Beiträge verschlagwortet als “Xarelto”
Aktion & Kritik
Von Arbeitsplatzvernichtung bis XARELTO
24 Einsprüche
Der Faz gefallen die AktionärInnen-Treffen von BAYER nicht. Die Zeitung klagte jüngst über das Gros der HauptversammlungsrednerInnen, das sich „zu Themen äußert, die nicht viel mit Bilanzen zu tun haben“. Und in der Tat wartete die Journalistin des Blattes am 29. April in den Beiträgen der 24 Konzern-KritikerInnen vergeblich auf Zahlen. Stattdessen bekam sie so einiges über Bienensterben, Gentechnik, üble Marketing-Praktiken, gefährliche Giftgas-Leitungen, Steuertricks, Altlasten und die Lage der Beschäftigten zu hören.
Von Jan Pehrke
Das größte Kapitel im „Schwarzbuch BAYER“ nahm auch bei der diesjährigen Hauptversammlung wieder das Thema „Bienensterben“ ein. Gleich sechs Beiträge befassten sich mit dieser Nebenwirkung von Ackergiften aus dem Hause des Leverkusener Multis. Die Imkerin Heike Holzum erinnerte noch einmal an das Jahr 2008, als die bisher größte Bienen-Vergiftung durch die legale Anwendung eines Pestizids geschah: Am Oberrhein erlagen 12.500 Bienenvölker BAYERs Saatgut-Beize PONCHO. Dazu hätte es Holzum zufolge nicht kommen müssen, denn bereits seit 1994 lagen Erkenntnisse über die verheerenden Effekte der zur Gruppe der Neonicotinoide gehörenden Agro-Chemikalien auf Bienen vor. Der Global Player hat diese jedoch nicht beachtet und macht bis heute andere Gründe für das Sterben der Tiere überall auf der Welt geltend. Vor allem die Varroa-Milbe nennt er immer wieder als Ursache. „Wie lange wollen Sie uns dieses Märchen noch erzählen“, fragte Holzum den Vorstand deshalb.
Auch Michael Slaby von der Initiative MELLIFERA warf dem Konzern vor, das Vorsorge-Prinzip missachtet zu haben. „Erklären Sie uns mal bitte, wie die ‚vorsorgende Haltung’ Ihres Unternehmens aussieht gegenüber den sich verdichtenden Studien, die von einer hirnschädigenden Wirkung der Neonicotinoide nicht nur bei Insekten, sondern auch bei uns Menschen und insbesondere bei Föten und Säuglingen warnen“.
Für den präventiven Gesundheitsschutz müssen stattdessen andere sorgen wie etwa die „Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit“ (EFSA). Diese untersuchte die Ackergifte und bescheinigte ihnen, die Gesundheit von Bienen anzugreifen. Daraufhin entzog die Europäische Kommission den BAYER-Mitteln PONCHO und GAUCHO sowie dem SYNGENTA-Produkt CRUISER vorläufig die Zulassung. Der Leverkusener Multi aber hatte nichts Besseres zu tun, als gegen diese Entscheidung gerichtlich vorzugehen, monierte die Imkerin Annette Seehaus-Arnold.
Ihr Kollege Christoph Koch vom Erwerbsimkerbund sowie Anne Isakowitsch von der Initiative SUM OF US kritisierten dieses Vorgehen ebenfalls. Isakowitsch verlangte vom Agro-Riesen, die Klage zurückzuziehen und wusste sich darin mit 1.392.625 Menschen einig – so viele Unterschriften zur Unterstützung ihrer Forderung übergab sie dem Vorstand um BAYER-Chef Marijn Dekkers. Corinna Hölzel vom BUND appellierte ebenfalls an den Konzern, die juristische Auseinandersetzung zu beenden. Darüber hinaus lenkte sie die Aufmerksamkeit noch auf einen Neonicotinoid-Wirkstoff von BAYER, den die EU verschont hat: Thiacloprid. Für den HobbygärtnerInnen-Bereich bietet der Global Player die Substanz zwar nicht mehr an, die LandwirtInnen können ihn jedoch nach wie vor erwerben. So findet sich der Stoff dann nicht nur in den Bienen wieder, sondern auch in ihrem Produkt, dem Honig. Und seit Kurzem darf es sogar wieder ein wenig mehr sein: Als die EFSA den Grenzwert für Thiacloprid im Februar 2016 von 0,2 auf 0,05 mg/kg senkte, schrieb der Konzern einen Brandbrief nach Brüssel und bekam prompt „geliefert“ – die Lebensmittelbehörde machte den Beschluss rückgängig. „Ist BAYER tatsächlich der Meinung, dass sich ein Grenzwert für Lebensmittel am Absatz eines Pestizids und nicht an der Gefahr für die menschliche Gesundheit orientieren soll?“, fragte Hölzel eindringlich. Der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers ging darauf nicht näher ein und bekräftigte stattdessen: „BAYER ist davon überzeugt, dass der ursprüngliche Grenzwert für Verbraucher sicher ist und dass dieser Honig bedenkenlos verkauft werden kann. Die Rückstände, die im Honig gefunden werden, sind auch weit unterhalb einer Konzentration, die für Bienen problematisch sein könnte.“ Und selbstredend war der Konzern auch generell „ … davon überzeugt, dass unsere Neonicotinoide sicher sind für die Umwelt, wenn sie sachgerecht eingesetzt werden“.
Doppelte Standards
Christian Schliemann vom EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR) widmete sich mit LARVIN, NATIVO, CONFIDOR und REGENT weiteren Pestiziden.
Hatte BAYER kurz zuvor in einem Werbe-Video noch glückliche LandwirtInnen präsentiert, die von den Segnungen der Agro-Chemie kündeten, so berichtete Schliemann von ganz anderen Bildern. Seine Organisation hatte nämlich vor Ort auf indischen Feldern einen Film aufgenommen, der ein Kontrastprogramm zu dem PR-Clip bietet. Die ECCHR-Aufnahmen zeigen FarmerInnen, die ihre Gesundheit riskieren, weil sie – noch dazu ohne Schutzkleidung – Pestizide ausbringen, die in Europa wegen ihrer Gefährlichkeit zum Teil längst nicht mehr erhältlich sind und keine ausreichenden Sicherheitshinweise bieten.
Die indische Rechtsanwältin Mani Prakash hatte dies der Hauptversammlung bereits zu Gehör gebracht (siehe S. X). Schliemann konzentrierte sich deshalb auf einen anderen Aspekt. Er interessierte sich dafür, wo beim Unternehmen die Verantwortung für diese Politik der doppelten Standards liegt. Er wollte zum Beispiel wissen, welche Kenntnisse Vorstand und Aufsichtsrat von den Anwendungsbedingungen für LARVIN & Co. in Indien haben und wie sie die Einhaltung der Pestizid-Exportvorschriften überwachen. Dekkers bekundete, der Konzern würde Berichten über etwaige Verstöße gegen Gebrauchsvorschriften immer „intensiv“ nachgehen, selbstverständlich die Bestimmungen über die Ausfuhren von Ackergiften einhalten und auch den Verhaltenskodex der FAO respektieren. Wie es dann aber zu den indischen Verhältnissen kommen konnte, darüber blieb er eine Erklärung schuldig.
Christoph Then von der Initiative TESTBIOTECH wandte sich einem weiteren risikoreichen Produkt aus BAYERs Landwirtschaftsabteilung zu, dem Gen-Soja FG72. Die ForscherInnen des Konzerns haben die Pflanze mit Namen BALANCE, für die der Global Player bei der EU eine Import-Zulassung beantragt hat, gleich mit zwei Resistenzen gegen Pestizide ausgestattet. Sie ist sowohl gegen Glyphosat immun, über dessen karzinogenen Effekte die ExpertInnen noch streiten, als auch gegen Isoxaflutol, das laut Then bereits offiziell als „wahrscheinlich krebserregend“ klassifiziert ist. Besonders auf Glyphosat haben sich die Unkräuter schon relativ gut eingestellt, weshalb die LandwirtInnen immer größere Mengen verwenden müssen. Von einem regelrechten „Wettrüsten auf dem Acker“ sprach der Gentech-Kritiker deshalb. Im Falle von FG72 ist das ihm zufolge besonders verheerend, denn die Behörden haben der Labor-Frucht eine Genehmigung erteilt, ohne die möglichen Effekte der Kombinationswirkung von Glyphosat und Isoxaflutol geprüft zu haben. Kein Problem, wiegelte der BAYER-Chef in seiner Antwort auf Then ab: „Risiko-Bewertungen werden üblicherweise auf der Basis von Einzelstoffen durchgeführt. Für Mischungen in Produkten gibt es jedoch umfangreiche Regulierungen.“ Trotzdem würde der Konzern, „die Bemühungen der EU, praktikable und effiziente Methoden für eine kumulative Risiko-Bewertung zu finden“ unterstützen, gab Dekkers den Märchen-Onkel. Zudem versicherte er: „Wir beschäftigen uns intensiv mit den Auswirkungen des Soja-Anbaus auf die Umwelt.“
Mit den Auswirkungen von BAYERs hemmungslosem Pharma-Marketing auf die Gesundheit beschäftigte sich der Mediziner Dr. Jan Salzmann von der ÄrztInnen-Initiative MEIN ESSEN ZAHL ICH SELBER (MEZIS). „Wir Ärzte erwarten von einem Pharmazie-Unternehmen, dass es Medikamente für die Krankheiten entwickelt, an denen unsere Patienten leiden. BAYER macht es manchmal umgekehrt. Da werden Krankheiten für Medikamente entwickelt“, erklärte Salzmann. So hat der Konzern ihm zufolge die „Wechseljahre des Mannes“ kreiert, um den Verkauf seiner Hormon-Präparate anzukurbeln, und eine Marketing-Firma damit beauftragt, diese Diagnose an den Mann zu bringen. Nebenwirkungen der Testosteron-Gaben wie erhöhtes Herzinfarkt- und erhöhtes Krebs-Risiko nahm das Unternehmen bei dem Coup billigend in Kauf, kritisierte der Mediziner.
Das alles wies der „Ober-BAYER“ natürlich weit von sich. Der Konzern sehe sich einem verantwortungsvollen Marketing gemäß internationalen Standards verpflichtet und suche für seine Produkte auch keine Anwendungsgebiete jenseits der von den Aufsichtsbehörden genehmigten, so Dekkers. Und bei den „männlichen Wechseljahren“ handelte es sich seiner Meinung nach um ein veritables klinisches Syndrom. Er zauberte dafür sogar eine standesgemäße lateinische Fachbezeichnung aus dem Hut: Hypogonadismus. Den gibt es zwar tatsächlich, allerdings ist er längst nicht so verbreitet, als dass er dem Pharma-Riesen ein einträgliches Geschäft verspräche. Also arbeitet er hart an einer „Ausweitung der Krankheitszone“.
BAYERs Steuertricks
CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes befasste sich mit einer anderen Marketing-Aktivität. Der Leverkusener Chemie-Multi hatte in Kindergärten sogenannte Wimmelbücher verteilen lassen, die das Leben auf den Firmen-Arealen in den buntesten Farben malen und zu einer Art Disneyland mit Schornsteinen verklären. Paradiesische Zustände gibt es für den Pillen-Riesen Mimkes zufolge aber auch im wirklichen Leben - steuerparadiesische. In Holland und Belgien beispielsweise: Dort hat der Konzern seine großen Finanzgesellschaften angesiedelt. Sie treten nominell als Eigentümer von BAYER-Tochtergesellschaften auf, was konzern-interne Geschäfte zu Lasten des bundesdeutschen Fiskus ermöglicht. Auch gewähren diese Briefkasten-Firmen anderen Unternehmensniederlassungen Kredite und streichen dafür Zins-Zahlungen ein, auf die kaum Abgaben anfallen. Als Folge dieser Vermeidungspraxis darbt der Stammsitz des Chemie-Multis, den dieser zu allem Übel auch noch zusätzlich mit dem Umzug seiner Patent-Abteilung nach Monheim gestraft hat. „Die Weltfirma BAYER beteiligt sich in Leverkusen sehr wenig am Gewerbesteuer-Aufkommen“, zitierte Mimkes den Bürgermeister der Stadt, Uwe Richrath.
Und das dürfte sich in nächster Zeit laut Dekkers auch nicht ändern. Die Gewerbesteuer-Zahlungen an allen deutschen Standorten zusammen würden gegenwärtig „im ein- bis zweistelligen Millionen-Bereich“ liegen, offenbarte der BAYER-Chef dem CBGler. Früher betrugen sie ein Vielfaches dessen. Allein der Abzug der Patentsparte in die nordrhein-westfälische Steuer-Oase Monheim kostet Leverkusen einen Millionen-Betrag. Trotzdem will der Niederländer diese Standort-Verlagerung nicht als Steuerspar-Projekt verstanden wissen: Sie diente angeblich lediglich der „Optimierung der Organisationsstruktur“.
Damit nicht genug, setzt der Agro-Multi seinen Stammsitz auch noch der Gefahr einer Kohlenmonoxid-Leitung aus. Seit 15 Jahren bereits transportiert er das Giftgas damit von Dormagen nach Leverkusen. „Ohne ein Wimpernzucken muten Sie den Anwohnern teilweise eine Halbierung der Rohrwände durch Rost zu“, warf Gottfried Arnold dem Aufsichtsratschef Werner Wenning vor. Des CO-Röhrenwerks, das von Krefeld nach Dormagen führt, aber wegen einer Klage glücklicherweise noch auf eine Betriebsgenehmigung wartet, nahm sich Dieter Donner an. Einmal mehr beschwor der Presse-Koordinator der verschiedenen Anti-Pipeline-Initiativen die Gefährlichkeit des Kohlenmonoxids herauf, von dem schon ein Hauch, die „Menge eines Weinglases – das sind 100 Milliliter“ reiche, um einen Menschen zu töten. Die Warnsysteme entlang der Strecke können nach Ansicht Donners einen „Worst Case“ nicht verhindern, dafür aber etwas anderes, ein: „Zurück zum ehernen Grundsatz der Chemie, Giftstoffe nur innerhalb der Werke erzeugen und dort unmittelbar zu verarbeiten.“
Dazu war Marijn Dekkers jedoch nicht zu bewegen. Er erklärte die Pipeline für notwendig, um einen „standort-übergreifenden Rohstoff-Verbund für die Kunststoff-Produktion zu schaffen“ – und selbstredend für „sicher“. Dieses Prädikat verlieh er auch der Leitung, die zwischen Dormagen und Leverkusen verläuft. Dass der TÜV bei dieser in dem Teil, der unter dem Rhein verläuft, „gravierende externe Materialverluste“ ausgemacht und ihm noch eine Restlebensdauer von zwei Jahren gegeben hatte, unterschlug der Vorstandsvorsitzende geflissentlich. Den notwendig gewordenen Bau einer neuen Unterquerung widmete er kurzerhand zu einer reinen „Instandhaltungsmaßnahme“ um.
Ein Bau ganz anderer Art sorgt derzeit für heftige Kontroversen in Leverkusen. Und wieder steht BAYER im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Das Land Nordrhein-Westfalen will – nicht zuletzt auf Druck des Global Players hin – eine neue Rheinbrücke bauen und im Zuge dessen auch die Autobahn A1 auf bis zu 12 Spuren verbreitern. Der neue Streckenverlauf soll teilweise über die berüchtigte Dhünnaue, BAYERs ehemalige Giftmüll-Deponie führen. Und dazu müssen die ArbeiterInnen das Gift-Grab öffnen. „Die Gefahren, die von einem Eingriff in die Deponie ausgehen, werden von der Straßenbau-Verwaltung als extrem hoch angegeben“, warnte der Diplom-Ingenieur Helmut Hesse auf der Hauptversammlung. Deshalb forderte er den Konzern auf, sich für die Tunnel-Alternative einzusetzen, wie es etwa Leverkusener Initiativen tun. Das lehnte der Multi jedoch ab. BAYER sei dafür nicht der richtige Ansprechpartner, beschied Dekkers dem Ingenieur und verwies ihn auf Straßen NRW als „Vorhabenträger“. Im gleichen Atemzug offenbarte er jedoch, dass das Unternehmen an dem ganzen Prozess keinesfalls unbeteiligt ist. So brachte der Konzern seine Vorstellungen in das Planfeststellungsverfahren ein. Er schrieb etwa eine Einwendung und machte seinen Standpunkt bei einer Anhörung deutlich – Umweltschutz-Belange dürfte dabei kaum eine Rolle gespielt haben.
Die feinen Unterschiede
Der Verfasser dieser Zeilen thematisierte die Lage der Beschäftigten bei BAYER und kam dabei vor allem auf die feinen Unterschiede zu sprechen, welche die Aktiengesellschaft bei der Behandlung von Belegschaftsangehörigen macht. So kommen beispielsweise längst nicht alle bundesdeutschen BAYER-WerkerInnen in den Genuss der Standortsicherungsvereinbarung, die unter anderem betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Und dann tun sich noch einmal Gräben zwischen Deutschland und dem Rest der Welt auf: Während etwa die bundesdeutschen Belegschaften 2015 eine Lohn-Erhöhung von 2,8 Prozent erhielten, mussten sich die französischen KollegInnen jüngst mit einem Prozent zufriedengeben. Besonders weit aber geht die Schere in puncto „Tarifverträge“ auseinander. „Nur für etwas mehr als die Hälfte aller Belegschaftsmitglieder weltweit hat BAYER mit Gewerkschaften Tarifvereinbarungen abgeschlossen. Besonders düster sieht es in den USA aus. Dort gelten laut Geschäftsbericht nur für fünf Prozent der Beschäftigen Tarifverträge oder ähnliche Bestimmungen – Tendenz fallend“, kritisierte das CBG-Vorstandsmitglied und machte dafür Druck von oben verantwortlich.
Das stritt Marijn Dekkers natürlich ab: Beschäftigten-VertreterInnen hätten bei BAYER keine Nachteile zu befürchten, und überhaupt lege dem Konzern das Wohl der Belegschaft sehr am Herzen. Für die „feinen Unterschiede“ im Wohlergehen fand der Vorstandsvorsitzende mehrere Erklärungen. „Praktische Gründe“ führte er dafür an, dass eine Niederlassung wie die in Grenzach bei der Standortsicherungsvereinbarung außen vor bleiben muss. Sie habe schlicht nicht die kritische Größe, um genug Alternativen jenseits von Entlassungen bieten zu können, wenn das Unternehmen sich mal wieder zu Rationalisierungsmaßnahmen veranlasst sehe, meinte er. Und die Differenzen bei den Entgelt-Steigerungen zwischen Deutschland und Frankreich begründete der Manager mit den voneinander abweichenden Rahmenbedingungen in beiden Staaten. Ein Gerechtigkeitsproblem trete dabei jedoch nicht auf: „Eine Ungleichbehandlung ist darin nicht zu erkennen“.
Die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen sprach Andrea Rupp an. So erfüllt BAYER immer noch nicht die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Quote von einem mindestens 30-prozentigen Frauen-Anteil im Aufsichtsrat. Selbst mit der bei der Hauptversammlung neu in das Gremium gewählten Johanna W. Farber kommt der Konzern gerade einmal auf 25 Prozent. Und auf den Management-Ebenen darunter sieht es auch nicht besser aus. Trotzdem stellte Dekkers das Unternehmen in seiner Antwort auf den Beitrag Rupps als Hort der Emanzipation dar.
Das Schlusswort der Konzern-KritikerInnen formulierte dann am frühen Abend Sibylle Arians: „Nach allem, was ich heute hier gehört habe, bin ich erschüttert. Erschüttert und empört! Letztes Jahr war ich erstmals auf der BAYER-HV. Ich war in vielerlei Hinsicht beeindruckt, aber nicht wirklich überrascht davon, dass die Unternehmenstätigkeit orientiert ist am finanziellen Erfolg um nahezu jeden Preis. Die Behauptung, Verbrauchersicherheit stünde an oberster Stelle, das Unternehmen würde sich an Verhaltenskodizes und nationale Gesetze halten, spricht dem Leid derer Hohn, die hier über ihr Schicksal berichtet haben.“
Drugs & Pills
Trotz Unregelmäßigkeiten bei den Arznei-Tests
Grünes Licht für XARELTO
BAYER hat bei den Zulassungstests mit dem umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO ein nicht ordnungsgemäß arbeitendes Gerät verwandt. Aber die Behörden stört das nicht weiter.
Von Jan Pehrke
Die klinischen Prüfungen, die zur Zulassung von BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO geführt haben, standen von Beginn an in der Kritik. So verschwieg der Leverkusener Multi drei Todesfälle und lieferte nur unzureichende Informationen über den Gesundheitszustand der TeilnehmerInnen nach Ende der Erprobungen. Auch wählte der Konzern für die Gruppe, die XARELTO testete, jüngere und ergo gesündere KandidatInnen aus als für diejenige, die das Vergleichspräparat Marcumar schlucken mussten.
Überdies setzte der Global Player die ProbandInnen einer Ungleichbehandlung aus: Die Marcumar-PatientInnen bekamen ihr Medikament nicht dem Bedarf entsprechend verabreicht, was sie höheren Gesundheitsrisiken aussetzte. Nach den Dokumenten, die der Pharma-Riese den Genehmigungsbehörden vorlegte, waren bloß 55 Prozent von ihnen richtig, also ihren Gerinnungswerten gemäß, eingestellt. Das entspräche nicht dem Standard, monierte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sogleich, und das industrie-unabhängige arznei-telegramm bezeichnete die Arznei-Erprobungen wegen dieses Tatbestandes als nur „wenig aussagekräftig“.
Damit nicht genug, sollten die Tests Anfang Dezember 2015 zusätzlich noch einmal an Aussagekraft verlieren. Da meldete das Handelsblatt nämlich Überprüfungen der für die Zulassung maßgeblichen Rocket-Studie durch die Arzneimittel-Behörden. Die AufseherInnen untersuchten, welche Auswirkungen der Gebrauch eines nicht korrekt funktionierenden Gerätes, das bei der Bestimmung der Blutgerinnungswerte der Marcumar-PatientInnen zum Einsatz kam, auf die Resultate hatte. Diese Apparatur stand bereits seit 2002 in der Kritik. 2005 und 2006 zwang die FDA den Hersteller zur Veröffentlichung von Warnhinweisen. 2014 schließlich veranlasste sie den Rückruf – 18.000 Beschwerden hatte sie bis dahin erhalten.
Nach dem Erscheinen des Artikels brach die BAYER-Aktie an der Frankfurter Börse umgehend ein und verlor an diesem Tag so viel wie kein anderes Papier. Der Pharma-Riese ging deshalb sogleich an die Öffentlichkeit und betrieb Krisen-Management. Er sah wie zu erwarten keinen Grund, an den Rocket-Resultaten des „Duke Clinical Research Institutes“ zu zweifeln. Andere Untersuchungen hätten die Befunde bestätigt, erklärte der Konzern und beteuerte scheinheilig, von der Diskussion um die Mängel der INRATIO-Geräte nichts gewusst zu haben.
Die vom Global Player beim Duke-Institut in Auftrag gegebene Nach-Untersuchung bestätigte natürlich prompt auch noch mal die Ergebnisse, und die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA gab Anfang Februar 2016 ebenfalls Entwarnung.
Lediglich vier Monate brauchte sie für ihre Arbeit, während die FDA immer noch die Unterlagen wälzt. Umgehend geriet das Vorgehen der EMA deshalb in die Kritik. Als eine „überraschend schnelle Analyse“ bezeichnete der Vorsitzende der Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, die Expertise. Der US-Mediziner Thomas Marciniak trat unterdessen für eine unabhängige Untersuchung ein. Just zu diesem Behufe forderte sein Kollege Harlan Krumholz von der Yale-Universität BAYER auf, ihm die Studien-Daten zugänglich zu machen. Das lehnte der Leverkusener Multi jedoch ab, was für sich spricht.
Presse Information vom 24. Februar 2016
Coordination gegen BAYER-Gefahren
Xarelto: Zahl der Todesfälle erneut gestiegen
BAYER hält Studiendaten von umstrittenem Gerinnungshemmer unter Verschluss
Europäische Behörden geben grünes Licht für die weitere Verwendung von Xarelto, obwohl bei den Zulassungs-Studien fehlerhafte Testgeräte verwendet wurden. Die Firma BAYER verweigert eine unabhängige Überprüfung der Daten. Derweil stieg die Zahl der Todesfälle nach Einnahme von Xarelto im vergangenen Jahr erneut an.
Recherchen des British Medical Journal zeigen, dass in der Zulassungs-Studie für den Gerinnungshemmer Xarelto defekte Messgeräte eingesetzt wurden. Dennoch hält der BAYER-Konzern die Daten unter Verschluss. Formal beruft sich das Unternehmen darauf, dass die Selbstverpflichtung zur Offenlegung nur für Produkte gilt, die ab 2014 im Handel sind. Eine unabhängige Überprüfung der Studien ist daher nicht möglich.
Derweil veröffentlichte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Anfrage der Coordination gegen BAYER-Gefahren die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme neuer Gerinnungshemmer. Demnach lag die Zahl der Todesfälle im Jahr 2015 bei 173 für Xarelto, 72 für Eliquis und 29 für Pradaxa (nach Angaben des BfArM handelt es sich um Verdachtsfälle ohne Nachweis eines kausalen Zusammenhangs). Die vollständige Aufstellung findet sich hier.
„Für die meisten Patientinnen und Patienten besitzen die neuen Gerinnungshemmer keinerlei Zusatznutzen gegenüber bewährten Präparaten wie Marcumar. Dass sich Medikamente wie Xarelto trotz des Gefährdungspotenzials und der hohen Kosten durchgesetzt haben, belegt einmal mehr die ungezügelte Macht der Pharma-Industrie“, kritisiert Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG). Die CBG fordert ein unabhängiges Register, in dem alle Zulassungs-Studien verbindlich publiziert werden müssen, sowie eine unabhängige Evaluierung neuer Pharmazeutika.
Die europäische Medikamenten-Behörde EMA legte Anfang Februar nach nur viermonatiger Prüfung eine Stellungnahme vor, wonach die inkorrekten Messergebnisse einen vernachlässigbaren Effekt auf die Studienergebnisse hätten. Grundlage für diesen Freibrief waren Analysen, die im Auftrag von BAYER durchgeführt wurden – ausgerechnet von den Autoren der Zulassungsstudie. Dies stößt auf deutliche Kritik der Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzenden der AkdÄ, äußerte gegenüber dem Handelsblatt (Ausgabe vom Montag), dass BAYER und die Studienautoren ungeeignet wären, den eigenen „gravierenden Fehler“ selber „federführend aufzuklären“. Wie auch die Autoren des British Medical Journal fordert Ludwig eine unabhängige Überprüfung.
Der Kardiologe Harlan Krumholz von der amerikanischen Yale-Universität forderte das New England Journal of Medicine auf, den Artikel mit den Ergebnissen zur Zulassungs-Studie ROCKET AF unverzüglich mit einem entsprechenden Hinweis zu versehen und den Artikel nach einer Überprüfung notfalls zurückzuziehen.
BAYER machte mit dem umstrittenen Präparat im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund zwei Milliarden Euro.
AKTION & KRITIK
CBG-Jahrestagung 2015
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) widmete ihre diesjährige Jahrestagung dem Thema „Die Plastik-Flut – ein Öko-Desaster made by BAYER & Co.“ Der Meeres-Chemiker Prof. Dr. Gerd Liebezeit zeichnete in seinem Eingangsvortrag ein verheerendes Bild von der Lage. Millionen Tonnen Plastik-Müll verunreinigen die Ozeane. Ein großer Teil der Fische und Seevögel hat Spuren von Plaste & Elaste im Körper, und an den Küsten schwemmen Kadaver von Tieren an, die einen vollen Magen hatten und trotzdem verhungert sind, weil sie nur Fischernetze, PET-Flaschen und andere Plastik-Teile als „Nahrung“ zu sich genommen hatten. Liebezeit kritisierte deshalb die Bundesregierung, die im Gegensatz zu „Entwicklungsländern“ wie Bangladesh oder Ruanda nicht einmal willens war, durch ein Verbot von Plastiktüten zu einer Reduktion der Kunststoff-Produktion beizutragen. Marijana Toben vom BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ gab dagegen ein wenig Hoffnung. Sie stellte die erfolgreiche BUND-Kampagne gegen Mikroplastik in Kosmetika und Körperpflege-Produkten vor, die für viele der gesundheitsschädlichen Winzlinge das Ende bedeutete. Toben warnte jedoch davor, den Bekenntnissen der Industrie blindlings zu vertrauen – es gelte, ihren Umstieg auf unbedenklichere Alternativen ganz genau zu beobachten. CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes ging das Problem in bewährter Coordinationsmanier grundsätzlich an. Er begann mit der energie-intensiven Kunststoff-Herstellung, widmete sich hiernach mit Bisphenol A einem besonders gefährlichen Stoff, kritisierte dann BAYERs Nachhaltigkeitsstrategie als reine PR-Maßnahme und skizzierte abschließend Grundzüge einer Chemie-Wende. Durch die lebhaften, fachkundigen und nicht selten von persönlichem Engagement auf dem Gebiet geprägten Diskussionsbeiträge trugen die BesucherInnen das Ihrige zum Gelingen der Veranstaltung bei, so dass am frühen Abend alle angeregt und zufrieden die Heimreise antreten konnten.
Viele CBG-Vorträge
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) erhält immer wieder Anfragen zu Vorträgen, denen sie auch gerne nachkommt. So berichtete CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes bei der „Linken Medien-Akademie“ in Berlin über die vielfältigen Lobby-Aktivitäten BAYERs. Am Konzern-Stammsitz Leverkusen versorgte er die TeilnehmerInnen des „Klima-Pilgerwegs“ mit Informationen über den immensen Kohlendioxid-Ausstoß des Global Players. Bei der „Offenen Akademie“ in Gelsenkirchen referierte Mimkes über die Auseinandersetzungen um die Offenlegung des Kooperationsvertrages, den der Leverkusener Multi mit der Universität Köln vereinbart hatte. Und in Bremen ging der CBGler auf Einladung der „Volkshochschule Delmenhorst“ und des „Labors für Chemische und Mikrobiologische Analytik“ über die Marathon-Distanz und legte in zweieinviertel Stunden die Geschichte der deutschen Chemie-Industrie dar.
„Stoppt die alte CO-Pipeline!“
Nicht nur die zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld verlegte Kohlenmonoxid-Pipeline wirft Sicherheitsfragen auf. Auch die in den 1960er Jahren zwischen Dormagen und Leverkusen gebaute Verbindung weist gravierende Mängel auf. Das offenbarte sich der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, nachdem sie bei der Bezirksregierung Köln Einsicht in die entsprechenden Unterlagen genommen hatte. Besonders an dem Rhein-Düker, mittels dessen die Pipeline den Fluss unterquert, zeigen sich Korrosionsschäden, also Abnutzungserscheinungen an den Bau-Bestandteilen. Die CBG veröffentlichte den Befund, und kurz danach kündigte BAYER einen Düker-Neubau an. Dieses Vorhaben beseitigt die Gefahr jedoch nicht, die von dem Transport gefährlichen Giftgases quer durch Nordrhein-Westfalen ausgeht. Darum lehnt die Coordination es ab und hat auch bereits eine Einwendung gegen das Projekt formuliert. Der Leverkusener Multi aber will es unbedingt durchdrücken. Er hat aus dem PR-Desaster bei seiner anderen Pipeline-Baustelle gelernt und versucht nun, durch Dialog-Formate Akzeptanz für die Düker-Arbeiten zu schaffen. Aus diesem Grund beauftragte er die Agentur JOHANSSEN + KRETSCHMER mit der Ausrichtung einer Informationsveranstaltung. Sie fand am 10. November in der Bürgerhalle Leverkusen-Wiesdorf statt. Die COORDINATION ließ sich an dem Tag aber nicht einbinden. Sie hielt vor dem Eingang eine Kundgebung ab, auf der sie die Stilllegung der Alt-Pipeline forderte. „Für ergebnis-offene Diskussionen stehen wir gerne zur Verfügung, nicht aber für Alibi-Veranstaltungen zur Akzeptanz-Förderung“, erklärte die CBG. Allzu viele andere standen dafür auch sonst nicht zur Verfügung. Nur rund 15 BürgerInnen fanden sich im Saal ein.
MedizinerInnen gegen alte CO-Leitung
Auch ÄrztInnen wenden sich gegen die alte, zwischen Dormagen und Leverkusen verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline, der momentan eine Teil-Renovierung bevorsteht (s. o.). Da bei einem möglichen Gas-Austritt wegen der akuten Toxizität des Gases kaum Ansatzpunkte für ärztliche Notfall-Maßnahmen bestehen, forderten 94 MedizinerInnen eine sofortige Stilllegung der Leitung. „Wir sind nicht länger gewillt, dieses Hochrisiko-Projekt außerhalb des Werksgeländes von BAYER hinzunehmen, nur damit das Unternehmen eine unverantwortlich große Menge an CO vorhalten kann. Daher verlangen wir, die CO-Pipeline von Dormagen nach Leverkusen schnellstens zu stoppen“, erklärte Dr. Gottfried Arnold für die Gruppe.
Ein Musical gegen die CO-Pipeline
BAYERs umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline schaffte es jetzt sogar auf die Theater-Bühne. Am 23. Oktober 2015 hatte „Rheinheim – das Katastrophen-Musical“ Premiere. Kinder und Jugendliche aus Monheim und Langenfeld führten das Stück auf; für die Co-Produktion taten sich Monheimer Schulen und Kindergärten, die Musikschulen Monheim und Langenfelds sowie das Hitdorfer Matchbox-Theater zusammen. Und das Stück um die böse Frau Dr. Blöker von der Reichol AG, den in die Jahre gekommenen Action-Helden Briece Wullis, einen zerstreuten Professor, Werkschutz-AgentInnen und vier junge ReporterInnen mit Spürsinn für Industrie-Skandale kann sogar mit einem Happy End aufwarten. Im echten Leben ist hingegen das dicke Ende für die Giftgas-Leitung leider noch nicht gekommen.
Offener Brief an National Geographic
Der Leverkusener Multi gehört mit seiner unökologischen Produktionsweise und Hervorbringungen wie gefährlichen Industrie-Chemikalien und Pestiziden zu den großen Umweltsündern. Um das zu kaschieren, betreibt er Greenwashing, indem er mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen und Umwelt-Organisationen Kooperationen eingeht. Mit der „National Geographic Society“, die unter anderem die Zeitschrift National Geographic herausgibt, arbeitet das Unternehmen nun schon zum zweiten Mal zusammen. Im Oktober 2015 ließ die Gesellschaft sich für die ganz auf den agro-industriellen Komplex setzende Landwirtschaftssparte des Konzerns einspannen. Gemeinsam mit BAYER CROPSCIENCE präsentierte sie das Online-Spiel „Top Crop“, das sich angeblich den „komplexen Problemen beim Anbau von Nahrungsmitteln für eine wachsende Weltbevölkerung“ widmet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisierte die Partnerschaft in einem Offenen Brief an die „National Geographic Society“ scharf. „BAYER ist der zweitgrößte Hersteller von Pestiziden und einer der zentralen Anbieter von gentechnisch verändertem Saatgut. Die von BAYER propagierte Landwirtschaft, die auf einem intensiven Einsatz von Agro-Chemikalien und Dünger basiert, schädigt Böden und Biodiversität irreversibel und gefährdet dadurch die Ernährungssicherheit. National Geographic sollte sich nicht dafür hergeben, Geld aus der Portokasse von BAYER anzunehmen und dadurch zum ‚Greenwashing’ des Konzerns beizutragen“, hieß es darin etwa.
Virtueller MIRENA-Flashmob
BAYERs Hormon-Spirale MIRENA hat Nebenwirkungen wie nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen, Unruhe, Schlaflosigkeit, permanente Bauchkrämpfe und Oberbauchschmerzen. Allein die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erhielt bereits 45.000 Meldungen über unerwünschte MIRENA-Effekte. Darum setzen sich immer mehr Frauen zur Wehr. Sie verklagen den Leverkusener Multi – in den USA gibt es bereits über 2.000 Prozesse – und führen Aktionen durch. So kam eine bundesdeutsche Gruppe zu einem virtuellen Flashmob auf BAYERs Facebook-Seite zusammen und forderte dort unter anderem aussagekräftigere Beipackzettel und einen Widerruf der Aussage, MIRENA würde nur lokal wirken.
Neues von der Duisberg-Kampagne
Am 29. September 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele Menschen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund und Lüdenscheid hatte das schon Erfolg (siehe auch SWB 1/15). Andere Orte wie z. B. Frankfurt und Marl haben noch keine Entscheidung gefällt. Der Bürgermeister des BAYER-Standortes Dormagen beauftragte das Stadtarchiv mit einer Prüfung. Diese fiel nicht eben zu Gunsten Duisbergs aus. CDU, FDP und die Zentrumspartei wollten jedoch trotzdem keine Initiative ergreifen, die SPD blieb gespalten. Darum schlug der Bürgermeister vor, die AnwohnerInnen selbst über die Sache entscheiden zu lassen. Und da diese sich hauptsächlich von praktischen Erwägungen leiten lassen dürften, wird es wohl keine Adress-Änderungen in Dormagen geben. Bonn und Waldshut-Tiengen haben sich ebenfalls gegen einen neuen Namen entschieden. Auch die Universität Marburg hielt an Duisberg fest und ließ ihm seine Ehrendoktor-Würde. In Bergisch-Gladbach hingegen stand die Straßen-Bezeichnung zwar nicht zur Debatte, die Stadt hat aber ein Straßennamen-Buch herausgegeben, das auch einen kritischen Artikel zu Duisberg enthält.
UN-Kritik an BAYER
Bei seinem Deutschland-Besuch im Herbst 2015 beanstandete der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Buskat Tuncak, die von den Chemie-Konzernen betriebene Politik der doppelten Standards. „Gefährliche Pestizide, die in der EU zur Verwendung verboten sind, werden von einigen deutschen Unternehmen immer noch in Länder exportiert, die nicht über ein angemessenes System zur Kontrolle dieser Pestizide verfügen“, so Tuncak. Ganz konkret kritisierte er dabei auch den Leverkusener Multi. „BAYER hat zugegeben, dass noch hochgefährliche Pestizide hergestellt werden, hat aber auch eingeräumt, dass daran gearbeitet wird, nach und nach aus den Produkten auszusteigen. Mich befriedigt allerdings nicht, dass es keinen konkreten Zeitplan dafür gibt“, sagte der Sonderberichtserstatter. Das PESTIZID-AKTIONS-NETZWERK (PAN) machte bei seiner letzten Inventur im Jahr 2012 64 hochgefährliche Ackergifte in den Beständen des Konzerns aus. 15 davon verkauft er nur in Afrika, Asien und Lateinamerika; elf Substanzen dieser Gruppe wie etwa Fipronil, Mancozeb und Diuron sind hierzulande gar nicht (mehr) zugelassen (SWB 3/12).
ESSURE-Protest in den USA
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ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation, zieht immer mehr Kritik auf sich. Die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen, kann nämlich beträchtliche Gesundheitsschädigungen hervorrufen. Allzu oft bleibt die Spirale nicht an ihrem vorgesehenen Ort, wandert vielmehr im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Nebenwirkungen. Aktionsgruppen in den USA riefen deshalb den 15. Juli 2015 zum landesweiten Protesttag aus. Mit Parolen wie „Don’t be sure with ESSURE“ oder „BAYER stole my uterus – people before profits“ gaben Frauen auf den Straßen ihren Unmut über das Medizin-Produkt Ausdruck.
ESSURE-Protest in den USA
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Die unerwünschten Arznei-Effekt von BAYERs Sterilisationsspirale ESSURE (s. o.) bewogen den republikanischen Politiker Mike Fitzpatrick, einen Verbotsantrag in den Kongress einzubringen, den „E-Free Act“. „Die durch ESSURE verursachten Schäden sind gut dokumentiert und reichen weit. Trotz all dieser Fakten bleibt das Medizinprodukt auf dem Markt, mit einem Zulassungsstempel der FDA (US-Gesundheitsbehörde, Anm. Ticker) versehen. Das ist unakzeptabel für mich und die Zehntausenden von ‚ESSURE Sisters’, die mit den Nebenwirkungen leben müssen“, sagte Fitzpatrick zur Begründung. Ursprünglich versicherte ihm mit Rosa DeLauro sogar eine Demokratin ihren Beistand, ein ungewöhnlicher Akt angesichts der aktuellen Grabenkämpfe zwischen den beiden Parteien. Die Abgeordnete aus Connecticut zog ihre Unterstützung jedoch wieder zurück, weshalb der „E-Free Act“ kaum Chancen hat, Gesetzeskraft zu erlangen.
Transparenz für Stiftungsprofessuren?
Der Leverkusener Multi unterhält diverse Stiftungsprofessuren. In Niedersachsen muss der Konzern über die genauen Modalitäten bei der Einrichtung der Lehrstühle künftig vielleicht etwas genauer Auskunft geben. Das Bundesland bereitet nämlich ein Informationsfreiheitsgesetz vor, das Transparenz-Regelungen für die entsprechenden Vereinbarungen vorsieht. So kann die Öffentlichkeit dann etwa erfahren, wie viele Wörtchen die Konzerne bei der Berufung der Hochschul-LehrerInnen mitzureden haben. Den Landtag passiert hat das Paragrafen-Werk allerdings noch nicht.
Transparenz bei Beobachtungsstudien
Erkenntnisse werfen die Beobachtungsstudien zu Arzneien, die MedizinerInnen mit ihren PatientInnen durchführen, kaum ab. Das ist auch gar nicht Sinn der Übung. Die Anwendungsuntersuchungen – wie sie BAYER etwa zu seinem Multiple-Sklerose-Präparat BETAFERON in Auftrag gegeben hat – verfolgen nur den Zweck, die Kranken auf das getestete Präparat umzustellen. Und dafür zahlen die Pharma-Riesen den ÄrztInnen viel Geld. „Fangprämien“ nannte ein ehemaliger Vorsitzender der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ diese Zuwendungen einst. Genauere Informationen zu den Anwendungsbeobachtungen (AWB) müssen die Unternehmen den Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ (BfArM) übermitteln. Die Deutschland-Sektion von TRANSPARENCY INTERNATIONAL wollte sich diese Unterlagen einmal genauer ansehen und stellte einen Antrag auf Einsichtnahme. Von den drei angesprochenen Institutionen stellte sich nur das BfArM quer. Erst nach zwei Klage-Verfahren gelang es Transparency, Zugang zu den Dokumenten zu erhalten. Der Grund für das Blockade-Verhalten erschloss sich gleich nach Lektüre der Akten. Das BfArM war nämlich seinem gesetzlichen Auftrag, die Anwendungsbeobachtungen zu beobachten, mitnichten nachgekommen. Die Einrichtung versah das Material meistens nur mit einer Posteingangsnummer und heftete es ab. Unstimmigkeiten, die Transparency gleich ins Auge stachen wie etwa unvollständige Meldungen, fehlende Beobachtungspläne und fehlende Angaben zu den Honoraren, bemerkte das Bundesinstitut folglich nicht. Auch verglich es die erhaltenen Angaben nicht mit denen, die BAYER & Co. gegenüber den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemacht hatten, so dass die stark differierenden Auskünfte über die Anzahl der AWB nicht weiter auffielen. „Es erfolgte offensichtlich seitens der Institutionen kein Abgleich untereinander, auch gegenüber den Meldenden wurden kaum Beanstandungen erhoben. Ebenso wenig interessierte man sich für den Verlauf oder die Ergebnisse der AWB, vor allem hinsichtlich der Arzneimittel-Sicherheit“, kritisiert TRANSPARENCY INTERNATIONAL. Das Resümee der Organisation lautet deshalb: „Der wissenschaftliche Nutzen von AWB für die Allgemeinheit ist also gleich Null.“ Der Nutzen für die MedizinerInnen ist hingegen hoch. Die 126.764 von 2008 bis 2010 an den Beobachtungsuntersuchungen beteiligten ÄrztInnen erhielten für ihre Arbeit mit den über eine Million PatientInnen im Durchschnitt 19.000 Euro. Zehnmal stellte dabei der Leverkusener Multi den Scheck für „Studien“ mit insgesamt 6.500 Menschen aus. Als Konsequenz aus dem Studium der Unterlagen fordert Transparency nun strengere Auflagen für die Anwendungsuntersuchungen.
Protest gegen SIVANTO
BAYER preist das Pestizid SIVANTO mit dem Inhaltsstoff Flupyradifuron als Alternative zu den bienengefährlichen Substanzen GAUCHO und PONCHO an. SIVANTO zählt zwar nicht wie GAUCHO (Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) zu den Neonicotinoiden, sondern zu den Butenoliden, aber es wirkt wie die beiden Agro-Gifte systemisch und blockiert ebenso wie diese die Reiz-Weiterleitung an den Nervenbahnen. Deshalb bestehen massive Zweifel daran, ob der Stoff wirklich so „bienenfreundlich“ ist, wie der Leverkusener Multi behauptet. So hält Michele Colopy von der Organisation POLLINATOR STEWARDSHIP COUNCIL fest: „Die Forschungsergebnisse weisen vielleicht auf keine akute toxische Wirkung bei der ersten Anwendung hin, aber Zweit- und Drittanwendung zeigen eindeutige Effekte auf die Bienensterblichkeit, das Verhalten, die Brut-Entwicklung sowie Pollen und Nektar.“ Trotzdem erteilten die US-Behörden dem Produkt die Zulassung. Kanada hat noch nicht über eine Genehmigung entschieden, aber im Vorfeld regt sich bereits heftiger Widerstand gegen SIVANTO. HEALTH CANADA, SumOfUs und die „DAVID SUZUKI FOUNDATION“ rufen dazu auf, dem Pestizid kein grünes Licht zu erteilen, und haben eine Kampagne gestartet.
Gen-Soja: TESTBIOTEST kritisiert EU
Die Europäische Kommission entscheidet demnächst über die Einfuhr-Genehmigung von BAYERs Gen-Soja FG72. Dank Manipulationen an ihrem Erbgut übersteht die Laborfrucht Heimsuchungen durch die Pestizide Isoxaflutol und Glyphosat, während Wildkräuter den Agro-Giften erliegen. Bei Isoxaflutol haben die „ZukunftstechnologInnen“ auf einen 20 Jahre alten Inhaltsstoff zurückgegriffen, der ebenso wie sein Pendant Glyphosat im Verdacht steht, Krebs zu erregen. Die Organisation TESTBIOTEST hat die EU wegen dieser Risiken und Nebenwirkungen aufgefordert, eine detaillierte Untersuchung zu den Chemikalien durchzuführen, ehe sie ihre Entscheidung fällt. „Es ist Aufgabe der EU-Kommission, für eine Risiko-Prüfung zu sorgen, die den Anforderungen der EU-Gesetze genügt. Diese basieren auf dem Vorsorge-Prinzip und fordern hohe wissenschaftliche Standards. Die Risiko-Bewertung muss daher auch die gesundheitlichen Auswirkungen von speziellen Mischungen von Spritzmittel-Rückständen einbeziehen“, so der Testbiotestler Christoph Then. Brüssel lehnte seine Forderung jedoch ab.
Warnung vor Testosteron-Mitteln
Mit großer Anstrengung arbeitet der Leverkusener Multi daran, die „Männergesundheit“ als Geschäftsfeld zu etablieren und Hormon-Präparaten wie NEBIDO oder TESTOGEL neue und nur selten zweckdienliche Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. Zu diesem Behufe hat der Pharma-Riese die Krankheit „Testosteron-Mangel“ erfunden und sie zu „männlichen Wechseljahresstörungen“ erhoben. Studien hingegen warnen wegen Nebenwirkungen wie Herzinfarkt, Harntrakt-Schädigungen, Schrumpfung des Hoden-Gewebes, Beeinträchtigung der Zeugungsfähigkeit, Brust-Wachstum, Bluthochdruck, Blutverdickung, Ödeme und Leberschäden vor den Mitteln (siehe auch Ticker 4/15). Ungeachtet dessen verschreiben MedizinerInnen die Pharmazeutika immer häufiger – die Pharma-DrückerInnen von BAYER & Co. machen offenbar ganze Arbeit. Dr. Thomas Vögeli, Leiter der Aachener „Klinik für Urologie“ kritisiert den Umgang mit NEBIDO & Co.: „Es kommen Patienten zu uns, die halbwegs normale Testosteron-Werte haben – und trotzdem von Urologen oder Hausärzten Hormone verabreicht bekommen“, so Vögeli: „Das ist unverantwortlich.“
KAPITAL & ARBEIT
Grenzach: BAYER streicht 200 Stellen
Der Leverkusener Multi vernichtet in seinem Grenzacher Werk 200 der 660 Arbeitsplätze. Der Konzern stellt an dem Standort die Salben BEPANTHOL und BEPANTHEN her und befüllt Fertigspritzen und Injektionsfläschchen für andere Pharma-Unternehmen. Mit ausbleibenden Aufträgen von diesen Fremdfirmen begründet der Pillen-Riese nun die Stellen-Streichungen, die LeiharbeiterInnen ebenso betreffen wie Beschäftigte mit befristeten und unbefristeten Verträgen. „Die Kollegen sind spürbar entsetzt, fassungslos und enttäuscht“, hält der Betriebsratsvorsitzende Armin Schranz fest und kritisiert die Verantwortungslosigkeit des Personals in den Top-Rängen. „Erfahrene Manager, die uns bis dahin geführt haben und die wir eigentlich in diesen schwierigen Zeiten dringend benötigen, verließen uns nach und nach und ließen uns mit unseren Sorgen und Problemen alleine“, so Schranz. Er verweist auch auf die – sich nun als sinnlos erweisenden – Opfer, welche die Belegschaft erbracht hatte, als BAYER die Produktionsstätte im Zuge des Kaufs von ROCHEs „Consumer Health“-Sparte übernahm, und warnt vor weiteren Einschnitten. „Nachdem altgediente Mitarbeiter nach dem Betriebsübergang von ROCHE zur BAYER AG zur Sicherung des Standortes große Verluste der Betriebsrenten-Ansprüche hinnehmen mussten, dürfen weitere Einbußen keinesfalls folgen“, mahnt Schranz. Um das sicherzustellen, will der Betriebsratschef bei den laufenden Verhandlungen mit dem Global Player eine Standortsicherungsvereinbarung durchsetzen.
500 Euro Monatslohn in China
Das Reich der Mitte hält für BAYER viele Standort-Vorteile bereit. So braucht der Leverkusener Multi in der Pharma-Produktion beschäftigten Frauen nur einen Monatslohn von umgerechnet 500 Euro zu zahlen. Auch mit den Sozialleistungen kann sich der Konzern zurückhalten. Mutterschutz gewährt er nur wenige Wochen. Grund genug für den Pharma-Riesen, die Pillen-Produktion in Peking auszuweiten. 100 Millionen Euro investiert er in den Ausbau des dortigen Werkes.
Klagen über Arbeitsverdichtung
Am Wuppertaler Pharma-Standort von BAYER leidet die Belegschaft unter einer massiven Arbeitsverdichtung. „Die Mitarbeiter beklagen die hohe Taktzahlen“, „Man hat nur noch zu funktionieren“, „Bei der Urlaubsabsprache kommt man sich vor wie ein Bittsteller“ – diese Stimmen aus der Produktion zitiert die Wuppertaler BELEGSCHAFTSLISTE, eine Gruppe kritischer Chemie-GewerkschaftlerInnen im Wuppertaler BAYER-Werk. Dem Belegschaftsinfo zufolge lässt der Pillen-Riese Schichten mit zwei statt wie eigentlich vorgesehen mit vier Beschäftigten fahren und bürdet durch die heißlaufenden Maschinen vor allem den SchlosserInnen und dem Kontroll-Personal viele Lasten auf. Darüber hinaus arbeiten Belegschaftsangehörige bis zu 17 Tage ohne Pause durch und häufen Überstunden ohne Ende an. „Hier muss Abhilfe geschaffen werden“, fordert die BELEGSCHAFTSLISTE.
Feine Unterschiede beim Bonus
Von seinem 2014er Rekord-Gewinn gab BAYER mit 420 Millionen Euro auch bisschen was an die 18.200 Tarif-Beschäftigten in der Bundesrepublik weiter. Bei BAYER HEALTH CARE profitierten davon jedoch nicht alle in gleichem Maße. Die in der Produktion arbeitenden Belegschaftsangehörigen erhielten nicht so viel wie diejenigen aus dem Bereich „Forschung & Entwicklung“. „Wieso bekommen unsere Produktionskollegen weniger als ‚Forschung und Entwicklung?“, fragte die im Wuppertaler BAYER-Werk aktive alternative Gewerkschaftsgruppe BELEGSCHAFTSLISTE deshalb kritisch und stellte fest: „Die Kollegen haben sicher nicht weniger zum überragenden Geschäftserfolg beigetragen!“
Neuer Tarifvertrag in Berkeley
Das BAYER-Werk in Berkeley gehört zu den wenigen US-Niederlassungen des Konzerns mit einer organisierten Arbeiterschaft, aus anderen Werken vertrieb der Leverkusener Multi die Gewerkschaften erfolgreich. 2012 hatte es an dem kalifornischen Standort nahe San Francisco noch harte Tarif-Verhandlungen gegeben, die von Solidaritätsaktionen im ganzen Land begleitet waren. 2015 hingegen blieben die großen Auseinandersetzungen aus. Der Konzern einigte sich mit den GewerkschaftlerInnen relativ schnell auf einen neuen Tarif-Vertrag mit 4-jähriger Laufzeit. Offenbar hat sich das Unternehmen mit der Existenz der Beschäftigten-Vertretung abgefunden.
DRITTE WELT
Aus für die „Food Partnership“
Im Jahr 2012 rief der damalige Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel die „German Food Partnership“ (GFP) ins Leben. BAYER, BASF, SYNGENTA und weitere Firmen beteiligten sich an der Kooperation. „Mit ihrem Kapital, vor allem aber ihrem Know-how und ihrer Wertschätzung für Umwelt- und Sozialstandards trägt die Privatwirtschaft ganz wesentlich zu entwicklungspolitischen Fortschritten bei“, so begründete der FDP-Politiker die Zusammenarbeit damals. Der Leverkusener Multi wirkt an dem GFP-Projekt „Better Rice Initiative in Asia“ mit. Er nutzt es als Vehikel, um seinen nach einer agro-industriellen Produktionsweise verlangenden, sich nicht zur Wiederaussaat eignenden Hybrid-Reis zu vermarkten. Zur Erhöhung der Versorgungssicherheit und Stärkung der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen trägt die Unternehmung hingegen nichts bei. Darum kritisierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN die Liasion zwischen dem „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) und der Industrie scharf. Andere Verbände wie OXFAM und FIAN protestierten ebenfalls gegen die Entwicklungshilfe für multinationale Konzerne. Das Engagement hatte jetzt Erfolg. Das BMZ beendet die „German Food Partnership“. Die Reis-Initiative und andere Programme laufen jedoch weiter. Andere Formen dessen, was Niebel einst „Schulterschluss mit der Privatwirtschaft“ nannte, brauchen sich um die Überweisungen aus Berlin auch keine Sorgen zu machen. Die „Neue Allianz für Ernährungssicherung“ von MONSANTO, BAYER & Co., kann sich ebenso nach wie vor über hohe Subventionen freuen wie develoPPP, in dessen Rahmen der Leverkusener Multi an einem Vorhaben zur Behebung der Mangelernährung von afrikanischen Frauen teilnimmt. Und für die „Grünen Innovationszentren“, für die der Agro-Riese in Indien gerade eine Messstation zur Erfassung von Pilz-Sporen baut, gilt das Gleiche.
Kenia: Streit um Parallel-Importe
In manchen afrikanischen Ländern kosten bestimmte Medikamente bis zu 50 Mal mehr als in anderen Staaten auf der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt als Beispiel BAYERs Antibiotikum CIPROFLOXACIN, von dem eine Packung mit 100 Tabletten in Mozambik zu einem Preis von 740 Dollar erhältlich ist, während InderInnen dafür nur 15 Dollar zahlen müssen, weil die Arznei dort Konkurrenz in Form von billigen Nachahmer-Produkten hat. Die WHO hält deshalb die Einfuhr dieser günstigeren Präparate („Parallel-Import“) ausdrücklich für ein legitimes und auch nicht die Regeln der Welthandelsorganisation WTO verletzendes Mittel, um die Medikamenten-Versorgung sicherzustellen. Genau zu diesem Instrument will jetzt das kenianische Gesundheitsministerium greifen, aber die Industrie-Vereinigung „Pharmaceutical Society of Kenya“ sträubt sich dagegen.
POLITIK & EINFLUSS
Konzerne kritisieren Klima-Abkommen
Auf der Pariser Klima-Konferenz kamen die Teilnehmer-Länder überein, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad zu begrenzen. Einen verbindlichen Fahrplan zum Erreichen dieses Zieles haben die Staaten allerdings nicht beschlossen. Aber nicht daran stören sich BAYER & Co. Die Konzerne kritisieren die Vereinbarung, weil diese sie nicht vor den Wettbewerbsnachteilen schützt, die ihnen die aus ihrer Sicht zu ambitionierte Politik der EU auf diesem Gebiet beschert hat. Der Präsident des „Bundesverbandes der deutschen Industrie“, Ulrich Grillo, beklagte die angeblich unfaire Lastenverteilung und forderte ein Klimaschutz-Moratorium. „Es ist jetzt nicht die Zeit, überstürzt über neue EU-, geschweige denn nationale Ziele nachzudenken“, so Grillo. Sein Kollege Holger Lösch aus der BDI-Geschäftsführung leitete aus den Pariser Beschlüssen die Schlussfolgerung ab, „dass Deutschland und Europa auch weiterhin ihre Industrien vor ungleichen Wettbewerbsbedingungen schützen müssen“, und der Hauptgeschäftsführer des „Verbandes der Chemischen Industrie“, Utz Tillmann, wusste dafür sogar schon ein erstes Betätigungsfeld zu nennen. Die Europäische Union dürfe den Unternehmen bei der anstehenden Reform des Emissionshandels keine neuen Auflagen machen, meinte Tillmann.
Offene Bundestagstüren für BAYER
In wichtigen Hauptstädten wie Berlin, Brüssel, Washington und Peking unterhält der Leverkusener Multi so genannte Verbindungsbüros für seine Lobby-Arbeit. Patricia Solaro, welche die Dependance am bundesdeutschen Regierungssitz leitet, beschreibt ihre Tätigkeit allerdings ein wenig anders: „Wir sind Dienstleister für die Politiker, das bedeutet, wir müssen komplexe Sachverhalte aus den Bereichen ‚Pharma‘, ‚Gesundheit‘ und ‚Chemie‘ verständlich darstellen“. Und dazu hat BAYER soviel Gelegenheit wie kaum ein anderes Privat-Unternehmen. Gleich sieben Beschäftigte des Konzerns verfügen über Hausausweise für die Bundestag, nur die Lobby-Agentur EUTOP besitzt mehr. Ausgestellt hat die Dokumente für den Pharma-Riesen ausnahmslos die CDU-Fraktion. Die hatte dann auch ebenso wenig wie die SPD ein Interesse daran, dass die Liste mit den privilegierten Konzernen, Organisationen und Verbänden ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Es war eine Klage des Tagesspiegels nötig, um die Parteien zur Preisgabe der Unterlagen zu zwingen.
Steinmeier preist BAYER & Co.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat für die Neuausgabe des „Lexikons der deutschen Weltmarkt-Führer“ ein Grußwort verfasst und lobt BAYER & Co. darin in den höchsten Tönen. „Der Erfolg deutscher Weltmarkt-Führer speist sich aus mehr als einem ausgeprägten Gespür für Marktchancen und herausragender Innovationskraft. Vernunft, Verantwortung und langfristige Orientierung – das sind die Werte, die das Handeln dieser Unternehmen bestimmen“, schreibt der Sozialdemokrat und schwärmt von seinen Besuchen der Firmen-Standorte im In- und Ausland. Dass es mittlerweile kaum noch einen nicht vorbestraften Dax-Konzern gibt und nicht nur das Sündenregister von BAYER kaum noch zu überblicken ist, ficht ihn dabei nicht an.
Schmidt knickt vor BAYER & Co. ein
Viele TierzüchterInnen verwenden Gentech-Pflanzen als Futtermittel. Darum fordern Gentechnik-GegnerInnen schon seit Langem eine Kennzeichnungspflicht für tierische Produkte, in denen Labor-Früchte von BAYER & Co. stecken. Auch die Bundesregierung bekannte sich in ihrem Koalitionsvertrag zu einer solchen Maßnahme. Jetzt schrieb die Große Koalition das Projekt allerdings ab. Das Vorhaben „finde derzeit keine ausreichende Unterstützung seitens der Europäischen Kommission und der Mitgliedsstaaten“, hieß es kurz und knapp in dem von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt CSU vorgelegten agrarpolitischen Bericht. „Die Bundesregierung betrügt die Bürgerinnen und Bürger, die Gentechnik im Essen und auf den Äckern mehrheitlich ablehnen, ein weiteres Mal“, kritisierte Harald Ebner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Duin im Chemie-Mobil
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) hat eigentlich nichts gegen die gefährliche Kohlenmonoxid-Pipeline, die zwischen den BAYER-Standorten Krefeld und Dormagen verläuft und immer noch ihrer Inbetriebnahme harrt. Er warf dem Leverkusener Multi nur vor, die BürgerInnen bei der Entscheidung nicht eingebunden zu haben. Deshalb mahnte er eine bessere Öffentlichkeitsarbeit an. Frucht dieser Offensive ist nun das Chemie-Mobil des nordrhein-westfälischen „Verbandes der Chemischen Industrie“, das im Herbst 2015 Stadtfeste und Märkte heimsuchte. Der Minister ließ es sich dann auch nicht nehmen, dem Gefährt seine Aufwartung zu machen, für einen Foto-Termin zur Verfügung zu stehen und Zitierfähiges kundzutun. „Die Menschen vor Ort können sich so über die Vielfalt und Bedeutung der Produkte der chemischen Industrie informieren. Das schafft Vertrauen und legt die Basis für ein lebendiges Miteinander“, lobte der Sozialdemokrat die Propaganda-Aktion.
Peking: Kraft besichtigt BAYER-Werk
Auf ihrer China-Reise im Frühjahr 2015 begleitete die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) eine 40-köpfige Delegation mit Wirtschafts-, Wissenschafts- und MedienvertreterInnen. Darunter befand sich auch der BAYER-Vorstand Michael König. Damit nicht genug, stattete Kraft überdies noch BAYERs Pharma-Werk in Peking einen Besuch ab und verlieh der Fertigungsstätte ministrielle Weihen. „Wir sind wirklich beeindruckt, mit welchen Standards hier produziert wird“, ließ sich die Sozialdemokratin vernehmen.
BAYER & Co. fordern Maßnahmen
Mitte März 2015 kamen der „Bundesverband der deutschen Industrie“ und andere Wirtschaftsverbände mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen. Im Vorfeld des Treffens veröffentlichten BAYER & Co. eine lange Wunschliste. Darin forderten die Konzerne Maßnahmen zur Stärkung des Standortes Deutschland durch mehr Investitionen in die Infrastruktur, „Bürokratie-Abbau“ und bessere Anlage-Bedingungen für Wagnis-Kapital. Darüber hinaus klagten die Unternehmen über hohe Strom-Kosten und warnten vor zusätzlichen Belastungen etwa durch die von der EU geplante Neuregelung des Handels mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Statt mit einem „verschärften Ordnungsrecht“ zu operieren, müsse die Energie-Politik Anreize setzen und auf das Prinzip „Freiwilligkeit“ vertrauen, hielten die Multis darüber hinaus fest. Auch ein Wiederaufschnüren des Gesetzes-Pakets mit den Hartz-„Reformen“ verbaten die Firmen sich. „Die Bundesregierung darf die Reform-Uhr auf dem Arbeitsmarkt nicht immer weiter zurückdrehen. Das gilt gerade für die Zeitarbeit und Regulierung von Werk- und Dienstverträgen“, heißt es in der „Gemeinsamen Erklärung“.
BAYER & Co. vs. Hillary Clinton
Hierzulande kritisierte Karl Lauterbach jüngst in seinem Buch „Die Krebs-Industrie“ die Mondpreise für Onkologie-Medikamente scharf. In den USA wächst der Unmut über die hohen Kosten für die Pharmazeutika ebenfalls (siehe SWB 1/16). So protestierten schon PatientInnen-Verbände und ÄrztInnen gegen die Profit-Sucht von Big Pharma. Und kurz nachdem 118 Krebs-ExpertInnen einen Maßnahmen-Katalog zur Reduzierung der Arznei-Ausgaben vorgelegt hatten, veröffentlichte auch Hillary Clinton von der demokratischen Partei einen Plan zur Reduzierung der Renditen nicht nur bei Krebs-, sondern auch bei Alzheimer- und Parkinson-Therapeutika. BAYERs US-amerikanischer Lobby-Verband PhRMA reagierte postwendend und tischte die altbekannten Argumente für die Beibehaltung des lukrativen Status Quos auf: „Secretary Clintons Vorschlag würde die Uhr des medizinischen Fortschritts zurückdrehen und den Fortschritt im Kampf gegen diejenigen Krankheiten bremsen, welche die Menschen am meisten fürchten.“
Steuerbefreiung in Mishawaka
In den USA macht BAYER es sich zur Gewohnheit, vor Investitions- oder Deinvestitionsentscheidungen zu eruieren, ob die Standorte zu Steuer-Reduzierungen bereit sind (siehe auch TICKER 2/15). Mit Mishawaka ging nun erneut eine Gemeinde auf die Erpressung ein. Gegen die Versicherung des Konzerns, 50 bis 60 Arbeitsplätze zu schaffen, stellte die Stadt dem Global Player gehörige Nachlässe in Aussicht. Im ersten Jahr will Mishawaka ihm aller Abgaben erlassen, im zweiten 90 Prozent, anschließend 80 Prozent und so weiter, bis der Leverkusener Multi nach einer Dekade dann wieder normal zahlen muss.
PROPAGANDA & MEDIEN
XARELTO-Kampagne mit Ballack
Da der Gesetzgeber in der Bundesrepublik direkte Werbung für Arzneien nicht gestattet, greift BAYER zu indirekten Methoden. Die Reklame für seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO – allein im Jahr 2014 gingen beim „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ 161 Meldungen über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Mittel ein – tarnt der Leverkusener Multi beispielsweise als Aufklärungskampagne zum Thema „Schlaganfall“. Bereits seit vier Jahren läuft die PR-Aktion „Rote Karte für den Schlaganfall“ mit dem ehemaligen BAYER-Leverkusen-Fußballer Michael Ballack als prominentes Gesicht. Als Kooperationspartner mit dabei: Die PatientInnen-Organisation „Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe“, die dem Global Player den Kontakt zur Zielgruppe sichert.
Große Tierarznei-Verkaufsshow
Bei der Vermarktung von Tier-Arzneien stoßen BAYER & Co. auf noch weniger Grenzen als bei der Verkaufsförderung von humanmedizinischen Produkten. Das nutzen die Unternehmen weidlich aus. So veranstaltete die Branchen-Vereinigung „American Veterinary Medical Association“ im Dezember 2014 eine 4-tägige Messe, die rund 9.000 VeterinärInnen besuchten. Mit freien Mahlzeiten, kleinen, die Freundschaft erhaltenden Geschenken, Rock-Konzerten und anderen Events hielten die Konzerne ihre Kundschaft bei Laune. So bot der Leverkusener Multi einen Magier auf, um einen Vortrag mit „Produkt-Informationen“ einzuleiten und belohnte die ZuhörerInnen anschließend mit einem USB-Ladegerät.
BAYER sponsert Jugend-Agrar-Gipfel
Der Leverkusener Multi investierte in die Zukunft seines Landwirtschaftsgeschäfts und rief deshalb den Jugend-Agrar-Gipfel ins Leben. Gemeinsam mit der JunglandwirtInnen-Organisation „Future Farmers Network“ lud BAYER Ende August 2015 „rund 100 junge Vordenker aus aller Welt“ ins australische Canberra ein, um ihnen nahezubringen, was ein Agro-Riese so unter einer nachhaltigen Acker-Bewirtschaftung versteht.
BAYER sponsert ÄrztInnen-Kongresse
Zur Pflege der medizinischen Landschaft sponsert der Leverkusener Multi auch ÄrztInnen-Kongresse. Im November 2015 „unterstützte“ er nach Informationen der Initiative BIOSKOP den Kongress der „Deutschen Hochdruck-Liga“ zu „Hypertonie und Prävention“ mit 18.000 Euro und die Arbeitstagung der „Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie“ mit 5.000 Euro. Im Oktober konnte sich die „Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Urologen“ über 2.000 Euro freuen, und auch die Veranstaltungen des Geriatrie-Forums und der „European Association of Nuclear Medicine“ bedachte der Leverkusener Multi. Am meisten ließ er sich jedoch den Kongress der „Deutschen Gesellschaft für Neurologie“ (DGN) kosten, der vom 23. bis zum 26. September in Düsseldorf stattfand. Über 180.000 Euro investierte der Konzern hier – gut angelegtes Geld, denn diese Medizin-Gesellschaft zählt zu den einflussreichsten Verfechtern des umstrittenen BAYER-Gerinnungshemmers XARELTO. So widersprach die DGN ausdrücklich der XARELTO-Kritik der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ und empfiehlt das Medikament in seinen Leitlinien.
BAYER sponsert Fortbildungen
Der Gesetzgeber verpflichtet die MedizinerInnen darauf, ihre Kenntnisse ständig zu erweitern. Die betreffenden Fortbildungsmaßnahmen unterliegen allerdings dem Einfluss von BAYER & Co. 60 bis 70 Prozent der Angebote finanziert Big Pharma. Der Leverkusener Multi arbeitet dabei besonders eifrig daran, das Wissen der ÄrztInnen über seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO zu mehren und bietet zu diesem Behufe Veranstaltungen wie „ThromboVision 2015“ und Vorträge wie „Die neuen Antikoagulantien im perioperativen Umfeld“ an. Eigentlich müssten die ÄrztInnenkammern prüfen, ob ihre KollegInnen bei solchen Gelegenheiten der unrechtmäßigen Einflussnahme von BAYER & Co. unterliegen, aber den Standes-Organisationen reicht meist die unverbindliche Erklärung der AusrichterInnen, es würden keine kommerziellen Interessen verfolgt. „Solche Formen der Fortbildung müssten verboten werden“, fordert TRANSPARENCY INTERNATIONAL deshalb. Das dürfte jedoch kaum geschehen, obwohl die Bundesregierung gerade ein Paragrafen-Werk zur Unterbindung der Korruption im Gesundheitswesen vorbereitet. Dieses hat nämlich nur Käuflichkeit durch Bestechung im Blick, nicht aber die indirekteren Wege, die MedizinerInnen auf Konzern-Kurs zu bringen, wie sie z. B. Vorteilsgewährungen eröffnen. Christiane Fischer von der ärztlichen Antikorruptionsinitiative MEIN ESSEN ZAHLE ICH SELBST beklagt diese Gesetzeslücke: „Der größte Teil der Korruption im Gesundheitswesen läuft über Vorteilsnahme und Vorteilsgabe.“
VDMJ verleiht BAYER-Preis
Der Leverkusener Pillen-Riese versucht, Medizin-JournalistInnen an sich zu binden. Zu diesem Behufe kooperiert er mit dem „Verband Deutscher Medizin-Journalisten“ (VDMJ) und lobt mit ihm gemeinsam den „Deutschen Medizinjournalisten-Preis“ aus. 2014 ging die Auszeichnung an Andreas Wenderoth für einen Artikel über einen Demenz-Kranken.
TIERE & ARZNEIEN
Falsche Antibiotika-Statistik
Ende März 2015 vermeldete das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ (BVL): „Antibiotika-Abgabe in der Tiermedizin sinkt weiter.“ Das war an sich schon eine fragwürdige Aussage. Da die Präparate nämlich immer effektiver wirken, sagen die nackten Zahlen nur wenig aus: Während eine Tonne des Alt-Antibiotikums Tetracyclin gerade einmal für 39.000 Mastschweine langt, vermögen die LandwirtInnen mit einer Tonne von BAYERs BAYTRIL 2,2 Millionen Tiere zu versorgen. Jetzt aber kommen noch mehr Zweifel an den Angaben auf, denn die BVL-Statistik weist beträchtliche Lücken auf. Sie erfasste längst nicht alle Betriebe; allein aus Baden-Württemberg fehlen Daten von mehr als der Hälfte aller Tier-Fabriken. Und die Behörde setzte diese Leerstellen einfach mit Null gleich und verbuchte sie unter „kein Antibiotika-Verbrauch“, was das Bild natürlich entsprechend verzerrte. „Wir brauchen hier einen ganz schnellen Neustart, mit diesen Zahlen können wir überhaupt nichts anfangen“, forderte der agrar-politische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, deshalb.
Viele Antibiotika-Überdosen
Ein 2014 erlassenes Gesetz schreibt MassentierhalterInnen vor, den Behörden ihre Antibiotika-Gaben zu melden. In Niedersachsen lag der Verbrauch von BAYTRIL & Co. in 6.000 von 21.000 Betrieben so hoch, dass die UnternehmerInnen einen Reduktionsplan erstellen mussten.
Antibiotika-Zahlen bleiben geheim
Die Bundesregierung hat die MassentierhalterInnen 2014 per Gesetz angewiesen, den Behörden Zahlen über ihre Antibiotika-Gaben zu liefern (s. o.). Das Bundeslandwirtschaftsministerium möchte die Daten allerdings unter Verschluss halten. Es hat die Landesregierungen angewiesen, ParlamentarierInnen und JournalistInnen die entsprechenden Informationen nicht zur Verfügung zu stellen. Offenbar fürchtet Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) die Wahrheit über die Medikamenten-Exzesse in den Ställen und über ZüchterInnen, die sich der Meldepflicht entziehen. Peter Sauer von der Initiative ÄRZTE GEGEN MASSENTIERHALTUNG schätzte das ähnlich ein: „Da drängt sich der Verdacht auf, dass es etwas zu verbergen gibt.“
Zulassung für ZELNATE
Im Jahr 2008 hatte BAYER von JUVARIS BIOTHERAPEUTICS die Lizenz zur exklusiven Nutzung einer Immun-Therapie im Veterinär-Bereich erworben. Sieben Jahre später erhielt der Leverkusener Multi in den USA die Genehmigung für die Vermarktung des auf dieser Basis entwickelten Immun-Stimulans ZELNATE. Das Präparat soll bei Rindern mit Atemwegserkrankungen begleitend zu Antibiotika zum Einsatz kommen und so helfen, die Gaben dieser umstrittenen Mittel (s. o.) zu reduzieren.
DRUGS & PILLS
Immer noch viele YASMIN-Rezepte
Frauen, die drospirenon-haltige Pillen wie BAYERs YASMIN zur Empfängnis-Verhütung nehmen, tragen im Vergleich zu solchen, die levonorgestrel-haltige Kontrazeptiva bevorzugen, ein bis zu dreimal so hohes Risiko, eine Thromboembolie zu erleiden. Trotzdem verschreiben die MedizinerInnen diese Mittel nach wie vor häufig, wie aus dem „Statusbericht zu oralen Kontrazeptiva“ der Techniker Krankenkasse hervorgeht. Von AIDA setzte der Leverkusener Multi 2014 155.000 Packungen ab; in der Liste der meistverordneten Kontrazeptiva belegt das Präparat damit Platz 26. Von YAZ verkauften sich 153.000 Einheiten (Rang 27), von YASMINELLE 124.000 (34) und von YASMIN 104.000 (37). BAYERs MAXIM mit dem Wirkstoff Dienogest, der die Thromboembolie-Gefahr für die Frauen im Vergleich zu Levonorgestrel um den Faktor 1,7 erhöht, führt die Liste an. Über zwei Millionen Mal ging das Produkt über die Apotheken-Ladentische. „Die Markt-Dominanz der Pillen mit dem höheren Risiko ist ein Beispiel dafür, dass wir noch nicht verstehen, wie Risiko-Kommunikation wirksam funktioniert. Und andererseits scheint es effektive Strategien zu geben, diese Risiken geringfügig erscheinen zu lassen“, hält die Krankenkasse dazu mit Verweis auf die Marketing-Methoden von BAYER & Co. fest. Dagegen hebt sie positiv das Vorgehen der französischen Behörden hervor, welche die Kosten für die besonders gefährlichen Verhütungsmittel nicht mehr erstatten, was zu einem Rückgang der Lungenembolie-Fälle bei Frauen um bis zu 27,9 Prozent führte.
Neue Tests mit ADEMPAS
Bisher haben die Behörden BAYERs ADEMPAS zur Behandlung der beiden Lungenhochdruck-Krankheiten CTEPH und PAH zugelassen. Der Leverkusener Multi will jedoch die Indikationen erweitern und hat mit der klinischen Erprobung des Mittels zur Therapie von Kindern mit Lungenhochdruck begonnen. Und obwohl das Fach-Magazin Arzneimittelbrief die therapeutischen Effekte schon bei dieser Krankheit nur als „marginal“ bewertet, hält der Konzern zusätzlich noch nach ganz anderen Anwendungsgebieten Ausschau. So testet er ADEMPAS gerade als Arznei gegen die systemische Sklerose, eine Autoimmun-Krankheit. Und darüber hinaus beabsichtigt er, das Pharmazeutikum bei Herz-Insuffizienz und Schädigungen der Niere in Anschlag zu bringen.
ALEVE: Mehr Warnhinweise
Entzündungshemmende Schmerzmittel wie BAYERs ALEVE (Wirksubstanz: Naproxen) steigern das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere Herz-Kreislauf-Krankheiten mit möglicher Todesfolge. Darum mussten die Hersteller die Packungen auch mit entsprechenden Warnhinweisen versehen. Der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde „Food and Drug Administration“ (FDA) reichte das jedoch noch nicht. Neuere Studien, die das Gefährdungspotenzial der Mittel noch einmal höher einschätzen, bewogen die FDA dazu, die Pharma-Riesen aufzufordern, die von ALEVE & Co. ausgehenden Gefahren noch deutlicher als bisher herauszustellen.
Prophylaxe mit ASPIRIN gefährlich
In den USA schlucken fast 40 Prozent der Menschen über 50 Jahre ASPIRIN, um damit Herzinfarkten und anderen Gesundheitsschädigungen vorzubeugen. Diese Zahl alarmiert MedizinerInnen, weil die prophylaktische Wirkung mit einer größeren Gefahr von Blutungen erkauft ist. Sie empfehlen die regelmäßige Einnahme von ASPIRIN nur Personen zwischen 50 und 59 mit einem erhöhten Risiko für Herz/Kreislaufkrankheiten. Dies- und jenseits dieser Altersgrenze überwiegen den WissenschaftlerInnen zufolge die Nachteile. Auch den Einsatz des „Tausendsassas“ zur Verhinderung von Krebs empfehlen die ForscherInnen nicht. Sie halten die Untersuchungen, die entsprechende ASPIRIN-Effekte nahelegten, für nicht belastbar. „Die beschriebene Wirkung war ein Zufallsfund aus Studien, in denen es eigentlich um Herz/Kreislauf-Leiden ging“, relativiert Bernd Mühlbauer von der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ das Ergebnis einer dieser Arbeiten: „Der unabhängige Befund, dass ASPIRIN vor Krebs schützt, steht noch aus.“
Deutlichere CIPROBAY-Warnhinweise
Die Liste der Nebenwirkungen von BAYERs Antibiotikum CIPROBAY ist lang. Die Arznei aus der Substanzklasse der Fluorchinolone kann unter anderem Sehnen-Entzündungen, Sehnenrisse, die Autoimmun-Krankheit „Myasthenia gravis“, Netzhaut-Ablösungen, die Herzstörung „QT-Syndrom“ und Nervenleiden wie die periphere Neuropathie auslösen. Der Leverkusener Multi muss diese Gegen-Anzeigen zwar auf den Medikamenten-Schachteln bzw. im Beipackzettel aufführen, aber das reichte der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA nicht. Nach einer Anhörung mit ExpertInnen und PatientInnen beschloss die Einrichtung, BAYER zu deutlicheren Formulierungen zu veranlassen. Nicht wenige MedizinerInnen votierten sogar dafür, in einigen Fällen zur höchsten Alarmstufe, der „Black Box Warning“, zu greifen. Zudem übersteigt nach Meinung des Gremiums das Risiko von CIPROBAY und anderen Fluorchinolonen in manchen Anwendungsbereichen den Nutzen. Deshalb plädierte es dafür, die Mittel für Indikationen wie Nasennebenhöhlen-Entzündungen (s. u.), Blaseninfektionen und bakterien-induzierte chronische Bronchitis nicht länger zuzulassen.
CIPROBAY hilft nicht bei Sinusitis
CIPROBAY und andere Medikamente aus der Substanzklasse der Fluorchinolone helfen nicht bei der Behandlung von Nasennebenhöhlen-Entzündungen. Das ergab eine Auswertung von neun Studien mit insgesamt 2.547 Sinusitis-PatientInnen. CIPROBAY & Co. brachten nicht nur das Kunststück fertig, weniger zu helfen als Placebos, sie malträtierten nicht wenige ProbandInnen überdies noch mit gefährlichen Nebenwirkungen (s. o.).
Mehr Antibiotika, mehr Resistenzen
Einer neuen Untersuchung zufolge nimmt der Antibiotika-Verbrauch weltweit zu und damit auch die Anzahl der Krankheitserreger, die Resistenzen gegen die Mittel herausbilden. Zwischen 2000 und 2010 erhöhte sich der Absatz von 50 auf 70 Milliarden Einheiten – eine Steigerung von über 30 Prozent. Das „Center for Disease Dynamics, Economics & Policy griff für die Studie „The State of World’s Antibiotics 2015“ auf Daten aus 71 Staaten zurück und beobachtete gerade auch in Entwicklungs- und Schwellenländern hohe Steigerungsraten. BAYERs CIPROBAY profitiert sehr von dem Boom und ist dementsprechend auch für dessen Kehrseite verantwortlich: Das Präparat kann einer immer größeren Zahl von Bakterien nichts mehr anhaben. In Uganda, Tansania und Ghana zeigt es sich etwa wirkungslos gegen den Keim Neisseria gonorrhoeae, Auslöser der Geschlechtskrankheit Gonorrhoe. Gegen in Geflügel nachgewiesene Krankheitserreger kommt das Pharmazeutikum ebenfalls kaum noch an, denn sein veterinär-medizinisches Pendant BAYTRIL findet in allzu vielen Ställen der Fleisch-Industrie Anwendung. Gegen Salmonellen versagte CIPROBAY in 10 bis 98 Prozent der Fälle, gegen den Campylobacter spp in 55 bis 69 Prozent der Fälle und gegen Escherichia coli in 56 Prozent der Fälle. Befällt dieses Bakterium Schweine, so muss die Arznei in 31 Prozent der Fälle kapitulieren. Gegen E.coli-Isolate aus Rindern richtete es in 36 Prozent der Fälle nichts mehr aus und gegen solche aus Hühnern in 19 bis 28 Prozent der Fälle. So vermögen E.coli & Co. dann über den Fleischverzehr ungestört in den menschlichen Organismus zu gelangen und dort Krankheiten auszulösen, gegen die kein Kraut mehr gewachsen ist. Ein WissenschaftlerInnen-Team von der Princeton University um die Humanbiologin Aude Teillant hat diesen Zusammenhang genauer analysiert. Wenn prophylaktisch zum Einsatz kommende Antibiotika zehn Prozent ihrer Wirksamkeit einbüßen, wächst die Zahl der Infektionen um 40.000 und die der Todesfälle um 6.300. Verlieren die Präparate gar 70 Prozent ihrer Durchschlagskraft, nimmt die Zahl der Infektionen um 280.000 und diejenige der Todesfälle um 15.000 zu.
Marketing-Nebenwirkung „Resistenzen“
Die aggressive Vermarktung von Antibiotika hat der BUKO PHARMA-KAMPAGNE zufolge einen großen Anteil an der Ausbreitung von Resistenz-Bildungen. So bewirbt der Leverkusener Multi etwa sein Produkt AVELOX in MedizinerInnen-Zeitschriften mit dem Slogan „Verlieren Sie keine Zeit, wenn Sie Atemwegsinfektionen bei Erwachsenen behandeln“, obwohl der zur Gruppe der Fluorochinolone gehörende Wirkstoff Moxifloxacin zu den Reserve-Antibiotika zählt. Diese sollten eigentlich nur zum Einsatz kommen, wenn andere Substanzen versagen. Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern finden AVELOX & Co. reißenden Absatz. In Mexiko beispielsweise unterliegen die Präparate nicht der Verschreibungspflicht, weshalb Apotheken schon in ihren Schaufenstern für BAYERs Fluorochinolon-Therapeutikum CIPROBAY und andere Mittel Reklame machen. Und in Indien kritisieren WissenschaftlerInnen die gängige Praxis der ÄrztInnen, bereits bei Durchfall Rezepte für Antibiotika auszustellen.
BAYER vermarktet neues Antibiotikum
Im Jahr 2011 erwarb BAYER von dem Unternehmen TRIUS die Vermarktungsrechte an dem Antibiotikum Tedizolid für die Regionen Asien, Afrika, Lateinamerika und Mittlerer Osten. Unter dem Produktnamen SIVEXTRO will der Leverkusener Multi die Substanz künftig als Mittel gegen das MRSA-Bakterium in Umlauf bringen. Darüber hinaus testet der Pharma-Riese den Wirkstoff gemeinsam mit MERCK & Co. als Therapeutikum gegen eine bestimmte Art von Lungenentzündung.
Zweifel an XARELTO-Tests
Die Zuverlässigkeit der Tests, mit denen der Leverkusener Multi eine Zulassung für seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO erlangt hat, steht in Zweifel, wie das Handelsblatt berichtete. Nach Angaben der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA benutzten die WissenschaftlerInnen bei den Klinischen Prüfungen ein defektes Gerät zur Bestimmung der Gerinnungswerte der ProbandInnen, was die Ergebnisse verzerrte. Nach dem Erscheinen des Artikels verlor die BAYER-Aktie sofort drei Prozent an Wert und sackte damit so tief wie kein anderes Papier an diesem Tag. In einer umgehend veröffentlichten Erklärung verwies der Pharma-Riese auf Kontroll-Untersuchungen mit einem anderen Monitor-System, das die ursprünglichen Resultate angeblich bestätigte. Trotzdem überprüfen jetzt sowohl die EMA als auch ihr US-Pendant FDA die vom Global Player eingereichten Unterlagen. „BAYER arbeitet eng mit den Gesundheitsbehörden zusammen, um mögliche Fragen zu klären“, heißt es dazu aus der Konzern-Zentrale. Mit welchen Risiken die Einnahme des Präparats verbunden ist, belegen Zahlen des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte“. Es erhielt allein im Jahr 2014 161 Benachrichtigungen über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Mittel; insgesamt erfolgten rund 2.000 Meldungen wegen unerwünschter Pharma-Effekte.
XARELTO: schwankende Gerinnungswerte
In den Klinischen Prüfungen zeigte sich BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO dem altgedienten Marcumar nicht überlegen. Deshalb wirbt der Leverkusener Multi mit den praktischen Vorteilen der Arznei wie dem Wegfall der regelmäßigen Blutgerinnungsmessung. Aber selbst damit ist es nicht weit her. So räumte ein Konzern-Wissenschaftler gegenüber dem Handelsblatt ein, dass die Gerinnungswerte unter XARELTO eine erhebliche Schwankungsbreite aufweisen. Wegen des damit verbundenen Blutungsrisikos lässt das Kontrollen dringend angeraten erscheinen. Erst später relativierte der BAYER-Mediziner seine Aussage wieder – es habe ein „Irrtum“ vorgelegen.
BAYER nutzt AMNOG-Lücke aus
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Nach dem Arzneimittel-Neuverordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 müssen neue Medikamente eine Kosten/Nutzen-Prüfung durchlaufen. Schaffen die Arzneien es dann in diesem Prozess, ihre Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Pharmazeutika unter Beweis zu stellen, können die Hersteller in den Verhandlungen mit den Krankenkassen einen besonders hohen Preis für die Präparate verlangen. Gelingt es den Medikamenten hingegen nicht, den Nachweis über ihre besondere Qualität zu erbringen, so haben sich die Therapie-Kosten an denjenigen zu orientieren, welche die bislang verfügbaren Produkte verursachen. Viele Konzerne geben sich von vornherein mit der zweiten Option zufrieden, weil ihnen auch der Normalpreis ein gutes Auskommen sichert. Deshalb legen sie es gar nicht darauf an, einen Zusatznutzen bestätigt zu bekommen, und reichen dem „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) unvollständige Dossiers ein oder verzichten ganz auf Dokumente aus klinischen Tests. So ging BAYER beispielsweise bei dem Magenkrebs-Mittel STIVARGA mit dem Wirkstoff Regorafenib vor. Der Global Player rechtfertigte sein Vorgehen zu allem Überfluss auch noch mit ethischen Motiven. STIVARGA hätte in den Versuchen so gut angeschlagen, dass die MedizinerInnen es den Kranken aus der Placebo-Gruppe nicht vorenthalten wollten und die Versuche vorzeitig abbrachen. Deshalb konnten aber leider keine Aussagen über den Zusatznutzen mehr erhoben werden. Ein fadenscheiniges Argument, das auch andere Konzerne gerne nutzen, um neue Arzneien auf den Markt schleusen, die keinen echten Vorteil für die PatientInnen bieten. Darum wächst auch die Kritik an diesem Schlupfloch des Arzneimittel-Neuverordnungsgesetzes. „Falls das AMNOG ernst gemeint ist, müsste es eine Verpflichtung geben, Dossiers abzugeben“, sagt etwa Wolfgang Becker-Brüser von der industrie-unabhängigen Fachzeitschrift arzneimittel-telegramm. Die Große Koalition sieht jedoch aktuell keinen konkreten Handlungsbedarf. Aber die Bundesregierung beobachte die Vorgänge aufmerksam und werde die Initiative ergreifen, sollte sie „zu der Überzeugung kommen, dass eine gesetzliche Änderung erforderlich ist“, wie es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ heißt.
BAYER nutzt AMNOG-Lücke aus
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Der Leverkusener Multi profitiert noch von einer weiteren Lücke des Arzneimittel-Neuverordnungsgesetzes (AMNOG). Diese tat sich mit dem Regierungswechsel 2013 auf. Die neu an die Macht gekommene Große Koalition beschloss nämlich, schon länger zugelassene Medikamente von einer Kosten/Nutzen-Bewertung auszunehmen und den entsprechenden AMNOG-Passus zu streichen. Ulrike Faber, die als PatientInnen-Vertreterin an den Überprüfungen der Arzneien teilnimmt, kritisierte diese Verschonung des Bestandsmarkts gerade auch im Hinblick auf die Gerinnungshemmer XARELTO (Wirkstoff: Rivaroxaban) von BAYER und PRADAXA (Wirkstoff: Dabigatran) von BOEHRINGER. „Ebenso skandalös ist die Nichtbewertung der neuen oralen Antikoagulantien (Dabigatran, Rivaroxaban) – bei explodierenden Verordnungszahlen, extremen Kosten und nicht bewertetem Zusatznutzen“, schrieb sie in der vom VEREIN DEMOKRATISCHER ÄRZTINNEN UND ÄRZTE herausgegebenen Zeitschrift Gesundheit braucht Politik.
PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE
Immer mehr Pestizide
Die Agro-Riesen setzen immer mehr Pestizide ab. Global stiegen ihre Umsätze im Jahr 2014 um 4,5 Prozent auf 56,7 Milliarden Dollar. In der Bundesrepublik konnten die Konzerne sogar einen Zuwachs von 6,2 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro verzeichnen. BAYERs Ackergift-Geschäft lag dabei noch über dem Schnitt. Das Unternehmen nahm in diesem Segment mit 6,6 Milliarden Euro 7,2 Prozent mehr ein als 2013.
Neonics-Teilverbote ohne Wirkung
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie die BAYER-Wirkstoffe Imidacloprid (GAUCHO) und Clothianidin (PONCHO) haben einen erheblichen Anteil am weltweiten Bienensterben. Darum erfolgten auf nationaler Ebene 2008 und EU-weit Ende 2013 Anwendungsbeschränkungen. Gebracht haben die Maßnahmen jedoch kaum etwas, wie eine Kleine Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ergab (siehe SWB 1/16). Die Verbrauchsmengen gingen nämlich nicht zurück. Das „Bundesministerium für Landwirtschaft“ begründete das gegenüber der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wie folgt: „Die Absatzmengen von Neonicotinoid-Wirkstoffen umfassen die in Deutschland abgegebene Menge aller Neonicotinoid-Wirkstoffe und damit mehr Wirkstoffe, als die auf EU-Ebene Verordnung (EU) Nr. 485/2013 verbotenen Wirkstoffe Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. In Deutschland sind zwar die Anwendungen als Saatgut-Behandlungsmittel bei bienen-attraktiven Kulturen und die Anwendungen im nicht-beruflichen Anwender-Bereich verboten und die Zulassungen entsprechend eingeschränkt, diese Anwendungsbereiche fallen mengenmäßig jedoch weit weniger ins Gewicht als z. B. Wirkstoffe in Spritz-Anwendungen.“ Die CBG forderte die verantwortlichen Stellen deshalb auf, bei der demnächst anstehenden EU-Entscheidung über die weitere Zukunft von GAUCHO & Co. die Konsequenzen aus diesem Befund zu ziehen und die Neonicotinoide komplett zu verbieten.
Neonics gefährden nicht nur Bienen
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie die BAYER-Produkte GAUCHO und PONCHO (s. o.) gefährden nicht nur Honigbienen, sondern auch andere Tiere. Darauf hat jetzt die EASAC, das von den Wissenschaftsakademien der EU-Staaten gebildete BeraterInnen-Gremium, hingewiesen. Mehrere Studien, die Gefahren für Hummeln, Wildbienen, Schmetterlinge und Nachtfalter durch GAUCHO & Co. ausgemacht hatten, bestätigen diese Einschätzung der EASAC.
Propaganda-Studie zu GAUCHO & Co.
Professor Harald von Witzke, der an der Berliner Humboldt-Universität einen Lehrstuhl für „Internationalen Agrarhandel und Entwicklung“ innehat, gründete 2009 den Thinktank „Humboldt Forum for Food and Agriculture e. V. (HFFA), dabei geschickt auf den Renommee-Transfer durch den Namen Humboldt setzend. Zu den Partnern des Forums zählen BAYER, BASF, NESTLÉ, E.ON und KWS SEED – und so sehen die Expertisen der Denk-Fabrik dann auch aus. Witzke greift den Agro-Multis nämlich bevorzugt mit Untersuchungen unter die Arme, die es dann unter Überschriften wie „Studie belegt Wohlstandsgewinn durch moderne Landwirtschaft“ in die Presse schaffen. BAYER erteilt dem HFFA da natürlich gerne Aufträge. Jüngst bestellte der Leverkusener Multi beim Forum eine Ehrenrettung der als bienengefährlich verschrienen Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide, zu der unter anderem die BAYER-Produkte PONCHO und GAUCHO gehören. Nach Meinung des Pestizid-Experten Lars Neumeister unterliefen dem HFFA dabei allerdings jede Menge Fehler. Nicht weniger als 15 Punkte umfasst seine Mängelliste. So belegten die Autoren etwa ihre These, das Verbot von PONCHO & Co. würde zu Ernte-Verlusten in Höhe von bis zu 23 Milliarden Euro führen, nicht mit empirischem Material. Zudem arbeiteten sie mit unrealistischen Modellen und nahmen die wissenschaftliche Literatur zum Thema nur unzureichend zur Kenntnis. Als „Corporate science fiction“ bezeichnet Neumeister die Arbeit deshalb.
Leverkusener Bienensterben
2014 verendeten in Leverkusen, nicht weit entfernt von den Pestizid-Versuchsfeldern des Agro-Multis, Millionen Bienen. Als Todesursache stellten die Behörden dann auch zweifelsfrei BAYERs Ackergift Clothianidin fest. Aber einen Zusammenhang zwischen den Feldversuchen des Konzerns und den verendeten Bienenvölkern konnte das beauftragte Labor dann überraschenderweise nicht ausmachen, obwohl AugenzeugInnen noch unmittelbar vor dem großen Sterben einen massiven Spritz-Einsatz beobachtet hatten. Auf eine kritische Nachfrage hin stritten die WissenschaftlerInnen jedoch einseitige Untersuchungsmethoden ab. Man empfinde BAYER gegenüber keine Loyalität, sei unabhängig und hätte sorgfältig getestet, hieß es.
Glyphosat schädigt Darmflora
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat, der hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz kommt, aber auch in BAYER-Mitteln wie GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE enthalten ist, gilt als gesundheitsgefährdend. So hat die Weltgesundheitsorganisation die Substanz im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Darüber hinaus schädigt der Stoff nach Forschungen von Stefanie Seneff und Anthony Samsel das Immunsystem. Er hemmt die Produktion von CYP-Enzymen, die im Zusammenspiel mit der Darmflora eine wichtige Rolle bei Entgiftungsprozessen spielen. Den WissenschaftlerInnen zufolge kann das nicht nur zu Krebs, sondern auch zu Herz-Krankheiten, Depressionen, Diabetes, Alzheimer und Unfruchtbarkeit führen.
Glyphosat schädigt Lungen
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat (s. o.) kann bei Kindern Schädigungen der Atemwege und der Haut hervorrufen. Zu diesem Ergebnis kommt eine argentinische Studie. Die WissenschaftlerInnen verglichen den Gesundheitszustand von 50 Kindern in ländlichen Regionen, wo auf den Feldern viel Glyphosat zum Einsatz kommt, mit demjenigen von 25 AltersgenossInnen, die in Städten aufwachsen. Das Resultat: Die Landkinder litten deutlich öfter an Atemwegsbeschwerden und Hautkrankheiten.
PAN dokumentiert Abdrift-Fälle
Wenn LandwirtInnen Pestizide ausbringen, dann bleiben die Stoffe nicht einfach auf den Feldern. Der Wind trägt sie teilweise weit fort. Abdrift nennen WissenschaftlerInnen dieses Phänomen, das bei den AnrainerInnen der Äcker oft zu gesundheitlichen Problemen führt. Das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) dokume
9. Dezember 2015
umstrittener Gerinnungshemmer Xarelto von BAYER
Aufsichtsbehörden untersuchen Zulassungs-Studie
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA und ihr US-Pendant FDA prüfen, ob es bei der Zulassungs-Studie des Gerinnungshemmers Xarelto zu Unregelmäßigkeiten kam. Nach Angaben der EMA wurde bei den Tests offenbar ein fehlerhaftes Gerät benutzt, wodurch die Ergebnisse verzerrt wurden.
Die BAYER-Aktie notierte nach der Bekanntgabe der Untersuchungen heute mehr als vier Prozent im Minus und war mit Abstand der schwächste Dax-Wert. Das Handelsblatt schreibt, dass „der Fall für den Konzern zum Super-GAU werden könnte“. Xarelto besetzt rund ein Drittel des Marktes neuer Gerinnungshemmer (NOAKs), vor den Konkurrenzmitteln Pradaxa von Boehringer und Eliquis von Bristol-Myers Squibb's. BAYER strebt für das Präparat einen Umsatz von 3,5 Milliarden Euro an.
Bereits am Montag hatte das Handelsblatt in einer aufwendigen Recherche gezeigt, dass der Einsatz der teuren NOAKs für die wenigsten Patienten sinnvoll ist und dass die explodierenden Verschreibungszahlen dem exorbitanten Marketing sowie dem Einfluss der Industrie auf medizinische Fachverbände geschuldet sind. So haben von den 23 Autoren der jüngsten neurologischen Leitlinie zu Schlaganfällen, in der die Verwendung von NOAKs empfohlen wird, 16 Gutachter- oder Beraterverträge mit den Herstellern.
Auch zitiert das Handelsblatt aus internen e-Mails bei Boehringer. Demnach würde die Blutspiegelkonzentration bei Verwendung des Präparats Pradaxa um über das Fünffache variieren. Bei zu hohen Konzentrationen drohen dadurch größere Blutungsrisiken, bei zu niedrigem Wirkspiegel ein erhöhtes Schlaganfall-Risiko. Das wichtigste Marketing-Argument der Hersteller, wonach bei NOAKs keine regelmäßigen Blutkontrollen notwendig sind, entfällt dadurch.
Wie nervös die Firmen sind, zeigen die internen mails, die das Handelsblatt veröffentlichte. So schreibt ein medizinischer Teamleiter Ende 2011 besorgt, dass ihn die Daten geradezu „phobisch“ machen. Und später: „Die Welt schreit nach dieser Information. Aber der heikle Part ist, dass wir die Botschaft geschickt zuschneiden müssen.“ Auch die Reaktion von BAYER ist bezeichnend: So gibt ein Mediziner des Konzerns zunächst zu, dass bei Xarelto ebenfalls deutlich abweichende Minimal- und Maximalwerte bei der Blutspiegelkonzentration festgestellt worden seien. Bei weiterer Nachfrage heißt es später, es habe ein „Irrtum“ vorgelegen.
Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) kritisiert: „Die Schwankungen in der Wirkstoff-Konzentration sind spätestens seit der Veröffentlichung im British Medical Journal im Sommer 2014 bekannt. Für die meisten Patientinnen und Patienten besitzen die neuen Gerinnungshemmer schlichtweg keinen Zusatznutzen gegenüber bewährten und billigen Präparaten wie Marcumar. Wir benötigen dringend unabhängige Zulassungs-Studien, um die Vermarktung überflüssiger und teilweise sogar gefährlicher Präparate zu verhindern. XARELTO ist hierfür ein Musterbeispiel.“ Die CBG hat wiederholt in der BAYER-Hauptversammlung zu den Risiken des Präparats gesprochen.
Im Jahr 2008 hatten die Kosten für Gerinnungshemmer noch bei insgesamt 68 Millionen Euro gelegen. Im vergangenen Jahr verzehnfachten sich die Gesamtkosten auf gut 675 Millionen Euro. Krankenkassen wie die TK monieren die medizinisch nicht gerechtfertigten Verschreibungszahlen. Eine Nutzenbewertung für Xarelto wurde auf Beschluss der großen Koalition im April 2014 eingestellt.
weitere Informationen:
=> zur aktuellen Überprüfung durch die EMA
=> Kritik an Xarelto
Gefährliche Medizin
Milliardengeschäft mit Medikamenten, die Blutgerinnung hemmen: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Boehringer Ingelheim wegen Täuschung über Risiken
In den USA laufen seit längerem Klagen gegen die Konzerne Bayer, Boehringer Ingelheim und Pfizer wegen mutmaßlich durch ihre Medikamente verursachter Todesfälle. Bei den Streitfällen – allein gegen Bayer sind 1.200 Verfahren anhängig – geht es meist um Mittel, die die Blutgerinnung hemmen.
Jetzt ist mit Boehringer eines der Unternehmen in Zusammenhang mit seinem Gerinnungshemmer Pradaxa ins Visier einer Ermittlungsbehörde geraten. Dies berichtete am Montag das Handelsblatt. Weltweit erzielte die Firma mit dem Mittel, das zur Gruppe der sogenannten neuen oralen Antikoagulantien (NOAK) gehört, allein 2014 einen Umsatz von 1,2 Milliarden Euro.
Nach Angaben der Zeitung wurde gegen Boehringer eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingereicht. Darin wird dem Konzern vorgeworfen, die europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel EMA (European Medicines Agency) sowie Ärzte und Patienten über die Risiken von Pradaxa getäuscht zu haben. Eine Behördensprecherin sagte dem Blatt, es werde gegen Unbekannt ermittelt.
Die Anzeige stützt sich auf Warnungen des US-amerikanischen Forschers Paul Reilly, der – im Auftrag des Konzerns – eine Studie zu den Risiken des Mittels erarbeitet hatte. Im Rahmen der Untersuchung war er schon 2011 zu der Einschätzung gelangt, dass es bei Patienten, denen es verabreicht wird, zu gefährlichen Über- oder Unterdosierungen kommen könnte. Der Wissenschaftler empfahl ein intensives »therapeutisches Monitoring«, um Personen, die durch die Gabe von Pradaxa gefährdet wären, »zu identifizieren«.
Boehringer wirbt aber gerade mit der so simplen und sicheren Anwendung des Mittels, die regelmäßige ärztliche Kontrollen überflüssig mache. Der Konzern erklärt laut Handelsblatt zu den Vorwürfen, Reillys Analyse sei erst 2013 veröffentlicht worden, das Zulassungsverfahren bei der EMA laufe aber schon länger. Der Zeitung lag allerdings ein Mailwechsel vor, der belegt, dass die Untersuchungen des Amerikaners bereits 2011 konzernintern zu besorgten Erörterungen darüber führten, ob deren Ergebnisse zu juristischen Problemen führen könnten.
Die modernen Gerinnungshemmer sind auch für Bayer und Pfizer ein Kassenschlager. Sie vertreiben ähnliche Mittel unter den Markennahmen Xarelto (1,68 Milliarden Euro Umsatz 2014) bzw. Eliquis (640 Millionen Euro). Vertreter beider Konzerne betonten laut Handelsblatt, ihre Präparate hätten andere Wirkmechanismen als Pradaxa, die Ergebnisse der Studie von Reilly seien daher für sie nicht relevant. Angesichts der laufenden Verfahren in den Vereinigten Staaten klingt dies wie das Pfeifen im Walde. Im Fall von Bayer gibt es zudem auch für die Bundesrepublik Berichte über mutmaßlich durch Xarelto verursachte Todesfälle. So machte die Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) darauf aufmerksam, dass im Jahr 2012 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 58 Tote und 750 Meldungen über schwere Nebenwirkungen wie Blutungen nach der Einnahme des Mittels registriert wurden. Über die juristischen Auseinandersetzungen um vermutlich durch das Boehringer-Präparat verursachte schwere Blutungen bei Patienten in den USA berichtete das ARD-Magazin Kontraste bereits im März 2014.
Die Therapie mit den neuen Gerinnungshemmern ist übrigens erheblich teurer als die mit »alten«. Laut Handelsblatt gaben die gesetzlichen Kassen in Deutschland für die Mittel der drei erwähnten Konzerne im Jahr 2014 mehr als 675 Millionen Euro aus. Bis 2011 hatten die jährlichen Kosten für Antikoagulantien bei deutlich unter 100 Millionen gelegen.
AKTION & KRITIK
Marburg: Duisberg bleibt Dr. h. c.
Am 29. September 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele Menschen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund und Lüdenscheid hatte das schon Erfolg (siehe auch SWB 1/15). Andere Orte wie z. B. Frankfurt, Marl und Dormagen haben noch keine Entscheidung gefällt. Bonn und Waldshut-Tiengen hingegen haben einen entsprechenden Änderungsantrag schon abgelehnt. Auch die Universität Marburg hielt an Duisberg fest und ließ ihm seine Ehrendoktor-Würde. Der Fakultätsrat kam zu der Entscheidung, den Titel posthum nicht aberkennen zu können, was rechtlich aber sehr wohl möglich ist. Die Dekanin versicherte der CBG jedoch, der Fall habe „im Fachbereich großes Interesse geweckt“ und die Hochschule wolle „in Lehrveranstaltungen und durch Arbeiten von Nachwuchs-Wissenschaftlern die Rolle Duisbergs untersuchen“.
USA: Protest gegen GAUCHO & Co.
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) gelten als besonders bienengefährlich. Die EU hat deshalb Imidacloprid, Clothianidin und andere Stoffe dieser Substanz-Klasse mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt. Auch in den USA wächst die Kritik an diesen Agro-Chemikalien. So kamen Mitte September 2015 BienenzüchterInnen, LandwirtInnen und UmweltschützerInnen in North Carolinas Hauptstadt Raleigh zusammen, um dem Gouverneur eine das Verbot dieser Mittel verlangende Petition zu übergeben, die 500.000 Menschen unterzeichnet haben. Ursprünglich wollten die AktivistInnen den Leverkusener Multi selber die Unterschriften aushändigen, aber das Unternehmen folgte einer entsprechenden Einladung nicht. „Wenn es BAYER wirklich ernst ist mit der Bienengesundheit, dann muss der Konzern den mehr als 500.000 Amerikanern Gehör schenken, die ihn zum Wohl der Umwelt, des Lebensmittel-Systems und der Nahrungsmittel-Versorgung auffordern, den Verkauf bienengefährlicher Pestizide zu stoppen“, sagte Tiffany Finck-Haynes von FRIENDS OF THE EARTH.
ERSTE & DRITTE WELT
BAYER expandiert in Afrika
Für BAYERs Landwirtschaftssparte spielt der afrikanische Kontinent eine immer größere Rolle. Bis zum Jahr 2023 erwartet der Konzern eine Verdoppelung des dortigen Ackergift-Marktes. Deshalb besitzt er mittlerweile in zwölf afrikanischen Ländern Niederlassungen, wobei der Gen-Gigant sich auf die wirtschaftlich erfolgreicheren Nationen konzentriert. Der Global Player bietet in diesen Staaten nicht nur Saatgut und Pestizide an, sondern hält auch Schulungen ab. Zudem arbeitet der Konzern intensiv mit dem öffentlichen Sektor zusammen – und greift dafür teilweise auf Entwicklungshilfe-Gelder zurück. So gehört die Aktien-Gesellschaft etwa der „German Food Partnership“ (GFP) an, die das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ mit rund 30 Firmen gegründet hat, und betreibt im GFP-Rahmen die „Competitive African Rice Initiative“. „BAYER CROPSCIENCE unterhält bereits Public-Private-Partnerships entlang der gesamten Lebensmittel-Wertschöpfungskette – von landwirtschaftlichen Lieferketten über eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung und die Agrarforschung bis hin zur Mikrofinanzierung“, verkündete das Unternehmen 2014 auf dem „AGCO Africa Summit“ in Berlin stolz, den es gemeinsam mit dem Landmaschinen-Hersteller AGCO, RABOBANK und der „Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft“ veranstaltet. Dabei hat der Multi auch die Kleinbauern und -bäuerinnen entdeckt, zumindest rhetorisch, gibt es doch von Entwicklungshilfe-Organisationen immer wieder Kritik am „Think Big“ des agro-industriellen Komplexes. „Afrikanische Kleinbetriebe können einen großen Beitrag zur Ernährung der Weltbevölkerung leisten“, sagt der BAYER-Manager Marc Reichardt. Allerdings müssten sie dafür größer werden und auf die „innovativen“ Produkte seines Hauses zurückgreifen, meint er. Hunger und Unterernährung gehen für ihn nämlich nicht auf Verteilungsprobleme zurück, sondern „auf den mangelnden Zugang zu Produktionsmitteln wie Dünger, qualitativ hochwertiges Saatgut, innovative chemische und biologische Pflanzenschutz-Lösungen sowie Maschinen und andere wichtige landwirtschaftliche Geräte“.
POLITIK & EINFLUSS
Massive Kritik an IMI
Im Jahr 2009 hat die EU die „Innovative Medicines Initiative“ (IMI) gestartet, um die europäische Pharma-Branche im internationalen Wettbewerb zu stärken. Der „Public Private Partnership“ zwischen Brüssel, den Pharma-Multis, Universitäten und Forschungseinrichtungen steht dafür ein Etat von fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Die Hochschulen hatten zunächst große Hoffnungen in das Projekt gesteckt, weil sie hofften, endlich ähnlich große Etats wie BAYER & Co. zur Verfügung zu haben und so ihre Stellung gegenüber der Industrie stärken zu können. Nun äußern sie jedoch vehemente Kritik an IMI, weil Big Pharma die Forschungspläne diktiert. Die Unternehmen hätten „eine sehr starke Vormachtstellung“, klagt eine Forscherin. So behindern die Multis etwa Vorhaben, wenn diese eigenen zu sehr ähnelten, oder zwingen Instituten Studien-Designs auf, die den Einrichtungen keinen vollständigen Zugang zu den Daten erlauben. Bereits im Oktober 2010 prangerten deshalb die beiden europäischen Hochschulverbände „League of European Research Universities“ und „European University Association“ das Vorgehen der Pillen-Riesen an. Der EU-Haushaltsausschuss monierte derweil einen intransparenten Umgang mit den Förder-Milliarden und gab die Gelder erst mit Verzögerung frei. BAYER hingegen schwärmt von der „Innovative Medicines Initiative“: „IMI hat mit über 40 großen Konsortien erfolgreich ein neues Modell der Zusammenarbeit aller relevanten Partner im Gesundheitsbereich etabliert, um übergreifende Problemfelder zu bearbeiten, die keine Institution allein bearbeiten könnte oder würde.“ Eines dieser Problemfelder stellen für die Konzerne offenbar die PatientInnen dar. Deshalb wollen sie sich mit Hilfe von IMI in der „Europäische Patienten-Akademie zu therapeutischen Innovationen“ die passenden heranzüchten.
„Mit einem geeigneten Training können Patienten-Vertreter akzeptierte Partner in Wissenschaft, Ethik- und Kontrollausschüssen werden und dabei klinische Studien, Arzneimittel-Entwicklung und Zugangsstrategien verbessern und beschleunigen“, meinen die Unternehmen. Der Leverkusener Multi leitet im Rahmen von IMI zudem mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf einen Forschungsverbund, der Biomarker zur Krebs-Diagnose entwickelt. Darüber hinaus ist er an der Entwicklung einer Software beteiligt, welche die Risiken und Nebenwirkungen von Arzneimittel-Kandidaten in klinischen Tests analysieren soll. Überdies baut der Global Player einen europäischen Masterstudiengang für ArzneimittelsicherheitsexpertInnen mit auf und mischt unter anderem noch bei Projekten zur Immunologie und zum Management von medizinischen Daten mit.
Vapi: bald noch verseuchter?
Die indischen Behörden stufen Vapi als den verschmutztesten Ort des Landes ein. Nirgendwo sonst im Staat sind Wasser, Boden und Luft derart verseucht. Der Leverkusener Multi hat gehörigen Anteil daran. Er zählt die Stadt neben Dormagen, Knapsack, Frankfurt und Kansas City zu den wichtigsten Pestizid-Standorten. Seine dortige Produktionsstätte belastet die Umwelt jedoch deutlich stärker als das die entsprechenden Anlagen in der Bundesrepublik oder den USA tun. So stammen 94,9 Prozent aller die Ozonschicht zerstörenden Stoffe, die der Konzern weltweit emittiert, aus Vapi. Bei den flüchtigen organischen Substanzen, den so genannten VOCs, beträgt der Anteil 68,2 Prozent. Wegen solcher und anderer Dreckschleudern hat eine frühere indische Regierung ein Gesetz erlassen, das neue Ansiedlungen im Industrie-Gebiet verbietet. Die „Vapi Industries Association“, der BAYER nicht angehört, will jetzt eine Aufhebung des Moratoriums erreichen. Und Premierminister Narenda Modi hat bereits Entgegenkommen signalisiert. Der Himmel über Vapi könnte also bald noch düsterer werden.
Duin beim „Bio-Europe-Spring“
Im März 2015 besuchte der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin in Paris die Biotech-Konferenz „Bio-Europe-Spring“, auf der auch BAYER vertreten war. Beim NRW-Landesempfang, der unter dem Motto „Schlüssel-Technologien made in NRW“ stand, sprach der Sozialdemokrat Gruß- und Schlusswort.
Grußwort von Löhrmann
Die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann hat gute Beziehungen zu BAYER. So bedachte sie dann auch die Feier zum 50-jährigen Bestehen des Landeswettbewerbs „Jugend forscht“, die im Leverkusener BayKomm stattfand, mit einem Grußwort.
Schmidt beim „AGCO Africa Summit“
Seit einiger Zeit hat BAYER den afrikanischen Kontinent als Absatzmarkt für seine Landwirtschaftsprodukte entdeckt (siehe ERSTE & DRITTE WELT). Darum veranstaltet der Leverkusener Multi seit einiger Zeit in Berlin gemeinsam mit dem Landmaschinen-Hersteller AGCO, RABOBANK und der staatlichen „Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft“ auch einen Kongress zum Agro-Business in Afrika. Und in diesem Jahr konnte der Global Player dort Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt als Gast begrüßen. Der CSU-Politiker mahnte auf dem „AGCO Africa Summit“ aus gegebenem Anlass, die Entwicklung in den Ländern dürfte nicht an den Kleinbauern und -bäuerinnen vorbeigehen und müsse „im Einklang mit der Umwelt und den Schutzrechten der Bevölkerung stehen“.
PROPAGANDA & MEDIEN
Extrem-Lobbying in Brüssel
Im Jahr 2014 ließ BAYER sich das Lobbying bei der Europäischen Union in Brüssel rund 2,5 Millionen Euro kosten. 15 Personen beschäftigt der Leverkusener Multi dort; acht von ihnen haben offiziell Zugang zu den EU-ParlamentarierInnen.
Von der FDA zu BAYER
BAYERs Ruf in den Vereinigten Staaten ist wegen der vielen Schadensersatz-Prozesse um YASMIN, XARELTO & Co. nicht der Beste. Darum ging der Leverkusener Multi jetzt in die Offensive und verpflichtete mit Steven Immergut einen ehemaligen Mitarbeiter der Presseabteilung der US-Gesundheitsbehörde FDA als obersten Öffentlichkeitsarbeiter seiner US-amerikanischen Pharma-Sparte.
Bisphenol-Lobbying in Brüssel
Viele Chemikalien enthalten Wirkstoffe, die in ihrem chemischen Aufbau Hormonen ähneln. Zu diesen endokrinen Disruptoren zählen im BAYER-Sortiment unter anderem Biozide wie BAYER GARTEN FLIEGENSPRAY und Bisphenol A, das z. B. in Lebensmittel-Verpackungen Verwendung findet. Vom menschlichen Körper aufgenommen, können diese Substanzen Fehlsteuerungen im Organismus auslösen und zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen. Die Europäische Union plant deshalb Maßnahmen, aber der Lobby-Druck verzögert den Prozess massiv. Der Leverkusener Multi kann dabei kräftig mitbremsen, denn er verfügt über das notwendige Herrschaftswissen. Einer seiner Brüsseler LobbyistInnen (s. o.) sitzt nämlich als Beobachter in der ExpertInnen-Gruppe der EU-Kommission zu den endokrinen Disruptoren.
PR-Offensive zu ESSURE
Bei ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation, handelt es sich um eine kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen. Allzu oft jedoch bleibt die Spirale nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Nebenwirkungen. Darum zieht ESSURE viel Kritik auf sich. Allein die Facebook-Gruppe „Essure Problems“ hat über 11.000 Mitglieder. Der Konzern reagiert darauf mit einer PR-Offensive. Der oberste US-amerikanische Öffentlichkeitsarbeiter des Unternehmens, Ray Kerins, hat sein Team angewiesen, direkt mit den Verfasserinnen von Facebook-Posts und Twitter-Nachrichten Kontakt aufzunehmen und Schadensbegrenzung zu betreiben.
PR-Offensive zum Bienensterben
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) gelten als besonders bienengefährlich. Die EU hat deshalb Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt. Auch in den USA wächst die Kritik an diesen Substanzen (siehe auch AKTION & KRITIK). Deshalb hat die US-amerikanische Öffentlichkeitsarbeitsabteilung des Leverkusener Multis, die 80 Beschäftigte umfasst, eine PR-Offensive gestartet. Sie schuf ein mobiles „Bee Care Center“ und zog damit vor den Kongress, den Washingtoner Bahnhof und den Botanischen Garten, um den Konzern als großen Bienen-Kümmerer in Szene zu setzen. Zudem spendete der Agro-Riese Geld für das Anpflanzen von Blumen mit pollen-reichen Blüten.
BAYER sponsert Pestizid-Kongress
BAYER und MONSANTO zählten zu den Hauptsponsoren des „18. Internationalen Pflanzenschutz-Kongress IPPC“, der Ende August 2015 in Berlin stattfand. Die anwesenden WissenschaftlerInnen fanden dann auch kein kritisches Wort zu dem von den beiden Agro-Multis vertriebenen Pestizid Glyphosat, obwohl die Weltgesundheitsorganisation WHO dieses unlängst als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. Es werde nur nicht immer sachgemäß angewandt, meinten die ForscherInnen und schlugen Schulungsprogramme für LandwirtInnen vor. Einen Zusammenhang zwischen den milden Gaben der Konzerne und den wohlmeinenden Äußerungen zu der chemischen Keule stritt der Kongress-Präsident Holger Deising allerdings vehement ab. „Als Vorsitzender des Programm-Komitees kann ich sagen, dass zu keiner Zeit so etwas eine Rolle gespielt hat. Wir haben keine Abhängigkeiten von irgendwelchen Industrie-Firmen“, sagte der an der Hallenser „Martin-Luther-Universität“ zu Pflanzen-Krankheiten und Pflanzenschutz forschende Professor.
BAYER sponsert „CancerLinQ“
Krebs-Medikamente nehmen in BAYERs Produkt-Palette viel Raum ein. Darum legt der Pharma-Riese Wert darauf, sich mit den entsprechenden Medizin-Gesellschaften wie z. B. der „American Society of Clinical Oncology“ (ASCO) gutzustellen. Und kleine Geschenke erhalten dabei die Freundschaft. So spendete der Leverkusener Multi eine Million Dollar für das ASCO-Projekt „CancerLinQ“, eine Internet-Plattform, die Daten von Krebs-PatientInnen zusammenträgt. Sicherlich spekuliert der Leverkusener Multi dabei auch darauf, später einmal Zugang zu dieser Datenbank zu erhalten.
BAYER bildet JournalistInnen fort
Seit 2014 kooperiert der Leverkusener Multi mit der US-amerikanischen „National Press Foundation“ und finanziert Fortbildungsprogramme zu medizinischen Themen. Dieses Jahr bietet er ein Seminar zu Masern und der Kontroverse um Schutz-Impfungen an.
DRUGS & PILLS
Studie warnt vor Testosteron-Pillen
Mit großer Anstrengung arbeitet der Leverkusener Multi daran, die „Männergesundheit“ als neues Geschäftsfeld zu etablieren und Hormon-Präparaten wie NEBIDO oder TESTOGEL neue und nur selten zweckdienliche Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. Zu diesem Behufe hat der Pharma-Riese die Krankheit „Testosteron-Mangel“ erfunden und sie zu „männlichen Wechseljahresstörungen“ erhoben. Studien warnen hingegen vor den Mitteln. So stellte eine Untersuchung von Shalender Bhasin, die das Journal of the American Medical Association veröffentlichte, ausbleibende Haupt-, dafür aber zahlreiche Nebenwirkungen fest. Der Mediziner von der „Harvard Medical School“ konnte keinerlei positive Effekte der Produkte auf die Arterien-Verkalkung feststellen, auch Potenz- oder Libido-Probleme behoben NEBIDO & Co. nicht. Dafür beobachteten Bhasin und sein Team viele gesundheitsgefährdende Begleiterscheinungen wie eine Blut-Verdickung, welche die Thrombose-Gefahr anwachsen lässt und einen gestiegenen PSA-Wert, der auf ein erhöhtes Prostatakrebs-Risiko verweist. Zu ähnlich besorgniserregenden Ergebnissen war zuvor schon die Studie einer ForscherInnen-Gruppe um Jared L. Moss von der Universität Knoxville gekommen. Sie hatte herausgefunden, dass die Testosteron-Spritzen die Zeugungsfähigkeit beeinträchtigen. Zudem registrierten die WissenschaftlerInnen Schrumpfungen des Hodengewebes und Samenzellen-Missbildungen. Auf der langen Liste der Risiken und Nebenwirkungen von Testosteron-Medikamenten stehen außerdem Herzinfarkt, Harntrakt-Schädigungen, Brust-Wachstum, Bluthochdruck, Ödeme und Leberschäden.
Gefährliche Hormonersatz-Therapie
BAYER & Co. ist es gelungen, die Wechseljahre zu einer Krankheit zu erklären, bei der nur eins hilft: die Hormonersatz-Therapie. Was die Konzerne „Menopausen-Management“ nennen, bezeichnen KritikerInnen als „die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen“. Und diese setzt die Patientinnen erheblichen Gesundheitsgefahren aus. So erhöhen die Hormon-Gaben das Risiko für Demenz, Thrombosen, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Brustkrebs. Und Anfang 2015 hat ein ForscherInnen-Team um Richard Peto von der Universität Oxford diese Liste noch um Eierstockkrebs erweitert. Ob das alles bei der derzeitigen Überarbeitung der ärztlichen Leitlinie zur Hormonersatz-Therapie Berücksichtigung findet, steht allerdings in Zweifel. Der Leverkusener Multi hat nämlich beste Beziehungen zu den FrauenärztInnen im Allgemeinen und ihrer Fach-Organisation „Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe“ im Besonderen.
Pillen-Preise mit Akzeptanz-Problem
Der Leverkusener Multi rechtfertigt die hohen Arzneimittel-Preise stets mit dem hohen Forschungsaufwand, den er angeblich betreiben muss, um neue Medikamente zu kreieren. Dabei steckt der Konzern viel mehr Geld in das Pharma-Marketing als in die Pharma-Forschung. So will denn auch das Argument in der Bevölkerung nicht so recht verfangen, wie der Pillen-Riese durch eine von ihm in Auftrag gegebene Umfrage erfuhr. Der Aussage: „Damit die Arzneimittel-Industrie teure Forschung auch langfristig finanzieren kann, ist es wichtig, dass sie angemessene Preise erzielt“, mochten nämlich nur 51 Prozent der Befragten zustimmen. „Daran wollen und müssen wir arbeiten“, kommentierte Frank Schöning, der Geschäftsführer von BAYER VITAL, bedröppelt das enttäuschende Ergebnis.
Kooperation mit PROTEROS
BAYER hat eine Zusammenarbeit mit PROTEROS vereinbart. Der Leverkusener Multi will auf der Basis eines von dem Münchner Biotech-Unternehmen entdeckten Proteins, das Regulationsprozesse der Herz-Membranen steuert, ein Medikament entwickeln und finanziert deshalb die weiteren Forschungsarbeiten der Firma.
PESTIZIDE& HAUSHALTSGIFTE
Pestizide in Lebensmitteln
Die Europäische Behörde für Lebensmittel-Sicherheit (EFSA) veröffentlichte im Frühjahr 2015 die Ergebnisse ihrer Untersuchung über Pestizid-Rückstände in Lebensmitteln. In 45 Prozent aller 81.000 Proben fanden sich Spuren von Agro-Chemikalien. Bei 1,5 Prozent der Samples überschritten die Rückstände die zulässigen Höchstwerte. Dabei lagen auch viele von BAYER vertriebene Wirkstoffe über den zulässigen Limits. So wiesen die ForscherInnen Überdosen von Tebuconazole, Trifloxystrobin, Ethephon, Spiromesifen, Chlorpyrifos, Pencycuron, Folpet, Prochloraz und Carbendazim nach.
Grenzwerte nach BAYER-Gusto
Jährlich ändern sich ca. 40 Prozent der gesetzlich festgelegten Pestizid-Grenzwerte. Deren Bestimmung erfolgt nämlich keinesfalls nach wissenschaftlich objektiven Kriterien, wie Gutgläubige vielleicht annehmen mögen. Die Limits richten sich vielmehr nach dem Aufkommen der Überschreitungen. Gibt es zu viele davon, so legen die Behörden die Latte nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“ auf Antrag der Konzerne einfach ein bisschen höher. Auch BAYER wird in diesem Sinne tätig. So hat der Agro-Riese beispielsweise die Höchstgehalte für Fluopyram-Rückstände in Endivien, Trifloxystrobin-Rückstände in Strauchbeeren, Spirotetramat-Rückstände in Oliven für die Öl-Produktion und Ethephon-Rückstände in Tafeltrauben und Oliven anheben lassen.
MOON PRIVILEGE schädigt Reben
BAYERs Antipilz-Mittel MOON PRIVILEGE (Wirkstoff: Fluopyram) hat verheerende Schäden im Weinbau verursacht. Die Reben vertrockneten und trugen kaum Beeren; die Blätter zeigten Deformationserscheinungen. Durch den Ernte-Ausfall entstand allein schweizer Weinbauern und -bäuerinnen ein Minus von rund 135 Millionen Franken. Ihre KollegInnen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien klagen ebenfalls über Verluste durch das Pestizid, das der Leverkusener Multi auch unter dem Namen „LUNA PRIVILEGE“ vertreibt. Mit den ersten Schadensersatz-Klagen sieht der Agro-Riese sich deshalb schon konfrontiert. Und er scheint sogar gewillt zu zahlen. Es besteht „eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang“, räumt das Unternehmen ein. Angesichts der unvorhergesehenen Risiken und Nebenwirkungen des Mittels steht zudem die Zulassungspraxis der Behörden in der Kritik.
Mehr MPE aus Hürth
BAYERs Pestizid-Wirkstoff Glufosinat erfreut sich derzeit einer großen Nachfrage, weil immer mehr Unkräuter der MONSANTO-Substanz Glyphosat trotzen. Darum erweitert der Leverkusener Multi an vielen Standorten die Produktionskapazitäten für die unter den Namen LIBERTY und BASTA vermarktete Agro-Chemikalie. Nachdem der Konzern unlängst die Fertigung in Höchst ausgebaut hatte, nahm er im August 2015 in Hürth-Knapsack eine neue Anlage für das Glufosinat-Vorprodukt Methanphosphonigsäureester (MPE) in Betrieb. Dass die EU angekündigt hat, Glufosinat 2017 wegen seiner Gefährlichkeit aus dem Verkehr zu ziehen, störte das Unternehmen dabei nicht. Der Global Player hat es nämlich hauptsächlich auf die Absatz-Märkte in Südamerika und in den USA abgesehen. Dort investiert er in Mobile, Alabama und Muskegon, Michigan ebenfalls kräftig, um die Herstellung der Substanz zu forcieren. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisiert diese Praxis der doppelten Standards scharf und fordert ein weltweites Verbot der Chemikalie.
Vorerst weiter mit Glyphosat
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat, der hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz kommt, aber auch in BAYER-Mitteln wie GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE enthalten ist, gilt als gesundheitsgefährdend. So hat eine Krebsforschungseinrichtung der Weltgesundheitsorganisation die Substanz im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft und damit das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ in Erklärungsnot gebracht, das der Agro-Chemikalie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hatte. Eigentlich sollte die Europäische Union bis Ende 2015 über eine Verlängerung der Zulassung des Stoffes befinden. Nun hat die Kommission die Entscheidung aber wegen der unterschiedlichen Einschätzungen des Glyphosat-Sicherheitsprofils vertagt und den Verkauf des Pestizids vorerst bis zum Juni 2016 weiter genehmigt. Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger kritisierte das scharf. „Es ist inakzeptabel, dass die EU-Kommission Europas Bevölkerung weiter einer Substanz aussetzen will, die von der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wurde“, so Weiger.
WHO kritisiert Glyphosat-Studien
Während die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation das umstrittene, auch von BAYER vertriebene Pestizid Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ bezeichnete (s. o.), stufte eine andere Abteilung der WHO die Agro-Chemikalie als unbedenklich ein. Eine aus WHO-WissenschaftlerInnen und ForscherInnen der Agrar-Organisation der Vereinten Nationen gebildete Gruppe, die „Joint FAO/WHO Meetings on Pesticide Residues (JMPR), konnte keine gesundheitsgefährdenden Glyphosat-Effekte ausmachen, was die Agro-Riesen natürlich gerne hörten und weiterverbreiteten. Jetzt haben aber vom JMPR selbst berufene ExpertInnen dem Gremium bei ihrer Bewertung Versäumnisse nachgewiesen. So hat dieses nach Meinung der Fachleute viele Studien nicht ausgewertet und sich bei seinem Votum stattdessen vorwiegend auf Untersuchungen der Hersteller gestützt. In Anbetracht dieses Urteils tritt die WHO nun für eine Neubewertung des Ackergifts ein. Und der Grünen-Politiker Harald Ebner forderte ein sofortiges Verbot: „Es kann nicht sein, dass Menschen Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind, weil die zuständigen Behörden womöglich vorsätzlich im Profit-Interesse gepfuscht haben.“
GENE & KLONE
Genpollen fliegen bis zu 4,5 km weit
In einem großangelegten Versuch haben die Universität Bremen, das Ökologie-Büro Bremen und das „Bundesamt für Naturschutz“ über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg untersucht, wie weit sich Pollen von gen-manipulierten Pflanzen ausbreiten. Das Ergebnis hat die Fachwelt in Erstaunen versetzt: Strecken von bis zu 4,5 Kilometer legte der Blütenstaub zurück. Die gängigen Regeln, die höchstens einen Abstand von ein paar hundert Metern zwischen Feldern mit Gen-Konstrukten und solchen mit konventionellen Ackerfrüchten vorschreiben, waren damit Makulatur. Die Europäische Lebensmittel-Behörde EFSA zog die Konsequenz und setzte das Zulassungsverfahren für den von PIONEER und DOW AGROSCIENCES entwickelten Gentech-Mais 1507, der unter anderem gegen das gefährliche BAYER-Pestizid Glufosinat resistent ist, erst einmal aus.
China lässt BAYER-Soja rein
Ein Großteil der chinesischen Bevölkerung steht der Gentechnik skeptisch gegenüber. Deshalb hat die Regierung bisher den Anbau von Labor-Früchten nicht genehmigt. Und auch beim Import von Pflanzen mit verändertem Erbgut zeigt sich das Land restriktiv. Seit im Jahr 2013 an den Häfen eine Ladung Soja anlandete, die mit SYNGENTAs in dem Staat nicht zugelassenen Produkt AGRISURE VIPTERA kontaminiert war, ließen die Behörden ein Fünftel der Lieferungen wieder zurückgehen. Zudem nimmt sich das Reich der Mitte viel Zeit für Genehmigungsverfahren. BAYER & Co. kritisierten dieses Vorgehen scharf und bezeichneten es als „allzu politisch“, „intransparent“ und „unkalkulierbar“. Das hat offensichtlich gefruchtet. Ende 2014 genehmigte der Staat den Import von BAYERs Soja LL55, der gentechnisch auf eine gemeinsame Verwendung mit dem gefährlichen Pestizid Glufosinat geeicht ist. Als „gute Nachricht für die Landwirte“ und „gute Nachricht für BAYER“ bezeichnete der Leverkusener Multi die Entscheidung.
Wieder kein EYLEA-Zusatznutzen
BAYERs zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zur Blindheit führen kann – zugelassene Augen-Arznei EYLEA erschließt nicht gerade medizinisches Neuland. In den klinischen Prüfungen gelang es dem Gentech-Medikament mit dem Wirkstoff Aflibercept nicht, das NOVARTIS-Präparat LUCENTIS zu übertrumpfen, was der Leverkusener Multi auch selbst einräumen musste. Trotzdem erweitert der Leverkusener Multi das Anwendungsspektrum des Mittels permanent. Und auch bei den neuen Indikationen sieht die Bilanz nicht besser aus. Das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWIG) hat dem Präparat noch nie einen Zusatznutzen bescheinigen können. Erst im Juni 2015 lehnte die Behörde wieder einen BAYER-Antrag ab. Sie vermochte EYLEA bei der Behandlung eines Sehschärfe-Verlustes bei einem Makula-Ödem, das von einem Verschluss einzelner Augen-Venen herrührt, keinen Vorteil gegenüber anderen Therapie-Formen zu bescheinigen.
GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV
Bisphenol auf Bundesrat-Agenda
BAYER ist mit einer Jahresproduktion von ca. einer Million Tonnen einer der größten Produzenten der Industrie-Chemikalie Bisphenol A (siehe auch POLITIK & EINFLUSS). Drei Prozent davon kommen in Verpackungen von Nahrungsmitteln wie etwa Konservendosen zum Einsatz. Die Substanz ähnelt in ihrem chemischen Aufbau Hormonen, was zu Stoffwechsel-Irritationen und damit zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen kann. Die EU hat deshalb bereits die Verwendung des Stoffes in Babyflaschen untersagt und schärfere Grenzwerte erlassen. Nordrhein-Westfalen und zwei weiteren Bundesländern gehen diese Maßnahmen allerdings nicht weit genug. Sie brachten in den Bundesrat einen Antrag mit der Forderung ein, die Verwendung von Bisphenol in Lebensmittel-Verpackungen generell zu verbieten, so wie es Frankreich schon getan hat.
Dauerproblem Holzschutzmittel
BAYERs Tochter-Firma DESOWAG hat bis Mitte der 1980er Jahre das Holzschutzmittel XYLADECOR produziert, das rund 200.000 Menschen vergiftete. Erst als die Geschädigten gegen den Konzern und andere Hersteller vor Gericht zogen und damit das bislang größte Umwelt-Strafverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik initiierten, trennte sich der Leverkusener Multi von der DESOWAG. In vielen Häusern treiben die Produkte aber nach wie vor ihr Unwesen. Die Stiftung Warentest hat noch 2013 in Holz-Proben hohe Konzentrationen festgestellt. Ein besonderes Risiko besteht nach Meinung von ExpertInnen, wenn Umbau-Maßnahmen anstehen und die gefährlichen Stoffe etwa durch das Abschleifen von Holz verstärkt freigesetzt werden. Die Politik verschließt jedoch die Augen vor dem Problem. „Der Bundesregierung liegen keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor, dass nachweisbare gesundheitliche Gefahren für Bewohnerinnen und Bewohner heute noch von den vormals mit PCP- oder Lindan-haltigen Holzschutzmitteln gestrichenen Wohnhäusern ausgehen“, heißt es in einer Antwort der Großen Koalition auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ zu den anhaltenden Folgen des Holzschutzmittel-Skandals.
Anfrage zum Holzschutzmittel-Skandal
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ zu den nachhaltigen Folgen des Holzschutzmittel-Skandals blieb die Bundesregierung nicht nur, was die immer noch andauernden Gesundheitsgefährdungen durch das ehemalige BAYER-Produkt XYLADECOR und andere Präparate anbetrifft, einsilbig und scheinheilig (s. o.). Obwohl ExpertInnen bereits Anfang der 1980er Jahre vor XYLADEDOR & Co. gewarnt hatten, reagierte das damalige Bundesgesundheitsamt nicht. Dieses sei zwar den Berichten „vertieft nachgegangen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den eingetretenen Gesundheitsstörungen und Holzschutzmittel-Belastung konnte aber nicht belegt werden“, so die Große Koalition. Auch wussten Merkel & Co. nicht zu sagen, warum die Geschädigten ihre Ansprüche gegen BAYER und die anderen Unternehmen in Prozessen kaum geltend machen konnten: „Der Bundesregierung liegen darüber keine Erkenntnisse vor.“ Ebenfalls keine Informationen hat diese zum Ausmaß der Verbreitung der Mittel, zur Zahl der Opfer und zu den Kosten, welche die Substanzen verursachten.
CO & CO.
Einwendung gegen neuen Rhein-Düker
Nicht nur die zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld verlegte Kohlenmonoxid-Pipeline wirft Sicherheitsfragen auf. Auch die in den 1960er Jahren zwischen Dormagen und Leverkusen gebaute Verbindung hat gravierende Mängel. Das offenbarte sich der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, nachdem sie bei der Bezirksregierung Köln Einsicht in die entsprechenden Unterlagen genommen hatte. Besonders an dem Rhein-Düker, mittels dessen die Pipeline den Fluss unterquert, zeigen sich Korrosionsschäden, also Abnutzungserscheinungen an den Bau-Bestandteilen. Die CBG veröffentlichte den Befund, und kurz danach kündigte BAYER einen Düker-Neubau an. Dieses Vorhaben beseitigt die Gefahr jedoch nicht, die von dem Transport gefährlichen Giftgases quer durch das Land ausgeht. Darum lehnt die Coordination es ab und hat eine Einwendung gegen das Projekt formuliert. „Ein solches Risiko ist für die Bevölkerung untragbar und wegen der Möglichkeit einer dezentralen Kohlenmonoxid-Produktion in den einzelnen Werken auch nicht notwendig“, heißt es in dem Schreiben an die Bezirksregierung unter anderem.
STANDORTE & PRODUKTION
Brunsbüttel: Neustart für MDI-Plan
2012 kündigte BAYER an, die TDI-Anlage am Standort Brunsbüttel zu einer Fertigungsstätte für MDI umzurüsten. Ein Jahr später legte der Leverkusener Multi die Pläne wieder ad acta, da die Absatz-Zahlen für TDI stiegen. Jetzt holt der Konzern sie erneut hervor – und muss sich abermals mit der Kritik der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) an dem Vorhaben befassen. Nach Ansicht der Coordination berücksichtigt das Vorhaben die Möglichkeit eines Austrittes großer Mengen des Giftgases Phosgen nämlich nicht in ausreichendem Maße. So will das Unternehmen den Bau zwar mit einer Einhausung schützen, womit er einer langjährigen Forderung der Umweltverbände nachkommt, diese aber nicht aus Beton, sondern nur aus Blechplatten errichten. Zudem verzichtet der Konzern auf eine Ammoniak-Wand als zweites Sicherheitssystem.
BAYER-Opfer Hohenbudberg
Die Standort-Städte, die heute so sehr unter BAYERs verkommener Steuer-Moral leiden, haben schon viel Opfer für den Konzern erbracht. So musste in Krefeld einst ein ganzer Ortsteil dem Expansionsdrang des Multis weichen. In den 1960er Jahren besiegelte die Erweiterung des Chemie-„Parks“ das Schicksal von Hohenbudberg und seiner rund 2.000 EinwohnerInnen. Heute zeugen nur noch die Kirche St. Matthias und drei Häuser von seiner Existenz.
RECHT & UNBILLIG
Uni-Vertrag bleibt vorerst geheim
Im Jahr 2008 ging BAYER mit der Kölner Hochschule eine Kooperation auf dem Gebiet der Pharma-Forschung ein. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Initiativen befürchteten eine Ausrichtung der Arznei-Forschung auf Profit, eine Entwicklung von Präparaten ohne therapeutischen Mehrwert, eine Verheimlichung negativer Studienergebnisse und einen Zugriff des Konzerns auf geistiges Eigentum der Hochschul-WissenschaftlerInnen. Deshalb forderten die Organisationen eine Offenlegung des Vertrages. Die Universität verweigerte das jedoch, weshalb die CBG eine Klage einreichte. Nach dem Kölner Verwaltungsgericht lehnte diese nun auch das Oberverwaltungsgericht Münster ab (siehe auch SWB 4/15). In der Urteilsbegründung verwies der Richter auf einen Ausnahme-Paragrafen im Informationsfreiheitsgesetz NRW, der Forschung und Lehre von Offenlegungspflichten entbindet. Während der Verhandlung hatte die Coordination vergeblich darauf hingewiesen, dass sich ihr Interesse an dem Vertrag gerade auf die Teile bezieht, die nicht unmittelbar der Wissenschaft zuzuordnen sind, beispielsweise Vereinbarungen zu Patenten und zur Verwertung der Ergebnisse. „Das Urteil verdeutlicht, dass das nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsgesetz überarbeitet werden muss. Die generelle Ausklammerung des Hochschulbereichs von jeglicher Transparenz muss durch eine differenzierte Regelung ersetzt werden, sonst droht eine Ausrichtung der universitären Forschung auf rein wirtschaftliche Interessen“, erklärte die CBG nach dem Richter-Spruch. Eine Entscheidung darüber, ob sie gegen den OVG-Entscheid, der eine Revision nicht zugelassen hat, Beschwerde einlegt, hat die Coordination noch nicht gefällt.
Millionen-Strafe für Explosion
Am BAYER-Standort Institute war es am 28. August 2008 zu einer Explosion gekommen, in deren Folge zwei Beschäftigte starben (SWB 3/08). Anschließend nahm die US-amerikanische Arbeitsschutzbehörde OSHA Untersuchungen auf und stellte „mangelhafte Sicherheits-Systeme, signifikante Mängel der Notfall-Abläufe und eine fehlerhafte Schulung der Mitarbeiter“ fest. Wegen dieser und anderer Versäumnisse muss der Leverkusener Multi nun eine Strafe von 5,6 Millionen Dollar zahlen. Das Geld fließt nach dem Willen der US-Umweltbehörde EPA zum größten Teil in Projekte, welche die Sicherheit von Chemie-Anlagen erhöhen. Bereits 2010 hatte die Arbeitsschutzbehörde OSHA dem Global Player in der Sache eine Kompensationszahlung von 150.000 Dollar auferlegt.
Weiterer YASMIN-Vergleich
Frauen, die drospirenon-haltige Pillen wie BAYERs YASMIN zur Empfängnis-Verhütung nehmen, tragen im Vergleich zu solchen, die levonorgestrel-haltige Kontrazeptiva bevorzugen, ein bis zu doppelt so hohes Risiko, eine Thromboembolie zu erleiden. Massen von Geschädigten oder deren Hinterbliebene haben deshalb bisher vor allem in den USA Einzel- oder Sammelklagen gegen den Multi angestrengt. Im August 2015 kam es dort gegen die Zahlung von 57 Millionen Dollar zu einem Vergleich mit 1.200 Betroffenen. Insgesamt kosteten den Pillen-Riesen solche Vereinbarungen schon über zwei Milliarden Dollar.
Behörden gegen Kontrazeptiva-Monopol
Als der Leverkusener Multi 2014 vom US-Unternehmen MERCK die Sparte mit den nicht verschreibungspflichtigen Produkten erwarb, gelangten nicht nur Sonnencremes, Fußpflege-Mittel und Magen/Darm-Arzneien neu ins BAYER-Sortiment, sondern auch die MERCILON-Kontrazeptiva mit den Wirkstoffen Desogestrel und Ethinylestradiol. Zusammen mit seinen anderen Verhütungsmitteln kommt der Pharma-Riese damit in Südkorea auf einen Markt-Anteil von 82 Prozent. Das war der dortigen Monopol-Kommission zu viel. Deshalb wies sie den Global Player an, sich von einem Teil dieses Geschäftssegmentes zu trennen.
Das Potenzmittel-Kartell
In der Schweiz zieht sich die juristische Auseinandersetzung um ein Potenzmittel-Kartell, das BAYER, PFIZER und ELI LILLY gebildet hatten, schon lange Jahre hin. Nach Ermittlung der Behörden hatten sich die Pharma-Multis für LEVITRA & Co. auf identische Preis-Empfehlungen geeinigt. Die Wettbewerbskommission WEKO hat deshalb 2009 Strafen in Höhe von insgesamt 5,7 Millionen Franken verhängt. Die Multis fochten die Entscheidung jedoch juristisch an. Das Bundesverwaltungsgericht des Landes erklärte die Klage 2013 auch für berechtigt. Es gebe gar keinen Wettbewerb in diesem Segment, da ein Werbeverbot herrsche und der Schamfaktor die KonsumentInnen von Preisvergleichen abhalte, befanden die RichterInnen, und wo es keinen Wettbewerb gebe, kann es auch keine Wettbewerbsverstöße geben. Anfang 2015 hob das schweizer Bundesgericht dieses Urteil aber auf und verwies den Fall wieder an das Verwaltungsgericht.
Whistleblower-Schutz für Simpson
In ihrer Zeit als BAYER-Beschäftigte bekam Laurie Simpson einen umfassenden Einblick in die Praxis des Leverkusener Multis, die Risiken seiner Arzneimittel zu verschweigen und diese mit Hilfe illegaler Marketing-Methoden zu vertreiben. Sie kritisierte dieses Vorgehen intern und musste dafür berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Darum machte sie die Fälle öffentlich und begann zwei Prozesse gegen den Pharma-Riesen. In dem Verfahren um das bei OPs zum Einsatz kommende Blutstill-Präparat TRASYLOL wirft Simpson dem Konzern vor, der medizinischen Öffentlichkeit und den PatientInnen das gesundheitsgefährdende Potenzial des Mittels verheimlicht zu haben, ungeachtet der Tatsache, dass dazu eindeutige Informationen vorlagen. Zudem beschuldigt sie das Unternehmen, den Verkauf des Pharmazeutikums mit illegalen Methoden wie dem Einräumen von Rabatten und der Gewährung anderer Vergünstigungen befeuert zu haben. Darüber hinaus lastet sie dem Global Player an, den Gebrauch von TRASYLOL auch bei Operationen wie beispielsweise Leber-Transplantationen empfohlen zu haben, obwohl für die Indikationen gar keine Zulassungen vorlagen. Zwei ihrer Vorwürfe hielt ein Gericht in New Jersey für so substanziell und schwerwiegend, dass es Simpson das Recht zusprach, dafür den „False Claims Act“ in Anspruch zu nehmen, das US-amerikanische Schutzprogramm für WhistleblowerInnen. BAYER focht die Entscheidung an, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.
FORSCHUNG & LEHRE
Forschungssubventionen: 8 Millionen
Im Jahr 2014 förderte die öffentliche Hand allein in der Bundesrepublik 80 Forschungsprojekte mit BAYER-Beteiligung und zahlte dem Konzern dafür ca. acht Millionen Euro.
BAYERs Nachhaltigkeitslehrstuhl
Der Leverkusener Multi finanziert an der Berliner Humboldt-Universität einen Lehrstuhl für „Nachhaltige Landnutzung und Klimawandel“. Mit dem Kohlendioxid-Ausstoß des Global Players, der 2014 rund 8,7 Millionen Tonnen betrug, dürfte sich der Stiftungsprofessor Hermann Lotze-Camper dabei eher nicht beschäftigen.
KritikerInnen dominieren BAYER-HV
Das Tribunal
Die „verkehrte Welt“, die sich auf der letzten BAYER-Hauptversammlung mit der großen Dominanz von Konzern-KritikerInnen auftat, kam auch am 27. Mai nicht wieder ins Lot. Erneut lasen 26 RednerInnen dem Konzern von morgens früh bis abends spät die Leviten. Sie setzten sich mit gefährlichen Medikamenten, Plastik-Abfällen, der Vergangenheitspolitik des Konzerns, der Abspaltung der Kunststoff-Sparte sowie all den vielen anderen ohne Rücksicht auf Verluste betriebenen geschäftlichen Aktivitäten zur Rendite-Steigerung auseinander.
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Eigentlich schien das unwiederholbar: 2014 auf der BAYER-Hauptversammlung hatten 26 Konzern-KritikerInnen Einspruch gegen die gnadenlose Profit-Jagd erhoben und damit die RednerInnen-Liste ganz klar dominiert. Und jetzt das: Erneut traten 26 RednerInnen ans Pult, und konfrontierten Konzern und AktionärInnen ebenso umfangreich wie qualifiziert mit Kritik an den profitablen Geschäften. Auch vor der Kölner Messehalle braute sich wieder viel zusammen. Das Unternehmen versuchte jedoch mit allen Mitteln zu verhindern, dass Bilder davon künden und ein Firmenlogo neben den Protestaktionen auftaucht: Keine BAYER-Fahne, kein Plakat und kein sonstiger Hinweis zeigte an, dass hier einer der großen Dax-Konzerne sein jährliches AktionärInnen-Treffen abhielt.
Trotzdem war klar, dass hier gegen die Geschäftspolitik von BAYER demonstriert wurde. Dafür sorgten schon die eindeutigen Transparente und Flugblätter. Und wie in den vergangenen Jahre herrschte vor dem Eingang zur Hauptversammlung ein buntes Treiben. ImkerInnen zeigten sich in voller Montur mit ihren Arbeitsgeräten und protestierten gegen BAYERs bienenschädigende Pestizide. Unterstützung erhielten sie dabei von BUND- und SumOfUs-VertreterInnen, die in Bienen-Kostüme gehüllt Flugblätter verteilten. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN war derweil in See gestochen und hatte auf dem Messe-Gelände ein Meer angelegt, in dem Spülmittel-Flaschen und andere Behältnisse schwammen, um den AktionärInnen das Plastikmüll-Problem plastisch vor Augen zu führen. Darüber hinaus machten junge Frauen mit T-Shirts, die mit Aufdrucken wie „Erfolgsbilanz ‚die Pille’: Valerie, 23, Schlaganfall“ Einblick in ihre Krankenakten gaben, auf ihr Schicksal als Verhütungsmittel-Geschädigte aufmerksam. Andere riefen mit Plakaten die Risiken und Nebenwirkungen der Medikamente des Pharma-Riesen ins Gedächtnis. Zu einem drastischeren Mittel griff das Ehepaar Zwartje: Es konfrontierte die AktionärInnen mit einem großen Foto, das ihre durch eine BAYER-Pille gestorbene Tochter Lena zeigt.
Drinnen offenbarte sich den HV-BesucherInnen dann ein Kontrastprogramm. „BAYER-Aktionäre treffen auf heile und kranke Welten“, so drückte es die Rheinische Post aus. Heil war die Welt des Profits, und zwar gerade weil sie ihre Ziele ohne Rücksicht auf Verluste für Mensch, Tier und Umwelt verfolgt: Um zwei Seiten einer Medaille handelt es sich bei den beiden auf den ersten Blick so disparaten Sphären. Und um den Aktien-HalterInnen den Übergang ein wenig zu erleichtern, zeigte BAYER-Chef Marijn Dekkers zu Anfang seiner Hauptversammlungsrede sogar Gefühle. Er erzählte davon, wie sehr ihn als gelernter Chemiker bei seinem Vorstellungsgespräch die Konzern-Maxime „Science For A Better Life“ beeindruckt habe. „Wissenschaft. Für ein besseres Leben. Das hat mich umgehauen“, schwärmte er und entschuldigte sich sogleich für seinen lockeren Umgangston, der vermutlich eher der von BAYERs Kommunikationschef Herbert Heitmann war.
Nach dieser Overtüre ging Dekkers allerdings rasch wieder zum „Business as usual“ über und widmete sich dem schnöden Zahlenwerk. Er sprach über den Rekord-Umsatz, die Kurs-Entwicklung, die Wachstumstreiber, die Profit-Aussichten im laufenden Geschäftsjahr und verkündete eine Dividenden-Erhöhung. Dafür bedankten sich die anschließend zu Wort kommenden zwei AktionärInnen-Vertreter dann auch artig und beendeten damit gleichzeitig das Kontrastprogramm. Von nun an folgten bis zum Abend nur noch Beiträge über „kranke Welten“. Dem Global Player blieb dabei nur übrig, „die schlechtesten aller Welten“, die emotional erschütternden Zeugnisse der Medikamenten-Geschädigten oder ihrer Angehörigen, ganz an den Schluss der Veranstaltung zu setzen, in der Hoffnung, die meisten AktionärInnen hätten sich da schon längst auf die Heimreise gemacht.
Als aber beispielsweise Karl Murphy zum RednerInnen-Pult schritt, war der Saal bei Weitem nicht leer. So konnten noch viele mitverfolgen, welche verheerenden Folgen der von seiner Mutter genutzte Schwangerschaftstest DUOGYNON bei ihm hatte. Der Engländer zeigte den HV-BesucherInnen die Auswirkungen des Pharmazeutikums, das der 2006 von BAYER geschluckte Konzern SCHERING bis in die 1970er Jahre hinein vermarktete, indem er seine beiden Hände mit den teilweise verstümmelten Fingern hochhielt. In seiner Rede, deren Übersetzung Anabel Schnura vortrug, trug er überzeugende Belege für das Gefährdungspotenzials des Präparates vor. „Ich bin im Besitz von 102 Studien, darunter auch Studien aus Deutschland, die über 3.500 Fälle von Missbildungen bei Babys aufzeigen, deren schwangere Mütter entweder hormonelle Schwangerschaftstests oder die Antibaby-Pille verordnet bekamen“, so Murphy. Und er warf dem Unternehmen vor, schon frühzeitig von den Risiken gewusst zu haben, ohne die ÄrztInnen darüber zu informieren.
Margret-Rose Pyka hatte wie Karl Murphys Mutter DUOGYNON nichtsahnend angewendet und wie sie ein Kind mit einer Behinderung zur Welt gebracht. „Sie müssen sich vorstellen, das sind zwei kleine Tabletten, die haben die Wirkung von zwei bis drei Packungen Antibaby-Pillen, und diese geballte Hormon-Bombe kommt auf ein paar Millimeter werdendes Leben. Und damit rechnet man als Frau nicht“, mit diesen Worten beschrieb sie die fatalen Effekte des Produktes. Pyka hatte sich später auch in einer Initiative engagiert, um andere Menschen das Schicksal ihrer Familie zu ersparen, stieß dabei allerdings rasch auf Grenzen: „Ich habe damals mit den Behörden gesprochen, und die Behörden haben mir gesagt: ‚Wir können das Produkt nicht vom Markt nehmen, weil die Markt-Macht von SCHERING zu groß ist“. Zum Schluss brachte sie das Thema „Entschädigungen“ zur Sprache. „Wir sind alle eine BAYER-Familie. Da gibt es auf der einen Seite die Mitarbeiter, die den Gewinn erwirtschaften, und dann gibt es in der Familie diejenigen, die von BAYER-Produkten negativ betroffen sind, und jetzt ist die Frage, wie geht so eine BAYER-Familie mit ihren Mitgliedern um, und zwar mit den Schwachen“, führte sie aus und schlug dem Vorstand vor, einen Runden Tisch zur Schadensregulierung einzuberufen.
Margret-Rose Pyka war offenbar der Meinung, unter vernünftigen Menschen müsste sich für solch ein Problem doch eine Lösung finden lassen. Aber die BAYER-ManagerInnen betrachten sich nicht als Personen, die frei über solche Angebote entscheiden können. Sie sehen sich an den Auftrag der Eigentümer des Konzerns, vor allem der GroßaktionärInnen und der InvestorInnen, gebunden, so viel Profit wie möglich zu erwirtschaften. Und ein Entgegenkommen in der Schadensersatz-Frage birgt in den Augen des Vorstandes das Risiko, weitere Ansprüche von Geschädigten nach sich zu ziehen und so den Gewinn zu schmälern. „Selbstverständlich stehen wir zu unseren Produkten, wir müssen aber bei der Regulierung von Ansprüchen auch juristische Aspekte mit berücksichtigen“, so drückte Marijn Dekkers diesen Sachverhalt aus und beschied Pyka: „Im von Ihnen angesprochenen Kontext sehen wir daher keine Grundlage für Entschädigungszahlungen.“
Was die verheerenden Wirkungen der Antibaby-Pillen aus der YASMIN-Produktfamilie betrifft, sahen allerdings US-amerikanische Gerichte „eine Grundlage für Entschädigungszahlungen“. 1,9 Milliarden Dollar musste der Konzern bisher dafür aufwenden. Das sei „den Besonderheiten des Rechtssystems in den USA“ geschuldet und beruhe auf den spezifischen Fakten des jeweiligen Einzelfalles, so Dekkers auf eine entsprechende Frage der YASMIN-geschädigten Kathrin Weigele. Er hob jedoch auch hier wieder den „juristischen Aspekt“ hervor, dies sei im Rahmen eines Vergleiches und ohne Anerkenntnis einer Haftung geschehen.
Für Weigele, ihre Leidensgenossin Felicitas Rohrer sowie für das Ehepaar Zwartje, das die beiden Frauen zum Rednerpult begleitet hatte, denen keine so verbraucherschutz-freundliche Gerichte wie in den Vereinigten Staaten zur Seite stehen, hatte BAYER nur formelhafte Beileidsbekundigungen übrig. Felicitas Rohrer hatte sich vorher solche Floskeln ausdrücklich verbeten, Marijn Dekkers ließ sich davon allerdings nicht abhalten. „Deshalb wiederhole ich mich zwar, wenn ich Ihnen sage, dass mich ihre persönliche Geschichte bewegte und weiter bewegt“, eröffnete der Vorstandsvorsitzende der jungen Frau, bevor er wieder zur Tagesordnung überging: „Das Sicherheitsprofil unserer oralen Kontrazeptiva entspricht dem vergleichbarer hormoneller Verhütungsmittel auf dem Markt.“
Unerbittlich zeigte sich der Leverkusener Multi auch wieder in der Sprach-Frage. Der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning als Versammlungsleiter untersagte es Valerie Williams, die wie Karl Murphy extra aus Großbritannien angereist war, um über ihre Erfahrungen mit dem Schwangerschaftstest DUOGYNON zu berichten, ihre Rede in der Muttersprache zu halten. Während Wenning als Aufsichtsratsmitglied der DEUTSCHEN BANK kein Problem damit hatte, dass sich der damalige Co-Vorsitzende Anshu Jain auf deren Hauptversammlung größtenteils des Englischen bediente, blieb der ehemalige BAYER-Chef Williams gegenüber hart: „Redebeiträge und Fragen sind auch in diesem Jahr nur in deutscher Sprache möglich“. CBG-Vorstandsmitglied Axel Köhler-Schnura kritisierte das scharf. „Wann wird dieser entwürdigende, skandalöse und arrogante großdeutsche Sprach-Zopf bei BAYER endlich abgeschnitten“, fragte er. Aber Wenning zeigte sich uneinsichtig. „Wieso Sie den Gebrauch der deutschen Sprache für arrogant halten und als skandalös empfinden, erschließt sich mir übrigens, Herr Köhler-Schnura, nicht“, so der Ober-Aufseher des Konzerns.
Das CBG-Urgestein setzte aber auch noch andere Themen auf die Agenda der Hauptversammlung. Er sprach über das, was Marijn Dekkers in seiner Eröffnungsrede als den „Wandel zu einem reinen Life-Science-Unternehmen“ und eine Konzentration „auf unsere innovationsstärksten Bereiche“ beschrieben hatte: die Trennung von der Kunststoff-Sektion BAYER MATERIAL SCIENCE. „Dieser schwerwiegende Eingriff in den Betriebsfrieden dient einzig und allein dazu, die bereits unverschämte Profit-Rate weiter zu steigern“, konstatierte Köhler-Schnura und prophezeite den dort Beschäftigten ein ähnliches Schicksal wie den KollegInnen der 2004 ausgegliederten, heute unter dem Namen LANXESS firmierenden Plaste- und Chemie-Sparte: „Lohndumping und Vernichtung von Arbeitsplätzen im großen Stil“. Darüber hinaus griff der Diplom-Kaufmann noch BAYERs windige Umtriebe im Netz auf. Der Konzern hatte eine Agentur beauftragt, um „Online-Reputationsmanagement“ zu betreiben und mittels gefaketer Postings auf Facebook und in Foren Produkte des Unternehmens anzupreisen, komplett mit kruden Rechtschreibfehlern als besonderem Authentizitätsausweis. „Ich wüsste schon gerne von Ihnen, Herr Dekkers, wie sich solche (...) Methoden ihres Konzerns mit den von Ihnen immer wieder beschworenen Verhaltensregeln vertragen, in denen so Sätze zu lesen sind wie: ‚BAYER bekennt sich ohne Einschränkung zum Wettbewerb mit fairen Mitteln?’“ Da blieb dem Niederländer kaum etwas anderes übrig, als den Vorgang zu bedauern. Als eine Unternehmensstraftat wertete er die Manipulationen allerdings nicht, für ihn handelte es dabei lediglich sich um Einzelfälle bzw. „Aktivitäten einzelner Mitarbeiter“, die dann auch als Bauernopfer herhalten und den Pharma-Riesen verlassen mussten.
CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes sprach ebenfalls ein ganzes Bündel von problematischen BAYER-Aktivitäten an. So kritisierte er die massenhafte Herstellung von biologisch nicht abbaubaren Kunststoffen, deren drastische Folgen für die Ozeane die Coordination vor den Messehallen mit dem vor Plastikmüll berstenden Miniatur-Meer illustriert hatte. Als den „Gipfel nicht-nachhaltiger Kunststoff-Produktion“ bezeichnete Mimkes dabei die Fertigung von Mikroplastik für die Kosmetik-Industrie, das Kläranlagen mühelos überwindet und ungefiltert in die Gewässer gelangt. Aber nicht nur die Chemie-Wende, auch die Energie-Wende hat der Leverkusener Multi dem CBGler zufolge verschlafen, und zwar so sehr, dass der Konzern sich im Gegensatz zu den vergangenen Jahren gar nicht mehr traut, den verschwindend geringen Prozentsatz, den der Anteil erneuerbarer Energien in seinem Strom-Mix einnimmt, im Geschäftsbericht aufzuführen. Weit entfernt davon, hier eine Umkehr einzuleiten, setzt der Global Player auch noch auf die mit vielen Umweltrisiken behaftete Fracking-Technologie. „Offenbar werden hier bei BAYER entscheidende Weichen falsch gestellt“, resümierte Mimkes. Nicht nur mit der Zukunft tut sich das Unternehmen jedoch schwer, sondern auch mit der Vergangenheit. Noch vor zwei Jahren hatte Dekkers auf der Hauptversammlung die „historischen Verdienste“ des ehemaligen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg gerühmt, der im Ersten Weltkrieg mitverantwortlich für die Entwicklung von Chemie-Waffen und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte. Anlässlich des 100. Jahrestages des ersten Giftgas-Einsatzes im belgischen Ypern wies Mimkes noch einmal auf die fatale Rolle Duisbergs bei der Entwicklung dieser Massenvernichtungswaffe hin und nannte dies als einen der Gründe dafür, warum sich immer mehr Städte und Gemeinden entscheiden, ihre Carl-Duisberg-Straßen umzubenennen.
Der große Vorsitzende wollte es allerdings nicht zulassen, am Denkmal zu rütteln. „Die historische Forschung würdigt die Leistung Carl Duisbergs als herausragende Unternehmer-Persönlichkeit“, konstatierte er und hielt fest: „Die angesprochenen historischen Themen bedürfen einer differenzierten Beurteilung durch Fach-Historiker, sie sollten daher meines Erachtens nicht Gegenstand gesellschaftspolitischer Agitation sein.“ In diesem Sinne sprach er dann auch von der Umbenennungsinitiative als „einer gesteuerten Kampagne“. Und sein Blick in die Zukunft entsprach ebenfalls nicht dem von Philipp Mimkes. Für Marijn Dekkers war bei BAYER alles im grünen Bereich. Von einer Mikroplastik-Produktion in den heimischen Werken wusste er nichts, und die Erneuerbaren Energien seien leider „im größeren Stil nicht wirtschaftlich“, aber ungeachtet dessen sah er den Multi dank angeblich hocheffizienter Kraftwerke und hochinnovativer Verfahrenstechnologien in der Kunststoff-Fertigung voll auf Nachhaltigkeitskurs.
Auf unzählige weitere Fragen musste der Vorstandsvorsitzende an diesem Tag Antworten bzw. Schein-Antworten finden. Die Konzern-KritikerInnen setzten noch das Bienensterben sowie andere Risiken und Nebenwirkungen von Ackergiften, die Gentechnik, Tierversuche, die Kohlenmonoxid-Pipeline, BAYERs Steuervermeidungsstrategien, die Rolle des Großinvestors BLACKROCK, die Datensicherheit und die JADELLE-Kontrazeptiva auf die Tagesordnung. Damit bestimmten sie den ganzen Ablauf der Hauptversammlung. In den Abstimmungsergebnissen spiegelte sich das allerdings nicht wider, aber so geht es eben zu in der markt-konformen Demokratie. Am Ende votierten 98,5 Prozent für die Entlastung des Vorstands und 96,9 Prozent, was angesichts der Kapital-Verhältnisse schon ein Erfolg ist, für die Entlastung des Aufsichtsrates. Und bei der Abstimmung über die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erreichte der Widerspruch sogar mehr als 10 Prozent. Ob das eine Folge der in der Hauptversammlung vorgetragenen massiven Kritik an dem Steuervermeidungskonzern PWC war, bleibt allerdings offen. Von Jan Pehrke
BAYER trotzt Kritik
„Wir stehen zu unseren Produkten“
Was sonst noch geschah: KritikerInnen brachten auf der Hauptversammlung zahlreiche weitere Themen zur Sprache. So setzten sie zusätzlich das Bienensterben, das Pestizid Glyphosat, die Gentechnik, die Medikamente XARELTO und JADELLE, die Tierversuche, die Datensicherheit, die Kohlenmonoxid-Pipeline, die Rolle des Großinvestors BLACKROCK und BAYERs Steuervermeidungsstrategien auf die Tagesordnung.
Auch auf der diesjährigen Hauptversammlung des Leverkusener Multis nahm das Thema „Bienensterben“ wieder breiten Raum ein. Gleich sechs KritikerInnen beschäftigten sich mit dieser Nebenwirkung der BAYER-Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie GAUCHO und PONCHO. Die Imkerin Annette Seehaus-Arnold, Kreisvorsitzende der ImkerInnen der Region Rhön-Grabfeld, legte dem Global Player eine Schadensbilanz vor. „Meine Imker-Kollegen mussten in diesem Winter wieder sehr hohe Verluste an Bienenvölkern hinnehmen. Viele haben sogar alle Völker verloren“, klagte sie. Dabei hätten die BienenzüchterInnen alle Anweisungen zum Schutz der Bienen vor der Varroa-Milbe befolgt, in der BAYER die eigentliche Ursache für den Tod der Bienen sieht. Seehaus-Arnold hatte den Agro-Riesen hingegen in Verdacht, die Bedrohung durch die Varroa-Milbe künstlich aufzubauschen, um von den gefährlichen Effekten seiner Pestizide abzulenken. Und selbst wenn diese einen negativen Einfluss auf die Bienengesundheit haben sollten: „Es kommt nicht auf den Erreger an, sondern auf den Boden, auf den er fällt“, zitierte Seehaus-Arnold Louis Pasteur. Und diesen Boden haben der Imkerin zufolge GAUCHO & Co. besonders fruchtbar für den Erreger gemacht.
Flurschäden
Die Europäische Union schätzt die Mittel ebenfalls als sehr gefährlich ein. Nach Ansicht der EU-Kommission bergen sie „etliche Risiken für die Bienen“. Darum hat Brüssel einen zunächst zweijährigen Verkaufsstopp angeordnet. Der Leverkusener Multi aber geht in Tateinheit mit SYNGENTA gerichtlich gegen das Votum vor. „Warum akzeptieren Sie die Entscheidung nicht? Warum gefährden Sie wissentlich das Überleben der Honigbienen“, fragte Lea Horak von RETTET DEN REGENWALD den Vorstand deshalb. Wiebke Schröder von SumOfUs bezeichnete das als „aggressives Verhalten“ und überreichte den Konzern-ManagerInnen über eine Million Unterschriften, die ihre Organisation gegen die Klage gesammelt hatte. „Nehmen Sie die Neonicotinoid-Bedrohung ernst“, mahnte sie eindringlich angesichts der großen Bedeutung, die Bienen durch die Bestäubung von Nutz-Pflanzen für die Nahrungsmittelversorgung der Menschen haben.
Wie richtig die Entscheidung der EU war, drei Neonicotinoide von BAYER und SYNGENTA mit einem Moratorium zu belegen, bestätigte derweil der Imker Markus Bärmann mit seinen Erfahrungen aus der Praxis. „Dieses Frühjahr war bei den Bienen vieles anders. So viel anders, wie ich es seit zwanzig Jahren nicht mehr erlebt habe! Endlich wieder Insekten in der Luft und am Boden!“, schwärmte er. Auch über orientierungslos umherfliegende Bienen musste Bärmann nicht mehr klagen.
Corinna Hölzel vom BUND widmete sich derweil einem immer noch erhältlichen Neonicotinoid-Wirkstoff, der unter anderem in BAYERs CALYPSO und LIZETAN sein Unwesen treibt: Thiacloprid. „Thiacloprid ist ähnlich besorgniserregend wie die drei verbotenen Wirkstoffe, denn es gehört zur gleichen Gruppe“, stellte sie fest und führte zum Beleg eine Studie des Berliner Bienenforschers Randolf Menzel an, wonach Bienen nach dem Kontakt mit dieser Agrochemikalie nicht mehr in ihren Stock zurückfanden. Auch der Imker Christoph Koch vom DEUTSCHEN BERUFS- UND ERWERBSIMKERBUND berichtete vom Gefährdungspotenzial dieses Produkts. Er verwies dabei auf Zahlen, die das „Deutsche Bienen-Monitoring“ ermittelt hat. Rückstände von sage und schreibe 23 verschiedenen Pestiziden wiesen die WissenschaftlerInnen in den von den Bienen gesammelten Pollen nach. Darunter befanden sich „beängstigend viele Proben mit extrem hohen Thiacloprid-Werten“, so Koch. Der Agro-Riese bestreitet den Sachverhalt jedoch und bewirbt CALYPSO und LIZETAN als „nicht bienengefährlich“. Weil der BUND das als eine Irreführung der VerbraucherInnen bezeichnete, verklagte BAYER den Umweltverband, was Christoph Koch ebenso wie Corinna Hölzel scharf kritisierte – und das Düsseldorfer Landgericht ebenfalls als nicht berechtigt ansah: Es entschied im März 2015 zu Gunsten der Initiative.
„BAYER respektiert das Urteil, da in diesem Verfahren die juristische Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz des Eigentums im Mittelpunkt stand“, erklärte Marijn Dekkers. Und weder von dieser Niederlage noch von den vielen Unterschriften, die SumOfUs sammelte, lässt der Konzern sich davon abbringen, die Auseinandersetzung über die Gefährlichkeit seiner Pestizide vornehmlich auf juristischem Wege zu führen. Er verfolgt die Klage gegen die EU weiter. Dekkers zufolge ging die Kommission gegen die Ackergifte vor, ohne neue Erkenntnisse über unerwünschte Effekte der Mittel zu haben, was seiner Ansicht nach die Rechtssicherheit gefährdet. „Deshalb legen wir weiterhin Wert auf eine gerichtliche Klärung“, so der Ober-BAYER. Immer noch hat er nicht die Spur eines Zweifels an GAUCHO und PONCHO. „Wir stehen zu unseren Produkten. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass Neonicotinoide sicher sind, wenn sie verantwortungsvoll und vorschriftsmäßig eingesetzt werden“, hielt er fest und machte für das Bienensterben neben der Varrao-Milbe nur noch extreme Umwelt- und Klima-Einflüsse sowie eine Veränderung der landwirtschaftlichen Strukturen verantwortlich.
Julia Sievers-Langer von der AGRAR KOORDINATION widmete sich zwei anderen Pestizid-Wirkstoffen, die zwar nicht zur Gruppe der Neonicotinoide gehören, es aber trotzdem in sich haben: Glyphosat und Glufosinat. Glyphosat, das BAYER etwa unter den Namen GLYPHOS, USTINEX G oder KEEPER vermarktet, hat das Krebsforschungsinstitut der Weltgesundheitsorganisation jüngst als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft, berichtete Sievers-Langer. Und von Glufosinat, das der Leverkusener Multi vor allem in Kombination mit seinen Gen-Saaten vertreibt, gehe sogar nach Meinung der Europäischen Union ein hohes Gesundheitsrisiko aus. Die globale Glufosinat-Produktion verdoppeln zu wollen, obwohl die EU-Zulassung 2017 ausläuft, bezeichnete die Aktivistin deshalb als „Skandal“. Sie forderte eine Erklärung dafür ein. „Welche Argumente können schwerer wiegen als die Verpflichtung, die Entstehung von Missbildungen bei Embryos als Folge des Glufosinat-Einsatzes zu verhindern?“, fragte sie den Vorstand. Darauf antwortete Dekkers allerdings nicht. Stattdessen stellte er Glufosinat angesichts der immer mehr Pestiziden trotzenden Wildpflanzen als wichtige Alternative für die LandwirtInnen dar und betonte die herausragenden Produkt-Eigenschaften. Und was die Risiken und Nebenwirkungen angeht, da ist es für den Konzern damit getan, sich „für den sicheren, vorschriftsmäßigen Einsatz“ einzusetzen.
Dr. Christopher Faßbender von der Tierschutz-Organisation PETA thematisiert das Leid, das Versuchstiere ertragen müssen, die mit Pestizid-Wirkstoffen imprägnierte Halsbänder gegen Zecken-Befall testen. Bis zu 400 Tage dauern die Erprobungen, bei denen Hunde und Katzen wiederholt über mehrere Stunden Parasiten in engen Transportboxen ausgesetzt sind. Dekkers äußerte sich aber nicht zu dem konkreten Fall. Er erging sich stattdessen in Ausführungen über die Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf, die BAYER angeblich übernehme.
Christoph Then vom Verein TESTBIOTECH und Sibylle Arians konfrontierten die Hauptversammlung mit einem Schadensbericht zur „grünen“ Gentechnik. „Offensichtlich hat die Firma BAYER die Kontrolle über ihre gentechnisch veränderten Pflanzen längst verloren“, konstatieren die beiden und präsentierten eine lange Liste mit „Unfällen“. Sie begann mit dem Genreis-Skandal, bei dem sich Spuren von BAYERs LL601-Laborfrucht in normalem Haushaltsreis fanden, und reichte über kontamierten Mais bis zu Auskreuzungen von Gen-Raps und Gen-Baumwolle. Zu diesen Kontrollverlusten wollte sich der BAYER-Chef allerdings nicht äußern. Er beließ es bei Allgemeinplätzen über einen verantwortungsvollen Umgang mit der Risikotechnologie und stellte deren Beitrag zur Sicherung der Nahrungsmittel-Versorgung heraus, ungeachtete der Tatsache, dass die meisten Genpflanzen als Futter in den Ställen der MassentierhalterInnen landen.
Pillenschäden
Roland Holtz wandte sich der Pillen-Sparte zu und nahm sich mit dem Blutgerinnungshemmer XARELTO BAYERs Bestseller vor. Holtz, der lange Jahre in der pharmazeutischen Industrie gearbeitet hat und die Branche aus ethischen Gründen verließ, unterzog die Zulassungstests einer genaueren Betrachtung. Er enthüllte, mit welchen Tricks der Leverkusener Multi eine Nicht-Unterlegenheit des Mittels gegenüber den herkömmlichen Präparaten demonstrieren konnte. So hat der Konzern beispielsweise den ProbantInnen der Vergleichsgruppe ihr Medikament nicht in der richtigen Dosierung verabreicht. Darauf ging Marijn Dekkers jedoch nicht näher ein. Lieber verlas er Textbausteine aus den Werbe-Broschüren zu dem Pharmazeutikum, das es allein 2014 auf fast 2.000 Meldungen über unerwünschte Arznei-Effekte brachte und in Verdacht steht, für 161 Todesfälle verantwortlich zu sein.
Susanne Schultz vom GEN-ETHISCHEN NETZWERK problematisierte in ihrem Beitrag, wie BAYER mit seinem Langzeitverhütungsmittel JADELLE eine Entwicklungshilfe-Strategie stützt, die weniger gegen die Armut als vielmehr gegen die Armen gerichtet ist und deren Vermehrung eindämmen will. „JADELLE wurde vom bevölkerungspolitischen Think Tank ‚Population Council’ dafür entwickelt, Frauen in den Ländern des Globalen Südens möglichst langfristig unfruchtbar zu machen“, so Schultz – und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Nebenwirkungen wie starke oder ausbleibende Monatsblutungen, Depressionen, Migräne und abrupte Gewichtszunahmen oder –abnahmen zählte die Wissenschaftlerin von der Frankfurter Goethe-Universität auf.
Während BAYER die Ärmsten der Armen mit einem fünf Jahre wirkenden Silikonstäbchen bestückt, das in den Oberarm eingenäht wird, versucht der Pharma-Riese die reicheren Afrikanerinnen für seine teuren Kontrazeptiva zu gewinnen, kritisierte Daniel Bendix von GLOKAL e. V. Und wenn BAYER offiziell verkündet, „Kundinnen, die für ihre reproduktiven Gesundheitsdienstleistungen mehr zahlen können, dazu zu bringen, auf diese Produkte umzusteigen“, dann firmiert das Ganze auch noch unter Entwicklungshilfe und speist sich zum Teil aus staatlichen Geldern, so Bendix. Konkret nannte der Sozialwissenschaftler von der Universität Kassel Zahlungen von der US-amerikanischen Entwicklungshilfe-Einrichtung USAID. Dekkers focht das nicht an: Er gab unverdrossen den Albert Schweitzer. Der Pharma-Riese kalkuliere nur mit einer geringen Marge, und die staatliche Unterstützung würde gerade einmal ermöglichen, kostendeckend zu arbeiten, behauptete er. Und auch mit JADELLE betätigt sich der Konzern nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden nur als Samariter, reduziere das selbstverständlich sichere und gut verträgliche Mittel doch die Säuglings- und Müttersterblichkeit bei Geburten in beträchtlichem Maße. „Ohne Schwangerschaften keine Schwangerschaftskomplikationen“ – so lautete seine bestechende Logik.
Dieter Donner befasste sich hingegen mit den Risiken und Nebenwirkungen, die von BAYERs Kunststoff-Abteilung ausgehen und beschäftigte sich mit einer Sache, die für den Multi schon zu einer Altlast mutierte, ehe sie überhaupt in Betrieb ist: mit der von Dormagen nach Krefeld verlaufenden Kohlenmonoxid-Pipeline. Auch 2014 war wieder ein schwarzes Jahr für das Projekt, wie der Presse-Koordinator der STOPP-BAYER-CO-PIPELINE-INITIATIVE resümierte. Erst legte die nordrhein-westfälische Landesregierung ein Gutachten vor, wonach es sicherere und sogar preisgünstigere Alternativen zu der Rohrleitung gibt, und dann beurteilte das Oberverwaltungsgericht Münster das Pipeline-Gesetz auch noch als verfassungswidrig. Zudem muss das Unternehmen sich weiter mit der Klage von Heinz-Josef Muhr auseinandersetzen, obwohl dieser jüngst verstarb. Donner, der zum Gedenken an Muhr einen Trauerflor trug, kündigte nämlich an, dass der Prozess trotzdem weitergeführt wird. Angesichts all dieser Unbill fragte Rainer Kalbe den Vorstand, ob er denn einen Plan B hätte. „Diese Frage stellt sich für uns nicht“, antwortete ihm Marijn Dekkers, denn die Giftgas-Leitung gewähre „ein Höchstmaß an Sicherheit“.
Sicherheitsproblemen virtueller Art nahm sich der IT-Berater Fabian Keil an. Er erbat vom Vorstand Informationen zum Datenschutz bei BAYER und erkundigte sich danach, welche Vorkehrungen der Konzern, der auch mit externen IT-Dienstleistern in den USA zusammenarbeitet, gegen Ausspäh-Versuche von NSA & Co. trifft. Eine konkrete Antwort darauf blieb der Vorstandsvorsitzende Keil schuldig, einmal mehr flüchtete Dekkers sich ins Allgemeine und versicherte dem kritischen Aktionär, beim Pharma-Riesen würden hohe Sicherheitsstandards im Computer-Bereich gelten.
Steuerschäden
Der Verfasser dieser Zeilen setzte die Steuermoral des Gen-Giganten auf die Agenda. „Aktuell ist das Unternehmen der wertvollste Konzern im Dax. Die Stadt Leverkusen aber, in der BAYER seinen Stammsitz hat, darbt“, hob er an und führte die ganz legalen Steuertricks auf, die so etwas ermöglichen. Zu den Mitteln der Wahl gehören für den Multi vor allem Niederlassungen in Holland und Belgien, die Anteile an BAYER-Gesellschaften halten und steuermindernde Zins- und Kredit-Transaktionen abwickeln. Zu den ständig sinkenden Gewerbesteuer-Zahlungen räumte der Vorstandsvorsitzende in bemerkenswerter Offenheit ein: „Die Strukturen des heutigen globalen Konzerns sind mit denen von BAYER aus den 80er und 90er Jahren nicht mehr vergleichbar.“ Er gab auch detaillierte Auskünfte zu den Struktur„reformen“. So haben holländische oder belgische Briefkasten-Firmen wie BAYER WOLRD INVESTMENTS Besitztitel an rund einem Fünftel aller 350 Gesellschaften des Konzerns. Und das Volumen ihrer Steuerspar-Geschäfte ist immens. So hat allein BAYER-Antwerpen anderen Töchtern des Global Players 2014 Kredite in einem Volumen von 13,4 Milliarden Euro gewährt.
Der Publizist Dr. Werner Rügemer stellte schließlich die für eine AktionärInnen-Versammlung zentrale Frage: Wem gehört BAYER eigentlich? Er legte die intransparenten Besitz-Verhältnisse dar, schilderte, wie die großen Finanzinvestoren beinahe täglich ihren Aktien-Anteil an dem Unternehmen verändern und forderte Aufklärung. Stellvertretend befasste Rügemer sich näher mit den Praktiken der Gesellschaft BLACKROCK, die 6,2 Prozent der BAYER-Papiere hält und wegen Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz im März 2015 eine Strafe in Höhe von 3,25 Millionen Euro zahlen musste. Unter anderem wollte Werner Rügemer von der Management-Riege wissen, wie sich die Beziehungen des Finanzinvestors zum Agro-Mogul konkret gestalten und ob BLACKROCK Einfluss auf die Einscheidung hatte, sich von der Kunststoff-Sparte zu trennen. Es gebe „einen regelmäßigen Gedankenaustausch“, antwortete Dekkers, im Geschäftsjahr 2014 hätten zwei Einzelgespräche auf Vorstandsebene in New York und Boston stattgefunden. Druck hat der Global Player dort laut Marijn Dekkers nicht bekommen: „Wir haben die Portfolio-Manager von BLACKROCK als konstruktive, interessierte und die Unternehmensstrategie unterstützende Aktionäre kennengelernt.“
Solche hat die Aktien-Gesellschaft am 27. Mai auf der Hauptversammlung hingegen kaum kennengelernt. Mit 26 kritischen AktionärInnen musste sie sich in den Kölner Messehallen auseinandersetzen. Und als reiche all dies noch nicht, wirkte das auch noch ansteckend, so dass sich auch andere zu Interventionen ermuntert fühlten. Uta Behrens vom „Deutschen Juristinnen-Bund“ mahnte mehr Frauen-Förderung an, die französische Journalistin Elise Lucet thematisierte weitere Pestizid-Probleme und Margret Seitz brachte aus gegebenem Anlass Fehler bei vergangenen Unternehmensabspaltungen auf Tapet. So musste der Leverkusener Multi seine Rekorde-Ergebnisse alleine feiern, die Hauptversammlung ist dafür seit Langem schon kein Ort mehr.
Schamlose Profite
Eine Aktie des Leverkusener Multis hat einen Wert von 2,56 Euro. Auf diesen Wert zahlte der Konzern eine Dividende von 2,25 Euro. Das entspricht einer Rendite von sage und schreibe 88 Prozent. Um der Öffentlichkeit diese Schamlosigkeit zu verschleiern, wählt der Global Player als Berechnungsgrundlage jedoch den aktuellen Kurswert des BAYER-Papiers, der gegenwärtig etwa 134 Euro beträgt. Und damit – Hokuspokus – macht der Dividenden-Ertrag nur noch 1,7 Prozent aus.
Abstimmungsergebnisse
Die Abstimmungen auf den AktionärInnen-Hauptversammlungen der Konzerne dominieren wenige GroßaktionärInnen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.) Sie sorgen für sichere Mehrheiten von 90 Prozent + x. Die vielen hunderttausend KleinaktionärInnen besitzen zusammen lediglich fünf bis zehn Prozent der Aktien. Entsprechend sind die Zahlen der Nein-Stimmen auf den Hauptversammlungen des Leverkusener Multis durchaus als Erfolg der Kritischen AktionärInnen bei BAYER zu werten. (Da das Unternehmen die Anzahl der Enthaltungen nicht nennt, ergeben sich im Verhältnis der absoluten Zahlen zu den Prozent-Angaben Schwankungen.)
Gewinn-Verwendung
Nein-Stimmen: 899.013 (0,3 Prozent)
Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen: 505.329 (1,5 Prozent)
Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen: 9.984.692 (3,1 Prozent)
Abschlussprüfung durch PWC (PricewaterhouseCoopers)
Nein-Stimmen: 44.346.258 (13,2 Prozent)
Bundesregierung zu XARELTO:
„Kein neuer Handlungsbedarf“
Im April 2015 musste sich auch die Bundesregierung mit BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO beschäftigen. Die Partei „Die Linke“ wollte in einer Kleinen Anfrage wissen, welche Konsequenzen sie aus den zahlreichen Berichten über die Risiken und Nebenwirkungen der Arznei zu ziehen gedenkt. Die Antwort fiel ernüchternd aus. Es bestehe „kein neuer Handlungsbedarf“, verlautete aus den Reihen von Merkel & Co.
Von Jan Pehrke
Die Schadensbilanz von BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO wächst und wächst. Im Jahr 2014 erhielt das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) 1.996 Meldungen über unerwünschte Arznei-Effekte wie Blutungen und Leber-Störungen, darunter 161 Todesfälle. Ein alarmierender Befund, auch wenn dem BfArM zufolge ein Kausalzusammenhang nicht in jedem Fall belegt ist.
Die Bundesregierung sieht das jedoch anders. „Aus den dem BfArM vorliegenden Zahlen ergibt sich aktuell kein neuer Handlungsbedarf“, konstatiert sie in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“. Bei neuen Medikamenten häuften sich die Berichte über Nebenwirkungen immer, wiegeln Merkel & Co. ab und sprechen weiterhin „von einer derzeit positiven Nutzen/Risiko-Relation“.
Die US-amerikanische „Food and Drug Administration“ (FDA) tut dies nicht so einfach. Sie verweigerte dem Pharmazeutikum, das die MedizinerInnen unter anderem bei Thrombosen, Embolien und Vorhofflimmern verschreiben dürfen, eine Zulassung zur Behandlung der Herz-Krankheit „Akutes Koronar-Syndrom (ACS)“. erteilen. Die Behörde monierte unter anderem die Unterschlagung von drei Todesfällen bei den Klinischen Prüfungen, den Ausschluss unerwünschter ProbandInnen sowie fehlende Informationen über den Gesundheitszustand der TeilnehmerInnen nach Ende der Tests. Die Regierungskoalition ficht das jedoch nicht an. Sie steht zur Entscheidung der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA, die „nach langen Beratungen zu einer positiven Zulassungsempfehlung gekommen“ ist.
Auch Unregelmäßigkeiten bei anderen XARELTO-Tests stört das mit der Beantwortung der Anfrage betraute Gesundheitsministerium nicht weiter. Die US-Initiative PUBLIC CITIZEN hatte Mängel gerade bei solchen festgestellt, die in Entwicklungsländern wie Indien stattfanden, wo ein unerschöpfliches Reservoir an ProbandInnen, unschlagbare Preise, schnelle Verfahren und eine mangelhafte Aufsicht locken. Die EMA hätte die dort erhobenen Daten ohne Einfluss auf das Gesamtergebnis herausrechnen können, versucht die Bundesregierung zu beschwichtigen. Und das europäische FDA-Pendant darf auch in Zukunft weiterrechnen: Gesetze, welche dem Test-Tourismus Einhalt gebieten, planen CDU und SPD nämlich nicht. Immerhin bequemen sie sich dazu, mehr Inspektionen in diesen Staaten durchführen zu lassen – im letzten Jahr hatte sich das BfArM gerade einmal fünf Studien näher angeschaut, darunter drei in Indien.
An der Tatsache, dass es zu dem BAYER-Präparat im Gegensatz zur Standard-Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten wie MARCUMAR kein Gegenmittel gibt, um Blutungen zu stoppen, nimmt die Große Koalition ebenfalls keinen Anstoß. Sie hält ein solches Antidot nicht für nötig, weil sich XARELTO im Organismus relativ schnell abbaue. Den ärztlichen Erfahrungen mit dem Mittel entspricht das nicht. So berichtet die Medizinerin Dr. Sigrid Süßmeyer von vielen Problemen mit Blutungen. Bei neun ihrer 14 XARETO-PatientInnen traten diese auf. Überdies handelte es sich oft um schwere Fälle, die eine sofortige Versorgung im Krankenhaus nötig machten. Und bei einem von ihnen kam jede Hilfe zu spät: Er verstarb. Mit anderen Gerinnungshemmern gab es diese Probleme der Internistin zufolge hingegen nicht. „Seit über 20 Jahren behandele ich mit MARCUMAR ohne diese Flut von Komplikationen. Bei ca. 90 MARCUMAR-Patienten traten in vier Jahren nur vier Komplikationen auf“, so Süßmeyer.
In ihrer Kritik weiß sie sich mit vielen ihrer KollegInnen einig. Sogar die „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ (AkdÄ) warnt vor dem massenhaften Verschreiben von „Neuen Oralen Anti-Koagulantien“ (NOAKs) wie XARELTO: „Ihr Einsatz sollte sich auf Patienten beschränken, für die Vitamin-K-Antagonisten keine Therapie-Option sind.“ Aber selbst dieses Votum gibt der Bundesregierung nicht zu denken. Es handele sich dabei lediglich um eine Empfehlung, stellt sie fest und verweist auf die Therapie-Freiheit der MedizinerInnen: „Eine Stellungnahme oder Schlussfolgerung der Bundesregierung ist daher nicht angezeigt.“ Zu der Ansicht des AkdÄ-Vorsitzenden Wolf-Dieter Ludwig, die hohen Verschreibungszahlen für XARELTO & Co. verdankten sich allein einem aggressiven Marketing, mochten sich die Kanzlerin und ihre Regierungsmannschaft ebenfalls nicht äußern. „Der Bundesregierung liegen zu der Einschätzung von Prof. Wolf-Dieter Ludwig keine belastbaren Informationen vor; insofern enthält sich die Bundesregierung einer Bewertung oder Meinungsäußerung zu dieser Einschätzung“, heißt es in der Drucksache 18/4701. Der Leverkusener Multi ist da weit meinungsfreudiger. Er hält Ludwig schlicht für einen Bekämpfer von Innovationen.
Nicht einmal die hohen Kosten von 100,50 Euro im Monat gegenüber 4,80 Euro bei MARCUMAR & Co. bringen Merkel & Co. auf Distanz zu dem BAYER-Mittel, obwohl die Preise für XARELTO und die anderen NOAKs die Etats der Krankenkassen über Gebühr belasten und deren Ausgaben für Gerinnungshemmer im Jahr 2014 auf 675 Millionen Euro haben steigen lassen. „Die NOAKs haben in den meisten Fällen keine Vorteile für die Patienten, trotzdem wurden 2014 fast doppelt so viele Tagesdosen verschrieben wie im Vorjahr“, muss etwa die „Techniker Krankenkasse“ konstatieren. Statt den PatientInnen zunächst die etablierten Wirkstoffe zu verschreiben, würden sie gleich auf die neuen Pharmazeutika eingestellt, moniert Tim Steimle vom TK-Fachbereich „Arzneimittel“.
Eine Kosten/Nutzen-Bewertung, wie sie das 2011 eingeführte Arzneimittel-Neuverordnungsgesetz (AMNOG) für bereits zugelassene Medikamente vorsah, hätte die Risiken und Nebenwirkungen von XARELTO für die PatientInnen und die Kassen abschätzen und Schaden abwenden können. Ein solches Verfahren hatte am 1.12.2013 tatsächlich auch begonnen, doch es kam nie zu einem Abschluss. In der Zwischenzeit hatte nämlich die Regierung gewechselt, und die Große Koalition beeilte sich, dem Druck der Pharma-Lobby nachzugeben: Sie nahm bereits auf dem Markt befindliche Arzneien von der Überprüfung aus. Und das war es dann. „Einen zu hohen methodischen und administrativen Aufwand“ nennt die CDU/SPD-Regierung als Grund für die „Reform“ und beeilt sich festzuhalten: „Die Bundesregierung sieht die Einstellung der betreffenden Verfahren nicht als für die Patientinnen und Patienten problematisch an.“
Nur eine einzige Änderung im Umgang mit dem Pharmazeutikum führt die Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken an: Die Beipackzettel enthalten nun den Warnhinweis, es lägen keine Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit von XARELTO bei Krebs-PatientInnen vor.
Das ist nicht eben viel. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisierte die Haltung der Bundesregierung deshalb scharf. „Für die meisten Patientinnen und Patienten besitzen die neuen Gerinnungshemmer keinen Zusatznutzen gegenüber bewährten Präparaten. Wer trotz des Gefährdungspotenzials und der hohen Kosten zu Medikamenten wie XARELTO hält, der kapituliert vor der Macht der Pharma-Industrie“, resümiert die Presseerklärung der Coordination.
Die Folgen dieses gesundheitspolitischen Offenbarungseids der Großen Koalition sind absehbar. „Ich könnte heulen und toben und würde den Artikel am liebsten allen Ärzten, die meine Mutter in ihren letzten Lebenswochen betreut haben, um die Ohren hauen“, solche Klagen wie diese in einem Leserbrief an den Spiegel nach einem kritischen Artikel des Magazins über den Gerinnungshemmer werden weiter zunehmen. Auch die Meldungen über unerwünschte Arznei-Effekte an das BfArM werden 2015 erneut ansteigen. Die Zahl der Schadensersatzklagen in den USA – 200 waren es bis zum 31. Januar 2015 – wird ebenfalls anwachsen. Und BAYER wird weiterhin Milliarden in Werbe-Maßnahmen investieren, um all das vergessen zu machen.
AKTION & KRITIK
PAN für Pestizid-Abgabe
Die Ackergifte von BAYER & Co. bürden der Gesellschaft große Lasten auf. Darum fordert das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) eine Pestizid-Abgabe. „Die Umwelt-, Kontroll- und Gesundheitskosten, die durch Pestizide verursacht werden, sind weder im Preis der Pestizid-Produkte noch im Preis der Lebensmittel enthalten (...) Mit einer Abgabe könnte man diese Kosten auf die Pestizid-Produkte aufschlagen“, so die PAN-Aktivistin Susan Haffmans. Sie verweist dabei auch auf das Beispiel Dänemark, wo eine solche Regelung den Agrochemie-Verbrauch deutlich reduzieren konnte.
Weniger Kinderarbeit
Jahrelang hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN die Kinderarbeit bei Zulieferern von BAYERs indischer Saatgut-Tochter PROAGRO angeprangert. Zunächst leugnete der Konzern seine Verantwortung, erst nach öffentlichkeitswirksamen Protesten kam Bewegung in die Sache. Das Unternehmen bekannte sich zu dem Problem, senkte den Anteil arbeitender Kinder unter 14 Jahren drastisch und installierte das „Child Care Program“, das neben Kontrollen auch noch ein Engagement auf dem Bildungssektor umfasst. Inzwischen hat der Global Player dieses Programm ausgeweitet. Er praktiziert es mittlerweile auch im indischen Gemüse-Anbau sowie auf den Reisfelder in Bangladesh und auf den Philippinen. Ein schöner Erfolg der CBG und ihrer MitstreiterInnen!
Kaum Frauen in Führungspositionen
Im BAYER-Vorstand sitzen keine Frauen. In der ersten Führungsebene unterhalb des Vorstands beträgt ihr Anteil fünf Prozent, in der zweiten neun Prozent. Und im Aufsichtsrat liegt die Quote bei 20 Prozent.
BETAFERON-Stellungnahme
Das „Multiple Sklerose“-Präparat BETAFERON gehört zu den umsatzträchtigsten BAYER-Medikamenten, obwohl Studien dem Mittel größere Nebenwirkungen als Wirkungen bescheinigen. Während es bei nur 16 Prozent der frisch Erkrankten imstande ist, einen zweiten Schub zu verhindern, und bei einer schon chronifizierten, aber immer noch schubförmig verlaufenden MS bloß in vierzehn Prozent der Fälle anschlägt, produziert es unzählige unerwünschte Arznei-Effekte. Dazu gehören unter anderem Nierenleiden, Muskelschmerzen und Depressionen. Dies alles schadet dem Absatz jedoch nicht, weil der Leverkusener Multi beste Beziehungen zu Fachkreisen und Selbsthilfegruppen unterhält. Darum forderten die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und die INITIATIVE SELBSTHILFE MULTIPLE SKLEROSE KRANKER den Pharma-Riesen auf, all diese Kontakte offenzulegen und auch etwaige finanzielle Zuwendungen zu dokumentieren.
BfArM für kleinere ASPIRIN-Packungen
Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) warnt davor, die Risiken von ASPIRIN und anderen Schmerzmitteln zu unterschätzen. Der Gebrauch der Medikamente könne „zu Magenbluten mit unter Umständen tödlichem Ausgang, Leber- und Nierenschäden sowie allergenen Reaktionen führen“, so BfArM-Präsident Walter Schwerdtfeger. Bei dem ASPIRIN-Wirkstoff Acetylsalicylsäure bestehe das Risiko „selbst bei den niedrigen Dosierungen, die zur Prävention von Schlaganfall und Herzinfarkt dienen sollen“, konstatiert Schwerdtfeger. Darum verlangt das Bundesinstitut seit langem eine Reduzierung der Mengen, die noch ohne Rezept erhältlich sind. Im Jahr 2012 hatte der „Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht“ eine solche Forderung nach einer Beschränkung der Packungsgrößen abgelehnt, und auch heuer stehen die Chancen für ein neues Regelwerk nicht besser. Gegenüber NOVARTIS wollte das BfArM im Frühjahr 2015 kleinere VOLTAREN-Schachteln gerichtlich durchsetzen, das Verwaltungsgericht Köln wies die Klage allerdings ab.
DBU warnt vor BAYTRIL & Co.
Der massenhafte Einsatz von Antibiotika wie BAYERs BAYTRIL in der Massentierhaltung führt zur massenhaften Entwicklung resistenter Krankheitserreger. Gelangen diese in den menschlichen Organismus, so können MedizinerInnen oftmals nichts mehr gegen die Keime ausrichten, was eine massive Gesundheitsgefahr darstellt. Die DEUTSCHE BUNDESSTIFTUNG UMWELT fordert deshalb politische Schritte zur Einschränkung der Medikamenten-Gaben. Ansonsten bestehe die Gefahr, „dass es zu unkontrollierten Ausbreitungen von resistenten Keimen auch in der Bevölkerung kommt“, so DBU-Generalsekretär Heinrich Bottermann gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Grüne gegen BAYTRIL-Rabatt
An der massenhaften Verbreitung von BAYTRIL und anderen Antibiotika in den Ställen haben die VeterinärInnen keinen geringen Anteil. Sie sind nämlich Arzt und Apotheker in Personalunion und verdienen an den von ihnen ausgegebenen Medikamenten. Zudem haben sich unter den Tier-MedizinerInnen oligopol-artige Strukturen herausgebildet. So bedienen die zehn größten Praxen die Geflügel- und Kälbermastbetriebe fast im Alleingang: Ihr Marktanteil beträgt 90 Prozent. Und sie können BAYTRIL & Co. zu Konditionen veräußern, zu denen es manche TierärztInnen nicht einmal im Einkauf bekommen, weil die Pharma-Riesen ihnen Mengen-Rabatte gewähren (siehe auch Ticker 2/15). Darum haben die Grünen in den „Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft“ den Antrag eingebracht, das Einräumen solcher Sonderkonditionen zu verbieten und einheitliche Abgabe-Preise einzuführen. Das lehnten CDU und SPD jedoch ab (siehe auch TIERE & ARZNEIEN).
Arznei-Studien: ein bisschen Transparenz
Im letzten Jahr hat die EU BAYER & Co. auferlegt, ihre Arznei-Studien zu veröffentlichen. Allerdings brauchen sie nicht die Original-Untersuchungen zu präsentieren, sondern können die Daten aufbereiten. Den Persilschein für diese „Transparenz light“ liefert der Verweis auf Geschäftsgeheimnisse, mit dem der Leverkusener Multi auch die Einsichtnahme in seinen mit der Universität Köln geschlossenen Kooperationsvertrag verweigert (Ticker berichtete mehrfach). Das Europäische Parlament hatte bei seiner Entscheidung zwar deutlich gemacht, dass Unterlagen aus Klinischen Prüfungen an sich nicht unter dieses Rubrum fallen, aber die sehr industrie-freundliche Arznei-Behörde EMA respektiert bei der konkreten Ausgestaltung der Studien-Datenbank den Wunsch der Pharma-Riesen nach Diskretion. Das stößt auf scharfe Kritik. „Weder die Ergebnisse noch die Methoden klinischer Studien sind Geschäftsgeheimnisse. Partikular-Interessen müssen sich dem öffentlichen Interesse an einer zügigen und vollständigen Veröffentlichung solcher Daten und Dokumente unterordnen“, hält etwa das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWIG) fest. Aber ob die öffentliche Empörung die Auskunftsfreudigkeit von Big Pharma zu steigern vermag, bleibt zweifelhaft, zumal die Unternehmen zusätzlich noch auf die gerade in Planung befindliche EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen hoffen dürfen, die auch Regelungen zu Studien mit Medikamenten, Chemikalien und Pestiziden umfasst.
KAPITAL & ARBEIT
Tarifrunde 2014: nur 2,8 Prozent mehr
Die diesjährigen Tarif-Verhandlungen in der Chemie-Branche verliefen in einer weit weniger sozialpartnerschaftlichen Atmosphäre als frühere. „Selten war eine Tarifrunde in der chemischen Industrie derart aufgeheizt wie in diesem Jahr“, resümierte die Rheinische Post. Grund war das niedrige Angebot des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC) von 1,6 Prozent mehr Entgelt bei einer Vertragslaufzeit von 15 Monaten. Wegen des herausfordernden wirtschaftlichen und geopolitischen Umfelds im Allgemeinen und der Lage der ertragsschwächeren kleineren Betriebe im Besonderen könne er leider nicht mehr bieten, führte der BAVC zur Begründung an. Der Vorschlag erboste die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE). „Als ich das gehört habe, ist mir die Kinnlade heruntergerutscht“, berichtete der Tarif-Vorstand der IG BCE, Peter Hausmann. Dementsprechend schwierig gestalteten sich die Gespräche, in deren Verlauf es auch zu Warnstreiks und anderen Aktionen kam. So protestierten BAYER-Beschäftigte in Berlin und Weimar vor der Konzern-Niederlassung für eine gerechtere Bezahlung. Die IG BCE zögerte am Schluss nicht einmal, offen mit einem Arbeitskampf zu drohen. Das hatte sie zuletzt vor zehn Jahren getan, und der letzte Streik liegt sogar schon 34 Jahre zurück. Letztendlich scheute die Gewerkschaft die Konfrontration dann aber doch und gab klein bei. Während die Chemie-WerkerInnen in der letzten Tarifrunde noch 3,7 Prozent mehr Entgelt erhalten hatten, akzeptierte die IG BCE dieses Mal eine Erhöhung von nur 2,8 Prozent – und das auch noch bei einer Laufzeit von 17 Monaten.
Immer weniger Beschäftigte
Im Jahr 1996 hatte BAYER 142.200 Beschäftigte. 2014 waren es gerade mal noch 119.000. Und in nächster Zeit wird diese Zahl durch den Verkauf der Kunststoff-Sparte noch einmal beträchtlich sinken. Dabei könnte sie den absoluten Tiefpunkt von 2004 erreichen, wo bloß 91.700 Menschen beim Leverkusener Multi arbeiteten.
BAYER macht depressiv
Nach einer Untersuchung der „Techniker Krankenkasse“ treten Depressionen in Leverkusen leicht häufiger auf als im NRW-Landesdurchschnitt. Während die Kasse die hohe Arbeitslosen-Quote und die große Anzahl von BerufspendlerInnen in der Stadt als mögliche Gründe anführt, lenkt der Psychologe Martin Gadatsch den Blick auf BAYER. „Es kann auch ein strukturelles Problem hinter der Häufung von depressiven Erkrankungen in Leverkusen stecken. In Leverkusen arbeiten besonders viele Leute bei BAYER. Früher war BAYER für diese Menschen eine große Familie. Mit steigendem Wirtschaftsdruck wächst der Stress aber auch für die Mitarbeiter“, so Gadatsch. Er dürfte dabei aus Erfahrung sprechen, denn er arbeitet in der nahe Leverkusen gelegenen Klinik Roderbirken, die unter anderem auf Psycho-Kardiologie spezialisiert ist, sich also den Auswirkungen seelischer Belastungen auf das Herz widmet.
Immer weniger Tarifverträge
Weltweit hat der Leverkusener Multi nur mit knapp der Hälfte seiner Beschäftigten Tarifverträge abgeschlossen, und 2014 haben sich die Zahlen noch einmal verschlechtert. Der Anteil der Belegschaften, mit denen der Konzern eine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen hat, sank von 54 auf 52 Prozent. In Europa bestehen solche Regelungen mit 87 Prozent der BAYER-WerkerInnen, in Lateinamerika beträgt die Quote 45 Prozent und Schlusslicht bleiben die Vereinigten Staaten mit bloß fünf Prozent.
Ein bisschen Mitsprache
Eine formelle Mitbestimmung mit einem Aufsichtsrat, in dem Beschäftigten-VertreterInnen Stimmen haben, existiert nur in der Bundesrepublik. Im restlichen Europa gibt es in den BAYER-Werken immerhin noch Betriebsräte. Dies ist im Rest der Welt dann auch nicht mehr der Fall. Das höchste der Gefühle stellen da laut BAYER-Geschäftsbericht „gewählte Mitarbeiter-Vertreter“ dar, die „bei bestimmten personal-bezogenen Unternehmensentscheidungen ein Mitsprache-Recht“ haben.
Kein Kunststoff mehr aus Belford Roxo
Wenn BAYER ankündigt, sich von Teilgesellschaften zu trennen, entfalten diese in der Regel mannigfaltige Rationalisierungsaktivitäten, um sich so attraktiver für mögliche Investoren zu machen. Ganz nach diesem Muster handelt auch BAYER MATERIALSCIENCE. Die vom Leverkusener Multi zur Disposition gestellte „Plaste & Elaste“-Sparte hat im Juli 2015 die Kunststoff-Produktion im brasilianischen Belford Roxo gestoppt, wo sie bisher jährlich 55.000 Tonnen Diphenylmethan-Diisocyanat (MDI), 15.000 Tonnen Polyether-Polyolen sowie Lack-Vorprodukte fertigte. 320 Arbeitsplätze vernichtete BMS dadurch, und längst nicht alle Beschäftigten können zu den anderen BAYER-Gesellschaften am Platze wechseln.
Selbstbedienung im Ideen-Pool
Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit betont der Leverkusener Multi die Unverzichtbarkeit des Schutzes des geistigen Eigentums. An den Ideen seiner Belegschaftsangehörigen vergreift der Konzern sich jedoch ganz unverblümt. So erklärt der Pharma-Riese frank und frei, dank der 2014 eingereichten Verbesserungsvorschläge der Beschäftigten bereits im ersten Jahr der Umsetzung über fünf Millionen Euro eingespart zu haben. An Prämien zahlte er indessen nur rund eine Million Euro aus.
E.ON-Vorbild BAYER
Was BAYERs Aufsichtsratschef Werner Wenning in Leverkusen gelernt hat, das praktiziert er auch an anderer Stelle, zum Beispiel bei E.ON, wo er ebenfalls dem obersten Kontrollgremium vorsitzt. KommentatorInnen schreiben ihm eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidung des Energie-Multis zu, das Alt-Geschäft mit den Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken von dem Unternehmensteil abzuspalten, der sich dem Vertrieb, den Stromnetzen und der Erneuerbaren Energie widmet. So konstatiert das manager-magazin: „Die Lösung eines Spin-offs trägt die Handschrift des E.ON-Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Wenning. Der frühere BAYER-Chef hat Erfahrung mit derlei Konzepten seit der Abspaltung von LANXESS (die ehemalige Chemie-Sparte des Leverkusener Multis, Anm. SWB).“
KONZERN & VERGANGENHEIT
Der PCB-Produktionsstopp von 1971
Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie (SWB 1/14). Sie können das menschliche Hormonsystem, das Nervensystem und das Immunsystem schädigen, die Schilddrüse, Leber und Nieren angreifen und zu Unfruchtbarkeit führen. 1971 entschlossen sich MONSANTO und BAYER dazu, die Produktion der Chemikalie zu stoppen, die bis dahin vor allem in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz kam. Die treibende Kraft dabei war der US-Konzern. Er drängte auf den PCB-Ausstieg, „um nicht von einer Welle politischer Emotionen über Bord gespült zu werden“, wie es der damalige Europa-Chef Norbert Dahlström ausdrückte. Zu der Zeit waren die Wogen nämlich schon ziemlich hochgegangen. Meldungen über fünf Japaner, die nach der Zubereitung von Reis in PCB-verunreinigtem Öl gestorben waren, über Totgeborene mit deutlichen Symptomen einer PCB-Vergiftung, 146.000 durch PCB verendete Hühner und Nachrichten über hohe PCB-Rückstände im menschlichen Körper hatten die Öffentlichkeit alarmiert. Trotzdem zögerte der Leverkusener Multi lange, auf den MONSANTO-Vorschlag einzugehen. Fünf Monate lang musste Dahlström nach eigenen Worten „auf BAYER einwirken“, ehe der Pharma-Riese zustimmte. Anfang Oktober 1971 besprachen die beiden Unternehmen dann in Bad Godesberg gemeinsam mit EmissärInnen des Bundesgesundheitsamtes die Details. Dabei forderte die bundesdeutsche Aktien-Gesellschaft dann auch noch Gegenleistungen ein. Sie wollte als Belohnung für ihren Schritt laut Spiegel eine Zusicherung der amtlichen Stellen haben, dass von „eingehenderen Untersuchungen“ der Risiken und Nebenwirkungen von PCB „abgesehen werden“ soll. Zudem produzierte BAYER den Stoff zur Verwendung in vermeintlich sichereren, weil geschlossenen Systemen wie Hydraulik-Ölen und Transformatoren weiter und stellte die Fertigung erst 1983 ganz ein. Schäden richtet der chemisch nur schwer abbaubare Stoff jedoch noch immer an. Darum finden quer durch die Republik aufwendige Sanierungen von Universitäten und Schulen statt – und eine Beteiligung an den Kosten lehnt der Global Player strikt ab.
POLITIK & EINFLUSS
Dekkers will Geld für Antibiotika-Forschung
Die gängigen Antibiotika verlieren immer mehr an Wirkung und können gegen viele Krankheitskeime nichts mehr ausrichten. Die massenhafte Verwendung von Mitteln wie BAYERs BAYTRIL in der Massentierhaltung hat daran einen nicht unerheblichen Anteil (siehe TIERE und ARZNEIEN), denn sie fördert die Herausbildung von antibiotika-resistenten Erregern, die auch in den menschlichen Organismus gelangen können. Der Leverkusener Multi tut jedoch nichts, um sich dem Problem zu stellen. Er forscht auch nicht nach neuen Präparaten. Antibiotika stellen für die Pillen-Riesen nämlich keine große Einnahme-Quelle dar, weil die MedizinerInnen sie nur über einen kurzen Zeitraum hinweg verordnen. „Wir müssen Geld verdienen mit unseren Produkten. Das führt dazu, dass nicht alle Medikamente entwickelt werden, die wir brauchen“, erläuterte Konzern-Chef Marijn Dekkers im Spiegel den Sachverhalt. Daraus zieht er die Konsequenz, staatliche Subventionen einzufordern: „Die Regierungen sollten die Pharma-Industrie wie in der Militär-Industrie Auftragsforschung machen lassen.“
Klimaschutz: Dekkers mauert
Im Herbst 2014 hat die EU ihre Klimaschutz-Ziele festgelegt und eine Senkung der Kohlendioxid-Emissionen von 40 Prozent bis zum Jahr 2030 beschlossen. Der Leverkusener Multi, der im letzten Jahr 8,72 Millionen Tonnen des Gases ausgestoßen hat, hält das für unerreichbar. „Wir akzeptieren diese politische Vorgabe. Und wir wollen unseren Beitrag dazu leisten. Gleichwohl sehen wir derzeit aber weder eine technische noch eine wirtschaftliche Lösung, wie die deutsche chemische Industrie dieses hochgesteckte Ziel erreichen könnte“, sagte der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers in seiner Funktion als Präsident des „Verbandes der Chemischen Industrie“ (VCI). Er plädierte deshalb dafür, die Bereiche „Verkehr“ und „Wohnen“ zur Entlastung von BAYER & Co. mehr in die CO2-Reduktionspläne einzubeziehen. Ansonsten müsste die Chemie-Industrie leider die Produktion drosseln, um den Anforderungen gerecht zu werden, drohte der Holländer. Einen zweiten Lösungsansatz sah er in einem internationalen Klima-Abkommen, wohl wissend, dass die Chancen für eine derartige Übereinkunft zurzeit gen Null tendieren: „Nur wenn es gelingt, auch international alle wichtigen Emittenten einzubeziehen, laufen die Belastungen nicht gegen die Wettbewerbsfähigkeit Europas.“
Kaum weniger EEG-Rabatte
BAYER & Co. klagen routinemäßig über die hohen Strom-Kosten, die ihnen das „Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ (EEG) durch die Förderung von Windkraft & Co. angeblich beschert. Dabei gewährt das Paragraphen-Werk energie-intensiven Betrieben großzügige Rabatte, für welche dann die Privathaushalte aufzukommen haben. Für diese stieg die Strom-Rechnung seit 2008 um 38 Prozent, während diejenige der Konzerne in der Zeit sogar um ein Prozent niedriger ausfiel. Die ungleiche Lasten-Verteilung brachte das ganze EEG in Verruf, weshalb schon Schwarz-Gelb eine „Reform“ begonnen hatte, welche die Große Koalition unter der Ägide von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dann abschloss. Der Vize-Kanzler drosselte den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Gleichzeitig schaffte er es durch zähe Überzeugungsarbeit in Brüssel, den Konzernen die von der EU eigentlich als unerlaubte Subventionen angesehenen Industrie-Privilegien weiterhin zu sichern. Er erklärte sich lediglich zu etwas mehr Enthaltsamkeit bereit und kündigte an, die Preis-Abschläge um eine Milliarde Euro zu reduzieren. BAYER & Co. wehrten sich jedoch vehement und hatten damit Erfolg. Es gelang ihnen, den Gabriel-Plan zu Fall zu bringen, auf den von den Kraftwerken der Unternehmen selber erzeugten Strom eine Öko-Abgabe zu erheben. Unter anderem deshalb musste sich der Wirtschaftsminister von seinem Milliarden-Ziel verabschieden: 2015 sanken die Subventionen für die Industrie um gerade einmal 300 Millionen Euro auf 4,8 Milliarden Euro. Trotzdem geben sich die Multis nicht zufrieden. So forderte BAYER-Chef Marijn Dekkers in seiner Funktion als Präsident des „Verbandes der Chemischen Industrie“, die Ökostrom-Förderung aus Steuer-Mitteln zu bestreiten: „Mit einer alternativen Finanzierung der Energiewende – zum Beispiel über den Bundeshaushalt – könnten die Förderzusagen des EEG eingehalten werden, ohne den Strompreis in die Höhe zu treiben.“
Klimaschutz-Programm schont BAYER & Co.
Im Jahr 2007 hat die damalige Bundesregierung das Klimaschutz-Ziel ausgegeben, die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken, mit 1990 als Bezugsgröße. Die parallel dazu eingeleiteten Maßnahmen genügten jedoch nicht, um die Reduktion zu erreichen. Darum hat die Große Koalition Ende 2014 nachgelegt und ein „Aktionsprogramm Klimaschutz“ sowie einen „Aktionsplan Energie-Effizienz“ auf den Weg gebracht, womit sie bis zu 78 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich einsparen will. Der Leverkusener Multi braucht dazu aber kaum einen Beitrag zu leisten, obwohl sein Energie-Verbrauch ebenso wie sein CO2-Ausstoß steigt (siehe WASSER, BODEN & LUFT). „Der Fokus der beschlossenen Maßnahmen liegt auf den Bereichen ‚Gebäude’ und ‚Verkehr’“, atmet der „Verband der Chemischen Energie“ auf, also genau dort, wo er nach Meinung seines derzeitigen Präsidenten, des BAYER-Chefs Marijn Dekkers, auch liegen sollte (s. o.). Dem VCI gefällt zudem, dass die Regierungskoalition seine Signale erhört hat und Sektoren, die bereits dem Emissionshandel unterliegen, keine weiteren Auflagen gemacht hat. Auch das alleinige Setzen auf freiwillige Maßnahmen im Industrie-Bereich begrüßt die Lobby-Organisation. Darüber hinaus ließ Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Freude von BAYER & Co. den Plan fallen, eine Sonderabgabe auf ältere Kohlekraftwerke zu erheben – das hätte nämlich ihre Strom-Rechnung erhöhen können. Stattdessen ging der Sozialdemokrat den umgekehrten, von dem Chemiegewerkschaftsboss Michael Vassiliadis ersonnenen und von der rot-grünen NRW-Landesregierung tatkräftig unterstützten Weg: Er zahlt den Energie-Riesen Abwrack-Prämien für das Stilllegen ihrer Dreckschleudern und holt sich das Geld dafür bei den Strom-KundInnen wieder.
Agrar-Subventionen für Bauer BAYER
Die EU bedenkt den Leverkusener Multi seit geraumer Zeit mit Agrar-Subventionen. Brüssel sieht die Pestizid-Versuche, die der Konzern auf seinen Ackerflächen in Monheim und Burscheid unternimmt, nämlich als landwirtschaftliche Aktivitäten an. Allerdings nehmen die Zahlungen ab. Strich der Konzern 2013 noch fast 180.000 Euro ein, so gab es 2014 „nur“ 49.000 Euro.
VFA schreibt Merkel wg. Griechenland
BAYER und die anderen Pharma-Multis haben vor der Krise heftig von der griechischen Misswirtschaft im Gesundheitswesen profitiert, wie der Schriftsteller Petros Markaris 2011 in einem Zeit-Artikel festhielt. „In welchem Ausmaß dabei Geld verschwendet wurde, haben die Griechen erst jetzt begriffen. Der Einkauf von Arzneimitteln und medizinischem Gerät wurde bislang von den Krankenhäusern selbst vorgenommen. Jetzt hat das Gesundheitsministerium den Kauf von Arzneimitteln zentral über das Internet organisiert und gemäß den bisherigen Ausgaben dafür 9.937.480 Euro zur Verfügung gestellt. Nun stellte sich heraus: Die Medikamente kosteten nur 616.505 Euro, also bloß 6,2 Prozent der früheren Summe!“, schrieb er. Jetzt können die Pillen-Riesen in dem Staat nicht mehr so viel Geld einstreichen. Und das hat zu allem Überfluss auch noch Einfluss auf die Einnahmen hierzulande. Für neue Medikamente legen die Krankenkassen und die Hersteller die Preise nämlich fest, indem sie sich daran orientieren, was Pharmazeutika in anderen Staaten so kosten. Und in diesem sogenannten Länderkorb macht Griechenland zur Zeit alles etwas billiger. Darum forderte der von BAYER gegründete „Verband der Forschenden Arzneimittel-Hersteller“: „Die Preis-Referenzierung auf Griechenland in Deutschland muss ausgesetzt werden. Die dortige Sondersituation darf keine europa-weite Preisspirale nach unten lostreten.“ Der Verband setzte in der Sache sogar einen Brandbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel auf.
Duin bei „Steam Reformer“-Einweihung
Ursprünglich hatte BAYER den Bau der Kohlenmonoxid-Leitung zwischen Dormagen und Krefeld mit dem CO-Überschuss in Dormagen begründet. Davon kann allerdings schon lange nicht mehr die Rede sein. Der Bau einer neuen TDI-Anlage am Standort machte sogar die Errichtung eines Steam Reformers zur Deckung des Mehrbedarfs notwendig. Am 17. April 2015 nahm ihn der Leverkusener Multi feierlich in Betrieb. „Als „elementar für die Chemie in unserem Land“ pries der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) die Investition bei dem Festakt. Er nutzte die Gelegenheit jedoch nicht, um zu fragen, warum BAYER einen solchen Reformer als Alternative zum gefährlichen Transport des Stoffes quer durchs Land nicht auch in Krefeld plant, obwohl der Konzern damit einem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten zufolge auch noch Geld sparen würde.
PROPAGANDA & MEDIEN
Pestizid-Propaganda
- 1
Pestizide stehen immer stärker in der Kritik. Kaum ein Tag vergeht ohne Meldungen über ihre Risiken und Nebenwirkungen für Mensch, Tier und Umwelt. Der Leverkusener Multi geht deshalb in die Offensive und startet einen „Agrar-Dialog zum Pflanzenschutz“. Seine AußendienstlerInnen verteilen ein Kompendium, das auf Fragen wie „Warum brauchen wir überhaupt Pflanzenschutzmittel?“ oder „Wie sieht es mit den Rückständen in Lebensmitteln aus?“ einfache Antworten gibt. Als AdressatInnen hat der Konzern dabei neben LandwirtInnen „und/oder landwirtschaftlichen Öffentlichkeitsarbeitern“ auch VerbraucherInnen im Sinn. Und das Propaganda-Material steht nicht nur „als gedruckte Ausgabe in Form eines Fächers, eines Heftchens und eines Kartenspiels“ zur Verfügung, sondern auch als App.
Pestizid-Propaganda
- 2
Die zunehmende Kritik an Pestiziden (s. o.) hat auch schon zu Konsequenzen wie der vorläufigen Aussetzung der Genehmigung für die BAYER-Ackergifte GAUCHO und PONCHO wegen ihrer Bienengefährlichkeit geführt. Das bereitet dem Leverkusener Multi Sorge. Darum unternimmt er große Anstrengungen, um der Politik und der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass die Entscheidung der EU zu einer Rückkehr der Plagen führt. So befragte der Konzern 8.000 LandwirtInnen, die einhellig zu Protokoll gaben, welche Probleme ihnen das Fehlen von GAUCHO und PONCHO bereitet. 98 Prozent klagten über zunehmende Schäden durch den Raps-Erdfloh und 74 Prozent über solche durch die Kleine Kohlfliege verursachten.
Pestizid-Propaganda
- 3
Um das schlechte Image von Pestiziden zu verbessern, haben BAYER & Co. die Aktion „Schau ins Feld“ gestartet. Im Rahmen dieser Initiative verschonen die teilnehmenden LandwirtInnen auf einem an öffentliche Wege grenzenden Feld einen Teil ihrer Ackerfrüchte mit den Agro-Chemikalien. „So wird sich bis zur Ernte dem Betrachter ein Bild bieten, das den Fachmann nicht überrascht, wohl aber manchen Spaziergänger oder Radfahrer: Unkräuter überwuchern die Kulturen, Pilzkrankheiten und Schädlinge verursachen sichtbare Schäden und gefährden die Erde“, hofft die Branchen-Organisation „Industrieverband Agrar“.
Pestizid-Propaganda
- 4
Die Risiken und Nebenwirkungen von Pestiziden haben teilweise zu einer strengeren Zulassungspraxis geführt – und in den Augen BAYERs zu einer so strengen, dass sie Zulassungen überhaupt verhindert. So sieht der Leverkusener Multi das Inverkehrbringen neuer Insektizide durch rigidere Auflagen der „Europäischen Behörde für Lebensmittel-Sicherheit“ (EFSA) gefährdet. Diese schreibt den Konzernen unter anderem vor, die Bienengefährlichkeit ihrer Produkte auf einem Versuchsareal mit ausreichenden Abmessungen zu untersuchen. Der Konzern hat hierfür jedoch einen Flächenbedarf von 448 km2 errechnet und sieht sich außerstande, solch ein großes Gebiet aufzutreiben.
Pestizid-Propaganda
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Wegen seiner bienengefährlichen Pestizide PONCHO und GAUCHO steht der Leverkusener Multi bereits seit Langem in der Kritik von BienenzüchterInnen. BAYER hat darauf reagiert und selber einen Imker angeheuert, um den aufgebrachten BienenhalterInnen die Konzern-Version vom Bienensterben möglichst glaubwürdig vermitteln zu können. „Freier Berater für Bienengesundheit“ nennt sich Fred Klockgether. Und er, der sich laut Faz nur „sehr ungern als Lobbyist bezeichnen ließe“, meint selbstverständlich, „dass der Rückgang von Wildbienen mehr durch den Wegfall von Habitaten begründet ist als durch den Pflanzenschutzmittel-Einsatz“ und dass die Varroa-Milbe die Reduzierung der Honigbienen-Populationen verursacht habe. Klockgether zögert nicht einmal, den Agro-Riesen ob seiner Mittel gegen die Milbe als Bienenretter zu bezeichnen.
Elf Milliarden Marketing-Kosten
Seit Jahren wachsen BAYERs Marketing-Kosten. 2014 stiegen sie um rund 700 Millionen Euro auf 11 Milliarden Euro an. Damit machen sie mehr als ein Viertel des Umsatzes aus. Trotz dieses gewaltigen Volumens weigert sich der Konzern auf den Hauptversammlungen beharrlich, die Ausgaben genauer aufzuschlüsseln. Nur zu der Aussage, 40 Prozent des Etats verbrauche die Pharma-Sparte, ließ sich BAYER-Chef Marijn Dekkers 2013 hinreißen. Einen Großteil dieser 40 Prozent wiederum dürfte der Konzern aufwenden, um seinen gefährlichen Gerinnungshemmer XARELTO zu bewerben. Und diese Investition lohnt sich: Trotz vieler kritischer Stimmen aus dem Bereich des Gesundheitswesens setzte der Leverkusener Multi im letzten Jahr mit dem Mittel fast 1,7 Milliarden Euro um.
BAYERs rollendes SchülerInnen-Labor
In Kooperation mit der Berliner Humboldt-Universität betreibt der Leverkusener Multi ein rollendes Labor. Das „Humboldt-BAYER-Mobil“ fährt Schulen in der Bundesrepublik an und arbeitet mehr oder weniger spielerisch den naturwissenschaftlichen Lernplan des Konzerns ab, um bei den 11- bis 15-Jährigen „die Attraktivität des Fachgebietes zu erhöhen“.
TIERE & ARZNEIEN
Tiermast: hohe Antibiotika-Gaben in NRW
Die massenhafte Gabe von Antibiotika wie BAYERs BAYTRIL in der Massentierhaltung befördert die Entwicklung resistenter Krankheitserreger. Gelangen diese dann in den menschlichen Organismus, so können MedizinerInnen oftmals nichts mehr gegen die Keime ausrichten, was eine massive Gesundheitsgefahr darstellt. Deshalb steht diese Praxis bereits seit Jahren in der Kritik. Geändert hat sich bislang allerdings nur wenig. Das zeigt jetzt eine Studie des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums über die Antibiotika-Applikation in der Puten-Aufzucht. 92,8 Prozent der Tiere mussten diese Medikamente während ihrer vier- bis sechsmonatigen Aufzucht schlucken. „Der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Intensiv-Haltung ist weiterhin Alltag“, resümierte NRW-Umweltminister Johannes Remmel bei der Vorstellung der Untersuchung. Am häufigsten wurde in den Ställen auf Benzylpenicillin zurückgegriffen, dann folgten Colistin, Amoxicillin und Enrofloxacin, der Wirkstoff von BAYTRIL. Enrofloxacin gehört zur Gruppe der Fluorchinolone, die auch in der Humanmedizin Verwendung finden – das entsprechende BAYER-Präparat heißt CIPROBAY – und dort sogar den Status von Reserve-Antibiotika haben, weil sie gegen viele Krankheiten wirken. Die Verabreichung von Enrofloxacin in den Ställen schätzt die Untersuchung deshalb als besonders problematisch ein, zumal ihre humanmedizinischen Pendants gegen die ESBL-Keime schon ihre Wirkkraft eingebüßt haben. Deshalb forderte der NRW-Umweltminister Johannes Remmel die Bundesregierung im Frühjahr auf, den Gebrauch von Reserve-Antibiotika, zu denen neben Enrofloxacin auch Colistin gehört, in der Massentierzucht zu verbieten. Und die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen stellte im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft den Antrag, den Einsatz von Fluorochinolen und vergleichbaren Mitteln nur noch in Ausnahmefällen zu gestatten. CDU und SPD lehnten das jedoch ebenso ab wie strengere Auflagen zur Abgabe von Antibiotika an VeterinärInnen (siehe auch AKTION & KRITIK).
Mehr BAYTRIL in den Tierställen
Der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung führt zur Entwicklung resistenter Krankheitserreger. Das stellt auch für die Humanmedizin eine Gefahr dar, denn die Keime, gegen die kein Kraut mehr gewachsen ist, können in den menschlichen Organismus gelangen. Erleichtert vermeldet das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ (BVL) darum für das Jahr 2014 einen Rückgang der Antibiotika-Gaben in den Ställen. Von 1.452 auf 1.238 Tonnen gingen die verabreichten Mengen zurück. Was das BVL da als Erfolgsmeldung verkauft, ist allerdings nur auf den ersten Blick eine. Da die Präparate nämlich immer effektiver wirken, sagen die nackten Zahlen nur wenig aus: Während eine Tonne des Alt-Antibiotikums Tetracyclin gerade einmal für 39.000 Mastschweine langt, vermögen die LandwirtInnen mit einer Tonne von BAYERs BAYTRIL 2,2 Millionen Tiere zu versorgen. Und das Leverkusener Produkt mit dem Wirkstoff Enrofloxacin, der zur Substanz-Klasse der Fluorchinolone gehört, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. „Die Abgabe von Fluorchinolonen hat auf hohem Niveau weiter leicht zugenommen und zeigt gegenüber dem ersten Erfassungsjahr 2011 eine Steigerung von nunmehr 50 Prozent“, konstatiert das Bundesamt. Um 200 Kilogramm auf 12,3 Tonnen wuchs der Verbrauch. Das ist alarmierend, denn Fluorchinolone finden auch in der Humanmedizin Verwendung – das entsprechende BAYER-Präparat heißt CIPROBAY – und haben dort sogar den Status von Reserve-Antibiotika, weil sie gegen viele Krankheiten wirken. Darum erklärten die ÄRZTE GEGEN MASSENTIERHALTUNG: „Wir fordern das sofortige Verbot des Einsatzes dieser Antibiotika-Klassen in der Tierhaltung“. Zudem appellierten sie an die Politik, nach dem Vorbild der Niederlande das verbindliche Reduktionsziel „50 Prozent weniger Antibiotika in den Mast-Anlagen binnen dreier Jahre“ vorzugeben.
Erweitertes Anwende-Spektrum für BAYTRIL
BAYERs Veterinär-Antibiotikum BAYTRIL kann bald noch mehr Schaden anrichten (s. o.) In den USA erhielt der Leverkusener Multi für BAYTRIL 100 die Zulassung, das ein erweitertes Anwendungsspektrum hat und nun bei Schweinen auch zum Einsatz kommen kann, wenn die Tiere vom E.coli-Bakterium befallen sind. Zudem dürfen die TierärztInnen das Präparat jetzt auch intra-muskulär spritzen. Als eine gute Nachricht für Schweine-ProduzentInnen, VeterinärInnen und alle, denen eine Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln am Herzen liegt, feierte der Leverkusener Multi die Entscheidung der US-Gesundheitsbehörde FDA.
TIERE & VERSUCHE
144.471 Tierversuche
Im Geschäftsjahr 2014 hat BAYER 144.471 Tierversuche durchgeführt, 95,8 Prozent davon mit Ratten und Mäusen. Die Zahl ist nur bedingt mit derjenigen von 2013 vergleichbar, wo es 142.084 Experimente am „Tiermodell“ gab. Die EU hat nämlich die Dokumentationsvorschriften geändert; gemäß der Richtlinie 2010/63 müssen die Unternehmen jetzt nicht mehr die Tiere selber, sondern ihre Einsätze zählen. „Ob der Anstieg um 1,7 Prozent alleine durch die neue Zählweise oder von unseren Projekten im letzten Jahr abhängig war, kann nicht eindeutig identifiziert werden“, erklärt der Konzern deshalb.
DRUGS & PILLS
Immer mehr XARELTO
BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO mit dem Wirkstoff Rivaroxaban hat gefährliche Nebenwirkungen. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ erhielt allein 2014 161 Benachrichtigungen über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Mittel; insgesamt erfolgten rund 2.000 Meldungen wegen unerwünschter Pharma-Effekte. Trotzdem will der Leverkusener Multi das Anwendungsspektrum des bisher unter anderem zur Behandlung von Thrombosen, Embolien und von Vorhofflimmern zugelassenen Präparates weiter vergrößern. Für sieben neue Indikationen wie z. B. zur Therapie von PatientInnen mit chronischem Herz-Versagen testet der Konzern die Arznei derzeit.
Kein Handlungsbedarf bei XARELTO
Jetzt musste sich sogar die Bundesregierung mit BAYERs umstrittenem Gerinnungshemmer XARELTO beschäftigen. Die Partei „Die Linke“ wollte in einer Kleinen Anfrage wissen, welche Konsequenzen die Große Koalition aus den zahlreichen Berichten über die Risiken und Nebenwirkungen der Arznei zu ziehen gedenkt. Die Antwort fiel ernüchternd aus. Es bestehe „kein neuer Handlungsbedarf“, verlautete aus den Reihen der Großen Koalition. Merkel & Co sprachen von einer derzeit positiven Nutzen/Risiko-Relation“ und ließen sich von dieser Meinung noch nicht einmal durch die „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ (AkdÄ) abbringen, die vor dem massenhaften Verschreiben von „Neuen Oralen Anti-Koagulantien“ (NOAKs) wie XARELTO gewarnt hatte. Und an der Tatsache, dass es zu dem BAYER-Präparat im Gegensatz zur Standard-Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten wie MARCUMAR kein Gegenmittel gibt, um Blutungen zu stoppen, nimmt die Merkel-Regierung ebenfalls keinen Anstoß. Sie hält ein solches Antidot nicht für nötig, weil sich XARELTO im Organismus angeblich relativ schnell abbaue.
NOCTAMID: hohes Sucht-Potenzial
BAYERs Schlafmittel NOCTAMID mit dem Wirkstoff Lormetazepam gehört zu den Benzodiazepinen. Eine Studie der Universität Bochum unter Federführung von Dr. Knut Hoffmann bescheinigt dieser Substanz-Klasse ein hohes Sucht-Potenzial. Von 128.000 bis 1,6 Millionen Abhängigen allein in der Bundesrepublik spricht die Untersuchung. Gemäß Zulassung sollte die Anwendung benzodiazepin-haltiger Mittel zwar auf zwei bis vier Wochen beschränkt bleiben, das entspricht jedoch nicht der Praxis. Viele Menschen bekommen die Präparate doch länger verordnet oder sie besorgen sich die Mittel auf eigene Kosten über ein Privat-Rezept. Hoffmann und seine MitarbeiterInnen zitieren eine Arbeit von Dr. Rüdiger Holzbach, wonach 2,8 Prozent der PatientInnen ein sehr problematisches Einnahme-Verhalten zeigen und 17,5 Prozent ein problematisches. Bei älteren Menschen liegt diese Quote sogar bei über 20 Prozent. Die Ergebnisse der Studie alarmieren deshalb besonders, weil hierzulande jährlich rund zwei Millionen Packungen von NOCTAMID & Co. über die Ladentheken der Apotheken gehen. Hoffmann und seinem Team bleibt da nur, einmal mehr zu warnen: „Trotz initial guter Wirksamkeit sollte die Indikation streng und zeitlich befristet sein. Wenn ein kurzer Therapie-Zeitraum nicht möglich ist, sollte der Patient frühzeitig zu einem Facharzt überwiesen und gegebenenfalls das Suchthilfe-System kontaktiert werden.“
Ökotest: SUPRADYN ungenügend
Multivitamin-Präparate wie BAYERs SUPRADYN ENERGY helfen nicht nur nicht, sie können der Gesundheit sogar schaden. So erhöhen SUPRADYN & Co. das Sterblichkeitsrisiko von älteren Frauen um 2,4 Prozent, wie eine im Fachmagazin Archives of Internal Medicine veröffentlichte Studie herausgefunden hat. „Bestenfalls nutzlos“ überschrieb das Magazin Ökotest deshalb seinen Prüfbericht. „Kein Produkt ist eine Empfehlung wert“, resümierte die Zeitschrift und vergab als Bestnote ein „befriedigend“. Das vom Leverkusener Multi hergestellte SUPRADYN bekam diese nicht, sondern nur ein „ungenügend“. Die Brausetabletten enthielten nämlich deutlich mehr Anteile von Vitamin A, Niacin, Zink und anderen Inhaltsstoffen, als das „Bundesinstitut für Risikobewertung“ (BfR) in seinen Höchstmengen-Empfehlungen für noch angemessen erachtet. „Den Vogel schießen die SUPRADYN ENERGY Brausetabletten mit Orangen-Geschmack mit zwölf Überschreitungen ab“, hält die Publikation fest. Damit nicht genug, tummeln sich in SUPRADYN auch noch Spurenelemente wie Eisen, Kupfer und Mangan, die nach Ansicht des BfR in Nahrungsergänzungsmitteln nichts zu suchen haben sollten.
Ökotest: BEPANTHOL ungenügend
Die Zeitschrift Ökotest stellte in ihrem Ratgeber „Kosmetik und Wellness“ Lippenpflege-Stifte mit UV-Schutz auf den Prüfstand. BAYERs BEPANTHOL LIPSTICK SPF 30 schnitt dabei schlecht ab und bekam die Note „ungenügend“. Er enthielt nämlich Lichtschutz-Filter, die hormon-ähnlich wirken und deshalb die Entwicklung des Gehirns, Stoffwechselprozesse und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen sowie Diabetes und Herz/Kreislauf-Erkrankungen befördern können. Und zu allem Übel befanden sich mit Ethylhexyl Methooxycinnamate und Benzophenone-3 auch noch solche Stoffe in dem Produkt, die als besonders gesundheitsgefährdend gelten.
ASPIRIN: schneller und gefährlicher?
BAYERs „Tausendsassa“ ASPIRIN ist in Apotheken rezeptfrei erhältlich, aber dennoch alles andere als harmlos (siehe auch AKTION & KRITIK). Der Hamburger Mediziner Dr. Friedrich Hagenmüller von der Hamburger Asklepios-Klinik etwa schätzt die Zahl der Todesopfer durch die Nebenwirkung „Magenbluten“ allein in der Bundesrepublik auf jährlich 1.000 bis 5.000. Im letzten Jahr hat der Leverkusener Multi nun eine ASPIRIN-Formulierung auf den Markt gebracht, die schneller wirkt. „Mikronisierung“ lautet das Zauberwort: Der Pharma-Riese hat die Partikel-Größe des Wirkstoffes Acetylsalicylsäure um 90 Prozent verkleinert, weshalb ihn der Organismus flinker aufnehmen kann. Das birgt allerdings auch die Gefahr neuer Gesundheitsschädigungen. „Durch die Mikronisierung erzielt die neue ASPIRIN-Tablette eine dreimal so hohe Wirkstoff-Konzentration im Blut des Menschen als die bisherige. Die Wirkung dieses Effektes hätte man unbedingt in einer gesonderten Sicherheitsuntersuchung überprüfen müssen“, kritisiert Fritz Sörgel, der Leiter des Nürnberger „Institutes für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung“.
ASPIRIN: Weniger Infarkte, mehr Blutungen
Eine Langzeit-Untersuchung hat überprüft, ob niedrig dosiertes ASPIRIN vorbeugend gegen Herz-Infarkte und Krebs-Arten wirkt, die den Verdauungstrakt befallen. Die über 15 Jahre gehende Studie mit rund 28.000 Frauen hat zwar einen prophylaktischen Effekt festgestellt, aber bei den ProbandInnen als Begleiterscheinung auch häufig Blutungen registrieren müssen. Darum schätzten die WissenschaftlerInnen das Nutzen/Risiko-Verhältnis negativ ein und rieten von einer dauerhaften ASPIRIN-Einnahme ab.
Kontrazeptiva verursachen Hirntumore
Die Einnahme von Verhütungsmitteln steigert die Wahrscheinlichkeit, an einem Gehirntumor zu erkranken. Das ergab eine Studie der Universitätsklinik von Odense, welche David Gaist und seine MitarbeiterInnen durchgeführt haben. Das Risiko, eine solche Krankheit zu erleiden, liegt bei Frauen, welche Kontrazeptiva einnehmen, um das Anderthalb- bis Vierfache höher als bei denjenigen, welche auf die Mittel verzichten. Der Gefährdungsgrad hängt dabei davon ab, welche Hormone in den Pillen wirken und über welchen Zeitraum hinweg die Präparate genutzt wurden. Die größte Gefahr geht von Gestagenen aus, zu denen BAYERs umstrittener YASMIN-Wirkstoff Drospirenon gehört (Ticker berichtete mehrfach) und die allergrößte dabei von dem Gestagen Progesteron, das der Leverkusener Multi bei seiner Verhütungsspirale MIRENA einsetzt.
Neue Gesundheitsapps
Der Leverkusener Multi will in den lukrativen Markt mit Gesundheitsapps einsteigen. Auf seiner Internet-Plattform „Grants4Targets“ hat der Global Player deshalb Startup-Unternehmen angeworben, um für ihn spezielle Anwendungen zu programmieren. So hat PHARMAASSISTANT eine App entwickelt, die mit einer Pillen-Dose verbunden ist und die PatientInnen an die Medikamenten-Einnahme erinnert. QOMPIUM entwickelte eine Software, welche die Herz-Frequenz misst und bei Auffälligkeiten anschlägt, während CORTRIUM einen Sensor ersonnen hat, der Funktionen eines EKGs übernehmen kann. Außerdem noch im Angebot: Ein Gerät, das aus der Atemluft Daten über den Kalorien-Verbrauch gewinnt, und eine Apparatur, die für Apotheken gläserne PatientInnen schafft bzw. „die Apotheker mit Patienten-Informationen unterstützt“, wie die Berliner Morgenpost es ausdrückte.
PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE
Chlorpyrifos auf dem Prüfstand
Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA hat die von dem Pestizid-Wirkstoff Chlorpyrifos – enthalten unter anderem in den BAYER-Produkten BLATTANEX, PROFICID und RIDDER – ausgehenden Gesundheitsgefahren neu untersucht. Dabei stellte sie ein erhöhtes Gefährdungspotenzial für LandarbeiterInnen fest, die mit dem Stoff umgehen. Wenn LandwirtInnen das Ackergift in großen Mengen nutzen, besteht zudem das Risiko einer Wasser-Verunreinigung, warnen die ExpertInnen. Darum prüft die Behörde derzeit, ob die Auflagen für den Gebrauch der Agro-Chemikalie noch ausreichen. Die EPA hat in der Vergangenheit bereits mehrmals strengere Regularien erlassen. Bereits im Jahr 2000 verbot sie die Verwendung von Chlorpyrifos in Haus und Garten. Zwei Jahre später untersagte die Environmental Protection Agency das Ausbringen auf Tomaten-Kulturen und schränkte den Einsatz auf Apfel-, Zitrus- und Nussplantagen ein. Und im Jahr 2012 schließlich machte sie die Einrichtung von Pufferzonen rund um Flächen zur Pflicht, die mit Chlorpyrifos traktiert wurden, und erließ Regeln für einen sparsameren Umgang mit BLATTANEX & Co.
Genehmigung für DIFLEXX
Die US-Behörden haben BAYERs neuem Herbizid DIFLEXX eine Zulassung erteilt. Als Wirkstoff enthält das Mittel Dicamba. Nach einer Studie des US-amerikanischen „National Cancer Institutes“ kann es Lymph-Krebs auslösen. FarmerInnen, die der Substanz ausgesetzt waren, trugen der Untersuchung zufolge ein doppelt so hohes Risiko, an dem Non-Hodgkin-Lymphom zu erkranken wie ProbandInnen der Vergleichsgruppe. Zusätzlich kommt in DIFLEXX noch ein „CSI Safener“ zum Einsatz, eine Substanz, welche die negativen Effekte des Pestizids auf die damit bespritzten Pflanzen abmildern soll.
Baumärkte ohne Glyphosat
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat, der hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz kommt, aber auch in BAYER-Mitteln wie GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE enthalten ist, gilt als gesundheitsgefährdend. So hat eine Krebsforschungseinrichtung der Weltgesundheitsorganisation die Substanz im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Zur Zeit berät die Europäische Union über eine Verlängerung der Zulassung für die Agro-Chemikalie. Einige Verkaufsstellen wie die TOOM-Baumärkte und die schweizer Supermarktketten COOP und MIGROS wollten die EU-Entscheidung indes nicht mehr abwarten: Sie entfernten glyphosat-haltige Mittel vorsorglich aus ihren Regalen.
Glyphosat in der Muttermilch
Eine von den Grünen in Auftrag gegebene Untersuchung der Toxikologin Irene Witte hat Spuren des umstrittenen Pestizids Glyphosat (s. o.) in der Muttermilch nachgewiesen. Die Rückstände lagen dabei über den zulässigen Grenzwerten für Trinkwasser. Angesichts des besorgniserregenden Studien-Ergebnisses forderte der Grünen-Obmann für Ernährung und Landwirtschaft, Harald Ebner: „Jetzt muss wirklich Schluss sein mit der Glyphosat-Verharmlosung.“ Die Partei drängte die Bundesregierung, das Mittel solange aus dem Verkehr zu ziehen, bis Klarheit über seine möglicherweise krebserregende Wirkung besteht. Die „Arbeitsgemeinschaft Glyphosat“, der BAYER nicht angehört, bezeichnete den Vergleich mit den Trinkwasser-Höchstgrenzen indes als irreführend und wiegelte ab: „Muttermilch ist ein sensibles und wichtiges Nahrungsmittel. Aber die darin festgestellten Mengen an Glyphosat sollten nicht zu falschen Schlüssen führen. Nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen geben sie keinen Anlass zur Sorge.“
Hormonell wirksame Haushaltsgifte
Viele Biozide, also für den Haus- und Gartenbereich bestimmte Pestizide, enthalten Wirkstoffe, die in ihrem chemischen Aufbau Hormonen ähneln. Vom menschlichen Körper aufgenommen, können diese Fehlsteuerungen im Organismus auslösen und zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen. Auch in BAYER-Produkten finden sich solche Substanzen. So tummelt sich in BAYER GARTEN UNGEZIEFER & AMEISEN SPEZIAL SPRAY Deltamethrin, in BAYER GARTEN FLIEGENSPRAY Tetramethrin und in BAYER GARTEN SCHÄDLINGSFREI das obendrein bienenschädliche Thiacloprid. Eigentlich verbietet es das EU-Recht, solche Stoffe in den Handel zu bringen, aber in Brüssel herrscht noch Uneinigkeit darüber, welche Chemikalien wirklich unter das Hormon-Verdikt fallen. „Während die EU-Kommission infolge des massiven Lobby-Drucks durch die Industrie die notwendige Festsetzung solcher Kriterien weiter verzögert, erhalten immer mehr Biozide, die im Verdacht stehen, hormonell wirksam zu sein, eine Genehmigung“, kritisiert deshalb das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN). Und Schweden hat wegen der Hinhalte-Politik bereits eine Klage gegen die Europäische Kommission angestrengt.
PFLANZEN & SAATEN
Neue Zuckerrübe ab 2018
BAYER hat zusammen mit KWS eine Zuckerrüben-Art entwickelt, deren Erbgut eine natürliche und durch Züchtung verstärkte Enzym-Veränderung aufweist. Auf diese Weise übersteht die Labor-Frucht eine Behandlung mit solchen Anti-Unkrautmitteln, welche die Acetolactat-Synthese stören, unbeschadet. Allerdings überstehen auch immer mehr Wildpflanzen die Behandlung mit diesen so genannten ALS-Hemmern unbeschadet. Deshalb könnte die neue Rübe, wenn sie wie geplant 2018 gemeinsam mit dem auf die Pflanze abgestimmten Herbizid CONVISO auf den Markt kommt, schon bald ziemlich alt aussehen.
EPA: Brokkoli-Patent rechtens
Nicht nur auf gen-manipulierte Ackerfrüchte, sondern auch auf mittels konventioneller Verfahren gezüchtete Sorten erheben die Konzerne Patentansprüche. So hält der Leverkusener Multi unter anderem Schutzrechte auf eine herbizid-resistente Mais-Art, auf Pflanzen mit einer erhöhten Stress-Resistenz und auf ein Verfahren zur Erhöhung des Zucker-Gehaltes von Zuckerrohr. Ursprünglich hatte das Straßburger Patent-Übereinkommen von 1963 genauso wie das 1977 beschlossene Europäische Patent-Übereinkommen Eigentumsansprüche auf „im Wesentlichen biologische Verfahren“ ausgeschlossen. Aber die Agro-Lobby erreichte Aufweichungen, um die sich allerdings heftige Kontroversen entzündeten. Mediale Aufmerksamkeit erlangte dabei vor allem die Auseinandersetzung um das Brokkoli-Patent, welches das Europäische Patentamt (EPA) erteilte. Dieses fochten gleich zwei Firmen an. Im März 2015 verhandelte die Große Beschwerdekammer der EPA darüber – und wies den Einspruch ab. Schutzrechte auf im Wesentlichen biologische Verfahren gestatte das Europäische Patent-Übereinkommen zwar nicht, das schlösse jedoch die Gewährung von Patenten auf Pflanzen, die durch solche Techniken entständen, nicht aus, sagte EPA-Sprecher Rainer Osterwalder zur Begründung. „Das ist nirgendwo vorgesehen im Patentrecht“, so Osterwalder. Die Entscheidung löste große Empörung aus. „Die EPA hat den Weg für Konzerne wie MONSANTO und SYNGENTA geebnet, die Kontrolle über die Grundlagen unserer Ernährung zu übernehmen. Wir fordern die europäischen Regierungen auf, jetzt politisch Druck auf das Europäische Patentamt auszuüben, um diese Praxis sofort zu stoppen“, sagte etwa Christoph Then vom Bündnis KEINE PATENTE AUF SAATGUT!.
BAYER kauft SEEDWORKS
Den Pestizid-Markt haben die Agro-Multis BAYER, MONSANTO & Co. schon mehr oder weniger unter sich aufgeteilt. Wachsen können die „Big Six“ nur noch mittels milliarden-schwerer Übernahmen (siehe auch ÖKONOMIE & PROFIT). Auf dem Saatgut-Markt sieht es ähnlich aus. Dort bieten sich jedoch in Asien und Südamerika noch Kauf-Gelegenheiten, die BAYER auch emsig nutzt. So erwarb der Konzern Anfang Juni 2015 das indische Saatgut-Unternehmen SEEDWORKS, das hybride, also nicht zur Wiederaussaat bestimmte Tomaten-, Chili-, Kürbis- und Okra-Saaten im Angebot hat. In Südamerika hatte der Global Player zuvor bereits die Saatgut-Firmen GRANAR, WEHRTEC, SEMILLAS und SOYTECH übernommen und Pflanzenzucht-Technologie von AGROPASTORIL MELHORAMENTO und CVR erworben.
WASSER, BODEN & LUFT
Höherer Kohlendioxid-Ausstoß
Der Strom-Verbrauch BAYERs stieg 2014 gegenüber dem Vorjahr um 5,5 Prozent auf 85.317 Terajoule, was rund 23,7 Millionen Megawatt-Stunden entspricht. Der Konzern macht dafür ein höheres Produktionsvolumen im Allgemeinen und eine gesteigerte Aktivität am holländischen Kunststoff-Standort Maasvlakte im Besonderen verantwortlich. Bei der direkt vom Leverkusener Multi erzeugten Energie wuchs der Erdgas-Anteil von 29.796 auf 31.580 Terajoule, während der Kohle-Anteil von 15.094 auf 12.611 Terajoule sank. Der Beitrag von Quellen wie Abfall und Wasserdampf zur Strom-Versorgung reduzierte sich ebenfalls. Und das Kontingent, das regenerative Energien dazu beisteuerten, war so niedrig, dass der Leverkusener Multi es erstmals gar nicht mehr zu nennen wagte. Auf der Hauptversammlung von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN darauf angesprochen, rückte BAYER-Chef Marijn Dekkers mit der Angabe „weniger als ein Prozent“ heraus. Den zugekauften Energie-Mix schlüsselt der Global Player nicht weiter auf; er führt in seinem Geschäftsbericht nur einen stärkeren Dampf-Anteil auf. Als Folge des expandierenden Bedarfes an Elektrizität schwoll der Kohlendioxid-Ausstoß des Unternehmens erneut an. Er betrug 8,72 Millionen Tonnen.
CO2 lässt Meere versauern
Der Leverkusener Multi schädigt die Meere nicht nur durch seine Plastik-Hinterlassenschaften, sondern auch durch das von ihm emittierte Kohlendioxid – 8,72 Millionen Tonnen betrug der Ausstoß im Jahr 2014. Die Ozeane nehmen nämlich rund ein Drittel des produzierten CO2 auf, was nicht ohne Auswirkungen bleibt. Der Säuregehalt des Wassers steigt, und infolgedessen verändern sich die Existenz-Bedingungen für die aquatischen Lebewesen. So bildet sich durch den höheren pH-Wert des Wassers weniger Kalziumkarbonat, auf das Miesmuscheln und Austern zum Aufbau ihrer Schalen, aber auch andere Meeresbewohner wie Flügelschnecken, Seesterne, Seeigel und Krebse angewiesen sind. Und wenn ihre Populationen zurückgehen, hat das wiederum Konsequenzen für Fische, Seevögel oder Wale, denen die Tiere als Nahrungsgrundlage dienen. „Die Ozean-Versauerung bedroht die Biodiversität der Meere“, warnt der Ozeanograf Ulf Riebesell von Geomar, dem Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozean-Forschung, deshalb.
BAYER schädigt Ozonschicht
Der Leverkusener Multi stieß 2014 in einem Volumen von 14,8 Tonnen Substanzen aus, welche die Ozonschicht schädigen. 2013 beliefen sich die Emissionen auf 15,7 Tonnen. Seit Jahren schon macht BAYER für diese Emissionen hauptsächlich das Pestizid-Werk im indischen Vapi verantwortlich, und ebenfalls seit Jahren schon berichtet der Konzern von Fortschritten bei den Sanierungsmaßnahmen vor Ort.
2.120 Tonnen flüchtiger Substanzen
Der Ausstoß flüchtiger organischer Stoffe, der Volatile Organic Compounds (VOC), in die Atmosphäre reduzierte sich bei BAYER 2014 gegenüber dem Vorjahr leicht von 2.270 auf 2.120 Tonnen. Als Hauptquelle dieser Emissionen gibt der Leverkusener Multi wie auch bei den ozonschicht-schädigenden Substanzen das Pestizid-Werk in Vapi an.
Kaum weniger Stickstoff & Co.
Der Ausstoß von Kohlenmonoxid, Stickstoffoxiden und Schwefeloxiden hat sich bei BAYER 2014 gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Die Emissionen von Stickstoffoxiden gingen von 2.500 Kilogramm auf 2.400 Kilogramm zurück und die von Schwefeloxiden von 1.300 auf 1.200 Kilogramm. An Kohlenmonoxid gelangten wie 2013 900 Kilogramm in die Luft, und Staub wirbelte der Konzern auch genauso viel auf wie in den zwölf Monaten zuvor: 200 Kilogramm.
BAYERs großer Durst
Der Leverkusener Multi hat einen enormen Wasser-Durst. Auf 350 Millionen Kubikmeter bezifferte er seinen Verbrauch im Jahr 2014, in den zwölf Monaten zuvor waren es sogar 361 Millionen gewesen. Drei Viertel davon gehen als Kühlwasser drauf, ein Viertel verwendet der Konzern in der Produktion. Und erschwerend kommt hinzu, dass die Wiederaufbereitungsquote verschwindend gering ist, der Anteil von recyceltem Wasser an den 350 Millionen Kubikmetern betrug gerade einmal vier Prozent.
BAYER Abwasser-Frachten
Obwohl BAYERs Wasserverbrauch etwas zurückging (s. o.), kam hinten mehr heraus: Die Abwasser-Menge stieg um drei auf 66 Millionen Kubikmeter. Der Stickstoff-Eintrag erhöhte sich von 690 auf 760 Tonnen. Neben einer größeren Auslastung seiner Werke macht der Leverkusener Multi dafür eine Anlagen-Störung am Standort Baytown verantwortlich, die auch Reinigungsvorrichtungen in Mitleidenschaft gezogen hatte. Die Phosphor-Einleitungen gingen geringfügig von 110 auf 100 Tonnen zurück. Die von Schwermetallen – die der Konzern nicht mehr einzeln aufführt, um besonders gefährliche Stoffe wie Quecksilber nicht nennen zu müssen – reduzierten sich von 9,1 auf 6,3 Tonnen. Die Frachten von anorganischen Salzen in die Flüsse verringerten sich ebenfalls, sie sanken von 946.000 auf 845.000 Tonnen.
PFC beeinflusst Fruchtbarkeit
Wieviel Perfluorierte Kohlenwasserstoff-Verbindungen (PFC) der Leverkusener Multi in die Flüsse einleitet, weist der neueste Geschäftsbericht nicht aus. Nach Recherchen des BUND gelangt per annum rund eine Tonne PFC made by BAYER in den Rhein; lange Zeit belief sich die Zahl sogar auf sechs Tonnen. Dabei wäre eine genaue Dokumentation äußerst wichtig, denn bei den Stoffen handelt es sich um hochgiftige, schwer abbaubare Substanzen. So haben die Chemikalien nach einer kanadischen, in der Fachzeitschrift Human Reproduction veröffentlichten Studie Einfluss auf die Fruchtbarkeit. Bei Frauen mit einer hohen PFC-Konzentration im Blut trat die Schwangerschaft später ein und häufiger als bei ProbantInnen mit niedrigeren Werten blieb sie den WissenschaftlerInnen zufolge auch ganz aus.
Mehr gefährlicher Abfall
Der Leverkusener Multi hat im letzten Jahr 3.000 Tonnen weniger Abfall fabriziert als 2013: 896.000 Tonnen. Der Anteil gefährlichen Abfalls daran stieg jedoch. Er erhöhte sich von 467.000 auf 487.000 Tonnen. Als Grund gab der Konzern ein größeres Produktionsvolumen an den Standorten Dormagen, Frankfurt und Leverkusen an.
Bergkamen: Dauerbaustelle Klärwerk
Bereits seit Jahren klagen die AnwohnerInnen des Bergkamener BAYER-Werkes über Geruchsbelästigungen, die von der Kläranlage ausgehen. Die 2008 eingeleitete Sanierung hat bislang keine Abhilfe schaffen können. Aus immer neuen Quellen dringt Mief nach außen. Ende Juli 2011 sorgte eine defekte Pumpe für schlechte Luft. Wenige Tage später flossen unvorhergesehen saure und basische Abwässer zusammen, was übel aufstieß (Ticker 4/11). Einem erneuten Angriff auf die Riech-Organe begegnete der Konzern dann mit einer Entfernung des Klärschlamms und der Ablagerungen in den Auffangbecken. Ende Juli 2012 schließlich traten an einigen Leitungen Risse auf, durch die Abwässer sickerten und Duftmarken setzten. Deshalb entschloss sich der Global Player erneut zu Reparatur-Arbeiten. Aber auch diese brachten keine Abhilfe. Im Juni 2013 beschwerten sich die BergkamerInnen erneut und klagten über Übelkeit und Kopfschmerzen. Knapp anderthalb Jahre später fiel dann die letzte Stufe der Abwasser-Reinigung aus. Der Pharma-Riese musste das mit Mikroorganismen versetzte Wasser in einem offenen Becken zwischenspeichern, was einen erheblichen Gestank verursachte. Im Mai 2015 war die Zeit dann mal wieder reif für neue Bau-Maßnahmen. Der Puffer-Behälter erhielt eine Generalüberholung. Zudem tauschte das Unternehmen die Rohrleitungen aus, in denen sich so viele Ablagerungen gebildet hatten, dass die Pumpen nur noch mit einem Viertel ihrer Kraft arbeiten konnten.
Dauersanierungsfall Bitterfeld
Als Chemie-Standort hat Bitterfeld eine bis ins Jahr 1893 zurückreichende Geschichte, an welcher der Leverkusener Multi bis dato beteiligt ist. 1921 kaufte er sich in die AGFA-Fabriken ein, die dort eine Niederlassung hatten. Nach 1945 musste BAYER diesen Besitz abschreiben, aber die Wende brachte den Konzern wieder nach Bitterfeld, wo er heute ein Pharma-Werk betreibt. Und die lange Chemie-Geschichte hat an dem Ort seine Spuren hinterlassen, vor allem im Grundwasser. Es ist ein Dauersanierungsfall geworden. Eine besondere Gefahr droht zu den Zeiten, an denen die Elbe Hochwasser hat. Dann nämlich kommen auch die Schadstoff-Lasten nach oben. Darum unternimmt die Stadt viel, um die Gebäude vor den Chemie-Fluten zu schützen. Zudem hat sie ein komplexes Brunnen- und Drainage-System installiert, das monatlich bis zu 175.000 Kubikmeter Grundwasser reinigen kann. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Nach der Meinung von ExpertInnen müssen sie Arbeiten noch weit über 100 Jahre andauern.
CO & CO.
Erdbeben in Erkrath
Mitte Januar 2015 ereignete sich in Erkrath ein kleines Erdbeben. Das warf sofort die Frage nach der Sicherheit von BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline auf, die auf ihrem Weg von Dormagen nach Krefeld auch Erkrather Gebiet passiert. „BAYER hat ja immer gesagt, dass es im Kreis Mettmann keine Erdbeben gibt“, erinnert Wolfgang Cüppers von der Initiative BAU-STOPP DER BAYER-PIPELINE an die Verharmlosungsstrategie des Konzerns. Bereits im Mai 2011 hatte das Düsseldorfer Verwaltungsgericht die Genehmigung für das Röhrenwerk wegen mangelnder Erdbeben-Sicherheit aufgehoben und Nachbesserungen verlangt. Inzwischen will der Leverkusener Multi Bedenken zerstreut haben, die Leitung könnte bei Erd-Erschütterungen zerbersten, aber Cüppers überzeugen die Argumente nicht. Die Erdbeben-Sicherheit sei „letztlich nie bewiesen worden“, so der Aktivist.
Neue CO-Pipeline unter dem Rhein
Nicht nur die zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld verlegte Kohlenmonoxid-Pipeline wirft Sicherheitsfragen auf. Auch die in den 1960er Jahren zwischen Dormagen und Leverkusen gebaute Verbindung, die BAYER seit 2001 für den Transport von CO nutzt, ohne von der Bezirksregierung dafür mit einem neuen Genehmigungsverfahren oder schärferen Auflagen behelligt worden zu sein, hat gravierende Mängel. Besonders an dem Rhein-Düker, mittels dessen die Pipeline den Fluss unterquert, zeigen sich Korrosionsschäden, also Abnutzungserscheinungen an den Bau-Bestandteilen. So treten dort nach einem Bericht des TÜV Rheinland „gravierende externe Materialverluste“ auf, weswegen die Konstruktion „nicht dem Stand der Technik“ entspreche. Der Leverkusener Multi bezeichnet diese zwar als sicher, projektiert aber dennoch eine neue. Den Genehmigungsantrag für den Rohrleitungstunnel reichte er Ende 2014 ein. Mit einer Inbetriebnahme rechnet der Konzern für den Herbst 2016.
UNFÄLLE & KATASTROPHEN
2014: Fünf tödliche Arbeitsunfälle
Im Geschäftsjahr 2014 ereigneten sich bei BAYER fünf tödliche Arbeitsunfälle. Am brasilianischen Standort Belford Roxo wurde ein Wachmann erschossen, ein Belegschaftsangehöriger kam bei Rangier-Arbeiten ums Leben, einer weiterer bei einem Brand und zwei Beschäftigte starben bei Verkehrsunfällen.
Elf anerkannte Berufskrankheiten
Für das Geschäftsjahr 2014 vermeldet der Leverkusener Multi bei seinen Beschäftigten elf arbeitsbedingte Erkrankungen. Dabei handelt es sich allerdings nur um solche Schädigungen, welche die Berufsgenossenschaften auch als Berufskrankheiten anerkannt haben – und das sind nicht viele. 80 Prozent der Anträge lehnen die Einrichtungen, in deren Beschluss-Gremien die Unternehmen über die Hälfte der Stimmen haben, ab. Zweifel ob dieser Zahl sind zudem angebracht, da die Gesundheitsstörungen, die Belegschaftsangehörige an ihrem Arbeitsplatz erlitten hatten, bei BAYER früher ganz andere Größenordnungen erreichten. Im Jahr 2000, als der Konzern noch ausführlicher über Berufskrankheiten berichtete, führte er noch 130 Fälle auf und vermerkte dazu: „Als Krankheitsauslöser waren bei uns vor allem Expositionen gegen Asbest und Lärm relevant“.
PLASTE & ELASTE
Lackhärter aus Biomasse
Mit Pentamethylen-Diisocyanat (PDI) hat BAYER einen Kunststoff entwickelt, der zum Teil aus Biomasse besteht. Als Ausgangsstoff diente Maisstärke (siehe auch Ticker 2/15). Das PDI kommt in dem Lackhärter DESMODUR ECO N 7300 zum Einsatz, den der Leverkusener Multi bald vermarkten will. Bedenken, die Nutzung der Äcker als Rohstoff-Reservoir für die Plaste-Fertigung könnte den Anbau von Pflanzen für die Lebensmittel-Herstellung beeinträchtigen, weist der Konzern zurück. Die Biomasse-Gewinnung erfolge „ohne direkte Konkurrenz zur Nahrungsmittel-Produktion“, beteuert die Teil-Gesellschaft. Seinen KundInnen empfiehlt das Unternehmen jetzt schon einmal, auf „bio“ als Werbe-Effekt zu setzen, obwohl in dem DESMODUR-Kohlenstoff noch zu 30 Prozent Petrochemie steckt: „Anwender und Markenartikler in verschiedenen Industriebranchen können sich mit dem höheren Bio-Anteil als Pioniere für nachhaltige Materialien positionieren.“ In Zukunft will der Global Player das Segment mit Biomasse-Kunststoffen noch ausbauen. So kündigte er die Herstellung von Produkten an, deren Basis Cellulose oder Bioabfälle bilden.
STANDORTE & PRODUKTION
Mehr Pestizide aus Dormagen
Der Leverkusener Multi reagiert auf die gestiegene Nachfrage nach Antipilzmitteln und erweitert am Standort Dormagen die Produktionskapazitäten für den Wirkstoff Prothioconazole. Zudem baut der Konzern die Flupyradifuron-Fertigung aus. Diese Substanz ist der Inhaltsstoff von BAYERs neuem Insektizid SIVANTO. Der Agro-Riese vermarktet es explizit als bienenfreundliche Alternative zu seinen umstrittenen und EU-weit einstweilen mit einem Verkaufsbann belegten Neonicotinoiden GAUCHO und PONCHO. Allerdings bestehen Zweifel daran, ob SIVANTO wirklich so „bienenfreundlich“ ist, wie der Leverkusener Multi behauptet. Flupyradifu
Presse Information vom 27. Mai 2015
BAYER Hauptversammlung: Protest gegen Plastikmüll
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren protestiert anlässlich der heutigen Hauptversammlung der BAYER AG gegen die Verschmutzung der Ozeane durch Plastikmüll. Die Aktionärinnen und Aktionäre werden mit einem „Meer“ aus blauen Stoffbahnen mit darauf schwimmendem Kunststoffmüll begrüßt.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) fordert in Gegenanträgen zur heutigen BAYER-Hauptversammlung, den Vorstand nicht zu entlasten. Aus Protest gegen die Mitverantwortung des Konzerns für die Verschmutzung von Flüssen und Meeren hat die CBG am Eingang der Kölner Messehallen ein „Meer“ mit darauf schwimmendem Plastikmüll aufgebaut.
Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Auch in der Amtszeit von Marijn Dekkers wurde die Umstellung auf nachwachsende Rohstoffe und biologisch abbaubare Endprodukte verschlafen. BAYER ist somit für die wachsende Belastung der Gewässer mit Plastikmüll mitverantwortlich. Der Gipfel der nicht-nachhaltigen Produktion ist der Verkauf von Mikroplastik, das von den Kläranlagen nicht aufgefangen werden kann und das sich in kürzester Zeit in der Nahrungskette findet.“
Jedes Jahr gelangen rund zwanzig Millionen Tonnen Kunststoff in die Weltmeere. Da die meisten Kunststoffe biologisch kaum abbaubar sind, gefährden sie die Umwelt über Jahrhunderte hinweg. BAYER gehört sowohl im Bereich Polyurethan als auch bei Polycarbonaten zu den weltweit größten Herstellern.
Mikroplastik von BAYER („Baycusan“) findet sich unter anderem in Kosmetika und Putzmitteln - früher wurden hierfür zerkleinerte Fruchtkerne eingesetzt. In Bier, Milch, Mineralwasser und Honig wurde Mikroplastik bereits nachgewiesen.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert Maßnahmen, um die Gefahr einzudämmen. Kunststoffe müssen so weit wie möglich durch biologisch abbaubare Stoffe ersetzt werden, der Verkauf von Mikroplastik muss eingestellt werden. Der Verein verlangt zudem eine Umkehr der Beweislast: Nicht Behörden oder die Verbraucher/innen müssen die Gefährlichkeit eines Stoffes beweisen, sondern die Produzenten dessen Ungefährlichkeit.
In der heutigen Hauptversammlung werden mindestens zwanzig Wortbeiträge zu den Kehrseiten der Geschäftspolitik gehalten. Themen dabei sind unter anderem Steuerflucht, Gentechnik, gefährliche Pestizide, Kontrazeptiva mit erhöhtem Nebenwirkungsprofil sowie die Risiken des Gerinnungshemmers Xarelto.
=> alle Infos zur Hauptversammlung
=> Plastikmüll: Forderungen hier unterschreiben
Presse Information vom 13. Mai 2015
Coordination gegen BAYER-Gefahren
Bundestag: Anfrage zu Gefahren neuer Gerinnungshemmer (NOAKs)
„Regierung verharmlost Risiken von XARELTO“
Im Jahr 2014 erhielt das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) 1.996 Meldungen über unerwünschte Arznei-Wirkungen des Gerinnungshemmers XARELTO. Darunter waren – zumeist nach schweren Blutungen – 161 Todesfälle. Ein alarmierender Befund, auch wenn dem BfArM zufolge ein Kausalzusammenhang im Einzelfall nicht immer belegt ist.
Die Bundesregierung hingegen verharmlost in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei die Risiken des Präparats. Das mit der Beantwortung beauftragte Bundesgesundheitsministerium spricht weiterhin „von einer derzeit positiven Nutzen/Risiko-Relation“ und sieht keinen Handlungsbedarf. Auch die Tatsache, dass es zu XARELTO im Gegensatz zur Standard-Therapie mit Marcumar kein Gegenmittel gibt, um Blutungen zu stoppen, ist für die Regierung kein Anlass zur Beunruhigung.
Selbst die negative Einschätzung der Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), wonach XARELTO und andere neue Gerinnungshemmer (NOAKs) gegenüber älteren Präparaten keine Therapie-Vorteile bieten, kann die Große Koalition nicht von ihrem Standpunkt abbringen. Zu dem Urteil des AkdÄ-Vorsitzenden Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, das von der Firma BAYER verkaufte Präparat verdanke seinen Erfolg nur dem aggressiven Marketing, liegen dem Ministerium „keine belastbaren Informationen vor“. Nicht einmal die hohen Kosten von 100,50 Euro im Monat gegenüber 4,80 Euro bei Marcumar lassen die Regierung auf Distanz zu dem Gerinnungshemmer gehen.
„Für die meisten Patientinnen und Patienten besitzen die neuen Gerinnungshemmer keinen Zusatznutzen gegenüber bewährten Präparaten. Wer trotz des Gefährdungspotenzials und der hohen Kosten zu Medikamenten wie XARELTO hält, der kapituliert vor der Macht der Pharma-Industrie“, kritisiert Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren. Im Jahr 2008 hatten die Kosten für Gerinnungshemmer noch bei insgesamt 68 Millionen Euro gelegen. Im vergangenen Jahr verzehnfachten sich die Gesamtkosten auf gut 675 Millionen Euro. Auch Krankenkassen wie die TK monieren deshalb die medizinisch nicht gerechtfertigten Verschreibungszahlen.
Die Internistin Dr. Sigrid Süßmeyer pflichtet Mimkes bei: „Die Bundesregierung hat die Tragweite des Problems offenbar nicht verstanden. Etwa zehn Prozent aller Personen über 80 Jahren leiden unter Vorhofflimmern, allein in Deutschland ca. eine Million Menschen. Sie alle benötigen zur Schlaganfallprophylaxe einen Gerinnungshemmer. Die Industrie macht keinen Hehl daraus, dass die NOAKs hierfür als neuer Standard durchgedrückt werden sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die Risiken banalisiert und verharmlost.“
Dr. Süßmeyer verweist auf schlechte Erfahrungen, die sie in ihrer Praxis mit XARELTO gemacht hat. Neun von 14 PatientInnen erlitten Blutungen, einer verstarb. Mit Vitamin-K-Antagonisten gab es diese extremen Probleme nicht. „Seit über 20 Jahren behandele ich mit Marcumar ohne diese Flut von Komplikationen“, so Dr. Süßmeyer weiter. Die Ärztin fordert ein industrie-unabhängiges Register zur sicheren Erfassung der Nebenwirkungen von Marcumar und von neuen Gerinnungshemmern wie XARELTO oder PRADAXA. Zudem verlangt sie spezielle Verträglichkeitsstudien mit älteren PatientInnen, da bei dieser Gruppe das Blutungsrisiko am höchsten ist.
weitere Informationen:
=> Die Antwort der Bundesregierung
=> weitere Informationen zu Xarelto
4. Mai 2015
Gerinnungshemmer
TK: Neue Blutverdünner zu oft verschrieben
Die Techniker Krankenkasse (TK) kritisiert, dass unverhältnismäßig viele Patienten mit neuen oralen Antikoagulazien (NOAK) behandelt werden. Der Bestandsmarktreport der TK zeigt auf, dass die Mehrheit der Patienten mit Vorhofflimmern nicht zunächst auf die etablierten Wirkstoffe, den Vitamin-K-Antagonisten, sondern gleich auf NOAK eingestellt wurden. Laut Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und den aktuellen Leitlinien sollten Ärzte die NOAK jedoch nur verordnen, wenn eine Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten nicht möglich ist, betont die TK.
Laut AkdÄ sollten NOAK nur verschrieben werden, wenn Patienten mit Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon schwer einzustellen sind oder ein erhöhtes Risiko von Interaktionen unter Vitamin-K-Antagonisten vorliegt, so die TK. Ebenso seien NOAK der Arzneimittelkommission zufolge einzusetzen, wenn die regelmäßige Kontrolle des INR-Wertes des Patienten schwierig ist.
Diesen Leitlinien stehen die Daten der Verschreibungen gegenüber, die der TK vorliegen. „Die NOAK haben in den meisten Fällen keine Vorteile für die Patienten, trotzdem wurden 2014 fast doppelt so viele Tagesdosen verschrieben wie im Vorjahr“, so Tim Steimle, Leiter des Fachbereichs Arzneimittel der TK.
Mit Dabigatran (Pradaxa), Rivaroxaban (Xarelto) und Apixaban (Eliquis) stehen drei NOAK zur Verfügung, die in den Indikationen Thromboseprophylaxe und Vorhofflimmern zugelassen sind. Um eine belastbare Aussage über den Zusatznutzen eines Vertreters der Wirkstoffgruppe gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten zu treffen, mangele es derzeit an direkten Vergleichsstudien, so die TK.
Allerdings seien sämtliche NOAK deutlich teurer als die Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten, wie die Bestandsmarktstudie der TK ergab. Eine Tagestherapie mit Vitamin-K-Antagonisten koste 0,20 Euro, während die Kosten einer Tagestherapie mit NOAK bei 3,00 Euro liegen.
Die Ausgaben der Krankenkassen für Blutgerinnungshemmer sind mit dem Markteintritt der NOAK in den zurückliegenden Jahren sprunghaft angestiegen. 2008 lagen die Kosten für die Antikoagulanzien nach Angaben der Bundesregierung noch bei insgesamt gut 68 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr haben sich die Gesamtkosten auf gut 675 Millionen Euro erhöht.
Die Linksfraktion kritisierte den hohen Verbrauch ebenfalls und verwies auf den AkdÄ-Vorsitzenden Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, der die hohen Verschreibungszahlen auf ein „exorbitantes Marketing“ für die NOAK zurückführte. Zudem gebe es Fortbildungsveranstaltungen, in denen „so genannte Meinungsführer mit Interessenkonflikten auftreten und durch ihre Aussagen ganz wesentlich ein unkritisches Verordnungsverhalten fördern“, zitiert die Linksfraktion Ludwig.
Schreiben der TK an Ärzte, die überwiegend NOAKs verschreiben
Seit 2008 stehen mit Dabigatran (Pradaxa®) und Rivaroxaban (Xarelto®)
neue Therapieoptionen zur oralen Antikoagulation (NOAK) zur Verfügung, im
Jahr 2011 kam Apixaban (Eliquis®) dazu. Alle wurden zunächst in der Indikation
Thromboseprophylaxe angeboten, danach auch in der Indikation Vorhofflimmern.
Entsprechend der Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft (AkdÄ) und der aktuellen Leitlinien sollten die NOAK nur für Patienten
verordnet werden, die mit Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon
(z. B. Marcumar®) schwer einzustellen sind, ein erhöhtes Risiko von Interaktionen
unter Vitamin-K-Antagonisten aufweisen oder für die die regelmäßige
Kontrolle des INR-Wertes schwierig ist. Die klassischen Vitamin-K-Antagonisten
sind also nach wie vor der Standard zur oralen Antikoagulation in
den für sie zugelassenen Indikationen.
Unsere Arzneimitteldaten lassen den Rückschluss zu, dass unverhältnismäßig
viele Patienten mit NOAK behandelt werden. Wir verzeichnen seit der
Markteinführung der NOAK einen kontinuierlichen Anstieg der Verordnungen:
2014 wurden fast doppelt so viele Tagesdosen verschrieben wie im Vorjahr.
Dabei haben die neuen Medikamente in den meisten Fällen keine Vorteile für
die Patienten, verursachen aber deutlich höhere Kosten. So kostet eine tägliche
Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten etwa 0,20 Euro, die Tagestherapie
mit NOAK hingegen weit über 3,00 Euro.
Wir bitten Sie deshalb unter Berücksichtigung der Fachinformationen, der
Leitlinien und der Empfehlungen der AkdÄ auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise
zu achten. Das kommt nicht nur den gesetzlich Versicherten zu
Gute, sondern birgt auch erhebliche Einsparpotenziale für Ihr Arzneimittel-
Verordnungsvolumen.
In Kooperation mit der Universität Bremen bieten wir Ihnen eine telefonische
Beratung durch unabhängige Arzneimittelexperten an: Zur Vereinbarung
eines Rückrufs rufen Sie uns einfach an unter 0800 - 285 85 80 52 (gebührenfrei
innerhalb Deutschlands). Oder teilen Sie uns Ihren Terminwunsch in
einer E-Mail an arzneimittelreport@tk.de mit.
1 http:www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/LF/index.html
2 http:www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-011.html
3 http://www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/S1-Handlungsempfehlung/S1-
HE_NOAK_Langfassung.pdf
9. Februar 2015
Zur Studie „Bleeding rate of Rivaroxaban”
Stellungnahme von Dr. Sigrid Süßmeyer (Internistin)
Mit Welteroberungsphantasien halten die drei großen Hersteller der NOAKs weltweit zusammen.
Auf dem Online-Portal www.Pharma-Fakten.de bezeichnet die Pharmaindustrie am 22. Januar die Therapie mit NOAKs versus Vitamin K abhängiger Antikoagulantien als „neue Standardtherapie“. Zur Begründung wird unter anderem auf die jüngste Publikation „Bleeding rate of rivaroxaban in real world clinical practice consistent with trial results“ verwiesen (Clin. Cardiol. 2015 (in press); DOI:10.1002/clc.22373, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/clc.22373/abstract).
Ich wurde durch eine Häufung schwerer gastrointestinaler Blutungen nach dem Einsatz von NOAKs wach gerüttelt. Diese Studie unterstützt nun meine Beobachtungen.
2012 wurde über ganz Deutschland anlässlich der Zulassungsstudie ROCKET für das für die Indikation chronisches Vorhofflimmern (VHF) eine Flut an Fortbildungen und Pharmavertretern ausgesandt, um das Präparat Xarelto vor allem für fragile, alte, polymorbide Patienten als sicheres Medikament zu bewerben.
Zunächst konnte ich in Erfahrung bringen, dass alle Patienten älter als 70 Jahre in der Zulassungsstudie ROCKET ausgeschlossen waren. Genau das Kollektiv, für das später gezielt Werbung gemacht wird, ist in der Zulassungsstudie also nicht getestet worden. VHF ist aber eine im Alter exponentiell zunehmend häufige Erkrankung mit letztendlich 10% VHF bei den über 80jährigen Menschen. Das macht zahlenmäßig die größte Gruppe aus; allein in Deutschland sind rund eine Million Personen betroffen. Weil diese Zielgruppe so lukrativ ist, wurden die Daten unrechtmäßig auf dieses Kollektiv übertragen. Diese Gruppe als besonders geeignet darzustellen ist eine dreiste Lüge! In Wahrheit haben diese Menschen besonders viele GI-Blutungen.
Dies belegt auch die o.g. Studie von 2014: innerhalb von nur 15 Monaten hatten 7% der über 85jährigen eine „major bleeding“, also jeder 14te Patient. Major bleedings waren zu 88.5% schwere gastrointestinale Blutungen. Bei den 75 bis 84jährigen sind es 4,66%, also jeder 21te Patient. Zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass die Studie von der Firma BAYER, also dem Hersteller von Xarelto, finanziert wurde.
Dem Medikament Xarelto sollte auf Grund dieser Daten die Zulassung für Menschen ab 70 Jahren entzogen werden, zumindest für Dosierungen 15mg bis 20mg am Tag. Ohne neue Dosisfindungsstudie für diese Altersgruppe ist die Therapie mit Xarelto ein gefährlicher Blindflug.
Im Deutschen Ärzteblatt (2. September 2013, Heft 35-36, Jg. 110, Seite 575-582) wird in einer Arbeit der Einfluss pharmazeutischer Unternehmen auf die Leitlinien untersucht. Das ist der Schlüssel, wie es zu den voreiligen Empfehlungen eines Medikaments ohne Langzeitdaten kommt: manipulierte Datengewinnung, wirtschaftliche Interessen der Leitlinienautoren, im Falle von Xarelto sogar die Unterschlagung zweier verstorbener Probanden, so dass das FDA eingreifen muss. Der Abstand zur Kriminalität ist dann im letzen Falle nicht mehr erkennbar.
Meine Erfahrungen wurden sehr verkürzt am 21. Januar 15 in der ARD (Plusminus) wiedergegeben.
Plusminus (ARD), 21. Januar 2015
Medikamente
Teure neue Arzneien nicht ohne Risiko
Noch heute wird sie wütend, wenn sie ihre Krankenhausakten ansieht und sie weiß immer noch nicht, wie viel Blut sie damals verloren hat. Der Schreck sitzt Sorika Creß auch jetzt noch in den Knochen.
»Das Blut lief wie Wasser weiter. Und das ganze Bettlaken war dann durchgeblutet und die Schwester war ja unterwegs, den Arzt zu verständigen. Und dieses Warten auf den Arzt, da hatte ich schon das Gefühl, wenn er nicht bald kommt, dann verblute ich jetzt. Und das ganze Bett, das Bad, da sah es aus wie im Schlachthaus.«
Nach einer Krampfaderoperation bekommt Sorika Creß ein Mittel zur Blutverdünnung: Xarelto. Es soll das Entstehen eines Blutgerinnsels verhindern. Erst später stellt sie fest, dass auch Blutungen als Nebenwirkungen auftreten können.
Das Medikament Xarelto, produziert von Bayer, gehört zu einer neuen Generation von Blutverdünnern - neben Pradaxa von Boehringer Ingelheim und Eliquis von Bristol Myers Squibb. Alle drei werden vor allem auch zur Vorbeugung gegen Schlaganfälle eingesetzt. Bislang nehmen die Patienten dafür einen anderen Wirkstoff, am bekanntesten ist das Mittel Marcumar. Doch dabei muss regelmäßig Blut abgenommen werden, um die Wirkung zu kontrollieren. Bei den neuen Präparaten sei dies nicht nötig.
Ein wichtiges Werbeargument der Hersteller: »Bei Pradaxa ist es nicht erforderlich, die Blutgerinnung regelmäßig zu prüfen. Es ist auch nicht erforderlich, die Dosis immer wieder anzupassen.«
Um den Milliardenmarkt der Blutverdünner ist ein heftiger Kampf entbrannt. Bislang war die Therapie günstig, denn für die alten Mittel ist der Patentschutz längst abgelaufen. Eine Jahrestherapie damit kostet gerade mal um die 60 Euro. Die neuen Medikamente sind 20 Mal teurer, ein gigantischer Kostenschub für die Krankenkassen.
Und die Verschreibungszahlen steigen: Bei Pradaxa um rund 80, bei Xarelto sogar um mehr als 200 Prozent. Experten wie Prof. Wolf-Dieter Ludwig sind der Meinung, die neuen Mittel sollten nur in bestimmten Fällen eingesetzt werden, etwa wenn die alten nicht vertragen werden.
Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: »Es ist sicherlich so, dass die Schwelle, diese Blutverdünner einzusetzen natürlich viel niedriger ist als bei Marcumar. Man braucht keine Tests. Man kann das Medikament einnehmen, ohne dass der Patient regelmäßig zum Arzt geht. Dabei werden aber natürlich die Risiken übersehen.«
Auch die Hausärztin Sigrid Süßmeyer setzt anfangs auf die neuen Mittel. Auf Fortbildungen hört sie, die Präparate seien neuer Standard. Xarelto-Patient Ludwig Schlichtherle hätte es beinahe nicht überlebt.
Dr. Sigrid Süßmeyer, Fachärztin für Innere Medizin: »Sie sind in die Notaufnahme gekommen und sind dann in der Notaufnahme kollabiert. Und dann sind alle zusammengelaufen. Das wissen Sie alles gar nicht mehr. Und haben dann letztendlich drei Blutkonserven bekommen.«
Ludwig Schlichtherle: »Ich habe nichts mehr mitgekriegt, was man gemacht hat.« Dr. Sigrid Süßmeyer, Fachärztin für Innere Medizin: »Sie wären ein Stunde später tot gewesen.«
Blutungen können auch bei den alten Blutverdünnern wie Marcumar auftreten. Allerdings gibt es hier ein wirksames Gegenmittel, anders als bei den neuen Präparaten. Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: »Da wir kein Gegenmittel haben, ist es dann möglicherweise sogar mit schwerwiegenden Komplikationen verbunden. Und ich denke, dass wir langfristig, wenn wir weitere Daten haben, aus sogenannten Registern, also Langzeitbeobachtungen unter Alltagsbedingungen, möglicherweise sehen werden, dass Blutungsrisiko möglicherweise höher ist oder gleich wie bei den älteren Blutverdünnern.«
Im Jahr 2014 sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mehr als 2.600 Verdachtsmeldungen über unerwünschte Nebenwirkungen bei den neuen Blutverdünnern eingegangen, darunter 244 Todesfälle.
Allerdings: Ein Kausalzusammenhang sei nicht sicher belegt. Darauf verweisen auch die Hersteller. Bayer zum Beispiel teilt uns auf Anfrage mit: »Das Sicherheitsprofil von Xarelto wird von Bayer kontinuierlich überprüft, denn Patientensicherheit hat bei Bayer höchste Priorität.«
Bei Sigrid Süßmeyer ist Ludwig Schlichtherle nicht der einzige Patient, der Probleme bekam. Der schlimmste Fall war der eines 86-jährigen Mannes. Dr. Sigrid Süßmeyer, Fachärztin für Innere Medizin: »Die Polizei öffnet die Türe und findet dann den Mann im ersten Stock. Das war ganz schlimm: Eine riesen Blutspur die Treppe rauf hat man da gesehen. Dann im ersten Stock war das Telefon am Bett. Und da war auch alles voller Blut. Und er lag vor dem Telefon in einer Blutlache. Alle Hilfe war zu spät.«
Die Hersteller verweisen darauf, dass die neuen Produkte in ihren Studien zu weniger schweren Blutungen führen als die herkömmlichen. Doch wie sieht es bei der Anwendung im Alltag aus? Prof. Gerd Glaeske hat die Nebenwirkungen bei Versicherten einer Krankenkasse ausgewertet. Die bislang unveröffentlichte Studie zeigt Alarmierendes: Prof. Gerd Glaeske, Arzneimittelexperte Universität Bremen: »Das sieht nicht mehr so besonders günstig für die neuen Mittel aus. Das heißt, wir haben durchaus höhere Risiken von Blutungen in ganz bestimmten Bereichen, die bei den neuen Mitteln gegenüber den bewährten Mitteln häufiger auftreten, zwischen 6 Prozent und 12 Prozent.«
Erst jetzt, Jahre nach der Markteinführung, sollen Gegenmittel angeboten werden. Boehringer etwa will laut eigener Aussage die Zulassung noch dieses Halbjahr beantragen. Doch warum warten die Ärzte nicht ab und verschreiben weiterhin massenhaft die neuen Mittel?
Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: »Ich persönlich denke, dass das Marketing eine ganz entscheidende Rolle spielt. Ich habe selten eine derartige Kampagne gesehen, wie bei diesen neuen Blutverdünnern. Es gibt eine Vielzahl von Artikeln in gekauften Zeitschriften der Industrie. Es gibt Meinungsführer, die ziemlich skrupellos diese neuen Medikamente propagieren, obwohl es dafür keinen klaren Grund derzeit gibt und es gibt Fortbildungsveranstaltungen, in denen so genannte Meinungsführer mit Interessenkonflikten auftreten und durch ihre Aussagen ganz wesentlich ein unkritisches Verordnungsverhalten fördern.«
Dr. Sigrid Süßmeyer, Fachärztin für Innere Medizin: »Bei 14 Patienten habe ich dann Schluss gemacht. Da haben neun geblutet davon, vier schwer, einer war tot. Und da sind genau fünf Patienten übrig geblieben, die keine Komplikationen hatten. Und dann habe ich gesagt: Dieses Medikament wird bei mir ausrangiert. Seitdem verwende ich es nicht mehr und erlebe halt bei den Kollegen diese Blutungen, die das noch verwenden.«
Sie verordnet jetzt wieder herkömmliche Mittel. Damit hat sie gute Erfahrungen gemacht. Wichtig ist, dass Patienten die neuen Blutverdünner nicht einfach ohne ärztliche Begleitung absetzen. Denn das könnte lebensbedrohlich sein.
Plusminus-Hinweis: Wenn Sie Blutverdünner einnehmen und Fragen haben, handeln Sie nicht eigenmächtig, sondern gehen Sie zunächst zum Arzt und lassen sich von ihm beraten.
Gefakte Jubel-Postings
Marken-Pflege à la BAYER
Die PR-Agentur Mhoch3 hat für BAYER und andere Firmen über Jahre hinweg gefälschte Postings in Onlineforen platziert. Auf hunderttausende Kommentare brachte es das österreichische Unternehmen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert strafrechtliche Ermittlungen gegen die Verantwortlichen.
Von Philipp Mimkes
Mehr als 10 Prozent ihres Marketing-Budgets geben große Konzerne für Social Media aus. Die Unternehmen streuen Werbeclips, die auf ein junges Publikum abzielen, über YouTube. Auf Flickr halten sie Foto-Wettbewerbe ab, und auf Facebook initiieren sie Gewinnspiele. Täglich scannen die Firmen Millionen von Postings, um das Verhalten der KonsumentInnen in Echtzeit zu erfassen und personalisierte Werbung zu ermöglichen.
Zugleich nehmen private Internet-Kommentare bei der Bewertung neuer Produkte einen immer größeren Raum ein. Die Urteile unabhängiger User wirken glaubhafter als die Werbeversprechungen der Hersteller. Doch die scheinbar demokratische Internet-Welt weckt Begehrlichkeiten: immer wieder werden Unternehmen dabei erwischt, wikipedia-Einträge zu frisieren, positive Kommentare selbst zu verfassen oder im Internet Schleichwerbung zu betreiben.
Wie systematisch auch die sozialen Medien unterwandert werden, offenbaren Dokumente von whistleblowern, die das österreichische Magazin Datum erhalten hat. Demnach veröffentlichte allein die Wiener Agentur Mhoch3 mehrere hunderttausend gefälschter Postings. Dutzende Belegschaftsangehörige schufen Tausende von Identitäten, die sich im Netz über Reiseziele, Autos, Glücksspiele oder neue CDs ausließen.
Die von Mhoch3 gefakten Kommentare finden sich zu rund 80 Prozent auf deutschen Foren, darunter Plattformen und soziale Netzwerke wie GuteFrage.net oder YouTube, Nachrichtenseiten wie Spiegel Online und focus.de sowie Sparten-Angebote wie MeinAuto.de. Die PR-Profis geben sich dabei meist als unbedarfte NutzerInnen aus, die aus Freundlichkeit Unterstützung anbieten. Rechtschreibfehler und persönliche Fragen sollen dabei Authentizität suggerieren.
Nach Aussage des Geschäftsführers von Mhoch3, Martin Kirchbaumer, bietet das Unternehmen das sogenannte „Online-Reputationsmanagement“ seit zehn Jahren an und betreibt es auch weiterhin. Zu den Kunden der Agentur gehören Unternehmen wie TUI, OPEL, die BANK AUSTRIA und die Musikfirma UNIVERSAL. Zum Aufgaben-Profil heißt es in den Verträgen: „Tägliches professionelles Verbreiten der Informationen in allen passenden und relevanten Kanälen bzw. Zielgruppen“ oder „laufendes Posten für die Aufrechterhaltung der positiven Diskussionen“. Bei reaktiven Kampagnen, mit denen auf negative Vorkommnisse reagiert wird, versprechen die PR-Leute, innerhalb von einer Stunde aktiv werden zu können.
Flächendeckende Unterwanderung
Nach Berechnung des Magazins Datum veröffentlicht allein Mhoch3 jährlich rund 80.000 bis 100.000 PR-Postings. Neue Angestellte erfinden zunächst eine Reihe von Online-Identitäten, die mit Namen, Alter, Fotos, Hobbys und Kindern ausgestattet werden. Je nach Wünschen des Auftraggebers vermögen sie dann in die Rolle eines Familienvaters zu schlüpfen, der eine Ferienunterkunft mieten möchte, oder in die einer Studentin auf der Suche nach einer neuen Digitalkamera. Vor jeder Kampagne erhalten die PR-SchreiberInnen eine Schulung, mitunter sogar persönliche Vorträge der Kunden.
Im Auftrag eines Glücksspiel-Anbieters heißt es dann zum Beispiel: „Was verboten gehört, sind unnötige Bevormundungen von Seiten des Staates“ oder noch direkter: „Ich hab auch Bekannte, die sich bei win2day ganz schön was dazuverdienen“. Im Dienst eines Kamera-Herstellers wiederum stand folgendes Posting: „Bildstabilisator? Gut entscheidung. Ich glaube mit dem sigma 150mm wirst du viel spaß haben bei makroaufnahmen“. Viele der gefakten Kommentare finden sich bis heute im Netz.
Allein die Aktivitäten von Mhoch3 decken weite Teile der virtuellen Welt ab. So wird in einer Abrechnung für den Reiseveranstalter TUI eine Reichweite von bis zu drei Millionen Usern berechnet. Zwar kennt niemand die Zahl der Anbieter; es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass keine Nische des Internets frei von Fälschungen ist.
Ein wie auch immer geartetes Unrechtsbewusstsein ist bei Mhoch3 nicht vorhanden. Die MitarbeiterInnen werden von Agentur-Chef Kirchbaumer auf Nachfrage zu „Online-Journalisten“ geadelt, deren Aufgabe es sei, „böswillige Verleumdungen in das richtige Licht“ zu rücken. Den Unterschied von Wahrheit und Lüge sieht er nicht so eng, denn „unsere Redakteure bewegen sich in einem Kulturkreis, wo weder die Identität offengelegt wird noch die Interessenslage“.
Gute Plattform für BAYER
Im Fall des Chemiekonzerns BAYER warb Mhoch3 unter anderem für Flohmittel wie ADVANTIX, ADVANTAGE und KILTIX aus der Veterinärsparte des Konzerns, die giftige Pestizid-Wirkstoffe wie Imidacloprid, Propoxur oder Flumethrin enthalten. Zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit sollten die Beschäftigten eigens ein Haustier erfinden. In Internet-Einträgen heißt es dann etwa: „Benny was hast du deiner katze letzt endlich gegeben damit die Flöhe verschwinden? Wir behandeln immer mitn Spot On von Bayer namens Advantage- kennst du das?...wünsch Euch viel Glück!“.
Noch kritischer zu bewerten ist das Marketing für die umstrittene Hormonspirale MIRENA, durch das auch eine Gesundheitsgefährdung der Anwenderinnen in Kauf genommen wird. Denn obwohl für MIRENA Berichte über teils schwerwiegende Nebenwirkungen vorliegen, veröffentlichte die Agentur Postings im Tonfall hilfsbereiter Freundinnen: „also ich hab mir vor einem jahr die hormonspirale mirena einsetzen lassen und ich muss sagen, dass ich sehr zufrieden damit bin. hatte am anfang angst vor dem einsezten, doch das war halb so schlimm“ (Olivia34, psychologie.at) oder: „Ich habe mir die Mirena einsetzen lassen, ist ebenfalls eine hormonspirale und damit hatte mein Frauenarzt sehr gute Erfahrungen bereits gemacht (…) – das kann ich voll empfehlen“.
Auch gehörte es zu den Aufgaben der Agentur, die zahlreiche Berichte über unerwünschte Reaktionen zu entkräften: „@ sporzal: mein tip es könnte auch eventuell nicht von der mirena kommen, sondern eventuell eine Allergie sein, ich hab das leider auch erst mal in vor kurzer zeit festgestellt, ich hatte echt total oft Kopfweh und das ist nicht lustig – das kann ich nachvollziehen“. Die erfundene Userin „MauMau“ begab sich hierfür eigens in das hormonspirale-forum.de, in dem sich betroffene Frauen über ihre Erfahrungen mit MIRENA austauschen.
Für den Leverkusener Multi, der unlautere Werbe-Methoden offiziell ablehnt – „Verantwortungsvolles Marketing steht auch für ethisch-moralische Grundsätze“ –, hat sich das Investment offenbar gelohnt. Das interne Fazit von Mhoch3 nach der MIRENA-Kampagne kommt zu dem Ergebnis: „Grundsätzlich ist zu sagen, dass das Internet eine ideale Plattform zur Verbreitung von Informationen zum Thema Verhütung darstellt“. In zahlreichen Fällen hätten die Reaktionen der Nutzerinnen gezeigt, dass sie den freundlichen Kommentaren Glauben schenkten und sich für die Spirale interessierten. Der Umsatz für die Spirale stieg im vergangenen Jahr auf über 700 Millionen Euro.
Werbeverbot umgangen
Jan Pehrke vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert strafrechtliche Ermittlungen gegen die Verantwortlichen: „Unlautere Medikamentenwerbung hat bei BAYER Tradition. Im vorliegenden Fall sollten ganz offensichtlich die Gesetze umgangen werden, denn Werbung für verschreibungspflichtige Präparate wie MIRENA ist schlichtweg verboten. Wir dürfen nicht zulassen, dass Pharmahersteller die Risiken von Medikamenten verharmlosen und schamlos die öffentliche Diskussion manipulieren!“.
Der BAYER-Konzern gibt pro Jahr rund zehn Milliarden Euro für Werbung und Vertrieb aus. Hierunter fällt der gesamte Graubereich des Pharma-Marketings: Medikamenten-Proben für Praxen und Krankenhäuser; Anwendungs-Studien, deren Ergebnisse meist in der Schublade verschwinden; Finanzierung von Fortbildungen und Ärzte-Kongressen; die Arbeit tausender Pharma-ReferentInnen; Spenden an medizinische Fachgesellschaften und Lobbyverbände etc. Eine Aufschlüsselung der gewaltigen Marketing-Ausgaben lehnt der Konzern – auch auf Nachfrage – ab.
In den vergangenen Jahren verlagerte BAYER immer mehr Marketing-Aktivitäten in das Internet. So betreibt das Leverkusener Unternehmen eigene Webseiten wie pille.com oder testosteron.de, die es als „Informationsangebote“ tarnt. Auch hierdurch soll das Werbeverbot für Medikamente umgangen werden. Häufig überschreitet das Marketing die Grenzen des Erlaubten; die Strafen für unlautere Werbung kalkuliert der Konzern jedoch von vornherein mit ein – er kann sie aus der Portokasse begleichen.
Axel Köhler-Schnura von der CBG kommt daher zu dem Ergebnis: „BAYER betreibt für viele Medikamente unverantwortliches Marketing. Aktuell sind zum Beispiel die Antibabypillen aus der YASMIN-Reihe oder der Gerinnungshemmer XARELTO zu nennen – beides Präparate mit hohem Gefährdungspotenzial. Zudem unterwandert die Pharmaindustrie Selbsthilfegruppen und Patienten-Verbände. Zusammenfassend lässt sich sagen: Für goldene Bilanzen geht BAYER auch über Leichen.“
weitere Informationen:
=> Artikel „Die Netzflüsterer“: http://www.datum.at/artikel/die-netzfluesterer
=> BAYER verschleiert Marketing-Ausgaben
=> Pharmamarketing bei BAYER
=> Social Marketing bei BAYER
=> Informationen zu Mirena
BAYERs Verkaufsoffensive
Der XARELTO-Masterplan
Der Leverkusener Multi drückt seinen neuen Gerinnungshemmer XARELTO aggressiv in den Markt. Er geht dabei nach einem Masterplan vor, der einen erschütternden Einblick in die kruden Marketing-Methoden des Konzerns gewährt.
Von Jan Pehrke
„Ich bin in Eindhoven aufgewachsen, mich haben die Erfahrungen von PHILIPS geprägt. PHILIPS hat vor 30 Jahren vieles erfunden, aber es waren meistens andere, die am Markt erfolgreich waren“, mit diesen Worten begründete BAYER-Chef Marijn Dekkers in der Süddeutschen Zeitung, warum ihm das Marketing so sehr am Herzen liegt. Folgerichtig bestand eine seine ersten Amtshandlungen beim Leverkusener Multi darin, die Aufwendungen in diesem Bereich zu erhöhen. Beliefen sich die sogenannten Vertriebskosten im Jahr 2010 noch auf „nur“ 8,8 Milliarden Euro, so steigerten sie sich unter der Ägide des Holländers bis 2013 auf über zehn Milliarden Euro. „Die neuen Produkte müssen schließlich auch verkauft werden“, heißt es dazu lapidar. Ein Großteil des Werbe-Etats floss dabei in den Pharma-Sektor und diente hauptsächlich der Lancierung eines Medikamentes: des Gerinnungshemmers XARELTO mit dem Wirkstoff Rivaroxaban.
BAYERs Märchenstunde
Nach einem detailliert ausgearbeiteten Masterplan geht der Pillen-Riese bei seinen Vermarktungsaktivitäten vor. „Die Kraft des Geschichtenerzählens entfesseln“ – so heißt die Strategie für 2014. Da das Jahr eines „mit wenig ‚harten Neuigkeiten’“ ist, halten die PR-ExpertInnen fest: „Es wird wichtig für uns sein, unsere eigenen Neuigkeiten zu kreieren.“ Und den Rahmen für die diesjährige Märchenstunde steckt der „2014 XARELTO PR Plan“ ab. Zwei Geschichten stellt er den Pharma-DrückerInnen zur Auswahl: die „Giving back“-Geschichte und die „Continuing to Circulate“-Geschichte.
In der „Giving back“-Story gibt die Arznei allen etwas zurück. Den PatientInnen winken weniger ÄrztInnen-Termine, mehr Komfort und mehr Freiheit. Die MedizinerInnen dürfen sich derweil dank des unkomplizierten Handlings über mehr Zeit und folglich mehr Geld freuen. Auf Kongressen rechnete BAYER ihnen schon haarklein die Effizienz-Gewinne vor, die sich daraus ergeben, auf das Spritzen des Medikamentes verzichten zu können. Die „Stoppuhr-Studie“ wartete mit dem Befund auf, „dass für die Gabe einer Tablette durchschnittlich 46 Sekunden weniger aufgewendet werden müssen als für eine Injektion. Auf einer Station mit 40 Betten ergibt sich so eine tägliche Zeitersparnis von ca. 30 bis 40 Minuten“. Damit nicht genug, passt die „Zurückgeben“-Story den Werbe-StrategInnen zufolge auch noch bestens zu dem Ansinnen des Leverkusener Multis, „mittels Sponsoring und Fortbildungsinitiativen“ die Marktführerschaft bei den Gerinnungshemmern zu übernehmen.
Die Zirkulationsgeschichte hingegen handelt von einem sagenumwobenen Elixir, das den roten Saft in den Adern auf wundersame Weise ertüchtigt und so arme Seelen wieder dem Rad des Lebens zuführt, ohne die Kreise der weißen Halbgötter weiter durch lästige Blut-Untersuchungen zu stören.
Unabhängig davon, für welche der Geschichten sich die Pharma-Manager schließlich entschieden haben, Alona Rudnitsky dürfte in jeder von ihnen eine Rolle gespielt haben. Diese Figur haben sich die Pillen-PoetInnen ausgedacht, um für den nötigen „Human Touch“ zu sorgen. Und das hört sich dann so an: „Alona Rudnitsky, 69, musste jahrelang jeden Monat ihre Gerinnungswerte kontrollieren lassen. Jetzt verbringt sie diese Stunden mit ihrer Enkelin und muss sich um ihre Gerinnungswerte keine Sorgen mehr machen.“ Auch die Krankengeschichte Hillary Clintons, in deren Kopf ÄrztInnen schon zweimal Blutgerinnsel aufgespürt haben, halten die ÖffentlichkeitsarbeiterInnen für erzählenswert, weil sie am Beispiel einer weithin bekannten Person die Dringlichkeit der Gabe von Blutverdünnern unterstreicht.
Der Frage der Risiken und Nebenwirkungen von XARELTO will der Masterplan offensiv begegnen. „BAYER HEALTHCARE durch eine proaktive Kommunikation der Blutungsrisiken und der verantwortungsvollen Einnahme als tonangebend in der Sicherheitsdebatte positionieren“, nimmt er sich vor. Darum rät er den Konzern-Beschäftigten auch, den heiklen Punkt, dass es zu der Arznei kein Gegenmittel gibt, das im Falle eines Falles Blutungen stillen kann, wie es bei Marcumar und anderen Vitamin-K-Antagonisten (VKA) das Vitamin K als Antidot tut, von selber anzusprechen. Dabei gilt es allerdings, den Nutzen dieser Notfall-Medizin in Zweifel zu ziehen. Die „Mythen rund um VKA-Antidote“ zu zerstreuen, lautet die entsprechende Arbeitsanweisung.
Die entsprechenden Textbausteine dafür hatte vorher schon eine Handreichung bereitgestellt, welche die Außendienst-MitarbeiterInnen in die Lage versetzen wollte, auf den Spiegel-Artikel „BAYER-Blutverdünner XARELTO unter Verdacht“ zu reagieren, der von 72 Todesfällen und 750 Meldungen über unerwünschte Arznei-Wirkungen allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2013 berichtet hatte. Während der Leverkusener Multi – letztlich erfolglos – versuchte, via Presserat gegen die Veröffentlichung vorzugehen, lieferte das Schriftstück „Talking Lines“ für die Krisen-Kommunikation. Eigentlich bräuchte XARELTO gar kein Antidot, lautete eine der Sprachregelungen, denn schon ein simples Absetzen rufe den Vitamin-K-Effekt hervor, da sich das BAYER-Produkt schon binnen 8 bis 12 Stunden im Körper abbaue und nicht erst nach ein paar Tagen wie Marcumar & Co. Auch die schon von zahlreichen BAYER-Hauptversammlungen bekannte rhetorische Figur, welche die Meldungen über Nebenwirkungen als bloße Verdachtsfälle abtut, empfehlen die AutorInnen zur Weiterverwendung: „Es ist wichtig festzuhalten, dass gemeldete unerwünschte Arznei-Effekte nicht notwendigerweise bedeuten, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen ihnen und dem Produkt gibt.“ Vier Hauptbotschaften sollten die mit dem Medikament befassten Beschäftigten MedizinerInnen, Medien und Öffentlichkeit dem Dokument zufolge übermitteln: Das Nutzen/Risiko-Profil von XARELTO bleibt günstig; das sich in der Praxis herauskristallisierte Sicherheitsprofil bestätigt die Ergebnisse der klinischen Tests; das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ hat jüngst das positive Nutzen/Risiko-Profil bestätigt; BAYER tut alles, ÄrztInnen dazu anzuhalten, einen verantwortlichen Umgang mit dem Gerinnungshemmer zu pflegen.
Beziehungsarbeit
Damit „die Macht des Geschichtenerzählens“ auch ihr ganzes Potenzial zu entfesseln vermag, müssen ihr viele Kanäle zur Verbreitung zur Verfügung stehen. Für BAYERs PR-Abteilungen in den einzelnen Ländern gibt der „2014 XARELTO PR Plan“ deshalb die Devise aus: „Das Netzwerk mit den einheimischen MedienvertreterInnen stärken und ausweiten“. Darüber hinaus hält er es für angeraten, Beziehungen zu besonders einflussreichen JournalistInnen aufzubauen. Auch direkte Anrufe bei Redaktionen zur Lancierung des Medikamentes – im Fachjargon „media sell-in“ genannt – gehören zum Instrumentarium. Zudem regt das 50-seitige Strategie-Papier an, Roundtables mit SchreiberInnen zu organisieren, „um die XARELTO-Story zu pushen“, und Fortbildungsveranstaltungen abzuhalten.
In medizinische Fachzeitschriften wollen die Verkaufsprofis mittels anerkannter ExpertInnen dringen, die sich als Mietmäuler hergeben und dem Gerinnungshemmer so die nötige wissenschaftliche Autorität verleihen. Schon 2013 hatte sich Dr. Michael Spannagl von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität für so etwas zur Verfügung gestellt. Auf Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen pries der Herr Professor das Pharmazeutikum an. Bis August 2013 brachte er es auf 19 Referate zum Thema – und einen Nebenverdienst von 16.200 Euro. Zudem gelang es ihm, in der Publikation Der Allgemeinarzt eine XARELTO-Laudatio zu platzieren, ohne seine Beziehungen zu BAYER offenzulegen. Ein „klares Versäumnis“ sei das gewesen, gesteht Spannagl dem Spiegel später und räumt auch ein, XARELTO und die anderen neuen Gerinnungshemmer seien „im Marketing zu banal dargestellt“ worden. Andere „Key Opinion Leader“, die in dem betreffenden Jahr auf der Payroll des Konzerns landeten und als Werbeträger für die Arznei dienten, waren Professor Dr. Rupert Bauersachs vom Klinikum Darmstadt und Professor Dr. Johannes Brachmann vom Klinikum Coburg. Auch anderweitig nutzte der Pillen-Riese noch Kongresse und andere Branchen-Zusammenkünfte „als Plattform, um die XARELTO-Story zu erzählen“. So bestückte er sie mit Werbeständen und hielt auf ihnen Symposien zu dem Produkt ab.
Frühere PR-Pläne für das Medikament setzten sogar auf eine Art von Direkt-Marketing. BAYER sandte ÄrztInnen XARELTO-Muster per Post zu. Weil dieses seit Mitte der 1980er Jahre aber eigentlich verboten ist, sofern keine Anforderung vorliegt, ließ der Konzern die ÄrztInnen Empfangsbestätigungen unterschreiben, die ihm als „Just-in-Time“-Antrag für die Proben galten. Das brachte dem Leverkusener Multi nicht nur eine Anzeige der industrie-unabhängigen Publikation arznei-telegramm ein, sondern auch eine Vorladung bei der „Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittel-Industrie“ (FSA). In den USA bekam das Unternehmen ebenfalls Ärger. Die Gesundheitsbehörde FDA verwies die XARELTO-Geschichte, wonach dem Mittel eine Herzinfarkt-vorbeugende Wirkung zukomme, ins Reich der Märchen. Sie wies den Pharma-Riesen stattdessen an, sich an den weit profaneren Text des Beipackzettels zu halten, der die Story ein wenig anders erzählt und vor einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko warnt.
Davon ließ die Marketing-Abteilung sich aber nicht sonderlich beeindrucken. Sie spintisierte munter weiter und fand genug Gläubige. Die Verkäufe schossen in den Himmel. In den ersten neun Monaten des Jahres 2014 konnte XARELTO die Zahlen im Vergleich zu 2013 fast verdoppeln. Von 633 Millionen Euro auf 1,16 Milliarden Euro kletterten sie und verwiesen das Konkurrenz-Produkt PRADAXA mit dem Wirkstoff Dabigatran klar auf die Plätze. Dabei hatte das Medikament bereits 2013 enorm zugelegt. Den Grund dafür wusste der „Arzneimittelreport 2014“ ganz deutlich zu nennen: „Da Dabigatran länger auf dem Markt erhältlich ist und früher eine Zulassungserweiterung als Rivaroxaban bekommen hatte und da bis heute keine pharmakologischen Vorteile oder gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Wirkstoffen belegt wurden, kann diese extreme Steigerung bei Rivaroxaban nur durch Marketing- und Werbemaßnahmen zustande gekommen sein.“