Veröffentliche Beiträge in “SWB 02/2012”
Gefährliche Pestizide
BAYER VOR GERICHT
Das seit 1979 bestehende PERMANENT PEOPLES TRIBUNAL befasste sich im Dezember 2011 mit den katastrophalen Folgen des großflächigen Einsatzes von Agrochemikalien. Das Tribunal, das diesmal im indischen Bangalore stattfand, hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN eingeladen, um der Jury den Fall des von BAYER-Pestiziden wesentlich mitverursachten globalen Bienensterbens darzulegen. Die RichterInnen verurteilten den Leverkusener Chemie-Multi dafür und sprachen auch die anderen Agro-Konzerne schuldig.
Sarojini Rengam, Direktorin des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKS (PAN) Asien, war wütend: „Die Landwirtschaft, das Herz der globalen Nahrungsmittel-Produktion, wird von Konzernen dominiert, denen Profite wichtiger sind als Menschenleben. Solange sich dies nicht ändert, wird es immer wieder Tragödien wie die in Bhopal geben!“. Rengam forderte die Regierungen in aller Welt auf, die Verantwortlichen dafür vor Gericht zu stellen: „Die Pestizid-Hersteller sind für Vergiftungen und Umweltkatastrophen in aller Welt verantwortlich. Hierfür müssen sie endlich zur Rechenschaft gezogen werden!“ Nach Angaben der Weltbank sterben jedes Jahr etwa 350.000 Menschen an Pestiziden; viele Fälle bleiben zudem unentdeckt.
Auf den Tag genau 27 Jahre nach der Katastrophe in Bhopal, wo nach einer Explosion in einer Pestizidfabrik rund 20.000 AnwohnerInnen das Leben verloren, begann in Bangalore, einige hundert Kilometer südlich von Bhopal, die 37. Sitzung des PERMANENT PEOPLES´ TRIBUNAL (PPT). Die viertägige Verhandlung befasste sich in diesem Jahr ausschließlich mit Pestizid-Vergiftungen. Hierfür kamen mehr als 200 JuristInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen von LandwirtInnen und Umweltverbänden aus aller Welt zusammen.
Das PERMANENT PEOPLE´S TRIBUNAL existiert seit 1979. Es wurde gegründet, um auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, die sich dem institutionellen Recht entziehen. Hervorgegangen ist das PPT aus dem Russell-Sartre-Tribunal zur Untersuchung des Vietnamkriegs. Das Verfahren folgt den strengen Regeln einer juristischen Verhandlung und bezieht sich auf existierendes Recht, zum Beispiel die UN-Deklaration für Menschenrechte. Das Urteil wird den Vereinten Nationen sowie den verantwortlichen Regierungen zugestellt.
In der Jury des PPT sitzen JuristInnen aus aller Welt. Den Vorsitz hat momentan Upendra Baxi inne, Rechtsprofessor an der Universität von Warwick. Das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK hatte der Jury eine 300-seitige Anklageschrift vorgelegt, in der die Folgen des weltweiten Pestizid-Einsatzes akribisch dokumentiert werden.
Opfer von Alaska bis Malaysia
Eröffnet wurde die Sitzung in Bangalore von M. N. Venkatachaliah, dem ehemaligen obersten Richter Indiens. Auf der Anklagebank saßen die sechs größten Hersteller von Agrogiften: MONSANTO, DOW, BASF, BAYER, SYNGENTA und DUPONT. Diese „Big6“ kontrollieren 71 Prozent des globalen Pestizid-Marktes und 58 Prozent des kommerziellen Saatgut-Marktes. Die Agro-Industrie stellt somit einen der am stärksten konzentrierten Wirtschaftszweige der Welt dar.
In der Anhörung kam eine große Zahl von Betroffenen zu Wort. So berichteten malaysische Arbeiterinnen über Vergiftungen und Todesfälle in Palmöl-Plantagen. „Ich habe Paraquat ohne jegliche Schutzkleidung versprüht, da ich die Gefahren nicht kannte, so Nagama Raman. Das von der schweizer Firma SYNGENTA produzierte Herbizid ist hochgiftig und in der Schweiz seit 1989 verboten. Dennoch vertreibt das Unternehmen den Wirkstoff in mehr als 100 Ländern. Mit verheerenden Folgen: Nagama Raman ist wegen chronischer Gesundheitsschäden nicht mehr in der Lage, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen.
Noch schlimmer traf es Petrona Villasboa aus Paraguay. Ihr Sohn Silvino wurde mit Glyphosat besprüht, als er mit dem Fahrrad durch eine Soja-Plantage fuhr. Der elfjährige Junge starb fünf Tage später an der Vergiftung. Auch seine Geschwister und Eltern erkrankten schwer. Zwar wurde die Ursache von Silvinos Tod gerichtlich eindeutig festgestellt. Dennoch wurde die Firma MONSANTO nicht zur Rechenschaft gezogen und kann Glyphosat, das weltweit am meisten eingesetzte und hauptsächlich beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zum Einsatz kommende Ackergift, ungestört weiter vermarkten.
Dass die Verantwortlichen straffrei ausgehen, ist gängige Praxis, nicht zuletzt auch in Indien. So konnte das ursprünglich von HOECHST entwickelte Insektizid Endosulfan, das vor zehn Jahren im Portfolio von BAYER landete, jahrzehntelang ungehindert für Vergiftungen, Todesfälle und Missbildungen sorgen. Allein im indischen Bundesstaat Kerala, wo LandwirtInnen das Präparat auf Cashewfrucht-Plantagen einsetzen, starben rund 4.000 Menschen infolge der Flugzeug-Sprühungen. Die Ärzte Dr. Mohan Kumar and Dr. Mohammed Asheel, die die Betroffenen seit Jahren behandeln, berichteten dem Tribunal von schrecklichen Gesundheitsschäden. BAYER hat den Wirkstoff zwar vor wenigen Monaten aus dem Verkehr gezogen, aber indische Firmen produzieren das Pestizid noch heute.
Und selbst dort, wo Agro-Chemikalien wie Endosulfan gar nicht ausgebracht werden, leiden die Menschen unter den langlebigen Schadstoffen. Denn viele Gifte sind biologisch kaum abbaubar; die Wirkstoffe migrieren über Luft- und Meeresströmungen bis in abgelegene Regionen, zum Beispiel die Arktis. Vi Waghiyi, eine Eskimo-Frau von der vor Alaska gelegenen Insel St. Lawrence, bezeugte vor dem Tribunal, wie sehr ihre Nahrung, hauptsächlich Fische und Robben, vergiftet ist. Die UreinwohnerInnen der Inseln vermögen sich deshalb nicht mehr auf traditionelle Weise ernähren und sind stattdessen auf teure Nahrungsmittel-Lieferungen aus den USA angewiesen.
Wissenschaft in Gefahr
WissenschaftlerInnen pflichteten dem Richter Venkatachaliah bei, der in seinem Eingangsstatement die Befürchtung geäußert hatte, dass die moderne Wissenschaft mehr und mehr als Mittel der Ausbeutung fungiere, statt den Menschen zu dienen. Sie berichteten von dem weitreichenden Einfluss der Hersteller auf die Forschung. Oftmals diskreditieren BAYER & Co. AutorInnen kritischer Studien oder trocknen sie finanziell aus. Der Biologe Dr. Tyron Hayes von der Universität Berkeley legte der Jury seine Studien-Ergebnisse über die Wirkungen des Pestizids Atrazin von SYNGENTA dar. Dieses verhindert ihm zufolge die Bildung des männlichen Hormons Testosteron. Männliche Frösche produzieren nur noch wenig Sperma, bilden stattdessen weibliche Geschlechtsmerkmale aus und werden unfruchtbar. Was bei Fröschen, anderen Amphibien und Vögeln zu beobachten ist, ist teilweise auch auf Menschen übertragbar. Für diese Warnung erntete Dr. Hayes, den Unternehmen einst mit Fördergeldern umwarben, Schmähungen als Außenseiter der Zunft. Erschwerend kommt seine Kooperation mit Umweltverbänden dazu. Das alles hätte Hayes fast seine Stelle gekostet - sich mit den Multis anzulegen, ist auch für ForscherInnen nicht ungefährlich.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) schließlich rief das PPT in den Zeugenstand, um den Fall der weltweiten Bienensterben durch Neonicotinoide vorzustellen. Der BAYER-Konzern ist Weltmarktführer in dieser Substanz-Klasse, die in vielen Ländern wegen Risiken für Bienen nicht mehr frei in den Verkauf gelangen darf. In Deutschland, wo das BAYER-Pestizid Clothianidin im Jahr 2008 ein flächendeckendes Bienensterben verursachte (SWB berichtete mehrfach), erging beispielsweise ein Verbot für die Ausbringung auf Mais-Kulturen.
Zusammen mit dem britischen Imker Graham White informierte Philipp Mimkes von der CBG darüber, dass die französischen Behörden den vom Leverkusener Multi entwickelten Wirkstoff Imidacloprid wegen hoher Bienenschädlichkeit bereits 1999 aus dem Verkehr zogen. Sogar die UN-Umweltbehörde UNEP zeigt sich alarmiert. Sie veröffentlichte im vergangenen Frühjahr einen Bericht zu dem fortschreitenden Bienensterben, das wegen der verringerten Bestäubungsleistung auch eine Bedrohung für die Ernährungssicherheit darstellt, und bezeichnete die BAYER-Pestizide Clothianidin und Imidacloprid darin als Bedrohung für zahlreiche Tierarten. Die Pestizid-Gefahren für Insekten, Amphibien und Vögel nahmen dann auch einen großen Teil der Verhandlung ein und erhielten ein eigenes Kapitel im Urteil der Jury. Den Verkauf der Mittel stören solche Befunde allerdings nicht. Trotz gravierender Bedenken von WissenschaftlerInnen und ImkerInnen erfreuen sich Neonicotinoide noch großer Beliebtheit. Im vergangenen Jahr machte der Global Player mit diesen Substanzen einen Umsatz von 900 Millionen Euro - Grund genug für den Konzern, mit allen Mitteln gegen ein Verbot zu kämpfen.
Einstimmige Verurteilung
Die sechsköpfige Jury verurteilte in ihrer Abschlusserklärung BAYER und die andern fünf Unternehmen, die den Weltmarkt für Pestizide und Saatgut dominieren, wegen schwerster Umwelt- und Gesundheitsschäden. Der ungezügelte Einsatz von Agrogiften verletze das Menschenrecht auf Gesundheit und Leben; Millionen Menschen, vor allem in den Ländern des Südens, würden wissentlich hohen Risiken ausgesetzt, so die RichterInnen.
Neben den sechs Konzernen und ihren Herkunftsländern (USA, Deutschland, Schweiz) sprachen die JuristInnen auch den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation schuldig. Sie haben, so die Jury, durch ihre Programme die Macht der Konzerne vergrößert und den Einsatz von Pestiziden weiter begünstigt, ohne dabei auf die Einhaltung der Menschenrechte zu dringen.
Die Jury verlangt von den Regierungen der Herkunftsländer, Straftatbestände zur Aufklärung von Pestizid-Vergiftungen einzuführen. Auch seien entsprechende internationale Gesetze erforderlich. Besonders gefährliche Wirkstoffe wie Neonicotinoide müssten zum Schutz von Bienen und Wildinsekten unmittelbar verboten werden. Zudem ermahnten die JurorInnen die Firmen, jegliche Angriffe auf kritische WissenschaftlerInnen, UmweltschützerInnen und LandwirtInnen, die gegen Pestizidvergiftungen protestieren, einzustellen.
Zwar untersteht dem Tribunal keine Exekutive, so dass es nicht möglich ist, das Urteil zu vollstrecken. Es kann aber als Grundlage künftiger Prozesse dienen. Darüber hinaus erzeugt er Druck auf nationale Regierungen, den doppelten Sicherheitsstandard zu untersagen, der es den Firmen erlaubt, im Heimatland verbotene Wirkstoffe zu exportieren.
Carina Weber, Geschäftsführerin des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKS Deutschland begrüßte das Urteil: „Dieses Tribunal macht deutlich, dass durch multinationale Agrarchemie-Konzerne begangene Menschenrechtsverletzungen in großem Ausmaß stillschweigend geschehen. Viele Opfer sind nicht in der Lage, ihre Rechte im eigenen Land juristisch einzufordern und auf globaler Ebene existiert kein wirksamer Mechanismus, um die Konzerne für begangene Menschenrechtsverletzungen haftbar zu machen.“
Von Philipp Mimkes, Coordination gegen BAYER-Gefahren
Antibiotika in der Fleischproduktion
Der Keim, der aus dem Tierstall kommt
In der Massentierhaltung werden große Mengen Medikamente eingesetzt, insbesondere Antibiotika. Immer mehr Krankheitserreger bilden dadurch Resistenzen. Gelangen die Keime über die Fleisch-Verarbeitung in den menschlichen Organismus, so können sie Gesundheitsstörungen verursachen, gegen die kein Kraut mehr gewachsen ist. Zu den größten Herstellern von Tier-Antibiotika gehört der Leverkusener Bayer-Konzern.
Bis zu zwölf Schweine drängen sich in der Massentierhaltung auf 6-8 Quadratmetern. Tageslicht fällt so gut wie nie in die Ställe. Auch Stroh oder Einstreu gibt es für die armen Kreaturen nicht. Sie hausen auf blankem Beton. Hierin sind Spalten eingelassen, damit Urin und Kot direkt eine Etage tiefer in die Gülle-Grube gelangen kann. Vier Monate bleiben ihnen bis zur Schlachtreife - vor 100 Jahren waren es noch zwölf. Zu allem Überfluss müssen sie in dieser kurzen Zeit viel mehr Gewicht zulegen als ihre Vorfahren.
Gesund ist das nicht. Als Abbau-Produkt aus den Fäkalien entsteht giftiges Ammoniak, das zusammen mit der ständigen Feuchtigkeit zu Atemwegserkrankungen führt. Durch die Enge und Dunkelheit bedingt, regen sich die Tiere kaum, weshalb ihre inneren Organe – durch die Turbomast ohnehin stark belastet – Entwicklungsdefizite aufweisen. Mehr Auslauf wäre auch kontraproduktiv: „Diese Drangsal ist bewusst hergestellt. Bei genügender Bewegung würden die Schweine ja nicht so schnell zunehmen“, so der Tierarzt und ehemalige Veterinäramtsleiter Hermann Focke in seinem Buch „Die Natur schlägt zurück“.
Viele Tiere überleben nicht einmal den Transport zum Schlachthof: 400.000 Schweine erleiden alljährlich auf dem Weg zu ihrem letzten Gang den akuten Herztod.
Immer dabei: Baytril
Hühner, Puten, Mastenten und Legehennen leben unter ähnlichen Umständen und leiden deshalb ähnlich oft unter Krankheiten. Auf der Liste ganz oben stehen Infektionen. Als Medikamente kommen folglich bevorzugt Antibiotika zum Einsatz.
Wegen der Ansteckungsgefahr gelangt in der Regel gleich der ganze Bestand in den Genuss dieser Mittel. Das Leverkusener Unternehmen Bayer rät zum Beispiel in einer Produktinformation: „Unter den gegenwärtigen landwirtschaftlichen Bedingungen ist die Anzahl der Tiere pro Stall sehr hoch. Deshalb ist die Behandlung der gesamten Herde und nicht die individuelle Medikation das Mittel der Wahl, um den Infektionsdruck zu mildern und die Ansteckungsgefahr zu senken“. Mehr als die Hälfte der gesamten Antibiotika-Produktion in Deutschland landet denn auch in den Tierställen - rund 1.000 Tonnen pro Jahr. Kritische Tierärzte sprechen von einer Dunkelziffer von weiteren tausend Tonnen.
Die Firma Bayer ist weltweit der viertgrößte Anbieter von Veterinär-Medikamenten und gehört zu den großen Nutznießern der Massentierhaltung. Welche Mengen Tier-Antibiotika verkauft werden, will das Unternehmen eigentlich „aus Wettbewerbsgründen nicht kommunizieren“. Erst auf mehrmalige Nachfrage Kritischer Aktionäre nannte der Vorstandsvorsitzende in der jüngsten Hauptversammlung in Köln die Verkaufszahlen: demnach machte der Konzern allein 2011 mit dem Tier-Antibiotikum Baytril einen Umsatz von 166 Millionen Euro. 118 Millionen Euro wurden in der Massentierhaltung abgesetzt, der Rest im Haustierbereich.
Immer mehr Resistenzen
Wie alltäglich der Einsatz der Mikrobenkiller ist, zeigt eine Untersuchung des Niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. Die Studie überprüfte 200 Betriebe und verfolgte 894 Mast-Perioden mit insgesamt mehr als 23 Millionen Tieren. Demnach erhielten 76 Prozent der 18 Millionen überprüften Hühner Antibiotika, durchschnittlich knapp sieben Mal in ihrem kurzen Leben. Häufig schluckten sie Präparate aus der Klasse der Fluorchinolone, zu denen auch Baytril gehört. Die 1,65 Millionen untersuchten Puten erhielten gar zu 90 Prozent Antibiotika.
Die Antibiotika-Quote bei Mastschweinen betrug 68 Prozent, bei Kälbern rund 90 Prozent. Immer dabei: Baytril mit dem Wirkstoff Enrofloxacin.
Der regelmäßige Einsatz in der Massentierhaltung verursacht massive Probleme. Die Krankheitserreger gewöhnen sich an die Mittel und bilden trotz ständig erhöhter Dosen Resistenzen aus. Über die Fleisch-Zubereitung können solche resistenten Bakterien in den menschlichen Organismus gelangen und dort unbehandelbare Gesundheitsstörungen auslösen. Das Stall-Personal als Überträger, der Antibiotika-Eintrag in die Umwelt z. B. über die Gülle und der zu sorglose Umgang mit dieser Medikamentengruppe in der Humanmedizin tragen ein Übriges zur Bedrohungslage bei.
Ende der 1990er Jahre starben dem US-amerikanischen Wissenschaftler Dudley Williams zufolge weltweit rund 200.000 Menschen, weil Antibiotika ihnen nicht mehr helfen konnten. In der Bundesrepublik erliegen nach Angaben des Max-Planck-Institutes alljährlich ca. 15.000 Personen nicht-behandelbaren Infektionen. Und in den USA sorgte 2005 allein ein multiresistenter „Staphylococcus aureus“-Keim für 18.650 Todesfälle.
verwandte Wirkstoffe
Auch eine Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) kam im vergangenen Herbst zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast dazu führen kann, die Mittel ihrer Wirksamkeit in der Humanmedizin zu berauben. Die Firma Bayer trägt hierfür eine besondere Verantwortung, da das Unternehmen gleichzeitig Antibiotika für die Veterinär- als auch für die Humanmedizin anbietet, noch dazu solche aus derselben Substanzklasse. Sowohl die Human-Antibiotika Ciprobay (Wirkstoff: Ciprofloxacin) und Avalox (Wirkstoff: Moxifloxacin), als auch das genannte Baytril gehören zu den Fluorchinolonen. Da verwundern die hohen Resistenz-Raten kaum. So stieg die Zahl der Ciprobay-resistenten „Staphylococcus aureus“-Erreger nach Angaben des „German Network for Antimicrobial Resistance Surveillance“ von 1990 sechs Prozent auf über 26 Prozent im Jahr 2006. Die Zahl der Ciprobay-resistenten „Staphylococcus epidermides“-Keime nahm von 55 Prozent (1995) auf 70 Prozent (2004) zu, die der „Escherichia coli“-Erreger von 5 auf 22 Prozent. Auch gegen 90 Prozent der „Enterococcus faecium“-Erreger, 76 Prozent der „Staphylococcus haemolyticus“-Erreger und knapp 40 Prozent der „Enterococcus faecalis“-Erreger erwies sich das Bayer-Präparat Ciprobay als machtlos.
Der „Germap 2008“ zieht daher ein alarmierendes Fazit: „Im Hospitalbereich ist in den letzten 10–15 Jahren eine z.T. deutliche Zunahme der Resistenz-Häufigkeit gegenüber Antibiotika festzustellen. Der Resistenz-Anstieg betrifft besonders die Fluorchinolone und Aminopenicilline.“ Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert daher seit Jahren ein Verbot des massenhaften Einsatzes von Antibiotika in der Tierzucht. Insbesondere die Gruppe der Fluorchinolone, zu denen Baytril gehört, erklärte die WHO zu „Critically Important Antimicrobials“, also zu unverzichtbaren Bakteriziden.
Beim Breitband-Antibiotikum Totocillin, ebenfalls aus dem Hause Bayer, sieht die Lage nicht besser aus. Die Effektivität des seit 2010 wieder erhältlichen Präparats zur Behandlung von Euter- und Gebärmutterentzündungen lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Immer mehr Keime trotzen den beiden Wirkstoffen Ampicillin und Oxacillin. So legte die Rate der Ampicillin-resistenten „Enterococcus faecium“-Stämme von 49 Prozent (1995) auf 89 Prozent im Jahr 2004 zu, diejenige der E.coli-Stämme von 36 auf 50 Prozent.
Bayer wiegelt ab
Der Leverkusener Multi will von alldem nichts wissen. Er streitet trotz seiner Empfehlung, bei Infektionen gleich den ganzen Bestand einer Antibiotika-Behandlung zu unterziehen, und trotz der Zahlen des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums die Beteiligung von Baytril am System der Massentierhaltung ab. „Das Antibiotikum Baytril wird ausschließlich injiziert und nicht dem Futter beigemischt. Deshalb ist es für die Massentierhaltung nicht geeignet“, erklärte ein Sprecher. Über Lösungen zum Eingeben mittels einer Dosierpumpe und Gaben über das Trinkwasser breitet er dezent den Mantel des Schweigens aus. Auch die abnehmende Wirksamkeit von Ciprobay und Avalox ignoriert der Pharma-Riese. Eine „günstige Resistenz-Lage“ bescheinigt das Unternehmen Moxifloxacin in einem Artikel, den es in der Zeitschrift „Der Kassenarzt“ unterbrachte. Und in einer Broschüre schreibt der Konzern: „Bislang liegen kaum Belege dafür vor, dass der Gebrauch von Fluorchinolonen in der Veterinärmedizin ungünstige Auswirkungen auf Fluorchinolon-Therapien in der Humanmedizin hat“.
Für diese Haltung organisiert sich der Multi auch Beistand. So initiierte er im vergangenen September ein Podiumsgespräch zum Thema „Gesunde Tiere – gesunde Lebensmittel“ mit „80 Meinungsbildnern aus Politik, Wissenschaft, Verbänden und Medien“. In dessen Verlauf nahm der Bundestierarzt-Präsident Dr. Hans-Joachim Götz die Massentierhalter vor dem Vorwurf in Schutz, Zuchtbetriebe für Resistenzen zu unterhalten. Er sprach stattdessen von einer unauffälligen Resistenz-Situation in der Veterinärmedizin, es bestehe „kein Grund für Hysterie“.
Solche Meinungen kommen nicht von ungefähr. Bayer lässt sich die Pflege der tiermedizinischen Landschaft viel kosten. Der Konzern spendiert schon Studierenden Sezierbesteck, finanziert Kongresse, „Bildungsreisen“ in ferne Länder, stiftet Lehrstühle und sponsert Universitäten. Die tierärztliche Hochschule Hannover, die dem Leverkusener Multi auch eine Forschungsprofessur für „Veterinärmedizinische Dermatopharmakologie“ verdankt, unterhält sogar einen Bayer-Hörsaal.
Darüber hinaus sind die Veterinär/innen ihre eigene Apotheke und verdienen direkt an den Medikamenten, für die sie Rezepte ausstellen. Jeder Anreiz, den Verbrauch zu drosseln, geht hierdurch verloren. Eine Abschaffung dieses so genannten Dispensier-Rechts lehnt jedoch die Bundestierärzte-Kammer ab. So wenig, wie sie ihre Bande zu Pharmaproduzenten lösen will, so wenig geht die Vereinigung der Veterinäre auf Distanz zur Massentierhaltung insgesamt.
und die Politik?
Trotz der immer bedrohlicheren Entwicklung passiert wenig. Die Behörden zogen lediglich einige Präparate aus dem Verkehr oder erließen Anwendungsbeschränkungen. 1998 stoppte die EU den Verkauf des Bayer-Präparats Olaquindox und von zwei weiteren Mitteln. Im Jahr 2005 untersagten die USA die Verwendung von Baytril in der Hühnermast wegen der zunehmenden Anzahl von resistenten Campylobacter-Bakterien. Der Leverkusener Multi hatte vorher alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Bann zu verhindern. So engagierte er mehrere Lobbyisten und brachte 26 Kongress-Abgeordnete dazu, einen Brandbrief an den Leiter der US-Gesundheitsbehörde FDA zu schreiben, in dem die Antibiotika-Gaben „als absolut notwendig zum Schutz der Gesundheit der Tiere“ bezeichnet werden. Die FDA sah in dem Vorstoß jedoch einen Versuch, die Gesetze zu brechen und blieb bei ihrer Position. Ein Jahr später reagierte die EU erneut und verbot den Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer, während die Bundesrepublik in ihren Regelungen zum fachgerechten Umgang mit den Mitteln gegen die prophylaktische Verabreichung vorging.
Gebracht hat das wenig. Trotz der Einschränkungen nahmen die Verkaufsmengen nicht ab – im Gegenteil. Zuletzt hat das eine Studie des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz gezeigt. Für den grünen NRW-Umweltminister Johannes Remmel ließ das Ergebnis nur einen Schluss zu: „Entweder handelt es sich um Wachstumsdoping, was seit 2006 EU-weit verboten ist, oder aber das System der Tiermast ist so anfällig für Krankheiten, dass es ohne Antibiotika nicht mehr auskommt.“
Der wachsende politische Druck von Seiten der Grünen und der Öffentlichkeit hat Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner kürzlich dazu veranlasst, sich zu bewegen. Sie kündigte ein ganzes Maßnahme-Paket an. So will die CSU-Politikerin die Antibiotika-Ströme besser dokumentieren, Betrieben mit besonders hohem Verbrauch ein Minimierungskonzept verordnen und den Bau großer Mastanlagen erschweren. Auch das tierärztliche Dispensier-Recht steht auf dem Prüfstand.
Ob es fällt, ist jedoch zu bezweifeln. Die Veterinär-Mediziner haben einen mächtigen Fürsprecher in Berlin: ihr Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP leitet den Agrar-Ausschuss und hat schon seine Ablehnung bekundet. Aber nicht nur an der Durchsetzungskraft Aigners werden Zweifel laut, vielen geht das Vorhaben an sich nicht weit genug. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, bezeichnete die Auflagen für Massenställe als „wirkungslos“, weil sie erst ab 85.000 Hühnern und 3.000 Schweinen griffen. Und Johannes Remmel kritisierte die allzu lückenhaften Transparenz-Regeln für die Verordnungen von Baytril & Co. Zudem vermisst er einen konkreten Plan zur Reduktion dieser Arzneistoffe und ein Bekenntnis zum Ziel einer Tierhaltung ohne Antibiotika.
Forderungen
Auch kritische Tierärzte fordern weitergehende Schritte, u.a. eine lückenlose Dokumentation aller Antibiotika-Anwendungen im Tierstall, flächendeckende Kontrollen, feste Einkaufspreise ohne Rabatte für die Tierärzte sowie ein Verbot der routinemäßigen Behandlung ganzer Tierbestände. Ziel müsse eine antibiotika-freie Tierzucht sein.
Der ehemalige Vizepräsident der bayrischen Landestierärztekammer, Rubert Ebner, spricht von einer riesigen Abhängigkeit seiner Berufskollegen gegenüber der Pharma-Industrie und fordert eine Trennung von Verschreiben und Verkauf. Da unter den derzeitigen Haltungsbedingungen eine Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes kaum möglich ist, fordert Ebner massive Veränderungen der Haltungsbedingungen, vor allem eine Reduzierung der Besatzdichte durch kleinere Einheiten mit mehr Platz sowie insgesamt geringere Tierzahlen.
Letztlich führt kein Weg daran vorbei, das System der quälerischen Massentierhaltung, die den exzessiven Einsatz von Bakteriziden erst notwendig macht, abzuschaffen und durch eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft zu ersetzen. Hierzu möchte sich die Mehrheit der Politiker momentan jedoch nicht durchringen. An den Verkaufszahlen für Baytril und Co. dürfte sich vorerst nicht viel ändern.
Von Jan Pehrke
Kunst gegen Konzerne
BAYER im Visier
Das spanische Künstlerduo PSJM beschäftigt sich mit den Kehrseiten des grenzenlosen Konsums und der Okkupierung öffentlicher Räume durch multinationale Konzerne. Eine Ausstellung in Berlin zeigt Arbeiten, die Missstände wie Kinderarbeit und Umweltzerstörung anprangern. Auch eine Grafik zu BAYER findet sich darunter.
Von Philipp Mimkes
Hinter dem Kürzel PSJM stecken die KünstlerInnen Cynthia Viera and Pablo San José, deren Bilder gegenwärtig in der Berliner Galerie Whiteconcepts zu sehen sind. Ziel ihrer Arbeit ist es, mit modernen Marketingmitteln die Werbestrategien großer Unternehmen transparent zu machen und die Kehrseite der bunten Konsumwelt anzuprangern. PSJM entfremden hierfür Markenlogos, initiieren professionelle Werbekampagnen für nicht-existente Produkte oder drehen Videos in „Science Fiction“-Manier, in denen Konzerne an die Stelle von Staaten treten.
Auch mit BAYER beschäftigt sich das Duo. Die Grafik „Struggle BAYER“ zeigt ein überdimensioniertes BAYER-Logo, das von einem Hochhaus geworfen wird. In einer weiteren Arbeiten stellen die beiden zwergenhafte Personen dar, die das Logo der DEUTSCHEN BANK umstürzen. Die KünstlerInnen propagieren dabei nicht die Zerstörung der Konzerne. Sie wollen aufzeigen, dass es der Gesellschaft möglich ist, sich gegen die scheinbare Übermacht der Firmen zur Wehr zu setzen.
Andere Werke von PSJM beschäftigen sich ebenfalls mit dem Treiben der Multis. So wird in „Corporate Armies“ ein Szenario entworfen, in dem große Unternehmen mit eigenen Armeen ausgestattet sind - keine allzu ferne Vision angesichts der paramilitärischen Gruppen, die mit COCA COLA in Kolumbien, SHELL in Nigeria oder mit GAZPROM in Russland kooperieren. Auch zeigt die Berliner Ausstellung Videos, in denen gepanzerte Truppen von WALMART, VISA und NIKE um die Vorherrschaft kämpfen. Tusche-Zeichnungen apokalyptischer Firmen-Kämpfe im Stil historischer Schlachtengemälde sowie 3D-Kampfroboter mit Firmen-Emblemen vervollständigen die Horrorvision eines unternehmerischen Gewaltmonopols. Weitere Arbeiten von PSJM entfremden die Logos der bunten Warenwelt: NIKE- und ADIDAS-Schriftzüge enthalten den Aufdruck „Made by slaves for free people“. Mickeymaus-Objekte mit dem Hinweis „Made by kids for kids“ verweisen auf die Herkunft aus asiatischen Billig-Fabriken.
Das Duo hat der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die Grafik „Struggle BAYER“ zur Verfügung gestellt. Cynthia Viera schreibt: „Herzlichen Glückwunsch zu Eurer harten Arbeit in den vergangenen 30 Jahren. Wir stehen auf derselben Seite!“.
Die CBG arbeitet regelmäßig mit KünstlerInnen wie Cynthia Viera and Pablo San José zusammen. So haben Kunstschaffende wie Otto Piene, Bernd Engberding, Claudia Rogge, Robert Butzelar und Peter Royen Werke zu Verfügung gestellt, mit deren Verkauf Kampagnen des Vereins finanziert wurden. Und der bekannte Karikaturist Carlos Latuff aus Brasilien fertigt regelmäßig exklusive Zeichnungen an.
Den vom „Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ausgerichteten Wettbewerb „Vom BAYER-Werk zum Chemiepark“ gewannen gar zwei französische Architekten, die bei der Erstellung ihres Entwurfs eng mit der Coordination kooperiert hatten. Ziel ihrer Arbeit war es, den Umweltschutz fest auf dem Leverkusener Firmen-Areal zu verankern. Dies symbolisierten sie durch die Idee, auf der Leverkusener BAYER-Zentrale das Büro der Coordination anzusiedeln.
Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG bedankte sich bei den KünstlerInnen von PSJM: „Die Kunstwerke verweisen auf die weltweite Forderung der sozialen Bewegungen Konzernmacht brechen. Der Sturz eines Markensymbols, das diese Macht symbolisiert, kann in vielfältiger Weise herbeigeführt werden: durch öffentlichen Druck, durch Aufklärung, durch gesetzliche Vorgaben, durch behördliche Kontrollen und vieles anderes mehr. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hat schon in den 80er Jahren einen Kongress zum Umbau eines Konzerns durchgeführt. Die über 200 TeilnehmerInnen und die vielen kompetenten ReferentInnen haben konkret erarbeitet, wie der ökologisch-ethisch-soziale Umbau eines Unternehmens wie BAYER aussehen könnte.“
[gallery]Skandal um BAYER-Produkt
BAYSILONE in Brustimplantaten
Das Silikon, das im Mittelpunkt des Brustimplantate-Skandals steht, stammt von BAYER. Der Leverkusener Multi meldete BAYSILONE 1967 zum Patent an und vertrieb es zuletzt gemeinsam mit GENERAL ELECTRIC. Im Jahr 2006 trennte sich der Konzern von dem ganzen Silikon-Segment. Das vom Implantate-Hersteller POLY IMPLANT PROTHÈSE verwendete BAYSILONE stellte schon der neue Besitzer MOMENTIVE her, über den Chemie-Händler BRENNTAG gelangte die Substanz nach Frankreich.
Von Jan Pehrke
BAYSILONE – dieses von BAYER im Jahr 1967 zum Patent angemeldete Silikon fand sich in den minderwertigen Brustimplantaten der französischen Firma POLY IMPLANT PROTHÈSE (PIP). Das Unternehmen setzte den in solcher Form nicht für medizinische Zwecke zugelassenen Stoff zusammen mit Silopren und dem krebserregenden Rhodorsil an und produzierte auf diese Weise unschlagbar billige Gel-Kissen. Entsprechend hoch fiel die Profit-Rate aus. „Eine Frage des Gewinns“ sei es gewesen, sich für diese Fabrikationsart zu entscheiden, sagte der PIP-Anwalt Yves Haddad dann auch laut Frankfurter Rundschau: „Das ist Kapitalismus, so ist das eben“.
Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Im Jahr 2006 informierte der schottische Schönheitschirurg Awf Quaba die britischen Aufsichtsbehörden über gerissene Implantate, aus denen BAYSILONE & Co. austrat. Und auch das Silikon selber beanstandete er. „Es war auch offensichtlich, dass das in dem PIP-Implantat verwendete Silikon Irritationen verursachte“, so Quaba. Seine französischen KollegInnen gaben ab 2008 Schadensmeldungen ab. Aber es dauerte lange, bis die Behörden reagierten. Die französische AFSSAPS verhängte im März 2010 ein Verkaufsverbot und riet am 23.12. 2011 zu einer Herausnahme der Gel-Kissen. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ folgte nach einigem Zögern Anfang Januar 2012.
Das vornehmlich als Dichtungsmasse im Bau-Bereich verwendete BAYSILONE stammte aus dem Leverkusener Chemie-Park, über den Krefelder Chemikalien-Händler BRENNTAG gelangte es nach Frankreich. Hergestellt hatte es die Niederlassung des US-Unternehmens MOMENTIVE. Dieses hatte 2006 GE BAYER SILICONES übernommen, das 1998 von BAYER und GENERAL ELECTRIC (GE) gegründete Joint Venture, und damit auch die Rechte an BAYSILONE und anderen Silikon-Fabrikaten erworben. Die beiden Konzerne wollten ursprünglich mit solchen Produkten, hergestellt für Anwendungen im Maschinenbau, in der Elektronik-Industrie und in der Medizin, eine marktbeherrschende Stellung auf dem Gebiet der Silikon-Chemie erlangen, aber die Erwartungen erfüllten sich nicht, so dass sie sich zu einem Verkauf entschlossen. Ob sich schon GE BAYER SILICONES oder vor 1998 BAYER selber in der Lieferkette von PIP befand, konnte Stichwort BAYER nicht ermitteln.
Zumindest aber GE verfügt über einschlägige Erfahrungen in dem Bereich. Der Multi war gemeinsam mit DOW CORNING, einem Joint Venture von DOW CHEMICAL und CORNING das erste Unternehmen, das Silikon im industriellen Maßstab herstellte. Unter strenger Geheimhaltung kam es im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz. Silikon-Fett schützte Flugzeuge in großen Höhen vor einem Einfrieren der Instrumente und der von den Motoren produzierten Feuchtigkeit. Darüber hinaus isolierte die Substanz Zündkerzen, Transformatoren und Leitungen und diente als Dämmstoff und Antischaum-Mittel. „Das Fett, das half, den Krieg zu gewinnen“, hieß es deshalb nach 1945 über die Chemikalie.
Erst japanische ÄrztInnen entdeckten dann in der Zeit der US-Besatzung seine schönheitschirurgischen „Qualitäten“ und injizierten es Frauen zur Brustvergrößerung direkt. Der „Re-Import“ für diesen Verwendungszweck erfolgte bald. Das Silikon fand als Rohstoff der Schönheitsindustrie große Verbreitung und richtete verheerende Gesundheitsschäden an. Sie reichten von Gewebe-Entzündungen und Rheuma über Dickdarm-Erkrankungen und Wirbelsäulen-Problemen bis hin zu Fruchtschädigungen und Tod. Darum erging 1975 ein Verbot.
Aber DOW CORNING hatte schon vorgesorgt und verpacktes Silikon als Alternative ersonnen: Die ersten Implantate entwickelten die beiden plastischen Chirurgen Frank Gerow und Thomas Cronin im Auftrag des Unternehmens. Andere Konzerne folgten nach. Mit drei von ihnen, der MEDICAL ENGINEERING COOPERATION, der HEYER-SCHULTE-COOPERATION und der MCGHAN MEDICAL COOPERATION, trat GENERAL ELECTRIC von 1971 bis 1976 in Geschäftsbeziehungen. In enger Abstimmung mit den Firmen entwickelte GE spezielle Silikone für Brust-Erweiterungen; RTV 6191, RTV 6193, RTV 6195 oder RTV 7100 lauteten die Bezeichnungen. Die Produktsicherheit hielt sich jedoch weiterhin in Grenzen. Es entstanden nämlich häufig Risse in den Implantaten, aus denen der Füllstoff entwich. Rheuma, Arthritis, Multiple Sklerose, Geschwür-Bildungen und Darm-Erkrankungen gehörten zu den Nebenwirkungen. Viele Frauen mussten ihren Beruf aufgeben und waren für immer an einen Rollstuhl gefesselt. Von „systemic silicone desease“ sprachen die MedizinerInnen. Auf 50.000 schätzte der Rechtsanwalt Geoffrey White im Jahr 2001 die Zahl der Opfer.
GENERAL ELECTRIC und die anderen Hersteller wussten von den Gesundheitsschädigungen. Schon 1958 bescheinigte eine GE-Studie dem Silikon, in den Organismus gelangen zu können. Wie spätere Untersuchungen der Firma ergaben, handelte es sich bei der Substanz nämlich keineswegs um einen chemisch inaktiven Stoff. Sie war nach den Erkenntnissen ihrer ForscherInnen sogar imstande, durch die Implantat-Hülle zu dringen. Angesichts dieser Gefahren und des Risikos späterer Schadensersatz-Prozesse beschloss der Konzern zunächst, Silikon nicht für medizinische Zwecke zu vermarkten, revidierte dann aber seine Entscheidung und stieg in das Brustimplantate-Business ein. Die Befürchtungen bestätigten sich bald. So heißt es 1976 in den Unterlagen des GE-Kunden HEYER-SCHULTE: „Dr. Vinnick ist besorgt darüber, dass das in den Implantaten benutzte GENERAL-ELECTRIC-GEL: 1. nicht stabil und 2. giftig ist.“ GE teilte wohl die Sorgen: Im selben Jahr zog sich das Unternehmen offiziell aus diesem Geschäftsfeld zurück. Und ist nach eigenem Bekunden auch nie wieder eingestiegen, jedenfalls nicht willentlich, wie es ein wenig relativierend in einer Anfang der 2000er Jahre abgegebenen Erklärung bekundet. „GE SILICONES AMERICAS, GE BAYER SILICONES und GE TOSHIBA SILICONES werden nicht bewusst den Gebrauch unserer Produkte für Anwendungen empfehlen oder für Applikationen verkaufen, in denen sie länger als 29 Tage im menschlichen Körper verbleiben“, so der Konzern. Darüber hinaus bekräftigte er noch, kein Silikon für Injektionen oder Verhütungsmittel zu vermarkten.
GENERAL ELECTRIC gab dieses Statement Anfang der 2000er Jahre im Rahmen eines Prozesses ab. Zahllose solcher juristischen Auseinandersetzungen begleiteten die Brustvergrößerungen per Chemie. Von einem „Alptraum“ für die Multis sprach deshalb die Los Angeles Times. Über die erste Schadensersatzklage entschieden die RichterInnen 1977; sie sprachen dem Silikon-Opfer 170.000 Dollar zu. In späteren Jahren sollten die Summen dann noch beträchtlich steigen. 1994 kam es zur bisher größten Sammelklage in der US-amerikanischen Justizgeschichte. Allein DOW CHEMICAL sah sich am Ende mit 20.000 KlägerInnen konfrontiert. Wegen der Milliarden-Forderungen erklärte sich das Unternehmen Mitte der 1990er Jahre für zahlungsunfähig, schaffte es schließlich aber doch, die Krise zu überstehen. Nur GE konnte sich schadlos halten. Obwohl die Firma ihre Silikone in Kooperation mit den Implantat-Unternehmen entwickelt hatte, gelang es ihr, die Verantwortung für die Risiken und Nebenwirkungen der Silikon-Kissen seinen Kunden anzulasten.
Angesichts von über zwei Millionen operierter Frauen zwang der Medizin-Skandal auch die Aufsichtsbehörden zu handeln. 1992 verhängte die US-amerikanische „Food and Drug Administration“ (FDA) ein Moratorium für Implantate und andere Silikon-Anwendungsgebiete. So lange die Hersteller keine Unbedenklichkeitsnachweise vorlegen, bleibt der Verkauf untersagt, ordnete die FDA an. Und das hatte auch Konsequenzen für BAYSILONE. Es fiel unter die neue Richtlinie für Silikon-Produzenten und durfte nicht mehr in diaphragma-ähnlichen Barriere-Verhütungsmitteln wie LEAS SHIELD zum Einsatz kommen. „Die Silikone von DOW-CORNING, WACKER und BAYER sind komplett vom Frauenprodukte-Markt zurückgezogen worden“, ließ der Kontrazeptiva-Hersteller 2002 wissen.
Mit dem schlechten Image von Silikon hatte sich noch der Neubesitzer von GE BAYER SILICONE, die US-Firma MOMENTIVE, herumzuschlagen. Darum beteuerte der damalige Konzern-Chef John Rich 2007 in einem Interview zwar: „Im Allgemeinen zeigt Silikon eine gute Verträglichkeit mit dem menschlichen Körper“, beeilte sich anschließend aber festzustellen: „Wir engagieren uns nicht im Implantate-Markt“. „Willentlich“, hätte er hinzufügen müssen, wie es GE Anfang der 2000er Jahre tat, denn über den Chemie-Händler BRENNTAG geriet das BAYSILONE dann doch in die Gel-Kissen der Firma PIP.
Mit der Zeit gelang es dem Silikon jedoch, sich ein wenig von seinem schlechten Ruf zu befreien, denn mehrere Studien relativierten den Zusammenhang zwischen der Chemikalie und ernsthaften Erkrankungen. Das im Jahr des Silikon-Banns vom Kongress mit der Untersuchung der Langzeit-Folgen beauftragte „National Institute of Cancer“ fand keine Hinweise auf eine besondere Brustkrebs-Gefahr. Auch andere Karzinome traten bei den Frauen mit Implantaten nicht häufiger als bei nicht-operierten. Nur bei Lungenkrebs und Gehirntumor stießen die WissenschaftlerInnen auf erhöhte Zahlen. Frauen mit Gel-Kissen starben zwei bis dreimal so häufig an Gehirntumor und dreimal so häufig an einem Krebs der Atemwegsorgane wie Frauen ohne Silikon im Körper. Und nur letzteres erreichte eine statistische Relevanz. Ansonsten aber gaben die MedizinerInnen Entwarnung und stellten die Implantate sogar als Gesundbrunnen dar. Nicht nur von den meisten Krebs-Arten, sondern auch von Krankheiten des Immun-, Kreislauf- und Hormonsystems und der Verdauungsorgane waren Implantate-Trägerinnen nicht so oft betroffen wie ihre übrigen Geschlechtsgenossinnen, konstatierten die ForscherInnen.
Allerdings reichten die Daten oftmals für eine genaue Aufbereitung nicht aus. Bei Gewebe-Erkrankungen etwa hatten die Forscher nur Zugang zu 34 bis 40 Prozent der Kranken-Unterlagen. Und wenn sie auf Diagnosen wie „wahrscheinlich Rheuma“ stießen, was nicht selten vorkam, haben sie diese wegen des Unsicherheitsfaktors nicht mit in die Analyse der Nebenwirkungen einbezogen. „Das Risiko, aufgrund von Brustimplantaten eine Gewebestörung zu entwickeln, wurde, obwohl es etwas erhöht ist, als statistisch nicht signifikant betrachtet“, resümierte das Institut und mahnte weitere Untersuchungen zu dem Thema an.
Trotz solcher Unwägbarkeiten hatte die Erhebung einen großen Anteil daran, die Silikon-Einsätze zu rehabilitieren. Die Produzenten nahmen die Arbeit an Weiterentwicklungen auf und fassten Mut, die Gesundheitsbehörde von deren Unschädlichkeit überzeugen zu können. Dies gelang ihnen allerdings erst 2006. Im November des Jahres erteilte die FDA erstmals wieder Genehmigungen. Sie machte den Antragstellern MENTOR und ALLERGAN - berühmt-berüchtigt für BOTOX - allerdings strenge Auflagen.
So mussten die Hersteller Langzeit-Untersuchungen über die Verträglichkeit ihre Produkte durchführen. Die bisher vorliegenden Resultate sprechen nicht unbedingt für einen Qualitätssprung. Bei den 1008 MENTOR-Patientinnen traten nach der ersten Schönheitsoperation in 13,6 Prozent der Fälle Risse im Implantat auf; nach einer zweiten OP bei 15,5 Prozent. Bei Rekonstruktionen nach Entfernung der Brüste in Folge von Brustkrebs kam es nach dem ersten Eingriff bei 14 Prozent der Silikon-Kissen zu Beschädigungen, nach dem zweiten sogar bei 21,3 Prozent. Bei den ALLERGAN-Präparaten lag die Fehler-Quote ähnlich hoch. Zudem verrutschten bis zu 13,3 Prozent der Einsätze.
Über Brustschmerzen klagten bis zu 11,7 Prozent der Betroffenen. Abstoßungsreaktionen im Brustgewebe erlitten bis zu 27,5 Prozent, am höchsten lag der Wert bei Wiederholungs-OPs zur Brustvergrößerung. Für Brustkrebs, Rheuma und Muskelerkrankungen ergab die Auswertung keine erhöhte Gefährdung und bestätigte damit die Resultate des „National Institute of Cancer“. Allerdings beobachteten die WissenschaftlerInnen eine bisher in der Literatur nicht beschriebene Häufung von ALCL, einer Form von Lymphdrüsen-Krebs. Insgesamt deuten die Zahlen auf eine hohe Unzufriedenheit mit den Operationen hin. So ließen 53,4 Prozent der an Brustkrebs Leidenden die Silikon-Kissen wieder entfernen. Bei den Frauen, die sich aus kosmetischen Gründen für eine OP entschieden hatten, waren es bis zu 37,8 Prozent.
Trotzdem bescheinigt die FDA den Silikon-Kissen eine „akzeptable Sicherheit“ und überlässt es den Frauen selbst, auf Basis der verfügbaren Informationen über Nutzen und Risiken der chirurgischen Maßnahme zu entscheiden. Allerdings warnt die Gesundheitsbehörde: „Seien Sie sich bewusst, dass Brustimplantate zu lokalen Komplikationen führen können und dass die Wahrscheinlichkeit dafür mit den Jahren steigt. Die lokalen Komplikationen und Nebenwirkungen umfassen Bindegewebe-Schrumpfungen, Re-Operationen, Entfernung der Gelkissen und Implantat-Risse. Zudem mussten viele Frauen Erfahrungen mit Brustschmerzen, Faltenbildungen, Positionsveränderungen, Narbenbildungen und Infektionen machen.“
Immerhin hat es sich die „Food and Drugs Administration“ mit den Silikon-Implantaten bedeutend schwerer gemacht als ihre Pendants in den anderen Ländern. In Europa beispielsweise erging nie irgendein Verbot, und auch der PIP-Skandal hat nicht zur Folge, die Produktsicherheit der Gel-Kissen generell zu thematisieren. Er führt nur dazu, ein vermeintlich schwarzes Schaf aus der Herde auszusortieren. Sogar der Gebrauch von Polyurethan-Kunststoff zur Umhüllung des Silikons bleibt erlaubt, während die FDA diesen Stoff, den BAYER 1937 entwickelt hat, wegen seiner giftigen Wirkung für diese Anwendungsform schon 1991 aus dem Verkehr gezogen hat.
Der Leverkusener Multi wird vermutlich sagen, er vermarkte die Substanz „nicht willentlich“ für diesen Zweck. Willentlich nimmt er nur in einer Form am Brust-OP-Business teil: Er liefert mit MAKROLON-Folien einen hitzebeständigen und deshalb Sterilisationen standhaltenden Grundstoff für die Verpackungen der Implantate.
Liebe Leserinnen und Leser,
Seit mehr als fünf Jahren betreibt die Firma H. C. STARCK in Laufenburg eine Versuchsanlage, in der sie im Auftrag von BAYER winzig kleine Kohlenstoff-Röhrchen – so genannte Nanotubes – herstellt. Mitte Januar nun hat das Unternehmen, das früher selber zum Leverkusener Multi gehörte, beim Regierungspräsidium Freiburg einen Antrag auf einen dauerhaften Betrieb sowie auf eine Kapazitätserweiterung gestellt. Die zuständige „Abteilung Umwelt“ hält das für eine reine Formsache. Da „keine schweren, komplexen, irreversiblen oder grenzüberschreitende, erheblich nachteilige Unweltauswirkungen auf den Standort (...) zu erwarten“ seien, will sie auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichten und im Genehmigungsverfahren lediglich immissionsschutzrechtliche Aspekte berücksichtigen und eine Erheblichkeitsuntersuchung durchführen.
Dagegen protestieren der Verein LEBENSWERTER HOCHRHEIN und die ÖKOLOGISCHE ÄRZTE-INITIATIVE HOCHRHEIN IM BUND. Die Gruppen befürchten nämlich sehr wohl negative Auswirkungen. Es wäre nicht das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass bei einer Neuentwicklung mit Blick auf den verlockenden steigenden Umsatz erste Hinweise auf bedeutsame Gesundheitsgefahren nicht beachtet werden. Man denke nur an Asbest, die Atomkraft und Holzschutzmittel. Und bei der Nano-Technologie gibt es solche Anzeichen, denn sie lässt Werkstoffe auf winzig kleine Größen schrumpfen, wodurch diese unbekannte und nicht selten gefährliche Eigenschaften entwickeln. So konstatiert das „Fraunhofer Institut für Toxikologie“: „Einige Untersuchungen weisen daraufhin, dass bestimmte Nano-Tubes mit speziellen Eigenschaften beim Einatmen ähnlich krebserregend sein könnten wie Asbest-Fasern.“ Und der BAYER-Konzern selber hält in dem Sicherheitsdatenblatt zu den „BAYTUBES C 70P“ fest: „Achtung – noch nicht vollständig geprüfter Stoff“ und warnt vor einem Kontakt mit dem Material, denn: „Toxikologische Untersuchungen am Produkt liegen nicht vor.“
Zudem kommen bei der Herstellung von BAYTUBES brennbare Gase wie Ethen und Wasserstoff zum Einsatz, die sich teilweise neben nano-haltigen Feinstäuben und dem krebsauslösenden Kobalt in der Abluft wiederfinden.
Uns ist nicht verständlich, warum bei derart hochexplosiven Einsatzstoffen und gesundheitsgefährdenden Abgasen und angesichts eines Produkts, für das noch keine ökotoxologische Untersuchungen vorliegen, eine solche Anlage nicht zwingend der Störfallverordnung unterliegen muss und eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu durchlaufen hat. Noch dazu, wo sie laut Regierungspräsidium mitten in einem „sensiblen Umfeld“ liegt (zwei Kindergärten und zwei Schulen, Wohngebiete und der Rhein in unmittelbarer Nähe!).
Hier drängt sich der Verdacht auf, dass der Regierungspräsident mit einer solchen Unterlassungshandlung die Produktionsfreudigkeit der Industrie begünstigen will – zum Nachteil von Mensch und Umwelt. Wir fordern hingegen den Nachweis der Unbedenklichkeit und die Offenlegung aller BAYER-Studien zu den Nanotubes. Eine Betriebsgenehmigung auf Basis einer derart oberflächlichen Einschätzung des Gefährdungspotenzials halten wir für nicht verantwortbar. Und dieses werden wir auch auf dem für den 21. März angesetzten Erörterungstermin deutlich machen.
Barbara Dohmen ist Allgemein- und Umweltmedizinerin und gehört dem Vorstand der Vereine LEBENSWERTER HOCHRHEIN und ÖKOLOGISCHE ÄRZTE-INITIATIVE HOCHRHEIN IM BUND an.
Nachhaltig unnachhaltig
BAYERs Umweltbilanz
Nachhaltigkeit, so weit das Auge reicht - dieses Selbstporträt zeichnete der Leverkusener Multi bei der Vorstellung seiner neuesten Umweltbilanz. Ein Blick in das Kleingedruckte ergibt jedoch ein ganz anderes Bild: Für Kohlendioxid und fast alle anderen schädlichen Stoffe steigen die Emissionswerte an.
Von Jan Pehrke
Schon bei der Vorstellung erhielt der neueste Nachhaltigkeitsbericht des Leverkusener Multis Absolution von höchster Stelle. Ein Vertreter der Vereinten Nationen präsentierte ihn nämlich gemeinsam mit BAYERs Forschungsvorstand Wolfgang Plischke - der bislang größte Erfolg der PR-Strategie des Konzerns, durch Kooperationen mit der UN etwas von der Nobilität der Organisation auf die eigenen profanen Geschäfte abstrahlen zu lassen. Und Wolfgang Engshuber von der „UN-Initiative für nachhaltiges Investment“ zeigte sich dann auch sehr beeindruckt von dem Werk: „Da stehen ja ungeheuer viel Informationen drin!“. Zeit, sie zu bewerten, hatte er aber offensichtlich nicht, sonst wäre sein Urteil kaum so positiv ausgefallen.
Alles öko oder was?
Damit hatte er den anwesenden ReporterInnen aber wenigstens voraus, den Report gelesen zu haben. Die JournalistInnen gaben sich gleich damit zufrieden, wiederzugeben, was Plischke ihnen in den Schreibblock diktierte. „Ein noch ambitionierteres Klimaziel“ habe sich das Unternehmen gesetzt, verkündete etwa die Faz. Als „signifikante Entkoppelung der Produktionsmenge vom Treibhausgas-Ausstoß“ lobte sie das Vorhaben, die Kohlendioxid-Emissionen pro Tonne Verkaufsprodukt gegenüber 2005 um 35 Prozent senken zu wollen. Dass dieser schönen neuen Relativitätstheorie eine häßliche absolute Zahl gegenüberstand - BAYERs CO2-Produktion stieg 2010 um fünf Prozent auf 8,5 Millionen Tonnen - , fand die Zeitung nicht weiter bedenklich. Und der Rheinischen Post zufolge hatte sich „der Chemie-Riese Nachhaltigkeit ganz groß auf die Fahnen geschrieben“. Sie übernahm nämlich unreflektiert den erweiterten Nachhaltigkeitsbegriff Wolfgang Plischkes, der darunter auch die Pillen-Fertigung bzw. „die Gesundheitsversorgung“ und die Pestizid-Produktion bzw. „die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung“ subsummiert - also fast die gesamte Produkt-Palette des Unternehmens.
Im Nachhaltigkeitsbericht selber geht BAYER ebenfalls nach der Methode vor, die harten Fakten hinter Begriffsnebel zu verstecken. So finden sich darin weitschweifige Artikel über alles und jedes, aber die Tabellen mit der wirklichen Umweltbilanz hat der Multi im neuen Report aus den Texten genommen und an den unteren Rand der Seiten verbannt. Wer das Kleingedruckte trotzdem aufmerksam studiert, der verliert rasch den Glauben an einen grünen Global Player im Allgemeinen und ein „verstärktes Klima-Engagement“ im Besonderen. Da mochte Wolfgang Plischke bei der Präsentation der Umweltbilanz noch sehr frohlocken: „Den größten Hebel zur Treibgas-Reduktion sehen wir bei der Energie-Effizienz in unseren Produktionsanlagen“ und von einer Senkung der produkt-spezifischen Emissionen schwärmen, unterm Strich bleibt für 2010 nur eine Steigerung des Kohlendioxid-Ausstoßes um 400.000 Tonnen auf 8,5 Millionen Tonnen übrig. Und der Global Player denkt auch gar nicht an einen Abbau. Im Gegenteil: Von einem Vertreter der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf der Hauptversammlung im April 2011 nach der zukünftigen Klimapolitik gefragt, kündigte BAYER-Chef Marijn Dekkers sogar eine Steigerung an. Im vorletzten Nachhaltigkeitsbericht ist diese noch genau beziffert: 9,3 Millionen Tonnen CO2 stellt BAYER bis 2020 in Aussicht. Im neuen Nachhaltigkeitsbericht findet sich diese düstere Prognose nicht mehr - der Konzern hat das Feld unter der Rubrik „Ziel 2020“ lieber frei gelassen.
Gift-Hotspot Vapi
Auch von den anderen, z. T. ebenfalls klimaschädigenden, aber vor allem die Ozonschicht zerstörenden Stoffen - unter dem Begriff ODS (ozon depleting substances) zusammengefasst - gelangt eine größere Menge in die Luft als im Vorjahr. Um 19 Prozent auf 20,8 Tonnen erhöhte sich der betreffende Wert. Und bei den besonders gefährlichen flüchtigen organischen Substanzen, den so genannten VOCs, gibt es ebenfalls keine Entwarnung. Mit 2.540 Tonnen im Jahr verzeichnete der Agro-Riese lediglich einen Rückgang von 50 Tonnen. Dafür macht der Pharma-Riese vor allem ein Werk verantwortlich. „Mehr als 70 Prozent dieser VOC-Konzern-Emissionen werden am BAYER CROPSCIENCE-Standort Vapi (Indien) emittiert“, konstatiert der Bericht. Auf einen solchen Anteil kommt die Fertigungsstätte auch bei den ODS. Der Leverkusener Multi befindet sich damit in guter Gesellschaft. Das US-amerikanische Blacksmith Institute hat die Industrie-Zone um Vapi mit ihren 1.500 Fabriken und 71.000 AnwohnerInnen lange zu den meistverseuchtesten Regionen der Erde gezählt, erst in jüngster Zeit verschwand sie dank einiger Umweltschutz-Projekte von der Liste. Indien selber setzte Vapi allerdings noch im letzten Jahr auf Platz 2 der meistverschmutztesten Gebiete im Land - hinter Ankleshwar, wo der Global Player ebenfalls eine gemeingefährliche Produktion betreibt (siehe Ticker 4/11). Seit Jahren verspricht er in seinen Nachhaltigkeitsberichten nun schon Besserung, passiert ist jedoch in Vapi bislang nichts. Jetzt kündigt das Unternehmen an, bis 2015 „Verfahrensoptimierungen und zusätzliche technische Maßnahmen in der Abluft-Reinigung“ durchzuführen. So lange müssen die Menschen also mindestens noch mit der Dreckschleuder made by BAYER leben.
Aber nicht nur mit Klima-Killern belastet der Konzern die Atmosphäre. Auch gesundheitsgefährdende Substanzen wie Kohlenmonoxid, Schwefeloxide, Stickoxide und Feinstäube blasen seine Schornsteine in die Luft. Die Mengen bleiben dabei konstant oder wachsen sogar, lediglich der Schwefeloxid-Wert ging 2010 geringfügig von 2.800 auf 2.700 Tonnen pro Jahr zurück.
Wasser in Not
Mit den anderen Elementen geht der Multi nicht pfleglicher um. Sein Durst nach sauberem Wasser nimmt ebenso zu wie sein dringendes Bedürfnis, Schadstoffe in die Flüsse zu entsorgen. Um 16,5 Prozent auf 474 Millionen Kubikmeter stieg sein Flüssigkeitsbedarf im Berichtszeitraum, und der Output ließ ebenfalls nicht zu wünschen übrig. 1.420 Tonnen organisch gebundenen Kohlenstoff (TOC) leitete der Pharma-Riese 2010 in die Gewässer ein - 70 Tonnen mehr als 2009. Anorganische Salze legten von 726.000 Tonnen auf 866.000 Tonnen zu und Schwermetalle von 9 auf 11,4 Tonnen. BAYER macht dafür nicht nur die Ausweitung der Produktion verantwortlich, im Falle des TOCs und der Schwermetalle führt er den Anstieg auch auf Abriss-Maßnahmen zurück, was zeigt, welche Umweltbelastung vom Rückbau ausgehen kann. Darum ist hier in nächster Zeit auch keine Entlastung zu erwarten. Aktuell stellt das Unternehmen nämlich die Chlor-Fabrikation in Krefeld auf quecksilber-freie Verfahren um. Der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers versicherte der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auf der letzten Hauptversammlung zwar, der Konzern würde beim Umbau mit aller nötigen Sorgfalt vorgehen, aber trotzdem dürften die Arbeiten zu erhöhten Quecksilber-Werten führen. Diese werden allerdings nicht im nächsten Nachhaltigkeitsreport auftauchen. Der Gen-Gigant führt sie seit einigen Jahren nicht mehr gesondert auf und versteckt sie stattdessen unter den Zahlen für Schwermetalle.
Eine positive Entwicklung verzeichnet er allein bei Phosphor und Stickstoff. Die betreffenden Werte gingen von 740 auf 90 Tonnen bzw. von 640 auf 490 Tonnen zurück. Aber einer nachhaltigeren Produktion ist das nur zu einem geringeren Teil zu verdanken. Für die schmeichelhaftere Phosphor-Zahl sorgte neben einer optimierten Kunststoff-Herstellung am Standort Baytown eine schnöde Betriebsschließung in Berkeley, und die Stickstoff-Reduktion gelang lediglich durch den außerplanmäßigen 6-monatigen Stillstand der Insektizid-Fertigung am Standort Institute.
Das Abfall-Volumen sank hingegen von 918.000 auf 809.000 Tonnen, wobei der Multi allerdings nur den selbst erzeugten Müll dokumentiert und nicht den im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit für andere Unternehmen entsorgten. Der Anteil gefährlicher Reststoffe an der Gesamtmenge schmolz ebenfalls von 375.000 auf 354.000 Tonnen ab. Das ist aber nicht etwa das Resultat einer umfassenderen Kreislauf-Wirtschaft, denn BAYER produzierte mehr gesundheitsgefährdende Rückstände als 2009. Warum der Giftmüll-Berg trotzdem schrumpfte, erläutert der Nachhaltigkeitsbericht: „Weniger Abriss- und abgeschlossene Sanierungsarbeiten führten 2010 zu einer stark reduzierten Menge gefährlichen Bauschutts, was sich in der Reduktion der Erzeugung gefährlichen Abfalls zeigt.“
Menschen in Not
„Umweltereignisse“ gab es 2010 sechs, zwei weniger als 2009, wohingegen die Transport-Unfälle von fünf auf sieben zunahmen. Ein Mensch kam dabei ums Leben. Wie vielen Belegschaftsangehörigen bereits der Normalbetrieb die Gesundheit kostet, das hingegen vermeldet der Konzern schon lange nicht mehr in seinen Nachhaltigkeitsberichten. Die letzten Angaben zu den von der Berufsgenossenschaft anerkannten Berufskrankheiten – da BAYER & Co. bei den Berufsgenossenschaften mehr als nur ein Wörtchen mitreden, gibt es auch viele nicht anerkannte - stammen aus dem Jahr 2000. Damals waren es 130 Erkrankungen, die meisten von Asbest oder Lärm ausgelöst. Die CBG kritisierte diese Geheimniskrämerei auf der letzten Hauptversammlung und fragte nach den aktuellen Zahlen. Dreizehn Fälle nannte BAYER-Chef Marijn Dekkers, eine solche wundersame Abnahme erscheint jedoch reichlich unglaubhaft.
Aber eine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt geht nicht nur von der Produktion des Chemie-Multis aus, sondern auch von den Produkten, die er herstellt. „Produktsicherheit wird großgeschrieben“ - diese Beteuerung des Nachhaltigkeitsberichts verweist die Realität ins Reich der Legenden. Zahlreiche BAYER-Fabrikationen fügen Personen Schaden zu und beschäftigen deshalb die Gerichte und Aufsichtsbehörden. Die Antibaby-Pillen aus der YASMIN-Familie lösen Thrombo-Embolien aus und brachten allein in den USA bereits mehr als 190 Frauen den Tod. Nicht zugelassener Genreis tauchte unvermittelt in Supermarkt-Packungen auf, und die daraufhin erlassenen Import-Verbote für Reis aus den USA bedrohten die Existenz zahlreicher FarmerInnen. Die in Verpackungsmaterialien Verwendung findende Industrie-Chemikalie Bisphenol A (BPA) steht in dringendem Tatverdacht, Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen zu verursachen, weshalb die EU 2011 ihren Gebrauch in Baby-Flaschen verbot. Und die Pestizide des Agro-Riesen fordern immer wieder Vergiftungsopfer.
Den Konzern jedoch ficht das alles nicht an. Ein „verantwortungsvoller Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“ sei herrschende Praxis, bekundet der Nachhaltigkeitsreport. Und auf Bisphenol A lässt er ebenfalls nichts kommen: „Im Einklang mit zahl- und umfangreichen wissenschaftlich validen Studien sind wir weiterhin der Überzeugung, dass die Sicherheit von BPA in den bestehenden Anwendungsgebieten gegeben ist.“ Und die sieht der Bericht auch im Fall von LIBERTYLINK-Reis und YASMIN & Co. als gegeben an.
Nicht nur wegen dieser Beratungsresistenz fällt das Fazit nach der Lektüre des Nachhaltigkeitsberichtes ernüchternd aus. Aller Bekenntnisse à la „Nachhaltigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Unternehmensstrategie“ zum Trotz deuten fast alle Indikatoren in eine andere Richtung. Die Umweltbilanz des Leverkusener Multis weist noch schlechtere Zahlen aus als ihr Vorgänger und ist noch lange nicht im grünen Bereich.
Die Pipeline-Streitsache
BAYERs Rohrkrepierer
Seit sechs Jahren schwellt nun schon der Streit um die Pipeline, die BAYER zwischen Dormagen und Krefeld in Betrieb nehmen will. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Von Uwe Koopmann
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zeigt in seiner Terminvorschau für den Februar 2012 einen vollen Sitzungskalender für öffentliche Verhandlungen. BAYER, die CO-Pipeline und Bauer Muhr werden allerdings am Münsteraner Aegidienkirchplatz 5 in noch nicht erwartet. Eine genaue Auskunft über das Datum für die Entscheidung in Sachen „Kohlenmonoxid-Rohrleitung“ vermochten weder Dr. Ulrich Lau, Vorsitzender Richter am OVG Münster noch Michael Schlösser, Leitung Externe Kommunikation bei BAYER MATERIALSCIENCE AG in Leverkusen, zu geben. Dabei zieht sich die juristische Auseinandersetzung inzwischen schon über sechs Jahre hin. „Die Sache ist noch lange nicht ausgeschrieben. Bislang liegen lediglich die Berufungsbegründungen der Beteiligten vor. Stellungnahmen dazu stehen noch aus. Damit ist das Verfahren noch nicht entscheidungsreif und eine Terminierung derzeit nicht absehbar“, antwortete Lau auf eine entsprechende SWB-Nachfrage. Für BAYER ist das eine verlorene Zeit. Alles hätte – Time to Market – noch schneller und noch kostengünstiger laufen können. Wären da nicht die vielen engagierten Leute, die ebenfalls seit Jahren gegen die Inbetriebnahme der hochgiftigen CO-Pipeline des Konzerns kämpfen.
Wie alles anfing
Den Startschuss für die Pipeline gab der 15. März 2006, als das „Rohrleitungsgesetz“ im Plenum des NRW-Landtages ohne Aussprache beschlossen wurde. Das ging so glatt über die Bühne, weil schon zuvor der Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie eine zustimmende Empfehlung ausgesprochen hatte. In den Umweltausschuss brachten CDU und FDP den Gesetzentwurf erst gar nicht ein. Und dem Plenarsaal präsentierten sie ihn am 16. März unter dem irreführenden Titel: „Flüssiggas als Chance für mehr Versorgungssicherheit und Wettbewerb im Gasmarkt. Flüssiggas als Chance für mehr Versorgungssicherheit und Wettbewerb im Gasmarkt“. Auch die spätere Bezeichnung des Paragrafen-Werks trug nichts zur Erhellung bei: „Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen“.
Die partielle Blindheit der Landtagsabgeordneten oder potentielle Verblödung angesichts des harmlos erscheinenden Rohrleitungsgesetzes erklärt sich vielleicht auch etwas, wenn die „Geburtsstunde“ des Gesetzes in den Blick gerät. In dem Zusammenhang taucht die Frage auf, ob das Gesetz nach den Regeln der Geschäftsordnung des Landtages überhaupt hätte verabschiedet werden dürfen. Der Paragraph 39 hängt die Latte hoch: „Der Landtag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend ist“. Aus heutiger Sicht ist es strittig, ob genug Abgeordnete im Saal waren. Das jedoch thematisierte während der Sitzung niemand, weshalb keine Ahndung erfolgte. Es hätte allerdings auch eine schnelle Reaktion sein müssen: „Die Beschlussfähigkeit des Hauses kann nur unmittelbar vor (Hervorhebung d. V.) einer Abstimmung angezweifelt werden.“ Nach der Abstimmung – oder heute – sind die Zweifel nicht mehr rechtswirksam. Es stellt sich trotzdem die Frage, warum kein einziger der späteren KritikerInnen der CO-Pipeline erklärt hat: „Aber hallo, der Saal ist ja mehr als nur halb leer!“ In diesem Fall hätte sich allerdings der zweite Notausgang geöffnet: „Wird die Plenarsitzung wegen Beschlussunfähigkeit aufgehoben, so wird die Abstimmung zu Beginn der nächsten Sitzung nachgeholt.“
Die ProtokollantInnen des Landtages hatten es leicht, denn der Tagesordnungspunkt 13 war in wenigen Momenten abgehandelt: „Auch hier ist eine Beratung heute nicht vorgesehen, sodass wir unmittelbar zur Abstimmung kommen ... Wer dieser Empfehlung folgen möchte, der möge die Hand aufzeigen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen und in zweiter Lesung“ (Plenarprotokoll 14/23 vom 15.03.2006 auf Seite 2411). So schnell geht das, wenn sich die Fraktionen einig sind. Die Sitzung begann übrigens nach Protokollangaben um 10.03 Uhr und endete um 17.39 Uhr. Bis zum Tagsordnungspunkt 11 werden penibel die unterschiedlichen Minuten für die Redezeiten der einzelnen Fraktionen vorgegeben. Danach heißt es zum „Beratungsverfahren“ übereinstimmend „ohne Debatte“. Die Verabschiedung des Gesetzes war außerhalb der „Kernzeit“ avisiert. Die Tagesordnung enthielt noch einen ergänzenden Hinweis: „Am Donnerstag, dem 16. März 2006, findet um 9.15 Uhr im Raum E 3 – Z 03 eine Landtagsandacht statt.“
Die „Time to Market“ (Vorbereitungszeit zur Inbetriebnahme der CO-Pipeline) dehnte sich auch noch nach den Geburtswehen. Zunächst läuft alles nach Plan. Der Startschuss für den Baubeginn der Kohlenmonoxid-Leitung fällt am 15. Februar 2007 an drei Stellen gleichzeitig: in Solingen, Langenfeld und in Duisburg-Süd. Ein halbes Jahr später wird in allen Kommunen gebuddelt. Aber dann kam von der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf im Mai 2011 das Stopp-Zeichen: Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte sich wieder einmal als kleiner Helfer von BAYER erwiesen und einen Planfeststellungsbeschluss geliefert, der den Interessen von BAYER entsprach – aber nicht der Rechtslage. Auch für eine Pipeline muss der Antragsteller nämlich eine Erdbebensicherheit nachweisen. Und dieser Nachweis fehlte, weshalb die Pipeline nicht in Betrieb gehen durfte. Ein neues Planverfahren der Bezirksregierung Düsseldorf, mit dem es BAYER gelingt, eine Unzahl von „kleinen Fehlern“ zu korrigieren, wäre allerdings ein Freibrief für die spätere Inbetriebnahme.
Die aktuelle Situation
Ein nächster Schritt ist auf das OVG in Münster gerichtet. Dort geht es dann wieder um Grundsätzliches: Sind die Interessen des BAYER-Konzerns identisch mit dem „Allgemeinwohl“? Durfte der NRW-Landtag ausgehend von dieser Gleichsetzung Zwangsenteignungen im Trassenbereich durch das Rohrleitungsgesetz legalisieren? Wann das Gericht diese Fragen beantwortet, steht jedoch noch nicht fest.
So schnell, wie der ehemalige Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow die Wünsche von BAYER erfüllte, so groß sind nach seinem Abgang die Hoffnungen der Pipeline-Gegner, dass seine Nachfolgerin Anne Lütges Verstöße gegen die Planungsvorgaben wie zu schmale Sicherheitsmatten über der Pipeline, Schummeleien bei der Rohrqualität oder Abweichungen von der Trassenführung nicht mehr einfach so durchgewinkt. So legte das Verwaltungsgericht Stuttgart für eine Ethylen-Pipeline in Baden-Württemberg eine Distanz von mindestens 350 Metern zu Wohnhäusern fest. In Hilden nähert sich die CO-Pipeline Häusern aber bis auf 20 Meter. Bei einem Totalbruch gäbe es hier sofort 140 Tote. Hier hat BAYER nicht korrigiert. Bleiben auch noch die scharfen Bomben aus dem 2. Weltkrieg im Umfeld der Pipeline. Luftbild-Aufnahmen haben sich bei der Suche als unzuverlässig erwiesen. Trotzdem fanden sich auch ohne sichtbaren Anhaltspunkt gleich mehrere Exemplare.
Vielfältige Aktivitäten
In einem Brief an sämtliche Abgeordneten des NRW-Landtages kritisieren die Gegner der CO-Pipeline von BAYER, dass sich dieser Chemie-Konzern neue Quellen für Monopol-Gewinne aus der Herstellung von Vorprodukten wie Polycarbonat sichern will. Als weitere Einnahmequelle wünscht sich der Leverkusener Multi, dass die hochgiftige CO-Pipeline endlich in Betrieb gehen soll. Die Forderung der CO-Pipeline-Gegner an den Landtag: „Schalten Sie die CO-Pipeline 2012 politisch ab und stellen Sie Monopolen wie BAYER endlich einmal die Gegenrechnung auf.“ Dazu müsste der Landtag allerdings Entscheidungen treffen, mit denen die Giftgasleitung endgültig gestoppt wird.
Da dies eher unwahrscheinlich ist, gehen für die Initiativen der offene Protest und die Arbeit hinter den Kulissen weiter. Das Pipeline-Kataster, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf durch die Bezirksregierung und deren Umgang mit dem Planfeststellungsverfahren sowie die von der rot-grünen Koalition angekündigte Evaluierung des Rohrleitungsgesetzes stehen an.
Der Koalitionsvertrag legt fest, dass die Landesregierung bis Ende 2010 das Rohrleitungsgesetz evaluieren muss. In der Vereinbarung heißt es dazu: „Die Landesregierung überprüft bis zum 31. Dezember 2010 die Auswirkungen dieses Gesetzes und unterrichtet den Landtag. In diesem Zusammenhang wollen wir den bislang versäumten Versuch unternehmen, in Vermittlung zwischen Unternehmen und Betroffenen einen Dialogprozess und eine umfassende Problemlösung auszuloten. Dabei soll auch ein Ausbau der Produktion von Kohlenmonoxid am Standort Uerdingen geprüft werden.“ Ein Gesetzesantrag, dass die Regierungsparteien von SPD und Grünen nach diesem Prozess das Rohrleitungsgesetz von CDU und FDP aufheben wollen, ist nicht bekannt.
Dieter Donner, Pressekoordinator der Initiativen, kündigte zum Auftakt der diesjährigen Aktivitäten einen Wiederaufbau der zerstörten Dauermahnwache in Hilden an. „Damit starten wir unsere öffentlichen Kampagnen im Jahr 5 der Planfestellungsgenehmigung und empfinden Genugtuung darüber, dass auch vier Jahre nach dem ursprünglich geplanten Start des CO-Transportes durch diese Leitung noch kein Giftgas strömen konnte und durfte. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass dies so bleibt. Sicher werden die betroffenen Bürger wachsam bleiben und uns weiter unterstützen“, so Donner.
AKTION & KRITIK
Die CBG in Indien beim PPT
Das seit 1979 bestehende PERMANENT PEOPLES TRIBUNAL (PPT) befasste sich im Dezember 2011 mit den katastrophalen Folgen des großflächigen Einsatzes von Agro-Chemikalien. Das Tribunal, das diesmal im indischen Bangalore stattfand, hatte auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eingeladen, um den Fall des von BAYER-Pestiziden wesentlich mitverursachten globalen Bienensterbens darzulegen. CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes schilderte das Ausmaß der Katastrophe in aller Ausführlichkeit – und konnte die Jury überzeugen. Das sechsköpfige Gremium verurteilte in seiner Abschlusserklärung BAYER und die andern fünf Unternehmen, die den Weltmarkt für Pestizide und Saatgut dominieren, wegen schwerster Umwelt- und Gesundheitsschäden. Der ungezügelte Einsatz von Agrogiften verletze das Menschenrecht auf Gesundheit und Leben; Millionen Menschen, vor allem in den Ländern des Südens, würden wissentlich hohen Risiken ausgesetzt, so die RichterInnen (siehe auch SWB 2/12).
BAYER und die Kinderarbeit
Im Jahr 2003 veröffentlichte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Studie zur Kinderarbeit in Indien, die Erschreckendes zu Tage förderte. Allein auf den Feldern von Zulieferern der BAYER-Tochter PROAGRO malochten ca. 2.000 Minderjährige. Die CBG startete daraufhin eine Kampagne. Sie informierte die Medien, schrieb einen Offenen Brief an BAYER, brachte das Thema auf die Hauptversammlung und wandte sich an die OECD. Trotzdem tat sich fünf Jahre lang kaum etwas. Nur ganz allmählich beugte sich der Leverkusener Multi dem öffentlichen Druck und zeigte Initiative, um einen Image-Schaden zu vermeiden. Der Konzern belohnte FarmerInnen, die auf Kinderarbeit verzichteten, gab ihnen Tipps zur besseren Bewirtschaftung der Felder und richtete Schulen ein. So konnte er das Problem weitgehend lösen. Der Agro-Riese stellt das jedoch anders dar. Er sieht sich als Entwicklungshelfer, der jahrelang heldenhaft gegen Windmühlen kämpfte. Und die Financial Times Deutschland kaufte BAYER diese Geschichte ab. Auf zwei Seiten schilderte die Zeitung im Dezember 2011 das Engagement des Unternehmens und ging dabei nur im Kleingedruckten auf seine profanen Beweggründe ein.
Kölner Uni richtet Kommission ein
Vor vier Jahren vereinbarte BAYER mit der Kölner Hochschule eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Pharma-Forschung. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Initiativen befürchteten eine Ausrichtung der Arznei-Forschung auf Profit, eine Entwicklung von Präparaten ohne therapeutischen Mehrwert, eine Verheimlichung negativer Studienergebnisse und einen Zugriff des Konzerns auf geistiges Eigentum der Hochschul-WissenschaftlerInnen. Deshalb forderten die Organisationen eine Offenlegung des Vertrages. Die Universität verweigerte das jedoch, weshalb die CBG die Hochschule im Mai 2011 verklagte. Intern jedoch scheint sich etwas zu regen. So hat die Bildungseinrichtung eine Kommission ins Leben gerufen, die Richtlinien für künftige Kooperationen dieser Art mit Unternehmen erarbeiten soll.
Vorgenehmigung für TDI-Anlage
Auf den Erörterungsterminen für die von BAYER in Dormagen geplante Kunststoff-Anlage hatten die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und andere Verbände Anfang Oktober 2011 viele Vorbehalte geäußert. Sie beanstandeten etwa die fehlenden Angaben zur Umweltbelastung, eine mangelhafte Störfall-Vorsorge und eine ungenügende, da nur mit Blech statt mit Beton vorgenommene Ummantelung der Produktionsstätte. Zudem verlangten die Initiativen den Einbau eines Schutz-Schleiers, der bei einer Explosion mit nachfolgendem Phosgen-Austritt neutralisierendes Ammoniak freisetzen könnte, und stellten in Frage, ob der Sicherheitsabstand der Fertigungsstätte zu Wohnsiedlungen ausreicht. Die Bezirksregierung hat dem Projekt trotzdem eine Vorgenehmigung erteilt. Aber so ganz unbeeindruckt hat sie die Kritik nicht gelassen. So hat die Behörde ein Gutachten zur Abstandsregelung in Auftrag gegeben und eine Exkursion nach Stade unternommen, um ein Chemie-Werk mit einer Betonhülle zu besichtigen. Allerdings führte das alles nicht zu geänderten Bau-Auflagen.
Kreuzweg der Arbeit führt zu BAYER
Die KATHOLISCHE ARBEITNEHMER-BEWEGUNG (KAB) hat Anfang März 2012 in Leverkusen einen „Kreuzweg der Arbeit“ initiiert, um auf das Leiden an den modernen Beschäftigungsverhältnissen aufmerksam zu machen. Sinnigerweise beginnt der Zug an einem Werkstor des Global Players. „Immer mehr Arbeitsplätze wurden in den letzten Jahren abgebaut, natürlich nicht nur bei BAYER. Aber eben das wollten wir darstellen“, so der KAB-Sekretär Wienfried Gather zur Erklärung.
Protest gegen Nano-Produktion
Bislang betreibt der Leverkusener Multi an seinem Stammsitz offiziell nur eine Versuchsanlage zur Nano-Produktion. Auch bei seiner ehemaligen Tochterfirma H. C. STARCK in Laufenburg läuft die Auftragsfertigung der Kohlenstoff-Röhrchen mit dem Produktnamen BAYTUBES nur im Testlauf. Dies soll sich nun ändern. H. C. STARCK hat beim Regierungspräsidium Freiburg einen Antrag auf einen Normalbetrieb nebst einer Kapazitätserweiterung von 30 auf 75 Tonnen im Jahr gestellt (siehe auch SWB 2/12). Die zuständige „Abteilung Umwelt“ hält das für eine reine Formsache. Da „keine schweren, komplexen, irreversiblen oder grenzüberschreitende, erheblich nachteilige Unweltauswirkungen auf den Standort (...) zu erwarten“ seien, will sie auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichten und im Genehmigungsverfahren lediglich immissionsschutzrechtliche Aspekte berücksichtigen sowie eine Erheblichkeitsuntersuchung durchführen. Doch dagegen erhebt sich Protest, denn der Verein LEBENSWERTER HOCHRHEIN und die ÖKOLOGISCHE ÄRZTE-INITIATIVE HOCHRHEIN IM BUND befürchten sehr wohl negative Auswirkungen. Die Nano-Technologie lässt nämlich Werkstoffe auf winzig kleine Größen schrumpfen, wodurch diese unbekannte und nicht selten gefährliche Eigenschaften entwickeln. Deswegen haben die Verbände beim Regierungspräsidium eine Einwendung gegen das Vorhaben eingereicht, die sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zum Vorbild für eine eigene genommen hat, und ihre Kritik am 21. März auch auf einem Erörterungstermin vorgetragen.
Leserbrief zur Sportförder-Kürzung
BAYER zieht sich immer mehr aus der Breitensport-Förderung zurück. So kündigte der Konzern Ende 2011 an, die Unterstützung um einen weiteren „niedrigen einstelligen Millionenbetrag“ zu kürzen und sich mit dem Etat von 13 Millionen Euro „zukünftig auf sechs Großvereine konzentrieren“. Dies führte zu einem erbosten Leserbrief an den Leverkusener Anzeiger. „Für mich zeigt sich in dieser Art der Unternehmensführung die scheußliche Fratze des ungezügelten Kapitalismus“, empört sich der Schreiber.
310 MedizinerInnen warnen vor Pipeline
Im vergangenen Jahr hatte der Hildener Kinderarzt Dr. Gottfried Arnold die Landesregierung in einem Offenen Brief vor den Gefahren der zwischen Dormagen und Krefeld geplanten Kohlenmonoxid-Pipeline gewarnt. Inzwischen haben sich 310 MedizinerInnen seiner Meinung angeschlossen. Auf einer Pressekonferenz hat Arnold, der auch Mitglied der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ist, vor dem Hintergrund jüngster Unfälle mit Kohlenmonoxid-Vergiftungen nochmals auf die Unmöglichkeit hingewiesen, im Falle eines Falles angemessen zu reagieren. „Die Rettungsmöglichkeiten bei einem Massen-Unfall sind völlig unzureichend“, kritisierte der Arzt angesichts ungenügender Behandlungskapazitäten in der Universitätsklinik Düsseldorf und nur einem Notarzt- und zwei Krankenwagen im Kreis Mettmann.
DIE LINKE gegen NRW-Hochschulräte
In den Hochschulräten als neuen Aufsichtsgremien der Universitäten sitzen zu einem Drittel VertreterInnen von Unternehmen. Der Leverkusener Multi darf da natürlich nicht fehlen. So ist der Konzern durch sein Vorstandsmitglied Richard Pott beispielsweise im Komitee der Universität Köln vertreten, mit welcher der Konzern auch eine umfassende Forschungskooperation unterhält (SWB 2/09). Die Partei DIE LINKE will solche Gepflogenheiten in Nordrhein-Westfalen jetzt unterbinden. Sie hat einen Gesetzes-Entwurf zur Abschaffung der Räte vorbereitet. Eine Mehrheit dürfte dieser jedoch kaum finden, obwohl die jetzige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ geschaffene Einrichtung im Wahlkampf noch als Beispiel für eine „Privatisierung der Hochschulen“ kritisiert hatte.
KAPITAL & ARBEIT
BAYER verlegt Rechnungslegung
Im Zuge seines 800 Millionen Euro schweren Rationalisierungsprogramms, das 4.500 Arbeitsplätze vernichtet, verlegt der Multi Teile der Rechnungslegung wie etwa die Kunden- und Lieferantenbuchhaltung von Leverkusen nach Asien und Osteuropa. Der Abteilung am Stammsitz bleiben dann nur noch Koordinierungsaufgaben, weshalb es dort zu Arbeitsplatz-Vernichtungen kommt.
BMS rationalisiert Rechnungswesen
BAYERs Kunststoff-Sparte BAYER MATERIAL SCIENCE hat seinen Bereich „Rechnungswesen“ einem Rationalisierungsprozess unterzogen. So schuf die Abteilung eine gemeinsame Controlling-Plattform für alle Standorte und legte Planungszyklen und Kostenstellen zusammen. Dadurch reduzierte das Unternehmen in den letzten drei Jahren seine Ausgaben um drei Millionen Euro – zum Leidwesen der Beschäftigten. „Der wesentliche Kostentreiber im Controlling ist das Personal. Der Großteil der Einsparungen beruht auf weggefallenen Personalkosten“, so der für die Umstrukturierungen verantwortliche Manager Axel Steiger-Bagel.
Weniger Jobs in Patent-Abteilung
Bisher beschäftigt der Leverkusener Multi in seiner Patent-Abteilung 200 Personen. Jetzt kündigte er im Zuge seines Rationalisierungsprogramms Umstrukturierungsmaßnahmen an, die 25 Arbeitsplätze vernichten. Der Konzern gründet die Tochter-Gesellschaft BAYER INTELLECTUAL PROPERTY (BIP) und löst die Patent-Sparte in Leverkusen komplett auf. Die Arbeit konzentriert sich so auf Monheim und die beiden neuen Standorte Eschborn und Schönefeld, die das Unternehmen nach eigenen Angaben aus Gründen der Steuer-Ersparnis wählte.
Sparen für die Traumrendite
Im Geschäftsjahr 2011 steigerte BAYERs Pillen-Sparte ihren Gewinn vor Sondereinflüssen um 6,7 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro. Der Konzern führt diese Entwicklung neben den besseren Verkaufszahlen für nicht verschreibungspflichtige Arzneien auf „Kostensenkungen bei Pharma“ zurück. In der Tat trifft das Rationalisierungsprogramm des Unternehmens, das die Vernichtung von 4.500 Arbeitsplätzen vorsieht, vor allem den Medizin-Bereich. „Sparen für die Traumrendite“ kommentierte deshalb die Financial Times Deutschland.
Sparen für die AktionärInnen
BAYER will mit seinem Rationalisierungsprogramm, das 4.500 Arbeitsplätze kostet, 800 Millionen Euro sparen.
Die Frankfurter Rundschau fragte deshalb den Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers: „Warum heben Sie dann die Dividende an, was dieses Jahr allein 120 Millionen Euro kostet?“. Aber der Konzern-Leiter war um eine Antwort nicht verlegen: „Weil die Aktionäre Eigentümer des Unternehmens sind und sie einen Anspruch darauf haben, am Geschäftserfolg des vergangenen Jahres beteiligt zu werden“.
Schlechte Noten für Aufsichtsrat
Der Hochschulprofessor Peter Ruhwedel hat das Wirken der Aufsichtsräte der 30 DAX-Konzerne genauer untersucht und bewertet. BAYER kam dabei mit 59 von 100 möglichen Punkten nur auf den 25. Rang. Das Gremium des Konzerns ließ es sowohl an Sitzungsfleiß als auch an Transparenz fehlen und wies eine zu geringe Frauen- und AusländerInnenquote auf. RWE und LINDE, die anderen beiden Unternehmen, bei denen BAYER-Aufsichtsratschef Manfred Schneider die Rolle des Oberkontrolleurs innehat, erreichten sogar nur die Plätze 29 und 30.
Wennings Comeback
Seit 2010 verbietet das Aktiengesetz den unmittelbaren Wechsel vom Posten des Vorstandsvorsitzenden zu demjenigen des Aufsichtsratsvorsitzenden und schreibt eine 2-jährige Karenzzeit vor. Das Paragraphen-Werk sieht dadurch die Unabhängigkeit des Kontroll-Gremiums besser gewährleistet. Der Leverkusener Multi bekämpfte die Regelung von Beginn an vehement und beabsichtigt jetzt, ihre Folgen für das Unternehmen durch winkeladvokatische Tricks möglichst gering zu halten. Obwohl der ehemalige BAYER-Chef Werner Wenning zum Zeitpunkt der nächsten Hauptversammlung im April 2012 noch nicht zwei Jahre aus dem Amt ist, will ihn der Konzern dort mittels Vorratsbeschluss schon einmal inthronisieren, damit er schon im Herbst auf Manfred Schneider folgen kann und nicht bis 2013 warten muss.
Veränderungen im Aufsichtsrat
Im BAYER-Aufsichtsrat steht ein Wandel an. Es geht nicht nur der bisherige Vorsitzende Manfred Schneider (s. o.), mit Hubertus Schmoldt verlässt auch der ehemalige Vorsitzende der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) das Gremium. Seinen Sitz übernimmt Petra Reinbold-Knape, die Bezirksleiterin der IG BCE für die Region Nordost/Berlin. Der Vertreter der BELEGSCHAFTSLISTE, eine oppositionelle Gruppe innerhalb der Gewerkschaft, wechselt ebenfalls: André Aich ersetzt Michael Schmidt-Kiesling. Desgleichen verändert sich die personelle Zusammensetzung der Kapital-Seite. Sie nominierte als neue KandidatInnen den PROSIEBEN/SAT.1-Vorstand Thomas Ebeling und Sue H. Rataj, obwohl diese zur Zeit der „Deep Water Horizon“-Katastrophe Hauptverantwortliche für das Ölgeschäft von BP war.
IG BCE: kein Ja zum Plaste-Verkauf
Im März 2011 hatte BAYER-Chef Marijn Dekkers die Bereitschaft erkennen lassen, die Kunststoff-Sparte zu veräußern, falls der Konzern Geld für eine Akquisition benötige. Die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) kündigte an, einem solchen Beschluss im Aufsichtsrat „mit Sicherheit“ nicht zuzustimmen. „Es wird darum gehen, eine gewisse Grunderdung bei BAYER als weltweit agierender Konzern zu erhalten“, so das IG-BCE-Vorstandsmitglied Peter Hausmann.
Keine Behinderten-Integration
Der Gesetzgeber verpflichtet die Unternehmen seit langem, mindestens fünf Prozent Behinderte zu beschäftigen. Der Leverkusener Multi schafft jedoch nur eine Quote von 4,4 Prozent und muss dafür eine Ausgleichsabgabe in Höhe von 347.000 Euro zahlen.
ERSTE & DRITTE WELT
Zwangslizenz für NEXAVAR-Version
Der indische Generika-Hersteller NATCO PHARMA kann eine preisgünstige Version von BAYERs Krebs-Medikament NEXAVAR herausbringen. Das Indian Patent Office (IPO) hat dem Unternehmen unter Berufung auf einen Paragraphen des internationalen Patentabkommens TRIPS Anfang März 2012 eine Zwangslizenz zur Herstellung des Mittels erteilt. Dafür muss NATCO eine Gebühr von sechs Prozent des Verkaufspreises an den bundesdeutschen Pharma-Riesen zahlen. Die Behörde begründete die Entscheidung damit, dass BAYER es versäumt habe, den Preis für das Medikament (monatlich 4.200 Euro) auf eine für indische PatientInnen bezahlbare Höhe herabzusetzen. Zudem habe der Konzern ihnen die Arznei nicht in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt. Von den 8.842 Krebskranken, die das Mittel benötigt hätten, hätten es nur 200 erhalten, so das IPO. Die CBG begrüßt dieses Urteil aus prinzipiellen Gründen, obwohl sie NEXAVAR wegen seiner geringen Heilwirkung – das Präparat verlängert das Leben der PatientInnen nur um wenige Wochen – für kein sinnvolles Therapeutikum hält. Die Wirtschaftspresse hat die Nachricht hingegen in helle Aufregung versetzt. „In Bombay enteignet“, kommentierte etwa die Faz und stellte den ganzen Status Indiens als gelobtes Land der Pharma-Industrie in Frage. BAYER kündigte an, gerichtliche Schritte zu prüfen.
Soja-Anbau kostet ein Leben
In den südamerikanischen Ländern boomt der Soja-Anbau, wovon BAYER als einer der weltgrößten Pestizid-und Saatgut-Anbieter profitiert. Die GroßgrundbesitzerInnen können für die Pflanzungen gar nicht genug Flächen akquirieren und schrecken deshalb nicht einmal vor brutalsten Landnahmen zurück. So engagierten sie Mitte November 2011 in Brasilien sogar Killer, die ein Indigenen-Camp in Mato Grosso do Sul überfielen, einen Menschen töteten und drei Kinder verschleppten, um die UreinwohnerInnen einzuschüchtern und aus dem Gebiet zu vertreiben.
ACTA behindert Generika-Hersteller
Das umstrittene Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) schützt nicht nur das geistige Eigentum der Konzerne im Internet, sondern auch in der realen Welt – mit teilweise verheerenden Auswirkungen. So macht es das Abkommen Herstellern von Nachahmer-Arzneien schwerer, ihr Geschäft zu betreiben, was die Versorgung von Menschen in armen Ländern mit erschwinglichen Medikamenten behindert. Schon in der Vergangenheit hat Big Pharma diesen Firmen durch Patent-Prozesse und andere Mittel immer wieder Schwierigkeiten bereitet. So boten die Konzerne schon mal den Zoll auf, um Lieferungen indischer Generika an den Grenzen zu stoppen, obwohl die Arzneien gar nicht für den europäischen, sondern für den südamerikanischen Markt bestimmt waren. Jetzt haben die Unternehmen ein noch leichteres Spiel, denn ACTA sieht bei angeblichen Verstößen gegen Urheberrechte hohe Strafen für die Produzenten solcher Präparate, Zulieferer und Händler vor. Auch unterscheidet das Paragrafen-Werk nicht trennscharf zwischen Generika und Fälschungen, weshalb laut Sandy Harnisch vom AKTIONSBÜNDNIS GEGEN AIDS die Gefahr besteht, „dass legal hergestellte Generika mit Fälschungen verwechselt und deshalb beschlagnahmt oder sogar vernichtet werden können“.
IG FARBEN & HEUTE
„Berüchtigt“ ohne IG FARBEN
In dem Hitchcock-Film „Berüchtigt“ schmieden deutsche Wissenschaftler nach dem Zweiten Weltkrieg einen Plan, um dem Nationalsozialismus wieder zur Macht zu verhelfen. Den Auftrag dazu erteilte ihnen die IG FARBEN. „Als Teil eines Verbundes, der die deutsche Kriegsmaschine aufgebaut hat“, charakterisiert das Werk den von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzern. Jedenfalls im Original. In der bundesdeutschen Version, die 1951 in die Kinos kam, fehlt jeder Hinweis auf den Faschismus im Allgemeinen und die IG FARBEN im Besonderen. In der 1969 ausgestrahlten TV-Fassung durfte es dann immerhin schon Nazis geben, aber die IG FARBEN auch weiterhin nicht.
POLITIK & EINFLUSS
Sechs Millionen Dollar für Lobbying
BAYER hat nach Angaben des US-amerikanischen CENTERS FOR RESPONSIBLE POLITICS im Jahr 2011 6,465 Millionen Dollar für Lobbying-Aktivitäten ausgegeben. Der Konzern lässt beispielsweise gegen den „Ban Poisonous Additives Act“ opponieren, der eine Anwendungsbeschränkung für die Industrie-Chemikalie Bisphenol A vorsieht. Zudem versucht der Leverkusener Multi ein Gesetz zu verhindern, das den Gebrauch von Antibiotika wegen der zunehmenden Resistenzen von Krankheitserregern einschränken will. Auch fühlte er sich berufen, die Kongress-Mitglieder für viel Geld davon zu unterrichten, welche Mühen es angeblich kostet, ein „innovatives“ Medikament auf den Markt zu bringen.
BAYERs US-Spenden
BAYER investiert viel Geld, um die politische Landschaft in den USA zu pflegen. Im Jahr 2010 gab der Konzern dafür 506.000 Dollar aus. Mit 406.000 Dollar unterstützte er US-amerikanische PolitikerInnen, besonders die republikanischen. Sie erhielten 57 Prozent vom Kuchen, die demokratischen dagegen lediglich 41 Prozent. Und im Wahljahr 2012 legt der Pharma-Riese noch einmal mächtig zu. 276.000 Dollar gab er bis zum 31. Januar schon aus. 234.000 davon erhielten Abgeordnete, wobei das Unternehmen Konservative noch deutlicher als 2010 bevorzugte. Sie bekamen 70 Prozent der Summe, Obamas Partei-GenossInnen dagegen nur 30 Prozent.
BAYER als Gesetzgeber
- 1
Das „American Legislative Exchange Council“ (ALEC) ist eine von den Konzernen gesponserte JuristInnen-Vereinigung. Die BAYER-Managerin Sandra Oliver sitzt für den Agro-Riesen in dem ALEC-Beirat, ihr Kollege Mike Birdsong gehört der „Health and Human Services Task Force“ an, und Bill Corley, das ALEC-Mitglied des Jahres 2005 in der Sektion „Privatwirtschaft“, steht im Bundesstaat Arkansas demjenigen Gremium vor, das sich um das legislative Wohlergehen von BAYER & Co. kümmert. Dank ALEC kontrollieren die Multis das ganze legislative Verfahren. Als etwa die republikanischen Politiker James Inhofe, George Nethercutt und Orrin G. Hatch mit Hilfe großzügiger Wahlkampf-Spenden von BAYER Mandate erlangten, da machten sich die willigen JuristInnen von ALEC gleich daran, ihnen die Entwürfe für Gesetzesinitiativen zum Öko-, Agrar- und Tierrechts„terrorismus“ zu liefern. Und im letzten Jahr gelang es dank ALEC, im Bundesstaat Wisconsin ein Paragrafen-Werk zu verabschieden, das für BAYER & Co. die Standards der Produkthaftung aufweicht und beispielsweise für Pillen-Hersteller die im Haftungsfall zu zahlenden Entschädigungssummen auf 750.000 Dollar begrenzt. Verkauft wurde das Ganze dann als Teil eines Programms zur Arbeitsplatz-Beschaffung.
ALEC leugnet Klimawandel
Einen Klimawandel gibt es für das „American Legislative Exchange Council“ (ALEC) nicht. Die von BAYER & Co. gesponserte JuristInnen-Vereinigung opponiert nicht nur gegen jegliche Art von Klimapolitik, sie sieht sogar etwas Gutes in der Aufheizung des Planeten. „Selbst eine substanzielle Erderwärmung ist gut für die Vereinigen Staaten“, meint ALEC. Und auf seinem Jahrestreffen, das BAYER finanziell unterstützt hat, pries der Klassenjustiz-Verband sogar „die Vorzüge von Kohlendioxid“.
Tricks mit Ökosteuer-Ausnahmen
Für BAYER und andere Energie-Großverbraucher hält die Ökosteuer großzügige Ausnahmeregelungen parat (Ticker 3/06), die den Konzernen jährlich ca. fünf Milliarden Euro ersparen. Die EU betrachtet das als eine versteckte Subvention und drängt auf Veränderungen. So will Brüssel die Vergünstigungen an Klimaschutz-Maßnahmen geknüpft wissen. Das allerdings plant ein neuer Gesetzesentwurf aus dem Finanzministerium zu umgehen. Er erhebt nur Energieverbrauchssenkungen zur Vorschrift, welche die Unternehmen ohnehin erbringen müssen.
Zwei Milliarden Euro Steuer-Entlastung
1999 brachte BAYERs ehemaliger Finanzchef Heribert Zitzelsberger die Unternehmenssteuer„reform“ auf den Weg, die dem Bund allein bis zum Jahr 2003 Einnahme-Ausfälle von mehr als 50 Milliarden Euro bescherte. Und seither haben Regierungen aller Couleur sogar immer noch „nachgebessert“. Momentan schnürt die schwarz-gelbe Koalition ein zwei Milliarden teures Geschenk. Ganz wie es sich der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) gewünscht hatte, will Wolfgang Schäuble den Konzernen die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten zwischen Tochter- und Muttergesellschaften erleichtern. Zudem plant er, die Verlustnutzung wieder zu erlauben, die es den Unternehmen gestattet, die Verluste gekaufter Firmen steuersparend vom eigenen Ertrag abzuziehen.
BAYER gegen Banken-Regulierung
1,85 Millionen lässt sich der Leverkusener Multi seine Lobby-Aktivitäten bei der EU nach eigenen Angaben jährlich kosten. Momentan investiert er viel von dem Geld in den Versuch, eine umfassende Reform des Finanzsektors zu verhindern. Der Konzern befürchtet nämlich steigende Kosten durch eine strengere Regulierung der Derivate – eine Art Wette auf Preissteigerungen oder -senkungen von Rohstoffen, Aktien, Währungen, Zinsen oder aber von Derivaten selber – , die der Chemie-Multi hauptsächlich zur Absicherung seiner globalen Transaktionen nutzt. Zudem graust es ihn vor schärferen Eigenkapital-Vorschriften für Banken, weil das seine Kredit-Konditionen verschlechtern könnte. Darum lässt der Global Player einen Brüsseler Emissär klagen: „Seitens der Realwirtschaft sind wir sehr besorgt über die Verteuerung nicht nur der OTC-Derivate (außerbörslich gehandelte Derivate, Anm. SWB) (...), sondern auch für die Refinanzierung, die aus den geänderten Eigenkapital-Vorschriften resultieren“.
BAYER & Co. gründen Rohstoff-Allianz
Den großen Konzernen drohen schon bald die Rohstoffe auszugehen. Darum haben BAYER, BASF, THYSSENKRUPP und andere Unternehmen Ende Januar 2012 eine „Allianz zur Rohstoff-Sicherung“ gegründet. Um auch in Zukunft die Versorgung der Multis mit Seltenen Erden, Wolfram, Kokskohle und anderen Substanzen zu garantieren, will die Initiative selber Vorkommen erkunden und Abbau-Rechte erwerben.
Arznei-Gremien ohne BAYER?
Die Bundesregierung plant, VertreterInnen der Pharma-Industrie aus wichtigen Arzneimittel-Kommissionen wie dem „Sachverständigen-Ausschuss zur Verschreibungspflicht“ zu verbannen, weil dies „im Hinblick auf die notwendige Unabhängigkeit der Gremien in rein fachspezifischen Fragen erforderlich“ sei. BAYER & Co. haben Einspruch eingelegt und versuchen, diese Veränderung des Arzneimittelgesetzes zu verhindern.
Gröhe bei BAYER
Der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe besuchte BAYER zu einem „Fachgespräch“. Der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers nutzte den Termin, um ein Klagelied über die Energiewende, die zu höheren Strompreisen führe, anzustimmen und einmal mehr die steuerliche Absetzbarkeit von Forschungsausgaben zu fordern. Einsparungen in Höhe von 20 bis 30 Millionen Euro erhofft sich der Holländer von einer solchen Gesetzes-Änderung.
Voigtsberger bei BAYER
BAYERs Chemie„parks“ liegen dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger (SPD) besonders am Herzen. Nachdem er bereits im November 2011 eine Konferenz zu deren Zukunft veranstaltet hatte (Ticker 1/12), die passenderweise auch gleich beim Leverkusener Multi stattfand, initiierte er Ende Februar 2012 ein Pressegespräch zum Thema – und natürlich wieder am Stammsitz des Konzerns.
Trittin bei BAYER
Schon zu seiner Zeit als Bundesumweltminister besuchte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin den Leverkusener Multi. Anfang Dezember 2011 schaute er mal wieder vorbei. Bei den Gesprächen ging es nicht nur um die alten BAYER-Gassenhauer „Energie-Preise“ und „steuerliche Absetzbarkeit von Forschungsausgaben“ (s. o.), sondern zusätzlich auch noch um den Klimaschutz und finanzpolitische Fragen.
Jianmin Xu bei BAYER
Hierzulande lässt es der Leverkusener Multi auf seinen Hauptversammlungen – vorzugsweise bei den Gegenreden des CBG-Vorstandsmitglieds Axel Köhler-Schnura – selten an antikommunistischen Parolen fehlen, andernorts gehören KommunistInnen jedoch zu den geladenen Gästen BAYERs. So wohnte mit Jianmin Xu der Sekretär der Kommunistischen Partei Chinas der Einweihung einer Konzern-Anlage in Shanghai bei.
China: Mitwirkung an Patent-Gesetz
Eines der größten Hindernisse für die wirtschaftliche Aktivität der Global Players in Schwellenländern ist der angeblich mangelhafte Schutz des geistigen Eigentums. Deshalb hat BAYER in China schon „Entwicklungshilfe“ geleistet und an der Shanghaier Tongji-Universität einen Lehrstuhl für Patentrecht gestiftet (Ticker 1/08). Und das Engagement scheint sich auszuzahlen. Das Gesetzemachen gestaltet sich im Reich der Mitte fast schon so „demokratisch“ wie im Westen. So zeigte sich BAYERs oberster Patentschützer in China, Oliver Lutze, froh, im Prozedere zur Vorbereitung eines neuen Paragraphen-Werks zu den intellectual property rights (IPR) gehört zu werden: „Sie schicken den Industrie-Verbänden Entwürfe zu, und wir schicken es mit unseren Statements zurück. Und in manchen Punkten wurden unsere Vorschläge akzeptiert und die Passagen geändert.“
BAYER stellt Hunger-Experten
Im letzten Jahr initiierte der Bundestagsausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung zum Hungerproblem. Unter den geladenen ExpertInnen war auch der BAYER-Manager Dr. Manfred Kern. Und er wusste natürlich auch die Lösung: Eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft mit mehr Pestiziden, mehr Saatgut und mehr Gentechnik. Also noch mehr von alledem, was schon seit Jahrzehnten keinen Erfolg bei der Verbesserung der Welternährungslage zeigt und nur die Kassen der Agro-Multis füllt.
PROPAGANDA & MEDIEN
BAYER-Kreuz am Jungfrau-Berg
Jetzt müssen sogar schon Berge als Litfaßsäulen für die großen Unternehmen herhalten. So prankte auf dem schweizer Jungfrau-Massiv ein riesiges BAYER-Kreuz. Mit dieser „Bandenwerbung“ finanzierten die Jungfrau-Bahnen zu ihrem 100-jährigen Jubiläum eine Lichtkunst-Aktion von Gerry Hofstetter, der das Schweizerkreuz auf eine Gebirgswand projizierte. Die „Stiftung Landschaftsschutz“ übte Kritik an dem Budenzauber: „Es tut weh zu sehen, wie multinationale Konzerne die grandiose Berglandschaft zur Werbeleinwand degradieren.“ Und auch Katharina Conradin von der Naturschutz-Organisation MOUNTAIN WILDERNESS protestierte: „Ein Berg ist doch kein Werbeobjekt.“
BAYER spendet an Heartland-Institut
Auch BAYER zählt zu den Unterstützern des US-amerikanischen Heartland-Institutes, einer konservativen Lobby-Organisation, die durch die Finanzierung von Klimawandel-LeugnerInnen einige Berühmtheit erlangt hat. Der Leverkusener Multi allerdings benannte einen anderen Verwendungszweck für seine Spende. Er wollte das Geld in Kampagnen gegen die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht investiert wissen. Das legen interne Unterlagen der Einrichtung nahe, die ein Whistleblower dem Internet-Portal DeSmogBlog zugespielt hat.
KundInnen-Bindung 2.0
Das bundesdeutsche Gesetz erlaubt keine Werbung für verschreibungspflichtige Arzneien. BAYER & Co. streben eine Lockerung an und tun alles dafür, eine entsprechende Lösung auf EU-Ebene zu erreichen (Ticker 1/12). Bis es soweit ist, versuchen die Konzerne, bis an die Grenze des Erlaubten zu „informieren“. Dazu nutzen sie vor allem das Internet. So betreibt BAYER etwa das Portal MS-Gateway, das sich an Multiple-Sklerose-PatientInnen richtet. Es verfügt über einen offenen und einen geschlossenen Bereich, der nur für NutzerInnen des Konzern-Präparats BETASERON bestimmt ist. Einziges Ziel: neue KundInnen zu gewinnen und alte zu halten. Von Veranstaltungshinweisen über die Vermittlung von BeraterInnen und Apps zum Therapie-Management bis zu Foren und „Wellness-Diagrammen“ reicht das Angebot. Es stößt offenbar auf Resonanz: Auf 12.000 Mitglieder kann MS-Gateway zählen.
Eltern berichtet über MIRENA
Mehr als jede zehnte Anwenderin von BAYERs Hormon-Spirale MIRENA leidet unter schweren Nebenwirkungen wie Depressionen, Zyklusstörungen, Gewichtszunahme, Eierstock-Zysten, Unterleibsentzündungen, Schwindel, Übelkeit, starker Haarwuchs, Akne, Hautkrankheiten und Kopfschmerzen Zudem besteht der Verdacht auf Erhöhung des Brustkrebs-Risikos. Diesen unerwünschten Arzneimittel-Folgen widmete sich im Februar 2012 auch die Zeitschrift Eltern. Der Frauenarzt Michael Ludwig zerstreute dann allerdings die Bedenken. Und er hatte guten Grund dazu, der Mediziner steht nämlich seit Jahren immer wieder in Diensten BAYERs. Diese Information enthielt die Zeitschrift ihren LeserInnen jedoch vor. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hat der Redaktion deshalb einen Brief geschrieben, in dem es hieß: „Diese Abhängigkeiten hätten in dem Artikel unbedingt genannt werden müssen. Besser noch wäre es gewesen, ausschließlich unabhängige Frauenärzte zu befragen.“
Winnackers Gentech-Lob in der Zeit
Zeit Online bot dem BAYER-Aufsichtsrat Ernst-Ludwig Winnacker, einem „der einflussreichsten Wissenschaftsmanager und Politik-Berater Europas“, die Gelegenheit, sich ellenlang über die Behinderungen zu verbreiten, mit denen sich die „grüne“ Gentechnik konfrontiert sieht. Sie werde fälschlicherweise für das Artensterben verantwortlich gemacht, klagte er, wo sie doch so dringend für die Ernährung der Menschen rund um den Globus benötigt werde, denn: „Wer den Welthunger nur für ein Verteilungsproblem hält, argumentiert zynisch.“ Aber trotzdem machten die Abstandsregelungen hierzulande Freisetzungsversuche fast unmöglich, so Winnacker. Nur in Sachen „Patente auf Leben“ räumte der Biochemiker Fehler der Konzerne ein. Er selber bekennt sich zu einer kritischen Haltung gegenüber solchen Eigentumstiteln, „weil ihre gelegentlich kompromisslose Durchsetzung nicht in die Kultur der Landwirtschaft passt“ und stellt fest: „Die Patent-Strategien einiger Unternehmen haben zu einem beträchtlichen Vertrauensverlust und Imageschaden geführt.“
BAYER-Land der Ideen
BAYER gehörte 2006 zu den Sponsoren der Kampagne „Land der Ideen“, welche die Fußball-Weltmeisterschaft dazu nutzte, um für den hiesigen Industrie-Standort zu werben. Der PR-Betrieb hat die Ball-Treterei sogar überlebt und veranstaltet alljährlich den Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“. Selbstredend finden sich darunter immer wieder BAYER-Orte. Im letzten Jahr war es mit dem Baykomm das Kommunikationszentrum des Leverkusener Multis. Und dieses Mal schafften es sogar drei Konzern-Projekte in die Auswahl: das Integrationsprogramm „Einfach Fußball“, der Ideen-Trimmpfad des TSV BAYER 04 Leverkusen und die „Dream Production“ – ein alles anderer als traumhafter Versuch, bei der Kunststoff-Produktion Kohlendioxid zu recyclen (Ticker 4/11).
BAYER investiert in Schulen
Der Leverkusener Multi fördert Schulen über die „BAYER Science & Education Foundation“, denn dieses Stiftungsmodell erlaubt nebenher auch noch Steuer-Ersparnisse. Bei der Sponsoring-Maßnahme bilden nicht von ungefähr die naturwissenschaftlichen Bereiche einen Schwerpunkt. „Ich muss gestehen, wir fördern die Schulen nicht ganz uneigennützig. Wir sehen das als langfristige Investition“, so Stiftungsvorstand Thimo V. Schmitt-Lord.
Im Jahr 2011 verteilte der Konzern 462.000 Euro unter 52 Schulen in der Nähe seiner Standorte. Mit Geld bedachte er unter anderem die Monheimer „Lise-Meitner-Realschule“ für ihr Projekt „Nanotechnologie in Theorie und Praxis“, das „NaturGut Ophoven“ für ihre Lernwerkstatt zum Klimaschutz, das Schulzentrum Steinen für ihre Unterrichtseinheit zu naturwissenschaftlichen Grundgesetzen und die Gemeinschaftshauptschule Neucronenberg für ihren Lern-Parcours.
Das Humboldt-BAYER-Mobil rollt
In Kooperation mit der Berliner Humboldt-Universität betreibt der Leverkusener Multi ein rollendes Labor. Das „Humboldt-BAYER-Mobil“ fährt Schulen in Berlin und im Osten Deutschlands an und arbeitet mehr oder weniger spielerisch den naturwissenschaftlichen Lernplan des Konzerns ab.
BAYER lanciert Nano-Wettbewerb
Der Leverkusener Multi arbeitet eifrig an der Akzeptanz der umstrittenen Nano-Technologie und hat zu diesem Behufe gemeinsam mit dem „Landescluster NanoMikro+Werkstoffe.NRW“ den Wettbewerb „Nano erleben“ gestartet. Dieser fordert SchülerInnen, LehrerInnen und WissenschaftlerInnen auf, „ihre kreativen Ideen in Nanotechnologie-Demonstrationsversuche fließen zu lassen“. Davon erhofft sich dann BAYERs Nano-Beauftragter Peter Krüger „das Potenzial, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass Nanotechnologie fundierte und spannende Wissenschaft ist, die wesentlich zu unserer Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit beiträgt“.
Der Konzern als Kümmerer
Während der Konzern intern immer unsozialer wird, indem er Arbeitsplätze vernichtet und Arbeitsbedingungen verschärft, macht seine PR-Abteilung seit einiger Zeit verstärkt auf „sozial“. Zu diesem Behufe initiierte sie 2007 die „BAYER Cares Foundation“, die Projekte in der Nähe der Konzern-Standorte fördert. 2011 verteilte die Stiftung 126.000 Euro. Geld gab es unter anderem für die Ausbildung von jugendlichen StreitschlichterInnen in Dithmarschen, für die Bitterfelder Jugendkunstschule, einen Gnadenhof für Ponys in Leichlingen, eine Leverkusener Schuldenpräventionsinitiative, eine ForscherInnen-Werkstatt in Schochwitz und ein neues Beachvolleyball-Feld in Wollbach. Darüber hinaus soll der ASPIRIN-Sozialpreis das Bild vom barmherzigen Samariter BAYER in die Welt tragen. 2011 hat der Leverkusener Multi die Auszeichnung an eine Organisation verliehen, die brandverletzte Kinder unterstützt.
XARELTO-Muster per Post
Seit Mitte der 1980er Jahre untersagt das Arzneimittelgesetz BAYER & Co. die großflächige Versendung von Arzneimittel-Mustern an MedizinerInnen. Nach dem Paragrafen-Werk dürfen die Konzerne nur zur Tat schreiten, wenn eine Anforderung vorliegt. Der Leverkusener Multi verschickte jedoch trotzdem große Massen seines umstrittenen Blutverdünnungsmittels XARELTO (siehe DRUGS & PILLS), eine Empfangsbestätigung als „Just-in-Time“-Antrag für die Proben wertend. Die unabhängige Fachzeitschrift arznei-telegramm hat BAYER deshalb angezeigt, und auch die „Freiwillige Selbstkontrolle der Pharma-Industrie“ prüft den Fall.
BAYER VITAL wirbt für 54 Millionen
BAYER VITAL, die für rezeptfreie Arzneien zuständige Abteilung des Leverkusener Multis, hat 2011 nach Angaben des „Deutschen Apotheker-Verbandes“ allein in der Bundesrepublik 54,5 Millionen Euro für Reklame ausgegeben. Nur KLOSTERFRAU und BOEHRINGER INGENHEIM investierten mehr.
Podiumsdiskussion mit BAYER und DSW
„Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson über seine Vorstellung von „Entwicklungshilfe“. Zur großen Befriedigung BAYERs erfreut sich diese Ansicht auch heute noch großer Beliebtheit, die „gigantischen Fruchtbarkeitsmärkte“ in den armen Ländern versprechen nämlich gute Absatzchancen für die Verhütungsmittel des Konzerns. Um die Geschäftsaussichten für YASMIN & Co. noch ein wenig zu verbessern, sponsert das Unternehmen seit geraumer Zeit die „Deutsche Stiftung Weltbevölkerung“ (DSW), „denn mit ihren Projekten in Entwicklungsländern hilft die DSW vor allem jungen Menschen, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden und sich vor HIV/Aids zu schützen. Damit nutzt sie die Chancen zur menschenwürdigen Verlangsamung des Weltbevölkerungswachstums und trägt zugleich unmittelbar zur Verbesserung der Lebensverhältnisse vor Ort bei“. Der Leverkusener Multi führt gemeinsam mit der DSW auch regelmäßig einen „Parlamentarischen Abend“ in Berlin durch. Am 24. April 2012 stehen unter anderem die Anwältin und Publizistin Seyran Ates, der kongolesische Botschafter S. E. Kennedy Nyauncho Osinde und die SPD-Bundestagsabgeordnete Karin Roth auf der Gästeliste.
TIERE & ARZNEIEN
ASPIRIN im Stall
BAYERs „Tausendsassa“ ASPIRIN hat sich einen neuen Markt erobert: die Tiere. Da die Massenzucht Hühnern, Puten und anderen Kreaturen unendliche Qualen bereitet, verabreichen ihnen TierärztInnen oft das Schmerzmittel, obwohl seine Anwendung nicht erlaubt ist.
Noch mehr Tierarzneien
Der Leverkusener Multi hat die Veterinärmedizin-Sparte des US-amerikanischen Chemie-Konzerns KMG übernommen. Diese besteht vor allem aus Insektiziden, die Rindern, Schweinen und Geflügel mittels Chemie Fliegen und andere Plagegeister vom Leib halten.
DRUGS & PILLS
TRASYLOL-Comeback
Im Februar 2012 gab die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA bekannt, BAYERs Arznei TRASYLOL wieder zuzulassen. Nach Ansicht der Behörde wies die sogenannte BART-Studie des „Ottawa Hospital Research Institutes“, die im Jahr 2007 den Ausschlag für den Verkaufsstopp gegeben hatte, gravierende Mängel auf. Das Institut wehrt sich gegen diese Vorwürfe. „Die BART-Wissenschaftler stellen fest, dass die Durchführung und Analyse der BART-Untersuchung den höchsten Standards entsprach“, heißt es in der Antwort auf eine Ticker-Nachfrage. Zudem beschwerte sich die Einrichtung darüber, von der EMA nie in der Angelegenheit kontaktiert worden zu sein. Aber selbst wenn die ForscherInnen Fehler gemacht haben sollten – bereits vorher hatten unzählige Expertisen dem Mittel, das zur Blutstillung nach Bypass-Operationen zum Einsatz kam, Gesundheitsgefährdungen bescheinigt. Nicht einmal eine von BAYER selbst in Auftrag gegebene Studie konnte bessere Resultate liefern. Der Harvard-Professor Alexander Walker analysierte für den Konzern die Unterlagen von 78.000 Krankenhaus-PatientInnen und stellte im Falle einer Behandlung mit TRASYLOL eine erhöhte Sterblichkeitsrate, sowie ein größeres Risiko für Nierenversagen, Schlaganfälle und Herzerkrankungen fest. „2.653 Patienten mussten zur Dialyse und 2.613 Patienten starben“, so lautete damals sein eindeutiger Befund, den das Unternehmen den zuständigen Behörden lieber verschwieg.
ASPIRIN-Entlastungsstudie
BAYERs „Tausendsassa“ ASPIRIN gerät mehr und mehr in die Kritik. So schätzt Dr. Friedrich Hagenmüller von der Hamburger Asklepios-Klinik die Zahl der Todesopfer durch die Nebenwirkung „Magenbluten“ allein in der Bundesrepublik pro Jahr auf 1.000 bis 5.000. Der Leverkusener Multi musste also etwas für das ramponierte Image der Arznei tun und gab eine Entlastungsstudie in Auftrag. Und siehe da: Es „wurde deutlich, dass das Jahrhundert-Medikament bei Kurzzeit-Behandlungen von Schmerzen und Fieber ebenso verträglich ist wie andere Schmerzmittel, zum Beispiel IBUPROFEN oder PARACETAMOL“.
Neue YASMIN-Packungsbeilage
Mit Drospirenon-haltigen Verhütungsmitteln wie BAYERs Produkten aus der YASMIN-Familie steigt im Vergleich zu Levonorgestrel-haltigen Kontrazeptiva das Risiko, eine Thromboembolie zu erleiden. Das haben Untersuchungen aus den USA und England nun erneut bestätigt. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) reagierte und forderte BAYER zu einer nochmaligen Aktualisierung des Beipackzettels auf, um deutlicher vor der Gefahr zu warnen.
LEFAX nur „ausreichend“
Die „Stiftung Warentest“ testete fünf Präparate gegen Blähungen und kam zu wenig überzeugenden Ergebnissen. Vier Präparate, darunter auch BAYERs LEFAX, bekamen die Note „ausreichend“, und ein Mittel erhielt das Prädikat „mangelhaft“.
XARELTO jetzt auch in Europa
Der Leverkusener Multi darf sein Präparat XARELTO jetzt auch in Europa und Japan als Mittel zur Schlaganfall-Vorbeugung bei PatientInnen mit Vorhofflimmern vermarkten. Eine entsprechende Genehmigung hatte vorher schon die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erteilt. Allerdings tat sie sich mit der Entscheidung schwer. MitarbeiterInnen hatten sich noch Anfang September 2011 gegen die Genehmigung ausgesprochen, weil die von BAYER eingereichten Studien ihrer Meinung nach Fragen zu Herzinfarkt- und Blutungsrisiken aufwarfen. Zudem konnten sie im Vergleich zum bislang gebräuchlichen Wirkstoff Warfarin keinen therapeutischen Zusatznutzen entdecken. Aber die Behörde setzte sich über diese internen Einwände hinweg. Nicht einmal Meldungen über Sterbefälle bei der Klinischen Erprobung des Mittels in Indien (Ticker 1/12) vermochten sie umzustimmen.
Neue XARELTO-Indikation
Der Leverkusener Multi strebt eine Zulassung seines umstrittenen Mittels XARELTO (s. o.) zur Nachbehandlung des akuten Koronar-Syndroms (ACS) an. Das Präparat soll in Kombination mit einer anderen Therapie der nochmaligen Entstehung von Blutgerinnseln in der Herzkranz-Arterie vorbeugen. In den Tests zeigten sich allerdings auch deutlich die Risiken und Nebenwirkungen der Arznei. So erlitten XARELTO-ProbandInnen häufiger schwere Blutungen als die Test-Personen, welche die bisherige Standard-Medikation bekamen.
NICE nicht nice zu XARELTO
Die britische „National Institute for Health and Clinical Excellence“ (NICE), das Kosten und Nutzen neuer Arzneimittel bewertet, hat Zweifel an der Qualität von BAYERs Blutverdünner XARELTO. Da ihm die vom Leverkusener Multi zur Verfügung gestellten Daten für die Anwendungsgebiete „Thrombosen“ und „Schlaganfall-Vorbeugung bei PatientInnen mit Vorhofflimmern“ nicht ausreichten, forderte es vom Pillen-Riesen mehr Informationen an. Auch in Spanien erwartet der Konzern harte Verhandlungen mit den Behörden. Nur in der Bundesrepublik blüht dies dem Unternehmen nicht. Das hiesige Arzneimittel-Gesetz erspart nämlich Präparaten, die für andere Indikationen schon zugelassen sind, wie XARELTO zur Thrombose-Prophylaxe bei schweren orthopädischen OPs, eine solche Prozedur.
Zulassung für Augenmittel
Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat BAYERs Augen-Arznei VEGF-Trap-Eye genehmigt. Das Mittel zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zur Blindheit führen kann – erschließt jedoch nicht gerade medizinisches Neuland. Laut Konzern zeigte das Medikament mit dem Produktnamen EYLEA lediglich „eine vergleichbare Wirkung (Nicht-Unterlegenheit) gegenüber der Behandlung mit LUCENTIS“. Nach dem positiven Bescheid strebt das Unternehmen nun auch Zulassungen für andere Krankheitsgebiete an.
Regorafenib-Zulassung beantragt
Krebsmedikamente sind teuer, helfen zumeist wenig und haben allzuoft nur ein eingeschränktes Anwendungsgebiet. So auch der Wirkstoff Regorafenib, für den BAYER 2012 in Europa und den USA die Zulassung beantragen will. Er darf nur bei PatientInnen mit fortgeschrittenem Darmkrebs, bei denen alle sonstigen Therapien versagten, zum Einsatz kommen und zeigte nur äußerst bescheidene Test-Ergebnisse. Die Substanz steigerte die Gesamtüberlebenszeit der ProbandInnen im Vergleich zur Placebo-Gruppe gerade einmal um 1,4 Monate und schenkte ihnen bloß eine um 0,2 Monate längere Zeit ohne weiteres Tumor-Wachstum.
Überdosis CIPROBAY
Immer mehr Krankheitserreger bilden gegen Antibiotika wie BAYERs CIPROBAY Resistenzen aus und lösen so todbringende Gesundheitsstörungen aus (siehe auch SWB 2/12). Trotzdem verordnen MedizinerInnen die Mittel immer noch viel zu häufig. Das ergab eine Studie der Universität Bremen zur Verschreibungspraxis von KinderärztInnen. Obwohl die Präparate nur gegen Bakterien wirken, setzen PädiaterInnen sie der Untersuchung zufolge häufig auch bei Virus-Infektionen wie Erkältungen oder Mittelohr-Entzündungen ein. Und in Schwellenländern wie Indien geben Apotheken CIPROBAY sogar ohne Rezept und Beipackzettel ab.
Muskelschwäche durch CIPROBAY
Antibiotika sorgen nicht nur für resistente Krankheitskeime (s. o.), sie haben auch noch ganz andere Risiken und Nebenwirkungen wie beispielsweise Sehnen-Entzündungen und Sehnenrisse. Health Canada warnt jetzt vor einer neuen Gegenanzeige: BAYERs CIPROBAY und andere Mittel aus der Substanzklasse der Fluorchinolone können die Autoimmun-Krankheit Myasthenia gravis auslösen. Die Medikamente stören das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln, indem sie die Aufnahme des Impulse weiterleitenden Neurotransmitters Acetylcholine behindern und führen so zu Lähmungserscheinungen im Bereich der innere Organe, im Bewegungsapparat oder im Gesicht. Deshalb zwang die Behörde den Leverkusener Multi und andere Hersteller, die PatientInnen über diese mögliche Folge der Antibiotika-Einnahme zu informieren.
Neue Preisgestaltung ärgert BAYER
Nach dem 2011 in Kraft getretenen Arzneimittel-Gesetz dürfen die Pharma-Riesen die Preise für ihre neuen Medikamente nicht mehr selber festlegen. Sie sind jetzt Gegenstand von Verhandlungen auf Basis des Zusatznutzens im Vergleich zu älteren Pillen und der in anderen Staaten verlangten Beträge. Die Veröffentlichung der Länder-Referenzliste, auf der sich unter anderem Belgien, Dänemark, Großbritannien, Frankreich und Griechenland befinden, sorgte jetzt für einigen Unmut beim von BAYER gegründeten „Verband forschender Arzneimittel-Hersteller“ (VFA). „Deutschland ist nicht Griechenland. Ein Unterbietungswettbewerb durch Vergleich mit wirtschaftlich schwachen Ländern gefährdet die Einführung von Arzneimittel-Innovationen in Deutschland“, ereiferte sich die VFA-Geschäftsführerin Birgit Fischer.
Zwangsrabatte ärgern BAYER
Nach dem seit 2011 gültigen „Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittel-Marktes“ müssen BAYER & Co. den Krankenkassen für neue Medikamente einen Hersteller-Rabatt von 16 Prozent einräumen. Darüber hat sich BAYER-Chef Marijn Dekkers auf der Bilanz-Pressekonferenz im Februar 2012 bitterlich beklagt und angesichts der diesjährigen Überschüsse von DAK & Co. eine Abschaffung der Regelung gefordert: „Sachliche Gründe für eine Beibehaltung gibt es also nicht.“ Trotzdem ließ sich die Bundesregierung nicht erweichen. Das rief wiederum den von BAYER gegründeten „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ auf den Plan. Er sah „Politisches Kalkül statt faktenbasierter Prüfung“ am Werk und wiederholte Dekkers Kritik wortwörtlich: „Sachliche Gründe für eine Beibehaltung gibt es also nicht.“ Die Dienstwege sind eben kurz.
PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE
HEDONAL geht an die Nieren
In El Salvador sorgen Pestizide für massive Gesundheitsprobleme. So leiden in der Küstenregion Bajo Lempa über 20 Prozent der Menschen an Nieren-Erkrankungen. Mauricio Sermeño von der Umweltorganisation UNIDAD ECOLÓGICA SALVADOREÑA macht dafür hauptsächlich zwei Ackergifte verantwortlich: SYNGENTAs GRAMOXON und BAYERs HEDONAL mit dem Wirkstoff 2-4-Dichlorphenoxyessigsäure, der als ein Bestandteil von Agent Orange traurige Berühmtheit erlangte. Nach den Angaben der Organisation gibt es in bestimmten Gebieten des Landes kaum EinwohnerInnen, die nicht einen Verwandten oder Freund durch NierenVersagen verloren hätten (siehe auch SWB 2/12).
OXFAM kritisiert FLINT-Sprühungen
Auf den Bananen-Plantagen Ecuadors herrschen einer OXFAM-Studie zufolge unhaltbare Zustände. So müssen die Angestellten dort für einen Hungerlohn arbeiten und auch noch ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Während Flugzeuge Pestizide wie Mancozeb (enthalten unter anderem in BAYERs FLINT) versprühen, dürfen die LandarbeiterInnen die Felder nicht verlassen, obwohl sie bloß in Ausnahmefällen Spezialkleidung tragen. „Wir bekommen die Pestizide ab und können uns nur mit unseren Händen und Bananen-Blättern schützen“, klagt einer von ihnen. Zudem verseuchen die auf dem Luftweg ausgebrachten Ackergifte auch die Umgebung und sorgen so für hohe Krankheitsraten, vor allem unter Kindern. „Sie leiden unter Gehirn-Erkrankungen, Problemen in den Armen und Beinen, Hautausschlag etc.“, so eine Feldarbeiterin.
COCA COLA mit Carbendazim
In Orangensäften des Unternehmens COCA COLA fanden sich Spuren des BAYER-Pestizids Carbendazim. Und der Wirkstoff, den der Leverkusener Multi unter dem Produktnamen DEROSAL vermarktet, hat es in sich. „Giftig für Wasser-Organismen“, „kann das Kind im Mutterleib schädigen“, „kann vererbbare Schäden verursachen“ – so lauten einige Warnhinweise für das Fungizid. Darum sollte die Substanz ursprünglich ebenso wenig wie weitere fünf Agro-Chemikalien des Konzerns eine neue Zulassung von der Europäischen Union erhalten. Aber für Carbendazim machte Brüssel dann kurz vor Ablauf der Frist eine Ausnahme und gewährte eine Verlängerung. Es gäbe „annehmbare Anwendungen“, erklärte die EU-Kommission und berief sich dabei ausgerechnet auf Studien der Agro-Riesen sowie auf eine Expertise der von Industrie-VertreterInnen durchsetzten „Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit“ (siehe auch TICKER 2/11).
Kein Glyphosat-Verbot
Die Liste der Risiken und Nebenwirkungen des von MONSANTO entwickelten Pestizid-Wirkstoffs Glyphosat, den BAYER etwa im Kombi-Pack mit der gegen diese Substanz immun gemachten Baumwollpflanze „GHB 614“ verkauft, ist lang. So stört die Agrochemikalie das Embryo-Wachstum, lässt Soja-Gewächse absterben und Mais verwelken, macht wertvollen Boden-Organismen den Garaus und dezimiert die biologische Vielfalt. Das alles aber reichte der Bundesregierung nicht aus, um den Stoff aus dem Verkehr zu ziehen. Sie lehnte Anfang Februar 2012 einen entsprechenden Antrag der Grünen ab und verlängerte die Zulassung bis 2015.
Verkauf von Ultra-Giften
Der Leverkusener Multi trennt sich im Rahmen der Verkleinerung seines Pestizid-Sortiments weiter von besonders schädlichen Agrochemikalien der Gefahrenklasse I. Nachdem er im letzten Jahr schon NEMACUR und MOCAP verkauft hatte, stößt er nun SEVIN (Wirkstoff: Carbaryl) ab. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisiert diesen Schritt, den der Konzern der Öffentlichkeit gegenüber als Teil seiner Nachhaltigkeitsstrategie verkauft: „BAYER hätte die Produktion längst einstellen müssen, statt diese Ultra-Gifte jetzt noch profitabel zu verramschen“.
GAUCHO befördert Milben-Befall
BAYERs Imidacloprid-haltiges Pestizid GAUCHO sorgte für den Tod von Millionen Bienen. Der Leverkusener Multi streitet diese „Nebenwirkung“ jedoch ab und macht stattdessen die Varroa-Milbe für die Sterbefälle verantwortlich. Eine von einem Bienenforschungsinstitut, das dem US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium untersteht, durchgeführte Studie wies jetzt einen Zusammenhang zwischen beiden Phänomen nach. Der Untersuchung zufolge zeigten sich durch GAUCHO & Co. geschwächte Bienen anfälliger für den Befall mit der Milben-Art als gesunde Tiere.
GENE & KLONE
BAYER-Gensoja zugelassen
Nachdem sich weder ein ExpertInnen-Gremium der EU noch ein Berufungsausschuss über die Import-Genehmigung für BAYERs Gensoja der BASTA-Produktreihe und drei weiteren Laborfrüchten einigen konnte, hat die Europäische Kommission ein Machtwort gesprochen und alle Sorten zugelassen. Die COORDINATON GEGEN BAYER-GEFAHREN und andere Initiativen haben immer vor einem solchen Schritt gewarnt. „A5547-127“ ist nämlich durch eine auf gentechnischem Wege eingebaute Resistenz auf den Gebrauch des hochgefährlichen Herbizides LIBERTY mit dem Wirkstoff Glufosinat abgestimmt, dessen Gebrauch die Europäische Union ab 2017 verboten hat. Zudem unterscheidet sich die LIBERTYLINK-Pflanze auf Stoffwechsel-Ebene von seinen konventionellen Ebenbildern, was auf eine genetische Instabilität hindeutet, die eigentlich der Gegenstand eines Stress-Tests hätte sein müssen. Dieser unterblieb jedoch. Auch Daten-Material von Fütterungstests liegt nur sporadisch vor. Das alles macht den Soja des Konzerns zu einem unkalkulierbaren Risiko.
Genbaumwoll-Anbau beantragt
Der Leverkusener Multi hat in Spanien einen Antrag auf eine Anbau-Genehmigung für seine Gentech-Baumwolle „GHB 614“ gestellt, die gegen das gefährliche Anti-Unkrautmittel Glyphosat (siehe auch PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE) resistent ist.
Genraps-Anbau beantragt
BAYER hat in Australien einen Antrag auf eine Anbau-Genehmigung für seine Genraps-Sorte INVIGOR gestellt. Die Pflanze ist nicht nur gegen Glufosinat immun, sondern auch gegen MONSANTOs berühmt-berüchtigten ROUND-UP-READY-Wirkstoff Glyphosat (siehe auch PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE). Schadinsekten gewöhnen sich nämlich zunehmend an die Pestizide, welche die Hersteller im Kombipack mit ihren gegen diese Wirkstoffe resistenten Genpflanzen verkaufen. Ein Lizenzabkommen mit dem US-Unternehmen ermöglichte dem Leverkusener Multi die Entwicklung des Doppelpacks. Die australische Initiative GENEETHICS hat Einspruch gegen das Zulassungsbegehr erhoben und dabei mit der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zusammengearbeitet.
Pestizide per Gentechnik
BAYER nutzt die Biotechnologie zur Produktion von Pestiziden. So kommen bei der Herstellung des Anti-Unkrautmittels INDAZIFLAM gen-manipulierte Coli-Bakterien zum Einsatz.
PFLANZEN & SAATEN
BAYER kauft Raps-Sparte
BAYER hat die Rapssaatgut-Abteilung des Unternehmens RAPS GbR erworben. Nach Ansicht der BAYER-CROPSSCIENCE-Vorsitzenden Sandra Peterson wird der Kauf „den Eintritt von BAYER CROPSSCIENCE in den europäischen Raps-Markt weiter beschleunigen“. Der Agro-Multi, der in den USA bereits eine führende Stellung im Raps-Geschäft innehat, will noch in diesem Jahr erste Sorten auf den EU-Markt bringen.
WASSER, BODEN & LUFT
Luftverschmutzungskosten: bis zu 169 Mrd.
Die Europäische Umweltagentur EUA hat ausgerechnet, wie hoch die Kosten für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sind, welche die Luftverschmutzung verursacht. Sie kam auf staatliche Zahlen: Zwischen 102 und 169 Milliarden Euro bewegt sich der Wert. Dabei richten die 191 größten Betriebe die Hälfte des Gesamtschadens an. Und auf dieser Liste durfte BAYER natürlich nicht fehlen. Sowohl die Werke in Leverkusen als auch die in Krefeld fanden sich auf ihr wieder.
Endgültiges Aus für Kohlekraftwerk
Im letzten Jahr hatte der Leverkusener Multi nach massiven Protesten den Verzicht auf die Errichtung eines klimaschädlichen Kohlekraftwerks in Krefeld bekannt gegeben. Stattdessen plante er gemeinsam mit TRIANEL ein umweltfreundlicheres Gas- und Dampfkraftwerk. Aber so ganz in trockenen Tüchern war das Vorhaben lange nicht. „Ob dieses Projekt wirtschaftlich umsetzbar ist, wird sich im Laufe der Projekt-Entwicklung zeigen“, erklärte der Konzern nämlich. Aber Anfang Februar 2012 machte er die Entscheidung dann endgültig, indem er den Bauantrag für die Dreckschleuder offiziell zurückzog.
GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV
BAYER: „Bisphenol keine Gefahr“
Im März 2011 hatte die EU die Verwendung der Industrie-Chemikalie Bisphenol A in Babyflaschen untersagt, da die Substanz Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen verursachen kann. Der Leverkusener Multi, der zu den größten Produzenten des Stoffes zählt, spielt die Gefahr jedoch immer noch herunter. Eine Studie des BUNDs, der Kindertagesstätten überprüfte und in 92 von 107 Staubproben Bisphenol nachwies, fand er nicht weiter beunruhigend. Bisphenol A sei nicht krebserzeugend und habe keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit, wiegelte Konzernsprecherin Gisela Stropp gegenüber dem Pfälzischen Merkur ab.
CO & CO.
Erdeinbrüche durch Zechen-Schächte?
Immer wieder kommt es entlang der Trasse von BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline zu Erdeinbrüchen. In Erkrath und rund um Ratingen bildeten sich teilweise schon 80 cm tiefe Krater. Stillgelegte Zechen entlang der Trasse könnten diese Gefahr durch die Hohlräume, die von den Schächten herrühren, noch verstärken. 12 solcher Bergbau-Areale hat Erich Hennen von der Initiative STOPP BAYER-CO-PIPELINE ausgemacht, obwohl die Bezirksregierung und das Bergbau-Amt keine Unterlagen herausgaben. „Es wird gemauert, verdeckt, verschwiegen“, kritisierte Hennen.
NANO & CO.
Nano-Kongress in Bayreuth
Anfang Februar 2012 hielt die vom Bundesforschungsministerium geförderte „Innovationsallianz Carbon Nanotubes“, der auch der Leverkusener Multi angehört, ihren vierten Jahreskongress in Bayreuth ab. Von dem Gefährdungspotenzial, das von den Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNT) ausgeht, sprachen die TeilnehmerInnen natürlich nicht, obwohl einige WissenschaftlerInnen es mit demjenigen von Asbest vergleichen. Die Nano-Technologie lässt nämlich Werkstoffe auf winzig kleine Größen schrumpfen, wodurch diese unbekannte und nicht selten gefährliche Eigenschaften entwickeln. BAYER-Manager Peter Krüger focht das nicht an. Er malte die Nano-Zukunft in goldenen Farben: „Unsere Forschungsarbeiten zeigen, dass CNT wichtige Impulse geben können (...) Das sorgt für innovative Produkte, stärkt die Wirtschaft und schafft Arbeitsplätze. Außerdem geben Kohlenstoff-Nanomaterialien wichtige Impulse für mehr Klimaschutz und Ressourcen-Effizienz.“
BAYER eröffnet Nano-Konferenz
Am 21. und 22. März fand in Brüssel die Konferenz „Nano Enhancers for Plastics 2012“ statt. Sie befasste sich mit dem Segen, den die Nanotechnologie angeblich für die Kunststoff-Industrie bereithält. Das Grundsatz-Referent durfte BAYERs Nano-Beauftragter Peter Krüger halten. Und natürlich ließ er es sich nicht nehmen, in seinem Beitrag die Werbetrommel für die BAYTUBES-Kohlenstoffröhrchen des Konzerns zu rühren.
NIOSH für höhere Nano-Grenzwerte
Selbst ist der Multi: BAYER hatte den Grenzwert für die Belastung der Beschäftigten mit Nano-Stäuben eigenmächtig auf 50 Mikrogramm festgesetzt – und die damalige schwarz-gelbe Landesregierung Nordrhein-Westfalens nickte diesen auch ohne Murren ab. Mittlerweile fordern WissenschaftlerInnen viel schärfere Limits. So empfiehlt das US-amerikanische „National Institute for Occupational Safety and Health“ (NIOSH) eine Marke von sieben Mikrogramm pro Kubikmeter Raumluft.
Nanotubes können Erbgut schädigen
Nano-Röhrchen aus Kohlenstoff, wie der Leverkusener Multi sie mit seinen BAYTUBES herstellt, sind imstande, das Erbgut zu schädigen. Das kann dem österreichischen „Institut für Technikfolgen-Abschätzung“ zufolge sowohl durch einen direkten Kontakt mit der DNA als auch durch entzündliche Reaktionen des Körpers geschehen.
Energie-intensive Nano-Herstellung
Die Herstellung von Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNT) wie BAYERs BAYTUBES ist sehr energie-intensiv. Die Produktion von einem Kilogramm Nanotubes verschlingt bis zu 1 Terrajoule, zu deren Erzeugung es ca. 26.550 Liter Erdöl braucht. „Demnach wären CNTs eines der energie-intensivsten Materialien, die uns bekannt sind“, resümiert das österreichische „Institut für Technikfolgen-Abschätzung“.
UNFÄLLE & KATASTROPHEN
Gas-Austritt in Tarragona
Am 11. Januar 2012 kam es auf dem Gelände des spanischen BAYER-Standortes Tarragona zu einem Gasaustritt, was einen mehrstündigen Alarm auslöste.
PLASTE & ELASTE
Neues Forschungszentrum
BAYER MATERIAL SCIENCE, die Kunststoff-Sparte des Leverkusener Multis, hat in Dormagen ein neues Forschungszentrum in Betrieb genommen. Es hat die Aufgabe, „die technischen Abläufe bei der Produktion der Isocyanate MDI und TDI sowie der dabei benötigten Vorprodukte weiter zu erforschen und zu optimieren“. Es geht also vornehmlich um Effizienz-Steigerung. Dabei wäre ein ganz anderer Forschungsschwerpunkt wichtig: Der Versuch, bei der Herstellung der Plaste-Produkte ohne das gefährliche Giftgas Phosgen auszukommen.
STANDORTE & PRODUKTION
Chemie-„Park“ als Giftlager
Seit Jahren bemüht sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) darum, Angaben über die auf den Werksarealen von BAYER gelagerten gefährlichen Chemikalien zu erhalten. Trotz Umweltinformationsgesetz gelang ihr dies bisher nie – der Leverkusener Multi machte stets Terror-Gefahren geltend. Im Frühjahr 2011 jedoch entsprach die Bezirksregierung erstmals einem Antrag der CBG und teilte Zahlen für den gesamten Dormagener Chemie„park“ mit. Sie geben einigen Anlass zur Sorge. So befinden sich auf dem Gelände 70.000 Tonnen „giftige“ bzw. „sehr giftige“, über 13.000 Tonnen leicht entzündliche und über 65 Tonnen brandfördernde Stoffe. Von den sehr giftigen BAYER-Substanzen erreicht Toluol-diisocyanat (TDI) mit 7.765 Tonnen das größte Volumen. Es folgen Dimethylsulfat mit 51, Phosgen mit 36 und Brom mit zwei Tonnen. Bei den „nur“ giftigen Chemikalien nimmt die Propylenoxid-Menge mit 6.400 Tonnen das beträchtlichste Ausmaß an. Dann kommen Methanol mit 951, Chlor mit 761 und Hydrazin mit 360 Tonnen.
Mehr Pillen aus Weimar
BAYERs Verhütungsmittel aus der YASMIN-Familie haben mehr Nebenwirkungen als andere Kontrazeptiva. So registrierte allein die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA in den letzten zehn Jahre 190 Sterbefälle nach Thromboembolien. Trotzdem will der Konzern die Produktion von YASMIN und anderen Pillen ausweiten. Darum rief er seine Niederlassungen zu einem internen Standort-Wettbewerb auf, aus dem Weimar als Sieger hervorging. Hier baut der Multi demnächst für 25 Millionen Euro; neue Arbeitsplätze entstehen durch die Investition nicht.
BMS investiert 700 Mio. in Deutschland
BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) kündigte an, bis 2014 ca. 700 Millionen Euro in der Bundesrepublik zu investieren. Zu den Projekten der Kunststoff-Sparte gehört die TDI-Anlage in Dormagen, eine neue Fabrik für Lackrohstoffe in Leverkusen und eine Kapazitätserweiterung in Krefeld. Der Multi feiert das als Bekenntnis zum Standort, obwohl sein finanzielles Engagement in Asien die für Deutschland vorgesehene Summe bei Weitem übersteigt – allein in Shanghai hat sich BMS neue Fertigungsstätten binnen der letzten zehn Jahre 2,1 Milliarden Euro kosten lassen. Viele neue Arbeitsplätze schafft das Unternehmen durch die Bau-Vorhaben auch nicht. So entstehen durch die in Leverkusen geplante Lack-Produktion nach Angaben des Konzerns gerade einmal „bis zu zehn“ neue Jobs.
Keine „Kultur GmbH“ in Leverkusen
Seit der Unternehmenssteuerreform von 2000/2001, die BAYERs ehemaliger Finanzchef Heribert Zitzelsberger in seiner Funktion als Staatssekretär wesentlich mitgeprägt hat, verringerte sich die Abgabenlast des Global Players merklich. Das bescherte den Städten mit BAYER-Standorten große finanzielle Nöte. Darum existierten im chronisch klammen Leverkusen Pläne, das Kulturprogramm des Pharma-Riesen stärker mit demjenigen der Kommune zusammenzuführen. Dazu wird es allerdings nicht kommen. „Wir haben schließlich bemerkt, dass die erhofften Synergie-Effekte bei einer engeren Kooperation doch nicht so groß wären“, so die Kulturpolitikerin Marion Grundmann zu den Motiven für den Entschluss, doch lieber weiter getrennte Wege zu gehen. Der Pharma-Riese, der gern