Sicherheitsdienst in Alarmbereitschaft, der dann aber doch lieber auf den Zugriff verzichtete.
Jan Pehrke vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lieferte an dem Tag weitere Details zu BAYERs CO2-Ausstoß, der durch den Erwerb von MONSANTO noch bedenklichere Dimensionen angenommen hatte. „Die klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen erhöhten sich um mehr als 50 Prozent von 3,63 Millionen Tonnen auf 5,45 Millionen Tonnen. Sehr zurecht ist die Hauptversammlung darum zum Ziel einer großen „Fridays for Future“-Demonstration geworden“, so Pehrke.

Der Desaster-Deal
Die zahlreichen anderen negativen Folgen des Desaster-Deals kamen ebenfalls reichlich zur Sprache. Sarah Schneider von MISEREOR und Lena Michelsen von INKOTA machten als Verlierer vor allem die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Lateinamerika und Afrika aus. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann fügte der Liste die BAYER-Beschäftigten hinzu. 12.000 von ihnen verlieren nämlich im Zuge des Rationalisierungsprogramms, welches die Aktien-Gesellschaft auf Druck ihrer Großanleger*innen starten musste, weil der Aktien-Kurs durch die Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ abstürzte, ihren Arbeitsplatz. Eben auf dieses finanzielle Risiko hatte René Lehnherr vom MONSANTO-Tribunal schon auf der letztjährigen HV hingewiesen. „Ich komme mir vor wie ein Hellseher, dem man einfach nicht glauben will“, hielt er deshalb fest. Einer der Pestizid-Geschädigten, der sich in einem Rechtsstreit mit der jetzigen Tochter-Gesellschaft des Leverkusener Multis befindet, ist Paul François. Der französische Landwirt hat vor 15 Jahren durch das Ackergift LASSO massive gesundheitliche Schäden erlitten. Er verklagte MONSANTO deshalb drei Jahre später und errang am 11. April einen ersten Erfolg: Ein Gericht in Lyon sprach BAYER als Rechtsnachfolger des US-Unternehmens die Verantwortung für die Krankheiten zu. Am 26. April nun konfrontierte der Franzose die Aktionär*innen und den Vorstand direkt mit seinem Schicksal – die Initiative SumOfUs hatte ihm die Reise nach Bonn ermöglicht. In seiner Rede, die SumOfUs-Aktivistin Anne Isakowitsch auf Deutsch vortrug, forderte Paul François das Management eindringlich auf, Verantwortung für die Leidtragenden von Agrochemie-Produkten zu übernehmen: „Sie haben heute die Chance, das Richtige zu tun!“
Neben François traten an dem Tag noch zahlreiche andere Geschädigte von BAYER-Produkten vor das Mikrofon. Besonders eindrucksvoll geriet der Auftritt der drei ehemaligen Heimkinder Franz Wagle, Eckhard Kowalke und Günter Wulf, die in den 1960er Jahren gezwungen waren, als Versuchskaninchen für MEGAPHEN, AGEDAL und andere Arzneien des Pharma-Produzenten herzuhalten. Wulf zählte einfach in lakonischem Stil die Verordnungen aus seiner „Kranken-Akte“ auf wie etwa MEGAPHEN, Zwangsjacke, AGEDAL, „geschlossene Anstalt“ und zitierte dann die in den Berichten beschriebenen Effekte, zu denen Krämpfe und Kontrollverlust gehörten.
Eine Einverständnis-Erklärung der Pro-band- *innen oder deren Erziehungsberechtigten für die Medikamenten-Tests, wie sie eigentlich auch damals schon obligatorisch war, lag den Mediziner*innen nicht vor. „Wir waren rechtlos“, resümierte Eckhard Kowalke deshalb und nannte das Kind beim Namen: „Menschenrechtsverletzungen“. Trotzdem appellierte er erneut an den Vorstand, das Angebot zu einem Gespräch und einem Versöhnungsprojekt anzunehmen. „Wenn die Zukunft gestaltet werden will, muss die Vergangenheit aufgearbeitet werden“, so Kowalke.
Insgesamt hielten 35 Konzern-Kritiker*in-nen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Brasilien, England, Frankreich und Holland, auf dem Aktionär*innen-Treffen Reden – so viele hatte die CBG vorher noch nie versammeln können. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Themen setzten sie unter anderem das Bienensterben, BAYERs ehemalige Giftmüll-Deponie „Dhünnaue“, die gefährliche Kohlenmonoxid-Pipeline, doppelte Pestizid-Standards und die unerwünschten Arznei-Effekte von MIRENA, DUOGYNON, JADELLE & Co. auf die Tagesordnung.
Damit nicht genug, gerieten viele der übrigen 30 Rede-Beiträge nicht eben konzern-freundlicher. Bei Katzenjammer über den Wert-Verlust der BAYER-Aktie durch die umstrittene Übernahme blieb es nämlich zumeist nicht. „Kalt, kälter BAYER“ – dieses Führungszeugnis stellte Joachim Kregel von der „Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger“ der Manager*innen-Riege aus. Ingo Speich von DEKA-INVESTMENTS, der Fonds-Gesellschaft der Sparkassen, kritisierte den Vorstand derweil dafür, bei der Transaktion bloß der industriellen Logik gefolgt zu sein, wo doch immer mehr Aktionär*innen sich bei ihren Anlage-Entscheidungen mittlerweile auch von sozialen und ökologischen Maßstäben leiten ließen. Janne Werning von UNION INVESTMENT pflichtete Speich bei: „Reputation ist eine reale Wirtschaftsgröße.“ Die Veränderungen in der Gesellschaft, wie ihn zum Beispiel der Kampf gegen den Klimawandel dokumentiert, hätten spätestens seit dem Pariser Klima-Abkommen auch den Kapitalmarkt durchdrungen, so Werning gegenüber Zeit Online.Baumann aber focht das alles nicht an. Er weigert sich strikt, auf seinem Terrain eine andere als die industrielle Logik gelten zu lassen und verteidigte, bei der Kaufentscheidung für MONSANTO einzig solche Kriterien wie „Wachstums-potenzial“, „Markt-Profitabilität“ und „das Erreichen führender Wettbewerbspositionen“ zugrunde gelegt zu haben. Genau deshalb „war und ist der Erwerb der richtige Schritt für BAYER“, bekräftigte der Vorstandsvorsitzende in seiner Eröffnungsrede: „Und das gilt auch vor dem Hintergrund der Diskussion um Glyphosat.“ Das Total-Herbizid ist nämlich für Baumann nach wie vor „bei sachgerechter Anwendung ein sicheres Produkt“.
Das waren für ihn auch alle anderen Pestizide und Arzneien, deren Schadensbilanz die kritischen Aktionär*innen präsentiert hatten. So wurden nach seiner Aussage „alle Produkte umfangreich auf Bienensicherheit getestet“; und selbstredend besitzt die Hormonspirale MIRENA „ein positives Nutzen/Risiko-Profil“ und kommt der bis Anfang der 1980er Jahre von dem 2006 aufgekauften SCHERING-Konzern vermarktete Schwangerschaftstest DUOGYNON nicht als Ursache für Totgeburten und das Auftauchen von schweren Missbildungen bei Neugeborenen in Frage.
Die ehemaligen Heimkinder haben vom Leverkusener Multi ebenfalls nichts zu erwarten. Werner Baumann sprach ihnen zwar sein Mitgefühl aus, verweigerte aber sowohl eine Entschuldigung als auch eine Entschädigung oder irgendeine andere Art von Entgegenkommen. Und klima-technisch ist ihm zufolge beim Global Player auch alles in Butter: „Seit Jahrzehnten hat Klimaschutz bei BAYER Priorität.“
Bis spät in den Abend hinein gab der Ober-BAYER solche nichtssagenden Antworten. Verständlicherweise waren die Fragesteller*innen damit nicht zufrieden. So konnte Aufsichtsratschef Werner Wenning als Versammlungsleiter die Aussprache nicht wie vorgesehen beenden. Die Aktionär*innen rebellierten, und Baumann musste noch mal in die Bütt, obwohl die Hauptversammlung da in ihrem Zeitplan schon erheblich hinerherhinkte. Und das dicke Ende kam noch: Die Anleger*innen verweigerten dem Vorstand die Entlastung. Mit 55,52 Prozent stimmten sie dagegen – ein einmaliger Vorgang in der deutschen Wirtschaftsgeschichte! Aber der Aufsichtsrat hörte die Signale nicht. Noch in der Nacht hielt er eine Sondersitzung ab und stellte sich hinter Werner Baumann. Einige Großinvestoren, die gegenüber der Presse ihre Identität nicht preisgeben wollten, zeigten sich darüber not amused. Andere wie die DEKA wollen zumindest Veränderungen in Wennings Kontroll-Gremium sehen: Sie forderten aus gegebenem Anlass neue Aufsichtsräte mit Kern-Kompetenzen in den MONSANTO-relevanten Bereichen „Prozess-Wesen“ und „Agrar-Geschäft“.Dem leistete der Aufsichtsratschef zwar nicht Folge, dafür aber kündigte er an, einen beratenden Ausschuss mit Top-Anwält*innen ins Leben zu rufen. Das beruhigte die finanzschwersten Fonds einstweilen. Auch ELLIOT zeigte sich vorerst zufrieden, nicht ohne allerdings eine Aufspaltung des Konzerns ins Spiel zu bringen, sollte die neue Strategie scheitern. Damit nicht genug, machte das BAYER-Beispiel auch noch Schule. Wenige Tage nach der Hauptversammlung des Leverkusener Multis sprachen die Aktionär*innen der Schweizer Bank UBS Vorstand und Aufsichtsrat ihr Misstrauen aus, was die Faz als Zeichen für einen grundlegenden Wandel interpretierte: „Künftig könnten Abstimmungsergebnisse wie bei BAYER oder der UBS häufiger der Fall sein.
Während der Gesamtbetriebsrat Baumann die Absolution erteilte, reagierte die Politik angesichts der „Augen zu und durch“-Mentalität des Managements erbost. Karl Lauterbach von der SPD und Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen forderten den Rücktritt des BAYER-Chefs.
Wie die Sache ausgeht, bleibt einstweilen ungewiss. Was aber feststeht: Die CBG konnte an diesem Tag einen großen Erfolg feiern: Noch nie kamen so viele Menschen zu der traditionellen HV-Kundgebung, noch nie gab es so viele Rede-Beiträge von kritischen Aktionär*innen, noch nie dauerte eine Hauptversammlung bis 23 Uhr und noch nie endete sie mit einem solchen Debakel für das Management. Ohne die zahlreichen Mitstreiter wie COLABORA, IFOAM, INKOTA, DIE LINKE, MISEREOR, ATTAC DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, kollektiv tonali, BUND, MONSANTO-TRIBUNAL, RISIKO-PILLE, ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT, MEINE LANDWIRTSCHAFT, den FRIDAYS FOR FUTURE und anderen wäre das nicht möglich gewesen. Das Projekt „Konzern-Wende“ kann die CBG nach diesem historischen Tag jedenfalls gestärkt angehen. ⎜

Abstimmungsergebnisse
(je Aktie eine Stimme)
Von anwesenden ca. 600 Mio. Aktien stimmten bei den einzelnen Tagesordnungspunkten gegen den Vorstand mit „Nein“:

Gewinnverwendung
Nein-Stimmen 7,7 Mio. 1,3 %
Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen 291,4 Mio. 55,5 %
Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 175,9 Mio. 33,6 %
Wahlen zum Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 73,9 Mio. 12,2 %

Abstimmungen auf Hauptversammlungen der Konzerne werden von wenigen Großaktionär*innen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.) bestimmt. Sie besitzen bis zu 90 und mehr Prozent aller Aktien.
Die mehreren hunderttausend Klein-aktionär*innen halten zu--sammen lediglich fünf bis zehn Prozent der Anteile bei BAYER. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse.
Die Kritischen Aktionär*innen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatten zur Gewinnverteilung, zur Entlastung und zur Wahl alternative Anträge gestellt. Der Erfolg dieser Anträge wird deutlich an den Gegenstimmen zu den Anträgen des Vorstands.
Allerdings ist zu beachten, dass die verheerenden negativen Auswirkungen der MONSANTO-Übernahme sowie die massive internationale Kritik im Hinblick auf die vielen anderen Verbrechen an Mensch und Umwelt zu einer gefährlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens geführt haben. Es bildete sich deshalb bei dieser HV eine bemerkenswerte Allianz aus den ökologisch, sozial und politisch motivierten Kon-zern-Kritiker*innen, vielen Großaktionär*innen (darunter Finanzkonzerne wie BLACKROCK) und den traditionellen Kleinaktionär*innen, die um den Wert ihrer Aktien fürchteten. Im Ergebnis führte das zur historisch einmaligen Nicht-Entlastung des Vorstands.

Schamlose Profite
Das Grundkapital des BAYER-Konzerns beträgt ca. 2,4 Milliarden Euro. Es ist aufgeteilt auf ca. 932 Millionen Aktien. Diese werden von ca. 383.000 Aktionär*innen gehalten.
Der BAYER-Konzern machte im Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von 39,6 Milliarden Euro und einen bereinigten Gewinn von 9,5 Milliarden Euro. Das entspricht 24 Prozent des Umsatzes und fast 400 Prozent des Grundkapitals. Nach Steuern und nach sogenannten Sondereffekten wohlgemerkt!
Rund 2,6 Milliarden Euro des Gewinns wurden an die Aktionär*innen des Konzerns ausgeschüttet. Eine BAYER-Aktie repräsentiert einen Anteil am Gesamtkapital in Höhe von 2,56 Euro. Auf jede Aktie wurde eine Dividende von 2,80 Euro ausgeschüttet. Das entspricht einer Kapitalrendite von sage und schreibe 109,4 Prozent.
Um diese Maßlosigkeit vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, wendet der Leverkusener Multi einen Trick an. Er macht den Kurswert seiner Aktie zur Grundlage der Berechnung der Dividende. An der Börse notierte das Papier zum gegebenen Zeitpunkt bei rund 60 Euro. Damit fällt die Dividende – Hokuspokus – auf lediglich 4,7 Prozent.

[Nicht entlastet] Presse-Information CBG 27.04.19

CBG Redaktion

Turbulenzen auf der BAYER Hauptversammlung 2019

Historische Premiere: Vorstand nicht entlastet

Am 26. April 2019 prallten in Bonn anlässlich des Treffens der BesitzerInnen des internationalen BAYER-Konzerns auf der Straße, aber auch im Saal an den Mikrofonen Welten aufeinander: Einerseits die internationale Zivilgesellschaft, die mit lautstarker Demonstration Gerechtigkeit und Umweltschutz einforderte. Dann die BAYER-AktionärInnen, die ihre Aktien und ihre Dividenden in Gefahr sahen. Und schließlich ein vom Profit geblendetes Management mit einem Vorstandsvorsitzenden, der an Stur- und Uneinsichtigkeit nicht zu übertreffen war.

Einer so einheitlichen und massiven Phalanx der Kritik wie gestern war der BAYER-Konzern noch auf keiner seiner Hauptversammlungen ausgesetzt. Nach Meinung der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) ritt BAYER der Teufel als der Konzern sich die „Worldwide Worst Company“, den US-amerikanischen MONSANTO-Konzern, einverleibte.

Marius Stelzmann, Geschäftsführer der CBG: „Die Blicke des BAYER-Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Wenning und seines Adlatus, dem Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann, waren einzig auf die sprudelnde Profit-Quelle des MONSANTO-Pestizids GLYPHOSAT gerichtet. Dass MONSANTO der einzige Konzern der Welt ist, dem bereits seit Jahrzehnten ein eigener weltweiter Protest-Tag gewidmet ist, an dem Jahr für Jahr Hunderte von „Marches Against MONSANTO“ stattfinden, wurde mit der Arroganz des Kapitals schlichtweg als Quatsch abgetan.“

Das Ergebnis dieser Ignoranz war am 26. April in Bonn zu studieren: Zu der traditionellen Kundgebung des Netzwerkes der CBG vor den Türen des BAYER-AktionärInnentreffens mit mehreren Hundert TeilnehmerInnen aus Dutzenden von Organisationen von Attac bis hin zu Misereor, stießen diesmal 500 Demonstranten des SchülerInnen-Klima-Bündnisses Fridays for Future. Aus gutem Grund: Der Ausstoß von klimagefährdendem CO2 erhöhte sich durch die Übernahme von MONSANTO um 50 Prozent auf 5,45 Millionen Tonnen jährlich(!). Ihre Sprechchöre ergänzten die klimabewegten Jugendlichen um die treffende Forderung: „Kein GLYPHOSAT auf unserem Salat!“

Im Saal der BAYER-HV platzte aber auch alles aus den Nähten. Kurzfristig musste wegen des großen Andrangs erboster AktionärInnen ein zweiter Saal geöffnet werden. Die Verpflegung mit Speisen und Getränken reichte hinten und vorne nicht. Und an den Mikrofonen bildeten sich lange Schlangen, die die BAYER-Versammlungsleitung einzudämmen suchte, indem die Liste der RednerInnen bereits mittags geschlossen und die Redezeit auf wenige Minuten heruntergekürzt wurde. Was nicht verhindern konnte, dass sich 64 RednerInnen eingetragen hatten.

Die traditionellen AktionärInnen, darunter selbst Großaktionäre wie BLACKROCK und andere Investmentfonds, zeigten sich erzürnt ob der „beispiellosen Wert- und Kapitalvernichtung“. Da half es auch nichts, dass zwei Vorzeige-Betriebsräte das hohe Lied auf BAYER sangen. Wobei sie geflissentlich die vorgesehen Vernichtung von 12.000 und mehr Arbeitsplätzen ausblendeten, die in den nächsten Monaten die Werke des Konzerns treffen wird.

Dann die zivilgesellschaftlich orientierten AktionärInnen. Alleine der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) hatten mehr als 400 KleinaktionärInnen ihre Aktienstimmrechte übertragen. Es sprachen Betroffene aus aller Welt. Ihnen ging es nicht um Gewinn und Profit, sondern um „sichere Arbeitsplätze und Umweltschutz“, um die Zukunft des Planeten, Frieden, Gerechtigkeit und intakte Umwelt. In einem Kaleidoskop von Fakten aus dem letzten Geschäftsjahr des Konzerns untermauerten sie ihre Fragen an das BAYER-Management. Jan Pehrke, Vorstandsmitglied erläuterte die Zusammenhänge zwischen Arbeitsplatzvernichtung und Umweltzerstörung. Ehemalige Heimkinder, die von den 1950er Jahren bis 1970er Jahren Menschenversuchen mit BAYER Medikamenten ausgesetzt erleiden mussten und denen BAYER im abgelaufenen Geschäftsjahr schroff die kalte Schulter zeigte, forderten Entschädigung. Weitere RednerInnen setzten die MONSANTO-Übernahme, Glyphosat, doppelte Standards, Risiken und Nebenwirkungen von BAYER-Medikamenten, Bienensterben und andere Themen auf die Tagesordnung. Insgesamt ergriffen 34 Konzern-KritikerInnen das Wort, das war mehr als die Hälfte aller RednerInnen!, so viel wie noch nie bei einer BAYER-Hauptversammlung. Darunter im Übrigen auch junge VertreterInnen der Klima-Bewegung Fridays For Future.

Die beiden Werners von BAYER, Aufsichtsratschef Werner Wenning und Vorstandsvorsitzender Werner Baumann, reagierten auf alle Kritik gleichermaßen: mit Leerformeln und Stereotypen. Die Krebsschädigende Wirkung von GLYPHOSAT sei nicht nachgewiesen, BAYER stünde bestens da, die Bienen würden nicht sterben, sondern die Zahl der Bienenvölker wäre massiv angestiegen usw. usf. Und so kam es wie es kommen musste: Die AktionärInnen verweigerten – historisch einmalig! - dem Vorstand mehrheitlich die Entlastung. Und auch der Aufsichtsrat schrappte nur knapp an der Verweigerung der Entlastung vorbei.

Doch noch in der Nacht beriet der Aufsichtsrat und teilte frühmorgens mit, dass er geschlossen hinter dem BAYER-Vorstand stünde. Axel Köhler-Schnura, Gründungsmitglied der CBG meinte dazu: „GLYPHOSAT-Baumann und sein Mentor, Aufsichtsratschef Wenning, haben weiterhin nur den Profit im Blick und werden ihren Konfrontationskurs gegen Mensch und Umwelt beibehalten. Es wird höchste Zeit, dass BAYER vergesellschaftet wird, wie es die Verfassung von NRW zum Wohle der Menschen vorsieht.“ Und Marius Stelzmann, Geschäftsführer der CBG ergänzte: „Bereits am 18. Mai wird die Zivilgesellschaft sich in der Tradition der MONSANTO-Proteste mit ‚Märschen gegen BAYER‘ erneut zu Wort melden. BAYER hat sich mit Ignoranz, Profitgier und verbrecherischer Sturheit den Platz als ‚Schmutzigster Konzern weltweit‘ und damit den Zorn der Bevölkerungen der Welt bestens gesichert.“

[Bilanzpressekonferenz] Presse-Information CBG 26.02.19

CBG Redaktion

CBG kritisiert BAYERs Dividenden-Zahlungen

Aktionär_innen-Beglückung statt Job-Erhalt

Der Leverkusener Multi schüttet in diesem Jahr an seine Aktionär_innen 2,6 Milliarden Euro aus. Obwohl die Dividende bei 2,80 bleibt, schafft der Konzern damit einen Rekord, weil mehr Aktien im Umlauf sind. 2018 lag die Summe mit 2,4 Milliarden Euro 8,7 Prozent niedriger.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) kritisiert diese Entscheidung. „BAYER befindet sich in einer ernsten Krise. Aber die Aktionär_innen sollen davon nichts spüren. Sie will der Konzern bei der Stange halten. Dafür friert er die Dividenden-Zahlung auf hohem Niveau ein, dafür erwägt er Aktien-Rückkäufe und dafür will er qua Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen ‚Produktivität und Ertragskraft deutlich steigern’, so Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG.
Der Agro-Riese gab die Stellen-Streichungen Ende November letzten Jahres bekannt. Hatte BAYER-Chef Werner Baumann im Zuge der MONSANTO-Übernahme noch versprochen: „BAYER wird nach Abschluss der Integration mehrere Tausend Stellen in den USA schaffen“ und entsprechende Zusagen auch für die europäischen Standorte gemacht, so galt das 18 Monate später nicht mehr. Bereits elf Tage nach Vollzug der Transaktion begann nämlich der erste Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“, der für das Unternehmen mit einer Verurteilung zu einer Strafe in Höhe von 78 Millionen Dollar endete. Sofort stürzte die BAYER-Aktie ab und erholte sich auch in den folgenden Wochen nicht. BLACKROCK und andere Großaktionär_innen mahnten Handlungsbedarf an – und der Global Player lieferte. Er kündigte den Abbau von Jobs sowie den Verkauf von Geschäftsteilen an und stellte Aktien-Rückkäufe in Aussicht. „Der Vorfall ist auch deshalb so bezeichnend, weil der Versuch, das Kurs-Desaster zu beenden und die Investoren wieder zu besänftigen, nun geradezu reflexartig auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird“, urteilte Die Welt.

Mehr Arbeitsplätze als BAYER stellte 2018 kein anderes bundesdeutsches Unternehmen zur Disposition. Im globalen Maßstab kommt der Leverkusener Multi damit auf den sechsten Rang. Aber den Mega-Fonds reicht das nicht. Immer lauter werden die Stimmen, die eine Trennung von der Pharma-Sparte verlangen. Eine Bestandsgarantie für die Aktien-Gesellschaft in ihren jetzigen Form über die nächsten 20 Jahre hinweg mochte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann der Coordination auf der letzten Hauptversammlung dann wohlweislich auch nicht geben. „Aufgrund der recht dynamischen Entwicklungen des Marktumfeldes wären verbindliche Festlegungen über 20 Jahre unseriös“, meinte er.

„Die Bilanz des MONSANTO-Deals fällt katastrophal aus“, konstatiert Köhler-Schnura: „nicht nur für Mensch und Umwelt, sondern auch für den Konzern selbst. In seiner grenzenlosen Gier nach Gewinn und Profit hat BAYER bereits jetzt dafür gesorgt, dass der Wert des eigenen Unternehmens sich in den letzten Monaten mehr als halbierte und nur mit Mühe wieder aufgepäppelt werden kann.“

Die CBG schreibt die Verantwortung für die Vernichtung der 12.000 Arbeitsplätze und die anderen Risiken und Nebenwirkungen der MONSANTO-Akquisition der Führungsriege um Werner Baumann zu. Darum wird die Coordination zur BAYER-Hauptversammlung am 26. April neben anderen Gegenanträgen mit einem Gegenantrag die Aktionär_innen auffordern, den Vorstand nicht zu entlasten.

Pressekontakt:
Marius Stelzmann: 0211/33 39 11

[Nebenwirkungen] Glyphosat-Nebenwirkungen

CBG Redaktion

BAYER streicht 12.000 Jobs

BAYER hat an MONSANTO schwer zu schlucken. Der Mega-Deal scheint sich immer mehr zu einem Mega-Desaster auszuwachsen. Der Milliarden-Seller Glyphosat droht nämlich zu einem Milliarden-Grab zu werden, da fast 10.000 Klagen von Geschädigten anstehen. Nach dem ersten Urteil, das Dewayne Johnson Schadensersatz in Millionen-Höhe zusprach, setzten die Aktien des Leverkusener Multis zu einer Talfahrt an. BLACKROCK und andere Groß-Investoren schauten da nicht lange zu: Sie meldeten Handlungsbedarf an. Und der Global Player lieferte: Am 29. November 2018 gab er die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen bekannt. Jeder zehnte Job im Unternehmen fällt der Streich-Orgie zum Opfer. Kein bundesdeutscher Konzern stellte im zurückliegenden Jahr so vielen Stellen zur Disposition.

Von Jan Pehrke
Mit großen Versprechungen hatte der Leverkusener Multi die Übernahme von MONSANTO verbunden. „BAYER wird nach Abschluss der Integration mehrere Tausend Stellen in den USA schaffen und dort dann mehr Mitarbeiter haben als beide Unternehmen heute zusammen“, kündigte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in einem Interview mit Die Welt an. Diese frohe Botschaft hatte er dem US-Präsidenten Donald Trump am 11. Januar 2017 sogar persönlich überbracht, um dessen Ja-Wort zu dem Deal zu erheischen – die US-Behörden hatten die Transaktion damals nämlich noch nicht genehmigt. Trumps damaliger Sprecher Sean Spicer konnte sich sogar noch an Details aus dem Gespräch erinnern. Genau 3.000 neue Jobs wollte der Konzern schaffen und an den US-amerikanischen Standorten acht Milliarden Dollar in Forschung & Entwicklung investieren. Und Europas sollte darunter nicht leiden, beteuerte Baumann: „Es geht beim Erwerb von MONSANTO um die Schaffung eines Wachstumsunternehmens. Daher werden nach Abschluss der Integration unter anderem auch in Europa neue Arbeitsplätze entstehen.“

Noch nicht einmal zwei Jahre später, am 29. November 2018, gibt der Global Player die Vernichtung von 12.000 Stellen – jeder zehnten im Unternehmen – bekannt. Aus dem vermeintlichen Job-Wunder MONSANTO wurde in dieser Zeit eine Job-Wunde, die tief ins Fleisch der Belegschaft reicht und 4.100 Beschäftigten den Posten kostet. Einen „Synergie-Effekt“ in dieser Höhe hätte der Konzern von Anfang an in Rechnung gestellt, hieß es nun auf einmal. Mit 900 Beschäftigten weniger muss die Pharma-Forschung auskommen. „Eine verstärkte Ausrichtung auch auf externe Innovationen“ will der Konzern nämlich vornehmen. Und in Wuppertal wird der gerade erst in Betrieb genommene „futuristische Glasbau“ (Handelsblatt) zur Herstellung von Bluter-Medikamenten schon wieder Geschichte, respektive 350 Arbeitsstätten. Die „Consumer Health“-Abteilung mit den nicht rezeptpflichtigen Produkten verliert 1.100 Belegschaftsangehörige, unter anderem weil der Leverkusener Multi beabsichtigt, sich von den Sonnenschutz-Mitteln der COPPERTONE-Reihe und den Fußpflege-Präparaten der Marke DR. SCHOLL’S zu trennen. Ganz verkaufen will die Aktien-Gesellschaft nicht nur seinen Anteil an dem Chem„park“-Dienstleister CURRENTA, sondern auch die„Animal Health“-Sparte, obwohl Werner Baumann das vier Wochen vorher noch ausgeschlossen hatte. Rationalisierungsmaßnahmen in der Verwaltung – 5.500 bis 6.000 Beschäftigungsverhältnisse fallen hier weg – komplettieren dann die Streichliste.

Und natürlich tut BAYER das alles ganz, ganz Leid. „Schwer zu treffen“ waren die Entscheidungen, sagte Werner Baumann auf dem Wirtschaftsgipfel der Zeitung Rheinische Post am 10. Dezember in Düsseldorf, bei dem er sich auch mit den Protesten der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auseinandersetzen musste (siehe Seite 24). Der Konzern sei „mit der höchsten Verantwortung“ vorgegangen und hätte „fürsorglich“ gehandelt, bekundete der Vorstandschef, aber langfristig gesehen wäre es für alle Beschäftigten das Beste gewesen, da die Maßnahme das Unternehmen wettbewerbsfähiger und damit auch zukunftsfester mache.

Glyphosat unschuldig
Einen Zusammenhang der Arbeitsplatz-Vernichtung mit den Glyphosat-Verfahren bestritt der Ober-BAYER auf der Veranstaltung vehement: „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Tatsächlich hatte der Leverkusener Multi das Spar-Programm „Superbowl“ für den Pharma-Bereich schon vor längerer Zeit auf den Weg gebracht, und auch der CURRENTA-Beschluss ist älteren Datums. Dass es aber danach noch so dicke kam, liegt eindeutig an den fast 10.000 Schadensersatz-Klagen, mit denen sich der Konzern konfrontiert sieht. Der Ausgang des ersten Prozesses in den USA hatte in beeindruckender Weise gezeigt, mit welch hohen finanziellen Risiken die juristischen Aus-einandersetzungen verbunden sind. Zu einer Zahlung von 289 Millionen Dollar an den Geschädigten Dewayne Johnson verurteilte der „San Francisco County Superior Court“ den Leverkusener Multi am 10. August 2018. Sofort setzte die BAYER-Aktie zu einer Talfahrt an, die sich am 23. Oktober noch einmal beschleunigte. An diesem Tag nämlich entschied die Richterin Suzanne R. Bolanos, den Rechtstreit nicht noch einmal neu aufzurollen, wie das Unternehmen gehofft hatte. Lediglich die Entschädigungssumme setzte sie auf 78 Millionen Dollar herunter. Um zwölf Prozent rutschte der Kurs daraufhin ab. Der Fall „BAYER“ avancierte in der Folge immer mehr zum Top-Thema der Wirtschaftspresse und lenkte den Blick auch noch einmal neu auf Unternehmensteile, welche die Finanzbranche schon länger als „Minderleister“ identifiziert hatte. Das manager magazin etwa machte eine „Jagd auf BAYER“ aus, angezettelt von Glyphosat-KritikerInnen sowie AnwältInnen der US-amerikanischen „Klage-Industrie“, und wandelte für sein Titelbild das BAYER-Kreuz plakativ zu einer Zielscheibe um. Die schlechten Nachrichten ließen auch die Großinvestoren nicht unbeeindruckt. „Entsprechend ungemütlich verliefen die Gespräche von Baumann mit Anteilseignern wie dem Vermögensverwalter BLACKROCK aus New York oder dem Staatsfonds TEMASEK aus Singapur“, wusste das Handelsblatt zu berichten. Die Branche mahnte Handlungsbedarf an – und der Leverkusener Multi lieferte. Rechtzeitig zum „Capital Markets Day“ in London am 5. Dezember 2018 verkündete er die Einschnitte.

Die genauen Angaben zu den Arbeitsplatz-Vernichtungen finden sich in der entsprechenden Verlautbarung, garniert mit ein paar Krokodilstränen – „Gleichzeitig sind wir uns der Tragweite der Entscheidungen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewusst“ – allerdings nur im Kleingedruckten. Die Investoren sind der eigentliche Adressat der Veröffentlichung. „BAYER will Life-Science-Kerngeschäfte weiter stärken sowie Produktivität und Ertragskraft deutlich steigern“ ist sie deshalb überschrieben. Der Leverkusener Multi stellt BLACKROCK & Co. für 2022 ein Ergebnis je Aktie von rund zehn Euro und eine Rendite von mehr als 30 Prozent in Aussicht. „Mit den notwendigen Anpassungen werden wir in Zukunft noch schlagkräftiger und agiler. Wir wollen damit die Wachstumspotenziale für unsere Geschäfte optimal nutzen“, verlautete aus der Konzern-Zentrale.

Eine Woche später in London beim Investoren-Tag ging es dann direkt zur Sache. 224 Seiten stark und mit vielen Tabellen und Zahlen-Kolonnen bestückt war der Zukunftsroman, den Baumann und seine Riege den rund 150 Fonds-ManagerInnen und Finanz-AnalystInnen dort präsentierten. Und ein bisschen neue Zeit sollte schon von jetzt auf gleich anbrechen: Das Unternehmen kündigte Aktien-Rückkäufe zur Kurs-Pflege an. „Die Richtung, die BAYER nach der größten Übernahme der Firmen-Geschichte – mit der auch ein milliarden-schweres Rechtsrisiko Hand in Hand geht – einzuschlagen gedenkt, ist klar am Shareholder Value ausgerichtet, kommentierte die Börsen-Zeitung: „Denn BAYER wirbt nicht nur mit steigenden Dividenden, sondern stellt auch die Möglichkeit eines Aktien-Rückkaufs in Aussicht. Das fällt bei Investoren immer auf fruchtbaren Boden, wie die Kurs-Reaktion vom Mittwoch belegt.“ Allerdings blieb der Boden nur kurze Zeit fruchtbar. Die Welt sah dann darin auch nur „Bilanz-Kosmetik“ und konstatierte: „Geradezu verzweifelt wirkte es, als Neu-Finanzchef Wolfgang Nickl plötzlich sogar mögliche Aktien-Rückkäufe in Aussicht stellt. Ein Instrument, das der Bilanz-Kosmetik dient, das Unternehmen aber operativ keinen Deut weiterbringt.“ Generell sah die Zeitung bei dem Auftritt nur das klassische Börsen-Einmaleins „schneller wachsen, größere Gewinne machen, konsequenter sparen“ am Werk und vermisste überzeugende Ideen. „Der Vorfall ist auch deshalb so bezeichnend, weil der Versuch, das Kurs-Desaster zu beenden und die Investoren wieder zu besänftigen, nun geradezu reflexartig auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird“, resümierte das Blatt.

Beschäftigte empört
Das realisierten die ArbeiterInnen und Angestellten dann auch sofort. „Jetzt müssen wir die Zeche für den MONSANTO-Deal zahlen“, mit diesen Worten zitierte die Rheinischer Post einen Belegschaftsangehörigen. „Wut und Angst“ machte die Zeitung unter den BAYER-WerkerInnen aus. Am Standort Wuppertal-Elberfeld fiel es den JournalistInnen jedoch schwer, Stimmen einzufangen. „Wir sollen nichts sagen“, hieß es. Der Leverkusener Multi hatte seinem Personal – wie schon unmittelbar nach Bekanntwerden des Planes, MONSANTO übernehmen zu wollen – einen Maulkorb verhängt. Dafür sprachen die Beschäftigten-VertreterInnen Klartext: „Die Betriebsräte verurteilen die Vernichtung von Know-how und hochinnovativen Arbeitsplätzen. Wir halten eine derartige Kürzung für den ungeeignetsten Weg eines ‚Forschungsunternehmens’, zu besseren Ergebnissen zu kommen.“ Und es blieb nicht bei Worten. In Wuppertal gingen rund 1.000 Belegschaftsmitglieder gegen den geplanten Kahlschlag auf die Straße, und in Berlin organisierten die BayeranerInnen einen Trauermarsch mit mehreren hundert TeilnehmerInnen.
Der Gesamtbetriebsrat jedoch verteidigte die Maßnahmen, die er mit ausverhandelt hatte. Er zeigte sich äußerst zufrieden damit, der Geschäftsleitung das Zugeständnis abgerungen zu haben, vorerst auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Als einen „Meilenstein“ feierte der Gesamtbetriebsratschef Oliver Zühlke die bis zum Jahr 2025 geltende Schutzfrist. Auf die Frage eines Journalisten des Wochenblattes Die Zeit: „Und doch soll jede zehnte Stelle wegfallen, einen Kündigungsschutz gab es bis 2020 ohnehin schon. Haben Sie in Wahrheit sehr wenig erreicht?“, antwortete der Gewerkschaftsvertreter: „Nein. Wir haben bis wenige Minuten vor der Unterzeichnung unserer gemeinsamen Erklärung mit dem Vorstand gekämpft, der erst einmal gar keinen Kündigungsschutz angeboten hatte“. Mit den gleichen Argumenten hatten bereits frühere Gesamtbetriebsratschefs stets ihr Placet zu Job-Streichungen des Pharma-Riesen gerechtfertigt. Auch sonst gab sich Zühlke ganz als Co-Manager, wenn er etwa im Jargon der Nadelstreifen-Nieten von „Veränderungen im Portfolio“ und dergleichen sprach. Und wie Baumann behauptete der Mann von der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE), MONSANTO im Allgemeinen und die Glyphosat-Klagen im Besonderen hätten nichts mit dem Stellenabbau zu tun. Der Gewerkschaftler warf vielmehr den Medien vor, diesen Zusammenhang erst konstruiert zu haben, und kam dann richtig in Schwung: „Wir messen Glyphosat oder dem Hambacher Forst viel mehr Bedeutung zu, als sie eigentlich haben, und zwar eine viel zu sehr ökologisch gefärbte!“ Der Zeit-Journalist glaubte seinen Ohren nicht zu trauen: „Wie bitte, ‚ökologisch gefärbt’?“, hakte er nach, aber der IG BCEler blieb darbei.

Auf die Bosse ließ er hingegen nichts kommen. „Baumann und Aufsichtsratschef Wenning stehen dafür, dass der Abbau BAYER-like erfolgt“, so Zühlke. Da blieb Kritik aus dem Lager unabhängiger Betriebsratsgruppen nicht aus. „Es dient nicht der Glaubwürdigkeit, wenn Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat zuerst Maßnahmen zustimmen und anschließend zur Demonstation in Elberfeld aufrufen“, konstatierte das BELEGSCHAFTS-TEAM. Überdies redete es Tacheles und stellte Forderungen auf. „Auch wenn die Unternehmensleitung durch die Stärkung der Kern-Kompetenzen das Ziel der Gewinn-Maximierung verfolgt, darf die Fürsorge-Pflicht des Arbeitgebers für die Kolleginnen und Kollegen nicht auf der Strecke bleiben, verlangte die Organisation.

Politik leistet Beistand
Beistand erhielten die Beschäftigten aus den Reihen der Politik. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, der seinen Wahlkreis in Leverkusen hat, twitterte: „Ein Klassiker. Weil Aktionäre durch verheerenden MONSANTO Glyphosat Deal nicht leiden sollen, werden Arbeitsplätze geopfert. Das ist nicht akzeptabel.“ Der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, Anton Hofreiter, pflichtete ihm bei. Er warf dem Management vor, den mit Glyphosat verbundenen Risiken beim Kauf des US-Unternehmens nicht genug Beachtung geschenkt zu haben: „Das ist und war nicht nur rücksichtslos gegenüber Umwelt und Natur, sondern auch fahrlässig und verantwortungslos gegenüber den Beschäftigten.“
Die LokalpolitikerInnen an den BAYER-Standorten übten ebenfalls Solidarität. So erklärte Wuppertals Oberbürgermeister Andreas Mucke (SPD): „Ich unterstütze den Protest der Beschäftigten, die von den Entscheidungen unmittelbar betroffen sind, obwohl sie die Ursache für den Stellenabbau nicht zu verantworten haben.“ Und die Oppositionsparteien CDU und Bündnis 90/Die Grünen brachten eine Resolution zur Unterstützung der Belegschaft in den Rat ein, die auch eine Mehrheit fand. „Der Rat der Stadt Wuppertal steht an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Fortfall von 400 Arbeitsplätzen in der Forschung und 350 in der Produktion trifft aber nicht nur die von dieser Entscheidung unmittelbar Betroffenen hart, sondern hat zugleich auch noch nicht absehbare Konsequenzen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Stadt“, hieß es darin. Eine Passage des Textes richtete sich direkt an den Leverkusener Multi. „In dieser Situation fordert der Rat der Stadt den Vorstand und die Verantwortlichen in der Unternehmensleitung auf, mit offenen Karten zu spielen und alles für die Sicherung der Arbeitsplätze und den Ausbau des Standortes Wuppertal zu unternehmen. Der Rat der Stadt Wuppertal erwartet jetzt ein klares Bekenntnis zu einem Industrie-Standort mit langjähriger Firmen-Tradition und die notwendige Entschlossenheit, einem möglicherweise schleichenden Prozess mit aller Kraft entgegenzusteuern.“

Mit der Streichung von 12.000 Jobs setzt der Konzern sich unangefochten an die Spitze der Arbeitsplatzvernichter in Deutschland. Kein anderes Unternehmen kündigte 2018 den Abbau von so vielen Stellen an wie BAYER. Im globalen Maßstab kommt der Leverkusener Multi damit auf den sechsten Rang. Aber den GroßaktionärInnen reicht das nicht. Nach der Bekanntgabe des Kahlschlags gewann das BAYER-Papier kurzzeitig zwei Prozent, um dann prompt wieder 2,7 Prozent zu verlieren. „Im ersten Moment glaubten Anleger offenbar an das Versprechen, es werde dadurch effizienter werden. Danach schien sich die Sicht durchzusetzen, dass dies nicht ausreicht“, resümierte die Faz. Angesichts eines Börsenwert-Verlustes von fast 30 Milliarden Euro im Jahr 2018 drängt der Finanzmarkt das Management zu noch drastischeren Schritten. Immer lauter werden die Stimmen, die eine Trennung von der Pharma-Sparte verlangen. Das dürfte auch auf der Agenda des Geierfonds ELLIOT MANAGEMENT COOPERATION stehen, der im Dezember 2018 aus der Deckung kam und sein schon länger bestehendes Engagement beim deutschen Global Player öffentlich machte. Bei THYSSENKRUPP verfolgte ELLIOT seine strategischen Ziele so rücksichtslos, dass der Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger und der Aufsichtsratschef Ulrich Lehner zurücktraten.
Werner Baumann gab sich auf dem Wirtschaftsgipfel der Rheinischen Post aber cool. Der BAYER-Boss bestritt, schon Kontakt mit dem ELLIOTT-Besitzer Paul Singer gehabt zu haben, verteidigte ihn aber schon einmal prophylaktisch. Er versuchte sogar, in dem Investment der US-Gesellschaft bei BAYER ein positives Zeichen zu sehen. Singer sei nicht nur ein aktivistischer Aktionär, er steige auch bei Unternehmen ein, die er am Markt für unterbewertet erachte, behauptete der Vorstandsvorsitzende.

Neue Prozess-Strategie
Unterdessen arbeitet der Konzern fieberhaft daran, sich für die kommenden Schadensersatz-Prozesse zu rüsten, ohne jedoch von der Nibelungen-Treue zu seinem von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften Pestizid zu lassen. Auch auf dem Wirtschaftsgipfel versicherte Baumann wieder, „dass ich vollumfänglich hinter Glyphosat als Produkt stehe“. Der Vorstandsvorsitzende zeigt sich jedoch unzufrieden damit, wie die MONSANTO-VerteidigerInnen den Fall angingen. Er hätte „einige Dinge anders gemacht“, gab er JournalistInnen im November 2018 zu verstehen und kündigte eine neue Strategie an. Darum engagierte das Unternehmen AnwältInnen von der Kanzlei ARNOLD & PORTER KAYE SCHOLER. Deren Verhandlungsgeschick hat den Pharma-Riesen nämlich schon mehrfach vor Schadensersatz-Zahlungen für seinen mit vielen Nebenwirkungen behafteten Blutverdünner XARELTO bewahrt. Überhaupt versucht der Global Player, seine jahrzehntelange juristische Erfahrung mit Geschädigten seiner Produkte zum Vorteil zu wenden. So verwies Werner Baumann etwa auf die in seinen Augen „billige“ 12-Millionen-Dollar-Lösung in der rechtlichen Auseinandersetzung mit den 4.000 Klägerinnen, die unter den unerwünschten Arznei-Effekten der Hormon-Spirale MIRENA litten.
Die schmerzende Niederlage im ersten Glyphosat-Prozess schreibt der Leverkusener Multi vor allem der Disposition der Geschworenen zu, Empathie für den dem Tode geweihten Kläger Dewayne Johnson zu zeigen. Darum bemüht er sich in den weiteren Verfahren, verstärkt Einfluss auf die Auswahl der JurorInnen zu gewinnen. So ersuchte das Unternehmen Anfang November 2018 den Richter Vince Chhabria, für die noch anstehenden Verfahren den Jury-Pool zu erweitern und immer nachzuprüfen, ob die in Frage kommenden Personen durch die Berichterstattung zum Fall „Dewayne Johnson“ nicht etwa voreingenommen sein könnten. Zudem fehlt es nicht an wohlmeinenden Empfehlungen von Rechts-ExpertInnen. Gary Baise beispielsweise rät BAYER dazu, auf die Schulbildung der Geschworenen zu achten, da Menschen mit höheren Abschlüssen in der Regel nicht so emotional reagierten.
Einen Erfolg hat die Aktien-Gesellschaft einstweilen bei Chhabria schon erzielt. Der Bezirksrichter gab dem Antrag statt, drei bereits angesetzte juristische Auseinandersetzungen in zwei Teile aufzuspalten. Zu Beginn geht es jetzt streng wissenschaftlich nur noch um die Erörterung der Frage, ob ein Kausalzusammenhang zwischen Glyphosat und Krebserkrankungen besteht, und erst danach kommen die schmutzigen Tricks von MONSANTO bei der Freisprechung des Pestizides von aller Schuld zur Sprache.

PR-Kampagne
Begleitend dazu investiert der Agro-Mogul Unsummen in eine PR-Kampagne. Er charterte ein Flugzeug, um JournalistInnen großer deutscher Zeitungen und Sender in die ehemalige MONSANTO-Zentrale nach St. Louis einzufliegen. Dort präsentierte er ihnen dann mit Mark Scott den Vorzeige-Bauern des Konzerns, der – was Wunder – zu Protokoll gab, Glyphosat ganz toll zu finden und gerne jedes Jahr wieder Lizenz-Gebühren für Gentech-Saatgut zu zahlen. Und viele JournalistInnen apportierten das brav. In den USA schaltete der Konzern zudem 1-seitige Anzeigen in Blättern wie der Washington Post. Um das Internet kümmerte er sich ebenfalls. Wer den Begriff „Glyphosat“ in eine Suchmaschine eingab und auf Seiten mit Artikeln zum Thema klickte, der bekam zeitweilig immer gleich eine Anzeige des Agro-Moguls mitgeliefert. „Behauptungen zu Glyphosat – was sagt BAYER dazu?“ – mit dieser Frage wollte das Unternehmen die Web-UserInnen ködern, seine Glyphosat-Propaganda aufzurufen. Auch in neue PropagandistInnen steckte es Geld. Der Leverkusener Multi verpflichtete den ehemaligen Grünen-Politiker Matthias Berninger – vor seinem Job beim Schokoriegel-Hersteller MARS unter anderem Staatssekretär im Verbraucherschutz-Ministerium – als seinen neuen Mann in Washington. Er nimmt sich in der US-amerikanischen Hauptstadt künftig der „Public and Governmental Affairs“ an. „Der richtige Mann, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort“, erklärte BAYER zu der Personalie.
Ob diese Kraftanstrengungen reichen, den Negativ-Trend zu stoppen, wird sich mit dem zweiten Glyphosat-Prozess zeigen, der am 25. Februar beginnt. Einigen dürfte der Ausgang der Sache jedoch inzwischen egal sein: den 12.000 Menschen, die beim Konzern ihren Arbeitsplatz verlieren.⎜

[Arbeitsplatzvernichtung] Presseerklärung CBG 30.11.2018

CBG Redaktion

Beschäftigte müssen für MONSANTO-Deal bluten

BAYER vernichtet 12.000 Arbeitsplätze

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) warnte bereits 2016: „Die MONSANTO-Übernahme kommt die BAYER-Beschäftigten teuer zu stehen.“ Auf den Hauptversammlungen des Chemie-Konzerns im Mai 2017 und 2018 fragten Kritische AktionärInnen der CBG: „Wieviele Arbeitsplätze werden vernichtet durch die Übernahme von MONSANTO?“ BAYER-Chef Baumann verweigerte die Antwort. Gestern wurde die Katze aus dem Sack gelassen: 12.000 Jobs werden im Konzern gestrichen. . Dies hat BAYER am gestrigen Tag nach einer Aufsichtsratssitzung bekannt gegeben. Ob das alles ist oder ob weitere Arbeitsplatzvernichtung folgen wird – dies ließ BAYER offen.

Ein erheblicher Teil dieser Posten wird in den deutschen Werken wegfallen. Der Leverkusener Multi plant unter anderem, sich von der Tiermedizin-Sparte komplett zu trennen. Zudem sollen keine neuen rezeptfreien Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel mehr hergestellt und alte ausgemustert werden. Dies wird 1.100 Menschen die Arbeitsstelle kosten. In der Abteilung „Pharmaceuticals“, die verschreibungspflichtige Medikamente produziert, sollen 900 Arbeitsplätze wegfallen. Hiervon ist direkt der Standort Wuppertal betroffen. Hier beabsichtigt die Aktien-Gesellschaft, 350 Stellen zu streichen. Im Saatgut- und Pestizid-Bereich, gerade erst durch den berüchtigten Neukauf „MONSANTO“ gewachsen, stehen 4.100 Jobs zur Disposition. Überdies will der Agro-Riese seine Anteile an dem Dienstleister CURRENTA, die 60 % des Grundkapitals ausmachen, abstoßen – ein unkalkulierbares Risiko für die Belegschaft.

„Der Finanzmarkt kennt keine Gnade. Erst drängen die Ultra-Reichen, die hinter BLACKROCK & Co. stehen, BAYER zum MONSANTO-Kauf und jetzt, da sich ihre Erwartungen nicht erfüllen, zwingen sie den Global Player zum Aderlass. Und bluten müssen wieder mal die Beschäftigten“, stellt Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG klar.

Die Investoren schon frühzeitig Druck auf BAYERs Finanz-Chef Wolfgang Nickl aus. „Herr Nickl muss dafür einstehen, dass BAYER Cash aus jeder möglichen Quelle generiert“, mahnte etwa der Finanzanalyst Jeremy Redenius. Und der Konzern tat wie geheißen und brachte im Unternehmensteil „Pharma“ schon Ende Mai das Rationalisierungsprogramm „Super Bowl“ auf den Weg.

Die CBG fürchtet weitere Maßnahmen. So pochen einige Finanzmarkt-AkteurInnen bereits auf einen Komplett-Verkauf des Pillen-Geschäfts. Eine Bestandsgarantie für die nächsten Jahre verweigerte BAYER-Chef Werner Baumann der Coordination auf der letzten Hauptversammlung dann auch bezeichnenderweise. „Aufgrund der recht dynamischen Entwicklungen des Marktumfeldes wären verbindliche Festlegungen über 20 Jahre unseriös“, meinte er.

Pressekontakt

Jan Pehrke 0211/33 39 11

[Ansteckende Proteste] Hauptversammlung der BAYER-KritikerInnen

CBG Redaktion

Die Kritik an BAYERs MONSANTO-Deal scheint jetzt auch institutionelle Anleger infiziert zu haben: Beim Aktionär-Innen-Treffen am 25. Mai präsentierten nicht nur die Kritischen AktionärInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN die Schadensbilanz einer rücksichtslosen Profitjagd, erstmals setzten auch zahlreiche VertreterInnen von Investment-Fonds die von der MONSANTO-Akquisition, Glyphosat und bienengefährlichen Pestiziden ausgehenden Gefahren auf die Tagesordnung. Die damit verbundenen „Reputationsrisiken“ drohen ihrer Ansicht nach nämlich ökonomische Konsequenzen zu haben.

Von Jan Pehrke

„Für den Vorstand ging es gestern rund: ‚BAYERs neuer Partner ist der Tod’“, mit diesen Worten leitete die überregionale Gazette Rheinische Post aus Düsseldorf ihren Artikel zum diesjährigen Aktionär-Innen-Treff des Leverkusener Multis ein. Anschließend beschrieb die Zeitung ihren LeserInnen, was sich vor dem Bonner „World Conference Center“ (WCCB) abspielte: „Die Aktivisten waren als Paare verkleidet – BAYER als Braut in weiß, MONSANTO als schwarzer, todbringender Bräutigam“, hielt die Journalistin fest.
Das war aber noch längst nicht alles: Das entwicklungspolitische Netzwerk INKOTA machte Action-Theater und ließ SuperheldInnen die gegenwärtig den Agro-Markt überschwemmende Fusionswelle brechen. MEINE LANDWIRTSCHAFT stellte BAYSANTO als gefräßigen Pacman dar, der sich freies Saatgut einverleibt. LandwirtInnen fuhren ihre Trecker mit Bannern wie „Ährensache ohne BAYER“ auf. Und falls Menschen doch noch Illusionen über BAYERs weiße Weste hatten, so belehrten sie die ProtestlerInnen schnell eines Besseren: Medikamenten-Geschädigte konfrontierten die AktionärInnen mit den Risiken und Nebenwirkungen der Pillen des Pharma-Riesen. ImkerInnen setzten mit ihren Rauchgeräten ein deutliches Zeichen gegen die bienengefährlichen BAYER-Pestizide – die letzte Biene trug passend dazu die HonigConnection zu Grabe. Und Transparente zu Themen wie „Dhünnaue“, „Kinderarbeit“ oder „Kartell-Betrüger“ taten ein Übriges. Als heiße Luft erwiesen sich hingegen die blauen Ballons, die mit ihrer „Hier-sind-die Fakten.de“-Aufschrift auf BAYERs Propaganda-Seiten zu Gentech & Co. aufmerksam machen wollten.
Auf der Bühne vor dem HV-Versammlungsgebäude gab es zudem reichlich kritische Redebeiträge. Durch die „Pappnasen Rot-Schwarz“ kam sogar alternative Karnevalsstimmung auf. „D’r Kappetalismus/Dä hätt ene Voll-Schuss/ Einer fängk zu wachse aan/bis jeder mitmuss“, intonierten die Kölner JeckInnen und schmetterten „Wachstumswaahn“ zur Melodie des italienischen Gassenhauers „Ti amo“.

29 Kritische sprachen

Genauere Zahlen zu BAYERs Wachstumswahn präsentierte Jan Pehrke vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) dann im Saal. „Im Falle der Genehmigung der Übernahme käme der Konzern bei den Gen-Pflanzen auf einen Marktanteil von rund 90 Prozent, beim konventionellen Saatgut auf einen von 30 Prozent und bei den Pestiziden auf einen von über 20 Prozent“, rechnete er vor und schilderte die Konsequenzen dieser dominierenden Stellung. „Die LandwirtInnen müssen mit höheren Preisen und weniger Auswahl rechnen und in der Folge auch die VerbraucherInnen. Die Beschäftigten sehen sich von Arbeitsplatz-Vernichtung bedroht. Die Standort-Städte schließlich kostet die Transaktion Einnahmen, denn BAYER kann seine Zukäufe steuermindernd geltend machen“, konstatierte der Journalist.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner, Obmann seiner Fraktion im „Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft“, warnte ebenfalls vor den Folgen einer weiteren Agro-Industrialisierung an-gesichts der jetzt schon immensen Schadensbilanz dieser Art von Bodenbewirtschaftung.
Darüber hinaus beschäftigten sich René Lehnherr vom MONSANTO-Tribunal, Thomas Cierpka von der internationalen Bio-LandwirtInnen-Vereinigung IFOAM und zahlreiche weitere RednerInnen mit dem Mega-Deal.

Von Pestiziden ...

Abermals großen Raum nahm in Bonn das Thema „Bienensterben“ ein. Der Imker Christoph Koch feierte sein 10-jähriges Hauptversammlungsjubiläum und hatte „endlich eine Sicht“. Gewährt hatte ihm diese die Entscheidung der EU, die bienengefährlichen BAYER-Mittel PONCHO, GAUCHO sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam aus dem Verkehr zu ziehen.
Aber Entwarnung bedeutet das Votum Brüssels für ihn ebenso wenig wie für alle anderen BienenzüchterInnen, die nach ihm sprachen. Das Verbot betrifft nämlich nur drei Ackergifte aus der Gruppe der Neonicotinoide. Noch dazu hat der Leverkusener Multi bereits ein alternatives Produkt im Köcher, das sich als alter Wein in neuen Schläuchen zu entpuppen droht. Und dass die nicht zu den Neonicotinoiden gehörenden Pestizide für Bienen auch nicht ohne sind, kommt noch erschwerend hinzu.
Welche Folgen die Agro-Chemikalien für die Menschen haben, führte der Brasilianer Alan Tygel von der PERMANENT CAMPAIGN AGAINST PESTICIDES AND FOR LIFE den AktionärInnen vor Augen. Diese hatten vorher von BAYER-Chef Werner Baumann schon viel von dem südamerikanischen Land gehört – allerdings nur in seiner Eigenschaft als Absatzmarkt, der seit einiger Zeit für BAYER nicht mehr die gewohnten Profite abwirft. „Sie machen sich Sorgen über Brasilien“, hob Tygel deshalb an, aber „keine Sorgen über die Opfer“. Diesen Opfern des „Gewinns um jeden Preis“ widmete er sich deshalb ausführlich. Er berichtete von zahlreichen Pestizid-Vergiftungen und Selbstmorden von LandwirtInnen. Zudem griff er die doppelten Standards an, denen sich der Global Player bei der Vermarktung seiner „Pflanzenschutzmittel“ befleißigt: Zehn in Brasilien erhältliche BAYER-Pestizide darf das Unternehmen in der EU wegen ihrer Gefährlichkeit gar nicht mehr vertreiben.

... und bitteren Pillen

Auch die Liste der gemeingefährlichen Medikamente des Konzerns wurde auf der Hauptversammlung länger. Georg Wehr fügte ihr den Eintrag „Gadolinium“ hinzu. Abkömmlinge dieses Schwermetalls sorgen als Inhaltsstoffe von BAYERs Röntgen-Kontrastmitteln GADOVIST, PRIMOVIST und MAGNEVIST für massive Gesundheitsschäden, wie der Krankenpfleger aus eigener Erfahrung berichten konnte.
Damit nicht genug, setzten die Kritischen AktionärInnen noch zahlreiche weitere Themen auf die Agenda der HV: den Schwangerschaftstest DUOGYNON, die Hormon-Spirale MIRENA, Glyphosat, die Digitalisierung der Landwirtschaft, das Ökolandbau-Paradies Indien, den Manipulationsversuch einer Studie zum Bienensterben, die NS-Vergangenheit BAYERs, die Öffnung von BAYERs Giftmüll-Deponie Dhünnaue sowie die neuen gentechnischen Methoden.
Auf all die vielen Fragen antwortete der Große Vorsitzende von BAYER nach Schema F. Er nutzte wieder die seit Jahren bekannten Textbausteine: „Die Zahl der Bienenvölker hat nicht abgenommen“, „Wir sind nach wie vor von der Umweltsicherheit unserer Mittel überzeugt“, „Es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Schwangerschaftstest und embryonaler Missbildung“, „Die Sicherheit der Produkte hat höchste Priorität“ usw. usf. In der Summe wurde aber immer wieder klar: Für BAYER zählt einzig der Profit, dafür geht der Konzern über Leichen. Über die von Bienen ebenso wie über die von Menschen.
Auch dieses Mal dominierten die Kritiker-Innen wieder die Hauptversammlung. 29 Gegen-RednerInnen (in früheren Veröffentlichungen hatte die CBG 28 gemeldet, Anm. SWB) aus dem Umfeld der CBG traten an diesem Tag ans Mikrofon – so viel wie noch nie. Und der Leverkusener Multi überließ ihnen das Feld.
Vor den Türen des WCCB wies nichts auf das AktionärInnen-Treffen hin, und auch im Saal selber entschied sich der Konzern für ein defensives Design, damit sein Name auf Bildern ja nicht in der „schlechten Gesellschaft“ der AktivistInnen auftaucht. Nur ganz verstohlen zeigte sich das – doch gerade erst runderneuerte – BAYER-Logo am rechten Rand der Bühnen-Dekoration, vor der die Riege der Vorstände und Aufsichtsräte des Unternehmens – mit gehörigem Sicherheitsabstand zu den BesucherInnen – thronte.

Reputationsrisiken

Zu allem Überfluss ließen es auch zahlreiche „normale“ AktionärInnen an harten Worten nicht fehlen. Vor allem aber überraschte das Ausmaß, das Glyphosat, die Neonicotinoide, die Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht in BAYERs Pharma-Produktion und nicht zuletzt MONSANTO in den Reden der VertreterInnen von Geldhäusern und Investment-Gesellschaften einnahmen. „Für sie ist Nachhaltigkeit längst ein Thema“, so die Rheinische Post unter der Schlagzeile „Aktionäre rechnen mit BAYER ab“ in ihrer Berichterstattung über die HV. Die Wirtschaftswoche hatte das schon geahnt. Mit Blick auf das Bienensterben konstatierte das Blatt: „Wenn es hier nicht gelingt, aus der Defensive zu kommen, dürfte der Konzern dauerhaft im Feuer der Umweltverbände bleiben“ und warnte: „Selbst Großaktionäre fragen sich inzwischen inzwischen, ob es die Millionen wert sind, den dauerhaften Image-Verlust zu riskieren.“
Entsprechend forsch traten einige von ihnen dann in Bonn auf. Sie forderten den Vorstand und den Aufsichtsrat auf, am „Reputationsmanagement“ zu arbeiten und dieses als Teil des Risiko-Managements zu betrachten. „Das Geschäft und der zweifelhafte Ruf von MONSANTO schrecken Verbraucher und Investoren ab“, bemerkte etwa Ingo Speich von UNION INVESTMENT. Aber das war für ihn nicht die einzige Baustelle BAYERs. In Sachen „Bienensterben“ verlangte er vom Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann ganz konkret, die Klage gegen das Teilverbot der Mittel nicht weiterzubetreiben und stattdessen „von weiteren rechtlichen Schritten abzusehen“. Und bei den Buchprüfungen im Rahmen von Übernahmen wie der von MONSANTO sollten die ManagerInnen seiner Meinung nach künftig nicht nur auf eine gute Zahlen-Bilanz, sondern auch auf eine gute Menschenrechte-Bilanz des Kauf-Kandidaten achten. „Angesichts der massiven Kritik wirkten die eingespielten Image-Filme über geheilte Krebs-Patienten und glückliche Bauern hilflos“, resümierte die Düsseldorfer Tageszeitung Rheinische Post.

Gute CBG-Bilanz

Vor dem Hintergrund, dass wenige Investment-Gesellschaften der Ultra-Reichen wie etwa BERKSHIRE HATHAWAY von Warren Buffet, BLACKROCK und CAPITAL INVESTMENT satte Mehrheiten für Profite – koste es, was es wolle! – sichern, kamen die BAYER-KritikerInnen bei den Abstimmungen auf erhebliche Stimmenzahlen: Bis zu 14 Millionen Aktien, immerhin Kapital im Börsenwert von 1,4 Milliarden Euro, stimmten mit den Kritischen AktionärInnen der Coordination gegen die Vorschläge von Vorstand und Aufsichtsrat und kreuzten auf den Stimmblöcken jeweils „NEIN“ an. Und obwohl sich der Vorstandsvorsitzende in der Aussprache noch energisch gegen den Vorschlag, die Dividenden zu kürzen und das Geld zu besseren Zwecken zu verwenden, verwahrte (O-Ton Baumann: „Die Aktionäre nicht adäquat am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen, würde das Vertrauen in unser Unternehmen und auch die Investitionen in unsere Aktien missachten“), stimmten noch immer 416.000 Aktien mit den KritikerInnen.
Am 25. Mai fanden die weltweiten Proteste gegen die menschen- und umweltfeindlichen Machenschaften des BAYER-Konzerns, wie sie sich eine knappe Woche vor der Hauptversammlung etwa in den „Marches against MONSANTO and BAYER“ Ausdruck verschafften, ihren krönenden Abschluss. Dahinter stand die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN im Bündnis mit vielen anderen, darunter COLABORA und IFOAM, aber auch ATTAC, HonigConnection, der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, die SDAJ, die Pappnasen Rotschwarz und das kollektiv tonali. Gemeinsam geht die Arbeit weiter: Die Macht der BAYER-Profite muss gebrochen werden, soll es Frieden, Gesundheits- und Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit geben. ⎜

Abstimmungsergebnisse

Von anwesenden 524,1 Mio. Aktien (pro Aktie eine Stimme) stimmten bei den einzelnen Tagesordnungspunkten mit „Nein“:

Gewinnverwendung
Nein-Stimmen 416.288 = 0,1 %
Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen 14.351.684 = 2,8 %
Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 10.406.398 = 2,0 %
Wahlen zum Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 6.736.860 = 1,3 %

Die Abstimmungen auf den AktionärInnen-Hauptversammlungen der Konzerne werden bestimmt von wenigen GroßaktionärInnen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.). Sie sorgen für sichere Mehrheiten von 90 % plus.
Die vielen hunderttausend KleinaktionärInnen hingegen besitzen zusammen lediglich fünf bis zehn Prozent aller Aktien. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse für die Kritischen AktionärInnen der CBG im Rahmen der BAYER-HV 2018. Bis zu 5 % stimmten mit „Nein“ bzw. enthielten sich der Stimme. Wobei der BAYER-Konzern die Enthaltungen bzw. die nicht an den Abstimmungen teilnehmenden Aktien nicht ausdrücklich ausweist.
BAYER hat ca. 360.000 Aktionär-Innen. Die Coordination wird von mehreren Hundert KleinaktionärInnen unterstützt und brachte zur HV 2018 etwa 25.000 Aktien mit.
Damit wird sofort deutlich, dass auf der HV viele andere AktionärInnen mit der CBG gestimmt haben müssen, um die oben dokumentierten Abstimmungsergebnisse zu erzielen.

Schamlose Profite

Eine BAYER-Aktie repräsentiert einen Anteil am Gesamtkapital des Konzerns in Höhe von 2,56 Euro.
Auf jede Aktie wurde eine Dividende von 2,80 Euro ausgeschüttet. Das entspricht einer Kapital-Rendite von sage und schreibe 109,4 Prozent. Ein wahrlich schamloser Profit!
Um diese Schamlosigkeit in der Öffentlichkeit zu verschleiern, wird die Dividende gerne auf den jeweils aktuellen Kurswert der BAYER-Aktie berechnet. Aktuell ist die Aktie mit ca. 113 Euro an der Börse notiert. Damit fällt die Dividende – HokusPokus - auf lediglich 2,4 Prozent.
Achtung: Die Kapital-Rendite darf nicht mit der Dividenden-Rendite verwechselt werden. Während die Kapital-Rendite die Dividende zum Kapitalwert der Aktie (als Anteil am Gesamtkapital) ins Verhältnis setzt, bezieht die Dividenden-Rendite die Dividende auf den Kurswert der Aktie (der entsprechend Angebot und Nachfrage an der Börse schwankt).

[BAYSANTO] BAYER wird BAYSANTO

CBG Redaktion

Der Deal ist durch

Seit Anfang Juni 2018 ist es amtlich: BAYER darf MONSANTO schlucken und steigt damit zum größten Agro-Konzern der Welt auf, der die Konkurrenz weit hinter sich lässt und fortan bestimmt, wie die Menschheit sich ernährt.

Von Jan Pehrke

Es war eine Kapitulation vor dem Kapital: Mit den USA, Kanada und Mexiko genehmigten Anfang Juni 2018 auch die letzten Länder die Übernahme von MONSANTO durch BAYER. Damit setzten die drei Staaten der vorerst letzten Runde im Agro-Monopoly ein Ende. And the winner is: BAYER. Der Leverkusener Multi rangiert nun mit weitem Abstand an der Spitze des neu formierten Quartetts, welches das weltweite Geschäft mit der Nahrung unter sich aufgeteilt hat. Beim Saatgut erlangt er einen Marktanteil von über 20 Prozent und bei den Pestiziden einen von ca. 25 Prozent. Auf einen Umsatz von 19,7 Millarden Euro kommt BAYSANTO, dahinter folgen weit abgeschlagen CHEMCHINA mit 14,1 Milliarden, CORTEVA mit 12,7 Milliarden und die BASF mit 7,9 Milliarden.
„Die Übernahme von MONSANTO ist ein strategischer Meilenstein, um unser Portfolio führender Geschäfte in den Bereichen ‚Gesundheit’ und ‚Ernährung’ zu stärken“, erklärte BAYER-Chef Werner Baumann zum unfeierlichen Anlass. Hatte er bei der Ankündigung der Transaktion in Erwartung massiver Kritik noch aus PR-Gründen salbungsvoll die Mutter Teresa gegeben und bekundet: „Wir können mit MONSANTO noch besser dazu beitragen, die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern“, so kehrte er mit Vollzug des Deals flugs zum Business-Sprech as usual zurück. „Die Akquisition soll erheblichen Wert schaffen“, kündigte der Große Vorsitzende an. Die AktionärInnen konnten sich sogar schon über konkretere Angaben freuen: „BAYER erwartet ab 2019 einen positiven Beitrag zum bereinigten Ergebnis je Aktie, der von 2021 an im zweistelligen Prozent-Bereich liegen soll.“
Die großen Finanzinvestoren wie BLACKROCK oder Warren Buffetts BERKSHIRE HATHAWAY kassieren jetzt schon kräftig ab. Sie hatten sich in den letzten Monaten massenhaft zu einem Preis mit MONSANTO-Aktien eingedeckt, der erheblich unter dem BAYER-Angebot von 128 Dollar lag. Als der Konzern den Aktien-HalterInnen des US-Unternehmens dann am 7. Juni die Kaufsumme überwies, trug ihnen das satte Gewinne ein. Allein BERKSHIRE verbuchte ein Plus von rund 200 Millionen Dollar.
Die Fonds-Gesellschaften ernteten das, was sie selber gesät hatten. Sie hatten BAYER, DUPONT, DOW und die anderen Agro-Multis zu Übernahmen und Fusionen, gedrängt, weil ihnen die im Landwirtschaftssektor erzielten Renditen nicht mehr reichten. Aktien-Pakete von allen Branchen-Größen haltend, hatten BLACKROCK & Co. kein gesteigertes Interesse an der Konkurrenz „ihrer“ Unternehmen mehr und setzten stattdessen auf Zusammenschlüsse. Von denen versprachen sie sich nämlich höhere Profite, da „Synergie-Effekte“ winken und sich auf einem bereinigten Markt höhere Preise und ergo höhere Renditen erzielen lassen.

Die Folgen des Deals

Die LandwirtInnen reagierten entsprechend alarmiert. „Für Bäuerinnen und Bauern drohen Preis-Diktate“, warnt die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL) und zählt noch mehr Risiken und Nebenwirkungen des Deals auf: „eine weitere Einengung der Sorten-Auswahl, mehr Abhängigkeiten und eine Verschärfung der Patent-Situation“. Die höheren Kosten für Betriebsmittel wie Pestizide und Saatgut sowie die Reduzierung der Vielfalt auf den Äckern werden dann auch die VerbraucherInnen zu spüren bekommen.
Zu den Hauptleidtragenden der mit der letzten Konzentrationswelle noch einmal forcierten Agro-Industrialisierung zählt überdies die Umwelt. Den Standort-Städten BAYERs drohen derweil verminderte Einnahmen, denn der Global Player verschuldet sich durch den Erwerb von MONSANTO immens, was seine Steuerlast drückt. Auf die Beschäftigten haben diese roten Zahlen ebenfalls Auswirkungen. Sie müssen nicht nur wegen der „Synergie-Effekte“ um ihre Arbeitsplätze fürchten, sondern auch, weil BAYER den Investoren Kosten-Einsparungen zugesagt hat, um die Verbindlichkeiten zu reduzieren. „Herr Nickl muss dafür einstehen, dass BAYER Cash aus jeder möglichen Quelle generiert“, formuliert etwa der Finanzanalyst Jeremy Redenius die Anforderungen an den neuen Finanzchef des Konzerns, Wolfgang Nickl. Und das Unternehmen leistet diesem Imperativ bereits Folge. Es hat im Pharma-Bereich das Rationalisierungsprogramm „Super Bowl“ gestartet, dem Belegschaftsangehörigen zufolge allein in der Bundesrepublik 1.000 Arbeitsplätze zur Disposition stehen.
Auf die Arznei-Sparte als Ganzes könnte ebenfalls Unbill zukommen. Die MONSANTO-Akquisition verschiebt nämlich die Gewichte innerhalb des Konzerns. Umsatzmäßig hat die Landwirtschaftssektion jetzt mit der Pillen-Abteilung gleichgezogen. Da es sich aber um völlig unterschiedliche Geschäfte handelt, der Verkauf von Medikamenten höhere Renditen abwirft als der von Glyphosat & Co. und zudem weniger konjunktur-abhängig ist, dürfte es nicht lange dauern, bis die Finanzinvestoren die Aufspaltung des Unternehmens verlangen. Eine Bestandsgarantie für den Global Player in seiner jetzigen Form über die nächsten 20 Jahre hinweg mochte BAYER-Chef Werner Baumann auf der letzten Hauptversammlung dann auch wohlweislich nicht geben. „Aufgrund der recht dynamischen Entwicklungen des Marktumfeldes wären verbindliche Festlegungen über 20 Jahre unseriös“, meinte er.
Als erste Amtshandlung hat der Vorstandsvorsitzende erst einmal den Namen „MONSANTO“ verschwinden lassen, weil dieser übel beleumundet ist. Mit solchen Operationen kennt das Unternehmen sich aus, worauf die taz in ihrem Kommentar zum Abschluss der Übernahme hinwies: „Die Vergangenheit tilgen, das hat unselige Tradition bei BAYER. Der Konzern ist Keimzelle und Überbleibsel der IG FARBEN, eines 1925 gegründeten riesigen Chemie-Konzerns, der sich später eng mit dem Nazi-Regime verbündete.“
Angesichts einer solchen Geschichte braucht der Leverkusener Multi nach Ansicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auch keinen Vergleich zu seinem Objekt der Begierde zu scheuen. „Was ihre Amoralität angeht, so sind BAYER und MONSANTO aus dem gleichem Holz geschnitzt“, hielt die Coordination in ihrer Presseerklärung fest und nannte als Beispiele für skandalträchtige Geschäftspraktiken des Leverkusener Multis aus jüngerer Zeit die Vermarktung von HIV-infizierten Blut-Präparaten und von Antibaby-Pillen mit tödlichen Nebenwirkungen.
Damit das alte MONSANTO-Spiel nicht unter neuem Namen ungestört weiterlaufen kann, gilt es für die CBG jetzt, den Protest, der sich weltweit gegen das US-Unternehmen artikulierte, mit ihrer Arbeit kurzzuschließen. Und ermutigt sieht sie sich bei diesem Unterfangen nicht zuletzt dadurch, dass die weltweit stattfindenden „Marches Against MONSANTO“ vielerorts schon Marches „Against MONSANTO and BAYER“ hießen. Deshalb hofft die Coordination für 2019 auf viele „Marches Against BAYER“ und zahlreiche andere Aktionen gegen den nunmehr weltgrößten Agro-Konzern. ⎜

[Monsanto-Deal] MONSANTO-Deal

CBG Redaktion

07. Juni 2018

BAYERs MONSANTO-Deal hat fatale Folgen

Das Agro-Monopoly kennt nur Verlierer

Mit der nun amtlichen Übernahme von MONSANTO durch BAYER gelangt die vorerst letzte Runde im Agro-Monopoly zu ihrem Abschluss. Übrig bleiben vier Konzerne mit dem Leverkusener Multi an der Spitze, die das weltweite Geschäft mit der Nahrung unter sich aufteilen. In Gang gesetzt haben dieses Spiel mächtige Finanzmarkt-Akteure. Aktien-Pakete von allen Branchen-Größen haltend, hatten BLACKROCK und andere kein gesteigertes Interesse an der Konkurrenz „ihrer“ Unternehmen mehr und setzten stattdessen auf Zusammenschlüsse. So hat etwa Warren Buffetts Unternehmen BERKSHIRE HATHAWAY während der langwierigen Kartell-Prüfungen seine Beteiligung an MONSANTO aufgestockt und schon unmittelbar nach den Genehmigungen des Deals einen geschätzten Gewinn von 200 Millionen Dollar eingefahren.

Die Finanzinvestoren erwarten von den Fusionen und Aufkäufen ertragssteigernde „Synergie-Effekte“. Überdies setzen sie auf einen „bereinigten Markt“, auf dem sich höhere Preise und damit höhere Profite erzielen lassen. Auch denken sie, dass sie über Monopol-Macht chemische Landwirtschaft und Digitalisierung der Agrartechnik besser befördern können.
Den Preis für diese verheerende Entwicklung zahlen die LandwirtInnen und in der Folge die VerbraucherInnen. Auch drohen dem Staat verminderte Einkünfte, denn BAYER wird mit der gigantischen Finanzlast, welche auf den Konzern durch die Übernahme zukommt, seine Steuerverpflichtungen drastisch reduzieren. Insbesondere auf kommunaler Ebene wird das wieder die Bevölkerung direkt treffen, weil die Finanzhaushalte der Gemeinden, an denen BAYER Werke betreibt, kollabieren werden.

Die Beschäftigten werden zwar mit Durchhalteparolen und „Arbeitsplatz-Garantien“ ruhig gehalten. Dennoch droht im neuen Konzern Arbeitsplatzvernichtung im großen Stil, weil BAYER den Investoren Kosten-Einsparungen zugesagt hat, um die Verbindlichkeiten zu reduzieren. „Herr Nickl muss dafür einstehen, dass BAYER Cash aus jeder möglichen Quelle generiert“, formuliert etwa der Finanzanalyst Jeremy Redenius die Anforderungen an den neuen Finanzchef des Konzerns, Wolfgang Nickl. Und das Unternehmen leistet diesem Imperativ bereits Folge. Es hat im Pharma-Bereich das Rationalisierungsprogramm „Super Bowl“ gestartet, dem Belegschaftsangehörigen zufolge allein in der Bundesrepublik 1.000 Arbeitsplätze zum Opfer fallen könnten.

Die Gefahr von „Reputationsrisiken“ für BAYER durch die MONSANTO-Übernahme, wie sie neuerdings viele FinanzanalystInnen beschwören, sieht die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nicht. Für sie ist der Ruf des Unternehmens eh schon ruiniert. Die Geschichte des Konzerns ist seit dem Beginn im Jahr 1863 begleitet von Verbrechen und Skandalen. Etwa die Abstrafungen durch Verlust der BAYER-Marken in Teilen der Welt für seine verbrecherische Verantwortung im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen. Oder die Verurteilung von Managern wegen „Versklavung“ im Zusammenhang mit Zwangsarbeit zbd werkseigenen Konzentrationslagern der IG FARBEN. Oder die menschenverachtende Praxis im Zusammenhang mit der Vermarktung von HIV-infizierten Blut-Präparaten. Oder die Vermarktung von Antibabypillen mit tödlichen Nebenwirkungen. BAYER braucht den Vergleich mit dem US-Unternehmen deshalb nicht zu scheuen, sondern ist – da lange vor MONSANTO gegründet – eher eine Blaupause für MONSANTO. Bereits in den 1950er Jahren haben die Unternehmen denn auch zusammengearbeitet und gemeinsam die Firma MOBAY betrieben.

Nicht umsonst bekennt sich BAYER-Chef Werner Baumann vollmundig zu MONSANTO im Allgemeinen und seinem größten Problemkind Glyphosat im Besonderen. „Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir von der Qualität des Managements, der Qualität der Produkte, der Stärke der Innovationskraft und auch von der Kultur MONSANTOs sehr überzeugt sind“, hielt der Vorstandsvorsitzende fest und bezeichnete das umstrittene Herbizid als „ein sehr gutes und auch gut erforschtes Herbizid von MONSANTO, das auch weiterhin seine Daseinsberechtigung haben wird.“
„Was ihre Amoralität angeht, so sind BAYER und MONSANTO aus dem gleichem Holz geschnitzt. Die beiden Konzerne sind ein Beispiel für die Feststellung von Thomas Dunning, dass‚ „kein Verbrechen (existiert), das ... (das Kapital) nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens“, konstatiert Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG und prophezeit, dass dem neuen BAYER-Konzern weiterer erbitterter Widerstand der Weltbevölkerung erwachsen wird. In 428 Städten fanden im Vorfeld der BAYER-Hauptversammlung im Mai Protestmärsche gegen den Zusammenschluss statt. „Vielerorts wie z. B. in Ghana und in Hamburg hießen die Märsche bereits ‚March Against MONSANTO and BAYER’“, so der CBGler.

[Baysanto] EU genehmigt Übernahme

CBG Redaktion

Die Entscheidung über BAYERs MONSANTO-Deal rückt näher

EU genehmigt Übernahme

Am 21. März 2018 hat die Europäische Union BAYERs Antrag auf Übernahme von MONSANTO genehmigt. Brüssel sieht durch die Bereitschaft des Leverkusener Multis, sich von einigen Geschäftssparten zu trennen, die Gefahren eines solchen Mega-Deals gebannt. Trotzdem kann der Leverkusener Multi die Sektkorken noch nicht knallen lassen, denn es stehen noch einige Entscheidungen aus. Und die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird gemeinsam mit ihren Bündnis-Partnern bis zuletzt weiter gegen Baysanto streiten.

Von Jan Pehrke

„Wir haben die Übernahme von MONSANTO durch BAYER genehmigt, weil unsere wettbewerbsrechtlichen Bedenken durch die von den Unternehmen vorgelegten Verpflichtungszusagen, die einen Umfang von weit über sechs Mrd. Euro haben, vollständig ausgeräumt werden“, das erklärte die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zur Begründung der Zustimmung. Ein positives Votum Brüssels hatte sich schon länger abgezeichnet. Zwar zögerte die Generaldirektion Wettbewerb das Ende der Prüf-Phase mehrfach hinaus, aber einen Anlass zur Hoffnung gab das nicht unbedingt. „Wenn eine Entscheidung verschoben wird, hat das oft damit zu tun, dass wir mehr Zeit brauchen, um uns anzuschauen, was das Unternehmen uns für Angebote macht, um unsere Bedenken aus dem Weg zu räumen“, erklärte Vestager nämlich.

Ein erstes solches Angebot hatte BAYER im Herbst 2017 gemacht. Der Leverkusener Multi zeigte sich willens, ein Paket mit seinen gen-manipulierten Raps-, Soja- und Baumwoll-Pflanzen der „LIBERTY LINK“-Baureihe samt dem dazugehörigen Pestizid Glufosinat sowie einige weitere Ackerfrüchte an die BASF zu veräußern. Ein weiteres Zugeständnis unterbreitete der Global Player im Februar 2018. Da stellte er seine Gemüsesaatgut-Tochter NUNHEMS zur Disposition. Zudem verkündete der Konzern Konzessionen im Bereich der digitalen Landwirtschaft. So beabsichtigt BAYER, der BASF eine Exklusiv-Lizenz zur Nutzung dieser „Zukunftstechnologie“ einzuräumen. Ganz trennen mochte sich der Agro-Riese von Produkten dieser Abteilung jedoch nicht, da er mit der Bereithaltung von Tools zur daten-gestützten Bodenbewirtschaftung zu einer Art GOOGLE der Äcker aufzusteigen gedenkt.

Die Wettbewerbskommissarin akzeptierte all das jedoch, obwohl ihre KollegInnen einige der Posten schon zur Makulatur haben werden lassen. Die Europäische Union hat nämlich die Zulassung von Glufosinat wegen dessen erbgut-schädigenden Eigenschaften nicht verlängert, weshalb es die ihm von Margrethe Vestager zugedachte Rolle „eines Konkurrenz-Produkts für das MONSANTO-Produkt Glyphosat“ gar nicht mehr zu spielen vermag.

So erreicht Baysanto dann trotz der Auflagen im Pestizid-Bereich einen Markt-Anteil von mehr als 20 Prozent und beim konventionellen Saatgut einen Markt-Anteil von ca. 30 Prozent. Beim gen-manipulierten Saatgut beträgt dieser sogar 90 Prozent. Diese dominierende Stellung bedroht die Landwirtschaft, da die LandwirtInnen mit höheren Preisen rechnen müssen und überdies weniger Auswahl haben. Auch die VerbraucherInnen können beim Einkauf nicht mehr zwischen so vielen Sorten wählen, wenn der Leverkusener Multi mit seinem Vorhaben wirklich zum Ziel kommen sollte. Daran stört sich die EU-Kommission offensichtlich nicht. Mit ihrem Genehmigungsbescheid hat sie dem von vier Konzernen gebildeten und von BAYER unangefochten angeführten Oligopol im Landwirtschaftssektor ihren amtlichen Segen erteilt.

Aber die Übernahme hat noch weitere Folgen, welche Vestager & Co. gar nicht erst in den Blick nahmen, weil sie ihre Perspektive allein auf das Wettbewerbsrecht verengten und selbst da nicht so genau hinsahen. Die Beschäftigten sehen sich Arbeitsplatz-Vernichtungen durch die bei solchen Gelegenheiten immer viel beschworenen Synergie-Effekte gegenüber. Und schließlich stehen den Standort-Städten im Fall des Falles finanzielle Einbußen ins Haus, denn BAYER pflegt seine Shopping-Touren immer von der Unternehmenssteuer abzusetzen.

Mit der EU haben jetzt mehr als die Hälfte der 30 involvierten Kartellbehörden dem Deal ihre Zustimmung erteilt. Einige tun sich zum Glück jedoch noch schwer. So verlangte die russische Föderale Antimonopol-Behörde FAS von BAYER im November 2017 mehr als nur eine kleine Fasten-Kur, ehe das Schlucken von MONSANTO beginnen kann. Sie machte dem Konzern zur Bedingung, den FarmerInnen des Landes Zugang zu den Züchtungstechnologien und zu den Angeboten der digitalen Landwirtschaft zu verschaffen. „Sie haben so große Datenmengen, dass von unserem landwirtschaftlichen Sektor nach einem Zusammenschluss nicht mehr viel übrig sein wird“, sagte FAS-Chef Igor Artemjev zur Begründung. Bis Ende Februar gab die Behörde dem Global Player Zeit, darüber nachzusinnen. Weil es für das Unternehmen hier um das Eingemachte ging, reichte ihm diese Zeit nicht. Deshalb strengte BAYER eine Verfahrensklage an – verbunden mit der Drohung, notfalls eben auf den russischen Markt zu verzichten. Wenig später verlängerte die FAS die Prüfrist, und im März 2018 kam es auch zu einer Annäherung in Sachen „digitale Landwirtschaft“.

Die FAS-Forderungen wiederum hatten in den Vereinigten Staaten Besorgnis hervorgerufen. Sollte es Artemjev & Co. wirklich gelingen, Baysanto einen Technologie-Transfer aufzunötigen, geriete Wissen über avancierte Methoden der Nahrungsmittel-Produktion in russische Hände, warnten BeobachterInnen. Sie sahen dadurch die nationale Sicherheit der USA gefährdet und äußerten im Nachhinein Zweifel an der Entscheidung des „Ausschusses zur Überprüfung ausländischer Investitionen“, der so etwas nicht vorhergesehen hatte und das BAYER-Vorhaben im Dezember 2017 bedenkenlos passieren ließ. Auch sonst hakt es in den USA. Das Justizministerium verlangt deutlich mehr Verkäufe vom Leverkusener Multi als die bisher angekündigten, was Baumanns Zeitplan ein weiteres Mal durcheinanderzubringen droht.

PR in eigener Sache
Durch die sich in die Länge ziehenden Verfahren sahen sich die BAYER-Bosse zu verstärkten diplomatischen Anstrengungen gezwungen. So traf der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann im Januar 2018 bereits zum zweiten Mal Donald Trump, um gut Wetter für die MONSANTO-Akquise zu machen. Der Konzern-Chef gehörte zu den 14 UnternehmenslenkerInnen, die beim Davoser Weltwirtschaftsforum mit dem US-Präsidenten speisten. Sich so ehrfürchtig und beflissen wie ein Klosterschüler vor dem Papst gebährdend, stellte Baumann sich ihm bei Tisch als Vertreter desjenigen Unternehmens vor, das ASPIRIN produziert. Anschließend versuchte er, Trump mit der Ankündigung von großen Investitionen in den USA für den Coup zu erwärmen. Milliarden-Beträge stellte Baumann in Aussicht, falls es zu der MONSANTO-Übernahme käme. „Das ist wirklich gut“, lobte Trump.

In ähnlicher Weise umwarben Joe Kaeser von SIEMENS und die anderen Firmen-Vorstände den Präsidenten. „Deutsche Konzern-Chefs huldigen Trump“, überschrieb die Faz deshalb ihren Artikel zum Meeting. BAYERs Aufsichtsratsvorsitzender Werner Wenning fand da überhaupt nichts daran und attestierte Werner Baumann, einen guten Job gemacht zu haben. Kaum weniger verwunderliche Ansichten tat Werner Wenning zum Objekt von BAYERs Begierde kund. „MONSANTO macht als Biotech-Unternehmen das, was die Natur und der Mensch seit Jahrhunderten vormachen – Saatgut weiterentwickeln und verbessern“, meint er. Und natürlich bloß aus Sorge um die Ärmsten der Armen will der Leverkusener Multi mit dem Erwerb der US-Gesellschaft dem Vorbild „Natur“ noch ein wenig intensiver nacheifern. „Nur weil Europa noch kein Ernährungsproblem hat, verschwindet das Ernährungsproblem ja nicht. Hier vergessen viele, dass weltweit etwa 800 Millionen Menschen hungern“, gerierte sich der Manager als Mahner. Werner Baumann wollte da nicht zurückstehen und präsentierte sich auf der Bilanz-Pressekonferenz Ende Februar 2018 als Mutter Teresa in Nadelstreifen: „Wir können mit MONSANTO noch besser dazu beitragen, die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern“.

Die wahren Motive hingegen nannte er bei einer Veranstaltung der Schmalenbach-Gesellschaft in Düsseldorf. Dort führte der BAYER-Chef aus, anfangs wäre die gesamte Führungsriege gegen die Transaktion gewesen. Erst das veränderte Lagebild im Landwirtschaftsgeschäft durch CHEMCHINAs SYNGENTA-Kauf hätte zu einem Umdenken geführt. „Deren Folgen für die langfristige Position BAYERs im Agrochemie-Sektor habe ihn letztlich dazu bewogen, die MONSANTO-Übernahme in Erwägung zu ziehen“, mit diesen Worten gibt das zur Faz-Gruppe gehörende Portal Finance Baumanns Einlassungen wieder.

Der Konzern sah sich also ganz profan im Monopoly-Spiel der Branche in Zugzwang und hob nach der Devise „Die Letzten werden die Ersten sein“ nun dazu an, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen und innerhalb des Agro-Oligopols die Führungsposition anzustreben.

Proteste halten an
Dagegen haben aber zahlreiche AktivistInnen aus der ganzen Welt etwas. Deshalb reißt auch in diesem Jahr der Protest gegen das avisierte Milliarden-Geschäft nicht ab. „Dämmen Sie die Markt-Konzentration von Großunternehmen ein, weil diese die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung und eine positive ländliche Entwicklung bedroht“, lautete etwa eine der zentralen Forderungen der „Wir haben es satt“-Demonstration, zu der am 20. Januar 2018 über 30.000 Menschen nach Berlin gereist waren. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) setzte das Thema dort ebenfalls auf die Agenda. „Stopp BAYER/MONSANTO“ war der Aufruf überschrieben, den CBG-AktivistInnen auf der ganzen Route zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor verteilten.

Am 31. Januar 2018 konfrontierte das von der Coordination initiierte „Stopp BAYER/MONSANTO!“-Bündnis den Leverkusener Multi direkt mit der Kritik. An dem Tag wollte MONSANTO auf seiner Hauptversammlung in den Vereinigten Staaten nämlich weitere Vorbereitungen zur Elefanten-Hochzeit treffen. Das nahmen die rund 40 ProtestlerInnen von ATTAC, FIAN, der ÖkolandwirtInnen-Vereinigung IFOAM, der linken Karnevalstruppe PAPPNASEN ROT-SCHWARZ und der CBG zum Anlass, der BAYER-Zentrale einen Besuch abzustatten und dem Konzern schon mal seine Braut zu präsentieren. Aus Sicherheitsgründen war dazu ein Feuerwehr-Einsatz nötig, denn die Auserkorene hatte gleich ihre Mit-Gift dabei: den kleinen „Glypho-Satan“ und andere nicht ganz ungefährliche Dinge. Auch der Trauzeuge stellte sich bereits vor. Für diesen Posten hatte sich Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) in Brüssel durch seine Zustimmung zur Glyphosat-Zulassungsverlängerung qualifiziert, die dem Paar in spe die Aussicht auf eine noch praller gefüllte Familien-Kasse eröffnete. Dezent im Hintergrund hielt sich in Leverkusen hingegen der vom ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Friedrich Merz vertretene Heiratsvermittler BLACKROCK, der die Partnerschaft mit eingefädelt hatte.

Dank der PAPPNASEN ROT-SCHWARZ konnte das Bündnis sogar den Kölner Rosenmontagszug als Forum nutzen. Die alternative Karnevalstruppe hatte für ihren „Zoch vor dem Zoch“ nämlich das offizielle Motto „Mer Kölsche danze us der Reih“ in „Mer klääve nit am Wachstumswaahn, mer danze us der Reih“ umgestrickt, und da passte BAYERs MONSANTO-Operation wunderbar rein. Ein Symptom für den Wachstumswahn ist diese Idee von Baumann & Co. nämlich fürwahr. An dem Tag hatten aber nicht nur das Horror-Brautpaar und ihr „Glypho-Satan“ ihren Auftritt, sondern auch das BAYSANTO-Monster, „Mad Scientists“ und die Bienen-Leichen, die ihren Weg pflasterten. So vor den ZuschauerInnen an der Strecke vorbeiparadierend, wurden die Polit-Jecken von einer der Tribünen gar als „Protest-Zug aus Leverkusen“ begrüßt, obwohl in ihren Reihen auch noch andere böse Buben wie z. B. der Klima-Killer RWE ihr Unwesen trieben.
Das Versagen der Behörden bei der Beaufsichtigung des bunten Treibens von BAYER & Co. trieb die Initiative „Konzernmacht beschränken“ zum Handeln. Das Bundeskartellamt, dessen VertreterInnen in Brüssel über Fusionen und Unternehmensaufkäufe mitentscheiden, habe bisher kaum Transaktionen verhindert, monierte das Bündnis, obwohl dies gerade im Fall des MONSANTO-Deals bitter Not täte. „Bei einer Genehmigung der Übernahme von MONSANTO durch die deutsche BAYER AG würden in Zukunft nur drei Konzerne 60 Prozent des weltweit verkauften Saatguts sowie 70 Prozent des globalen Pestizid-Marktes kontrollieren“, warnten die AktivistInnen. Darum lud sich „Konzernmacht beschränken“ am 22. Februar 2018 selbst zum 60. Geburtstag des Bundeskartellamts ein und brachte den zahnlosen WettbewerbshüterInnen als Geschenk einen neuen Satz Kau-Werkzeuge mit. „Wir sind heute hier, weil wir dem Bundeskartellamt in Zukunft mehr Biss wünschen wollen“, erklärte Jutta Sundermann. Ob sie und ihre MitstreiterInnen damit Erfolg haben werden und die WettbewerbshüterInnen in Zukunft wirklich kraftvoller zubeißen, steht allerdings sehr in Frage.

Die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT und FRIENDS OF THE EARTH richteten bei ihren Protesten das Augenmerk besonders auf die beängstigende Entwicklung den Sektor der digitalen Landwirtschaft betreffend, die bei einem Vollzug des Kaufes droht. Die Organisationen warnen eindringlich vor einer Monopol-Stellung des Leverkusener Multi auf dem Gebiet dieser Technologie, die auf einer Vernetzung von Daten über das Wetter, die Boden-Beschaffenheit und das Schadinsekten-Aufkommen mit Landmaschinen, die Pestizide ausbringen oder die Felder bewässern, beruht. „BAYER-MONSANTO würde zum größten Akteur im Bereich der Daten-Plattformen und Daten-Sammlung. Dies birgt für Bauern und Bäuerinnen ähnliche Risiken und Probleme, wie sie bereits durch Daten-Plattformen wie GOOGLE, AMAZON und FACEBOOK entstanden sind“, hält FRIENDS OF THE EARTH fest.

Auf internationaler Ebene tut sich ebenfalls eine Menge. So hat die bekannte Gentechnik-Gegnerin Vandana Shiva eine dutzende Seiten umfassende Eingabe an die indische Kartell-Behörde verfasst, die dazu auffordert, dem BAYER-Vorhaben die Zu-stimmung zu verweigern. Zur Begründung führt Shiva vor allem die bisherigen Geschäftspraktiken MONSANTOS an, die in dem Land eine Spur der Verwüstung hinterlassen haben. An erster Stelle nennt Shiva die vielen Selbsttötungen von LandwirtInnen in den Regionen, in denen die Bt-Baumwolle des US-Unternehmens wächst. Wegen zu schlechter Ernten im Verhältnis zu den hohen Lizenz-Gebühren haben sich dort bereits hunderttausende FarmerInnen umgebracht. Die Gebühren verlangt der US-amerikanische Agro-Riese, obwohl er in Indien gar kein Patent auf das Bt-Saatgut selber, sondern nur auf die Herstellungsweise hält, empört sich die Autorin. Die indische Regierung reagierte auf den Wucher beim Lizenz-Verkauf mit einem staatlich verordneten Preis-Limit, wogegen der US-Multi umgehend klagte – und dafür die Unterstützung von BAYER erhielt. Im Bund mit den Leverkusenern potenzieren sich die Risiken und Nebenwirkungen einer solchen Unternehmenspolitik der Inderin zufolge noch einmal. „Mit der Fusion werden BAYER und MONSANTO ihre dominante Position ausbauen und das nutzen, um fortgesetzt Gesetze und Regeln des Landes zu brechen und die staatlichen Institutionen zu unterminieren, die Indiens Interessen schützen“, prophezeit die Wissenschaftlerin.

Zudem beschuldigt sie den bundesdeutschen Agrar-Riesen, den indischen Behörden gegenüber falsche Angaben zu den Auswirkungen der Transaktion – wie z. B. über das zu erwartende Ausmaß der Beherrschung des Baumwoll-Marktes – gemacht zu haben. Auch kritisiert Vandana Shiva beide Unternehmen für ihre Praxis, fortwährend kleinere Saatgut-Firmen aufzukaufen oder mit unfairen Verträgen an sich zu binden. „Angesichts der weitreichenden Konsequenzen (...) für den Wettbewerb, für das Wohlergehen der Farmer, die Gesundheit der Verbraucher und für die Demokratie steht die Akquisition von MONSANTO durch BAYER nicht im Einklang mit dem Wettbewerbsrecht und sollte nicht erlaubt werden“, schließt Shiva ihre Ausführungen.

Am französischen BAYER-Standort Lyon hat derweil die Initiative ALTERNATIBA Rhône mit einer spektakulären Aktion gegen die „Hochzeit des Todes“ protestiert. Sie veranstaltete Anfang März 2018 ein Die-in, um die Gesundheitsgefahren plastisch darzustellen, die von dem agro-industriellen Komplex ausgehen, den der Konzern durch die Einverleibung seines US-Konkurrenten noch einmal ein wenig komplexer gestalten will. Und die Ackergifte made in Leverkusen leisteten an dem Tag ganze Arbeit: Vor einer zentralen Metro-Station der Stadt lagen nicht nur Menschen darnieder, sondern auch Tiere und Pflanzen – einige AktivistInnen hatten sich nämlich Flora und Fauna anverwandelt.

In den Vereinigten Staaten reißt der Widerstand gegen das BAYER-Vorhaben ebenfalls nicht ab. So haben in jüngster Zeit unter anderem die „Texas Corn Producers“, die „Farm and Ranch Freedom Alliance“, die Milchvieh haltenden Öko-LandwirtInnen von der „Northeast Organic Dairy Producers Alliance“ und einige PolitikerInnen wie etwa die für die Partei der Demokraten im US-Senat sitzende Elizabeth Warren ihrer Besorgnis über den Deal Ausdruck verliehen. Einer Umfrage zufolge fürchten sich 93,7 Prozent der befragten US-amerikanischen LandwirtInnen vor den Folgen der Transaktion.

Die BAYER-Reaktionen
BAYER reagiert auf diese Kritik mit Verleumdungskampagnen und Drohungen. Der Konzern spricht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und den vielen anderen Initiativen, die sich gegen die Übernahme wenden, schlicht die Lauterkeit ihrer Motive ab und wirft ihnen vor, kommerzielle Interessen zu verfolgen. „Wir erleben, dass die emotionale Aufbereitung von Ängsten die Debatte prägt, oft mehr als die Vermittlung von Fakten. Das lehnen wir insbesondere dann ab, wenn Angst als Geschäftsmodell benutzt und damit zum eigenen Vorteil geschürt wird“, hält der neueste Geschäftsbericht der Gesellschaft fest.
Andererseits spürt das Unternehmen ganz genau, dass der Rückhalt für die Transaktion nicht einmal betriebsintern besonders groß ist. Die Stimmungslage gleich nach Bekanntwerden von BAYERs MONSANTO-Aspirationen fasste ein Beschäftigter in dem WDR-Film „Die Saat der Gier“ zusammen: „Die Kollegen waren entsetzt, weil es eben genau dieser Partner ist, der da gekauft werden soll. Das Besondere: Dass das für alle für mich erkennbaren Hierarchie-Ebenen so war.“ Darum kam von der Geschäftsleitung über das Intranet die Anweisung: „Vermeiden Sie Spekulationen und Kommentare zu der Übernahme oder den möglichen Auswirkungen sowohl gegenüber Ihren Kollegen als auch gegenüber externen Personen. Das umfasst auch die sozialen Medien.“ Zu Recht konstatiert da der interviewte Belegschaftsangehörige: „Viele haben das als Maulkorb empfunden.“ Den löste der Global Player zwar bald wieder, aber nur, um den KollegInnen die seiner Meinung nach passenden Textbausteine in den Mund zu legen. „Argumente für die Hosentasche“ überschrieb er die Sprachregelungen für die ArbeiterInnen und Angestellten. Auf die Frage „Was hälst Du von dem Deal?“ etwa gibt er die Antwort vor: „Der Zusammenschluss von BAYER und MONSANTO erhöht unsere Innovationskraft und führt damit zu breiterer Auswahl, höherer Qualität und Ernährungssicherheit.“
Und BAYERs Wahlverwandter fackelte im Umgang mit seinen KritikerInnen nicht lange und zog gleich vor Gericht. MONSANTO verklagte die US-Organisation AVAAZ auf Herausgabe aller E-Mails und internen Dokumente zum Thema „Glyphosat“; sogar die Mail-Adressen der Mitglieder verlangt der Konzern. Aber die Initiative gibt sich kämpferisch: „MONSANTO mag unbegrenzte Ressourcen haben, um andere einzuschüchtern, aber die AVAAZ-Gemeinschaft vereint die Kraft von Millionen von Menschen, und unsere Mitglieder haben keine Angst.“
Die kennt auch die CBG nicht. Sie hat schon bei der letzten BAYER-Hauptversammlung allen Versuchen des Konzerns getrotzt, den Protest kleinzuhalten und arbeitet mit ihren Bündnis-Partnern weiter daran, die Übernahme zu stoppen. Die Planungen für Aktionen zur nächsten AktionärInnen-Versammlung des Konzerns am 25. Mai haben schon begonnen. ⎜