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Baustopp gestoppt
Mehr Bisphenol aus Map Ta Phut
Im thailändischen Map Ta Phut liegt eine der größten Industriezonen der Welt. Sie sollte noch größer werden, aber den AnwohnerInnen reichten schon die bisherigen Umweltbelastungen. Sie klagten, und im letzten Jahr gab ein Gericht ihnen Recht. Es stoppte 76 Bauvorhaben, darunter zwei von BAYER. Jetzt aber steht alles wieder auf Anfang: Eine höhere Instanz hob das Urteil auf - lediglich zwei Unternehmungen fanden nicht die Gnade der Richter.
„Umweltschutz bekommt auch in Schwellenländern ein deutlich höheres Gewicht“, schrieb die Junge Welt anlässlich der Entscheidung eines thailändischen Gerichts im September 2009, 76 Bauvorhaben in der Industriezone Map Ta Phut wegen der damit verbundenen Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt vorerst zu stoppen. Als „Symbol eines Wandels“ fasste der Autor den Richter-Spruch auf und prophezeite einem Viertel der Projekte das endgültige Aus.
Diese optimistische Vorhersage traf nicht ein. Ein Jahr später hob eine höhere Instanz das Urteil auf und gab für 74 der 76 geplanten Anlagen grünes Licht. Kurz vorher hatte die thailändische Regierung eine Schwarze Liste mit elf Unternehmungen veröffentlicht, bei denen Nachbesserungsbedarf im Bereich „Umweltverträglichkeit“ besteht. Die vom Leverkusener Multi avisierten Erweiterungen - eine Erhöhung der Kapazität der Bisphenol-A-Produktion um 55.000 Tonnen auf jährlich 280.000 und eine Erhöhung der Polycarbonat-Produktion um 25.000 Tonnen auf 275.000 - fanden sich darauf nicht. Der Leverkusener Multi reagierte erleichtert. Aber so ganz ungetrübt war die Freude von BAYERs Thailand-Chef Dominikus von Pescatore nicht: „Über die Auflagen herrscht jetzt Klarheit, aber anhaltende Sorge bereitet uns die Akzeptanz bei den Gemeinden“.
Berechtigterweise, denn schon bald zogen 500 DemonstrantInnen durch die Provinzhauptstadt Rayong, die 29 der 33 an das Industriegebiet angrenzenden Gemeinden repräsentierten. Der Protestzug nahm Kurs auf das Gesundheitsamt, wo er eine Veröffentlichung der Map-Ta-Phut-Krankenakten verlangte. Zudem forderten die TeilnehmerInnen, weitere sieben Projekte auf die Schwarze Liste zu setzen. Das hatte eine Kommission unter Leitung des ehemaligen Premierministers Anand Panyarachun vorgeschlagen, während der Wissenschaftler Renu Vejaratpimol von der Bangkoker Silpakorn-Universität sogar 35 Projekten besondere Gefährlichkeit bescheinigte.
Unterstützung erhielten das EASTERN PEOPLE‚S NETWORK und andere Gruppen von GREENPEACE. Auf ihrer „Zeit zur Umkehr“-Tour durch südostasiatische Gewässer machte die „Rainbow Warrior“ auch vor Map Ta Phut fest. Die Mannschaft blockierte am Protesttag den Eingang zum Verwaltungsgebäude der Industriezone und installierte vor den Toren eine Uhr, auf der ein Countdown abläuft, um die Dringlichkeit von Maßnahmen vor Augen zu führen. Mit der Ankündigung von Premierminister Abhisit Vejjajiva, eine größere Pufferzone zwischen dem Industrie-Areal und den angrenzenden Gemeinden einzurichten und seine Ausdehnung zu limitieren, ist es nach Meinung des Umweltverbandes nicht getan. „Der Premier kann den Ruf der Thailänder nicht überhören, die von allen ökologisch bedenklichen Industrien verlangen, sich nach Umwelt- und Gesundheitsstandards auszurichten“, so Von Hernandez von GREENPEACE-Südostasien.
Entwicklung um jeden Preis
Weggehört haben Vejjajiva und seine Vorgänger eine ganze Weile. „Entwicklung um jeden Preis“ - diese Devise hat die PolitikerInnen in Sachen „Map Ta Phut“ geleitet. Hatte Thailand seine Politik lange nach dem Modell der Import-Substitution ausgerichtet und die heimische Wirtschaft durch hohe Zölle geschützt, so änderte sich das in den achtziger Jahren. Der Staat schwenkte wie seine Nachbarn auf eine export-orientierte Produktion um und strebte einen Anschluss an den Weltmarkt im Schnelldurchlauf an. Und als Tempomacher hatte die Regierung in ihrem nationalen Entwicklungsplan Map Ta Phut auserkoren.
Mit einem Gasfeld vor der Haustür und guten Verkehrsanbindungen an der Ostküste gelegen, entstand auf einem Areal von 672 Hektar bald eine der größten Industriezonen der Welt, die weiter und weiter wuchs. Heutzutage hat sich die Fläche gegenüber den Anfangszeiten fast verdoppelt. 45 Petrochemie-Anlagen, 12 Chemie-Werke, zwei Öl-Raffinerien, acht Kohlekraftwerke, eine Müllverbrennungsanlage und eine Deponie haben dort mittlerweile Platz gefunden; nicht weniger als 200 Schornstein blasen Schadstoffe in die Luft. BAYER ist mit einer Bisphenol- und einer Makrolon-Anlage vertreten, inzwischen den Besitzer gewechselt haben Werke zur Produktion von metallischen und keramischen Pulvern sowie des Kunststoffes Acrylnitril-Butadien-Styrol.
Umweltschutz hat den Leverkusener Multi bei der Errichtung der Fertigungsstätten als letztes interessiert. Beim Bau der Makrolon-Fabrik etwa setzte er ganz andere Prioritäten. „Doch vor dem ersten Spatenstich haben die Planer und Finanzfachleute das Sagen. Eine detaillierte, weit in die Zukunft gerichtete Cashflow-Rechnung soll den Wert‘ der Investition für das Unternehmen sicherstellen, soll auf Basis der Rohstoff-, Fertigungs- und Vertriebskosten sowie anderer Einflussfaktoren die zukünftigen Erlöse in Relation zu den Investitionsausgaben bringen“, heißt es in der Konzern-Publikation Zukunft gestalten.
Der in Map Ta Phut entfesselte Raubtier-Kapitalismus von BAYER & Co. hat Thailand den zweifelhaften Ruf eines Pantherstaates eingebracht, der sich gemeinsam mit Indonesien, Malaysia und den Philippinen auf die Fährte der Tigerstaaten Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur begeben hat. Und der Beute-Hunger der Unternehmen ist ungebrochen, aber 76 neue Freßstellen wollten ihnen die AnwohnerInnen dann doch nicht einräumen, sich mit der staatlichen Umweltbehörde einig wissend, die bereits 1999 die Grenzen des Wachstums erreicht gesehen und vor weiteren Schadstoff-Emittenten gewarnt hatte.
Doppelte Standards
Die ca. 36.000 Anwohner der Industriezone und die über 100.000 WanderarbeiterInnen in der Region haben unter den alten Dreckschleudern nämlich schon genug zu leiden. Einen Mix von 40 Schadstoffen machten Wissenschaftler im Himmel über Map Ta Phut aus, darunter auch die besonders gefährlichen leicht flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) Benzol, Toluol, Styrol und Xylen. Nach einer GREENPEACE-Untersuchung von 2005 überschreiten die Konzentrationen die in westlichen Ländern geltenden Standards um das 60- bis 3.000fache. „Das ist ein Beweis für doppelte Standards“, kommentierte Denny Larson vom GLOBAL COMMUNITY MONITOR die Zahlen. Im Wasser fanden ForscherInnen neben Chemikalien vor allem Schwermetalle in bedenklichen Größenordnungen. Cadmium überschritt die Zumutbarkeitsgrenze um das 6fache, Zink um das 10fache, Mangan um das 34fache, Blei um das 47fache und Eisen um das 151fache. Vielerorts existiert deshalb keine öffentliche Trinkwasser-Versorgung mehr - die AnwohnerInnen müssen ihren Bedarf im Supermarkt decken.
BAYERs Zahlen
Der Leverkusener Multi hat seinen Anteil an dieser Gemengelage, wenn auch seine Produktionen längst nicht zu den schlimmsten zählen. Auskunft darüber geben die Nachhaltigkeitsberichte der thailändischen BAYER-Zentrale, die eigentlich fast Map-Ta-Phut-Berichte sind, denn sonst unterhält der Konzern in dem Land nur noch eine Herbizid-Fertigungsstätte am Standort Bangpoo.
Geschmückt mit einem Geleitwort des damaligen Industrieministers Chaiwuti Bannawat breitet der Global Player sein neuestes Zahlenwerk aus. Diese Amtshilfe kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einige Lücken aufweist. So fehlen beispielsweise sämtliche Angaben zu Schwermetallen. Über seine nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprechende Polycarbonat-Herstellung - der Multi greift immer noch auf das ultragiftige Phosgen zurück, obwohl es bereits Alternativen gibt - hüllt das Unternehmen auch den Mantel des Schweigens. Und über die Risiken und Nebenwirkungen des Produktes Bisphenol vor allem für VerbraucherInnen informiert der Global Player ebenfalls nicht.
Aber trotzdem kommt noch so einiges zusammen. Fast 163.000 Tonnen klima-schädigendes Kohlendioxid bläst BAYER von Thailand aus in die Atmosphäre, 880 Kilogramm Kohlenmonoxid, 330 Kilogramm Schwefeldioxid und 1,68 Tonnen Stickoxide. Bis 2006 lagen diese Werte und vor allem diejenigen für flüchtige organische Verbindungen (VOCs) noch bedeutend höher, denn erst seit vier Jahren nutzt der Konzern Gas statt des besonders umweltschädigenden Öls als primären Energieträger. In den Jahren 1997/98 stank es bei BAYER sogar so sehr zum Himmel, dass die Behörden einen Produktionsstopp verhängen mussten.
Während das Unternehmen den Gewässern 2009 4,6 Millionen Kubikmeter sauberes Wasser entnahm, belastete es diese im Gegenzug mit einer großen Giftfracht. Der Pharma-Riese leitete 82.731 Tonnen anorganische Salze, 19 Tonnen organische Kohlenstoffe und 3,76 Tonnen Stickstoff in die Flüsse ein. Nur die Phosphor-Werte konnte es gegenüber 2007 durch eine Umstellung der Polycarbonat-Produktion stark senken: von 110 Tonnen auf 780 Kilogramm. Und was für den Multi nicht auf dem Luft- oder Wasserwege zu entsorgen war, sparte er für die Deponien oder Rückstandsverbrennungsanlagen auf. Ein Berg von 990 Tonnen Giftmüll und 2.600 Tonnen sonstigem Abfall sammelte sich in Map Ta Phut und Bangpoo an.
Enorme Krankheitsraten
Das alles bleibt für die AnwohnerInnen nicht ohne Folgen. Wer die Chemie-Gerüche seit 17 Jahren als Teil des Alltags begreifen muss wie die 31-jährige Mod, die der Journalistin von The Nation ihren wahren Namen lieber verschweigt, dessen Körper kapituliert irgendwann. Mod hat Leukämie und ist bei weitem nicht die einzige in Map Ta Phut. „Im letzten Jahr starb einer meiner früheren Klassenkameraden an der Krankheit“, erzählt sie unter Tränen in dem Interview. Auf 100.000 Personen kommen in der Industriezone nach Zahlen des „Nationalen Krebs-Instituts“ sechs Leukämie-Fälle, im Landesdurchschnitt beträgt die Rate bei 3,55. Für Krebs lauten die Werte 182,45 zu 122,6. Schon 1998 war eine Studie der „International Agency on Cancer“ (IARC) zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen gekommen. Deshalb ließ die damalige thailändische Regierung die Untersuchung rasch im Giftschrank verschwinden, wo sie bis zum Jahr 2007 blieb. Auch die Rate der Babys mit Geburtsfehlern ist auf einem Besorgnis erregenden Stand. Sie steigerte sich von 48,2 pro 100.000 im Jahr 1997 auf 163,8 im Jahr 2001 - eine Erhöhung um 300 Prozent! Atemwegs- und Hautkrankheiten treten ebenfalls gehäuft auf.
Am schlimmsten hatten Ende der 90er Jahre die SchülerInnen der Phan-Pittayakarn-Schule zu leiden. Eigentlich trennte sie eine Pufferzone von den Industrie-Ansiedlungen, aber im Zuge von Produktionserweiterungen hatte diese eine Öl-Raffinerie in Beschlag genommen. Direkt an den Zaun der Bildungseinrichtung grenzend, setzte sie die Klassen direkt den Emissionen von organischen Verbindungen und anderen Stoffen aus. Die Folge: 1997 und 1998 mussten rund 1.000 SchülerInnen und LehrerInnen wegen Vergiftungserscheinungen wie Atem-Problemen, Kopfschmerzen und Übelkeit ins Krankenhaus. Die staatlichen Stellen leugneten jedoch einen Zusammenhang. Die Werte für die Chemikalien hätten die Toleranz-Grenzen nicht überschritten, verlautete aus dem Umweltschutzamt. Darum verlegte der Bildungsminister die Schule auch erst ein paar Jahre später aus der unmittelbaren Gefahrenzone.
Die Umweltschäden haben ebenfalls ein großes Ausmaß angenommen. Die Giftstoffe gehen als saurer Regen nieder und zerstören die Ernten der LandwirtInnen in der Umgebung. Die Schadstoff-Einleitungen in die Gewässer lassen die Fische sterben und nehmen den FischerInnen die Lebensgrundlage. Und der Landhunger der Unternehmen hat einen Sandstrand-Streifen von 10 Kilometer Länge gefressen, weshalb die Küste jetzt erodiert und das Meer immer dichter an Map Ta Phut heranrückt.
AnwohnerInnen wehren sich
Gegen all das wehren sich die AnwohnerInnen und Umweltinitiativen schon lange. In den Jahren 2000 und 2003 gingen sie gegen die massiven Geruchsbelästigungen durch die Industrie-Anlagen vor. Während der großen Trockenheit 2005 führte der große Durst von BAYER & Co. (s. o.) zu einer Auseinandersetzung um die Nutzung der Wasservorräte. Die Politik tat lange Zeit nichts, nicht zuletzt weil viele Amtsträger Verbindungen zu den Konzernen in Map Ta Phut hatten. Erst 2007 geschah etwas. Die Regierung setzte eine Kommission ein und verabschiedete einen Maßnahmen-Plan. Auf die Realisierung wollten die Map Ta PhuterInnen allerdings nicht warten. Sie forderten strengere Umweltauflagen für die Industriezonen ein und strengten deshalb 2008 sogar einen Prozess an. Im März 2009 erhielten sie Recht; die RichterInnnen ordneten an, Map Ta Phut binnen 60 Tagen zur „Pollution Control Area“ zu erklären. Auch gegen die Erweiterungspläne von BAYER & Co. leiteten die Betroffenen juristischen Schritte ein, sich dabei auf den Artikel 67 der 2007 unter der Militärregierung neu entstandenen Verfassung berufend, der für neue Projekte Umweltverträglichkeitsprüfungen vorschreibt. Die Politik hatte das zwar noch nicht in Gesetzesform gegossen, aber BAYER & Co. könnten diese Übergangszeit nicht dazu nutzen, ihre Projekte durchzubringen, urteilte ein Gericht im September 2009. Im Sinne eines vorsorglichen Gesundheitsschutzes stoppte es die Bauvorhaben - bis es ein Jahr später selbst gestoppt wurde.
Ungebrochenes Engagement
BAYERs Thailand-Boss Dominikus von Pescatore begrüßte die Aufhebung des Moratoriums auf einer Pressekonferenz und hatte auch gleich den betriebswirtschaftlichen Nutzen durchgerechnet. „Wenn die Projekte ans Netz gehen, kann BAYER Effizienz und Umsatz im nächsten Jahr um zehn Prozent steigern“, frohlockte er.
Dem thailändischen Industrieminister Chaiwuti Bannawat, der im Sommer erst die Konzern-Zentrale in Leverkusen besuchte hatte, stellte er in einem Gespräch sogar noch drei weitere Fabrik-Investitionen in Aussicht - allerdings unter Vorbehalt. China käme als Standort auch in Frage, erklärte der Hochwohlgeborene, um sich Wohlverhalten auszubedingen. Wie von Pescatore sich dieses in puncto „Umweltschutz“ so vorstellt, hatte er der Bangkok Post bereits im Mai 2010 verraten. Die neuen Regulierungen sollten klar formuliert und nicht zu bürokratisch sein, forderte er und drohte unverblümt: „Momentan räumt BAYER Thailand für Investitionen in der Region Priorität ein, aber wenn es weiter politische Unsicherheiten und nicht einschätzbare Regulierungen bei Investitionen gibt, wird das Land diesen Status verlieren“.
Nachdem der Global Player grünes Licht für seine Bisphenol- und Polycarbonat-Fertigungen erhalten hatte, schlug er jedoch aus gegebenem Anlass erstmal grünere Töne an. Der Chef von BAYER MATERIAL SCIENCE, Patrick Thomas, zeigte sich in einem Statement zuversichtlich, dass die Umweltprobleme in Map Ta Phut gelöst werden könnten.
Diese Zuversicht fehlt den AnwohnerInnen. Bereits als noch Aussicht darauf bestand, gemäß dem Vorschlag der Panyarachun-Kommission wenigstens 18 Projekte aufzuhalten, dämpfte der frühere Premier bei einem Lokaltermin die Hoffnung der AnwohnerInnen auf gesündere Lebensbedingungen. Es sei noch ein langer Weg bis dahin, und die Kommunen müssten sich einstweilen selbst helfen, sagte er. Das trieb vielen Map Ta PhuterInnen die Tränen in die Augen, wie Penchom Saetang von ECOLOGICAL ALERT AND RECOVERY THAILAND (EARTH) Stichwort BAYER berichtete. Aber selbst nach dem niederschmetternden Urteil haben sie und ihre Gruppe, die anderen Initiativen und die AnwohnerInnen noch nicht aufgegeben. Sie haben bei der Regierung offiziell Beschwerde gegen die allzu kurze Schwarze Liste eingelegt und erörtern die Möglichkeit einer Klage gegen den Baustopp-Stopp. Die AktivistInnen wissen nämlich, welche Bedeutung das weitere Schicksal Map Ta Phuts für die Zukunft des Landes hat und lassen keinen Zweifel an der Richtung, in die sich der Staat ihrer Meinung nach zu bewegen hätte: „Thailand muss beginnen, seine Industrie-Politik komplett zu überdenken, sich seiner wirtschaftlichen Probleme stellen und Arbeitsplätze schaffen, ohne die Gesundheit der Menschen und die Umwelt zu zerstören“. von Jan Pehrke
BAYER vs. Kontrazeptiva-Opfer
YASMIN vor Gericht
Die Klagen gegen BAYERs Verhütungspillen aus der YASMIN-Produktfamilie häufen sich. In den USA liegen bereits 4.800 vor, und hierzulande beginnen im Herbst Schadensersatz-Prozesse von zwei Frauen, die durch die Mittel Lungenembolien erlitten haben. Der Leverkusener Multi lässt sich davon aber nicht abhalten, neue Versionen von YASMIN & Co. herauszubringen. Zudem drängen Nachahmer-Präparate von anderen Herstellern auf den Markt. Die Zahl der Toten und Geschädigten dürfte sich also noch erhöhen.
Von Jan Pehrke
„Die Pharma-Industrie muss sich auf schwerere Zeiten einstellen. Mutmaßliche Medikamenten-Opfer gehen vor allem in Deutschland dazu über, Konzerne wie BAYER, PFIZER oder MERCK & CO. zu verklagen. Die Folgen für die Unternehmen sind schwer kalkulierbar“, schrieb die WirtschaftsWoche im September 2010. Besondere Rechenprobleme hat der Leverkusener Multi, denn auf ihn kommen gleich drei Verfahren zu. Opfer des Schwangerschaftstests DUOGYNON, den das jetzt zum Konzern gehörende Pharma-Unternehmen SCHERING ab den 1950er Jahren vermarktete, haben eine Auskunftsklage eingereicht, um alte Firmen-Dokumente einsehen zu können. Zudem haben Felicitas Rohrer und Kathrin Weigele, die beide durch BAYER-Verhütungsmittel Lungen-Embolien erlitten hatten (SWB berichtete mehrfach), Schadensersatz-Prozesse angestrengt.
Dabei geht es den jungen Frauen nicht um Geld. „Ich will, dass BAYER ehrlich über die erhöhte Thrombose-Gefahr aufklärt“, sagt die Jura-Studentin Kathrin Weigele. Und ihr Rechtsanwalt Martin Jensch nennt mit Blick auf wissenschaftliche Untersuchungen, die YASMIN, YASMINELLE und YAZ ein im Vergleich mit älteren Pillen größeres Thromboembolie-Risiko bescheinigten, einen weiteren Beweggrund: „Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen eine gefährlichere Pille mit Lifestyle-Faktoren auf den Markt wirft, nur um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen“. Der Pharma-Riese hält dagegen weiterhin eisern zu YASMIN & Co., „weil deren positives Nutzen/Risiko-Profil fortbesteht“ und angeblich „Todesfälle bei Anwenderinnen kombinierter oraler Kontrazeptiva sehr selten“ sind. Deshalb zeigte er sich auch zuversichtlich hinsichtlich des Ausgangs der juristischen Auseinandersetzung. „BAYER ist überzeugt, gute Argumente gegen die erhobenen Ansprüche zu haben und beabsichtigt, sich zur Wehr zu setzen“, so Konzern-Sprecher Michael Diehl.
Aber offenbar nicht so überzeugt, als dass der Global Player nicht für den Falles des Falles vorgesorgt hätte. Rücklagen in Höhe von 130 Millionen Euro hat er in Sachen „Verhütungsmittel“ gebildet. Besonders vor der US-amerikanischen Justiz hat BAYER Angst. Das dortige Rechtssystem kennt nämlich das verbraucher-freundliche Instrument der Sammelklage, das schon oft zu Millionen-Strafen für die Multis geführt hat. Und bei bis dato 4.800 Klagen kann das für den Konzern ganz schön teuer werden.
Die EU berät seit 2007 über die Einführung einer solchen Möglichkeit, bisher jedoch haben Lobby-Druck von BAYER & Co. sowie Interventionen der französischen und der bundesdeutschen Regierung ein entsprechendes Paragraphen-Werk unter Verweis auf die ach so böse „US-amerikanische Klage-Industrie“ immer verhindert. Und sollte Brüssel die Regelung wirklich einmal verabschieden, so dürfte sie gegenüber ihrem US-Pendant deutlich harmloser ausfallen.
Die schwarz-gelbe Koalition zeigt sich auch sonst nicht gewillt, im Sinne der PatientInnen tätig zu werden, wie eine Anfrage der Grünen zum Fall „DUOGYNON“ ergab. Die Partei wollte wissen, ob CDU und FDP gedächten, die Stellung von Pharma-Opfern gegenüber den Pillen-Riesen in rechtlichen Auseinandersetzungen zu verbessern. Aber die Parteien sehen keinen Handlungsbedarf. „Die Bundesregierung hat die Rechte geschädigter Patientinnen und Patienten bereits in erheblichem Maße gestärkt“, antworteten Merkel & Co. und wiesen auf die Verschärfung der Auskunftspflichten von Unternehmen, die Ausdehnung des Schmerzensgeld-Anspruchs und die Anhebung der Haftungshöchstgrenzen hin. „Anlass für weitere Ausweitungen der Haftungsregelungen besteht daher nicht“, erklärte Schwarz-Gelb abschließend.
Vom bundesdeutschen Rechtssystem hat BAYER deshalb nicht allzu viel zu befürchten. Einen „erzieherischen Wert“ könnten dagegen die schlechten Geschäftszahlen für YASMIN & Co. haben. Der Umsatz mit den Pillen ist im dritten Quartal 2010 gegenüber dem Vorjahr um 24 Prozent auf 243 Millionen Euro gesunken. Das liegt jedoch nicht nur an der „schlechten Presse“, sondern auch an einer wachsenden Konkurrenz durch Nachahmer-Präparate, deren Einführung der Leverkusener Multi erfolglos durch Prozesse zu verhindern suchte. Aber der Konzern baute vor und entwickelte pünktlich zum Ablauf des Patents neue Versionen mit kleinen Abweichungen wie ein Vitamin-B-haltiges YAZ, um Marktanteile zurückzuerobern. De facto gibt es heutzutage also mehr YASMIN-Produkte denn je in den Apotheken.
Und dementsprechend mehr Opfer. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) erreichen gehäuft Zuschriften von Geschädigten. „Obwohl vielleicht meine Lungenembolie und Lungenentzündung mit Herzrhythmus-Störungen im Gegensatz zu Frau Rohrers und Frau Weigeles letztendlich noch glimpflich ablief, plagen auch mich immer noch Schmerzen und der Gedanke, dass es wieder passieren könnte. Mein geschwächtes Immunsystem und die Kraftlosigkeit verursachten, dass ich vier Monate nicht arbeiten konnte, heute nicht mehr den Arbeitsalltag und die damit verbundene Belastbarkeit als Architektin im Architekturbüro meistern kann und meinen Arbeitgeber wechseln musste“, heißt es in einer Leidensgeschichte.
Ein schlimmeres Schicksal blieb der Betroffenen nur mit viel Glück erspart, denn die ÄrztInnen haben die Symptome anfangs nicht richtig zu deuten vermocht. Als sie sich das erste Mal mit akuter Atemnot bei der Notaufnahme eines Krankenhauses meldete, schickten die Doktoren sie mit einem Bündel Schmerzmittel wieder nach Hause. Auch beim zweiten Mal reagierten sie zunächst nicht anders, obwohl die Architektin Schwierigkeiten hatte, sich überhaupt noch auf den Beinen zu halten. Die MedizinerInnen wollten bei einer so jungen Frau an keine ernsthafte Erkrankung glauben. Nur ein Mediziner: ihr Vater. Der HNO-Arzt rief im Hospital an und veranlasste eine Computer-Tomographie. „Glück für mich, und der Grund, warum ich heute noch hier sitze. Leider hat aber nicht jede Frau einen Vater, der Arzt ist und mitdenkt“, hält das YASMINELLE-Opfer fest.
Auch bei einer Studentin dauerte es lange, bis die Diagnose „Thromboembolie“ und die Ursache „YAZ“ feststand - zu lange. Sie ging mit Rücken- und Brustschmerzen zum Arzt und erhielt Schmerzmittel verschrieben. Doch die Beschwerden dauerten an. Der Mediziner empfahl, einen Orthopäden zu konsultieren und stellte ein weiteres Schmerzmittel-Rezept aus. Nach ca. zehn Tagen, als auch noch Husten und Atemnot dazu kamen, fuhr die Frau ins Krankenhaus. „Nach dem CT stand fest, dass ich eine beidseitige Lungenembolie habe und eine Thrombose in der gesamten linken Beckenvene. Die Ärzte waren total geschockt und konnten sich nicht erklären, wie das bei einer Frau in meinem Alter (30 Jahre) in diesem Ausmaß passieren kann“, berichtet die Studentin. Fieberhaft fahndeten die Mediziner nach einem möglichen Auslöser, und nach zahllosen ergebnislosen Untersuchungen blieb schließlich nur noch die Pille als Möglichkeit übrig.
Eine mangelhafte Aufklärung durch die ÄrztInnen beklagt die junge Frau ebenso wie viele andere Lungenembolie-Patientinnen. Die MedizinerInnen haben bei YASMIN & Co. nur die niedrige Wirkstoff-Konzentration im Blick und wähnen sich auf der sicheren Seite. Die Studentin war es, die nach negativen Erfahrung mit Kontrazeptiva zunächst kein Verhütungsmittel zur Behandlungen ihres Hautausschlags und der Folgen des prämenstruellen Syndroms einnehmen wollte, aber der Arzt beruhigte sie: „Der Gynäkologe erzählte mir dann, dass es bei den heutigen Pillen kaum noch Unverträglichkeiten gebe und empfahl mir ein niedrig dosiertes Produkt für junge Frauen: die Pille YAZ“. Von den Risiken und Nebenwirkungen dieser Kontrazeptiva wissen Doktoren oft nichts. Auch nichts von der Faktor-V-Leiden-Mutation, einem Gen-Defekt, der zu Blutgerinnungsstörungen führt und so die Thrombose-Gefahr erhöht. Bei zwei der Frauen, welche die CBG kontaktiert hatten, diagnostizierten die Doktoren während ihres Klinik-Aufenthaltes diesen Defekt - insgesamt tritt er bei fünf Prozent der Bevölkerung auf. „Deshalb verstehe ich nicht, warum die Faktor-V-Leiden-Mutation durch eine Untersuchung nicht zuerst ausgeschlossen wird, bevor eine Verhütungspille vom Arzt verordnet wird“, fragt sich eine von ihnen. Manche MedizinerInnen können nicht einmal ihre eigenen Kinder schützen. So hat sich sogar eine Ärztin bei der CBG gemeldet, deren beide Töchter nach der Einnahme der BAYER-Pillen Thrombosen bekamen.
Zu allem Übel wächst die Verdunklungsgefahr auch noch durch das perfide zielgruppen-gerechte Marketing. Ehe sich die 30-jährige Studentin versah, hatte der Gynäkologe ihr in der Praxis schon ein Gratispaket YAZ überreicht, „nett verpackt mit Beauty Etui, Schminkspiegel, Werbebroschüre“. Der Leverkusener Multi hält zudem kleine Herzen zum Herunterladen aufs Handy bereit und schmückt den Beipackzettel mit Blümchen. „Dass diese kleinen süßen Pillen nicht Zuckerdrops, sondern Medizin mit starken Nebenwirkungen sind, die auch zum Tod führen können“, geht darüber verloren, kritisiert eine Leidensgenossin diese Praxis gegenüber der Coordination.
Darüber hinaus preist BAYER YASMIN, YAZ, YASMINELLE und PETIBELLE als Lifestyle-Präparate mit „Beauty-Effekt“, „Feel-good-Faktor“ und „Figur-Bonus“ an. Eine Praxis, die Ulrich Hagemann, als Pharmazeut beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) für die Arzneimittelsicherheit zuständig, verurteilt. „Wir sehen das kritisch. Die Firmen werben mit den Nebeneffekten, und teilweise ist das grenzwertig falsch“, sagte er in einem Tagesspiegel-Interview. Einschreiten will er jedoch nicht: „Um irreführende Arzneimittel-Werbung müssten sich die Landesgesundheitsbehörden kümmern“.
Veranlasst hat das BfArM dagegen eine Änderung des Beipackzettels. Darauf muss BAYER nun auf die Nebenwirkung „venöse Thromboembolie“ (VTE) hinweisen. Der Leverkusener Multi tut dies aber sehr verklausuliert und ohne das besondere Risiko hervorzuheben, das nach zahlreichen Untersuchungen von dem YASMIN-Wirkstoff Drospirenon ausgeht. Stattdessen verweist der Multi auf eine von ihm selbst in Auftrag gegebene und von dem Institut eines ehemaligen Beschäftigten durchgeführte Studie. Das ZEG Berlin machte für YASMIN kein höheres Gefährdungspotenzial aus und stellte kurz danach auch dem Dienogest-haltigen VALETTE einen Persilschein aus. Das industrie-unabhängige arznei-telegramm traut diesen Befunden jedoch nicht. „Untersuchungen dieses Zentrums ergeben regelmäßig für die Hersteller oraler Kontrazeptiva günstige Ergebnisse“, urteilte die Fach-Publikation. Und für andere Produkte aus der Arznei-Familie liegen laut Konzern noch keine Daten vor: „Das VTE-Risiko für YAZ ist derzeit unbekannt“.
Mit einem Beipackzettel, der immer noch nicht Klartext spricht, als einzigster Konsequenz aus einem Pharma-Skandal mit bislang 190 Toten allein in den USA und zahllosen Versehrten wollen sich die Betroffenen jedoch nicht zufrieden geben. Sie planen, eine Selbsthilfegruppe Drospirenon-Geschädigter zu gründen und eine kritische Website aufzubauen. Zusätzliche Aufmerksamkeit dürfte ihre Aufklärungskampagne durch den Beginn der zwei Schadensersatz-Prozesse erhalten. Die Wirtschaftswoche sieht, zumal darüber hinaus noch die DUOGYNON-Auskunftsklage bevorsteht, schon schwere Zeiten auf BAYER zukommen. „Für die Leverkusener (...) wird es in den kommenden Monaten schwer werden, aus den Schlagzeilen zu kommen“, prophezeit das Blatt.
Liebe LeserInnen und Leser,
Thailand gehört zu den führenden Wirtschaftsnationen Südostasiens, aber seine ökonomische Entwicklung ging auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt. Der Fortschrittswettlauf begann in den 1960er Jahren mit erbarmungslosen Waldzerstörungen zur Nutzholz-Gewinnung und setzte sich fort mit einem Ausbau der landwirtschaftlichen Flächen für Reis und Kautschuk und schließlich in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren durch eine rapide Industrialisierung mit giftigen und gefährlichen Technologien.
Das Paradigma der Entwicklung um jeden Preis schloss den wichtigsten Teil des Landes - seine BürgerInnen und Kommunen - weitgehend aus und behinderte den Umweltschutz. Wie vorauszusehen, hat das zu einer nie da gewesenen Vergiftung von Luft, Wasser, Feldern und Fischgründen am Golf von Thailand sowie zu einer Bedrohung der Gesundheit und des Lebensumfeldes von Millionen von Menschen geführt.
Die Industrie-Zone in Map Ta Phut steht im Zentrum dieser verengten Entwicklungsstrategie. Nach Auffassung der Regierung ist dieser Komplex von Öl-Raffinerien, Pestizid-, PVC- und Plastik-Fabriken von BAYER und anderen Unternehmen, Eisen- und Metall-verarbeitenden Betrieben, Kohle- und Gaskraftwerken das Schwungrad, das die Industrie des Landes antreibt. Aus der Perspektive der Zehntausenden von Anwohnern sieht das aber anders aus. Schon ein Atemzug setzt sie lebensgefährdenden Gesundheitsgefahren aus. Map Ta Phut ist vielleicht der giftigste Ort von ganz Thailand.
Das schnelle Wachstum des industriellen Sektors hat bedrohliche Umweltprobleme geschaffen - Luftverschmutzung, Verunreinigung von Gewässern, Verdampfung organischer Verbindungen und Wasserknappheit. Sie alle sind bis heute ungelöst.
Die Krebsrate in der Region ist höher als in jedem anderen Landesteil. Nach einer GREENPEACE-Studie von 2005 atmen die Menschen in der Provinz Rayong einen Cocktail aus giftigen und krebserregenden Chemikalien ein, dessen Konzentration die in westlichen Industrieländern gültigen Grenzwerte um das 60 - 3.000fache überschreitet. Zudem tragen die Errichtung neuer Kohlekraftwerke und der Ausbau energie-intensiver Industrien zum Klimawandel bei, der Zukunftsszenarien zufolge katastrophale Auswirkungen auf das Land haben wird.
Trotzdem haben diese offen zu Tage tretenden Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen die Rolle Map Ta Phuts als Schrittmacher der Ökonomie nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil, die Industrie-Zone will weiter wachsen und dient der Regierung obendrein als Vorbild bei Plänen für entsprechende Cluster an der Südküste.
Der Fall „Map Ta Phut“ zeigt, dass der besinnungslose Industrialisierungskurs der thailändischen Regierung zu einer schmutzigen Entwicklung führt und die Ressourcen bedroht, die essenziell für eine ökonomische Nachhaltigkeit sind. Diese Ressourcen - das Leben und die Gesundheit der Menschen und deren Basis: das Ökosystem und die Artenvielfalt - werden einem kurzfristigen Wohlstand geopfert, von dem nur ein kleiner Teil der Gesellschaft profitiert.
Ohne Frage ist dies ein ungerechtes und nicht nachhaltiges Entwicklungsparadigma. Es ist ein Paradigma, das Länder in einem Kreislauf von Armut und Umweltzerstörung gefangen hält, der jedem Begriff von Entwicklung widerspricht. Aber Thailand kann diesem Kreislauf entkommen, wenn es begreift, das es ein gerechtes und nachhaltiges Entwicklungsmodell gibt. Die momentane Krise eröffnet eine einzigartige Chance, um das Fundament für eine grünere und fairere Wirtschaft zu legen.
Tara Buakamsri gehört der Südostasien-Sektion von GREENPEACE an
Neues Sparprogramm
BAYER streicht 4.500 Stellen
Der neue Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers führt sich mit einem Sparprogramm ein und vernichtet 4.500 Arbeitsplätze. „BAYER eiskalt“ kommentiert die Presse.
„Ich will für BAYER noch mehr Investition und weniger Administration. Wir können noch schneller und schlanker werden“, sagte der neue BAYER-Chef Marijn Dekkers bei der Vorstellung der Geschäftszahlen für das dritte Quartal trotz einer Umsatzsteigerung von 16,1 Prozent auf 8,6 Milliarden. Über die Konsequenzen war er sich noch nicht im Klaren: „Ob dadurch wirklich Arbeitsplätze betroffen sind, kann ich jetzt noch nicht sagen“. Zwei Wochen später wusste er es. Da kündigte der Leverkusener Multi den Abbau von 4.500 Stellen an den alten Standorten und den Aufbau von 2.500 in den Schwellenländern an. 800 Millionen Euro will Dekkers dadurch jährlich einsparen.
Allein 1.700 Jobs fallen in der Bundesrepublik weg. Bei der IT-Abteilung BAYER BUSINESS SERVICES (BBS) stehen 700 Arbeitsplätze zur Disposition. Bei BAYER HEALTH CARE streicht der Konzern 700 Stellen, bei BAYER CROPSCIENCE 300. Die Kunststoff-Sparte, um die es immer wieder Verkaufsgerüchte gibt, bleibt dagegen weitgehend verschont.
Der Betriebsrat kritisierte das Sparprogramm zwar, ändert aber seinen sozialpartnerschaftlichen Kurs nicht und bietet stattdessen Hilfe bei der Abwicklung an. „Das ist ein erheblicher Personalabbau mit einschneidenden Veränderungen. Wir Arbeitnehmer-Vertreter werden nun intensive Gespräche mit der Unternehmensleitung führen, um die Notwendigkeit, den Umfang, mögliche Alternativen und die Umsetzung der geplanten Veränderungen zu beraten, damit sozialverträgliche Lösungen gefunden werden können“, sagte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Thomas de Win. Und als die schlechte Presse PR-Maßnahmen erforderlich machte, erklärte er sich sogar zu einer gemeinsame Erklärung mit der Chef-Etage bereit.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung will den Kahlschlag hingegen nicht so einfach hinnehmen. Angesichts von 5,5 Millionen Euro, die BAYER im Zuge der Wirtschaftskrise aus dem Konjunktur-Paket erhalten hat, verlangte NRW-Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger (SPD) von BAYER, Verantwortung für die Beschäftigten zu übernehmen. Das wies der Multi zurück. Diese Mittel hätten nichts mit der Krisen-Bewältigung zu tun gehabt, kommentierte Konzern-Sprecher Günter Forneck knapp die Vorwürfe.
Die aber kamen nicht nur von der Landesregierung. Die Financial Times Deutschland sprach von einem „Fehlstart“ Dekkers, und die Rheinische Post konstatierte unter der Überschrift „BAYER eiskalt“: „Der Rheinische Kapitalismus in Leverkusen ist zu Ende“. Einen Kulturbruch stellt das Vorgehen Dekkers allerdings nicht dar. Seit 1990 haben alle Vorstandsvorsitzenden von Herman Josef Strenger über Manfred Schneider bis zu Werner Wenning konsequent Arbeitsplätze vernichtet. Belief sich die Zahl der Beschäftigten 1990 bei einem Umsatz von 21 Milliarden Euro auf 171.000, so schrumpfte sie bis heute auf 108.700 - bei einem Umsatz von 31 Milliarden Euro. Wenning & Co. haben sich nur immer ein wenig mehr Mühe bei der Begründung der Arbeitsplatzvernichtung gegeben. Von Jan Pehrke
Endosulfan zerstört Bio-Ernten
„Es reicht!“
Seit zwanzig Jahren bauen Landwirte in Südbrasilien Bio-Soja an. Spuren des von BAYER entwickelten Pestizids Endosulfan in ihrer Ernte bedrohen nun jedoch ihre Existenz. Darum haben sie die Kampagne CHEGA! („Es reicht“) ins Leben gerufen, die schon einige Erfolge feiern konnte.
Von Adrian Wiedmer, Geschäftsführer der Fairtrade-Organisation GEBANA
In der Region um Capanema, Südbrasilien, betreiben über 300 Bauern und Bäuerinnen aus Überzeugung biologische Landwirtschaft. Die ersten begannen bereits in den 1980er Jahren auf Pestizide zu verzichten, nachdem sie beobachtet hatten, wie ihre Nachbarn an Vergiftungen erkrankten und die Umwelt sich negativ veränderte. Nun ist ihre mühsam aufgebaute Existenz jedoch bedroht: In der gesamten Bio-Sojaernte werden Spuren des Pestizids Endosulfan gemessen – ohne dass die LandwirtInnen die hochgiftige Substanz angewendet haben. Wie ist das möglich?
Endosulfan ist ein Insektizid, das in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt wird. Entwickelt hat es die Firma HOECHST, deren Agrochemie-Abteilung heute zum BAYER-Konzern gehört. Endosulfan ist persistent, das heißt, es baut sich in der Natur nur langsam ab, und wird von Pflanzen und Tieren im Fett oder Öl angereichert. Seine Flüchtigkeit begünstigt die Verdunstung und Verbreitung über weite Strecken. So verdunsten innerhalb von zwei Tagen nach der Anwendung bis zu 70 Prozent der ausgebrachten Menge. Über Regen und Wind verteilt sich Endosulfan in der Umwelt – und gelangt auch auf die Felder der Biobauern und -bäuerinnen. Die Sojabohnen nehmen Endosulfan auf und reichern es wegen ihres Ölgehalts an. Auch wenn die Belastung im Minimal-Bereich liegt (zehnmal tiefer als der Grenzwert), wollen die Abnehmer in Europa von der Bio-Soja aus Capanema nun nichts mehr wissen.
Die erhöhten Endosulfan-Werte in der diesjährigen Ernte sind auf zwei Ursachen zurückzuführen. Erstens haben die Wetterbedingungen mit viel Regen und hohen Temperaturen dazu geführt, dass eine besonders starke Verdunstung und Verbreitung über Niederschläge stattgefunden hat. Zweitens wurde in der konventionellen Landwirtschaft viel mehr Endosulfan eingesetzt als in vergangenen Jahren. Weil immer mehr Länder das Mittel verbieten, wollen BAYER & Co. noch möglichst viel ihrer Produkte absetzen und starten Schlussverkauf-Offensiven. Im vergangenen Jahr hat Brasilien über 2.000 Tonnen Endosulfan importiert. Allein in der Gemeinde Capanema wurden mehr als fünf Tonnen ausgebracht - doppelt so viel wie in den Vorjahren. „Brasilien wird zur Mülldeponie. Alle problematischen Pestizide, welche andernorts nicht mehr verkauft werden können, werden hierher gebracht“, kritisiert deshalb Rosany Bochner, Toxikologin am brasilianischen Institut Fiocruz.
Während Endosulfan in Brasilien heute noch angewendet werden darf, ist der Gebrauch des Pestizids bereits in über 60 Ländern untersagt, in Deutschland zum Beispiel seit bald zwanzig Jahren. Dies hat neben der Persistenz in der Natur vor allem einen Grund: Jährlich werden durch den direkten Kontakt mit Endosulfan hunderte Menschen vergiftet. Viele dieser Vergiftungsfälle enden tödlich, denn die Chemikalie greift Nervensystem, Blutkreislauf und Nieren an. 99 Prozent der Unfälle betreffen Landarbeiter und Landarbeiterinnen in der Dritten Welt, da diese weder über die nötige Schutzkleidung verfügen, noch die Warnhinweise auf dem Produkt verstehen.
Doch die Bio-Bauern von Capanema geben nicht auf. In den letzten zehn Jahren haben sie sich erfolgreich gegen die Vorherrschaft der Gentechnik gewehrt. Sie haben traditionelles Saatgut vermehrt und Wege gefunden, ihre Produkte vor Gentech-Verunreinigungen zu schützen – ein immenser Aufwand für die LandwirtInnen, die von Feldern mit Genpflanzen umzingelt sind und sich der gewaltigen Werbemaschinerie von BAYER & Co. gegenübersehen. Mit einem Schreiben an die Behörden haben sie nun ein sofortiges Verbot von Endosulfan gefordert, Ende August haben sie eine weitere Petition an ihre Regierung gestartet. Die GEBANA, die seit zehn Jahren mit den Biobauern und -bäuerinnen von Capanema zusammenarbeitet, hat in Europa eine Kampagne zur Unterstützung der FarmerInnen initiiert, an der sich auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beteiligt. Und die Bemühungen lohnen sich!
Dank des Drucks hat BAYER das Endosulfan-Pestizid THIODAN mit sofortiger Wirkung vom Markt genommen und die Restbestände sogar bei der lokalen Kooperative abgeholt. Die brasilianischen Behörden haben ab 2013 ein offizielles Endosulfan-Verbot ausgesprochen, und auch die Zulassungsbehörde ANVISA beginnt sich des Problems bewusst zu werden. Die MitarbeiterInnen von GEBANA-Brasilien und die BiolandwirtInnen freuen sich sehr über den Erfolg der Kampagne CHEGA!. Sie können es kaum glauben, dass sich Menschen auf der ganzen Welt mit ihrem Kampf gegen Endosulfan solidarisieren, denn sie sind es gewohnt, als Letzte berücksichtigt zu werden.
Aber das Problem mit Endosulfan ist für die Bio-LandwirtInnen noch nicht gelöst. Leider gibt es weiterhin Anbieter von Endosulfan - aus Israel, Indien und Brasilien selbst. Die lokalen Verkaufsstellen von Pestiziden kaufen schon für die anstehende Aussaat ein - auch Endosulfan in großen Mengen. Wie befürchtet, wird das Gift noch billiger angeboten - wohl wegen des Verbotes ab 2013. Es gibt also noch einiges zu tun!
BAYER im Klassenkampf
Kündigungsgrund: Gewerkschaftler
Konsequent drängt der Leverkusener Multi in den USA die Gewerkschaften aus den Werken heraus. Fabriken mit organisierter Arbeiterschaft schließt er gleich reihenweise. Offen setzt BAYER die Beschäftigten unter Druck, keiner Arbeitnehmer-Vertretung beizutreten. Dementsprechend besitzt nur ein Siebtel der US-Belegschaft einen Tarifvertrag. Am Standort Berkeley demonstrierten nun Belegschaftsangehörige gegen Entlassungen und steigenden Arbeitsdruck.
von Philipp Mimkes
Der BAYER-Konzern macht ein Viertel seines Umsatzes in Nordamerika, rund acht Milliarden Euro jährlich. Die 16.300 Beschäftigte arbeiten quer über den Kontinent verteilt an knapp fünfzig Standorten. Längst ist der amerikanische Markt für BAYER wichtiger als das deutsche Standbein.
Traditionell geht der Konzern in den USA besonders rabiat gegen Gewerkschaften vor. Bahnt sich die Gründung einer ArbeitnehmerInnen-Vertretung an, so trommelt das Unternehmen die Belegschaft zusammen und droht mit Arbeitsplatzvernichtung oder Werksschließung. Gewerkschaftsvertreter werden als Faulpelze diffamiert, die es nur auf die Beiträge der Mitglieder abgesehen hätten.
Die Belegschaft weiß, dass die Drohungen ernst gemeint sind: Vier große Werke mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad schloss der Multi in den vergangenen Jahren ganz oder größtenteils. In West Haven im Bundesstaat Connecticut machte er im Jahr 2007 eine Pharma-Fabrik mit über tausend gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitern komplett dicht; eine Kunststoff-Fabrik in New Martinsville (West Virginia) verlor 2007 die Hälfte ihrer Belegschaft; im Werk Elkhart/Indiana mit einstmals 2.200 überwiegend gewerkschaftlich organisierten Belegschaftsangehörigen hält der Konzern nur noch einen Restbetrieb aufrecht und im kanadischen Sarnia stellte er die Produktion von Kautschuk ein.
Fehlende Tarifverträge
Lediglich in einer Handvoll US-Fabriken sind die einstmals starken Unions überhaupt noch vertreten. Und nur 14 Prozent der US-amerikanischen BAYER-MitarbeiterInnen verfügen über Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen. In keiner anderen Region der Welt liegt dieser Wert so niedrig: Während in Lateinamerika über 40 Prozent der BAYER-Beschäftigten gemeinschaftlich ausgehandelte Verträge zu Löhnen und Arbeitszeiten haben, sind es in Europa fast 90 Prozent. Weltweit besitzen 55 Prozent der Belegschaft einen Tarifvertrag.
Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kommentiert: „In seinem Streben nach maximalem Profit fällt der BAYER-Konzern immer wieder durch Bekämpfung der Gewerkschaften auf. Es ist ein Skandal, dass fast die Hälfte der Belegschaft weltweit ohne den Schutz tariflicher Vereinbarungen arbeiten muss.“ Das gewerkschaftsfeindliche Vorgehen des Unternehmens ist zudem ein klarer Verstoß gegen die von BAYER im Nachhaltigkeitsbericht 2009 gemachte Zusage, wonach die „Beschäftigten an allen Unternehmensstandorten die Möglichkeit haben, Arbeitnehmervertretungen zu bilden“.
Entlassungen in Berkeley
Eines der weltweit lukrativsten BAYER-Werke befindet sich im kalifornischen Berkeley. Nur dort wird das Blutfaktor-Präparat KOGENATE produziert, mit dem die Firma allein im vergangenen Jahr 888 Millionen Euro erlöste. Die Behandlung eines einzelnen Patienten mit dem Gerinnungsmittel kann jährlich über 100.000 kosten.
Rund 1.500 Menschen sind in Berkeley beschäftigt, von denen sich 430 in der INTERNATIONAL LONGSHORE AND WAREHOUSE UNION (ILWU) organisiert haben.
Trotz der hohen Gewinnmargen für KOGENATE erhielt das Werk im vergangenen Jahr einen Steuernachlass von 13 Millionen Dollar. Der Global Player hatte zuvor damit gedroht, Teile der Produktion zu verlagern und das Werk langfristig zu schließen. Zur Standort-Sicherung dehnten die Gemeinden Oakland und Berkeley ein bestehendes Gewerbegebiet mit erniedrigten Steuersätzen und Stromkosten auf das BAYER-Werk aus. An der Genehmigung der Subvention war auch der damalige Gouverneur Arnold Schwarzenegger beteiligt. Axel Köhler-Schnura: „Es ist nicht hinnehmbar, dass Städte und ganze Länder von hochprofitablen Unternehmen gegeneinander ausgespielt werden. Die Kürzung von Sozialleistungen ist die direkte Folge eines solchen ruinösen Standort-Wettlaufs.“
Trotz der öffentlichen Hilfen kündigte die Werksleitung im Herbst kurzfristige Entlassungen an. Betroffen sind zunächst 39 Personen, größtenteils Gewerkschaftsmitglieder. Donal Mahon von der ILWU: „BAYER hatte im vergangenen Jahr zugesichert, etwaige Entlassungen 45 Tage vorher anzukündigen. Tatsächlich waren es jetzt nur zwei Tage, und es waren doppelt so viele Entlassungen, wie zuvor besprochen. Für den Fall, dass wir ein Schiedsgericht einschalten, hat uns das Unternehmen den Abbau weiterer Arbeitsplätze angedroht“.
Vor den Fabriktoren protestierten daraufhin 150 Belegschaftsangehörige, etwa die Hälfte der Tagesschicht, die eine Wiedereinstellung der gefeuerten KollegInnen forderten. Carey Dall von der ILWU kritisiert den steigenden Arbeitsdruck: „Die anfallende Arbeit, zum Beispiel bei der Reinigung der Produktionsanlagen, bleibt dieselbe. Die verbleibenden Beschäftigten werden von der Geschäftsführung angehalten, mehr und schneller zu arbeiten, ohne hierfür Überstunden zu machen.“ Die Gewerkschaftsvertreter berichten zudem von Drohungen gegen die TeilnehmerInnen der Kundgebung.
IG BCE wenig kämpferisch
Auch in anderen Teilen der Welt kämpft das Unternehmen mit unsauberen Mitteln gegen Arbeitnehmer-Vertretungen: So finanzierte BAYER in den Philippinen eine firmenfreundliche Alternative zur bestehenden Gewerkschaft EMPLOYEES UNION OF BAYER PHILIPPINES und stellte diese Praxis erst nach Intervention des philippinischen Arbeitsgerichts ein. In Brasilien rief das Unternehmen zur Zeit der Diktatur gar das Militär gegen streikende Arbeiter zu Hilfe. Und auch die gegenwärtigen Investitionen in China hängen nicht zum geringsten Teil mit dem dortigen Fehlen freier Gewerkschaften zusammen.
In Europa hingegen musste sich BAYER nach langen Auseinandersetzungen mit der Existenz von Gewerkschaften abfinden. 88 Prozent der Belegschaft besitzen einen Tarifvertrag. Doch noch in den 70er Jahren hatte das Unternehmen in den deutschen Werken die Wahl von Vertrauensleuten innerhalb der Werksmauern verboten, so dass die Abstimmung auf der Straße stattfinden musste.
Durch Zahlung von vergleichsweise hohen Löhnen und sogenanntes „Co-Management“ gelang es dem Unternehmen, die Gewerkschaften hierzulande weitgehend zu domestizieren. Seit dem 2. Weltkrieg gab es bei BAYER keinen Streik mehr. Selbst die Zerschlagung des Konzerns und die Ausgliederung großer Unternehmensteile durch den jüngst ausgeschiedenen BAYER-Chef Werner Wenning führte zwar zu Demonstrationen, nicht aber zu Arbeitsniederlegungen. Der Schmusekurs der Chemie-Gewerkschaft IG BCE, die möglichst jeden Konflikt mit dem Arbeitgeber vermeidet, führte bei BAYER zur Bildung alternativer Betriebsratsgruppen wie der BELEGSCHAFTSLISTE, den BASISBETRIEBSRÄTEN und den KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN FÜR EINE DURCHSCHAUBARE BETRIEBSRATSARBEIT. In den Werken Leverkusen und Wuppertal erhielten diese bei Betriebsratswahlen zum Teil über 40 Prozent der Stimmen.
Kämpferische Gewerkschaften stehen jedoch auch in Europa unter Beschuss: So kündigte BAYER im Antwerpener Werk in den vergangenen Jahren mehrfach die Abmachungen mit der Belegschaft („Service Level Agreements“) auf und forderte „freiwillige“ Lohnkürzungen und verlängerte Arbeitszeiten. Stets steht dabei die Drohung im Raum, die Kunststoff-Produktion nach Krefeld zu verlegen. Die Antwerpener Belegschaft wehrte sich mit Werks-Blockaden und Demonstrationen und konnte den Bruch der betrieblichen Vereinbarungen bislang verhindern.
Und diese Erfahrung haben BAYER-Beschäftigte zu allen Zeiten gemacht: Nur wer sich vom Management nicht durch Zwangsmaßnahmen einschüchtern oder durch sozialpartnerschaftliche Scham-Offensiven einfangen lässt und energisch für seine Rechte eintritt, erreicht etwas.
BAYERs US-Wahlkampf
$108.100 für schlechtes Klima
Während der Leverkusener Multi beharrlich an seinem Image als klima-bewusster Umweltengel arbeitet, tut er im wirklichen Leben alles, um weiterhin Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen zu können. So unterstützte er bei den jüngsten US-Wahlen Kandidaten, die den Klima-Wandel leugnen und sich gegen Obamas Gesetzes-Initiativen sträuben, mit über 100.000 Dollar.
Von Jan Pehrke
BAYERs Klima-Aktivismus scheint keine Grenzen zu kennen: Da gibt es ein BAYER-Klimaprogramm, einen Klima-Preis für Wissenschaftler, einen Klima-Malwettbewerb für Kinder, ein Klimaschutz-Stipendium für SchülerInnen, einen Klima-Check, einen klima-neutralen Werkskindergarten und noch so allerhand mehr. Unbedarfte Beobachter müssen glauben, grüner ginge es kaum. Und das ist auch Sinn der Übung.
Im wirklichen Geschäftsleben sieht es jedoch anders aus. Da zeichnet der Leverkusener Multi für einen Ausstoß von acht Millionen Tonnen Kohlendioxid per anno verantwortlich und tut auf der politischen Ebene alles dafür, eine Verlängerung dieser Lizenz zur Klima-Schädigung zu erhalten. Den dazu von der Bundesregierung benötigten „Mut zum Realismus“ forderte der Konzern jüngst gemeinsam mit anderen Unternehmen auf großflächigen Anzeigen ein. „Damit die Preise für alle bezahlbar bleiben, können wir bis auf Weiteres nicht auf kostengünstige Kohle und Kernenergie verzichten“, hieß es dort. Auf europäischer Ebene ließ der Pharma-Riese nichts unversucht, den Emissionshandel zu torpedieren, der die Kohlendioxid-Absonderungen über ein bestimmtes Volumen hinaus mit Kosten belegt, um Innovationen zu erzwingen. Nicht einmal vor den USA macht der Einfluss BAYERs Halt: Gegen Barack Obamas Versuch, auch in den Vereinigten Staaten einen Markt für CO2-Verschmutzungsrechte zu eröffnen und weitere Regelungen zum Schutz des Klimas zu verabschieden, geht der Global Player entschieden vor.
So hat er bei den US-amerikanischen Kongress-Wahlen im November 2010 gemeinsam mit anderen europäischen Unternehmen die Widersacher des US-Präsidenten in Sachen „Umweltpolitik“ massiv unterstützt. 240.000 Dollar spendeten BAYER, BASF, BP, SOLVAY & Co.; mit 108.100 Dollar trug der Leverkusener Multi mehr als die Hälfte dazu bei. 1.000 Dollar erhielt Republikaner James Inhofe für Debatten-Beiträge wie „Die Erderwärmung ist der größte Schwindel, der dem amerikanischen Volk jemals vorgesetzt wurde“. Elf weitere den Klimawandel in Abrede stellende Politiker bedachte das Unternehmen mit Summen zwischen 1.000 und 10.000 Dollar. Zwölf Senatoren, die Obamas Klima-Gesetz ablehnen, beglückte der Gen-Gigant mit insgesamt 78.200 Dollar, wobei er sich bei GegnerInnen des Präsidenten aus den eigenen, demokratischen Reihen besonders erkenntlich zeigte. Die Republikanerin Lisa Murkowski schließlich bekam ein Wahlkampf-Geschenk für ihr im Senat - einstweilen gescheitertes - Bemühen, der Umweltbehörde EPA das Recht zu nehmen, den Treibhausgas-Ausstoß zu regulieren.
„Öl-Gesellschaften und andere Unternehmen spenden Millionen für Kampagnen, die Luftreinhalte- und Saubere-Energie-Standards aufweichen, und gefährden damit die Gesundheit und Prosperität des Landes“, erregte sich Obama über den Einsatz der Firmen. Und sein Berater David Axelrod nannte die Wahlkampf-Spenden von Big Business, die sich auf über 75 Millionen Dollar beliefen und zum allergrößten Teil den RepublikanerInnen zugute kamen, „eine Bedrohung unserer Demokratie“.
Auch bundesdeutsche PolitikerInnen prangerten die Praxis der Konzerne an. „Es ist ein Skandal, wenn große deutsche Firmen wie BAYER und BASF sich zu Hause als Klimaschützer aufspielen, im US-Wahlkampf dann aber die extremsten Klimaschutz-Gegner finanziell unterstützen, um weltweite Vereinbarungen zu torpedieren“, wetterte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber, und die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn kritisierte die „tätige Beihilfe zur Klimazerstörung“ ebenfalls vehement. Besonders die Perfidie von BAYER & Co., auf der einen Seite europäische Alleingänge in der Klimapolitik abzulehnen und auf internationale Lösungen zu pochen, auf der anderen Seite dann aber die solche internationalen Lösungen am heftigsten hintertreibenden Klimaschutz-Opponenten aus den USA zu subventionieren, stieß hierzulande auf Empörung.
Der Leverkusener Multi hingegen weist alle Schuld von sich. Als „völlig abwegig“ bezeichnete das Unternehmen den Vorwurf, systematisch Klimaschutz-GegnerInnen zu unterstützen. Es habe sich lediglich um freiwillige Spenden von BAYER-Beschäftigten gehandelt, erklärte ein Pressesprecher. Allerdings lassen die Gesetze in den Vereinigten Staaten auch gar keine andere Möglichkeit zu. Und dass ausgerechnet BAYERs US-Boss Gregory S. Babe zu den Großspendern zählt, räumt jeden Zweifel am offiziellen Charakter der Sache aus. Zudem zählt der Agro-Riese bereits seit längerem zu den Sponsoren von konservativen Thinktanks wie dem „Science Media Center“ und dem „Institute of Ideas“, die sich redlich bemühen, wissenschaftliche Beweise für die Nicht-Existenz des Klimawandels in Umlauf zu bringen (siehe Ticker 4/09).
Am Ende lohnten sich die Investitionen von BAYER. Aus der so genannten midterm-election gingen die Republikaner im Allgemeinen und die Klimawandel-BestreiterInnen im Allgemeinen gestärkt hervor. Das bedeutet das Ende für den „American Clean Energy and Security Act“ von Obama. Und auch das bisher vor allem von der auf BAYERs Payroll stehenden Lisa Murkowki vorangetriebene Projekt, die Klimaschutz-Kompetenzen der Umweltbehörde EPA zu beschneiden, dürfte Erfolg haben. Der demokratische Senator John Rockefeller hat bereits eine Gesetzes-Initiative angekündigt, welche die jüngst erlassenen strengeren EPA-Auflagen für CO2-Emissionen zwei Jahre lang aussetzen will. Es sieht also düster aus für den Himmel über Amerika - und nicht nur für den. „Vieles spricht dafür, dass sich das Zeitfenster für eine umfassende gesetzliche Neuregelung der amerikanischen Energie- und Klimaschutz-Politik für eine längere Zeit geschlossen hat“, kommentiert die Faz und prognostiziert „global tiefe und langanhaltende Auswirkungen“.
AKTION & KRITIK
Jahrestagung 2010
Am 13. November 2010 fand die gut besuchte Jahrestagung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) statt. Sie widmete sich dieses Mal dem Thema „Störfall-Risiken der chemischen Industrie - Pipelines, Kohlekraftwerke und Phosgen-Produktion“. Das Eröffnungsreferat hielt der pensionierte Chemie-Lehrer Dr. Walther Enßlin. Unter dem Titel „Geballte Risiken: Die Chemie-Industrie in NRW“ sprach er über die umwelt- und gesundheitsschädigende Herstellung von Chlor und Kunststoffen, gefährliche Endprodukte wie Bisphenol A und längst entwickelte schonendere Verfahren, die BAYER & Co. jedoch aus Profitgründen nicht anwenden. Anschließend gab CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes einen Überblick über die Geschichte der Störfälle beim Leverkusener Multi, vom GAU während der Sprengstoff-Produktion 1917 mit zehn Toten bis zu den Desastern der Gegenwart. Die Gefahren der nahen Zukunft, die der Konzern durch die Kohlenmonoxid-Pipeline heraufbeschwören will, standen nach der Mittagspause im Mittelpunkt. Rainer Kalbe von der Bürgerinitiative STOPP CO-PIPELINE präsentierte eine umfassende Liste aller „Risiken und Nebenwirkungen“ der Giftgas-Röhre und stellte dar, wie der Pharma-Riese schon durch Pfusch am Bau den Grundstein dafür legt. Im Anschluss daran beschrieb der Kinderarzt Dr. Gottfried Arnold, der eine MedizinerInnen-Initiative gegen die Rohrleitung ins Leben gerufen hatte, die tückische Wirkung des Gases. Farb- und geruchslos, schaltet es den Organismus im Katastrophen-Fall binnen Sekunden aus, wogegen weder BAYER noch die Feuerwehren oder die Notfall-Kliniken gewappnet sind. Was ein Besucher während der Diskussion bemerkte, kann als Resümée der Veranstaltung gelten. Er habe heute noch „viel Niederschmetternderes“ über BAYER erfahren als das, was er bereits im Zusammenhang mit der CO-Pipeline lernen musste, sagte er. Und eben dies, die aktuelle Auseinandersetzung um die Giftgas-Röhre in den Kontext der allgemeinen „BAYER-Gefahren“ zu stellen und so den Blick auf einen Systemfehler profit-orientierter Produktion zu eröffnen, war es, was der CBG bei der Konzeption der Jahrestagung vorgeschwebt hatte.
Erfolgreiche Endosulfan-Kampagne
Jahrelang hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) den Leverkusener Multi aufgefordert, den in der Bundesrepublik schon längst verbotenen, besonders gefährlichen Pestizid-Wirkstoff Endosulfan auch in anderen Ländern nicht mehr zu vertreiben. Im letzten Jahr erklärte sich der Konzern endlich dazu bereit (SWB 3/09). Aber vorher gab es noch einmal einen Schlussverkauf. Das Unternehmen warf alle Restbestände auf den Markt, was zu hohen Belastungen führte (siehe auch SWB 1/11). Besonders hart traf es brasilianische Bio-LandwirtInnen. Ihre Soja-Ernte wies so große Endosulfan-Rückstände auf, dass sie unverkäuflich ist. Daraufhin initiierte die schweizer Fairtrade-Organisation GEBANA eine Kampagne, welche die CBG nach Kräften unterstützte. Und der öffentliche Druck führte schließlich auch zu einem Teil-Erfolg. Während andere Hersteller das Mittel immer noch verkaufen, hat BAYER das Endosulfan-Pestizid THIODAN in dem Land mit sofortiger Wirkung vom Markt genommen und die Restbestände sogar selbst bei der lokalen Kooperative abgeholt.
Kraftwerkserörterungstermin
- 1
Nicht nur gegen das Kohlekraftwerk, das in BAYERs Krefelder Chemie-„Park“ geplant ist, haben Initiativen mit Einwändungen protestiert, sondern auch gegen die auf dem Brunsbütteler Werksgelände projektierte Dreckschleuder. Bei einem Erörterungstermin, der prüfte, ob das Vorhaben den Bestimmungen zum Immissionsschutz und zum Wasserrecht genügt, präsentierten die KraftwerksgegnerInnen eine lange Mängelliste. So befürchten sie neben dem großen Lärm vor allem eine Belastung der Elbe durch das Kühlwasser. 30.000 Liter Wasser saugt das Kraftwerk pro Sekunde ein, inklusive der darin schwimmenden Fische, die dadurch ihren Tod finden. Es gibt zwar Fischscheuch-Anlagen, aber für die speziellen Verhältnisse in Brunsbüttel hat die beauftragte Firma noch nie eine gebaut. Wie wenig solche Vorrichtungen manchmal nützen, zeigt das nahe gelegene Atomkraftwerk. Trotz elektronischer Impulsgeber zum Verscheuchen der Fische sammeln sich jährlich bis zu 160 Tonnen verendeter Tiere in dem AKW an. Auch die Wiedereinleitung des aufgeheizten Kühlwassers bereitet Probleme, weil die Erwärmung vielen Flußbewohnern das Leben schwer macht. Die vorgelegten Unterlagen zur Ausbreitung der warmen Brühe gaben darüber allerdings wenig Aufschluss. Sie stammten nämlich aus einem früheren Genehmigungsverfahren des Betreibers GETEC, wie die UmweltschützerInnen aufdeckten, die auch eine Klage gegen den Bau vorbereiten.
Kraftwerkserörterungstermin
- 2
Gegen das von TRIANEL auf dem Gelände von BAYERs Chemie„park“ in Krefeld geplante Kohlekraftwerk gibt es erheblichen Widerstand. So haben wegen des Kohlendioxid-Ausstoßes von jährlich ca. 4,4 Millionen Tonnen und der zu erwartenden Belastungen von Mensch und Umwelt mit Feinstaub, Schwermetallen und Radioaktivität über 22.000 Privatpersonen, Nachbarstädte und Initiativen Einspruch gegen das Projekt erhoben. Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zählt dazu. Bei dem einwöchigen Erörterungsverfahren gelang es dem Betreiber nicht, die Einwände zu zerstreuen. „Keiner der in unserer 355-seitigen schriftlichen Stellungnahme vorgebrachten Kritikpunkte konnte seitens TRIANEL entkräftet oder gar ausgeräumt werden“, stellte etwa Dirk Jansen vom BUND fest und forderte das Unternehmen deshalb auf, den Genehmigungsantrag zurückzuziehen.
DUOGYNON-Anfrage in England
Der hormonelle Schwangerschaftstest PRIMODOS der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Todgeburten geführt. Darüber hinaus kamen unzählige Kinder mit schweren Missbildungen zur Welt. Die Opfer des ebenfalls unter dem Namen DUOGYNON vermarkteten Produkts fordern den Konzern seit längerem auf, Entschädigungen zu zahlen und bereiten sogar Klagen vor (siehe auch SWB 4/10). Und wie vor kurzem in der Bundesrepublik (Ticker 4/10) kam es jetzt auch in England zu einer parlamentarischen Anfrage in Sachen „DUOGYNON“.
Andere OECD-Leitsätze gefordert
Die OECD hat sich Leitsätze gegeben, in denen sich der Verbund aus 31 großen Industrieländern zu sozialen und ökologischen Standards bekennt. Wenn ein Unternehmen gegen diese Regeln verstößt, muss es mit einer Klage bei den nationalen Kontaktstellen rechnen. Ernste Konsequenzen hat so ein Verfahren jedoch fast nie. So lehnte die bundesdeutsche Kontaktstelle die beiden Beschwerden gegen BAYER, welche die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Initiativen eingereicht hatte, ab. Weder den Handel der ehemaligen BAYER-Tochter HC STARCK mit Bodenschätzen aus Bürgerkriegsgebieten noch BAYER CROPSCIENCEs Duldung von Kinderarbeit in der Lieferkette fand sie sanktionswürdig. Nicht nur aus diesem Grund fordern GERMAN WATCH und MISEREOR jetzt eine Überarbeitung der Leitsätze. Die beiden Nichtregierungsorganisation verlangen wirkliche Bestrafungen. Insbesondere kritisieren sie die bundesdeutsche Kontaktstelle für ihren nicht nur im Fall „BAYER CROPSCIENCE“ gezeigten Unwillen, das Agieren der festen Zulieferer der Multis ebenfalls als „gerichtsrelevant“ zu betrachten, womit sie ein einfaches Outsourcing der Ausbeutung erleichtert. Auch sonst fällt die Einrichtung immer wieder durch unternehmensfreundliche Entscheidungen auf. Keine andere Kontaktstelle lehnt Eingaben so häufig ab wie die bundesrepublikanische - nicht umsonst ist sie bei der Auslandsinvestitionen-Abteilung des Wirtschaftsministeriums angesiedelt. Darum treten die beiden Gruppen für eine umfassende Strukturreform ein.
Frauen-Protest gegen MIRENA
Mehr als jede zehnte Anwenderin von BAYERs Hormon-Spirale MIRENA leidet unter schweren Nebenwirkungen wie Depressionen, Zyklusstörungen, Gewichtszunahme, Eierstock-Zysten, Unterleibsentzündungen, Schwindel, Übelkeit, starker Haarwuchs, Akne, Hautkrankheiten und Kopfschmerzen (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Zudem besteht der Verdacht auf Erhöhung des Brustkrebs-Risikos. Eine nicht eben kleine Schadensbilanz, über welche der Leverkusener Multi allerdings den Mantel des Schweigens hüllt. In den USA haben sich deshalb mehr als 1.700 Frauen an die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA gewandt und eine bessere Aufklärung über das Gefahren-Potenzial des Mittels gefordert, das allein in der Bundesrepublik rund eine Million Frauen nutzen.
Belegschaft demonstriert in Brüssel
An der Demonstration europäischer Belegschaften gegen Sozialabbau und Sparmaßnahmen, die Ende September 2010 in Brüssel stattfand, beteiligten sich auch Beschäftigte des Antwerpener BAYER-Werkes. Mit dem Transparent „Für unsere Rechte kämpfen“ zogen sie durch die Straßen der belgischen Hauptstadt.
Kritik an Einmalzahlungen
Bei den Tarif-Verhandlungen gehen die Konzerne immer mehr dazu über, Einmalzahlungen zu vereinbaren. So gab es beim letzten Chemie-Abschluss überhaupt keine prozentuale Entgelt-Erhöhung mehr, sondern lediglich Pauschalbeträge - 550 Euro für Normalbeschäftigte und 611 bis 715 Euro für SchichtarbeiterInnen. Die Hans-Böckler-Stiftung des DEUTSCHEN GEWERKSCHAFTSBUNDES kritisierte diese Praxis jetzt. Nach einer Modellrechnung des Wissenschaftlers Dr. Reinhard Bispinck führt das Instrument zu realen Einkommensverlusten. Wenn ein Beschäftigter mit einem Gehalt von 2.000 Euro brutto statt einer 2-prozentigen Lohnerhöhung 480 Euro erhält, so steht er damit im ersten Jahr noch gut da, im zweiten allerdings verschlechtert sich seine Situation schon und anschließend geht es dann ganz steil bergab. Zudem kämen die Chef-Etagen mit den Pauschalen „ihrem Ziel von stärker variablen und rückholbaren Einkommenssteigerungen“ näher, monierte Bispinck.
Uni Köln: Ministerin handelt nicht
Vor zwei Jahren vereinbarte BAYER mit der Kölner Hochschule eine Kooperation auf dem Gebiet der Pharma-Forschung. „Sie ist die weitreichendste, die eine nordrhein-westfälische Universitätsklinik bislang eingegangen ist“, jubilierte Innovationsminister Andreas Pinkwart damals. Der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und anderen Initiativen machte das eher Angst. Die Gruppen befürchteten eine Ausrichtung der Pharma-Forschung nach Profit-Vorgaben, eine Entwicklung von Präparaten ohne therapeutischen Mehrwert, eine Verheimlichung negativer Studienergebnisse und einen Zugriff des Konzerns auf geistiges Eigentum der Hochschul-WissenschaftlerInnen. Deshalb forderten sie eine Offenlegung des Vertrages und bekamen dafür auch die Unterstützung des nordrhein-westfälischen Datenschutzbeauftragten, welcher der Hochschule kein Recht auf Geheimhaltung zuerkennen wollte. Die Universität blieb jedoch bei ihrer Verweigerungshaltung, die auch die neue Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) nicht aufzuheben gedachte. Eine Durchsetzung des vom Datenschützer bescheinigten „Informationszugangsanspruchs“ könne nicht erzwungen werden, antwortete die Politikerin der CBG und empfahl, „noch einmal auf die Universität zuzugehen, um ein Verfahren zu vermeiden“. Aber genau das lässt sich jetzt nicht mehr vermeiden.
Hochschulräte in der Kritik
In den Hochschulräten als neuen Aufsichtsgremien der Universitäten sitzen zu einem Drittel VertreterInnen von Unternehmen. Der Leverkusener Multi darf da natürlich nicht fehlen. So ist BAYER-Vorstand Richard Pott im Hochschulrat der Universität Köln vertreten, mit der BAYER auch eine umfassende Forschungskooperation unterhält (SWB 2/09). Diese Konstellation entspricht nicht gerade dem, was Rolf Breuer, ehemaliger Chef der DEUTSCHEN BANK und heutiger Hochschulrat an der Frankfurter Goethe-Universität, von dem Gremium fordert: „Der Hochschulrat muss neutral sein“. Auch sonst stößt der wachsende Einfluss von Konzernen auf die Bildungseinrichtungen zunehmend auf Kritik. Die Heinz-Nixdorf-Stiftung etwa mahnt eine „Kontrolle der Kontrolleure“ an. Die Studierenden-Vertretungen beklagen die Besetzungen der Posten nach Gutsherrenart ohne demokratische Legitimation, und die SPD-Politikerin Annette Fugmann-Heesing stört sich an den Berufungen auf Lebenszeit und tritt für die Möglichkeit von Abwahlen ein.
Kritik an Wenning-Artikel
In der Financial Times Deutschland hatte BAYER-Chef Werner Wenning kurz vor seiner Verabschiedung mal wieder das Klagelied über die bundesdeutsche Energie-Politik angestimmt, die angeblich wegen ihrer ökologischen Ausrichtung zu unerträglich hohen Strompreisen und anderen Belastungen für die Industrie führe. Dafür handelte er sich im Internet einige bissige Kommentare ein. „Aus hohen Strompreisen für Privathaushalte kann noch lange keine ungebührliche Belastung der deutschen Industrie abgelesen werden. Die von Wenning genannten Steuern entsprächen in ihrer Höhe noch längst nicht den gesamten externen Kosten der konventionellen Stromerzeugung. Diese externen Kosten tauchen zwar nicht im Strompreis auf, das heißt jedoch nicht. dass sie nicht bezahlt werden müssen. Die Renovierungskosten von Asse trägt der Steuerzahler, die Bergschäden im Ruhrgebiet die Eigenheimbesitzer, die Gesundheitsschäden die Bevölkerung in den Uran- und Ölförderländern etc.“, schrieb ein Leser. Und ein weiterer riet Wenning: „Die Deutsche Industrie hatte lange genug Zeit, sich auf neue Zeiten einzustellen. Sie hat es nur nicht ernsthaft versucht, dafür sollten Sie sich schämen und schnell umdenken, statt durch diese peinliche Kampagne für Atomkraft zu kämpfen“.
Resolution gegen Genreis verabschiedet
Im Jahr 2006 war gentechnisch veränderter Langkorn-Reis von BAYER weltweit in Supermärkten aufgetaucht, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nirgendwo eine Zulassung vorlag. Damit verursachte der Leverkusener Multi den größten Gen-Gau der Nuller-Jahre. Trotzdem hat der Multi seinen Antrag auf eine Importzulassung von Genreis der Sorte „LL62“ bei der EU noch nicht zurückgezogen. Genau dazu hat ihn jetzt eine von GREENPEACE in Italien organisierte Konferenz aufgefordert.
KAPITAL & ARBEIT
BAYER streicht 4.500 Stellen
„Ich will für BAYER noch mehr Investition und weniger Administration. Wir können noch schneller und schlanker werden“, sagte der neue BAYER-Chef Marijn Dekkers bei der Vorstellung der Geschäftszahlen für das dritte Quartal trotz einer Umsatzsteigerung von 16,1 Prozent auf 8,6 Milliarden. Über die Konsequenzen war er sich noch nicht im Klaren: „Ob dadurch wirklich Arbeitsplätze betroffen sind, kann ich jetzt noch nicht sagen“. Zwei Wochen später wusste er es. Da kündigte der Leverkusener Multi den Abbau von 4.500 Stellen an den alten Standorten und den Aufbau von 2.500 in den Schwellenländern an. Allein 1.700 Jobs fallen in der Bundesrepublik weg. Bei der IT-Abteilung BAYER BUSINESS SERVICES (BBS) stehen 900 Arbeitsplätze zur Disposition. Von der Maßnahme betroffen sind 490 Festangestellte und 406 Arbeitskräfte mit Werks- oder Zeitarbeitsverträgen. Einen Teil der Jobs dürfte der Multi nach Indien verlagern, wo die BBS bereits einen Ableger mit 300 bis 400 Beschäftigten unterhält - laut BBS-Sprecher Oliver Günther die „verlängerte Werkbank“. Mit diesem Sparprogramm für die Service-Gesellschaften bricht der Konzern die 2007 im Tarifvertrag gemachten Zusagen zur Arbeitsplatz-Sicherung, welche die Belegschaftsangehörigen damals mit einem Lohnverzicht in Höhe von 3,3 Prozent teuer erkauft hatten. Bei BAYER HEALTH CARE streicht der Konzern 700 Stellen, bei BAYER CROPSCIENCE 300. Die Kunststoff-Sparte, um die es immer wieder Verkaufsgerüchte gibt, bleibt dagegen weitgehend verschont. Der Betriebsrat kritisierte das Sparprogramm zwar, ändert aber seinen sozialpartnerschaftlichen Kurs nicht und bietet Hilfe bei der Abwicklung an. „Das ist ein erheblicher Personalabbau mit einschneidenden Veränderungen. Wir Arbeitnehmer-Vertreter werden nun intensive Gespräche mit der Unternehmensleitung führen, um die Notwendigkeit, den Umfang, mögliche Alternativen und die Umsetzung der geplanten Veränderungen zu beraten, damit sozialverträgliche Lösungen gefunden werden können“, sagte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Thomas de Win. Die nordrhein-westfälische Landesregierung will den Kahlschlag hingegen nicht so einfach hinnehmen. Angesichts von 5,5 Millionen Euro, die BAYER im Zuge der Wirtschaftskrise aus dem Konjunktur-Paket erhalten hat, verlangte NRW-Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger (SPD) von BAYER, Verantwortung für die Beschäftigten zu übernehmen. Diese Mittel hätten nichts mit der Krisen-Bewältigung zu tun gehabt, kommentierte Konzern-Sprecher Günter Forneck laut Süddeutscher Zeitung die Vorwürfe. Zu dem von Voigtsberger vorgeschlagenen Spitzentreffen erklärte der Global Player sich jedoch bereit: „Es wäre ein Novum, wenn wir ein Gesprächsangebot der Politik nicht annähmen“.
Arbeitsplatzvernichtung in Berkeley
BAYER vernichtet am US-amerikanischen Standort Berkeley 39 Arbeitsplätze; dabei verlieren zum überwiegenden Teil GewerkschaftlerInnen ihren Job (siehe auch SWB 1/11). Donal Mahon von der INTERNATIONAL LONGSHORE AND WAREHOUSE UNION (ILWU) kritisierte die Maßnahme scharf: „BAYER hatte im vergangenen Jahr zugesichert, etwaige Entlassungen 45 Tage vorher anzukündigen. Tatsächlich waren es jetzt nur zwei Tage, und es waren doppelt so viele Entlassungen, wie zuvor besprochen. Für den Fall, dass wir ein Schiedsgericht einschalten, hat uns das Unternehmen den Abbau weiterer Arbeitsplätze angedroht“. Aber die ILWU ließ sich nicht einschüchtern und organisierte eine Protest-Aktion, an der 150 Belegschaftsangehörige teilnahmen.
Sprachlehrer prekär beschäftigt
In SWB 4/09 klagten zwei Sprachlehrer über die schlechte Bezahlung und die miesen Arbeitsbedingungen bei BAYER. Daran hat sich offensichtlich nichts geändert. Erneut erreichten die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN Informationen über unter dem Branchen-Durchschnitt liegende, seit Jahre nicht angehobene Honorare und erst nach sechs Wochen bezahlte Rechnungen.
MCKINSEY bei BAYER CROPSCIENCE
BAYERs Landwirtschaftssparte machte 2009 einen Umsatz von 6,5 Milliarden Euro. In diesem Jahr allerdings ist laut Konzern „ein erheblicher Rückgang zu erwarten“. Deshalb schickte er den Beschäftigten die UnternehmensberaterInnen von MCKINSEY ins Haus. Ob diese sich mit der von BAYER-Chef Marijn Dekkers angekündigten Vernichtung von 300 Arbeitsplätzen in der Sparte zufriedengeben, wird die nahe Zukunft zeigen.
Zühlke neuer Betriebsratsvorsitzender
Thomas de Win hat angekündigt, sein Amt als Betriebsratsvorsitzender des Leverkusener BAYER-Werkes niederzugelegen, um sich mehr auf seine Aufgaben als Gesamtbetriebsratschef konzentrieren zu können, wie er gegenüber der Presse erklärte. Seine Position übernimmt Oliver Zühlke.
318 Männer in Elternzeit
Der Leverkusener Multi macht es anscheinend Männern, die Elternzeit nehmen wollen, nicht mehr so schwer wie früher. Noch vor vier Jahren beschied das Unternehmen einem Beschäftigten, der einen entsprechenden Antrag stellte, er bräuchte anschließend gar nicht mehr wiederzukommen (Ticker 2/06). Der Mann blieb trotzdem bei seinem Entschluss und versuchte nach Ablauf der Zeit beim Konzern als Teilzeitler sein Glück. Das verwehrte ihm allerdings die Personalabteilung. Vollzeit oder gar nicht - vor diese Alternative stellte ihn der Pharma-Riese. Inzwischen machen nach Unternehmensangaben 318 Belegschaftsangehörige von dem Angebot Gebrauch. Allerdings beträgt die Auszeit von Vätern in den Betrieben nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung oft nur zwei Monate.
Betriebsausflug nach Taipei
BAYERs Pharma-Abteilung veranstaltet alljährlich für Beschäftigte einer Region eine Konferenz, um die interne Konkurrenz durch Auszeichnungen anzuheizen und die Belegschaft auf neue Aufgaben einzuschwören. Dieses Mal waren die 2.700 chinesischen Betriebsangehörigen dran. Ende Januar 2010 zog der Leverkusener Multi sie für eine Woche im taiwanesischen Taipei zusammen.
ERSTE & DRITTE WELT
BAYERS TONIC mit Warnhinweis
In den Ländern des Südens sind die Menschen oftmals nicht in der Lage, sich ÄrztInnen zu leisten. Die Pharma-Riesen haben sich darauf eingestellt und bieten Arzneien mit einem so umfassenden wie diffusen Wirkprofil an. So bewirbt der Leverkusener Multi BAYERS TONIC als Stärkungsmittel. Wie allerdings eine Mischung aus Leber-Extrakt, Hefe, Natriumphosphat und Alkohol stärken soll, bleibt BAYERs Geheimnis. Offenbar sind hingegen die Gefahren. So kann die Einnahme des Tonikums wegen seines Alkohol-Gehaltes bei kleinen Kindern zu Leberzirrhosen führen. Die BUKO-PHARMA-KAMPAGNE forderte deshalb vom Konzern, einen entsprechenden Warnhinweis auf der Flasche anzubringen. Aber erst nach einem zähen Ringen erklärte sich das Unternehmen dazu bereit.
Kinderarbeit-Kampagne erfolgreich
Seit mehr als sieben Jahren kämpft die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gegen Kinderarbeit bei den Zulieferern von BAYERs indischer Saatgut-Tochter PROAGRO. Bis zu 2.000 Minderjährige arbeiteten dem Unternehmen schon zu. Dank der Kampagne sank die Zahl bis 2007 auf 300. Ein neuer Bericht für die abgelaufene Pflanz-Saison konstatiert nun wiederum einen erheblichen Rückgang der Zahlen. Nach Einschätzung der CBG-Kooperationspartner vor Ort war dieser Erfolg nur durch Druck von außen zu erreichen. In Indien war das Problem seit langem bekannt, aber erst die Schlagzeilen in der Bundesrepublik und den USA brachten BAYER zum Einlenken, so die AktivistInnen. Die erfolgreiche Zusammenarbeit von Gruppen aus vier Ländern bezeichneten sie als ein gelungenes Beispiel einer „Globalisierung von unten“. Davon will der Agro-Multi natürlich nichts wissen. Er behauptet, die Reduzierung der Kinderarbeit „ohne jeglichen öffentlichen Druck“ vorgenommen zu haben.
POLITIK & EINFLUSS
Gesundheits„reform“ noch kränker
Erwartungsgemäß gelang es BAYER & Co., bei der Gesundheits„reform“ von CDU und FDP bis zu ihrer endgültigen Verabschiedung noch einige „Nachbesserungen“ zu erreichen. So kommt jetzt zu dem beschleunigten Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung von Gesundheitsleistungen noch eine weitere Aufweichung der Kriterien für die neu eingeführte Kosten/Nutzen-Bewertung von Arzneien dazu. „Der Beschluss über die Nutzen-Bewertung darf nicht der Feststellung der Zulassungsbehörde widersprechen“, formulierte die Kanzlei CLIFFORD CHANCE, die der von BAYER gegründete „Verband der Forschenden Pharma-Hersteller“ (VFA) angeheuert hatte. Der Gesetzgeber übernahm den Text fast wortwörtlich. Die zuständigen Stellen dürften den „medizinischen Nutzen eines Arzneimittels nicht abweichend von der Beurteilung der Zulassungsbehörde bewerten“, variierte die Regierungskoalition die Vorlage. Zudem setzten die Pharma-Riesen eine Umkehr der Beweislast durch. Hatten sie ursprünglich den Nachweis eines Nutzens zu dokumentieren, so müssen die Behörden jetzt Belege für die „Unzweckmäßigkeit“ einer Arznei erbringen, was in der Praxis auf einige Schwierigkeiten stößt. Darüber hinaus sind Medikamente für seltene Krankheiten von dieser Prozedur befreit, wobei praktischerweise auch Mittel gegen so seltene Krankheiten wie Krebs unter einen solchen Exoten-Status fallen, wenn sie ein bestimmtes Umsatzvolumen nicht überschreiten. Und schließlich beschnitten die Pillen-Konzerne noch die Macht der Krankenkassen bei den Verhandlungen zu den Rabattverträgen. „Man hat den Eindruck, dass Lobbyverbände viel erreicht haben“, lautet deshalb das Fazit von Wolf-Dieter Ludwig, dem Vorsitzenden der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“.
BAYER finanziert Obama-GegnerInnen
Bei den jüngsten Wahlen zum US-Kongress investierte BAYER 108.100 Dollar an Wahlkampf-Spenden in republikanische und demokratische KandidatInnen, die den Klimawandel in Abrede stellen oder sich gegen Barack Obamas Klimaschutz-Politik aussprechen (siehe auch SWB 1/11). Und der Konzern erreichte sein Ziel. Die Mehrheitsverhältnisse änderten sich, womit der „American Clean Energy and Security Act“ des US-Präsidenten vorerst auf dem Müllhaufen der Geschichte landete.
Lobbyismus als Dienstleistung
In wichtigen Hauptstädten wie Berlin, Brüssel, Washington und Peking unterhält der Leverkusener Multi mittlerweile so genannte Verbindungsbüros. „Wir bei BAYER verstehen uns als Bestandteil der Gesellschaft und sehen es daher als unsere Pflicht, uns in die gesetzgeberischen Entscheidungsprozesse einzubringen“, sagte der einstige Vorstandsvorsitzende Werner Wenning zur Begründung. Und die oberste Einbringerin in Berlin, Patricia Solaro, betrachtet sich nicht als schnöde Lobbyistin; ihrem Verständnis nach hat sie eine Service-Funktion. „Wir sind Dienstleister für die Politiker, das bedeutet, wir müssen komplexe Sachverhalte aus den Bereichen Pharma, Gesundheit und Chemie verständlich darstellen“. Im Moment gibt die Dame den Abgeordneten Nachhilfe in „steuerlicher Forschungsförderung“ (s. u.), „Bildungsförderung“ und „Ordnungspolitik“.
LobbyistInnen bei der EFSA
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, die unter anderem für die Zulassung von Gen-Pflanzen zuständig ist, steht seit langem in dem Ruf, allzu industrie-freundlich zu sein. Das bestätigte sich im Herbst 2010 noch einmal. Da kam nämlich heraus, dass die EFSA-Verwaltungsratschefin Diána Bánáti auch für das „International Life Science Institute“ (ILSI) tätig ist, das - finanziert unter anderem von BAYER, MONSANTO und COCA COLA - regelmäßig Entlastungsstudien zu Gen- und Nanotechnik sowie zu anderen umstrittenen Praktiken anfertigt. Der bekannte Gentechnik-Gegner und EU-Parlamentarier José Bové forderte die Behörde nach Bekanntwerden des Skandals auf, alle in der Amtszeit von Bánáti gefällten Genehmigungsentscheidungen zu widerrufen. Bánáti blieb nichts anderes übrig, als ihre ILSI-Ämter niederzulegen. Aber der Einfluss des Instituts auf die EFSA besteht trotzdem fort. Es ist im Verwaltungsrat noch durch Milan Kovac vertreten, in der Pestizid-Abteilung durch Raymon Boobis und im Bisphenol-A-Gremium durch Laurence Castle.
Merkel bei BAYER
Während ihrer USA-Reise im April 2010 besuchte Angela Merkel auch die BAYER-Niederlassung im kalifornischen Berkeley. Mit dem Pharma-Vorstand Wolfgang Plischke besichtigte sie die Anlagen zur Produktion des Blutpräparates KOGENATE und zeigte sich laut Konzern-Postille direkt „ebenso wie ihre Delegation sehr beeindruckt von den Hightech-Herstellungsverfahren“. Aber solche „Innovationen“ kommen nach Ansicht des Unternehmens nicht von ungefähr. „Hierbei spielen gute Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle“, erläuterte Plischke der Bundeskanzlerin und führte als Beispiel die von der US-Regierung eingeräumten Steuer-Vorteile für Forschungsaufwändungen an, für die sich der Multi auch hierzulande mit aller Kraft einsetzt. In Berkeley selber spricht der Multi freilich nicht von guten Rahmenbedingungen. Da macht er anderswo bessere aus und setzt die Stadt damit unter Druck (siehe auch SWB 1/11)
Thailändischer Minister bei BAYER
Ende Juli 2010 besuchte der thailändische Industrieminister Chaiwuti Bannawat die BAYER-Zentrale in Leverkusen. Er besichtigte die Sicherheitszentrale und das Entsorgungszentrum Bürrig. Zudem traf er mit Günter Hilgen zusammen, dem Hauptverantwortlichen für das weltweite Polycarbonat-Geschäft des Multis. Bei dem Gespräch dürfte es auch um die Lage im Industriegebiet Map Ta Phut gegangen sein, wo der Konzern eine Anlage betreibt. Wegen der starken Umweltbelastung hatte ein Gericht dort Ende 2009 einen Baustopp für 70 Produktionsstätten, darunter zwei von BAYER, verhängt. Die Regierung lockerte ihn jedoch sukzessive, bis im Oktober 2010 auf der Roten Liste nur noch zwei Projekte übrig blieben.
FDP-Politikerin besucht CURRENTA
Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Ulrike Flach hat CURRENTA, das Gemeinschaftsunternehmen von BAYER und seiner Chemie-Abspaltung LANXESS, einen Besuch abgestattet und dabei dem Chemie„park“-Betreiber liberalen Beistand versichert. „Um die Zukunft unserer Chempark-Standorte zu sichern, sind stabile politische Rahmenbedingungen ebenso unabdingbar wie faire Wettbewerbsbedingungen“, so Flach.
Voigtsberger bei BAYER
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger (SPD) gratulierte BAYER zum 50. Geburtstag des Bergkamener Werkes und sprach auf dem Jubiläumsempfang ein Grußwort.
Wirtschaftsrat vs. Klimaschutz
Der Wirtschaftsrat der Christdemokraten, bei dem der BAYER-Manager Wolfgang Große Entrup das Umweltressort betreut, hat im Vorfeld des CDU-Parteitages im November 2010 neben massiven Kürzungen im Sozialbereich auch eine Revision der Klima-Politik angemahnt. „Die industrielle Basis darf durch steigende Stromkosten sowie Mehrfachbelastungen bei der Ökosteuer und im Emissionshandel nicht zerstört werden“, hält der Rat fest. Angesichts eines angeblich marginalen Anteils der Bundesrepublik am klima-zerstörenden Kohlendioxid-Ausstoß möchte er den Ausbau der Erneuerbaren Energien stoppen. Zudem bekennen sich Große Entrup & Co. zu der Verlängerung der AKW-Laufzeiten und fordern ganz allgemein einen Paradigmenwechsel: „Die Wirtschaftlichkeit des Energiesystems muss wieder oberste Priorität haben“.
VCI-Wahlkampfspenden: 170.000 Euro
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat von 2002 bis 2010 Wahlkampf-Spenden in Höhe von 170.000 Euro geleistet. Dabei ging der Lobby-Club von BAYER & Co. selektiv vor und bedachte nur CDU und FDP; die Christdemokraten erhielten 100.000 Euro und die Liberalen 70.000 Euro.
PROPAGANDA & MEDIEN
Beschwerde beim Kölner Stadtanzeiger
Im letzten Jahr hatte ein Journalist die Aktivitäten der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN während der BAYER-Hauptsammlung für das Video-Portal des Kölner Stadtanzeigers gefilmt. Das passte dem Leverkusener Multi nicht. Er schrieb einen Beschwerde-Brief an die Chefredaktion. Die Zeitung ließ sich aber ebenso wenig einschüchtern wie der Filmemacher, der dem Konzern antwortete, er suche sich seine Themen immer noch selber aus.
BAYER sponsert Weltverhütungstag
„Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson über seine Vorstellung von „Entwicklungshilfe“. Zur Freude des Leverkusener Multis erfreut sich diese Ansicht auch heute noch großer Beliebtheit, die „gigantischen Fruchtbarkeitsmärkte“ in den armen Ländern versprechen nämlich gute Absatzchancen für die Verhütungsmittel des Konzerns. Um die Geschäftsaussichten für YASMIN & Co. noch ein wenig zu verbessern, beteiligt er sich auch 2010 wieder am Weltverhütungstag. Dieses Mal legt die Reklame-Veranstaltung den Schwerpunkt auf ungewollte Schwangerschaften von Jugendlichen infolge ihrer Sexualpraktiken. „Der am häufigsten genannte Grund für ungeschützten Geschlechtsverkehr ist die fehlende Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln“, hält die „Deutsche Stiftung Weltbevölkerung“ zum von ihr mitausgerichteten Weltverhütungstag fest und rührt damit die Werbetrommel für einen ihrer Hauptsponsoren. BAYER hat die Stiftung im Jahr 2009 nämlich mit einer Spende von über 10.000 Euro bedacht.
BAYER spendet an „Die Arche“
BAYERs BEPANTHEN-Kinderförderung unterstützt seit längerem das Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“, das dem evangelikalen Verband „Deutsche Evangelische Allianz“ angehört, und investiert damit in das SozialarbeiterInnen-Image des Konzerns. Dieses Jahr dachte sich der Leverkusener Multi allerdings eine besonders lukrative Win/Win-Situation aus. Er vermittelte seinen KundInnen die Illusion, beim Kauf von BEPANTHEN Gutes zu tun und honorierte die Rückgabe einer leeren und den Erwerb einer neuen Packung der Wundsalbe mit einem Euro für „Die Arche“. 45.000 Euro kamen so zusammen.
BAYERs Standort-Kampagne
Der Pharma-Riese spielt seinem Stammsitz Leverkusen seit längerer Zeit übel mit. Das Werk schrumpft und schrumpft und damit auch die Zahl der Arbeitsplätze, die Gewerbesteuer fließt nur noch spärlich und die vielbeschworene BAYER-Familie wird dysfunktionaler und dysfunktionaler. Deshalb hatte der Multi im letzten Jahr unter dem Motto „Leverkusen und BAYER. Ein starkes Team“ eine Image-Kampagne mit Anzeigen, lokaler Internet-Seite und mehreren Wettbewerben begonnen. Einer von ihnen forderte SchülerInnen auf, sich zu „Leverkusen begeistert“ etwas einfallen zu lassen. 60 Kinder und Jugendliche fühlten sich angesprochen und fertigten Arbeiten an, die das Unternehmen dann der Öffentlichkeit präsentierte. Auch die Kooperation mit der Rheinischen Post läuft weiter. Nach einem Leverkusen-Quiz veranstaltete der Global Player mit seinem „Medienpartner“ im Juni eine Stadtrallye für Schulklassen; als Hauptgewinn winkte eine Unterrichtsstunde mit Armin Maiwald von Der Sendung mit der Maus.
BAYER zeigt Ausstellung
Der Leverkusener Multi kooperiert mit dem UN-Umweltprogramm UNEP, um seine jährlich acht Millionen Tonnen CO2-Ausstoß und andere Missetaten vergessen zu lassen. Eine Frucht dieses Greenwashings stellt ein Kinder-Malwettwerb zum Thema „Klimawandel“ dar. Die prämierten Arbeiten präsentierte der Multi während des Junis 2010 in der Hagener Stadtsparkasse.
Klima-Preis an Peter Lemke
BAYER hat im Geschäftsjahr 2009 die Wenigkeit von acht Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft geblasen und fühlt sich trotzdem berufen, Klima-Preise zu verleihen. Den diesjährigen „BAYER Climate Award“ erhielt Peter Lemke vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für seine Forschungen zu den Auswirkungen der Erderwärmung auf die Polkappen.
TIERE & VERSUCHE
Kontrollierter Versuchstier-Anbau
171.251 Versuchstiere fanden 2009 den Weg in die BAYER-Labore, davon über 1.000 Hunde, Katzen und Affen. Dabei betont der Konzern aber, wie sorgsam er seine Kandidaten aussucht. So kommen die Hunde nur von speziellen, streng kontrollierten ZüchterInnen. Und wenn sie die Tests überleben, verschenkt der Leverkusener Multi sie sogar. Da kann man ja fast schon von Tierliebe sprechen!
Tierquälereien bei PLRS
Nach Recherchen der Tierrechtsorganisation PETA kommt es beim US-amerikanischen Tierversuchsunternehmen PROFESSIONAL LABORATORY AND RESEARCH SERVICES (PLRS), bei dem BAYER Floh- und Zeckenmittel wie ADVANTAGE testen lässt, zu Tierquälereien in großem Ausmaß. Die Beschäftigten zerren Kaninchen an Ohren, reißen Hundewelpen an der Kehle hoch und schleudern Katzen in ihre Käfige. Eine tierärztliche Versorgung findet ebenfalls nicht statt. „Das Leben der Tiere bei PLRS ist ein Alptraum. Kein Hunde- oder Katzenhalter kann akzeptieren, dass Hunde und Katzen so schrecklich gequält werden. Die Verantwortlichen in den Pharma-Konzernen müssen unverzüglich reagieren“, fordert Christine Esch von PETA deshalb.
DRUGS & PILLS
Noch mehr YAZ & Co.
Trotz zahlreicher Todesfälle und starker Nebenwirkungen setzt BAYER weiter auf Kontrazeptiva aus der YASMIN-Familie. Weil für die Präparate der Patentschutz ausläuft, entwickelt der Leverkusener Multi fieberhaft Varianten mit geringfügigen Abweichungen. So hat er in den USA für BEYAZ die Zulassung erhalten, das zusätzlich zu den YAZ-Wirkstoffen noch Vitamin B enthält, um einer angeblichen Unterversorgung bei späteren Schwangerschaften und daraus resultierenden Geburtsfehlern vorzubeugen.
VALETTEs Thrombose-Risiko
BAYER hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die das Thromboembolie-Risiko des Verhütungsmittels VALETTE im Vergleich zu demjenigen von Levonorgestrel-haltigen Pillen bestimmen sollte. Wenn es weniger als doppelt so viel Thromboembolie-Fälle unter dem Dienogest-haltigen VALETTE wie unter den anderen Mitteln gibt, dann wollte das Studien-Design von einer „Nichtunterlegenheit“ sprechen. Dieses Kriterium erreichte das Kontrazeptivum mit einem Wert von 1,8 knapp. Das industrie-unabhängige arznei-telegramm beurteilt das Ergebnis deshalb skeptisch. „Die Unbedenklichkeit der Dienogest-haltigen Kombination ist unseres Erachtens dennoch nicht belegt: Der obere Wert des Vertrauensbereichs von 1,8 bedeutet, dass das Risiko venöser thromboembolischer Ereignisse unter Dienogest bis zu 80 % höher sein kann als unter Levonorgestrel – für die Annahme von Nichtunterlegenheit inakzeptabel hoch“, schreibt das Fachorgan. Zudem zieht es die Seriösität des mit der Studie beauftragten ZEG Berlin in Zweifel, da ein ehemaliger SCHERING-Beschäftigter dieses leitet und es regelmäßig durch für die Pharma-Riesen günstige Bewertungen auffällt. „Solange unabhängige Studien fehlen, raten wir von Dienogest-haltigen Kontrazeptiva ab“, lautet aus diesem Grund das Resümee des arznei-telegramms.
LEVITRA als Schmelztablette
BAYERs Potenzpille gibt es jetzt auch als Schmelztablette. Im Juni 2010 haben die US-amerikanischen Behörden die neue Version namens STAXYN zugelassen. Aber auch ein zarter Schmelz kann nicht verhindern, dass das Mittel zahlreiche Nebenwirkungen hat. Temporärer Gedächtnisverlust, zeitweilige oder dauerhafte Hörschäden, Sehstörungen bis zum Sehverlust, Schwindel, Höhenangst, Kopfschmerzen, Nasenschleimhaut-Entzündungen, Grippe-Symptome sowie Gesichtsrötungen zählen dazu.
LEVITRA mit Pfefferminz-Geschmack
Damit die Potenz-Pille LEVITRA auch nach Lifestyle-Präparat schmeckt und nicht mehr nach Arznei, hat der Leverkusener Multi sie mit einem Pfefferminz-Aroma aus seinem reichhaltigen Chemiebaukasten versehen. Die Risiken und Nebenwirkungen bleiben allerdings bestehen. Temporärer Gedächtnisverlust, zeitweilige oder dauerhafte Hörschäden, Sehstörungen bis zum Sehverlust, Schwindel, Höhenangst, Kopfschmerzen, Nasenschleimhaut-Entzündungen, Grippe-Symptome und Gesichtsrötungen zählen dazu.
ALPHARADIN bei Prostata-Krebs?
BAYER erprobt gerade in der dritten und letzten Test-Phase ein neues Präparat zur Behandlung von Prostata-Krebs. Wie andere zur Zeit noch getestete Präparate (siehe GENE & KLONE) und das bereits auf dem Markt befindliche NEXAVAR ist der Einsatz von ALPHARADIN jedoch nur bei PatientInnen vorgesehen, bei denen andere Therapien versagt haben. Erst wenn bei dem Prostata-Kranken eine Hormon-Behandlung erfolglos geblieben ist und sich zudem noch Metastasen im Knochen gebildet haben, sollen die MedizinerInnen später einmal das von RadiologInnen entwickelte ALPHARADIN verschreiben dürfen, um mittels Alpha-Strahlen das Tumor-Wachstum zu hemmen.
Herzinfarkt durch NEBIDO & Co.
Vor einiger Zeit hat BAYER die Krankheit „Testosteron-Mangel“ erfunden, um für Testosteron-Präparate wie NEBIDO und TESTOGEL das neue Geschäftsfeld „Männergesundheit“ zu etablieren. Eine neue Untersuchung, aus den USA warnt jedoch vor den Mitteln. Die WissenschaftlerInnen mussten die Studie sogar abbrechen, weil es unter den ProbandInnen der Testosterongruppe vermehrt zu kardiovaskulären Ereignissen, darunter ein tödlicher Herzinfarkt, gekommen war (siehe SWB 1/11).
Kein MAGNEVIST für Nierenkranke
BAYERs Röntgen-Kontrastmittel MAGNEVIST enthält das chemische Element Gadolinium, das bei vielen Nierenkranken eine Fibrose auslöst. In Einzelfällen führte dieses unkontrollierte Wachstum des Bindegewebes sogar zum Tod der PatientInnen. Deshalb sieht sich der Leverkusener Multi bereits mit über 300 Klagen von Opfern oder deren Angehörigen konfrontiert. Die US-Gesundheitsbehörde FDA sah sich zu einer Reaktion gezwungen. Sie untersagte die Verwendung von MAGNEVIST bei Personen mit Nierenstörungen.
Arznei gegen Makula-Degeneration?
BAYER entwickelt eine Arznei gegen die Makula-Degeneration. Bei dieser Krankheit bilden sich am Auge Gefäß-Wucherungen, die auf die Netzhaut drücken und zur Erblindung führen können. Mit dem neuen Wirkstoff „VEGF Trap Eye“ will der Leverkusener Multi das Wachstum des Gewebes hemmen. Auch bei der speziellen Art der Makula-Degeneration, wie sie manche DiabetikerInnen erleiden, soll das Mittel zum Einsatz kommen.
BAYER unterstützt Parkinson-Verband
BAYER gehört zu den 16 Pharma-Unternehmen, welche die „Deutsche Parkinson-Vereinigung“ sponsern. Damit erschließt sich der Leverkusener Multi schon mal den KundInnenkreis für die Parkinson-Arzneien, an denen er gerade forscht.
Pillen-Preise: plus 4,8 Prozent
Und immer wieder steigen die Pillen-Preise. 2009 haben die Krankenkassen 32,4 Milliarden Euro für Arzneien aufwenden müssen - 4,8 Prozent mehr als 2008. In anderen europäischen Ländern liegen die Kosten längst nicht so hoch. So zahlen Frauen in der Bundesrepublik für BAYERs umstrittenes Verhütungsmittel YASMIN (siehe auch RECHT & UNBILLIG) pro Dreimonatspackung 39,40 Euro, in England aber nur 16,80 Euro. ASPIRIN schlägt hierzulande mit 20 Cent pro Tablette zu Buche, in Russland mit 15, in der Tschechoslowakei mit 14, in Griechenland mit 3 und in England mit 2 Cent. „Preissubventionen von 9,4 Milliarden Euro für die Pharma-Industrie sind weder ökonomisch noch gesundheitspolitisch vertretbar“, kommentierte der Heidelberger Pharmakologe Ulrich Schwabe die Preis-Unterschiede.
PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE
Pestizide in Strauchbeeren
GREENPEACE hat die Pestizid-Belastung von Strauchbeeren untersucht. Während die Ackergift-Rückstände in Himbeeren zurückgingen, nahmen sie in Johannisbeeren zu. Agrochemikalien made by BAYER fanden sich in beiden Beeren-Arten. In Himbeeren wiesen die ForscherInnen Tebuconazole (Produktname: FOLICUR) und Thiacloprid (CALIPSO, PROTEUS) nach, die beide wegen ihrer Gefährlichkeit EU-weit keine neue Zulassung mehr erhalten, und in Johannisbeeren mit Tolylfluanid (EUPAREN) zusätzlich noch ein weiteres Auslaufmodell sowie Trifloxystrobin (NATIVO, CORONET). Dabei überschritt zwar kein einziger der 20 aufgespürten Wirkstoffe die zulässigen Höchstwerte, aber die Masse machts. „Es ist ein gängiger Trick: Um die gesetzlichen Grenzwerte für die einzelnen Pestizide einzuhalten, spritzen die Produzenten ihr Obst mit einem Cocktail aus vielen verschiedenen Pestiziden“, kritisierte der GREENPEACE-Experte Manfred Santen.
K-OBIOL für Getreidelager
Nicht nur auf den Feldern kommt Weizen, Gerste & Co. mit Pestiziden in Berührung, sondern auch bei der Lagerung. So bietet BAYER für die Getreide-Kammern das Insektizid K-OBIOL mit den Wirkstoffen Deltamethrin und Piperonylbutoxid an. „Dies ist das einzige in Deutschland zugelassene Produkt für die Spritz-Applikation in Leerräumen“, wirbt der Konzern und preist den Effekt der Agro-Chemikalie auf Getreidemotten, Getreidekapuziner, Kornkäfer und Reismehlkäfer.
Pestizid-Gefahr: Keine Besserung
BAYER & Co. betonen bei jeder Gelegenheit die Unbedenklichkeit ihrer Pestizide und legen dar, mit wieviel Mühe sie gerade in Ländern des Südens über die richtige Handhabung ihrer Produkte informieren, um etwaige Gesundheitsschädigungen zu vermeiden. Der neue Bericht „Communities in peril“, den das PESTIZID-AKTIONS-NETZWERK (PAN) herausgegeben hat, kann jedoch keine Erfolge verzeichnen: Nach wie vor kommt es zu zahllosen Vergiftungen. „Die Ergebnisse des Monitoring wiederlegen die von den Pestizid-Herstellern gemachten Aussagen zur „sicheren Anwendung von Pestiziden. Die Daten zeigen, dass die Pestizid-Anwendungsbedingungen in den Ländern des globalen Südens dazu führen, dass Menschen regelmäßig Schaden erleiden“, konstatierte Dr. Abou Thiam von der afrikanischen PAN-Sektion.
GENE & KLONE
Bald mehr Zulassungen?
Die EU will es künftig ihren Mitgliedsstaaten überlassen, Genpflanzen zu genehmigen. Und Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) plant, den Stab gleich weiterzugeben und die einzelnen Bundesländer entscheiden zu lassen. Sie weiß nämlich um die zahlreichen Gentech-GegnerInnen in ihrer bayerischen Heimat und möchte ihre StammwählerInnen nicht vergraulen. BeobachterInnen rechnen durch die neuen Regelungen mit mehr Zulassungen für die Laborfrüchte.
Neue Stammzell-Fabrik
In Nordrhein-Westfalen entsteht mit staatlichen Subventionen eine Fabrik zur Produktion von „Induzierten Pluripotenten Stammzellen“ (IPS). Diese Stammzellen, die hauptsächlich zur Erprobung von Medikamenten dienen sollen, erzeugen ForscherInnen durch eine „Rückprogrammierung“ normaler Körperzellen, sie gewinnen sie also nicht durch das Abtöten von Embryos. Für den Bau der Anlage ist BAYER TECHNOLOGY SERVICES zuständig. Betreiben wird sie die LIFE AND BRAIN GmbH des an der Universität Bonn lehrenden, berühmt-berüchtigten Genforschers Dr. Oliver Brüstle. Da der Leverkusener Multi selber Patente auf die Herstellung von IPS hält, dürfte eine spätere Zusammenarbeit auch auf medizinischem Gebiet nicht ausgeschlossen sein.
Kooperation mit ONCOMED
BAYER will die Forschungen von ONCOMED zu Krebs-Stammzellen nutzen und hat eine Kooperation mit dem kanadischen Unternehmen vereinbart. Die Partner planen, gemeinsam einen Stoff zu entwickeln, der die Arbeit von Krebs-Stammzellen hemmt und so Tumorzellen am Wachstum hindert. Theorie und Praxis liegen allerdings oft ziemlich weit auseinander. So gelingt es BAYERs ebenfalls in den Organismus von Krebszellen eingreifendes Krebsmittel NEXAVAR gerade einmal, das Leben der PatientInnen um zwei, drei Monate zu verlängern (SWB 4/10).
Regorafenib bei Darmkrebs?
BAYER testet ein neues Darmkrebs-Mittel. Die Substanz Regorafenib, welche die Blutzufuhr von Tumorzellen unterbinden und so ihr Wachstum hemmen soll, befindet sich in der dritten und letzten Phase der Klinischen Versuche. Er ist allerdings nur für einen Einsatz bei PatientInnen vorgesehen, bei denen die Standard-Therapien versagt haben und dürfte auch nicht lebensverlängernder wirken als das Konzern-Produkt NEXAVAR (s. o.).
Kein T25-Mais in Europa
Kurz nachdem ein brasilianisches Gericht die Anbau-Genehmigung für BAYERs Genmais „T25“ aus Sicherheitsgründen zurückgezogen hatte (siehe RECHT & UNBILLIG), erklärte das Unternehmen den Verzicht darauf, die Sorte in Europa zu vertreiben. Unter anderem begründete der Leverkusener Multi diesen Schritt damit, keine Genehmigung für die Ausbringung des in Kombination mit „T25“ vermarkteten Ultragifts Glufosinat auf Mais-Feldern zu haben.
Mehr Gentech, mehr Schadinsekten
Da hat die Gentechnik mal wieder ein Eigentor geschossen: Die mit dem giftigen Bacillus thuringiensis (Bt) bestückten Mais-Arten von MONSANTO, BAYER und anderen Anbietern haben in den USA die Bestände des Baumwollkapselbohrers empfindlich dezimiert und dadurch seinem Fraßkonkurrenten, dem Westlichen Bohnenschneider, zu neuer Blüte verholfen, was wiederum die Maispflanzen-Blüte empfindlich stört. Aber die Agro-Riesen wissen Abhilfe: Sie raten zu vermehrtem Insektizid-Einsatz oder zum Kauf von neuen, gleich mit mehreren Bt-Sorten bestückten Laborfrüchten.
Indien: Bt-Baumwolle lohnt nicht
Während in den USA die mit dem giftigen Bacillus thuringiensis (Bt) ausgestatteten Genpflanzen von MONSANTO, BAYER & Co. die Populationen des Baumwollkapselbohrers empfindlich treffen (s. o.), breiten sich in Indien erste Resistenz-Reaktionen unter den Insekten aus. Darum müssen die LandwirtInnen zusätzlich Pestizide einsetzen. Nach einer Studie von GREENPEACE greifen die InderInnen dabei mit am häufigsten zu Monocrotophos, einem Wirkstoff, den BAYER nach eigenen Angaben eigentlich wegen seiner Gefährlichkeit schon länger aus dem Angebot gestrichen haben will. Aber nicht nur wegen der Zusatz-Ausgaben für Agro-Chemikalien lohnt sich für die FarmerInnen der Anbau von Bt-Baumwolle nicht. Der Untersuchung zufolge müssen sie auch empfindlich mehr für das Saatgut bezahlen, ohne einen im Vergleich zu Bio-Bauern und -bäuerinnen höheren Ernte-Ertrag zu haben. Überdies können ihre Gen-Pflanzen nicht so gut Trockenheitsperioden trotzen wie die Bio-Produkte ihrer KollegInnen. Deshalb lautet das Fazit von GREENPEACE: „Zusammenfassend machen die Ergebnisse der Untersuchung deutlich, dass Bt-Baumwolle ein erhebliches finanzielles Risiko bedeutet für von Armut betroffene Kleinbauern, die Regenfeld-Anbau betreiben. Auf der anderen Seite stellt Bio-Baumwolle offensichtlich eine Option zur Reduzierung von Armut und der Verbesserung von Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten dar.“
Kooperation mit DOW CHEMICAL
Schadinsekten gewöhnen sich zunehmend an die Pestizide, welche die Hersteller im Kombipack mit ihren gegen diese Wirkstoffe resistenten Genpflanzen verkaufen (s. o.). Deshalb gehen BAYER & Co. nach der Devise „Doppelt hält besser“ immer mehr dazu über, ihre Sorten gleich gegen mehrere Agrochemikalien immun zu machen und gewähren sich gegenseitig Zugriff auf ihre Technologien. Nach Lizenzabkommen mit MONSANTO, DUPONT und SYNGENTA hat der Leverkusener Multi jetzt einen Vertrag mit DOW AGRO SCIENCES geschlossen. Nach dieser Vereinbarung kann der Agro-Riese die DOW-Erfindung WIDESTRIKE nutzen, während das US-Unternehmen die Verfügungsrechte über die BAYER-Entwicklung GLYTOL erhält, die Genpflanzen resistent gegen das Herbizid Glyphosat macht.
Glyphosat schädigt Bodenorganismen
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat, den BAYER & Co. im Kombi-Pack mit ihren gegen diese Substanz immun gemachten Genpflanzen verkaufen, kann Bodenorganismen schädigen. Das ergab eine wissenschaftliche Untersuchung, die das European Journal of Agronomy im Oktober 2009 veröffentlichte. So tötet die Substanz Bakterien ab, die den Boden mit Stickstoff versorgen und auf diese Weise zum guten Gedeihen der Ackerfrüchte beitragen.
PFLANZEN & SAATEN
Patente auf konventionelle Pflanzen
Nicht nur auf gen-manipulierte Ackerfrüchte, sondern auch auf mittels konventioneller Verfahren gezüchtete erheben die Konzerne Patentansprüche. 1.260 Mal hat das Europäische Patentamt diese bis Dezember 2009 schon anerkannt. BAYER bekam unter anderem ein Schutzrecht auf eine herbizid-resistente Mais-Art zugesprochen und will gerade Methoden zur Züchtung von Pflanzen zur Agrodiesel-Produktion als geistiges Eigentum schützen lassen.
WASSER, BODEN & LUFT
Bisphenol A belastet den Rhein
BAYER ist einer der größter Hersteller der Industrie-Chemikalie Bisphenol A, die unter anderem in Baby-Flaschen und Konservendosen Verwendung findet und zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen kann (siehe SWB 4/10). Zu allem Unglück verunreinigt die Substanz laut Bewirtschaftungsbericht des NRW-Umweltministeriums auch den Rhein, wobei die Konzentration an mehreren Messstellen sogar die Orientierungswerte - Grenzwerte gibt es für den Stoff nicht - überschritten hat.
Nordsee ist Mordsee
Etwa 6.000 Giftgas-Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg liegen zweieinhalb Seemeilen vor Helgoland in der Nordsee (Ticker 4/09). Bestückt sind sie mit dem Kampfstoff Tabun, den Gerhard Schrader 1936 im Wuppertaler BAYER-Werk entwickelt hatte. Anfang des Jahres entschied die schleswig-holsteinische Landesregierung, die 90 Tonnen schweren Geschosse auf dem Meeresgrund zu lassen, weil sie bei einer Bergung zu explodieren drohen. Die PolitikerInnen wollen jetzt lediglich das Verlegen von Leitungen durch das Areal verhindern und „die Marine bitten, ihre Übungen in diesem Gebiet einzuschränken“. Den UmweltschützerInnen des Waterkant-Magazins reicht das nicht. „Nur ein generelles Verbot aller Aktivitäten mit Bezug zum Meeresgrund, rechtskräftig verankert und von Überwachung begleitet, kann Risiken ausschließen“, heißt es in dem Blatt.
Sanierung mit Nebenwirkungen
Bis zum Jahr 2003 betrieb BAYER im englischen Hauxton nahe Cambridge ein Werk. Bei der Schließung hinterließ der Konzern in Boden und Grundwasser jede Menge Altlasten. Trotzdem sollen auf dem Gelände Wohnhäuser entstehen. Auf politischen Druck hin hat sich der Investor auch zu Sanierungsmaßnahmen durchringen können. Im Frühjahr haben die Arbeiten begonnen, bei denen die im Erdreich schlummernden Schadstoffe allerdings zu neuem Leben erwachten. Sie verströmten einen üblen Geruch, der krank machte. Einer Untersuchung der Initiative HAUXAIR zufolge klagten mehr als die Hälfte der 402 AnwohnerInnen über Atemprobleme, Kopf- und Halsschmerzen sowie andere Gesundheitsstörungen.
GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV
Bisphenol in Kassenbons
Bislang fand sich die Industrie-Chemikalie Bisphenol A hauptsächlich in Lebensmittel-Verpackungen wie Konservendosen und Babyflaschen wieder. Jetzt spürten ForscherInnen diese Substanz, zu deren größten Herstellern BAYER zählt, auch in Kassenbons auf. Da der Stoff zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen kann, hat der REWE-Konzern bereits angekündigt, in Zukunft anderes Thermopapier für die Ausdrucke zu verwenden.
Bisphenol: EFSA tut nichts
Immer mehr Länder untersagen die Verwendung der gefährlichen Chemikalie Bisphenol A (s. o.), zu deren größten Herstellern BAYER zählt, in Babyflaschen und anderen Lebensmittel-Behältnissen. Die Bundesregierung wollte eine Stellungnahme der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA abwarten, ehe sie eine Entscheidung trifft. Im Herbst veröffentlichte die Behörde nun ihre Einschätzung und gab Entwarnung. Damit blieb sie ihrem industrie-freundlichen Ruf wieder einmal treu, für den im Bisphenol-A-Gremium besonders der für das von BAYER & Co. finanzierte „International Life Science Institute“ tätige Laurence Castle gesorgt haben dürfte (siehe auch POLITIK & EINFLUSS). Zum Glück scheint auch die EU ihrer eigenen Institution nicht recht über den Weg zu trauen. So kündigte der VerbraucherInnenschutz-Kommissar John Dalli trotz des EFSA-Gutachtens einen Vorstoß zum Verbot von Bisphenol in Babyflaschen an.
CO & CO.
Kein CO mehr übrig
Der Leverkusener Multi hat den Bau der Kohlenmonoxid-Pipeline stets damit begründet, das am Standort Dormagen im Überfluss vorhandene Gas ins mit CO unterversorgte Krefeld leiten zu wollen. Diese Argumentation ist jetzt hinfällig geworden, denn das in Dormagen vorhandene Kohlenmonoxid wird nicht ausreichen, um dort den Bedarf des 2014 in Betrieb gehenden neuen Kunststoff-Werkes decken zu können. Deshalb will BAYER sogar eine neue CO-Anlage bauen. An der Verbundleitung hält der Konzern aber trotzdem fest: „Nur eine Vernetzung gewährleistet die Versorgungssicherheit“.
Röttgens Jein zur Pipeline
Im September 2010 ging Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) auf Distanz zur BAYER-Pipeline. „Jenseits des rechtlichen Aspektes ist meine Meinung, dass so, wie das Projekt begonnen wurde - mit einer Vernachlässigung der Sicherheit - es keine Zukunft hat“, sagte er auf einer Regionalkonferenz im Zuge seines Landesparteivorsitzenden-Wahlkampfs. Als „geprägt von Nachbesserungen und Fehlern“ kritisierte er die Bauarbeiten und ließ auch ökonomische Gründe für die Giftgas-Leitung nicht gelten. „Besorgnissen und Fragen vor Ort kann man nicht mit dem pauschalen Argument Wirtschaftsstandort begegnen“, so der Politiker. Nach seiner erfolgreichen Wahl zum Landeschef der NRW-CDU hörte sich das alles aber schon wieder etwas anders an. „Ich bin nicht gegen die Pipeline, aber ich bin davon überzeugt, dass man die Bürger ernst nehmen muss und sich nicht einfach auf getroffene Entscheidungen berufen kann“, stellte er in der Rheinischen Post klar.
Erneuter Bomben-Fund
Nur 16 Meter von der Pipeline-Trasse entfernt stießen Straßenbau-Arbeiter unmittelbar unter der Erdoberfläche auf eine noch scharfe Fünf-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Es war nicht der erste Fund dieser Art: Zwei Granaten, zwei 10-Zentner-Blindgänger, Bombenreste und ein Maschinengewehr wurden entlang der Strecke bereits zu Tage gefördert. Da die Kampfmittel normalerweise vier bis fünf Meter tief im Boden liegen, hegen Mitglieder der Anti-Pipeline-Bürgerinitiativen den Verdacht, dass die Bombe während der Arbeiten an der Kohlenmonoxid-Leitung auf die Schippe eines Baggers geriet und unbemerkt „umgebettet“ wurde. Eigentlich hätte die Firma WINGAS die Bombe bereits bei ihrer Suche nach explosivem Material finden müssen, die sie erst auf Druck der Bezirksregierung durchgeführt hatte. Aber die verwendeten Luftbild-Aufnahmen reichten dafür offensichtlich nicht aus. Deshalb forderten die Pipeline-GegnerInnen unverzüglich: „Unter der gesamten Trasse muss sondiert werden. Sonst haben wir keine Garantie dafür, dass dort nicht noch Kampfmittel liegen“.
Erneute Mängel
Wieder einmal Pfusch am Pipeline-Bau: An drei Stellen ist die Isolierung der Rohrleitung beschädigt, so dass kein Rostschutz mehr besteht. An zwei weiteren Abschnitten überprüft der Leverkusener Multi noch entsprechende Verdachtsmomente. „Bei den entdeckten Fehlstellen handelt es sich um kleine Schäden an der Isolierung. Die können bei aller Einbau-Sorgfalt vorkommen“, versucht BAYERs Pipeline-Beauftragter Werner Breuer die Sache zu verharmlosen. Aber die unter neuer Leitung stehende Bezirksregierung spielte da nicht mit, verhängte einen Baustopp und sandte dem Pharma-Riesen einen Katalog mit 25 Fragen zu den erneuten Pannen zu.
Neues Pipeline-Verfahren
BAYER ist beim Bau der umstrittenen Kohlenmonoxid-Pipeline, welche die Standorte Dormagen und Krefeld miteinander verbinden soll, in 66 Fällen von den Planvorgaben abgewichen (Ticker 1/09). Der Leverkusener Multi verwendete zur Abschirmung der Rohre nur eine 60cm breite Geogrid-Matte statt einer 80cm langen, verlegte mancherorts nur 5,6mm starke Rohre statt solche mit einer Wandstärke von 6,3mm und änderte auch den Trassenverlauf. Damit hat der Leverkusener Multi nach Meinung des grünen Umweltministers Johannes Remmel und der - ebenfalls grünen - neuen Regierungspräsidentin Anne Lütkes neue Tatsachen geschaffen, die einer neuen Genehmigung bedürfen. Deshalb bereiten sie ein Planänderungsverfahren mit Bürgerbeteiligung vor. Dieses kann zwar nicht das dem Bau zugrunde liegende Planfeststellungsverfahren für null und nichtig erklären, aber doch für nochmalige Verzögerungen sorgen. Trotzdem gibt der Konzern sich demonstrativ gelassen: „Wir sind von der Ankündigung des Ministers nicht überrascht und begrüßen das Verfahren. Das gibt uns die Möglichkeit, Planungsanpassungen wie etwa die punktuelle Verlegung von Trassen zu erklären“.
Voigtsberger für Pipeline
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger bekannte sich auf einer Veranstaltung der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE zu BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline. „Die CO-Pipeline ist notwendig“, konstatierte der Politiker. Und um das allen klar zu machen, schlug er ein Schlichtungsverfahren nach Stuttgarter Vorbild vor. Aber an einem Demokratie-Spiel mit vorher festgelegtem Ende wollen sich die Bürgerinitiativen nicht beteiligen. Auch die Grünen reagierten ablehnend auf den Vorstoß, der schließlich auch zu einem Streit innerhalb der rot-grünen Koalition führte. Nach Informationen der Rheinischen Post sprach Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ein Machtwort und kritisierte Voigtsberger intern für seine nicht dem Koalitionsvertrag entsprechenden Äußerungen.
NANO & CO.
Beschichtungen aus Nano-Silber
Nano leitet sich vom griechischen Wort für Zwerg ab. Die Nanotechnik beschäftigt sich folglich mit der Entwicklung von mikroskopisch kleinen Werkstoffen. Für die Risiken und Nebenwirkungen dieser „Zukunftstechnologie“ fühlt sich allerdings niemand verantwortlich. Dabei gibt es immer mehr alarmierende Hinweise. So können Nano-Stoffe nach einer Untersuchung der Universität Edinburgh das Gewebe angreifen und ähnlich wie in der Vergangenheit Asbest Entzündungen auslösen. Trotzdem produziert BAYER seine Nano-Röhrchen namens BAYTUBES munter weiter. Sie finden mittlerweile in Duftkapseln, Folien, Flüsterschotter, Eishockeyschlägern, Windrad-Flügeln, Akkus und Farbstoffen zur medizinischen Diagnostik Verwendung. Zudem entwickelt der Multi zur Zeit auch eine antibakterielle Beschichtung aus Nano-Silber für Medizin-Produkte wie Katheder und Schläuche.
Keine kommerzielle Nano-Produktion?
Im Monatsabstand vermeldet BAYER neue Anwendungsmöglichkeiten für seine Nano-Produkte. So finden die CNT-Röhrchen, denen Studie asbest-ähnliche Wirkungen bescheinigen, dem Konzern zufolge mittlerweile in Duftkapseln, Folien, Flüsterschotter, Eishockeyschlägern, Kathedern, Schläuchen, Windrad-Flügeln, Akkus und Farbstoffen zur medizinischen Diagnostik Verwendung. Die entsprechende Anlage in Leverkusen müsste nach der Schließung der Produktion in Laufenberg also auf Hochbetrieb laufen. Allerdings handelt es sich dabei nur um ein Technikum, das kein Genehmigungsverfahren durchlaufen hat und deshalb eigentlich auch keine zum Verkauf bestimmten Waren herstellen dürfte. Um den Sachverhalt aufzuklären, richtete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN eine Anfrage an die Bezirksregierung. Demnach scheinen die Geschäfte mit den CNT-Röhrchen entgegen den vollmundigen Aussagen des Unternehmens nur im Nano-Maßstab zu laufen - falls der Multi keine „Irreführung der Behörden“ betreibt. „Anfragen bei potenziellen Kunden haben inzwischen gezeigt, dass der Markt CNT-Material mit anderen Eigenschaften benötigt“, antwortete die Bezirksregierung. „Wegen der unzureichenden Nachfrage auf dem Markt“ habe BAYER nicht beantragt, Teile der Produktion zu verkaufen.
PLASTE & ELASTE
SABIC will Kunststoff-Sparte
Ende September 2010 hatte BAYER-Sprecher Hans-Bernd Schmitz dementiert, dass der Leverkusener Multi sich von seiner Kunststoff-Sparte BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) trennen wolle. „Wer soll BMS kaufen“, fragte er rhetorisch und schloss namentlich den saudisch-arabischen Mitwerber SABIC als Abnehmer aus. Just der bekundete aber einen Monat später ernsthaftes Interesse. „Wenn BAYER auf uns zukäme, würden wir uns das durchaus anschauen“, bekannte SABIC-Chef Mohamed Al-Mady in der Zeit. Trotz des derzeitigen Bekenntnisses des neuen BAYER-Chefs Marijn Dekkers zu Plaste und Elaste dürften die Trennungsgerüchte um BMS also vorerst nicht verstummen.
Kunststoffpreise heben an
BAYER profitiert von steigenden Kunststoff-Preisen. So mussten die AbnehmerInnen für Polycarbonate in jüngster Zeit Aufschläge von 25 Prozent in Kauf nehmen und erwarten einen noch kräftigeren Anstieg. Wilfried Haese von BAYER MATERIAL SCIENCE erklärt das mit der höheren Nachfrage, der empfindlichen Baisse von 2007-2009 und einem geringeren Produktionsvolumen für bestimmte Anwendungen wegen der Krise der Musikindustrie. Seine Kunden wie etwa CD-Produzenten sprechen dagegen von einer „nicht nachvollziehbaren Verknappung am Markt“ und befürchten ein forciertes Presswerke-Sterben.
China größter Absatzmarkt
Das Reich der Mitte ist zum größten Abnehmer für die Kunststoff-Produkte des Leverkusener Multis aufgestiegen und hat damit die USA abgelöst. Im ersten Quartal des Jahres machte BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) ein Drittel seines 2,2-Milliarden-Umsatzes mit chinesischen Unternehmen. Aus diesem Grund will der Konzern seine Kapazitäten für Polyurethan & Co. in Asien um 200.000 auf 650.000 Tonnen im Jahr ausweiten. Auch seine Forschung verlegt er mehr und mehr in die Region. So hat das Unternehmen kürzlich ein Entwicklungszentrum in Singapur eröffnet, das BMS-Chef Patrick Thomas als „das Herz unserer Innovationsanstrengungen“ bezeichnete.
Autoscheiben-Kooperation
Zur Herstellung von Autoscheiben aus dem Kunststoff Polycarbonat hat BAYER mit den japanischen Firmen MITSUBISHI HEAVY INDUSTRIES und KYOWA eine Kooperation vereinbart.
STANDORTE & PRODUKTION
Neues Zentrum in Berlin
BAYER plant in Berlin ein neues Zentrum für Diagnose-Verfahren auf Basis der molekularen Bildgebung. Dafür rechnet der Leverkusener Multi mit einer großzügigen Förderung durch die SteuerzahlerInnen. Einen entsprechenden Antrag beim Bund hat der Konzern bereits gestellt, und auch die Stadt Berlin signalisierte schon Unterstützungsbereitschaft. „Wir haben gemeinsam viel vor. Wir wollen endlich einmal in der Gesundheitsforschung einen Spitzencluster-Wettbewerb gewinnen“, sagte die Berliner Wissenschaftsstaatssekretärin Almuth Nehring-Venus auf einer vom Pharma-Multi gemeinsam mit der städtischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft „Berlin Partners“ ausgerichteten Veranstaltung.
Umzug nach San Francisco
Der Leverkusener Multi schließt seine Forschungseinrichtung in Richmond und zieht nach San Francisco um. „Der Standort Mission Bay in San Francisco ist bekannt als Nährboden für Innovationen in den USA. Daher wollen wir unsere Wissenschaftler inmitten dieses Forschungsmilieus ansiedeln“, sagte BAYER-SCHERING-Manager Andreas Busch zur Begründung. Gedeihen sollen dort vor allem neue biologische Wirkstoffe