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Veröffentliche Beiträge von “CBG Redaktion”

[Klimawandel] CBG-Stellungnahme zur Klimakonferenz in Glasgow

CBG Redaktion

BAYER & Co. brauchen strengere CO2-Reduktionsvorgaben!

Angesichts des drohenden Verfehlens der 2015 in Paris formulierten Klimaziele müssen die nationalen Regierungen auf der am Sonntag in Glasgow beginnenden Nachfolge-Konferenz nach Ansicht der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) drastische Maßnahmen beschließen. Die Länder stehen in der Pflicht, ehrgeizigere Treibhausgas-Reduktionsprogramme zu verabschieden und dürfen anschließend bei der Umsetzung nicht vor strengeren Vorgaben für die Industrie zurückschrecken.

Auch Deutschland schafft es nach dem jüngst veröffentlichten Projektionsbericht der Bundesregierung nicht, sein Quantum zu erfüllen und den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen bis 2030 um 65 Prozent zu senken, wie im Klimaschutzgesetz vorgesehen. Kein einziger der Sektoren kann das Soll erfüllen. So bleibt etwa die Industrie mit 45,1 Prozent deutlich hinter der Maßgabe von 49-51 Prozent zurück. „Allein BAYER hat im Jahr 2020 3,58 Millionen Tonnen Kohlendioxid und 3.000 Tonnen des noch viel klimaschädlicheren Methans emittiert. Das darf die Politik nicht länger tolerieren“, mahnt CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann.

Der EU-Emissionshandel mit CO2-Verschmutzungsrechten versagt hier als Steuerungsinstrument. Er bietet in seiner jetzigen Form nicht genug Anreize, auf sauberere Energie-Träger umzusteigen und Fertigungsstätten zu modernisieren. „Die Industrien schieben Neuinvestitionen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf“, konstatiert die im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erstellte Studie „Wie kann Nordrhein-Westfalen auf den 1,5-Grad-Pfad kommen“. Die Denkfabrik „Agora Energiewende“ drückt es ein wenig vornehmer aus und spricht von „Investitionsattentismus“. Die Coordination tritt deshalb für eine Reform ein. Der Emissionshandel sollte die CO2-Produktion für die Konzerne teurer machen und künftig auch Fertigungsstätten einbeziehen. Bisher unterliegen ihm nämlich lediglich Kraft- und Heizwerke, weshalb BAYER zum Beispiel aktuell bloß mit fünf Anlagen am „European Union Emissions Trading System“ teilnimmt.

Zudem fordert die CBG den Leverkusener Multi auf, endlich seine Glyphosat-Herstellung zu dekarbonisieren, ist doch das Herbizid neben allem anderen auch noch ein veritabler Klima-Killer. Um das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor aus dem Sediment-Gestein Phosphorit zu gewinnen, muss der Ofen am US-amerikanischen Standort Soda Springs auf eine Betriebstemperatur von 1500 °C kommen, was eine enorme Menge an Brennstoffen verschlingt. Im Nachhaltigkeitsbericht des Agro-Riesen heißt es verklausuliert dazu: „Besonders energieintensiv ist unsere Rohstoffgewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science – daher entfällt der größte Anteil unserer Treibhausgas-Emissionen auf diese Division.“

„Von Glasgow muss ein deutliches Signal an BAYER und die anderen Unternehmen ausgehen, ihre Dreckschleudern auszurangieren und generell mehr zur Reduzierung ihrer Treibhausgas-Emissionen zu tun“, so Stelzmann abschließend.

[CO2 made by BAYER] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

Der Klima-Killer aus Leverkusen

CO2 made by BAYER

Immer deutlicher macht sich der Klimawandel bemerkbar. Aber für BAYER gilt weiterhin Business as usual. Der Konzern reduziert seinen Kohlendioxid-Ausstoß kaum und setzt stattdessen auf Kompensationsgeschäfte durch Investitionen in Wiederaufforstungsprojekte. Auch hält er an seinen energie-fressenden Dreckschleudern fest.

Von Jan Pehrke

Waren es in den letzten Jahren die Dürre-Perioden, die vom Klimawandel kündeten, so nahm heuer das Hochwasser mit seinen katastrophalen Folgen diese Rolle ein (siehe S. 26 ff.). Und die dem Weltklimarat (IPCC) angehörende Wissenschaftlerin Astrid Kiendler-Scharr konnte die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse in Relation zum Ausmaß der Aufheizung sogar schon genauer vorhersagen. „Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad haben global etwa elf Prozent der Landfläche ein höheres Risiko, von Flüssen überschwemmt zu werden. Bei zwei Grad sind es schon 21 Prozent der Landfläche“, sagte sie in einem Interview mit spektrum.de.
Im August veröffentlichte der IPCC dann seinen neuesten Report, der noch einmal eindeutige Nachweise für ein gehäuftes Auftreten solcher und anderer Wetter-Phänomene lieferte. „Seit dem fünften Sachstandsbericht gibt es stärkere Belege für Veränderungen von Extremen wie Hitzewellen, Starkniederschläge, Dürren und tropische Wirbelstürme“, heißt es in dem Dokument. Darum mahnten die ForscherInnen, den Treibhausgas-Ausstoß „sofort, schnell und im großen Stil“ zu verringern.
Danach sieht es aber zurzeit nicht aus. Nach Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende werden sich die bundesdeutschen Emissionen im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020 um rund 47 Millionen auf 786 Millionen Tonnen erhöhen – der größte Anstieg seit 1990. Die selbstgesteckten Klima-Ziele rücken damit in weite Ferne, wie jüngst auch das Umweltbundesamt bestätigt hat. Die chemische Industrie hat an diesen Emissionen einen Anteil von rund acht Prozent, allein BAYER stieß im Geschäftjahr 2020 3,58 Millionen Tonnen an Treibhaus-Gasen aus, denn beim selbsterzeugten Strom setzt der Konzern zum überwiegenden Teil auf fossile Energieträger. Von den im letzten Jahr produzierten 17.836 Terrajoule entfielen 10.911 Terrajoule auf Erdgas und 566 Terrajoule auf Kohle, wobei der Kohle-Anteil gegenüber 2019 immerhin von 13,5 Prozent auf rund drei Prozent sank. Von den 18.022 Terrajoule zugekauften Stroms entstammten nur sechs Prozent aus erneuerbaren Energie-Quellen. Den Rest des Bedarfs deckten Gas, Kohle oder Kernkraft.

Klima-Sünder BAYER
„Besonders energieintensiv ist unsere Rohstoffgewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science – daher entfällt der größte Anteil unserer Treibhausgas-Emissionen auf diese Division“, erklärt der Konzern in seinem neuesten Nachhaltigkeitsbericht. Dass Glyphosat dabei die Hauptrolle spielt, verschweigt er wohlweislich. Neben allem anderen ist das Herbizid nämlich auch noch ein veritabler Klima-Killer. Um das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor aus dem Sediment-Gestein Phosphorit zu gewinnen, muss der Ofen am US-amerikanischen BAYER-Standort Soda Springs auf eine Betriebstemperatur von 1.500 °C kommen und braucht dafür entsprechend viel Energie.
Seit Langem schon fordert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Umrüstung der dortigen Fertigung. Dazu zeigt sich der Global Player aber ebenso wenig bereit wie zur Sanierung oder Ersetzung anderer Dreckschleudern. Und mit einer solchen Haltung steht er im Unternehmer-Lager beileibe nicht allein da. „Die Industrien schieben Neuinvestitionen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf“, konstatiert die im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erstellte Studie „Wie kann Nordrhein-Westfalen auf den 1,5-Grad-Pfad kommen“. Die Untersuchung, die Agora Energiewende und die Unternehmensberatung ROLAND BERGER in Tateinheit mit BAYER, BASF, BP, SIEMENS und anderen Firmen erstellt haben, drückt es ein wenig vornehmer aus und spricht von „Investitionsattentismus“.

Staatsknete für den Umbau
Bei den aktuellen Diskussionen gerät diese Großbaustelle des Klimawandels kaum in den Blick. Jene beschränken sich größtenteils auf Kohle, Gas und die anderen Energieträger, mit denen BAYER & Co. ihre Produktionsstätten befeuern. Eigentlich sollte hier der – immer wieder als marktwirtschaftliches Instrument für mehr Klimaschutz – gefeierte Emissionshandel mit CO2-Verschmutzungsrechten für Abhilfe sorgen, indem er Anreize für das Errichten saubererer Anlagen schafft. Davon kann jedoch nicht die Rede sein. Die Agora-Expertise nennt auch den – marktwirtschaftlichen – Grund: „Der CO2-Preis liegt (...) sowohl im europäischen als auch nationalen Emissionshandel auf absehbare Zeit unter den Vermeidungskosten vieler CO2-armer Schlüsseltechnologien in der Industrie“. Für die Multis kommt es also billiger, die CO2-Zertifikate zu kaufen, als in klima-freundlichere Fabriken zu investieren.
„Es bedarf daher staatlicher Anreize und Förderungen“, lautet die Schlussforderung der Agora-Publikation, die dann auch gleich „Klimaneutralität 2050 – Was die Industrie jetzt von der Politik braucht“ betitelt ist. „Die Politik muss (...) gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, welche die Entwicklung, die Einrichtung und den Betrieb neuer Anlagen und Schlüsseltechnologien zum Geschäftsmodell werden lassen – auch für den Export“, verlangt sie. Ihr Mittel der Wahl dazu: Klimaschutz-Verträge, sogenannte „Contracts for Difference“. Diesen weisen die AutorInnen die Aufgabe zu, die betrieblichen Mehrkosten zu decken, bis die Emissionshandelspreise irgendwann einmal so hoch sind, dass rein marktwirtschaftliche Überlegungen die Bau-Projekte vorantreiben. Die Studie der NRW-Grünen tritt ebenfalls für ein solches Modell ein, das sich dann auch im Wahlkampf-Programm der Partei wiederfand. Ein 900 Millionen schweres Pilot-Projekt dazu hat das Bundeswirtschaftsministerium schon auf den Weg gebracht. Und der „Verband der chemischen Industrie“ hat sich bereits Gedanken über die Finanzierung gemacht: „Diese Haushaltsmittel könnten durch Einsparungen in anderen Bereichen aufgebracht werden.“ „Hier will BAYER nur wieder Geld kassieren. Und dabei munter weiter das Klima ruinieren“, lautete der Kommentar der CBG zu den „Contracts for Difference“ in ihrer Presseerklärung zum Klimastreik vom 24. September.

Grüner Ablasshandel
Daneben haben die Konzerne noch eine andere Strategie entwickelt, dem Klimawandel zu begegnen: „Kompensation statt Reduktion“ heißt die Devise. So will der Leverkusener Multi sein Ziel der Klimaneutralität bis 2030 nur zu 42 Prozent durch mehr Strom aus erneuerbaren Energie-Quellen, zu 58 Prozent aber durch Ausgleichsmaßnahmen erreichen. „Im Berichtsjahr haben wir bereits 200.000 t CO2 kompensiert, indem wir bspw. in Uruguay, Brasilien und China Projekte zur Wiederaufforstung und zum Waldschutz finanziert haben“, vermeldet der Agro-Riese in seinem Nachhaltigkeitsbericht. Der Spiegel bezeichnet diese Praxis als grünen Ablasshandel. Die Wissenschaft hält ebenfalls nicht viel von Konzernen als Hobby-GärtnerInnen, denn es läuft auf ein Nullsummenspiel hinaus, an einem konkreten Standort begangene Klimasünden anderswo auf der Welt wiedergutzumachen – bestenfalls. „Neun von zehn Wiederaufforstungsprojekten scheitern“, sagt etwa der Ökologe Thomas Crowther von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Zudem verlegen die Kompensationsgeschäfte die möglichen positiven Klima-Effekte weit in die Zukunft. „Priorität muss die Senkung der CO2-Emissionen haben“, lautet deshalb das Fazit Crowthers.
Es kommt sogar noch schlimmer. Der Leverkusener Multi versucht allen Ernstes, sein Problemkind „Glyphosat“ ungeachtet seines übergroßen CO2-Fußabdrucks als Klima-Retter zu verkaufen, weil es den LandwirtInnen das Kohlendioxid freisetzende Pflügen erspare. Allerdings streiten die Agrar-ForscherInnen noch darüber, ob eine solche landwirtschaftliche Praxis wirklich das im Boden gebundene Kohlendioxid wieder entfesselt, und der Gewährsmann der Aktien-Gesellschaft in dieser Frage, Professor P. Michael Schmitz, musste unlängst seinen wissenschaftlichen Offenbarungseid leisten. Schmitz hat sich die Arbeit an solchen Sätzen wie „Mit einer angepassten Glyphosat-Strategie in der Fruchtfolge können ohne Ertragsreduzierung die Maschinen- und Arbeitskosten sowie der CO2-Ausstoß gesenkt werden“, nämlich von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO bezahlen lassen. Trotzdem behauptet der grüne Chef-Lobbyist des Gentech-Giganten, Matthias Berninger, unverdrossen weiter: „Glyphosat ist gut fürs Klima“. Und der Konzern hat sogar ein Programm aufgelegt, das FarmerInnen mit Geld-Prämien dazu verleiten will, den Pflug in der Scheune zu lassen und stattdessen zu Glyphosat zu greifen.
All diese fadenscheinigen Manöver des Unternehmens, sich seine Klima-Bilanz grünzurechnen, waren für die Coordination Grund genug, sich auch im September 2021 wieder am Klimastreik zu beteiligen – und aus gegebenem Anlass natürlich am BAYER-Stammsitz Leverkusen. ⎜

[Explosion] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

Explosion im Chem„park“

Die Verantwortung BAYERs

Am 27. Juli 2021 ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chem„parks“ eine Explosion. Der Störfall im Tanklager des Entsorgungszentrums forderte sieben Todesopfer. 31 Menschen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Abermals zeigte die Katastrophe die lebensgefährlichen Risiken einer dem Profit-Prinzip folgenden Wirtschaftsweise auf.

Von Jan Pehrke

Es war die größte Chemie-Katastrophe in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Sieben Menschen starben bei der Explosion im Leverkusener Chem„park“. 31 verletzten sich zum Teil schwer. 55 Rettungskräfte hatten nach ihrem Einsatz gesundheitsgefährdende Mengen an Schadstoffen im Blut. Und zahllose AnwohnerInnen klagten über Gesundheitsstörungen.
Dazu kamen besorgniserregende Sachschäden wie etwa ein Defekt an den Brunnen der Dhünnaue-Deponien, die das verseuchte Sickerwasser auffangen und zusammen mit der Grundwasser-Barriere verhindern, dass es in den Rhein fließt. „Es wird davon ausgegangen, dass der Rohrbruch, der am 28.07.2021 festgestellt wurde, im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 27.07.2021 steht“, konstatiert das Landesumweltministerium in einem Bericht. Auch die Kläranlage des Entsorgungszentrums lädierte die Explosion. Dort fiel die Prozessleitsteuerung aus.
Noch in 40 Kilometer Entfernung von der Unglücksstelle schlugen die Messgeräte des nordrhein-westfälischen Geologischen Dienstes aus, eine solche Kraft hatten die Druckwellen. Die Rauchwolke zog über das ganze Bergische Land bis nach Dortmund hin. Eine Warnmeldung der Kategorie „extreme Gefahr“ setzten die Behörden ab. Die Feuerwehr forderte die Bevölkerung auf, die Fenster zu schließen und die Klima-Anlagen auszuschalten. Sie mahnte eindringlich, die niedergehenden Ruß-Partikel nicht zu berühren, kein Obst und Gemüse aus den eigenen Gärten zu essen und verschmutzte Gegenstände nicht selbst zu reinigen. Eine Größe von bis zu zwei Zentimetern erreichten die Flocken und waren nicht ohne: Mitunter fraßen sie sich sogar durch die Schutzschicht von Autolacken. Die Stadt Leverkusen sperrte alle Spielplätze, und die LandwirtInnen der Umgebung ließen ihre Kühe nicht mehr auf die Weide.
„Ich dachte, ein Flugzeug wäre auf unserem Hausdach gelandet“, so beschreibt eine Frau aus Leverkusen-Bürrig die Detonationsgeräusche. Am nächsten Tag legte sich ihr zufolge dann ein schwerer, gummiartiger Gestank über den Stadtteil, und sie hatte einen „bitteren Geschmack“ auf der Zunge. Den hatte auch ein anderer Anwohner. Das war aber nicht alles. Er habe „starke Lungenschmerzen bekommen“, berichtete er dem Kölner Stadtanzeiger. An eine Atom-Explosion, einen Fall-Out, erinnerte ihn das Ganze. Ein Mann klagte derweil über brennende Haut, und eine ältere Frau spürte noch am Wochenende darauf die Nachwirkungen. „Am Sonntag hatte ich den ganzen Tag Kopfschmerzen“, sagte sie in einem Monitor-Interview.

Verharmlosungen
Bereits am ersten Tag nach der Detonation begann die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion. Diese hatte sich in dem Tanklager der Sondermüll-Verbrennungsanlage des Chemie„park“-Betreibers CURRENTA, genauer im Tank 3 ereignet. Und es war ein Unglück mit Ansage. Schon ab etwa fünf Uhr morgens kam es an dem 27. Juli zu einem Temperatur- und Druckanstieg in dem Behältnis, da sich eine Chemikalie erhitzt hatte. Eine Alarmierung der Feuerwehr erfolgte zu diesem Zeitpunkt aber nicht. Die CURRENTA pumpte zur Abkühlung Heizöl in den Tank, aber das konnte die chemische Reaktion nicht stoppen. „Der ganze Vorgang ging so schnell, dass die Sicherheitseinrichtungen den Druck nicht mehr abführen konnten. Als der Druck dann über dem Auslegungsdruck des Behälters lag, explodierte dieser“, heißt es in dem Zwischenbericht des Gutachters. Der größte Druck- und Temperaturanstieg fand eine Viertelstunde vor der Detonation statt, die sich um 9.40 Uhr ereignete. Die Abfall-Flüssigkeit, die dem zweiten Zwischenbericht zufolge in Bürrig „oberhalb der Selbsterwärmungstemperatur gelagert wurde und so die Reaktion in Gang“ setzte, vermengte sich dann mit der Luft und dem Heizöl, was einen Brand auslöste. Das Feuer griff bald auch auf acht der Nachbar-Tanks über und zerstörte diese oder beschädigte sie stark.
Die Feuerwehr durfte sich zu diesem Zeitpunkt dem Brandherd immer noch nicht von allen Seiten nähern, sondern nur von Westen aus. Über dem Entsorgungszentrum verlief nämlich eine Starkstrom-Leitung, die zerbarst und erst umständlich vom Netz genommen und geerdet werden musste. Nach den heutigen technischen Bau-Bestimmungen für Betriebe, die der Störfall-Verordnung unterliegen, wäre eine solche überirdische Führung von 110 Kilovolt gar nicht mehr erlaubt. Aber der Gesetzgeber gewährt freundlicherweise Bestandsschutz. Und so verstrichen rund anderthalb Stunden, ehe die 360-köpfige Lösch-Crew die Möglichkeit hatte, vollen Einsatz zu zeigen. Gegen 13 Uhr gelang es ihr schließlich, das Feuer – mit potenziell umweltschädlichen – Sonderlöschmitteln unter Kontrolle zu bringen.
Dreieinhalb Stunden später folgte schon die erste Entwarnung. „Im gesamten Stadtgebiet wurden von der Feuerwehr Leverkusen und dem LANUV (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, Anm. SWB) Luftmessungen vorgenommen, die unauffällig blieben“, vermeldete die Stadt Leverkusen. Dabei war im Einzelnen gar nicht klar, was da ins Freie gelangt war – und ist es bis heute nicht. Laut CURRENTA befanden sich in den Tanks „organische Wasser- und Lösungsmittel-Gemische und chlorierte Wasserstoffe“. Daraus zog das LANUV erste Schlüsse: „Daher gehen wir derzeit davon aus, dass über die Rauchwolke Dioxin-, PCB- und Furan-Verbindungen in die umliegenden Wohn-Gebiete getragen wurden.“ Über die Konzentration der Stoffe vermochte die Behörde aber noch keine Angaben zu machen. Drei Tage später legte sie dann ihre Ergebnisse vor. „Eine nur geringe Schadstoff-Belastung“ stellte das LANUV fest. „Bei den Stoffgruppen der Dioxine (einschließlich dioxin-ähnliche PCB) wurde die Bestimmungsgrenze nicht erreicht. Bei den Polychlorierten Biphenylen (PCB) und den Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) wurden sehr geringe Werte gemessen, die die Bewertungsgrenzen unterschritten“, so das Landesamt. Nach anderen Stoffen hatte die Einrichtung allerdings zu der Zeit noch nicht gefahndet. Daher empfahl sie, zunächst noch alle Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten.
An den Dioxin-Befunden erhoben sich sogleich Zweifel. So machte der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) auf die geringe Anzahl der genommenen Proben aufmerksam und kritisierte die Aussage des LANUV-Mitarbeiters Ulrich Quaß, „dass die Ruß-Flocken auch für Kinder völlig unkritisch seien, selbst wenn diese so einen Brand-Rückstand verschlucken sollten“, als „völlig unangebracht“. Wenig später sah sich diese Skepsis durch eine GREENPEACE-Untersuchung bestätigt, die sich auf 20 statt bloß auf drei Proben stützte. „Teilweise wurden höhere Konzentrationen nachgewiesen als in den veröffentlichten Mess-Ergebnissen des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV)“, erklärte die Organisation. Während die Greenpeace-ChemikerInnen in den Wischproben von Staub auf Spielplätzen und in Hausgärten genauso wenig wie ihre LANUV-KollegInnen gefährliche Rückstände aufspüren konnten, stießen sie in dem Ruß sehr wohl auf bedenkliche Werte. „In vier von sieben quantitativ untersuchten Proben von Ruß-Niederschlägen werden Polychlorierte Dibenzo-Dioxine und -Furane in Konzentrationen oberhalb der Bestimmungsgrenze nachgewiesen“, heißt es in dem Bericht der Initiative. „Die Entwarnung kommt zu früh“, konstatierte GREENPEACE deshalb: „Kinder sollten auf keinen Fall mit diesen Fundstücken in Berührung kommen.“ Die Stadt forderten die Umweltschützer*innen auf, die Rückstände flächendeckend und systematisch zu analysieren und die CURRENTA, die Rußpartikel einzusammeln und fachgerecht zu entsorgen.
Mit genaueren Informationen zum Tank-Inhalt rückte der Chem„park“-Betreiber immer nur häppchenweise heraus, was die Untersuchungen zum Schutz der AnwohnerInnen massiv erschwerte. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser musste sogar persönlich in Leverkusen vorstellig werden, um bei dem Unternehmen Druck zu machen. Eine Verzögerungstaktik sah sie dabei aber nicht am Werk. Die CDU-Politikerin schrieb das Verhalten laut dpa lediglich einer vorübergehenden Überforderung zu. Am 31. Juli tat die Bezirksregierung Köln dann kund, in dem explodierten Tank hätten sich „flüssige Reststoffe aus der Produktion von Chemikalien für die Landwirtschaft“ befunden, in der Hauptsache phosphor- und schwefelhaltige Substanzen. Knapp eine Woche später publizierte das LANUV dann die Resultate ihrer Untersuchung auf der Basis der erhaltenen Stofflisten. 450 Agrochemie-Bestandteile spürte es in Boden- und Pflanzenproben nach und fand „keine relevante Konzentration und keinerlei Grenzwert-Überschreitungen“. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die einzelnen Bestandteile der Agrar-Chemikalien aus den Tanks durch den unmittelbar nach der Explosion einsetzenden Brand fast vollständig zerstört wurden“, so die Behörde.
Am 11. August durfte dann auch die Öffentlichkeit Genaueres erfahren. Die CURRENTA informierte über die Stoffe in den Tanks und im Fall des hochgegangenen Behälters auch über deren Herkunft. Sie stammten von einem „außerhalb des Chem„park“ ansässigen Kunden aus dem EU-Ausland“. Bei seinem Besuch der Leverkusener Stadtratsfraktionen nannte Unternehmenschef Lars Friedrich dann noch weitere Details. So brachte ein einziger Stoff, mit dem es das Entsorgungszentrum zuvor noch nie zu tun hatte, den Tank 3 zum Platzen. Die Bezirksregierung warnte sogleich alle Betreiber von Verbrennungsanlagen im In- und Ausland vor dieser Substanz. Genauere Angaben zu der Chemikalie verweigerte Friedrich jedoch mit Verweis auf die noch laufenden Ermittlungen. Er versicherte Erhard Schoofs von der Bürgerliste lediglich, dass die CURRENTA auch diese Lieferung sorgfältig beprobt hätte, bevor sie abgefüllt wurde.

Made by BAYER
Ein Leverkusener wusste laut Rheinischer Post sogleich, was er zu tun hatte, als er am Morgen des 27. Juli die ungeheure Erschütterung vernahm: „Ich geh’ rein, mach die Fenster zu. Wenn das vom BAYER kommt ...“ „Und ja, es kommt ‚vom BAYER’, wie man in Leverkusen sagt, wenn man über den Chem„park“, das ehemalige BAYER-Werk, spricht“, schreibt die Zeitung. BAYER und der Chem„park“, das ist für die Stadt immer noch eins, obwohl die Besitzverhältnisse inzwischen andere sind. Im Jahr 2019 verkaufte der Konzern seine 60-prozentige Beteiligung an der CURRENTA und hat somit rein formal nichts mehr mit dem Störfall zu tun. Andererseits trägt er aber sehr wohl Verantwortung. Der Multi war es nämlich, der nicht nur das Entsorgungszentrum mit dem Tanklager und den Verbrennungsöfen errichtete, sondern auch die ganze Chem„park“-Struktur mitsamt seiner Sicherheitsarchitektur schuf, die sich dann am 27. Juli nicht zum ersten Mal als sehr anfällig erwies. 2011 ging von der Sondermüll-Verbrennungsanlage aus ein Sandregen über Teile Leverkusens nieder. 2010 entzündete sich ein Feuer, und 2009 traten nach einem Defekt in der Dosier-Einrichtung der Abluft-Behandlung Schadstoffe aus. Im Jahr 1986 kam es in einem Müll-Ofen zu einer Detonation, bei der Nitrose freigesetzt wurde. 1980 schließlich explodierten Stoffe im Anlieferungsbunker. Sie töteten einen Bagger-Fahrer und zerstörten das „Entsorgungszentrum“ zum größten Teil.
Alles, was heute der Chem„park“ ist mit seinen rund 70 Firmen, nahm ursprünglich der BAYER-Konzern mit seinen Produktionsanlagen allein in Beschlag. Den dabei anfallenden Giftmüll verbuddelte er lange Zeit einfach. 1957 dann nahm das Unternehmen die erste Vorrichtung zur Sonderabfall-Verbrennung in Betrieb. Neue Öfen folgten in den Jahren 1967 und 1976. Eine Generalüberholung der Verbrennungsanlage 1 führte der Chemie-Riese 1989 durch, die der Verbrennungsanlage 2 1991/92. Da die beiden Vorrichtungen aber immer noch mehr Schadstoffe in die Luft bliesen, als die 17. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) erlaubte, musste BAYER 1995 „eine weitere Nachrüstung der Rauchgas-Reinigung“ vornehmen. Im Jahr 2016 erfolgte die bisher letzte Sanierung für rund vier Millionen Euro. Dabei wurde unter anderem ein sechs Meter langer Abschnitt eines Ofen-Drehrohres ersetzt.

Müll als Geschäft
Im Lauf der Zeit veränderte sich auch der Status der Produktionsrückstände – aus dem Müll wurde ein Geschäft. Noch aus den entlegensten Erdteilen versuchten die ManagerInnen gefährliche Produktionsrückstände zu akquirieren. Dazu erweiterten sie ständig die Kapazitäten der Öfen. Zuletzt war dies 2012 der Fall. Da stieg das Fassungsvermögen von 80.000 Tonnen auf 120.000 Tonnen. Die Lieferungen bestanden nämlich immer weniger aus heizwert-reichen Abfällen, bei deren Verbrennung eine als Energie nutzbare Wärme entsteht. Deshalb brauchte der Entsorger mehr Masse. „Der Energie-Ausgleich muss bei uns mit mehr Menge erfolgen, um unsere Verbrennungsanlage weiter wirtschaftlich betreiben zu können“, so der damalige CURRENTA-Sprecher Mark Mätschke. Diese Vergrößerungen machten riesige Tank-Anlagen als Zwischenlager-Stätten nötig. Wenn sich die Service-Gesellschaft darauf beschränkt hätte, nur den im Chem„park“ selbst regelmäßig anfallenden Sondermüll zu verbrennen, hätte es solch großer Vorrichtungen gar nicht bedurft, aber da war die Profit-Gier BAYERs vor. Wegen dieses Eifers, aus der Beseitigung von Fabrikationsresten einen blühenden Geschäftszweig gemacht zu haben, bezeichnete die ehemalige NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn den Leverkusener Multi deshalb einmal als „Müllstaubsauger“.
Und noch etwas anderes veränderte sich über die Jahre. Durch Produktionsverlagerungen bzw. -schließungen oder kleiner dimensionierte Neu-Anlagen entstanden auf dem Werksgelände immer mehr Freiflächen. Da machte BAYER aus der Not eine Tugend bzw. einen Chem„park“. Es wandelte sein Werk-Areal zu einem offenen Gewerbe-Gebiet um und warb andere Chemie-Firmen als Mieter an. Auch der Konzern selbst wandelte sich. Das Unternehmen gab sich im Jahr 2002 eine Holding-Struktur mit selbstständig arbeitenden Einheiten, um sich leichter von Unternehmensteilen trennen zu können. Das „Park“-Management inklusive „Müllabfuhr“ fiel dabei der Dienstleistungstochter BAYER INDUSTRY SERVICES (BIS) zu. Im Jahr 2005 stieß der Multi dann seine Chemie-Sparte und Teile des „Plaste & Elaste“-Segments ab. Im Zuge dessen gab er der fortan unter LANXESS firmierenden Abspaltung 40 Prozent der BIS-Aktien mit auf den Weg. Drei Jahre später verschwand „BAYER“ aus dem Namen, CURRENTA nannte sich die Service-Gesellschaft nun. Und 2019 schließlich veräußerten BAYER und LANXESS ihre Beteiligungen an die australische Investmentbank MACQUARIE, genauer: an MIRA, den Infrastruktur-Fonds des Geldhauses. Ein langfristiges Engagement stellte dieser jedoch nicht in Aussicht. „Wir gehen von einer Haltedauer von zehn bis zwölf Jahren aus“, so Deutschland-Chef Hilko Schomerus damals.
Aber immer noch unterhält der Leverkusener Multi vielfältige Geschäftsbeziehungen zu seiner Ex-Tochter und lässt beispielsweise seine Produktionsrückstände weiter von ihr entsorgen. Er wähnt diese bei einem Finanzmarkt-Akteur nach wie vor in guten Händen. „BAYER erklärt auf Anfrage, man gehe davon aus, dass sich an den Sicherheitsstandards nach dem Verkauf nichts geändert habe“, meldete die Rheinische Post. Es gäbe Sicherheitsvereinbarungen, erklärte der Agro-Riese der Zeitung gegenüber, überdies behielten die verantwortlichen ManagerInnen sich Kontrollen vor. Und die CURRENTA versicherte ebenfalls, die Schutzmaßnahmen seien „nie heruntergefahren worden“. Aber offensichtlich reichten schon die bestehenden nicht aus.

Dienstbare Politik
Und dafür hat BAYER so einiges getan. „Chemie-Anlagen sind keine Schokoladen-Fabriken“, bekundete der damalige Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider 1994 auf der Hauptversammlung und insinuierte auf diese Weise, AnwohnerInnen und Beschäftigte hätten die Risiken und Nebenwirkungen dieser Art der Produktion als Schicksal hinzunehmen. Gegen schärfere Sicherheitsvorschriften setzte sich BAYER stets mit allen Mitteln zur Wehr. So gelang es dem Konzern etwa, den nordrhein-westfälischen Abstandserlass, der nach mehreren Beinahe-Katastrophen keine gefährlichen Fertigungsstätten in der Nähe von Wohngebieten mehr zulassen wollte, zu verwässern. Bestehende Werke nahm die Landesregierung auf Druck des Unternehmens ausdrücklich von den Regelungen aus.
Angemessene Abstände und eine scharfe Kontrolle aller Störfall-Betriebe sahen schließlich auch die verschiedenen Seveso-Richtlinien vor, welche die Europäische Union nach dem verheerenden Chemie-Unglück, das sich 1976 in der Nähe der italienischen Stadt Seveso ereignet hatte, auf den Weg brachte. Dagegen opponierte der Multi ebenfalls. Er sprach sich gegen die festgeschriebene Prüfung aller zu einer Firma gehörigen Anlagen aus und kritisierte den bürokratischen Aufwand. Die Aufsichtsbehörden sollten nicht auf Zwangsmaßnahmen setzen, sondern auf ein „partnerschaftliches Miteinander“, meinte die Aktien-Gesellschaft.
Und die Politik spielte mit, von der obersten bis zur untersten Ebene. Der Bund etwa nahm sich bei der Umsetzung der Seveso-II-Richtlinie in deutsches Recht lange Zeit und ließ dabei nicht selten Lücken, weshalb die EU die Bundesrepublik im Jahr 2000 verklagte. Zudem wollte die Bundesregierung die Seveso-Vorgabe der angemessenen Abstände in einer Technischen Anweisung (TA) konkretisieren. Aber dazu kam es nicht, da BAYER & Co. Sturm liefen. Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) formulierte damals seine Bedenken in einem Positionspapier. Demnach sollte der Sicherheitsabstand nur eine von vielen Möglichkeiten sein, die von Störfallen ausgehenden Gefahren zu reduzieren und eine Unterschreitung auf keinen Fall zur Nichtgenehmigung einer Anlage führen. Andernfalls wäre „im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV die Tolerierbarkeit des Restrisikos aufgehoben“, so der BDI. Es galt für ihn lediglich, „die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Störfall auf ein tolerierbares und sozialadäquates Maß“ zu reduzieren: „Das heißt, dass ein Restrisiko verbleibt.“ Zudem trat die Lobby-Organisation dafür ein, bei der „Definition der Schutzobjekte“ das Augenmaß zu wahren. Überdies muss für den Bundesverband bei Genehmigungsverfahren „darauf geachtet werden, dass es nicht zu Verfahrensverzögerungen und Kostensteigerungen“ durch die Regelung kommt. Das Bundesumweltministerium führte dann ein Planspiel zur Realisierung der TA Abstand durch, das einen schlechten Ausgang nahm. So blieb alles beim Alten, und Einzel-Gutachten beurteilten wie eh und je jeweils konkret das Gefährdungspotenzial eines Vorhabens für die Umgebung.
Am BAYER-Standort Dormagen erzielte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) dennoch einmal einen Erfolg. Im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens für ein Kunststoff-Werk monierte sie den zu geringen Sicherheitsabstand der Anlage zu Wohnsiedlungen und Verkehrseinrichtungen. Daraufhin holte die Bezirksregierung ein Gutachten ein, das Handlungsbedarf erkannte, und der Leverkusener Multi musste bei der S-Bahn-Station „Dormagen BAYER-Werk“ einen Schutzraum errichten.

Dienstbare Kommunen
Die Kommune selber hält dagegen ebenso ungern Distanz zu BAYER wie Leverkusen. Die Städte fühlen sich durch die Seveso-Richtlinien nämlich in ihrem Aktionsradius bei der Ausweisung von neuen Wohn- oder Gewerbegebieten eingeschränkt. Deshalb versuchen sie sich durch Gutachten Handlungsraum zurückzuerobern. Zu diesem Behufe beauftragte Leverkusen vor einigen Jahren den TÜV, die Chancen für die Entwicklung Wiesdorfs zu eruieren. Das TÜV-Gutachten erklärte dann zwar die unmittelbar an den Chem„park“ angrenzenden Flächen, die Planungszone 1, zur No-Go-Area, in der keine Bebauung mehr gestattet ist, gab ansonsten aber Entwarnung. „Im Ergebnis des ersten Arbeitsschrittes konnten durch die Detail-Betrachtung im technischen Gutachten die Abstände zum Teil deutlich reduziert werden“, vermeldete der „Technische Überwachungsverein“ erfreut. Nach der bisherigen Richtgröße, dem von der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) pauschal festgelegten „Achtungsabstand“, wäre die Bannmeile nämlich deutlich breiter ausgefallen. Nunmehr aber unterlag die vom TÜV umrissene Planungszone 2 jetzt nur noch wenigen Auflagen. Und auf der Basis dieser Festlegungen erstellte Leverkusen schließlich einen Entwicklungsplan für das Stadtgebiet. Die Bezirksregierung Köln beobachtete dieses Treiben mit einiger Sorge. So kritisierte ihr Immissionsschutz-Experte Wolfgang Raffel laut Leverkusener Anzeiger „den Leverkusener Trend, in Gefahrenbereichen zu bauen“.
Ansonsten aber zeigt auch die Behörde keinen übermäßigen Ehrgeiz, die AnwohnerInnen vor den Risiken und Nebenwirkungen der Chemie-Produktion zu schützen. Die Kapazitätserweiterung der Öfen von 80.000 auf 120.000 Tonnen winkte sie 2012 durch, ohne dabei die vom gesamten „Entsorgungszentrum“ ausgehenden Gefährdungen mit zu berücksichtigen. „Spezielle über den Antragsgegenstand hinausgehende Anforderungen an die Sicherheitstechnik wurden im Genehmigungsbescheid nicht festgelegt“, erklärte die Bezirksregierung laut report-K. Dadurch versäumte sie es, insbesondere das Tanklager mit den dicht nebeneinander stehenden Tanks auf die Gefahr möglicher Kettenreaktionen hin zu untersuchen, obwohl schon die zu der Zeit geltende Seveso-II-Richtlinie eine Prüfung etwaiger Domino-Effekte vorschrieb. Das Tanklager selbst sahen sich die KontrolleurInnen zuletzt im Januar 2016 an und waren damit bereits nach einer Stunde fertig.
Seither nahm die CURRENTA insgesamt neun bauliche Eingriffe vor. Genehmigungsverfahren brauchte es dafür aber nach Ansicht der Bezirksregierung nicht. Sie schaute nur mal kurz drüber. „Die technischen Änderungen wurden zeitnah nach der Installation in Augenschein genommen“, erklärte sie. Die letzte Störfall-Inspektion des gesamten Areals fand 2018 statt. Und auch bei dieser Gelegenheit musterte die Bezirksregierung die Tanks nicht genauer. Es handelte sich da nach Angaben der Landesregierung nämlich nur um eine „System-Prüfung, d. h. es wird kein einzelner Tank überprüft, sondern es wird überprüft, ob die grundsätzlichen technischen und organisatorischen und management-spezifischen Vorkehrungen des Betreibers geeignet sind, Störfälle zu verhindern“. Die nächste, turnusmäßig für 2020 vorgesehene Kontrolle ließ die Bezirksregierung ausfallen und holte sie auch im April 2021 nicht komplett nach. Wegen der Corona-Pandemie fand lediglich eine Video-Konferenz statt. Einen Lokaltermin hatten die BeamtInnen erst für August angesetzt. Aufgeschreckt durch die Ereignisse vom 27. Juli kontrollierte die Bezirksregierung Köln jetzt wenigstens einmal CURRENTAs Entsorgungszentrum in Dormagen und beauftragte damit gleich zwei Überwachungsteams. „Bei der Inspektion wurden keine Mängel festgestellt“, gab sie anschließend Entwarnung.

Die Reaktionen
„Der Unfall in unserem Entsorgungszentrum in Leverkusen hat uns alle zutiefst erschüttert. Es ist furchtbar, was hier passiert ist“ erklärte die CURRENTA nach der Explosion und hielt fest: „Es ist unsere Aufgabe, den Unfall umfassend aufzuklären. Dabei unterstützen wir die Behörden mit aller Kraft.“ Für den LANXESS-Konzern – bis 2019 gemeinsam mit BAYER Eigentümer der CURRENTA– äußerte sich der Vorstandsvorsitzende Matthias Zachert. Er nannte die verstorbenen und verletzten Beschäftigten „de facto ehemalige Schwestern und Brüder“ und sprach von einem emotionalen Schock. Solche Worte waren von BAYER-Chef Werner Baumann nicht zu vernehmen. Er beließ es bei einer routinierten Beileidsbekundung: „Unser tiefempfundenes Mitgefühl gilt allen, die bei diesem schrecklichen Unfall zu Schaden gekommen sind. Unsere Gedanken sind auch bei den Familien der Betroffenen“. Ansonsten galt Business as usual. Sogar BAYER 04 Leverkusen lief schon am Tag nach der verheerenden Explosion auf, denn der Rasen war bespielbar, wie eine Überprüfung ergeben hatte: kein Partikel-Niederschlag.
Der Vorsitzende der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE), Michael Vassiliadis, nannte die Explosion im Tanklager „ein tragisches, furchtbares Unglück“ und versicherte den Betroffenen und ihren Familien seine Anteilnahme. Detlef Rennings forderte als Betriebsratsvorsitzender der CURRENTA Transparenz ein. „Als Betriebsräte erwarten wir, dass die Ursachen detailliert aufgeklärt werden. Wir müssen verstehen, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Denn eines ist klar: So etwas darf nie wieder passieren“, sagte er. Dafür will Rennings zufolge auch der Betriebsrat sorgen: „Natürlich werden wir uns dafür einsetzen, dass aus den Erkenntnissen konkrete Maßnahmen abgeleitet werden und dass wir als Unternehmen und Belegschaft daraus lernen.“
Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Leverkusener Stadtrat, Milanie Kreutz, zeigte sich völlig überrascht von dem Ereignis: „Wir haben immer darauf vertraut, dass die Sicherheitsmaßnahmen ausreichend sind.“ Jetzt stimmt die Chemie für sie nicht mehr so ganz, ein einfaches Weiter-so schloss Kreutz dem Spiegel gegenüber aus. „Wir müssen trotz freundlichem Miteinander unsere Kontrollfunktion bei der Aufklärung ausüben“, so Kreutz. Ihr Partei-Kollege Karl Lauterbach, Bundestagsabgeordneter mit Wahlkreis Leverkusen-Köln IV, betrachtete die Stadt dagegen immer schon als gefährdet. „Hier kommt einfach einiges zusammen, was Leverkusen zu einer Hochrisiko-Stadt gemacht hat“, konstatierte er und mahnte: „Für künftige Bauvorhaben sollte nach diesem Vorfall genauer geprüft werden, ob Müllverarbeitungsanlagen so nah an einer Stadt errichtet werden dürfen.“ Der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Josef Neumann verlangte derweil von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), die Explosion zur Chef-Sache zu machen. „Wir müssen wissen, wie es um die Sicherheit solcher Anlagen steht (...) Konkret muss jetzt geklärt werden, ob die Anlage in Leverkusen allen aktuellen Standards und den Auflagen der Sicherheit entsprochen hat“, so Neumann. Und für Norwich Rüße, den umweltpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, steht schon fest, dass es Handlungsbedarf gibt: „Klar ist bereits jetzt: Dieser erneute Störfall in einem Chemie-Betrieb muss Anlass sein, störfall-anfällige Chemie-Anlagen weiter in puncto ‚Sicherheit’ zu optimieren.“
Zu dieser Einschätzung war das Umweltbundesamt auf der Basis einer umfassenden systematischen Auswertung von 13 Störfällen schon vorher gekommen. Die Mängelliste umfasst zahlreiche Faktoren, und nicht wenige davon treffen auch auf die Chemie-Katastrophe vom 27. Juli zu. Auf betrieblicher Ebene machte die vom UBA in Auftrag gegebene Untersuchung ein Regelungsdefizit bei Kontrollen und der Umsetzung von Auflagen aus. Darüber hinaus hapert es der Studie zufolge bei der „systematischen Risiko- und Gefahrenanalyse“. Als ein Beispiel dafür nennt sie bei einem Vorfall eine unzureichende sicherheitstechnische Bewertung eines Druckanstiegs in einem Kälte-Aggregat. Zudem stießen die AutorInnen oft auf eine Betriebspraxis, die von der genehmigten Auslegung der Produktionsstätte abwich. Auch die Arbeitsbedingungen identifizierten sie als Risiko für Unfälle. Den Einsatz von Fremdfirmen, ohne die Beschäftigten ausreichend einzuweisen, machte die Expertise ebenfalls als Schwachstelle aus. Überdies fehlt es ihr zufolge häufig an einem „Alterungsmanagement“ der Anlagen, weshalb Instandhaltungsmaßnahmen ausbleiben. Und schließlich kristallisierte sich „bei einem Teil der Ereignisse eine erhöhte Kontrolle durch Aufsichtsbehörden (...) als Verbesserungspotenzial“ heraus.

Die CBG-Aktivitäten
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte ab dem 27. Juli turbulente Wochen. Sie veröffentlichte noch am Tag der Explosion eine Presseerklärung und ließ weitere, etwa zur Sondersitzung des NRW-Umweltausschusses im Landtag, folgen. Unzählige Medien-Anfragen beantwortete das konzern-kritische Netzwerk und gab viele Interviews. Zudem versorgte sie JournalistInnen mit Informationen und wies sie zum Beispiel auf die Mängel bei den Anlagen-Kontrollen der Bezirksregierung Köln hin.
Gemeinsam mit der aktion ./. arbeitsunrecht verlangte sie in einem Offenen Brief an die CURRENTA genauere Auskünfte über die Beschäftigungsverhältnisse zum Zeitpunkt des Unglücks und wollte beispielsweise wissen, wie hoch der Anteil der LeiharbeiterInnen war. Einen zweiten Offenen Brief adressierten die beiden Initiativen an den WDR, um die oberflächige, unkritische Berichterstattung zu geißeln. Den längsten Offenen Brief, diesmal von der CBG allein verfasst, erhielt der Leverkusener Multi. Dieser steht nach Ansicht der Coordination trotz der 2019 erfolgten Trennung von der CURRENTA nämlich immer noch in der Verantwortung, nicht nur weil das Tanklager und die Müll-Ofen von ihm stammten. Es war „der BAYER-Konzern, der für den Chem„park“ in Leverkusen und die anderen Chem„park“-Standorte das Nutzungskonzept, die Organisationsstruktur und die Sicherheitsarchitektur entwickelt hat“, hieß es in dem Schreiben unter anderem.
Und natürlich war die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN vor Ort in Leverkusen. Am 2. August stieß sie zu einer von der Partei MLPD initiierten Kundgebung, und am 21. September veranstaltete sie die Podiumsdiskussion „Wie weiter nach der Explosion?“ Daran nahmen neben dem Verfasser dieser Zeilen der GREENPEACE-Schadstoffexperte Manfred Santen, Hanno Raussendorf als umweltpolitischer Sprecher der Partei „Die Linke/NRW“ und Beate Hane-Knoll, die Bundestagskandidatin von „Die Linke“ für den Wahlkreis Leverkusen-Köln IV, teil. Rund 50 BesucherInnen kamen ins Forum Leverkusen. Die AnwohnerInnen waren von dem Ereignis immer noch merklich aufgewühlt und hatten auch allen Grund dazu. Beispielsweise klagten manche – zwei Monate danach – immer noch über Geruchsbelästigungen. Es liegt also immer noch Chemie in der Luft – allen Beteuerungen der CURRENTA und des LANUVs zum Trotz. Der Umgang des Chemie„park“-Betreibers und der Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung mit der Katastrophe gehörte dann auch zu den zentralen Kritikpunkten von Podium und Publikum. Auch deckte der große Knall für den Saal das eklatante Versagen der Behörden bei der Kontrolle von störfall-anfälligen Anlagen auf. Zudem machte er deutlich, welche Gefahren es birgt, aus der Müllentsorgung ein lukratives Geschäftsfeld zu machen. Und schließlich führte er das Fehlen scharfer politischer Regelungen vor Augen – ein dem unermüdlichen Lobby-Einsatz von BAYER & Co. geschuldeter Mangel. So lautete das Fazit an dem Abend dann auch: Der Risiko-Faktor Nr. 1 ist eine dem Profit-System folgende Wirtschaftsweise. ⎜

[Arznei-Tests] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

Neue Studien zu Arznei-Tests mit Heimkindern

BAYERs Versuchskaninchen

In den 1950er und 1960er Jahren haben BAYER, MERCK & Co. Psychopharmaka und andere Medikamente an Anstaltskindern testen lassen. Das ganze Ausmaß dieser Menschenversuche mit Wehrlosen dokumentieren jetzt zwei neue Studien.

Von Marius Stelzmann

„Ethische oder rechtliche Bedenken waren weder von Herstellerseite noch von Seite der klinisch Tätigen und der Aufsichtsbehörden nachweisbar“ – das ist der Befund der neuen Studie von vier WissenschaftlerInnen über die Medikamentenversuche von BAYER & Co. in dem Zeitraum von 1949 bis 1975. Die Pharmazeutin Sylvia Wagner hatte das Thema mit ihren Recherchen über die Tests in Psychiatrie-Einrichtungen mit Kindern und Jugendlichen, die zumeist aus Heimen stammten, in die Öffentlichkeit gebracht. (SWB 1/17) Die Medien berichteten breit, und nach einiger Zeit entschloss sich das Land Schleswig-Holstein, das Ausmaß der Pharmazeutika-Prüfungen in seinen Breiten untersuchen zu lassen. Den Auftrag dazu vergab es an Christof Beyer, Cornelius Borck, Jonathan Holst und Gabriele Lingelbach vom „Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung“ der Universität zu Lübeck.
Auf nicht weniger als 41 Arznei-Erprobungen vor Markteinführung und 34 Anwendungsbeobachtungen in schleswig-holsteinischen Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie Erwachsenen-, Kinder- und Jugendpsychiatrien stießen die ForscherInnen in den Akten. Diese Testreihen fanden unter anderem im Landeskrankenhaus Schleswig, dem Städtischen Krankenhaus Lübeck-Ost, in der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Kiel, in den kirchlichen Ricklinger Anstalten und dem Psychiatrisch-Neurologischen Krankenhaus Kropp der Diakonie statt. In Stadtfeld, Hesterberg, Neustadt und Heiligenhafen mussten sich die Menschen ebenfalls als Versuchskaninchen für die Pharma-Konzerne hergeben. 21 der Forschungsarbeiten wurden dabei mit Neuroleptika, Antidepressiva und anderen Medikamenten aus dem Hause BAYER bestritten. Zum Einsatz kamen unter anderem MEGAPHEN, AOLEPT, NEUROCIL, ATOSIL, DIBUTIL, PADISAL und DEBENAL.
Mit den Versuchen versuchte sich der Leverkusener Multi im Kampf um Marktanteile zu behaupten. So heißt es in der Lübecker Studie: „Im Rahmen einer Marktanalyse für Phenotiazine stellte Hersteller BAYER im Oktober 1958 fest, dass Umsatz-Rückgänge im Geschäft mit MEGAPHEN mit den ‚massiven Bemühungen der Konkurrenz’ zu begründen seien, mit ihren neuen Produkten ‚ins Geschäft zu kommen’.“ Also mussten neue Medikamente her, um die Vorherrschaft auf dem Markt zu sichern. Aber so einfach war das für den Pharma-Riesen nicht. „Ein Produkt hat aufgrund unserer Prüfungserfahrungen nur dann Aussicht, auf klinisches Interesse zu stoßen, wenn es sich von MEGAPHEN in zwei Punkten unterscheidet: 1. bei gleicher Wirkung bessere Verträglichkeit 2. Indikationen, die über die des MEGAPHEN hinausgehen“, zitieren Beyer und seine KollegInnen aus konzern-internen Papieren. Klar hält ihre Untersuchung BAYERs Motivation fest: Die Profitmaximierung. „Insgesamt galt es hier also für BAYER, gegenüber neuen Konkurrenzprodukten auch in der kommenden Zeit ‚ein ertragreiches Gebiet zu verteidigen’“, so die ForscherInnen. Und klar wird auch, dass der Konzern dabei ein Problem ausmachte: Ein neues Medikament würde nur dann „echten Umsatzzuwachs“ bringen, wenn es neue Anwendungsgebiete erschließen würde.
Der Bericht der Universität Lübeck beschreibt in knappen Sätzen, wie der Wettbewerbsdruck, der durch die dem maximalen Profit verpflichtete kapitalistische Medikamentenproduktion entstand, die Konzerne zu den Tests mit Minderjährigen, Heimkindern und anderen schutzlosen Menschen trieb. „Insofern kann festgehalten werden, dass das Interesse an der Etablierung des jeweils eigenen Produkts auf dem seit den 1950er Jahren neu entstehenden Markt der Psychopharmaka die Haltung der pharmazeutischen Firmen zu Medikamenten-Erprobungen und Anwendungsbeobachtungen ausmachte“, resümiert die Expertise. Darüber hinaus belegen Dokumente aus den christlichen Ricklinger-Anstalten, dass dabei eine Abwägung zwischen den vorhandenen Finanzmitteln, der notwendigen Menge an sedierenden Mitteln wie MEGAPHEN, der Personalanzahl und dem Ausbildungsstand stattgefunden hat. Das bedeutet: Statt Personal in der notwendigen Menge und mit ausreichender Ausbildung anzustellen, um eine menschenwürdige Betreuung der Patient*innen sicherzustellen, wurden diese einfach sediert – eine billige, aber die Lebensperspektiven der Kinder und Jugendlichen zerstörende Lösung, weil sie sich natürlich auf die Auffassungsgabe und Entwicklung allgemein ausgewirkt hat.

Im BAYER-Archiv
Recherchen, die Dr. Klaus Schepker gemeinsam mit den Betroffenen Eckhard Kowalke, Franz Wagle und Günter Wulf in den BAYER-Archiven vorgenommen hat, bestätigen die Befunde der Lübecker WissenschaftlerInnen. Aber der Konzern öffnete den vieren seine Türen nicht einfach so. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, welche die ehemaligen Heimkinder seit Ende 2018 im Kampf um ihr Recht auf Anerkennung des erlittenen Leids und eine angemessene Entschädigung unterstützt (siehe SWB 1/20), hatte das Quartett im Jahr 2019 zur BAYER-Hauptversammlung eingeladen. Und als dort Kowalke, Wagle und Wulf ans Redner*innenpult traten und ihre Geschichte erzählten, ging anschließend ein Raunen durch den Saal. Danach sprachen entsetzte Aktionär*innen die drei an, und auch BAYER reagierte. Ein Vorstandsmitglied sicherte den Ex-Heimkindern zu, sie könnten in den Archiven nach dokumentarischen Belegen für Medikamentenversuche des Konzerns forschen.
Und dort wurden sie dann auch nicht zu knapp fündig, wie ihr Bericht dokumentiert. Er belegt die ungeheuere Kreativität des Unternehmens dabei, seinen Arzneien neue Absatzgebiete zu erschließen. Weitreichende und schwammige Krankheitsbilder wurden für die neuen Medikamente als Behandlungsfelder ausgemacht. Das im Zuge dessen benutzte Vokabular lässt allzu oft an die Ideologie des gerade erst von den Alliierten niedergerungenen Faschismus denken. So wurde von BAYER die „dämpfende Wirkung“ der Arzneien MEGAPHEN und AOLEPT gegen „gesellschaftsfeindliches Verhalten“ angepriesen. Auch heißt es in einem betriebsinternen Schreiben aus dem Dezember 1963: „Es ist sinnvoll, immer dann zu NEUROLEPTIL (französischer Name von AOLEPT) zu greifen, wenn ein Patient widerspenstig und wenig umgänglich ist, oder wenn er leicht reizbar ist und zu heftigen, oft gefährlichen Reaktionen neigt, mit einem Wort, bei gesellschaftsfeindlichen Personen.“

Arzneien statt Betreuung
Dr. Klaus Schepker schreibt zu der Auswertung der Dokumente: „Den psychia-trischen Anstalten wurde vermittelt, dass sie mit dem Einsatz von Psychopharmaka „Krankenwärter“ einsparen könnten, die Patienten weniger zerstören würden und der Aufenthalt verkürzt werden könnte.“ In den Unterlagen lasse sich eine „aggressive Vermarktung von BAYER-Produkten zur Sedierung in psychiatrischen Anstalten und Heimen“ nachweisen. „Für dieses Marktsegment wurden die Psychopharmaka gezielt in Großpackungen, sogenannten ‚Anstaltspackungen’ angeboten“, so Schepker. Diese Tatsache werde im Bericht der Uni Lübeck jedoch nicht ausreichend dargestellt, die Pharmaindustrie werde „verschont“.
Schepker weist auch darauf hin, dass sich BAYERs Vermarktungsstrategie mit der Zeit änderte. Ab Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre wurden die Mittel mit der Argumentation vertrieben, Psychopharmaka seien eine sinnvolle Ergänzung von Psychotherapie. Der Konzern passte sich also den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an, um weiterhin gute Geschäfte mit den Produkten machen zu können. Ging es in den 50ern noch darum, „gesellschaftsfeindliches“ Verhalten zu bekämpfen sowie Jugendliche „zurück in die Gesellschaft zu führen“, war in den späten 60ern und frühen 70ern ein weniger reaktionärer Werbe-Ansatz notwendig.
Die veraltete und inzwischen unübliche Herangehensweise, Kinder mit Psychopharmaka ruhigzustellen, hat leider neue bedrückende Aktualität erfahren, wie der Skandal um den Kinderpsychiater und Bestsellerautor Michael Winterhoff zeigt. Als öffentlichkeitswirksamer „Experte“ war er gern gesehener Gast in den Talkshows der Republik wie Markus Lanz, hart aber fair oder Anne Will. Sein Rezept für unzählige junge PatientInnen, die er behandelte: Pipamperon, ein sedierendes (nicht von BAYER hergestelltes) Neuroleptikum, das Kinder zwar müde und oftmals auch dick macht, nach dessen Einnahme sie jedoch widerstandslos funktionieren. Offenbar die einzige gefragte Eigenschaft für den Psychiater, der gerne und oft „frühkindlichen Narzissmus“ diagnostiziert. Das ehemalige Heimkind Günther Wulf fühlt sich durch die Vorgehensweise von Winterhoff wieder schmerzhaft an seine eigene Vergangenheit erinnert: „Ich selbst war schockiert, dass solche rigorosen und gefühlskalten Psychiater wieder in der Psychiatrie auftauchen. Was solche Psychopharmaka mit der Psyche eines Menschen anrichten können, habe ich (...) am eigenen Leibe erfahren müssen.“ Wulf schließt mit dem Appell, aktiv zu werden: „Ich will, das gegen solche verrohten ‚Fachärzte’ vorgegangen wird, um heutigen Patienten das zu ersparen, was wir damals erleben und erleiden mussten.“ ⎜

[Entmietung] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

Kahlschlag in Berlin

BAYER entmietet

Der BAYER-Konzern will in Berlin einen ganzen Kiez mit rund 140 Wohnungen abreißen lassen, um auf den Grundstücken neue Gebäude für sich zu errichten. Dabei gibt es viele Alternativen, die keinen Wohnraum kosten. Dementsprechend laufen die MieterInnen Sturm gegen die Pläne.

Von Jan Pehrke (mit Material der INTERESSENGEMEINSCHAFT DER BEWOHNERINNEN DES METTMANNKIEZES)

„BAYER nimmt billigend in Kauf, die BewohnerInnen in Not und Verzweiflung zu treiben und auf die Straße zu setzen“, heißt es in einem Offenen Brief von MieterInnen von Wohnungen auf der Tegeler Straße und der Fennstraße in Berlin-Wedding an die BezirkspolitikerInnen. „Wir appellieren nachdrücklich an die politisch Verantwortlichen, die Wohnraum-Vernichtung abzuwenden und dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen“, so Niklas Gohlke von der INTERESSENGEMEINSCHAFT DER BEWOHNERINNEN DES METTMANNKIEZES. Nicht nur Wohnhäuser will der Leverkusener Multi dort plattmachen, um Gewerbe-Immobilien hochzuziehen, sondern auch eine KiTa mit Spielplatz im Grünen, Künstler*innen-Ateliers, Gewerbebetriebe im zugehörigen Gewerbehof und Büroräume.
Das Gelände befindet sich in Nachbarschaft zur Betriebsfläche des Pharma-Riesen. Nach derzeitiger planungsrechtlicher Situation liegen die Häuser in einem sogenannten beschränkten Arbeitsgebiet. Sie genießen Bestandsschutz, solange der Eigentümer das wünscht. Aber der wünscht das nicht mehr; er hat andere Pläne. Der Konzern versucht den Eindruck zu erwecken, dass durch eine millionen-schwere „Erweiterung der Aktivitäten“ Arbeitsplätze gesichert werden könnten. „Die Zukunftssicherheit von mehr als 1.000 Arbeitsplätzen in Berlin“ solle dadurch „langfristig und nachhaltig gewährleistet werden“, so der Agro-Riese. Allerdings gibt es auf seinem Firmen-Gelände schon Platz genug, mehr als 25 Prozent der Fläche sind unbebaut. Daher wirkt die Behauptung, dass weniger als fünf Prozent des Areals einen so unverzichtbaren Beitrag zum Erhalt des Standortes darstellen, dass er schwerwiegende existenzielle Nöte und Folgeschäden für so viele Menschen rechtfertigt, alles andere als überzeugend. Vielmehr sprechen belastbare Indizien für pure Immobilien-Spekulation. So hat BAYER erst im Mai 2021 ein Bürogebäude an der Sellerstraße mit 15.800 m2 für 100 Millionen Euro an den Immobilienfonds QUEST INVESTMENT PARTNERS verkauft. Im Moment mietet das Unternehmen dieses Gebäude zu einem vergleichsweise günstigen Preis zurück. Der Mietvertrag läuft jedoch nur noch wenige Jahre – das war natürlich die Bedingung dafür, dass BAYER die Immobilie für diesen Wucherpreis an QUEST veräußern konnte – und wird in Zukunft deutlich höher ausfallen, um den Kaufpreis wieder einzuspielen. Darum hat sich der Leverkusener Multi nach etwas Neuem umgeschaut und ist auf sein eigenes Grundstück an der Tegeler Straße gestoßen. Für einen direkten Verkauf wäre es nicht in Frage gekommen, denn es hätte nicht viel eingebracht. Potenziellen InvestorInnen wäre klar gewesen, dass sie diese geschichtsträchtigen Gebäude nicht einfach so hätten räumen und abreißen lassen können. Die Aktien-Gesellschaft hingegen spekuliert darauf, dass die Politik ihr den Weg frei macht, wenn sie das Arbeitsplatz-Argument aus der Tasche zieht.
Letztlich versucht BAYER sich hier also auf dem Rücken der langjährigen MieterInnen an einer Profitmaximierung durch Immobilien-Spekulation. Das erscheint vor dem Hintergrund der milliarden-schweren Strafzahlungen in den MONSANTO-Prozessen auch irgendwie logisch, stößt jedoch auf unerwartete Hindernisse. Die MieterInnen schließen sich zusammen, gründen eine Initiative und gehen für ihre Interessen auf die Straße. Der Leverkusener Multi setzt derweil auf Repression und schickt seinen Werksschutz auf Patrouille. Aber der Mettmann-Kiez lässt sich nicht einschüchtern. 70 Menschen fanden sich Mitte September auf der Kundgebung vor den vom Kahlschlag bedrohten Häusern ein.
Die Lokalpolitik wissen die AktivistInnen dabei hinter sich. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen brachte mit Erfolg einen Dringlichkeitsantrag in die Bezirksverordneten-Versammlung ein, der das Bezirksamt auffordert, sich dafür einzusetzen, „dass die beabsichtigten Abrisse der Tegeler Straße 2-5 nicht umgesetzt und die bereits erfolgten Kündigungen der Wohnungen der MieterInnen umgehend zurückgenommen werden.“ Aber der BAYER-Konzern, der die Häuser auf der Tegeler Straße 1,6 und 7 und auf der Fennstraße 33 und 34 vorerst stehenlassen will, weiß das Gesetz wieder mal hinter sich. „Die betroffenen Gebäude sind planungsrechtlich nicht mehr für Wohnzwecke ausgewiesen“, erklärt das Unternehmen. Darum müsste das Land Berlin ein neues Paragrafen-Werk ausarbeiten, was nicht zu erwarten steht. Aber am Tag der Bundestagswahl hat sie ein ganz neues Instrument in die Hand bekommen. Da stimmten nämlich 56 Prozent der Berliner*innen für Enteignungen von sozial unverantwortlichen GrundeigentümerInnen. ⎜

[Hochwasser] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

BAYER & Co. vernachlässigen den Hochwasser-Schutz

Schadstoffe in den Fluten

Die Hochwasser-Katastrophe vom Juli 2021 hat auch die mangelhaften Schutzvorrichtungen von BAYER & Co. offenbart. So lief im Chemie„park“ Knapsack, wo der Global Player Pestizide produziert, die Abwasser-Behandlungsanlage über und setzte Giftstoffe frei.

Von Jan Pehrke

Der Starkregen, der Mitte Juli 2021 Deutschland, Holland, Belgien und die Schweiz heimsuchte, hatte katastrophale Folgen. Durch das Hochwasser, das er auslöste, starben allein in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über 170 Menschen. Unzählige erlitten Verletzungen. Zudem verloren Zehntausende ihr Hab und Gut. Die Schäden an Häusern, Fabriken, Straßen, Brücken und Gleisen gehen in die Milliarden.
Auch im Chemie„park“ Knapsack südwestlich von Köln, wo BAYER Pestizide produziert war „Land unter“. „Durch die extremen Wassermassen kam es zu Erdrutschen und einer vollständigen Überschwemmung des Geländes“, vermeldete der Betreiber YNCORIS. Und zu noch etwas anderem kam es: Die Abwasser-Behandlungsanlage lief über, was den „Abfluss erheblicher Mengen Niederschlagswassers sowie Abwassers“ zur Folge hatte. Die Stadt Hürth setzte daraufhin eine Warnmeldung ab, die das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ aufgriff und weiterverbreitete. „Innerhalb des Stadtgebietes Hürth ist es im Bereich Alt-Hürth und Teilen von Hermülheim zu einem größeren Schadensereignis gekommen. Dabei werden Schadstoffe freigesetzt, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Hautreizungen führen können“, so der Wortlaut. Tatsächlich traten bei einigen AnwohnerInnen solche Krankheitssymptome dann auch auf. Trotzdem wiegelte YNCORIS ab. In der näheren Umgebung des Chemie„parks“ entnommene Proben hätten „keine auch nur annähernd gefährlichen Schadstoff-Gehalte“ ergeben.

Chemie-Fluten
Aus SHELLs Kölner Energie- und Chemie„park“ in Köln-Godorf floss Kohlenwasserstoff in den Rhein. Am BAYER-Standort Bergkamen ist hingegen alles noch einmal gut gegangen. Das Auffangbecken der Kläranlage war zwar „außergewöhnlich belastet“, konnte die Wassermassen aber gerade noch halten. So gelangten keine Chemikalien in die Umwelt. Wie schon 2017 nach heftigen Regenfällen blieb es bei weithin spürbaren Geruchsbelästigungen – die Niederschläge hatten sich mit Hefe-Bakterien und anderen Produktionsrückständen aus der mikrobiologischen Abteilung vermischt und zu Faulgas-Bildungen geführt. „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten durch die Geruchsbildung und arbeiten mit Hochdruck daran, das Wasser zu verarbeiten und zu beseitigen“, bekundete das Unternehmen. Auf dem Wuppertaler Werksgelände musste die Feuerwehr anrücken, um das Wasser abzupumpen. So blieb es bei vollgelaufenen Kellern in den Verwaltungsgebäuden. „Das Produktions-gelände ist nicht betroffen“, gab der Konzern Entwarnung. In Leverkusen lief es ebenfalls glimpflich ab. Am Stammsitz haben sich die Vorsorge-Maßnahmen, auf welche die Politik nach 2002 drängte, ausgezahlt. „Nachdem staatlicherseits nach den letzten großen Rheinhochwasser-Ereignissen die Schutzziele neu definiert wurden, hat der BAYER-Chemie‚park’ Leverkusen seinen Hochwasser-Schutz mit dem Neubau von ortsfesten und mobilen Schutzwänden sowie durch ein Hochwasser-Pumpwerk auf ein 200-jähriges Bemessungshochwasser erweitert“, so beschrieb das Umweltbundesamt im Jahr 2007 die vorgenommenen Veränderungen. Und das reichte offensichtlich aus. In Dormagen passierte ebenfalls nichts. „Uns sind keine Schäden bekannt“, bekundete die CURRENTA, die beide Chem„parks“ unterhält.
Zu den bekannten Schäden jedes Hochwassers zählt indes die Erhöhung der Giftstoff-Konzentration in den Flüssen. Und das nicht nur, weil vermehrt Pestizide von den Feldern in die Gewässer geraten oder die Fluten Chemikalien aus Lagerstätten mitreißen. Durch die Wetter-Ereignisse steigt nämlich die Fließgeschwindigkeit der Gewässer und wirbelt Sedimente auf dem Grund auf, in denen sich Schwermetalle, Dioxine und andere schädliche Substanzen ablagerten. Diese finden sich dann unter anderem in den Auen der Flüsse wieder. So bergen die Böden rund um Wupper und Rhein nach einer Untersuchung des „Ingenieurbüros Feldwisch“ im Auftrag der Stadt Leverkusen bedenkliche Mengen an Quecksilber, Chrom und anderen Rückständen aus der Industrie-Produktion. „Ich habe den Eindruck, dass das Problem der Schadstoffe aus den Altsedimenten in Deutschland und auch in Europa stark unterschätzt wird. Schadstoff-belastete Altsedimente sind aber eine tickende Zeitbombe, die mit jeder Flut hochgehen kann“, sagt der Umwelt-Toxikologe Henner Hollert von der Frankfurter Goethe-Universität.
Überdies unterspült jedes Hochwasser BAYERs Giftmüll-Deponie „Dhünnaue“, und ob allein Brunnen und Sperrwände verhindern können, dass belastetes Wasser bei niedrigeren Pegelständen wieder zurück in den Rhein oder ins Grundwasser fließt, daran haben viele ExpertInnen Zweifel.

Eine lange Geschichte
Bereits 1988 hatte die damals noch nicht sanierte und mit Wohnsiedlungen überbaute Lagerstätte bei einem Hochwasser für Gesundheitsgefährdungen gesorgt. Die Fluten spülten Dioxine, Chrom und andere Stoffe der Altlast in die Keller und lösten bei den AnwohnerInnen Nasenbluten und Übelkeit aus. So wie damals offenbarten sich die Gefahren, die von Chemie-Anlagen und ihren Hinterlassenschaften ausgehen, wenn die Flüsse über die Ufer treten, immer wieder. Im Jahr 1995 wäre es beinahe zu einer Überflutung des Leverkusener Chem‚parks’ gekommen. Das Rhein-Hochwasser stand lediglich zehn Zentimeter unterhalb der Kaimauer-Kante. 2001 havarierte ein mit Salpetersäure für BAYER beladenes Schiff auf dem Rhein. Wegen des hohen Wasserstandes und der starken Strömung drohte es zu bersten, weshalb die Feuerwehr gezwungen war, die Salpetersäure abzupumpen und in den Fluss zu leiten. 2002 trat die Elbe über die Ufer und setzte die tschechische Chemie-Fabrik Spolana Neratovice unter Wasser, so dass Chlorgas und Quecksilber in den Fluss gelangten. Für den elbabwärts gelegenen Bitterfelder Chemie„park“ entstand ebenfalls eine bedrohliche Lage. Dabei hatte der Pillen-Riese aus der Geschichte gelernt – 1954 wurde das gesamte Gelände überflutet – und seine neuen Anlagen auf einem höheren Grund errichtet. Auch baute er auf sicherem Fundament, verzichtete auf Keller und verlegte die Verarbeitung wassergefährdender Substanzen auf höhere Stockwerke. Trotzdem stand eine Umwelt-Katastrophe unmittelbar bevor. Bis an eine unmittelbar neben der Fertigungsstätte gelegene Straße drang das Wasser vor. Nur dem unermüdlichen Einsatz der vielen Helfer*innen war es zu verdanken, dass der den Chemie„park” umgebene Damm hielt. Und hätten nicht Deichbrüche bei Bad Düben das Wasser des Elb-Nebenflusses Mulde in die alten Tagebau-Stollen geführt, wäre auch diese Arbeit nutzlos gewesen. Von einer akuten Gefährdung sprach ein Bundeswehr-Angehöriger damals. Beim Leverkusener Multi aber hieß die Devise, solange es nur irgend ging: „Business as usual”. Ein Runterfahren der Produktion aus Sicherheitsgründen hielt das Unternehmen zunächst für unnötig, weil das ans Geld gegangen wäre. Darüber hinaus war der Global Player erst auf eindringliche Ermahnungen von GREENPEACE hin bereit, draußen auf dem Werksgelände lagernde Chemikalien vor den Fluten in Sicherheit zu bringen.
Die Elbe trug damals bleibende Schäden davon. Die erhöhten Fließgeschwindigkeiten von Mulde und Spittelwasser hatten nämlich die hochbelasteten Altsedimente gelöst und in den größeren Strom gespült.
Für BAYER wiederholte sich 2013 das Spiel. Wie schon 2002 musste die Bundeswehr einen provisorischen Deich errichten, um das Areal zu schützen. „Durch die anhaltenden Niederschläge ist die Hochwasser-Situation im Umfeld der BAYER BITTERFELD GmbH und in der Chemie-Region Bitterfeld sehr angespannt“, erklärte der Konzern.
In den USA trat 2017 derweil der Worst Case ein. Einströmende Wasser-Massen unterbrachen die Stromversorgung einer Chemie-Fabrik in Texas. Die Kühlung versagte, und die Temperatur der eingelagerten Substanzen sank ab. Das löste eine Reihe von chemischen Reaktionen aus, an deren Ende zwei Explosionen standen.

VCI gegen Maßnahmen
Trotz alledem wiegelt der „Verband der Chemischen Industrie“ ab. „Gefahren für Chemie-Anlagen durch Natur-Katastrophen wie Hochwasser sind in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in einem komplexen Sicherheitsmanagement berücksichtigt“, bekundet die Organisation. Darum lehnt sie zusätzliche Maßnahmen ab. So wendet sich der VCI gegen den länderübergreifenden Raumordungsplan für einen verbesserten Hochwasser-Schutz (BRPH), wie ihn CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen haben. Die Parteien beabsichtigen nämlich, den Betrieb von Chemie-Anlagen in Überschwemmungsgebieten zu untersagen, da von diesen im Überflutungsfall ein besonderes Gefährdungspotenzial für die Gesellschaft ausgeht. „Darunter fallen insbesondere jene Anlagen und Tätigkeiten, die im Falle einer Überflutung zur Freisetzung giftiger Stoffe sowie aufgrund thermischer Wirkungen zu Bränden und Explosionen führen können“, heißt es im Raumordnungsplan-Entwurf. Auch nimmt sich dieser vor, neue Risiko-Gebiete auszuweisen. Das alles behagt dem Verband nicht. Schwierigkeiten bei der Errichtung neuer Werke befürchtend, spricht er sich gegen „eigenständige Regelungen auf Bundesebene“ aus. „Da hier auf ‚hochwasser-angepasste Bauweise’ und technische Regeln verwiesen wird, dürfte hier die Begründungs- und Darlegungslast beim Vorhaben-Träger liegen, die von den Behörden eingehend zu prüfen ist. Das führt zu einer weiteren Planungsunsicherheit“, konstatiert der Lobby-Club in der seiner Stellungnahme zu dem Vorhaben. „Soll Deutschland Hightech-Industriestandort bleiben, sollten derartige Regelungen nicht in Kraft gesetzt werden“, so der VCI abschließend.
Der „Bundesverband der Industrie“ (BDI) pflichtete dem bei. Er monierte ebenfalls den Ausschluss bestimmter Gebiete als Bau-Gründe für Anlagen. Zudem sieht der Verband die „Bewirtschaftung und Weiterentwicklung der Flüsse“ durch den BRPH gefährdet. Praktischerweise macht der BDI auch gleich konkrete Streichungsvorschläge. Sein Resümee lautete: „Zusätzliche Regelungen halten wir für nicht erforderlich und lehnen den BRPH in Gänze ab. Sollte der Bundesraumordnungsplan in der aktuellen Fassung verabschiedet werden, hat dieser massive negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Fortbestehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“

Politik hört die Signale
Beinahe hätten BAYER & Co. Vollzug melden und den Plan auf den Müllhaufen der Geschichte bugsieren können. Aber dann kam im Juli die Hochwasser-Katastrophe, die der Politik keine Wahl ließ. Aber die Konzerne erreichten über das Wirtschaftsministerium viele Änderungen, die nicht einmal Innenminister Horst Seehofer geheuer waren. Es gebe Kritik an den Ausnahmen für Unternehmen und Infrastruktur in Risiko-Gebieten erklärte der CSU-Politiker laut Handelsblatt und kündigte an: „Wir schauen uns das Ganze noch mal an.“ Daraus wurde allerdings nichts, und ob die nächste Bundesregierung das tun wird, steht auch in Frage. Das Umweltministerium zeigte sich ebenfalls unzufrieden. „Die zuletzt getroffenen Ausnahmen innerhalb des Plans behindern eine wirksame Hochwasser-Vorsorge“, hielt Staatssekretär Jochen Flassbarth fest und empörte sich über BAYER & Co. Auch der Wirtschaft müsse klar sein, „dass ihre Betriebe direkt vom Hochwasser-Risiko betroffen sein können und dass der Allgemeinheit aber auch ihnen selbst in Zukunft enorme Schäden und Kosten durch Hochwasser drohen“, so Flassbarth.
Der nordrhein-westfälischen Landesregierung indes gelang noch im Frühjahr das Kunststück, den Hochwasserschutz massiv zurückzufahren. Im Rahmen seiner „Entfesselungspolitik“, mit der Armin Laschet auch die ganze Republik hatte beglücken wollen, nahm er sich das rot-grüne Landeswasser-Gesetz vor und fledderte es. „Wasserrechtliche Verfahren sollen dereguliert und verschlankt werden“, verkündete Schwarz-Gelb und verabschiedete im Mai das Gesetz zur Änderung des Landeswasserrechts. Mit diesem begaben sich CDU und FDP freiwillig vieler Möglichkeiten, Vorsorge-Maßnahmen zu treffen, wie etwa den Flüssen durch das Anlegen von Überschwemmungsgebieten mehr Raum zu geben, um die Folgen steigender Wasserstände zu mildern. So strichen die Parteien den Paragrafen, der dem Land bei fluss-nahen Flächen ein Vorkaufsrecht sicherte. Ein Passus, der den staatlichen Stellen die Befugnis einräumte, mehr solcher Retentionsareale auszuweisen, fiel ebenfalls unter das Rubrum „kann wegfallen“.
Und schließlich machten sich die EntfesselungskünstlerInnen auch daran, an einer Regelung herumzuschrauben, welche beabsichtigte, Abwasser-Behandlungsanlagen wie die in Köln-Knapsack gegen Starkregen-Ereignisse zu wappnen.
Die Gefahr eines Abgangs von chemikalien-haltigem Wasser aus den Becken im Falle heftiger Niederschläge ist bereits seit Langem bekannt. Angelika Horster vom BUND NRW vermisste „Maßnahmen gegen einen Abfluss von Abwasser aus Industrie-Kläranlagen“ in den Katastrophen-Plänen von BAYER & Co. bereits 2003; „Gefahrenherd Rhein-Hochwasser – Anlagen von BAYER & Co. nicht hochwasser-sicher“ überschrieb sie ihren SWB-Artikel damals. Im Jahr 2016 reagierte die rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft schlussendlich auf entsprechende Warnungen und änderte das Landeswasser-Gesetz entsprechend. So schrieb der Paragraf 84 im Absatz 3.2 nun vor, neue Abwasser-Anlagen hochwasser-sicher zu bauen und ältere bis Ende 2021 umzurüsten. Der Absatz 3.3 verfügte, Anlagen „nur so zu errichten und zu betreiben, dass wassergefährdende Stoffe durch Hochwasser nicht abgeschwemmt oder freigesetzt werden.“ Aber das ist jetzt Geschichte. Laschet & Co. verlängerten die Modernisierungsfrist für Abwasser-Anlagen kurzerhand bis 2027 und tilgten den Absatz 3.3 ganz.
Auch dem Flächenfraß mit seinen Versiegelungen, der dem Wasser die Möglichkeit nimmt, in die Böden einzusickern, leisten CDU und FDP weiter Vorschub. 22 Hektar pro Tag kommen in Nordrhein-Westfalen so unter die Räder, aber die beiden Parteien hatten nichts Besseres zu tun, als das 5-Hektar-Ziel aus dem Landesentwicklungsplan zu streichen.
Jetzt auf einmal aber gibt Armin Laschet den obersten Deichgrafen. „Wir müssen Dämme bauen, Rückhalte-Becken, Wasser-Reservoirs, Flächen renaturieren – Schutz nicht nur am Rhein, sondern auch an den großen und vielen kleinen Flüssen“, bekundet er. BAYER erkannte ebenfalls Handlungsbedarf: „Die Katastrophe wird sicher dazu führen, dass bestehende Schutz-Konzepte überprüft werden. Und die CURRENTA will im Chem„park“ Leverkusen ihre mobile Hochwasserwand ausbauen. Bei der Ursachen-Forschung hält sich sich die Branche allerdings nicht länger auf. Ein „Ereignis höherer Gewalt“ nennt Knapsack-Betreiber YNCORIS den Starkregen in einem Brief an die AnwohnerInnen des Chemie„parks“. Klimawandel – nie gehört. Dabei strickt die Chemie-Industrie daran kräftig mit. Neben der Stahl- und der Zementbranche zählt sie zu den größten Emittenten von Kohlendioxid. Auf 3,58 Millionen Tonnen kam allein der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020.
Und Armin Laschet zeigt sich da auch nicht einsichtiger. Er, der im Mai 2019 noch verblüfft konstatierte: „Aus irgendeinem Grund ist das Klima-Thema plötzlich ein weltweites Thema geworden“, fühlt sich noch nicht einmal nach dem Hochwasser bemüßigt, es zu seinem eigenen Thema zu machen. „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht seine Politik“, sagte er am 15. Juli in einem Interview mit dem WDR. ⎜

[Ticker] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Bienenschutz-Blockade
Die Kriterien der Europäischen Union zu Risiko-Prüfungen von Pestiziden berücksichtigen die Bienengefährlichkeit der Mittel nicht ausreichend. Darum hat die EU-Kommission der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA den Auftrag erteilt, die Bienenleitlinie nachzubessern. Dies ist inzwischen erfolgt, aber nun stockt der Prozess. Deutschland und einige andere Länder blocken, da ihnen die Vorschriften zu streng erscheinen. Die Initiative AURELIA hat deshalb bereits 2019 eine Bundestagspetition zur „Reformierung der Risiko-Prüfung von Pestiziden zum Schutz von Bienen und anderen Insekten“ eingereicht. Thomas Radetzki vom AURELIA-Vorstand erläuterte das Anliegen später sogar bei einer Anhörung des Petitionsausschusses. Das war es dann aber auch schon. „Zwei Jahre später müssen die BienenschützerInnen feststellen: Passiert ist nach der im Oktober 2019 erfolgten Anhörung von Thomas Radetzki im Bundestag (...) im Grunde nichts. Die Reformierung der EFSA-Leitlinien zu Bienen und Pestiziden wird auf Bundes- und EU-Ebene weiter systematisch verschleppt“, konstatiert die Organisation.

KAPITAL & ARBEIT

BAYER-Vorstände verdienen 38 Mal mehr
Bei BAYER geht die Gehaltsschere weit auseinander. So streichen die Vorstände 38 Mal mehr ein, als die Beschäftigten beim Leverkusener Multi im Durchschnitt verdienen. Das geht aus einer Erhebung hervor, welche die „Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapier-Besitz“ gemeinsam mit der TU München durchführte. Auf der Hauptversammlung von 2009 hatte eine Vertreterin des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE die Vorstandsriege gefragt, ob sie bereit wäre, die eklatante Lohn-Spreizung erst einmal auf den Faktor 20 zurückzufahren. Sie erhielt jedoch eine schnöde Abfuhr. BAYERs damaliger Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Schneider sprach sich vehement gegen solche „statistischen Grenzen“ aus.

ERSTE & DRITTE WELT

202 BAYER-HHPs in Mexiko
Als „Highly Hazardous Pesticides“ (HHPs) gelten solche Agrochemikalien, die Mensch, Tier und Umwelt in besonderer Weise gefährden. In Mexiko haben 183 dieser HHP-Wirkstoffe eine Zulassung, von denen 140 in anderen Ländern verboten sind. Die 183 HHPs verteilen sich auf 3.140 Produkte. Die mit Abstand meisten dieser Supergifte bietet BAYER an: 202. Dahinter folgt SYNGENTA mit 133 Erzeugnissen.

Doppelte Standards in Mexiko
BAYER verkauft in Mexiko drei Pestizide, die in der EU wegen ihrer ruinösen Wirkung auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt keine Zulassung (mehr) haben, wie Recherchen des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKS (PAN) und der Initiative INKOTA ergaben. Konkret handelt es dabei sich um den krebserregenden Wirkstoff Spirodiclofen, das Haut, Augen und Schleimhäute angreifende (Beta-)Cyfluthrin und das erbgutschädigende Glufosinat, das im Rest der Welt die BASF vertreibt. Alle drei Substanzen gehören der Gefahrenklasse 1b der Weltgesundheitsorganisation an, in welche die hochgiftigen Agro-Chemikalien fallen. Darüber gibt es nur noch die Gefahrenklasse 1a, die den extrem giftigen Produkten vorbehalten ist.

BAYER in Mexiko
Die Initiative MÉXICO VÍA BERLIN hat im Juni 2021 die Studie „BAYER in Mexiko“ veröffentlicht. Sie widmet sich den Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen, die der Leverkusener Multi in dem Land begangen hat oder noch begeht. So beliefert der Konzern die hauptsächlich in der Gemeinde Villa Guerrero angesiedelte Blumen-Industrie mit seinen Ackergiften, ohne für eine ordnungsgemäße, die ArbeiterInnen schützende Handhabung zu sorgen. Auch verkauft das Unternehmen in dem lateinamerikanischen Staat Pestizide, die innerhalb der EU wegen ihrer Gefährlichkeit verboten sind (s. o.). Zudem leitet es die giftigen Hinterlassenschaften seiner Agrochemie-Fabrik am Standort Ixtacuixtla einfach in die öffentlichen Abwasser-Systeme. Die meisten Probleme aber hat der Global Player in Mexiko mit seiner Anlage für das besonders giftige sechswertige Chrom in der Gemeinde Lechería bereitet. 1975 starben mehrere Kinder, die eine Schule in der Nähe des Firmen-Geländes besucht hatten. Das führte zu massiven Protesten, in deren Folge BAYER das Werk 1978 schließen musste. Zum Nachlass zählten zwischen 75.000 und 120.000 Tonnen Produktionsrückstände. Noch 25 Jahre später fanden sich rund um die Fertigungsstätte hohe Chrom-Konzentrationen in Wasser, Boden und Luft.

Die „Ghana Heart Initiative“
Immer wieder gern betreibt der BAYER-Konzern Entwicklungshilfe zur Selbsthilfe. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den sogenannten „Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen“, die nicht mehr so ganz arm sind und deshalb als Absatzgebiete der Zukunft in Frage kommen. So will der Leverkusener Multi in Ghana etwa „das Gesundheitssystem im Bereich der Herz/Kreislauf-Erkrankungen“ ertüchtigen und Prävention, Diagnose und Behandlung verbessern, um geeignete Ausgangsbedingungen für Geschäfte mit seinem Gerinnungshemmer XARELTO (siehe auch DRUGS & PILLS) zu schaffen. Dazu kooperiert er mit der „Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ (GIZ), der staatlichen „Durchführungsorganisation der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“. Diese dient als Türöffner, spielt ansonsten aber eine untergeordnete Rolle. So bezeichnete der GIZler Carsten Schmitz-Hoffmann das Unterfangen in einem Interview als „unser Projekt ‚Ghana Heart Initiative’ im Auftrag der BAYER AG.“ Und er sprach auch ganz offen darüber, dass das Vorhaben dem Leverkusener Multi helfe, „diesen wachsenden Markt zu stärken“.

POLITIK & EINFLUSS

Handlungspakt mit BAYER & Co.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat einen Handlungspakt mit der Chemie-Industrie geschlossen. Zu den Bündnispartnern gehören der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI), der „Bundesarbeitgeber-Verband Chemie“ (BAVC) und die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). „Eine langfristig starke, international wettbewerbsfähige Chemie- und Pharmaindustrie ist für unser Land von elementarer Bedeutung. Ziel ist es deshalb, die Weichen für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit des Chemie- und Pharma-standorts Deutschland zu stellen“, bekunden die Paktierer. Zu diesem Behufe wollen sie die „Steuer- und Abgabenbelastung der Unternehmen auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau bringen“. Einigkeit besteht auch in der Bewertung der EU-Chemikalienstrategie, die beabsichtigt, „den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu erhöhen“. Das Vorsorge-Prinzip bzw. der gefahren-basierte allgemeine Ansatz dürfe dabei keinesfalls die Grundlage bilden, heißt es im Handlungspakt. Zudem müsse alles „primär im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung erreicht werden“, wie es in dem Dokument heißt. „Exportbeschränkungen für in Europa hergestellte Produkte“ schließen die Partner ohne „international abgestimmte und harmonisierte Vorgaben“ aus. Klimaschutz ist für sie schön und gut, rechnet sich aber leider nicht immer. Daher braucht es flankierende Maßnahmen. „Entlastungen zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit wie die besondere Ausgleichsregelung, die Eigenstrom-Entlastung, die freie Zuteilung von Emissionsrechten, die Strompreis-Kompensation, die Energie- und Stromsteuer-Entlastungen und eine Förderung der Kraft/Wärmekoppelung haben auch weiterhin eine zentrale Bedeutung für die Chemie-Branche“, hält das Papier fest. Sich gegen die Risiken und Nebenwirkungen der globalen Wertschöpfungsketten im Arznei-Bereich zu versichern, ist ebenfalls nicht umsonst zu haben: „Wir wollen marktwirtschaftliche Anreize setzen, um die Liefersicherheit im patentfreien Bereich (...) zu verbessern.“ Im Klartext: Die Rückverlagerung von Pharma-Produktionen erfordert Subventionen. Politischen Rückhalt bekommen die Konzerne schließlich auch für das im Zuge der Corona-Pandemie massiv in die Kritik geratene Patentsystem. Das Bündnis spricht sich dafür aus, den Schutz des geistigen Eigentums zu stärken.

Strom zum Schnäppchen-Preis
Seit Jahr und Tag klagen BAYER & Co. über zu hohe Strom-Kosten (s. o.). Dabei zahlen die Unternehmen viel weniger als die Privat-Haushalte. Während die Kilowattstunde für diese mit 32 Cent zu Buche schlägt, muss die energie-intensive Industrie nur rund zehn Cent aufbringen. Diverse Rabatt-Regelungen, etwa beim Strom-Bezug, bei der Strom- und Energiesteuer und der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), machen’s möglich.

BAYER im develoPPP-Programm
„Mit develoPPP fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) privatwirtschaftliche Vorhaben dort, wo unternehmerische Chancen und entwicklungspolitisches Potenzial zusammentreffen“, heißt es auf der Website von develoPPP in bemerkenswerter Offenheit. Ein Projekt des BAYER-Konzerns in Indien, bei dem zusätzlich die „Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) und als Partner vor Ort MAVIM mit an Bord sind, erfüllte für die Organisation diese Kriterien. Deshalb machte sie Geld für die „Public Private Partnership“ locker. Der Leverkusener Multi will in dem Land solche Frauen auf dem Land beim Ackerbau unterstützen, die alleine zurückbleiben, wenn ihre Männer in den großen Städten arbeiten. Als Mittel der Wahl dazu hält der Leverkusener Multi neben einer Gesundheitsberatung das Übliche bereit, Pestizide und Saatgut aus der laufenden Produktion. Sonst wäre es ja auch nichts mit dem develoPPP-Wahlspruch: „Where business meets development“.

Sitz im GIZ-Kuratorium
Die „Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) setzt die bundesdeutsche Entwicklungshilfe-Politik praktisch um. Dabei kooperiert die GIZ nicht nur mit BAYER und anderen Unternehmen (siehe ERSTE & DRITTE WELT), sie räumt ihnen auch Sitze in ihrem Kuratorium ein. Für den Leverkusener Multi hat Dr. Monika Lessl in dem Gremium Platz genommen, die Leiterin der Stiftungen „BAYER Science Foundation“ und „BAYER Cares Foundation“.

BAYER reorganisiert „Corporate Affairs“
Der BAYER-Konzern strukturiert in den USA seine Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit um. Er trennt PR-Aktivitäten und politische Einflussarbeit; sie laufen künftig nicht mehr unter dem gemeinsamen Dach „U.S. Corporate Affairs“. Der Agro-Riese will mit diesen Veränderungen beide Bereiche stärken und besser an seiner globalen Struktur ausrichten. Nicht ganz zufällig vollzieht er diesen Schritt parallel zum Machtwechsel in den Vereinigten Staaten. Nicht zuletzt ist nämlich „die Verbesserung unserer Reputation und der Aufbau von Beziehungen zu der neuen Administration“ Sinn der Übung. Just zu diesem Behufe sucht wohl auch Raymond F. Kerins, der bisher den „U.S. Corporate Affairs“ vorstand, „neue Herausforderungen“, wie es bei solchen Gelegenheiten immer unschön heißt. Er war offensichtlich ein Trump-Mann.

Extrem-Lobbying für Gentechnik 2.0
BAYER & Co. versuchen mit allen Lobby-Mitteln, die neuen Methoden zur Veränderung des Erbguts wie etwa CRISPR/Cas nicht unter das Rubrum „Gentechnik“ fallen zu lassen, um den Verfahren die entsprechenden Regulierungen durch die EU zu ersparen. Das dokumentiert das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) in einem neuen Report. So organisierte die industrie-nahe „European Plant Science Organisation (EPSO) Zusammenkünfte mit wichtigen FunktionsträgerInnen der Mitgliedsländer wie etwa MitarbeiterInnen des Julius-Kühn-Instituts. Auch die „Bill and Melinda Gates Foundation“ (BMGF) mischt kräftig mit. Sie zählt zu den Mitgründern von „Re-Imagine Europe“. Diese Einrichtung gründet selbst auch fleißig mit, etwa die „Task Force for Sustainable Agriculture and Innovation“, in deren ExpertInnen-Gremium Bernd Halling und Annick Pleysier von BAYER sitzen. Das „Flämische Institut für Biotechnologie“ (VIP), mit dem der Leverkusener Multi kooperiert, antichambriert ebenfalls heftig gegen strenge Auflagen für die neuen Gentechniken. „Die hier beschriebene Lobby-Kampagne, die weitgehend unter dem Radar blieb, ist nichts weniger als ein Angriff auf die Umwelt- und Verbraucherschutzgesetzgebung der EU“, hält CEO zur Einflussarbeit der Konzerne in Brüssel fest.

Bloggen für BAYER
„Warum Glyphosat für mich auch gute Seiten hat“, legte der Landwirt Willy Kremer-Schillings einmal in einem Gastbeitrag für die Rheinische Post dar. Einen Hauptgrund verschwieg er dabei aber: Er bekommt von BAYER & Co. Geld dafür, solche Meinungen zu vertreten. Bauer ist Kremer-Schillings nämlich nur im Neben-Nebenerwerb. Hauptberuflich verkauft er Pestizide und Kunstdünger und betreibt unter dem Künstlernamen „Bauer Willy“ einen Blog. Darin wirbt er für Ackergift und Gentechnik, verharmlost die Gefahr von Kunstdünger-Rückständen und versucht die Landwirtschaftspolitik im Sinne der Agrar-Lobby zu beeinflussen. In seinem Buch „Sauerei“ verteidigt er laut taz „seitenweise Agrarchemie-Konzerne wie die BAYER-Tochter MONSANTO“. Dementsprechend zeigen sich die ÖffentlichkeitsarbeiterInnen des Leverkusener Multi stets begeistert darüber, „was ein gewisser Bauer Willy“ alles so lostritt. Auch NGO-Watch gehört zu dessen Arbeitsfeldern. „Ständige Analyse der Kampagnen“ verspricht er seinen Geldgebern. Und Kremer-Schillings ist nicht allein. Sein „Bauer Willy“ hat derweil viele Ableger im Netz wie z. B. den Blog „Ich liebe Landwirtschaft“, den Jutta Zeisset mit freundlicher Unterstützung von BAYER & Co. betreibt.

Auch 2022 Online-HVs
Schon lange vor Corona hatten BAYER & Co. mit der Abkehr von Präsenz-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen besser vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit dazu, was BAYER als erster DAX-Konzern nutzte. Im September 2021 erteilte der Gesetzgeber den Unternehmen nun das Recht, auch im nächsten Jahr wieder ins Virtuelle zu flüchten. Es blieb bei einer Mahnung, dabei besonnen vorzugehen. „Auch wenn die Erleichterungen somit noch bis einschließlich 31. August zur Verfügung stehen, sollte von diesem Instrument im Einzelfall nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemie-Geschehens und im Hinblick auf die Teilnehmer-Zahl der jeweiligen Versammlung erforderlich erscheint“, heißt es in der Beschluss-Empfehlung. Und Heribert Hirte, der zuständige Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hebt den Ausnahme-Charakter der Bestimmung hervor, die nicht so einfach auf Dauer zu stellen ist. „Dabei handelt es sich ausdrücklich um eine Übergangsregelung, die für die Zukunft der Online-Hauptversammlung nur begrenzte Vorbild-Funktion haben kann“, so Hirte.

EPA gelobt Besserung
Unabhängig war die US-amerikanische Umweltbehörde EPA nie, aber unter Donald Trump nahm der politische und wirtschaftliche Einfluss noch einmal stark zu. So diente sich die „Environment Protection Agency“ dem Leverkusener Multi in einem Glyphosat-Entschädigungsprozess sogar einmal als Entlastungszeuge an, der dem umstrittenen Herbizid einen Persilschein ausstellte. Auch erhielten die WissenschaftlerInnen die Anweisung, sich bei ihren Pestizid-Analysen ausschließlich auf Daten der Hersteller zu stützen. Damit nicht genug, bearbeiteten die Abteilungsleiter die Analysen anschließend noch. Auf diese Weise verschwanden aus einer Expertise zum BAYER-Pestizid Dicamba plötzlich Passagen über das Gefährdungspotenzial des Mittels. Der neue US-Präsident Joe Biden will diese Entwicklung aber rückgängig machen. „Heute unterschreibe ich ein präsidiales Memorandum, das klarstellt, dass wir unsere Weltklasse-Wissenschaftler vor politischer Einmischung schützen und sicherstellen werden, dass sie frei denken, forschen und sprechen können“, sagte er Ende Januar 2021. Und die Behörde selber kündigte unter ihrem neuen Direktor Michael S. Regan konkrete Maßnahmen an: „Diese Administration ist verpflichtet, mutmaßliche Verstöße gegen die wissenschaftliche Integrität zu untersuchen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle Entscheidungen der EPA auf der Grundlage strenger wissenschaftlicher Informationen und Standards getroffen werden.“ Der Bericht zu den ominösen Umständen der Dicamba-Zulassung im Jahr 2018 liegt bereits vor (siehe auch Ticker 3/21).

EPA überprüft Glyphosat-Entscheidung
Im Zuge eines Klage-Verfahrens gegen die vorläufige Glyphosat-Zulassungsverlängerung räumte die US-Umweltbehörde EPA gravierende Fehler bei der Genehmigung des Pestizides ein. Darum beantragte sie vor Gericht, den von Umweltverbänden und anderen Gruppen angestrengten Prozess vorerst auszusetzen, um die Entscheidung vom Januar 2020 überprüfen zu können. Konkret hält es die „Environment Protection Agency“ für notwendig, schädigende Effekte von Glyphosat auf Monarchfalter-Populationen genauer zu untersuchen und die Gefahren detaillierter zu analysieren, die bei der Ausbringung des Herbizids durch Verwehungen auf teilweise weit entfernte Ackerflächen drohen. Den KlägerInnen – unter anderem die Organisationen „Center for Food Safety“ (CFS), „Farmworker Association of Florida“ und „Beyond Pesticides“ – geht die Umweltbehörde in ihrem Antrag nicht weit genug. Sie verlangen von der Agency, auch die von der Agro-Chemikalie ausgehenden Gefährdungen für die menschliche Gesundheit nochmals in Augenschein zu nehmen. Dazu zitierten sie aus einer im Giftschrank verschwundenen EPA-internen Untersuchung, die „überzeugende Belege“ für einen Zusammenhang zwischen einer Glyphosat-Exposition und der Entstehung des Non-Hodgkin-Lymphoms, einer speziellen Art des Lymphdrüsen-Krebses, fand. Zudem fordern CFS & Co. die „Environment Protection Agency“ auf, die Glyphosat-Zulassung für die Zeit der Neubewertung auszusetzen.

VCI kritisiert GDL
Der „Verband der Chemischen Industrie“ mischte sich in den Tarifstreit zwischen der DEUTSCHEN BAHN und der Gewerkschaft GDL ein. „Die Streiks der GDL kommen zur Unzeit. Denn sie verstärken die derzeitigen Engpässe in den Lieferketten“, erklärte die Interessensvertretung von BAYER & Co. Dem VCI zufolge verzögern die Arbeitsniederlegungen auch die Auslieferung der Produkte an die Kundschaft. Im Zuge des Streiks fand der Verband sogar einmal Gelegenheit, an den Klimaschutz zu denken und dabei dichterische Höhen zu erklimmen: „Mit dem neuen Ausstand wird der klima-politisch sinnvollen Verlagerung von der Straße auf die Schiene ein Prellbock aufs Gleis gestellt.“

DRUGS & PILLS

BAYER kauft VIVIDION
Im Pharma-Bereich setzt BAYER kaum noch auf Entwicklungen aus den eigenen Forschungsabteilungen. Der Konzern geht lieber auf Nummer sicher und kauft vielversprechende Unternehmen auf. So erwarb er im August 2021 die US-Firma VIVIDION für 1,5 Milliarden Dollar. Zusätzlich stellte der Global Player noch Erfolgsprämien bis zu einer Höhe von 500 Millionen Dollar in Aussicht. VIVIDION hat eine Technologie entwickelt, um krankheitserregende Proteine aufzuspüren, an die bisher nicht heranzukommen war. „Trotz der Fortschritte in der Genomik, der Struktur-Biologie und dem Hochdurchsatz-Screening können etwa 90 % der krankheitserregenden Proteine nicht mit den derzeitigen Therapien angesprochen werden, da es keine bekannte adressierbare Bindungsstelle gibt. Unsere firmen-eigene Chemoproteomik-Plattform überwindet die wesentlichsten Einschränkungen konventioneller Screening-Verfahren und ermöglicht uns, bisher unbekannte oder verborgene funktionelle Taschen auf der Oberfläche von Proteinen zu entdecken und niedermolekulare Wirkstoffe zu identifizieren, die sich selektiv an diese Targets binden“, so VIVIDION-Chef Jeff Hatfield. Der Leverkusener Multi erhofft sich von dieser Plattform Durchbrüche bei der Entwicklung von Pharmazeutika gegen Krebs, immunologische Erkrankungen und Reizdarm. In ihre Pillen-Sparte integrieren will die Aktien-Gesellschaft VIVIDION vorerst nicht. Sie lässt den Zukauf – wie schon ihre letzte große Akquisition ASKBIO – weiter selbstständig operieren, „um den Unternehmer-Geist als wesentliche Grundlage für erfolgreiche Innovation beizubehalten“.

China lässt VITRAKVI-Test zu
Im Jahr 2018 erwarb BAYER von LOXO die Vertriebsrechte für das Pharmazeutikum VITRAKVI (Wirkstoff: Larotrectinib). Das Mittel kommt bei einer Art von Krebs zur Anwendung, die durch ein Zusammenwachsen bestimmter Gene entsteht und äußerst selten auftritt. Allerdings ist es schwierig, diese Mutation zu erkennen. Deshalb arbeitet der Pharma-Riese mit mehreren Firmen zusammen, um Tests zu kreieren, welche die Gen-Fusionen nachweisen. ORIGIMED entwickelte ein solches Diagnose-Werkzeug, das im August 2021 seine Zulassung für den chinesischen Markt erhielt. Damit eröffnen sich dem Leverkusener Multi glänzende Profit-Aussichten. Bereits existierende Tests schlagen nämlich mit bis zu 5.000 Dollar zu Buche. Darum investierte das Unternehmen bereits vor zwei Jahren 70 Millionen Dollar in die Kampagne „Test your Cancer“ (siehe auch Ticker 4/19).

Zahlreiche XARELTO-Nebenwirkungen
BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO löst immer wieder schwere Gesundheitsstörungen aus. 120.694 Meldungen über gravierende Nebenwirkungen gingen bis zum 20. September 2021 bei der Europäischen Datenbank für unerwünschte Arzneimittel-Effekte ein.

Neue XARELTO-Indikation
Nach der EU erteilten nun auch die USA BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO (Wirkstoff: Rivaroxaban) trotz vieler Risiken und Nebenwirkungen (s. o.) die Zulassung zur Herzinfarkt- und Thrombose-Prophylaxe bei PatientInnen, die unter der arteriellen Verschluss-Krankheit leiden.

Neue MIRENA-Zulassung
BAYERs Langzeit-Verhütungsmittel MIRENA hat Nebenwirkungen wie nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen, Unruhe, Schlaflosigkeit, Bauchkrämpfe und Oberbauchschmerzen. Deshalb sah sich der Leverkusener Multi in den Vereinigten Staaten bereits mit fast 3.000 Klagen konfrontiert, die zu Entschädigungszahlungen in Millionen-Höhe führten. Trotzdem erteilte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde dem Pharma-Riesen jetzt die Genehmigung, die Hormon-Spirale in einer Variation zu vermarkten, die nicht mehr nur sechs, sondern sieben Jahre vor einer ungewollten Schwangerschaft schützt.

BAYER testet mit VERACYTE
Der BAYER-Konzern hat seltene Krebs-Arten als Geschäftsfeld entdeckt. Um die „Präzisionsonkologie“ aber erfolgreich betreiben zu können, bedarf es Diagnose-Apparaturen, die diese speziellen Tumore identifizieren (s. o.). Eine solche entwickelte das US-Unternehmen VERACYTE, mit dem der Leverkusener Multi deshalb im Dezember 2020 eine Zusammenarbeit vereinbart hat. Die Zielgruppe der Tests sind dem Leverkusener Multi zufolge PatientInnen mit einer veränderten Form von Schilddrüsen-Krebs, die nicht auf eine Bestrahlung mit radioaktivem Jod ansprechen. Und natürlich hat der Pharma-Riese für diese Personen-Gruppe dann das passende Medikament im Angebot.

Infarkt-Prophylaxe mit ASPIRIN
Unermüdlich preist der BAYER-Konzern ASPIRIN als Mittel zur Vorbeugung vor Herz/Kreislauferkrankungen an. Bei Menschen, die schon einmal einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten hatten, sehen die MedizinerInnen das durchaus auch als sinnvoll an. Aber die Konzern-Propaganda verfängt nicht nur bei solchen Personen. Rund ein Drittel der Bevölkerung über 40 schluckt die Tabletten mit dem Inhaltsstoff Acetylsalicylsäure (ASS) regelmäßig und setzt sich damit gefährlichen Nebenwirkungen aus. „Was viele nicht bedenken: Auch geringe Mengen ASS wirken blutverdünnend oder können Blutungen hervorrufen“, warnt der Kardiologe Thomas Meinertz deshalb.

Viele Gadolinium-Risiken
BAYERs Röntgen-Kontrastmittel haben es in sich. Bei ihren Inhaltsstoffen handelt es sich nämlich um Abkömmlinge des Schwermetalls Gadolinium. GADOVIST enthält Gadobutrol, PRIMOVIST Gadoxet-Säure und MAGNEVIST Gadopentent-Säure. Diese Substanzen vermögen bei Nierenkranken eine Fibrose auszulösen, ein unkontrolliertes Wachstum des Bindegewebes. Zu den anderen in der Fachliteratur beschriebenen Risiken und Nebenwirkungen gehören Herzrhythmus-Störungen, Muskel-Zuckungen, Blutdruck-Schwankungen und Leberschäden. Die Darreichungsform der Mittel, bei welcher der Wirkstoff in einer leichter auflösbaren Form vorliegt, mussten die Hersteller deshalb bereits im Jahr 2018 aus dem Verkehr ziehen. Parallel dazu veranlassten die Gesundheitsbehörden BAYER & Co. damals, die MedizinerInnen in einem Rote-Hand-Brief vor einem allzu leichtfertigen Umgang mit den Pharmazeutika zu warnen. „Ärzte sollten gadolinium-haltige Kontrastmittel nur dann anwenden, wenn essenzielle diagnostische Informationen mit einer Magnetresonanz-Tomographie ohne Kontrast-Verstärkung nicht gewonnen werden können“, hieß es darin unter anderem. Aber das „Bundesinstitut für Arzneimittel-Produkte“ (BfArM) sieht noch weiteren Handlungsbedarf. So verpflichtete es BAYER & Co., künftig alle zwölf Monate einen Sicherheitsbericht zu den Präparaten vorzulegen – bisher hatten sie dazu fünf Jahre Zeit. „Das BfArM nimmt die Sorgen und Nöte der betroffenen Patienten sehr ernst“, erklärte die Einrichtung und kündigte überdies an, „auch weiterhin risiko-minimierende Maßnahmen im Sinne der Anwendungs- und Patienten-Sicherheit auf europäischer Ebene einbringen, fachlich diskutieren und ggf. auch durchsetzen“ zu wollen.

Kontrazeptiva: Appell an ÄrztInnen
Kombinierte hormonale Kontrazeptiva (KHK) der dritten und vierten Generation wie die Präparate aus BAYERs YASMIN-Produktreihe stehen seit Jahren wegen des von ihnen ausgehenden erhöhten Thrombose-Risikos in der Kritik. Während sich unter YASMIN, YAZ, YASMINELLE & Co. bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen ein Blutgerinnsel bildet, kommt es bei älteren Arzneien mit den Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nur bei 5 bis 7 von 10.000 Frauen dazu. Darum richteten das „Bundesinstitut für Arzneimittel-Produkte“ und das „Paul-Ehrlich-Institut“ in ihrem Bulletin zur Arzneimittel-Sicherheit jetzt noch einmal einen eindringlichen Appell an die MedizinerInnen, die Verhütungsmittel mit den am wenigsten gefährlichen Inhaltsstoffen zu verschreiben. „Wir bitten Sie, diese Informationen und Empfehlungen, insbesondere die Verordnung der KHK mit dem geringsten Risiko für venöse Thromboembolien (...), bei der Beratung und Anwendung zu berücksichtigen und uns Nebenwirkungen bei der Anwendung zu melden“, hieß es in der Publikation.

Kein TTP durch CIPROBAY
Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen verursachen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hin-aus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachteten die MedizinerInnen schon. Da sich in letzter Zeit zudem Meldungen über das Entstehen von kleinen, sich im gesamten Körper ausbreitenden Blutgerinnseln nach der Einnahme der Präparate häuften, leitete die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ (EMA) ein Prüfverfahren ein. Dieses bestätigte den Verdacht jedoch nicht. Darum müssen BAYER & Co. die Warnhinweise auf den Beipackzetteln nicht ändern.

Parkinson-Therapie im Test
In den USA haben haben mehrere klinische Prüfungen mit Parkinson-Behandlungsverfahren der BAYER-Tochter ASKBIO begonnen (siehe auch GENE & KLONE). Die Beschwerden der PatientInnen, deren Organismus der Neurotransmitter Dopamin fehlt, was zu Symptomen wie Zittern, Krämpfen und Steifheit führt, will der Leverkusener Multi unter anderem mit einer Zelltherapie lindern. So implantierten MedizinerInnen den Kranken etwa Neuronen, die aus pluripotenten Stammzellen gewonnenes Dopamin enthalten, um eine Verbesserung ihres Gesundheitszustands zu erreichen.

BITS & BYTES

Immer mehr digitale Landwirtschaft
Die Digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. BAYER hat dazu das Tool „FieldView“ im Angebot und preist es den FarmerInnen mit einigem Erfolg als probates Mittel an, um „Risiken aktiv zu managen, die Produktivität zu steigern und Betriebsabläufe zu vereinfachen“. Kam die Plattform im Jahr 2018 auf einer Fläche von 24 Millionen Hektar zum Einsatz, so waren es 2020 bereits 60 Millionen Hektar. Vor allem Großbauern und -bäuerinnen in rund 20 Ländern der Erde mit entsprechend viel Kapital nutzen die Technologie. Jüngst brachte BAYERs Digital-Tochter CLIMATE CORPORATION „FieldView“ auch in Südafrika auf den Markt. Dabei versichert der Konzern seinen KundInnen stets „die volle Kontrolle über ihre Daten“. Wie wenig solche Beteuerungen wert sind, zeigte im Frühjahr 2020 ein Vorfall in den USA. Dort ging die CLIMATE CORPORATION eine Partnerschaft mit der Firma TILLABLE ein, die eine Handelsplattform für Ackergrund betreibt. Bereits unmittelbar nach der Vereinbarung der Kooperation erhielten LandwirtInnen dann unmoralische Angebote für ihr Farmland. Das warf Fragen nach der Daten-Sicherheit von FIELDVIEW auf und trug BAYER einen massiven Shitstorm ein. Schließlich war der Agro-Riese gezwungen, den Vertrag mit TILLABLE zu kündigen.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat-Studien mangelhaft
Der Wiener Toxikologe Siegfried Knasmüller hat große Mängel in den Glyphosat-Studien festgestellt, die im Jahr 2017 zur Zulassungsverlängerung des Herbizids innerhalb der EU führten. Als „ein Desaster“ bezeichnete er die von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO und anderen Herstellern eingereichten Untersuchungen gegenüber dem Spiegel. Von den 53 Arbeiten, die der Forscher analysierte, sieht er nur zwei als zuverlässig an und 17 als „teilweise zuverlässig“, 34 hingegen als „nicht zuverlässig“. So finden sich unter den Werken, welche die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA nach einer Klage der Initiative SumOfUs herausrücken musste, laut Knasmüller kaum wirkliche Krebs-Studien. Die meisten widmen sich der potenziellen Gen-Toxizität von Glyphosat, was lediglich Hinweise auf eine karzinogene Wirkung gibt. Noch dazu hat die Industrie diese Tests vornehmlich am falschen Objekt vorgenommen. Sie wählte Knochenmark-Zellen, die viel weniger Aufschluss über eine mögliche Krebs-Gefahr geben als Leberzellen. Zudem kam bei keiner einzigen der Arbeiten die „Comet Assay“-Technik zur Anwendung, die einen genaueren Aufschluss über DNA-Schädigungen gibt. Damit nicht genug, entdeckte der Wissenschaftler in den Versuchsreihen auch noch methodische Mängel wie die Verwendung einer zu geringen Zahl von Zellen oder Bakterien-Stämmen. Das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung (BfR), das während des Genehmigungsverfahrens die Federführung bei der Begutachtung innehatte, stützte sich bei seinem positiven Glyphosat-Urteil auf 45 der von Knasmüller inkriminierten Studien. „Wie derart fehlerhafte Berichte von Zulassungsbehörden wie dem BfR akzeptiert werden konnten, ist mir ein völliges Rätsel“, wundert sich der Toxikologe deshalb. Für die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zeigte dessen Befund einmal mehr, dass Handlungsbedarf in Sachen „Glyphosat“ besteht. „Glyphosat muss endlich vom Markt! BAYER muss haften! Die Opfer müssen entschädigt werden! Die Verantwortlichen gehören hinter Gitter!“, hieß es in ihrer Presseerklärung.

Flächendeckender Glyphosat-Einsatz
In den USA beläuft sich der jährliche Glyphosat-Einsatz nach Angaben der Agrar-Wissenschaftlerin Maria R. Finckh auf ein Kilogramm pro Hektar.

Glyphosat macht resistent
Die Patentschrift bescheinigt Glyphosat auch eine Wirkung als Antibiotikum. Das bringt jede Menge Nebenwirkungen mit sich. So wirbelt dieser Effekt den Bakterien-Haushalt im Darm von Kühen und Bienen durcheinander, was die Tiere anfälliger für Krankheiten werden lässt. Zudem sorgt er für die Ausbreitung von Resistenzen. Die Forscherin Ariena von Bruggen fand schon Zitrusfrüchte, die nicht mehr auf Antibiotika reagieren, weil sie eine Überdosis Glyphosat intus hatten. Über die Nahrungskette kann sich diese Unempfindlichkeit auch auf den Menschen übertragen, was große Gesundheitsrisiken birgt. Die Agrar-Wissenschaftlerin Maria R. Finckh (s. o.) warnt deshalb: „Meiner Meinung nach darf man nicht allein Tierhalter und Kliniken für hohe Antibiotika-Einträge in die Umwelt und die Entstehung multiresistenter Keime verantwortlich machen. Schuld an der Resistenz-Entwicklung ist auch die Tatsache, dass mit behördlicher Genehmigung flächendeckend und in großen Mengen Glyphosat eingesetzt wird.“

Glyphosat verseucht Wälder
Die Inwertsetzung von Wäldern macht aus diesen simple Holz-Plantagen. Oftmals bestehen die Areale aus Fichten- und Tannen-Monokulturen, da diese Bäume schnell wachsen und dementsprechend schnell zu Geld zu machen sind. Damit neben diesen Pflanzungen nichts anderes aus dem Boden sprießt, kommt in der kanadischen Provinz British Columbia per Flugzeug ausgebrachtes Glyphosat zum Einsatz. Auf einer Fläche von bis zu 1,3 Millionen Hektar geht das Herbizid nieder. Mit entsprechenden Folgen, wie jetzt WissenschaftlerInnen der „University of Northern British Columbia“ zeigten. Das Team um Nicole Botten wies in Himbeeren und Heidelbeeren Glyphosat-Rückstände nach, die sich – entgegen den Behauptungen BAYERs – bis zu ein Jahr hielten. In anderen Gewächsen überdauerte das Mittel sogar bis zu zwölf Jahre. Besonders Indigene, die in den Forsten Früchte oder Heilkräuter sammeln, leiden dem Journalisten Peter Ewart zufolge unter den Kontaminationen.

Glyphosat-Teilrückzug ab 2023
Ende Mai 2021 hatte der BAYER-Konzern die Vergleichsverhandlungen in Sachen „Glyphosat“ platzen lassen (siehe SWB 3/21). Nach der Ablehnung seines Vorschlages zur Beendigung der juristischen Auseinandersetzungen durch den zuständigen Richter Vince Chhabria mochte der Agro-Riese keinen neuen – mit Nachbesserungen vor allem im Umgang mit Klagen von neuen Geschädigten – mehr vorlegen. Stattdessen präsentierte er einen „Fünf-Punkte-Plan“. Dieser sieht auch einen Vermarktungsstopp des Herbizids für den Haus- und Gartensektor in den Vereinigten Staaten vor, denn die meisten Entschädigungsansprüche stammen von Privat-KundInnen. Ein Schuldeingeständnis sieht der Leverkusener Multi damit allerdings nicht verbunden. „Dieser Schritt ist ausschließlich der Minimierung von Rechtsrisiken geschuldet und reflektiert in keinerlei Hinsicht etwaige Sicherheitsbedenken“, erklärte er. Ende Juli nannte das Unternehmen schließlich ein konkretes Datum für den Ausstieg. Ab 2023 beabsichtigt er, die Produkte durch Erzeugnisse mit anderen Wirkstoffen zu ersetzen.

Viele Ultra-Gifte im BAYER-Portfolio
In BAYERs Produkt-Palette finden sich viele besonders gefährliche Pestizide, so genannte highly hazardous pesticides (HHPs). Unter diese Kategorie fallen Ackergifte, die Krebs verursachen, die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen, das Erbgut verändern, hormon-ähnlich wirken, bienengefährlich sind und/oder die Ozonschicht schädigen. Der Anteil solcher Agro-Chemikalien im Angebot des Leverkusener Multis beträgt 36,7 Prozent (Stand: 2019).

50 Notfall-Zulassungen
„Wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist, kann das ‚Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit’ kurzfristig das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung und für maximal 120 Tage zulassen“, heißt es auf der Webpage der Behörde. Im Jahr 2019 erteilte das BMEL 50 Mal die Lizenz zur Ausbringung eines eigentlich schon verbotenen Pestizids. So durften die bundesdeutschen LandwirtInnen etwa BAYERs MOVENTO SC 100 (Wirkstoff: Spirotetramat) und CERONE (Ethephon) wieder einsetzen.

Neue HUSKIE-Formulierung
Der BAYER-Konzern bringt ein neues Herbizid aus seiner HUSKIE-Produktfamilie heraus. HUSKIE FX enthält die drei Wirkstoffe Pyrasulfotole, Bromoxynil und Fluoxypyr, ist für Getreide-Kulturen bestimmt und macht unter anderem dem Besenkraut den Garaus.

Mehr Gift trotz Gentechnik
Die Gentechnik führt zu einer Reduzierung des Pestizid-Gebrauchs – mit diesem Versprechen bewerben BAYER & Co. ihre Labor-Kreationen. Unzählige Studien haben das mittlerweile widerlegt. Eine neue Untersuchung der Universität Koblenz für Herbizide bestätigt den Befund nun noch einmal. Die WissenschaftlerInnen ermittelten für die „ausgebrachte Toxizität“ auf US-amerikanischen Gensoja- und Genmais-Feldern in den letzten Jahren stark erhöhte Werte.

Veränderungen im Insektizid-Gebrauch
Nach einer Untersuchung der Universität Koblenz (s. o.) nahm die Gesamtmenge der ausgebrachten Insektizide in den USA von 1992 bis 2016 um 40 Prozent ab. Sonderlich erfreulich ist das trotzdem nicht, denn gleichzeitig erhöhte sich die Wirkstärke der Mittel. Darunter litten vor allem wirbellose Tiere wie Insekten, während sich die Vogel- und Fisch-Populationen durch die Entwicklung etwas erholen konnten.

PFLANZEN & SAATEN

Vier neue Mais-Sorten
Das Bundessortenamt hat vier neuen Mais-Arten der BAYER-Tochter DEKALB zugelassen. Bei den Produkten DKC 3410, DKC 3414, DKC 3418 und DKC 3419 handelt sich um hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete Ackerfrüchte. Der Leverkusener Multi hebt besonders das hohe Ertragspotenzial der Pflanzen hervor und empfiehlt als Verwendungszweck vornehmlich „Tierfutter“ und „Biogas-Produktion“.

GENE & KLONE

Übergriffige Bt-Baumwolle
Die Baumwolle von BAYER und anderen Herstellern, die mittels eines gentechnischen Verfahrens mit dem Bacillus thuringiensis zum Schutz vor Schadinsekten bestückt ist, kreuzt immer mehr aus. In Mexiko finden sich schon in 60 Prozent aller konventionellen Baumwoll-Pflanzen Spuren der Laborfrucht. Und das verändert den Organismus der Gewächse. So wirken sich die Fremdgene etwa auf die Menge des Nektars aus, den die wilden Arten zur Abwehr von Ameisen produzieren.

Immer mehr Bt-Resistenzen
Immer mehr Schadinsekten bilden Resistenzen gegen die mit dem Bacillus thuringiensis (Bt) bestückten Gen-Pflanzen von BAYER & Co. aus. In China kann das Bt dem Baumwollkapsel-Wurm nicht mehr trotzen und in Brasilien der Weißen Fliege, auf die das Gift des Bakteriums inzwischen sogar fruchtbarkeitsfördernd wirkt.

BAYERs RNAi-Mais
Der BAYER-Konzern setzt massiv auf die Gentechnik 2.0. Rund 100 Patent-Anträge hat er in diesem Bereich schon beim Europäischen Patentamt eingereicht und bis jetzt sieben positive Bescheide erhalten. 2022 startet der Leverkusener Multi in den USA nun mit der Vermarktung der ersten Pflanze, in der eine der neuen Prozeduren zur Anwendung kommt. Dabei handelt es sich um einen Mais der SMARTSTAX-PRO-Produktreihe (siehe auch Ticker 3/21), der die Ribonukleinsäure-Interferenz (RNAi) gegen den Maiswurzelbohrer in Anschlag bringt. Das Verfahren basiert auf der RNA des für das Schadinsekt überlebenswichtigen Gens SNF7. Das Tier nimmt es beim Knabbern an der Pflanze auf und hält es wegen seiner doppelsträngigen Struktur für einen Virus, womit der Prozess der Selbstzerstörung beginnt. Allerdings hat die RNA ein Manko, sie ist – was die Umwelt freut und den Leverkusener Multi ärgert – biologisch leicht abbaubar. Deshalb hält sich seine Wirkung in Grenzen. Die Nebenwirkungen können sich jedoch schon sehen lassen. Die Ribonukleinsäure kann mit der Darmflora von Mensch und Tier interagieren, in den Blutkreislauf gelangen und sogar in die Steuerung von Genen eingreifen. Das ficht den Agro-Riesen jedoch nicht an. Seine ForscherInnen arbeiten zurzeit daran, die RNAi-Effekte mittels Hilfsstoffen zur verstärken, aber bis es so weit ist, bestücken sie die SMARTSTAX-Ackerfrüchte noch mit den üblichen Accessoirs aus der Gentech-Küche: Dem Bacillus thuringiensis (Bt) und/oder Resistenzen gegen Glyphosat und Glufosinat.

Mehr Maiskörner dank Gentech 2.0
WissenschaftlerInnen der Universität Harvard haben vor einiger Zeit eine neue Gentechnologie entwickelt. Bei dem sogenannten Base Editing handelt es sich um eine Art Genome Editing ohne Editing. Die Ziel-DNA wird nicht mehr aufgeschnitten, sie fusioniert vielmehr mit dem Protein, das die gewünschte Gen-Veränderung bewirkt – eine angeblich präzisere Methode als das Gen-Schnippeln mit CRISPR/Cas & Co. Die US-Firma PAIRWISE hat von der Hochschule eine Lizenz zum Gebrauch des Verfahrens erworben, und auch der BAYER-Konzern hat darauf Zugriff. Er schloss mit PAIRWISE nämlich im Jahr 2018 einen millionen-schweren Kooperationsvertrag ab. Die erste Frucht dieser Zusammenarbeit hat gerade die Phase 1 des Feldversuchs erfolgreich absolviert: Ein Mais mit mehr Körnern, um die „Effizienz der Ernte zu steigern“. In diesem Ziel weiß sich der Agro-Riese immer mit der industriellen Landwirtschaft einig, denn Profit-Interesse verbindet.

Weizenzucht 2.0
Die Gentechnik führt zu einer Reduzierung des Pestizid-Gebrauchs – dieses Versprechen, das die alten Verfahren nicht halten konnten (siehe auch AGRO & CHEMIE), geben BAYER & Co. jetzt auch für die Gentechnik 2.0 ab. So will der Leverkusener Multi gemeinsam mit mehr als 50 weiteren Unternehmen im Rahmen des Forschungsprojekts PILTON einen Weizen kreieren, der dem Pilz-Befall besser trotzt und deshalb nicht so viele Fungizid-Duschen benötigt.

Gefahr durch CRISPR/Cas
BAYER setzt sowohl im Pharma- als auch im Agro-Bereich stark auf die „Gentechnik 2.0“. Einen Schwerpunkt bildet dabei die CRISPR/Cas-Technologie (s. o.). Das Verfahren bedient sich eines Abwehr-Mechanismus’ von Bakterien zum Aufspüren von Fremd-DNA, um bestimmte Gen-Abschnitte anzusteuern, und nutzt dann das Cas-Enzym zur Auftrennung der Genom-Sequenz. Anschließend setzt CRISPR/Cas entweder mitgeführte neue Erbgut-Stränge ein oder bringt die Zellen dazu, per Mutagenese selbst Veränderungsprozesse einzuleiten. So weit die Theorie: In der Praxis geht das alles längst nicht immer so glatt. So führte der Versuch, mittels CRISPR/Cas defekte Embryo-Zellen zu reparieren, zu einem Verschwinden ebendieser, wie eine im Dezember 2020 in der Zeitschrift Cell veröffentlichte Studie dokumentierte. Zudem schnippelte die Genschere nicht nur an dem eigentlich vorgesehenen Ort, sondern tat sich auch in der Umgebung um. Die ForscherInnen rieten deshalb dringend davon ab, diese Technologie weiter an Embryonen zum Einsatz kommen zu lassen. Unbeabsichtigte Gen-Veränderungen nach einer CRISPR-Behandlung fanden WissenschaftlerInnen auch in Mäusen (BMC Genomics 21, S. 856). Bei der Verwendung dieser Gen-Schere zur Krebs-Behandlung gab es ebenfalls schon Komplikationen. Während eines Klinischen Versuchs mit 86 ProbandInnen in China traten bei einigen TeilnehmerInnen plötzlich Autoimmun-Krankheiten auf.

Parkinson-Gentherapie
In den USA haben haben meherer klinische Prüfungen mit Parkinson-Behandlungsverfahren der BAYER-Tochter ASKBIO begonnen (siehe auch DRUGS & PILLS). Der Leverkusener Multi will die Beschwerden der PatientInnen, deren Organismus der Neurotransmitter Dopamin fehlt, was zu Symptomen wie Zittern, Krämpfen und Steifheit führt, nicht nur mit einer Zell-, sondern auch mit einer Gentherapie lindern. Bei dieser Behandlungsart transportieren als Fähren genutzte Viren ein Gen in das Gehirn, das eine „Regeneration von Mittelhirn-Neuronen“ anstoßen soll.

IMPERIUM & WELTMACHT

Agrar-Inkasso in Brasilien
In Brasilien haben die Agro-Riesen massive Schwierigkeiten, von den LandwirtInnen Lizenz-Gebühren für ihre gentechnisch manipulierten Pflanzen einzutreiben. Darum taten sich BAYER, BASF, SYNGENTA und CORTEVA nun zusammen. Für den Gensoja-Bereich schufen sie die gemeinsame Plattform CULTIVE BIOTEC, um die Extra-Profite besser abkassieren zu können, die ihnen das Patent-Recht gewährt. Die staatliche Monopol-Kommission CADE segnete die Gründung ab, was auf massive Kritik des SojafarmerInnen-Verbandes Aprosoja stieß. Die Organisation, die rund 240.000 Mitglieder hat, sieht durch CULTIVE den Wettbewerb gefährdet. Sie fürchtet, dass die Plattform das von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO in dem Land etablierte – und von den Bauern und Bäuerinnen sogar vor Gericht angefochtene – harsche Zahlungsmodell nun auch anderen Anbietern zugänglich macht. Als „aggressiv und eindeutig missbräuchlich“ bezeichnet die Interessensvertretung dieses System, das dem Leverkusener Multi viel mehr Geld einbringe als vergleichbare Regelungen in den Nachbarländern.

BAYER verkauft Soja-Fabrik
Der BAYER-Konzern hat sich von seiner Soja-Verarbeitungsanlage im US-amerikanischen Beaman getrennt. Er verkaufte die Produktionsstätte mit einer Jahres-Kapazität von einer Million Einheiten Soja-Saatgut, wobei eine Einheit zehntausende Körner umfasst, an die Firma BECK’S HYBRIDS. Lediglich zehn Belegschaftsangehörige konnten zum neuen Besitzer wechseln.

45 Millionen für SOUND AGRICULTURE
BAYER, SYNGENTA und andere Unternehmen investieren 45 Millionen Dollar in das US-amerikanische Start-up SOUND AGRICULTURE. Die Firma will eine Technologie entwickelt haben, die Kunstdünger ersetzt. Eine Nährstoff-Zufuhr über die Aktivierung von Mikroorganismen im Boden soll es stattdessen richten. Auch hat das Unternehmen nach eigenen Angaben ein Mittel gefunden, um die Züchtung von Pflanzen zu beschleunigen.

STANDORTE & PRODUKTION

Neues Abkommen mit Berkeley
Anfang der 1990er Jahre plante BAYER eine große Erweiterung seines Pharma-Werkes in Berkeley. Dagegen erhob sich allerdings ein breiter Protest. Die CITIZENS OPPOSING POLLUTED ENVIRONMENT fürchteten sich vor allem vor den Risiken und Nebenwirkungen der Gentechnik. Aber auch die Produktion von Impfstoffen gegen die Pest und andere Erreger für das Pentagon, im Zuge dessen es einmal soger schon zu einer Infektion von mehreren Beschäftigten kam, stieß auf Kritik. Der Leverkusener Multi startete eine große Öffentlichkeitskampagne, die vor allem auf die vielen in Aussicht stehenden neuen Arbeitsplätze verwies, und hatte damit schließlich Erfolg. Allerdings musste er sich auf ein Development Agreement mit der Stadt einlassen und Geld für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen. Nun will der Konzern, der sich mittlerweile zum größten Unternehmen Berkeleys entwickelt hat, weiter wachsen und Produktionsstätten bis zu einer Höhe von 24 Metern errichten. Und abermals macht sich unter den AnwohnerInnen Skepsis breit. Deshalb steht auch ein neues Development Agreement an. In den nächsten 30 Jahren beabsichtigt der Global Player dafür 30 Millionen Dollar bereitzustellen. 60 Prozent des Etats sieht er dabei für Bildungsprogramme wie „hands-on science education“ vor, bei denen als ein nicht ganz unbeabsichtigter Nebeneffekt auch wissenschaftlicher Nachwuchs für seine Labore abfällt. 20 Prozent des Geldes sollen der lokalen Wirtschaft zugutekommen, und weitere 20 Prozent fließen in ein kommunales Wohnungsprogramm. Das reicht dem Bürgermeister Jesse Arreguin allerdings nicht. „Ich glaube, sie können mehr tun“, sagt er. Konzern-Sprecherin Cathy Keck aber schaltete auf stur und brachte flugs andere Standorte für „BAYERs globale Infrastruktur-Dollars“ ins Spiel. Der Manager Drew Johnson zeigte sich ebenfalls unversöhnlich: Die von uns erwünschten Dimensionen erlauben uns, hier unser Geschäft zu betreiben, und wenn das nicht möglich ist, speziell was die Fabrikationsstätten angeht, dann erhalten eben andere BAYER-Standorte das Projekt – so einfach ist das.“

ÖKONOMIE & PROFIT

Winkeljohann: Keine Aufspaltung
Die anhaltend niedrige Notierung der BAYER-Aktie bringt die Finanz-Investoren dazu, die Aufspaltung des Konzerns zu fordern. Das Unternehmen will sich diesem Druck allerdings nicht beugen, wie Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann gegenüber dem Manager Magazin deutlich machte. „Es ist nicht überraschend, dass einige nach vermeintlich einfachen Lösungen rufen, um dem Aktien-Kurs einen schnellen, aber nicht unbedingt nachhaltigen Impuls zu geben. So einfach ist das aber nicht. Im Gegenteil: Die aktuellen Herausforderungen lassen sich vor allem durch eine konsequente Umsetzung der Strategie lösen und nicht durch strukturelle Maßnahmen“, erklärte er.

RECHT & UNBILLIG

Neuer Glyphosat-Prozess
Im Juli 2021 begann in den Vereinigten Staaten der vierte Glyphosat-Prozess. Donnetta Stephens macht das von BAYER unter dem Namen ROUNDUP vertriebene Herbizid für ihr Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) – eine spezielle Art des Lymphdrüsen-Krebses – verantwortlich. Deshalb reichte sie im August 2020 eine Klage auf Schadensersatz ein; 30.000 weitere liegen gegenwärtig noch vor. Wegen des schlechten Gesundheitszustandes der 70-Jährigen beantragten ihre RechtsvertreterInnen, den Fall schnell zu Gericht gehen zu lassen, was der kalifornische „San Bernardino County Superior Court“ auch ermöglichte. „Sie hat das ROUNDUP über 30 Jahre lang verwendet und war ihm stark ausgesetzt“, so Anwalt Fletcher V. Trammell zur Begründung der Entschädigungsansprüche. Andere mögliche Ursachen für die Erkrankung schloss er aus: „In ihrer Familie trat Non-Hodgkin sonst nicht auf.“ Bei den Verhandlungen will der Jurist sich nicht nur auf die in den früheren Verfahren vorgelegten Beweise stützen. Mit dem Onkologen Barry Boyd und der Toxikologin Luoping Zhang, deren im Jahr 2019 veröffentlichte Metastudie zu Glyphosat und NHL einen „zwingenden Zusammenhang“ zwischen der Substanz und der Entstehung des Krebes konstatiert hatte, berief er zwei neue KronzeugInnen gegen das Mittel.

BAYER ruft Supreme Court an
Ende Mai 2021 ließ der BAYER-Konzern die Glyphosat-Vergleichsverhandlungen platzen (siehe SWB 3/21). Nach der Ablehnung seines Vorschlages zur Beendigung der juristischen Auseinandersetzungen durch den zuständigen Richter Vince Chhabria mochte der Agro-Riese keinen weiteren mit Nachbesserungen – vor allem im Umgang mit Klagen von neuen Geschädigten – mehr vorlegen. Stattdessen setzt der Global Player jetzt vor allem darauf, ein Grundsatz-Urteil des Obersten Gerichtshof der USA zu seinen Gunsten in der Sache zu erzwingen, „wodurch die Rechtsstreitigkeiten zu Glyphosat in den USA weitgehend beendet würden“. Dafür sieht er gute Chancen, denn in dem Gremium sitzen keine Geschworenen, die sich seiner Meinung nach nur von ihren Gefühlen leiten ließen, sondern BerufsrichterInnen, noch dazu oft von Trumps Gnaden. Das Unternehmen hält die juristische Auseinandersetzung für eine Bundesangelegenheit, die in die Zuständigkeit des Supreme Courts fällt, weil die „Environment Protection Agency“ (EPA) als Bundesbehörde das Mittel bundesweit zugelassen und ihm Unbedenklichkeit bescheinigt habe. Mitte August 2021 rief der Konzern nun dieses Gericht an und ersuchte es, ein von der Aktien-Gesellschaft als mangelhaft empfundenes Urteil zu überprüfen, das eine untere Instanz in dem Verfahren „Hardeman vs. MONSANTO“ gegen die BAYER-Tochter gefällt hatte. „Die Fehler des Ninth Circuit bedeuten, dass ein Unternehmen für die Vermarktung eines Produkts ohne Krebs-Warnung hart bestraft werden kann, obwohl es nahezu universellen wissenschaftlichen und regulatorischen Konsens darüber gibt, dass das Produkt nicht krebserregend ist und die verantwortliche Bundesbehörde eine solche Warnung sogar verboten hat“, heißt es in dem Antrag. Darüber hinaus hat der Ninth Circuit nach Ansicht des Agro-Riesen ExpertInnen zugelassen, die dieses Etikett nicht verdienten, was „zu unfundierten Aussagen geführt hat“. Ob der Supreme Court den Antrag annimmt und sich mit der Angelegenheit befassen wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Mehr Glyphosat-Rückstellungen
Der BAYER-Konzern will den Fall „Glyphosat“ mit aller Macht vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten – den Supreme Court – bringen und dort ein Grundsatz-Urteil zu seinen Gunsten erzwingen (s. o.). Der Leverkusener Multi hat jedoch auch Vorkehrungen für ein Scheitern dieser Strategie und ein „Weiter so“ mit Klagen, Prozessen und Vergleichen getroffen. Allerdings rechnet der Agro-Riese dafür noch einmal mit einem erheblichen finanziellen Mehraufwand. Darum stockte er die Rückstellungen von bisher zwei Milliarden Dollar noch einmal um 4,5 Milliarden Dollar auf. „Wir wollen damit gegenüber unseren Investoren deutlich machen, dass die Risiken des Glyphosat-Rechtsstreits angemessen in der Bilanz abgebildet sind“, erklärte BAYER-Chef Werner Baumann Ende Juli 2021 wenige Tage vor der Veröffentlichung der Geschäftszahlen für das erste Halbjahr.

BAYER verliert Glyphosat-Prozess
Im Mai 2019 hatte ein Geschworenen-Gericht im US-amerikanischen Oakland den Glyphosat-Geschädigten Alberta und Alva Pilliod recht gegeben und die BAYER-Tochter MONSANTO zur Zahlung von insgesamt zwei Milliarden Dollar Strafe und Schmerzengeld verurteilt. Später reduzierte ein Richter die Summe auf 87 Millionen Dollar. Das reichte dem Leverkusener Multi allerdings nicht. Er ging in Berufung – und strich wieder eine Niederlage ein. Im August 2021 bestätigte der „Court of Appeal for California“ die Entscheidung. „MONSANTOS Verhalten zeigte eine rücksichtslose Missachtung der Gesundheit und Sicherheit der vielen ahnungslosen Verbraucher“, befand der Court. Er bescheinigte dem seit 2018 zum Leverkusener Multi gehörenden Unternehmen einen „unnachgiebigen Unwillen, die Öffentlichkeit über die Krebs-Gefahren eines Produkts zu informieren“ und bezeichnete diese Praxis des Unternehmen als notorisch. „Über einen Zeitraum von vielen Jahren hinweg bestand MONSANTOs Verhalten immer wieder aus solchen Aktionen, motiviert durch das Streben nach Verkäufen und Profit“, konstatierten die JuristInnen. Zudem warfen sie dem Konzern vor, „die wissenschaftliche Untersuchung von Glyphosat und ROUNDUP behindert oder verzerrt“ und es versäumt zu haben, „angemessene Studien zu Glyphosat und ROUNDUP durchzuführen“. Auch der neuesten Prozess-Strategie BAYERs erteilte der Richter Winifred Smith eine Abfuhr. Der Agro-Riese will die Justiz der Einzelstaaten ausmanövrieren und den Fall „Glyphosat“ vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten bringen (s. o.). Aber der „Court of Appeal“ ließ sich das Verfahren nicht so einfach aus der Hand nehmen und verwies auf die entsprechenden Paragrafen. Dementsprechend enttäuscht zeigte sich der Global Player. „Wir sind mit der Entscheidung des Gerichts nicht einverstanden, da das Urteil weder durch die Beweise in der Verhandlung noch durch das Gesetz gestützt wird“, erklärte er und kündigte an: „MONSANTO wird seine rechtlichen Möglichkeiten in diesem Fall prüfen.“

Neue ESSURE-Sammelklagen
ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Sterilisationsmittel, beschäftigt zunehmend die Justiz. Die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen, hat nämlich zahlreiche Nebenwirkungen. Allzu oft bleibt das Medizin-Produkt nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Schmerzen im Unterleib oder anderen Körper-Regionen, Depressionen oder Angstzustände, Kopfschmerzen, Übelkeit, Allergien, Hautausschläge und Haarausfall zählen zu den Gesundheitsschädigungen, über die Frauen berichten. Allein bei der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA gingen von 2002 bis 2020 fast 64.000 Meldungen über unerwünschte Arznei-Effekte ein. 94 Todesfälle dokumentierten die ÄrztInnen. 39.000 Betroffene zogen in den Vereinigten Staaten vor Gericht. Mit einem Großteil von ihnen schloss der Leverkusener Multi im August 2020 einen Vergleich, der ihn zu einer Zahlung von 1,6 Milliarden Dollar verpflichtete. Damit ist die Akte „ESSURE“ allerdings noch nicht geschlossen. Im November 2020 reichten 200 englische Frauen eine Sammelklage ein und im Juli 2021 300 brasilianische. „Kein Geld der Welt wird kompensieren können, was wir durchgemacht haben und noch durchmachen. Aber wir haben das Recht auf ein bisschen Ruhe, damit wir uns um uns selbst kümmern können“, so eine der Geschädigten. Die Rechtsvertretung der Brasilianerinnen, Engländerinnen sowie der holländischen Betroffenen hat die internationale Kanzlei PGMBM übernommen. Ihr deutscher Partner MANNER SPANGENBERG hat sich direkt an die Leverkusener BAYER-Zentrale gewandt und erwägt eine Klage auf deutschem Boden, sollte es nicht zu einem Vergleich kommen. Der Pharma-Riese begann 2017, den Vertrieb der Spirale einzustellen. Inzwischen bietet er sie in keinem Land der Welt mehr an. Medizinische Bedenken spielten dabei jedoch keine Rolle. „Das Unternehmen steht weiterhin hinter der Wissenschaft, die die Sicherheit und Effizienz von ESSURETM stützt“, erklärte der Konzern. Die Entscheidung zum Vermarktungsstopp beruhte laut BAYER lediglich „auf einem Rückgang der Verkäufe in den vergangenen Jahren und der Schlussfolgerung, dass das ESSURE-Geschäft nicht mehr nachhaltig war“.

BAYER verliert PCB-Prozess
Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie. Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheits- und Umweltrisiko dar. Darum ist der BAYER-Konzern mit einer Vielzahl von Schadensersatz-Ansprüchen konfrontiert. Im Juli 2021 gab ein Gericht in Seattle drei LehrerInnen recht, die ihre Gesundheitsprobleme auf ein PCB-kontaminiertes Schulgebäude zurückführten. Zur Zahlung einer Strafe und eines Schmerzensgeldes von insgesamt 185 Millionen Dollar verurteilte es den Leverkusener Multi, der gegen die Entscheidung Berufung einlegte. Mit 200 weiteren KlägerInnen allein von dieser Schule rechnet der Agro-Riese. „Wir sind davon überzeugt, auch in diesen Angelegenheiten gute Argumente zur Verteidigung gegen die erhobenen Ansprüche zu haben und beabsichtigen, uns in diesen Verfahren entschieden zur Wehr zu setzen“, kündigte er an.

Gericht lehnt PCB-Vergleich ab
Die gefährlichen Polychlorierte Biphenyle (PCB) haben auch zahlreiche Gewässer verunreinigt. Weil das die Städte zu umfangreichen und kosten-intensiven Reinigungsarbeiten nötigt, haben rund 2.500 US-amerikanische Kommunen Schadensersatz-Ansprüche gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO geltend gemacht. Diese gründen sich unter anderem auf firmen-eigene Dokumente von MONSANTO, die selbst von Risiken wie „systemischen toxischen Effekten“ sprechen. Einen Produktionsstopp haben die ManagerInnen damals jedoch trotzdem abgelehnt, da es um „zu viel MONSANTO-Gewinn“ ginge. Die BAYER-AnwältInnen arbeiteten in der Sache einen Vergleich aus, der Zahlungen in Höhe von 650 Millionen Dollar vorsieht, aber im November 2020 lehnte ein Gericht den Vorschlag ab und forderte Nachbesserungen. Daneben liegen RichterInnen noch PCB-Klagen der Bundesstaaten Ohio, Pennsylvania, New Hampshire und Oregon vor. Einigungen konnte der Leverkusener Multi hingegen mit New Mexico, Washington und dem Columbia-Destrict erzielen.

Strafe wg. MONSANTO-Listen
Ende Juli 2021 hat die französische Datenschutz-Behörde CNIL die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO zu einer Zahlung von 400.000 Euro verurteilt. Die CNIL sah in der flächendeckenden Bespitzelung von über tausend AktivistInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen und WissenschaftlerInnen, welche die PR-Agentur FLEISHMANHILLARD von 2014 bis 2017 im Auftrag des Glyphosat-Produzenten durchführte (siehe SWB 3/19), einen Verstoß gegen die Datenschutz-Bestimmungen. Das Unternehmen hätte die Personen, über die es umfangreiche Akten anlegte, um die Lobby-Arbeit effizienter zu gestalten, informieren müssen, befand die Behörde. Sie gab damit der Beschwerde der Nachrichten-Agentur Agence France-Presse sowie diverser Zeitungen, TV-Kanäle und Radio-Stationen statt. „Die Entscheidung der französischen Datenschutz-Behörde in Sachen ‚MONSANTO-Liste’ ist eine schallende Ohrfeige für die deutschen DatenschützerInnen. Sie dürfen jetzt nicht weiter untätig bleiben und müssen den Vorgang auf Wiedervorlage legen“, forderte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) daraufhin in einer Presseerklärung. Die Coordination hatte sich nach Bekanntwerden des Bespitzelungsskandals an die nordrhein-westfälische Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit gewandt, war da aber auf taube Ohren gestoßen. Die NRW-DatenschützerInnen zeigten sich mit den Antworten zufrieden, die der Leverkusener Multi ihnen nach einem Auskunftsersuchen erteilte und betrachteten den Fall damit als erledigt. Nach Ansicht der Behörde handelte es sich bei den Aktivitäten von MONSANTO um ein reines „Media-Monitoring“, bei dem eine „Auswertung der Beiträge mit dem Ziel, eine Person zu bewerten und ihr künftiges Verhalten abzuschätzen“, nicht stattfinde.

Einigung mit NUZIVEEDU
Das indische Gesetz erlaubt es nicht, Saaten, Pflanzen oder Tiere zum geistigen Eigentum von Personen oder Unternehmen zu erklären. Darum erhob die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO in weiser Voraussicht nicht für seine kompletten mit Genen des Bacillus thuringiensis (Bt) bestückten Laborfrüchte Schutzrechte, sondern nur für den Bacillus selber. Lizenz-Gebühren verlangte der Konzern aber trotzdem. Das indische Unternehmen NUZIVEEDU SEEDS LTD. (NSL) weigerte sich ab 2015 aber, dieses Geld zu zahlen. Es verwies dabei nicht nur auf die Rechtslage, sondern auch auf die nachlassende Wirksamkeit des Bt-Giftes. Daraufhin entspann sich ein langer Rechtsstreit. Im Frühjahr 2021 legten die Kontrahenten ihn bei, ohne dabei Details der Einigung zu offenbaren.

SPORT & MEDAILLEN

Lex Leverkusen in Gefahr
Mit der „50 + 1“-Regel räumte der „Deutsche Fußball-Bund“ (DFB) den Muttervereinen einen dominierenden Einfluss auf die Geschicke der Klubs ein. Unternehmen und InvestorInnen mussten sich hingegen auf einen Geschäftsanteil von höchstens 49 Prozent beschränken. 1999 ließ der DFB jedoch Ausnahmen zu, wenn „ein Rechtsträger seit mehr als 20 Jahren den Fußball-Sport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat“. „Lex Leverkusen“ hieß diese Sonderklausel bald, denn BAYERs Werkself nahm sie zuerst in Anspruch, damit der Chemie-Multi auch im Fußball-Geschäft das Sagen haben kann. Das ist nun allerdings in Gefahr. Das Bundeskartellamt, von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) um eine Einschätzung der „50 + 1“-Regel gebeten, meldete nämlich Bedenken an. Die Bestimmung sei nur unter der Bedingung zu halten, keine Extrawürstchen mehr für Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim bereitzuhalten, so die JuristInnen. „Wenn einigen Clubs größere Möglichkeiten zur Einwerbung von Eigenkapital zur Verfügung stehen als anderen, dürfte dies nicht zur Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs beitragen, sondern ihn eher verzerren“, befanden sie. BAYER 04 & Co. reagierten mit dem Aufsetzen eines Brandbriefs an die DFL. Darin forderten sie „den Bestand der Regel“. Die Vereine zeigten sich zwar bereit, „diese schwierige Situation zielgerichet und mit diplomatischem Geschick zu bewältigen“, aber ihre Kompromiss-Bereitschaft bei der Umgestaltung von „50 + 1“ zeigte Grenzen. Einer Reform der Ausnahme-Regelung wollten sie nur bei einer „Beibehaltung der mit ihr verbundenen Grundideen unter Wahrung des Bestandschutzes für unsere Klubs“ zustimmen. Und ihr Geld darf das auch nicht kosten. „Dass wir finanziell verzichten sollen, kann sicher nicht die Lösung sein, das würden wir notfalls mit juristischen Mitteln sicherstellen müssen“, drohte BAYER-04-Geschäftsführer Fernando Carro. Am liebsten würde er die Regel ganz abschaffen, um mehr Kapital in die Liga zu locken. „Meine persönliche Meinung entspricht meiner liberalen Grundeinstellung: so wenig Regulation wie möglich beziehungsweise nötig“, so Carro. Das DLF-Präsidium kündigte derweil nach einer außerordentlichen Mitgliederversammlung an, bis zum Herbst „kartellrechtskonforme Lösungsansätze“ zu erarbeiten.

[Chempark Explosion] Presse-Information CBG vom 27.07.21

CBG Redaktion

Schwere Explosion im Leverkusener Chempark bei BAYER

Mindestens zwei Schwerverletzte

Am heutigen Dienstagmorgen kam es auf dem Gelände des Leverkusener Chemiegebiets Chempark, in dem der BAYER-Konzern und andere Hersteller produzieren, zu einer schweren Explosion. „Bei dem Ereignis wurden mehrere Mitarbeiter verletzt, mindestens zwei davon schwer“, so der Chempark-Betreiber CURRENTA (ehemals Bayer Industry Services GmbH & Co. OHG), der im Auftrag von BAYER und anderen Chempark-Nutzern u.a. die Ver- und Entsorgung betreibt.

Es gab mind. einen Toten, noch mindestens fünf Beschäftige werden vermisst. Die Leverkusener Feuerwehr setzte eine Warnung der Kategorie „Extreme Gefahr“ ab. Die Polizei ließ das gesamte Industrie-Areal räumen und sperrte die Autobahn A1 in beiden Richtungen.

Die Detonation erfolgte im Tanklager der Sondermüllverbrennungsanlage, in der die CURRENTA die Produktionsrückstände von BAYER und anderen auf dem Gelände ansässigen Firmen entsorgt. Danach entstand ein Brand, der die MVA teils erfasste.

Die Feuerwehr tat alles dafür, ihn nicht auf das angrenzende Gebäude, in dem brennbare Lösemittel lagern, übergreifen zu lassen. Mittags gibt es erste Meldungen zur Löschung des Brandherds.

2019 hatte BAYER seine CURRENTA-Mehrheitsbeteiligung an einen Finanzinvestor verkauft, lässt aber u.a. Chempark und seine Sondermüll-MVA rechtlich von CURRENTA betreiben. Vor rund zehn Jahren erteilte die Bezirksregierung Köln dem Unternehmen die Genehmigung, die Kapazitäten der Brennöfen von 80.000 auf 120.000 Tonnen pro Jahr zu erweitern.

Störfälle traten in dem „Entsorgungszentrum“ schon vielfach auf. Im Jahr 2011, als BAYER noch die Mehrheit der CURRENTA-Anteile hielt, erging nach einem Störfall dort ein Sandregen über Teile Leverkusens. 2010 entflammte ein Feuer und 2009 traten nach einem Defekt in der Dosier-Einrichtung der Abluft-Behandlung Schadstoffe aus. Die Müllverbrennung ist umgeben von dichten Wohngebieten mitten auf der „größten Giftmüll-Deponie Europas“ in unmittelbarer Nähe eines der größten Chemie-Werke der Welt sowie nur eine Rhein-Breite getrennt von der Millionenstadt Köln. Explosionen dieser Art können eine Kettenreaktion auslösen und in einen Chemie-GAU münden.

„BAYER/CURRENTA spielen mit dem Feuer. Dieser Beinahe-GAU zeigt einmal mehr, welche Gefahr von Produktion und Entsorgung chemischer Stoffe ausgeht, wenn diese der Profitmaximierung dienen. Offenbar reichten die Sicherheitsanforderungen von CURRENTA und seinen Auftraggebern im Chempark erneut nicht aus, um die Sicherheit der Arbeiter*innen und Anwohner*innen zu schützen. Seit Jahrzehnten fordert die CBG: Wirksamer Schutz für die Bevölkerung muss her!“, konstatiert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

„Für Windräder gelten gigantische Abstandsregeln, aber BAYER & Co dürfen in unmittelbarer Nähe zu Großstädten scheinbar tun und lassen was sie wollen. Dabei geht es hier um einen der größten Umschlagplätze für Chemiegifte in der Region! BAYER und CURRENTA müssen die Öffentlichkeit informieren, was da überhaupt explodiert und verbrannt ist und wie sie das in Zukunft verhindern wollen!“, meint Simon Ernst, Vorstand der CBG.

Pressekontakt:

Jan Pehrke 0211/33 39 11

Aktualisierung (Stand 28.07.21; 9.00 Uhr): Die Zahl der Toten erhöhte sich auf zwei, die der Verletzten auf 31. Fünf davon befinden sich wegen schwerer Verbrennungen in einem Spezial-Krankenhaus. Überdies werden noch fünf Beschäftigte vermisst. Bei den Stoffen, die explodiert sind, hat es sich nach Angaben des Chem„park“-Leiters Lars Friedrich um chlorierte Lösungsmittel gehandelt. Detailliertere Informationen zu den Substanzen lagen der CURRENTA zu dem Zeitpunkt noch nicht vor. Einen Übergriff des Brandes auf einen zweiten Tank, der 100.000 Liter hochentzündlicher, giftiger Abfall-Stoffe enthielt, konnte die Feuerwehr verhindern.

[Auf der Straße & online] Wege zum Protest gegen BAYER – trotz Pandemie

CBG Redaktion

Die diesjährige BAYER-Hauptversammlung war bereits die zweite, die der Konzern unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes komplett ohne Präsenz und rein online durchführte. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, die sich seit Jahrzehnten bemüht, den Protest direkt zum Vorstand hinzutragen, mit Kundgebungen und Demos auf der Straße und Protestbeiträgen in der eigentlichen Veranstaltung, stellte dies vor enorme Herausforderungen.

Von Marius Stelzmann

Im vergangenen Jahr konnte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bereits Erfahrungen sammeln, wie eine virtuelle Hauptversammlung abläuft und wie ihr ein bedeutungsvoller, schlagkräftiger Online-Protest entgegenzusetzen ist, der die andere Seite der Konzernpolitik zeigt. Anders als im vergangenen Jahr war 2021 zudem von vornherein klar, dass BAYER die HV wieder online stattfinden lassen würde. Daher hatte die CBG genug Zeit, über ihre Kontakte Stimmen aus aller Welt für den Protest zu mobilisieren. Auch wertete die Coordination die Erfahrung von mehr als einem Jahr Pandemie für linke Protest-Bewegungen aus. Die Schlussfolgerung: Keine Online-Veranstaltung kann Protest in der realen Welt ersetzen. Ein Protest muss verantwortungsvoll und corona-sicher sein, aber er muss stattfinden. Die CBG wird sich nicht mit einem reinen Online-Protest zufriedengeben, sondern den Widerstand direkt vor die Haustüre von BAYER tragen. Dieses Jahr war dies wieder einmal die Konzernzentrale in Leverkusen.

Das Bündnis
Die Coordination kann sich dank ihrer langjährigen Arbeit auf zuverlässige Partner stützen, mit denen sie regelmäßig zusammenarbeitet. Als da wären: Der DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL), das PESTIZID AKTIONS-NETWERK (PAN), die GESELLSCHAFT FÜR KINDER, DIE DURCH HORMONELLE SCHWANGERSCHAFTSTESTS GESCHÄDIGT WURDEN (ACDHPT), FRIDAYS FOR FUTURE, das COLLECTIF VIET-NAME DIOXINE, das GEN-ETHISCHE NETZWERK, die Initiative RISIKO PILLE, der VEREIN DER EHEMALIGEN HEIMKINDER SCHLESWIG HOLSTEIN, WIR HABEN DIE AGRARINDUSTRIE SATT!, POWERSHIFT e.V., das UMWELTINSTITUT MÜNCHEN, INKOTA, die Partei DIE LINKE, B90/DIE GRÜNEN, rmediabase, die CAMPANHA PERMANENTE CONTRA OS AGROTOXICOS E PELA VIDA, das NETZWERK DUOGYNON, HEJ!SUPPORT, IFOAM und viele mehr. Sie haben es auch dieses Jahr wieder möglich gemacht, die BAYER-Konzernverbrechen von allen Seiten zu beleuchten und von fast allen Kontinenten kritische Stimmen einzuholen, wofür ihnen der Dank der CBG gebührt

Die virtuelle HV
Wie bereits erwähnt: Die virtuelle Hauptversammlung ist eine besondere Herausforderung für KonzernkritikerInnen. BAYER hat seit 1982 nicht mehr die Deutungshoheit über die eigenen Hauptversammlungen. Denn jedes Jahr stellt die Coordination viele RednerInnen, stellt Gegenanträge und ruft zur Nicht-Entlastung des Konzernvorstandes auf. Das Modell der CBG hat überdies Schule gemacht: Heute finden sich auf vielen Hauptversammlungen Proteste und Gegenstimmen. Sowohl NGOs als auch aktivistische Jugendbewegungen wie FRIDAYS FOR FUTURE nutzen das Modell. Dennoch ist keine Hauptversammlung so wie die von BAYER: Denn die Konstanz, mit der die Coordination dranbleibt, das Ausmaß, in dem sie weltweiten Widerstand gegen diesen einen Konzern mobilisiert, sucht nach wie vor weltweit ihresgleichen. Dies ist dem Management wohlbekannt. Nach Wegen, die unerwünschte Konfrontation mit den Folgen der eigenen Konzernpolitik von der HV zu verbannen, sucht der Vorstand deshalb schon lange. Im Vorjahr, mitten in der Corona-Krise 2020, bot sich dem Konzern die Chance, das umzusetzen, was schon lange geplant, aber aufgrund der AktionärInnen-Rechte nie umzusetzen war: Eine virtuelle Hauptversammlung, völlig ohne Präsenz.
Mit dieser Maßnahme hatten die BAYER-Bosse jedoch abermals die Kraft des Widerstandes unterschätzt. Auf den öffentlichen Druck hin, den der Protest der CBG erzeugte, sah sich der Leverkusener Riese 2020 gezwungen, PR-gerechte Schein-Zugeständnisse zu machen, um eine demokratische Partizipationsmöglichkeit vorzuspielen. Hierzu gehörten durchsichtige Tricks wie das Versprechen, am Tag der HV selbst Protest-Tweets vom Konzern-Twitteraccount aus zu retweeten. Das war es aber auch schon. Ansonsten mussten Fragen, die AktionärInnen bzw. deren Bevollmächtigte vorher auf der Hauptversammlung selber stellen konnten, aufwändig vorher eingereicht werden. Zudem traf der Konzern eine Auswahl und nannte größtenteils nicht die Namen der FragestellerInnen. Aus den Augen selbst der üblichen, bereits kritikwürdigen AktionärInnendemokratie betrachtet, war die Hauptversammlung also ein Desaster und bekam dementsprechend eine schlechte Presse.
Da BAYER sich mit aller Kraft als progressiver, aufgeschlossener, zukunftsorientierter Konzern präsentieren möchte, musste also eine andere Lösung her, um den bequemen Umstand der virtuellen Hauptversammlung aufrechterhalten zu können. Darum trat der Konzern 2021 die Flucht nach vorn an und versuchte sich als aktionärInnendemokratischer Musterschüler zu inszenieren. Für partizipationswillige AktienhalterInnen gab es nun neben dem schriftlichen Einreichen von Fragen auch die Möglichkeit, Statements in schriftlicher und in Videoform einzureichen. Ein Modell, welches andere Konzerne teilweise noch nicht anbieten und BAYER helfen sollte, sich als Transparenz-Marktführer zu inszenieren.
Die Coordination denkt jedoch nicht daran, „Danke!“ zu sagen, wenn die üblichen Rechte für AktionärInnen immer noch nicht eingeräumt werden. Immer noch sind nämlich die Partizipationsmöglichkeiten im Vergleich zu denen der Präsenz-Hauptversammlung massiv eingeschränkt. Denn die schriftlich eingereichten Fragen kann der Vorstand bei der Präsentation aus dem Zusammenhang reißen und zusammenstreichen, wie er möchte. Auch die Namen von vielen Fragenden wurden wieder nicht genannt. Zu den kritischen Video-Statements nahm der Vorstand überhaupt keine Stellung. Anträge und Wahlvorschläge aus den Videos wurden nicht berücksichtigt. Zwar wurden die Videos in diesem Jahr im BAYER-Stream gezeigt, allerdings besteht keinerlei Rechtsanspruch, dass die eingesandten Videos auch veröffentlicht werden. Der Vorstand könnte diese also auch einfach unter den Tisch fallen lassen. Der Vorstand hat also endlose Möglichkeiten der Vorauswahl, was Kritik erschwert. Auf einer Präsenz-Hauptversammlung bestehen diese nicht. Die Rechte – insbesondere von Klein-AktionärInnen – bleiben also weiterhin substantiell eingeschränkt. Die Coordination hat dieses Vorgehen von BAYER in einer gemeinsamen Erklärung mit dem DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, PAN, WIR HABEN DIE AGRARINDUSTRIE SATT!, und dem GEN-ETHISCHEN NETZWERK kritisiert.
Parallel zu solchen Aktionen nutzt die Coordination natürlich alle Möglichkeiten, die sie hat, um den Protest auf die Hauptversammlung zu tragen. So reichte die CBG auch dieses Jahr wieder mehr als 200 schriftliche Fragen und Statements ein. Unsere BündnispartnerInnen von PAN, INKOTA, RISIKO PILLE, COLLECTIF VIETNAM DIOXINE und dem NETZWERK DUOGYNON sandten uns zudem Video-Statements, die dann auch in die virtuelle HV hineinflimmerten und den Vorstand mit seiner verbrecherischen Konzernpolitik konfrontierten.

Die Kundgebung
Die Kundgebung vergrößerte sich im Vergleich zum letzten Jahr erfreulicherweise. Trotz Corona-Krise konnte die CBG ca. 30 TeilnehmerInnen begrüßen. Überdies fuhren aktivistische LandwirtInnen der AbL mit Traktoren vor. In ihren Reden machten unsere BündnispartnerInnen von FRIDAYS FOR FUTURE, der AbL und der Linkspartei klar, dass das Bündnis nicht akzeptiert, dass BAYER mit der virtuellen HV Protest und Widerstand aussperrt.
Genau wie letztes Jahr war die Herausforderung des Live-Streams der Coordination, den international aufgestellten Protest auf ein streamtaugliches Programm zu bringen. Dieses Jahr waren Beiträge aus der ganzen Welt vertreten, die viele Aspekte der BAYER-Konzernpolitik beleuchtet haben. Wie im letzten Jahr auch kommentierte die CBG das Geschehen auf der Hauptversammlung des Leverkusener Multis direkt und ließ diesen Analysen Gespräche mit AktivistInnen folgen. Erster Interview-Partner war Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, der zu BAYERs Steuervermeidungsstrategien sprach. Er stellte die Studie der grünen Fraktion im Europa-Parlament vor, die sich dem Versuch des Unternehmens widmete, Steueroasen weltweit und in Deutschland selber auszunutzen. Die zweite Gesprächspartnerin, Charlotte Sammet, war eine Vertreterin von FRIDAYS FOR FUTURE. Sie erläuterte die klimapolitischen Ziele der Initiative und ließ keinen Zweifel daran, dass diese mit dem gegenwärtigen Produktionsmodell von BAYER nicht zu erreichen seien. Der letzte Gast im morgendlichen Live-Block war Tilman Massa vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, mit dem CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann über die virtuelle HV und die Möglichkeiten von kritischen AktionärInnen diskutierte, einen Konzern unter diesen Bedingungen mit seinen Missetaten zu konfrontieren.

Agent Orange
Weiter im Programm ging es dann mit den weltweiten Statements. Den Anfang machte die österreichische Fernsehköchin und EU-Parlamentarierin Sarah Wiener, die in einer flammenden Rede feststellte, dass die Zeit von BAYER abgelaufen sei. Daraufhin folgten Stimmen aus Vietnam. Das Land war während des Vietnam-Krieges mit dem von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO produzierten Herbizid Agent Orange heimgesucht worden. Von den Folgen berichtete Dr. Thi Ngoc Phuong Nguyen: Sie hatte nach den Sprüheinsätzen mit dem Pestizid eine Totgeburt erlitten. Dieses Schicksal traf die ehemalige Vietcong-Guerillera Hong Nhut Dang gleich mehrmals. Auch Thi Phuong Nguyen war Agent Orange ausgesetzt, ihr Sohn kam mit Leukämie zur Welt.
Tú Qùynh-nhu Nguyen vom Collectif Vietnam Dioxine fand für das Verbrechen „Agent Orange“ deutliche Worte: „Der Einsatz von Agent Orange in Vietnam ist der größte Ökozid und die größte chemische Kriegsführung in der Geschichte gewesen.“ Neben dem Collectif Vietnam Dioxine nahmen auch Susan Tabbach von RISIKO PILLE, Wiebke Beushausen von INKOTA, Peter Clausing von PAN, Bettina Müller von POWERSHIFT e.V. und Andre Sommer vom NETZWERK DUOGYNON die Möglichkeit wahr, dem Konzern die Meinung zu sagen. Anschließend ging ein ganzer Block auf Sendung, der einen Einblick in eine Region ermöglichte, die einer der profitabelsten Absatzmärkte für BAYERs Glyphosat ist: Lateinamerika. Auch von hier berichteten Betroffene aus ihrem Alltag mit dem Gift. Elsa, eine Lehrerin aus einer ländlichen Gemeinde in Argentinien, in der Glyphosat als Unkrautvernichter überall präsent ist, erzählte von mehreren Fehlgeburten, die sie durch die permanenten Glyphosat-Ausbringungen erlitt. Auch in der lokalen Schule leiden viele Kinder an Erkrankungen, welche auf das Herbizid zurückzuführen sind. Petra, eine Lehrerin aus einer anderen Gemeinde, bestätigte die Befunde. Auch in ihrer Region habe sich das ganze Spektrum von Krankheiten, welche Glyphosat auslösen kann, gezeigt.
Im zweiten Live-Block redete Marius Stelzmann mit dem Grünen-Abgeordneten Harald Ebner weiter über das unglückselige Pestizid. Und die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch von DIE LINKE hielt in dem darauffolgenden Interview ganz klar fest: „BAYER ist nicht der Löser globaler Krisen, sondern trägt zu globalen Krisen bei!“ Als nächstes berichtete Jurek Vengels vom Münchner UMWELTINSTITUT von einem Prozess, mit welchem sich die Einrichtung nach ihrer Kritik am Pestizid-Einsatz in Südtirol, einem der größten europäischen Obstanbau-Gebiete, konfrontiert sah. Ein weiteres Interview gab Bettina Müller von POWERSHIFT, über deren Verbindungen uns die Statements der Glyphosat-Betroffenen aus Lateinamerika erreicht hatten.
Mit Kim Vo Dienh, einem Vertreter des COLLECTIF VIETNAM DIOXINE, das der CBG die Botschaften von Agent-Orange-Geschädigten zur Verfügung gestellt hatte, sprach Stelzmann über Tran To Nga, die in Paris einen Prozess gegen BAYER/MONSANTO führt. Danach berichtete Regisseurin Katja Becker über die Situation in Kenia. Sie hatte vor Ort die Dokumentation „The Food Challenge“ gedreht, welche die Folgen des Einsatzes von in der EU bereits verbotenen Pestiziden für die Landbevölkerung des Staates thematisiert. Becker äußerte aufgrund ihrer gesammelten Materialien die Vermutung, dass die fortgesetzte Produktion dieser Ackergifte bewusst im Hinblick auf Gebiete mit schwächeren Schutzverordnungen wie Kenia geschehe.

Der letzte Live-Block
Der letzte Live-Block ging um 16.00 Uhr auf Sendung. Der erste Gast hatte bereits einige Hauptversammlungserfahrung. Alan Tygel von der brasilianischen CAMPANHA PERMANENTE CONTRA OS AGROTOXICOS E PELA VIDA stellte klar, dass er vom Konzern nichts erwartete, da es diesem nur um Profit ginge. Sein Appell richte sich vielmehr an die deutsche und europäische Zivilgesellschaft, die BAYER und die deutsche Regierung unter Druck setzen sollten. Der nächste Interview-Partner war Günter Wulf, ein ehemaliges Heimkind, an dem als Kind gegen seinen Willen Medikamententests vorgenommen worden waren. Günter verbrachte mehrere Jahre in Dauersedierung durch Psychopharmaka; mit den Folgen hat er bis heute zu kämpfen. Er ist Teil des VEREINS DER EHEMALIGEN HEIMKINDER SCHLESWIG-HOLSTEINS und war auch bereits 2019 auf der Hauptversammlung von BAYER, um den Vorstand zur Rede zu stellen.
Als Reaktion auf deren Auftritt hatte der Global Player die ehemaligen Heimkinder eingeladen, in seinen Archiven in Leverkusen nach Belegen für die Verabreichung von BAYER-Medikamenten zu suchen. Und sie wurden fündig, wie uns Dr. Klaus Schepker, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Ulm, berichtete. Schepker legte dar, dass BAYER vom Leid der Heimkinder profitierte und in der Verantwortung sei, diese zu entschädigen und sich öffentlich zu seiner Verantwortung zu bekennen. Aus England zugeschaltet wurde der Coordination im Anschluss daran Marie Lyon. Marie ist selbst Geschädigte des hormonellen Schwangerschaftstests PRIMODOS (in Deutschland unter dem Namen DUOGYNON vermarktet). Ihr Kind kam ohne linken Unterarm zur Welt. Marie hatte daraufhin zusammen mit anderen Betroffenen die ACDHPT gegründet, die GESELLSCHAFT FÜR KINDER, DIE DURCH HORMONELLE SCHWANGERSCHAFTSTESTS GESCHÄDIGT WURDEN. Sie forderte BAYER auf, die überwältigenden wissenschaftlichen Beweise für die verheerende Wirkung des Präperats zu akzeptieren und Entschädigungszahlungen zu leisten. Der Konzern habe mit hormonellen Schwangerschaftstests überall auf der Welt Milliardenprofite erwirtschaftet, nun müsse er die Verantwortung für die Folgen übernehmen, so Lyon. Nina Holland von der NGO CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) stellte im folgenden Interview die Lobby-Praktiken BAYERs dar. Dann warnte Alexandra Caterbow vor den Gefahren von endokrinen Disruptoren – hormon-ähnlichen Stoffen, die unter anderem in Pestiziden von BAYER & Co. stecken.
Mit einem flammenden Abschluss-Statement von CBG-Vorstand Axel Köhler-Schnura, der die vielen verschiedenen BAYER-Verbrechen in die Unternehmensgeschichte einordnete, kam der Live-Online-Protest dann zum Abschluss. Die Coordination blickt zurück auf ein weiteres Jahr mit stark eingeschränktem leibhaftigen Protest auf der Straße – und mit einem virtuellen Protest, der größer und internationaler ausfiel als 2020. Und es ist klar: Wir bleiben dran …

[BAYER im Monolog] Viele Fragen und keine Antworten

CBG Redaktion

Im letzten Jahr hatte der Agro-Riese BAYER als erstes DAX-Unternehmen die Ungunst der Stunde genutzt, um seine Hauptversammlung rein online abzuhalten. Als „digitaler Pionier“ feierte er sich selbst dafür. Die Pioniertat bestand jedoch einzig darin, mit dieser Flucht ins Internet die Konzern-KritikerInnen auszusperren. Dementsprechend groß war die Empörung. Darum gelobte das Unternehmen nun Besserung. Aber Nennenswertes kam dabei nicht heraus, dazu hatte das Unternehmen auch 2021 wieder viel zu viel zu verbergen.

Von Jan Pehrke

Selbstbeweihräucherung musste sich BAYER-Chef Werner Baumann in seiner diesjährigen Eröffnungsrede zur Hauptversammlung erst einmal verkneifen. Der Konzern legte nämlich eine desaströse Bilanz vor. Die gnadenlose Profit-Jagd ohne Rücksicht auf Verluste wirkte sich erstmals auch auf die Geschäftszahlen aus. Die vielen Rechtsfälle, die aus Klagen von Geschädigten seiner Produkte erwachsen, zwangen das Unternehmen zu „Sonderaufwendungen“ in Höhe von rund 13 Milliarden Euro. Das führte beim Konzern-Ergebnis zu einem saftigen Minus von 10,5 Milliarden Euro. Ein Großteil der Rückstellungen wegen „rechtlicher Risiken“ entfallen dabei auf Glyphosat. Aber die „Rechtskomplexe“ betreffen längst nicht nur dieses von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid. Das Ackergift Dicamba, die Industrie-Chemikalie PCB und die Sterilisationsspirale ESSURE beschäftigen die Gerichte ebenfalls.
„Ich möchte direkt zu Beginn die Dinge beim Namen nennen“, hob der Vorstandsvorsitzende deshalb an und gestand „die enttäuschende Entwicklung unseres Aktien-Kurses“ ein. „Damit können wir nicht zufrieden sein“, hielt Baumann fest und ließ auch keine Ausreden wie Sonderbelastungen oder Währungseffekte gelten. „Wir tragen die Verantwortung – und zwar ohne Wenn und Aber“, konstatierte er und versicherte den AktionärInnen: „Wir wollen ihr Vertrauen wieder zurückgewinnen. Dafür arbeiten wir sehr hart.“

Aggressives Wachstum
Damit war die Übung in Demut allerdings schon wieder vorbei. Da in den ersten Monaten des Jahres viel Geld in die Kasse geflossen war, hatte Baumann nunmehr Oberwasser. „Das Marktumfeld hat sich inzwischen deutlich gebessert. Der erhebliche Nachfrage-Anstieg bei Agrar-Produkten hat zu steigenden Preisen geführt“, konstatierte er und sah den Konzern auf dem richtigen Kurs – trotz oder gerade wegen Corona: „Denn eins hat uns die Pandemie gelehrt: Es gibt nichts Wichtigeres als die Gesundheit und die Ernährung der Menschen.“ Der Beitrag des Leverkusener Multis dazu fiel bei Licht besehen allerdings bescheiden aus und beruhte auf Panik-Käufen. Viele VerbraucherInnen vermeinten sich nämlich mit den Nahrungsergänzungsmitteln von BAYER gegen Corona wappnen zu können und verhalfen diesem Produkt-Segment deshalb zu einem Umsatz-Plus von 23 Prozent. Ansonsten war nicht viel. Die zweite Karriere der Malaria-Arznei Chloroquin als Mittel gegen Covid-19 endete im letzten Jahr kläglich, schon bevor sie recht begann. So blieb dem Unternehmen nur die Rolle einer verlängerten Werkbank für den Impfstoff-Entwickler CUREVAC. Und satt werden die Menschen auch nicht durch den Leverkusener Multi. Seine Ackerfrüchte landen nämlich ganz woanders: in den Tierfutter-Trögen und Tanks. Aus diesem Grund litt die Agrar-Sparte unter der wegen Corona eingeschränkten Mobilität. Einen „geringeren Bedarf an Bio-Kraftstoffen“ beklagte Werner Baumann vielsagend.
Nicht fehlen darf in seinen Reden stets der Science-Fiction-Part, wird doch an den Börsen vornehmlich die Zukunft gehandelt. Bei der Forschung wähnte der Große Vorsitzende BAYER dementsprechend ganz weit vorne und just an der Stelle operierend, wo der inzwischen verstorbende APPLE-Gründer Steve Jobs künftig Durchbrüche erwartet, nämlich „an der Schnittstelle von Biologie und Technologie“. Als Beispiele für solche Leverkusener „Bio-Revolutionen“ nannte er die Gentechnik 2.0 mit CRISPR & Co. sowie die Arbeiten zum menschlichen Mikrobiom.
In der anschließenden Rede vom Aufsichtsratsvorsitzenden Norbert Winkeljohann war dann von Bußfertigkeit trotz der beeindruckenden Schadensbilanz des Konzerns überhaupt nichts mehr zu spüren. „Ihre Gesellschaft, die BAYER AG, hat sehr gute Voraussetzungen, ein wertstarkes Unternehmen zu werden“, versicherte er den AktionärInnen: „Wie dargestellt stehen aggressives Wachstum, Ertrags- und Wertsteigerung im Zentrum unserer Aktivitäten.“

Alle Fragen offen
Dann begann das, was in vorpandemischem Zeiten „Aussprache“ hieß. War es schon damals so recht keine, dann galt dies nun erst recht für die Online-Hauptversammlung. „Werner Baumann kann froh sein, dass die BAYER-Hauptversammlung am Dienstag nur virtuell stattfindet. Sonst müsste sich der Vorstandschef stundenlang einem Sperrfeuer stellen“, bemerkte die Rheinische Post treffend. „BAYER im Monolog“ – damit wäre treffend charakterisiert, was sich stattdessen an dem 27. April in dem Riesenstudio mit den fünf BAYER-Vorständen allein auf weiter Flur, flankiert nur von einem Notar, abspielte.
Same procedure as last year also. Allerdings gab es ein paar Neuerungen, denn die Flucht des Global Players ins Internet hatte einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Hauptversammlungsregelungen des „Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“, an denen die Konzerne kräftig mitgeschraubt hatten, erlaubten den Aktien-Gesellschaften, viele AktionärInnen-Rechte einzuschränken. So ließ der Leverkusener Multi im letzten Jahr keine Reden zu, sondern nur noch noch Fragen. Noch nicht einmal die Namen der FragestellerInnen nannte er. Und damit fehlte das Wesentliche. Es macht eben einen fundamentalen Unterschied, ob etwa eine Medikamenten-Geschädigte vor das Mikrofon tritt, ihre Leidensgeschichte erzählt und am Schluss fragt, wann BAYER die betreffende Arznei endlich vom Markt zu nehmen gedenkt, oder ob es einfach heißt: „Eine Aktionärin fragte nach dem Produkt DUOGYNON.“
Nach der massiven Kritik von Seiten der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, aber auch der „Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapier-Besitz“, gelobte Werner Baumann diesmal Besserung. Er bekundete, der Konzern habe das „Feedback aufgenommen“ und „mehr interaktive Elemente eingebaut“. Das Rede-Recht wollte er seinen AktionärInnen zwar immer noch nicht zugestehen, jedoch konnten diese Video-Statements abgeben. Auch durften die AktienhalterInnen nun wenigstens Nachfragen stellen, wenn der Global Player ihrer Meinung nach Antworten schuldig geblieben war.
Allerdings wollte der Gentech-Gigant die einzelnen Fragen immer noch nicht konkreten Personen oder Gruppen zuordnen. Er stellte die Fragen vielmehr zu bestimmten Blocks zusammen, beantwortete sie in einem Aufwasch und führte zu Beginn alle FragestellerInnen gemeinsam auf. „Wir kommen jetzt zum nächsten Themen-Komplex ‚Strategie’, und hier haben uns Fragen von folgenden Aktionärinnen und Aktionären erreicht: Marc Tüngler von der ‚Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapier-Besitz’ (DSW), Hendrik Schmidt von DWS INVESTMENT, Janne Werning von UNION INVESTMENT, Ingo Speich von DEKA INVESTMENT, COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und ihnen nahestehenden Personen und Organisationen ...“, so hörte sich das dann an. Und bisweilen war es unmöglich, in der langen Antwort auch nur den Part zu identifizieren, welcher die CBG betraf, weil die Vorstände die Fragen oft in ihren eigenen Worten wiedergaben. Nur wenn es hieß: „Eine Frage unterstellt, dass ...“, bestand kein Zweifel daran, dass die Coordination oder „ihr nahestehende Personen und Organisationen“ sie gestellt hatten. Dementsprechend hielt sich der Informationswert der ManagerInnen-Verlautbarungen für Außenstehende in Grenzen.
Zudem ließ der Konzern nicht wenige Fragen unter den Tisch fallen und verweigerte viele Auskünfte, z. B. darüber, wie viel Geld er jeweils in konventionelle und gentechnologische Pflanzenzüchtungsprojekte steckt. Aus „Wettbewerbsgründen“ wollte er dazu ebenso wenig etwas sagen wie zu den Entwicklungskosten für die Gen-Scheren im Vergleich zur Gentechnik 1.0 sowie zu den Geschäften mit seiner Gentech-Baumwolle: „Bezüglich der Bt-Baumwolle bitten wir um Verständnis, dass wir Verkaufszahlen auf Produkt-Ebene nicht ausweisen.“ Wie viel Kohlendioxid bei der extrem energie-intensiven Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor im US-amerikanischen Soda Springs anfällt, behielt das Unternehmen ebenfalls für sich. „Wir erheben die Emissionen von einzelnen Standorten nicht“, erklärte der Vorstandsvorsitzende. Und auch zum Stand der Dinge bei den Ermittlungen in Sachen „IBEROGAST“ – die Kölner Staatsanwaltschaft geht dem Verdacht der gefährlichen Körperverletzung nach, weil eine Patientin nach der Einnahme des Magenmittels verstarb – äußerte sich der BAYER-Chef nicht. „Wir bitten (...) um Verständnis, dass wir zu laufenden rechtlichen Verfahren keine Angaben machen“, so Baumann, um dann doch ein Plädoyer für die Arznei zu halten: „IBEROGAST ist ein bewährtes, wirksames und auch sicheres Medikament. Dies ist durch eine Anzahl von klinischen Studien und Anwendungsbeobachtungen belegt.“
Auch zu seinen anderen umstrittenen Produkten stand der Gentech-Gigant in Treue fest. „Die von nationalen und internationalen Zulassungsbehörden durchgeführten Bewertungen haben ergeben, dass Glyphosat bei sachgerechtem Einsatz sicher und nicht krebserregend ist“, beschied der Große Vorsitzende. Die Ribonukleinsäure-Interferenz (RNAi) – eine Gen-Technologie, die in dem neuen Labor-Mais der SMARTSTAX-Produktlinie zur Anwendung kommt, um die Pflanze vor dem Maiswurzelbohrer zu schützen – hält der Konzern ebenfalls für sicher. Der Initiative TESTBIOTECH zufolge kann die Ribonukleinsäure zwar mit der Darmflora von Mensch und Tier interagieren, in den Blutkreislauf gelangen und sogar in die Steuerung von Genen eingreifen, aber BAYER ficht das an. „Uns liegen keine verlässlichen wissenschaftlichen Nachweise dafür vor, dass die sachgerechte Anwendung von Produkten mit einer Wirkungsweise auf RNAi-Basis zu negativen Effekten führt“, konstatierte der Agrar-Vorstand Liam Condon. Das Hormon-Mittel DUOGYNON, das die jetzige BAYER-Tochter SCHERING bis 1978 auch unter dem Namen PRIMODOS als Schwangerschaftstest vermarktete, obwohl es katastrophale Folgen für Neugeborene hatte, erhielt ebenfalls die Absolution des Unternehmens. „BAYER schließt PRIMODOS bzw. DUOGYNON nach wie vor als Ursache für embryonale Missbildungen aus“, bekundete Pharma-Vorstand Stefan Oelrich.

Krokodilstränen
Darum beließ der Konzern es den Betroffenen gegenüber stets dabei, Betroffenheit zu heucheln: „Das Schicksal von Menschen, die infolge von körperlicher Behinderung täglich zu kämpfen haben, tut uns sehr leid.“ Einem ehemaligen Heimkind, das in den 1960er Jahren als Versuchskaninchen für BAYER-Psychopharmaka herhalten musste, antwortete Oelrich: „Dass Ihre eigenen Erfahrungen in diesem Zusammenhang so schlecht sind und Sie und andere Menschen darunter bis heute leiden, das bedauere ich sehr.“ Er wusste zwar auch nicht mehr zu sagen, warum diese Tests damals gemacht wurden, aber eines konnte er auf jeden Fall ausschließen: „eine missbräuchliche Durchführung von Prüfungen oder Studien mit diesen Produkten durch unser Unternehmen“.
Und auch für die 78-jährige Tran To Nga, die im Vietnam-Krieg durch das Versprühen von Agent Orange massive gesundheitliche Schäden erlitten hatte und deshalb zurzeit vor einem französischen Gericht von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO Schadensersatz fordert, blieb nur eine Beileidsbekundung. „Obwohl wir Frau Tran To Nga großes Mitgefühl entgegenbringen, glauben wir, dass es zahlreiche Gründe gibt, die die Abweisung dieses Falles rechtfertigen.“ Auf die Frage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), ob der Konzern den Einsatz von Agent Orange als Kriegsverbrechen einschätzt, antwortete Agrar-Chef Liam Condon derweil: „MONSANTO und andere Hersteller haben Agent Orange im Auftrag der US-Regierung hergestellt. Die US-Regierung legte strenge Bedingungen für die Produktion von Agent Orange fest und entschied, ob, wann, wo und wie das Mittel eingesetzt wurde. Uns steht es nicht zu, Jahrzehnte nach Ende des Vietnam-Konflikts die politischen und militärischen Handlungen der damaligen Konflikt-Parteien völkerrechtlich zu bewerten.“ Was er dann aber doch tat: „Kein Gericht hat festgestellt, dass die Hersteller durch die Produktion des Entlaubungsmittels für den Kriegsgebrauch der US-Regierung gegen das Völkerrecht verstießen. Die US-Gerichte wiesen diese Anschuldigungen ausdrücklich zurück und kamen zu dem Schluss, dass die Hersteller nicht für Schadensersatz-Ansprüche haften müssen.“ Die keineswegs nur passive Rolle, die MONSANTO beim „Herbicidal warfare“ spielte, verschwieg er dabei wohlweislich: Das Unternehmen hatte sich bereits seit 1950 im regen Austausch mit der Chemiewaffen-Abteilung des Militärs über die Kriegsverwendungsfähigkeit des Mittels befunden.
Angesichts der desaströsen Schadensbilanz der BAYER-Produkte wollte die CBG wissen, warum der Konzern seine Geschäftspolitik nicht radikal ändert und die Sicherheit seiner Erzeugnisse sorgfältiger prüft. Aber Werner Baumann sah keine Defizite in diesem Bereich und folglich auch keinen Anlass zu einem Strategie-Wechsel: „Die Sicherheit der Anwendung unserer Produkte ist uns ein zentrales Anliegen und ein sehr hohes Gut. Im Rahmen der Produkt-Entwicklung prüfen wir gemäß geltender regulatorischer Anforderungen und teilweise weit darüber hinaus gehend die Sicherheit unserer Produkte auf das Genaueste.“

Keine Reue
Auch ansonsten zeigte sich der Global Player nur wenig reumütig. Trotz der ganzen Glyphosat-Klagen und der schwachen Erträge der zusammengelegten Agrar-Sparten von BAYER und MONSANTO verteidigte Baumann die Akquisition: „An der langfristigen strategischen Logik des Zusammenschlusses hat sich (...) nichts geändert. Der Ansatz, unser Cropprotection-Geschäft vollständig vertikal zu integrieren mit dem führenden Anbieter von Saatgut und so zum führenden Anbieter in diesem Bereich zu werden, ist weiterhin überaus valide.“ Das Vorgehen, in den Staaten des globalen Südens Pestizide zu vertreiben, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben, rechtfertigte das Unternehmen ebenfalls. „Richtig ist, dass wir in einigen Ländern Pflanzenschutzmittel vertreiben, die in der EU nicht zugelassen sind. Dies ist aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der landwirtschaftlichen Praxis auch nicht überraschend und sagt nichts über die Sicherheit der jeweiligen Pflanzenschutzmittel aus“, so Condon. Im Übrigen seien umgekehrt auch viele Ackergifte, die etwa in Brasilien keine Genehmigung hätten, in der EU zugelassen, betonte er allen Ernstes. Die Aktien-Gesellschaft machte auch keine Anstalten, von dieser Politik der doppelten Standards abzurücken. Allein in Brasilien verkauft das Unternehmen zwölf hierzulande nicht genehmigte Ackergifte und in Südafrika sieben. Zumindest eines von ihnen – Carbendazim – will es in Zukunft nicht mehr vermarkten. Die Coordination fragte deshalb, ob der Konzern noch weitere Ausmusterungen plant. Das verneinte der Cropscience-Leiter jedoch. „Wir treffen kontinuierlich Entscheidungen über unsere Produkte auf der Basis von Sicherheitsaspekten aber auch von anderen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Erwägungen für Landwirte. In diesem Kontext bestehen derzeit keine Absichten, die genannten Wirkstoffe aus den Märkten zu nehmen“, führte der Ire aus.
Kritik an seinem Steuergebaren wies der Leverkusener Multi ebenfalls zurück, obwohl er nach einer Studie der Grünen im Europa-Parlament in den letzten zehn Jahren durch kreative Buchführung rund drei Milliarden Euro an Abgaben sparte. Damit nicht genug, trat der Global Player durch die Verlagerung seiner Patent-Abteilung ins nordrhein-westfälische Steuer-Paradies Monheim auch noch einen gnadenlosen Unterbietungswettbewerb der Kommunen los. In dessen Folge senkte BAYERs Stammsitz Leverkusen 2019 die Sätze drastisch. Der Konzern jedoch war sich an diesem 27. April keiner Schuld bewusst. „Wir begrüßen alle Bemühungen der Stadt Leverkusen für einen wettbewerbsfähigen Standort“ erklärte Finanzvorstand Wolfgang Nickl frank und frei. Der Manager räumte auch ein, dass der Global Player dabei ein Wörtchen mitredete: „Bei allen wichtigen Kommunen stehen wir im regelmäßigen Austausch mit den jeweiligen Kämmerern.“ So wusste das Unternehmen schon früh über die Pläne der Stadt Bescheid. Das wurde „dann auch im Rahmen aktueller Restrukturierungsprojekte berücksichtigt“, so Nickl, und führte zur Rückverlagerung einiger Unternehmensteile nach Leverkusen.

Klartext
Mit den von der CBG eingereichten Fragen konnte der BAYER-Konzern so einiges anstellen: Sie ganz wegfallen lassen, sie in seinen eigenen Worten so wiedergeben, dass ihr kritischer Gehalt verschwand, sie kaltstellen, indem sie gemeinsam mit denen der Investment-Gesellschaften beantwortet wurden oder „aus Wettbewerbsgründen“ nicht auf sie eingehen. Überdies behielt der Agrar-Riese in jedem Fall das letzte Wort.
Mit den Video-Statements war ein solcher Umgang nicht möglich. Sie erlaubten es den AktivistInnen, Sachverhalte – wenn auch nur zwei Minuten lang – im Zusammenhang darzustellen und Tacheles zu reden. Und davon machten alle ausgiebig Gebrauch. Wiebke Beushausen von INKOTA und Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK prangerten den Export von Pestiziden, die in der EU nicht zugelassen sind, in die Länder des Südens an. Bettina Müller von POWERSHIFT schilderte die drastischen Folgen der Sprüh-Einsätze mit Glyphosat in Lateinamerika. „In Argentinien beispielsweise liegt die Zahl der an Krebs erkrankten Menschen in Dörfern, die aus der Luft mit Glyphosat & Co. besprüht wurden, viermal über dem Landesdurchschnitt“, so Müller. Sa-scha Gabizon von WOMEN ENGAGE FOR A COMMON FUTURE (WECF) machte auf die Gefahr durch hormon-ähnlich wirkende Chemikalien aufmerksam, zu denen für nicht wenige WissenschaftlerInnen auch Glyphosat zählt. Brigitte Hincha vom Vorstand der Coordination thematisierte derweil das von Glyphosat beförderte Artensterben, und das tat ihr CBG-Kollege Simon Ernst ebenfalls. „Profit kann nicht das Prinzip sein, nach dem die Ernährung und die Landwirtschaft sich zu organisieren hat“, lautete seine Schlussfolgerung. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann nahm zu dem Prozess Stellung, den die „Agent Orange“-Geschädigte Tran To Nga in Frankreich gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO führt, und Tú Qùyh-nhu Nguyen von der Initiative COLLECTIF VIETNAM DIOXINE konfrontierte Baumann & Co. in diesem Zusammenhang mit der Frage: „Will der BAYER-Vorstand endlich Verantwortung übernehmen und einer gerechten Entschädigung aller Geschädigten von Agent Orange nachkommen?“ Ebendies forderte Andre Sommer in Sachen „DUOGYNON“ und Susan Tabbach in Sachen „YASMINELLE“, einem Verhütungsmittel BAYERs mit erhöhtem Thrombose-Risiko. Der Autor dieser Zeilen resümierte schließlich in seinem Statement: „Die Bilanz des BAYER-Konzerns für das Geschäftsjahr 2020 ist desaströs – in sozialer Hinsicht, in juristischer Hinsicht, in gesellschaftlicher Hinsicht, in ökologischer Hinsicht und sogar in ökonomischer Hinsicht.“ Folgerichtig appellierte er am Schluss seiner Ausführungen an die AktienhalterInnen, gegen die Entlastung des Vorstands zu stimmen.

Bilanz
20.000 Gegenstimmen von kritischen AktionärInnen hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN schon vor der Hauptversammlung einsammeln können. Das „Schwarzbuch BAYER“, das die CBG dann in der Veranstaltung selbst präsentierte, dürfte die Zahl noch einmal um einiges erhöht haben. Sieben Gegenanträge, elf Video-Statements, vier schriftliche Stellungnahmen und über 200 Fragen – nicht nur von der CBG, sondern auch von TESTBIOTECH, RISIKO-PILLE, DUOGYNON-Geschädigten, OXFAM, dem GEN-ETHISCHEN NETZWERK, DER ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT E.V., DER AURELIA STIFTUNG und dem BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ – boten nämlich mächtig Stoff zur Meinungsbildung. Zudem wechselte mit DEKA INVESTMENT auch ein großer Vermögensverwalter ins Lager der Nein-SagerInnen. Am Ende des Tages fanden sich deshalb dort mehr als 50 Millionen Aktien wieder: 9,92 Prozent lehnten die Entlastung des Vorstandes ab. BesitzerInnen von noch einmal über 20 Millionen Aktien enthielten sich, und gegen die Entlastung des Aufsichtsrates stimmten 7,42 Prozent. Ein deutlicher Ausdruck dessen, dass auch ein Teil der AktionärInnen auf der Seite der Gesundheit, der Umwelt, der Menschenrechte und der sozialen Rechte steht und gegen die Geschäftspolitik BAYERs Stellung bezieht.
CBG-Urgestein Axel Köhler-Schnura zog am Ende dieses Resümee der zweiten Online-Hauptversammlung des Leverkusener Multis: „Es ist sehr, sehr beschämend, mit welcher Heuchelei da heute die Verantwortlichen im Konzern ihr Beileid, ihr Mitleid mit den Opfern ausgedrückt haben, aber gleichzeitig in aller Härte an den Standpunkten festgehalten haben. Nämlich: ‚Glyphosat muss auf dem Markt bleiben’ (...) Agent Orange, Steuerflucht: alles bestens, alles super, alles toll! Unschuld, Unschuld, Unschuld (...) Dieser Widerspruch fiel am heutigen Tag jedem, der das verfolgt hat, direkt ins Auge.“⎜

Abstimmungsergebnisse
Gewinnverwendung
Nein-Stimmen 1,6 Mio. 0,3 %

Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen 50 Mio. 9,92 %

Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 37 Mio. 7,42 %

Die Abstimmungen auf Hauptversammlungen von Konzernen wer-den bestimmt von wenigen Groß-aktionärInnen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.). Sie besitzen bis zu 90 und mehr Prozent aller Aktien und haben so viele Stimmen, wie sie Aktien besitzen.
Die mehreren hunderttausend Klein-aktionärInnen bei BAYER halten zusammen lediglich fünf bis zehn Prozent aller Aktien. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse.
Die Kritischen AktionärInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatten zur Gewinnverteilung, zur Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat und zur Wahl alternative Anträge gestellt. Der Erfolg dieser Anträge wird deutlich an den Gegenstimmen zu den Anträgen des Vorstands.

[War on Drugs] „War on Drugs“ mit Glyphosat

CBG Redaktion

„War on Drugs“ mit Glyphosat

Der kolumbianische Präsident Iván Duque plant, die im Jahr 2015 von seinem Amtsvorgänger gestoppten Flugzeug-Sprüheinsätze mit Glyphosat zur Zerstörung von Koka-Pflanzen wieder anlaufen zu lassen. Dabei fällt die Bilanz des Chemie-Krieges gegen die Droge verheerend aus, sowohl in gesellschaftlicher und sozialer als auch in gesundheitlicher und ökologischer Hinsicht. Entsprechend groß ist der Protest im Land.

Von Jan Pehrke

Im Jahr 2015 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Das blieb nicht ohne Folgen. In Nordamerika gingen bei den Gerichten die ersten Entschädigungsklagen ein, und auch in Südamerika tat sich etwas. Der damalige kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos beendete den Einsatz des Herbizids als Waffe im „War on Drugs“. „Die Empfehlungen und Studien, die vom Gesundheitsministerium überprüft wurden, zeigen deutlich: dieses Risiko existiert“, sagte er mit Verweis auf die WHO-Entscheidung und stoppte das Versprühen des Mittels per Flugzeug (1).
Seit 1986 hatte es zur Ausräucherung der Pflanzungen Verwendung gefunden. Begonnen hatte der „chemical warfare“ gegen den Koka-Anbau sogar schon 1978, aber so richtig große Dimensionen nahm er erst ab dem Jahr 2000 an. Da startete Kolumbien mit „freundlicher Unterstützung der US-Regierung“ den milliarden-schweren „Plan Colombia“ und mit ihm die Glyphosat-Flüge. Gegen den illegalen Anbau von Rauschmitteln richtete sich der Plan allerdings bloß vordergründig. „Die Fokussierung auf Counternarcotics war nur die Basis dafür, eine partei-übergreifende Unterstützung zur Finanzierung des Programms im US-Kongress zu erhalten, weil einige Mitglieder des Kongresses – das abschreckende Beispiel ‚Vietnam’ vor Augen – einer Verwicklung in Aufstandsbekämpfung kritisch gegenüberstanden“, spricht ein Kongress-Bericht aus dem Jahr 2019 Klartext (2). Auch für Dario Azzelini war der „Plan Colombia“ von Anfang an eine Strategie zur Bekämpfung der Guerilla-Gruppen. Zum Beleg führt er unter anderem eine Aussage des US-Generals Charles Wilhelm an. „Die kolumbianischen Streitkräfte sind nicht mehr in der Lage, den Vormarsch der Aufständischen aufzuhalten. Kolumbien braucht dringend unsere Hilfe“, hatte der Militär vom U.S. South Command Alarm geschlagen (3).

„Narco-Guerilla“
Im Fokus stand dabei vor allem die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia). Diese finanzierte sich zwar wirklich zu einem guten Teil über das Kokain, das jedoch taten die Paramilitärs auch, ohne deshalb Aktionen fürchten zu müssen, während die KämpferInnen der ELN (Ejército de Liberación Naciona) wiederum kaum auf Schonung hoffen durften, obwohl sie Drogen-Geschäfte ablehnten.
Für die FARC aber erfanden die USA den Begriff der „Narco-Guerilla“, mit dessen Hilfe sie den Krieg gegen die Drogen zu einem Krieg gegen die Rebellen machen konnten. Ein Vertreter des State Department charakterisierte das Vorgehen folgendermaßen: „Das ist das kolumbianische Modell. Wir haben das Militär nicht im aktiven Dienst in Kolumbien im Einsatz – aber wir haben Militär-Hilfe, die sich als bemerkenswert nützlich dabei erwiesen hat, die kolumbianische Armee und Luftwaffe zu Einsätzen gegen Drogen-Ziele zu bewegen. Und wenn sie dabei auch die FARC angreifen, die Drogenlabors bewacht, hilft das der Polizei, die Labors anzugreifen (4).“ Bei einem Großteil der zehn Milliarden Dollar, welche die Vereinigten Staaten von 2000 bis 2015 in den lateinamerikanischen Staat pumpten, handelte es sich um eine solche Militär-Hilfe. So bauten tausend US-Offiziere fünf Elite-Bataillone mit auf, „um den Süden des Landes wiederzuerobern“, wie die damalige US-Außenministerin Madelaine Albright es ausdrückte (5). Wegen dieser Ausrichtung zögerte die Europäische Union zunächst, den „Plan Colombia“ zu unterstützen, sagte dann aber doch 300 Millionen Euro zu – bestimmt allein zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten. In denen sah der Journalist Maurice Lemoine allerdings nur einen „höchst willkommenen Rauchvorhang“ für die militärischen Operationen (6).
Die „Einsätze gegen Drogen-Ziele“ erfolgten dabei in hoher Frequenz. Von 2000 bis 2015 versprühten Flugzeuge auf einer Fläche von fast 1.700.000 Hektar Glyphosat. Überdies rieselte es in einer erhöhten Dosierung herab. Die Konzentrationen lagen bis zum 26-Fachen über dem üblichen Maß. Zudem wurde dem Mittel mit Cosmo-Flux noch ein Wirkungsverstärker zugesetzt, der die Giftigkeit um den Faktor acht steigerte. Damit nicht genug, gingen die PilotenInnen mit aller Gründlichkeit vor und flogen dieselben Felder mehrmals an. Aus diesen Gründen stoppte ein kolumbianisches Gericht die Sprüh-Flüge bereits im August 2001. Das Verbot hatte allerdings nicht lange Bestand. Die US-Botschafterin in Kolumbien, Ann Patterson, intervenierte und drohte mit einem Entzug der Hilfsgelder. Deshalb kassierten die Richter das Urteil bereits nach elf Tagen wieder, und die Glyphosat-Ausbringung zog sich noch bis zum Jahr 2015 hin.
Die Bilanz fällt, sowohl was die Wirkungen als auch, was die Nebenwirkungen betrifft, desaströs aus. Die Überdosis Chemie verwüstete zwar viele Felder, aber zu einer nachhaltigen Dezimierung der Koka-Ernten führte das nicht. Zahllose Landwirte brachen in andere Gegenden auf und legten dort neue Pflanzungen an. So breitete sich der Anbau nach und nach im ganzen Land aus. Oftmals siedelten sich die Bauern und Bäuerinnen dabei in Urwald-Gebieten an und schafften sich durch Abholzungen neuen Ackergrund, was verheerende Folgen für das Klima und die Biodiversität hatte.

Gesundheitsrisiken
Am schlimmsten aber sind die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. So kam beispielsweise eine Untersuchung der „Universidad de los Andes“, die sich auf drei medizinische Gebiete konzentrierte, zu alarmierenden Befunden. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Exposition gegenüber dem Herbizid, das bei Sprühkampagnen aus der Luft verwendet wird, die Anzahl der Arztbesuche im Zusammenhang mit dermatologischen und atemwegsbedingten Erkrankungen sowie die Anzahl der Fehlgeburten erhöht“, resümieren die Wissenschaftler (7).
Das war auch in dem 200-Seelen-Dorf Santa Inés der Fall, das im Kolumbianischen Massiv am Fuße des „Cerro de Lerma“ liegt. „Ich war da oben, als sie gesprüht haben, und ich habe Wasser getrunken. Ich war im siebten Monat schwanger, jetzt habe ich mein Kind verloren“, klagte etwa eine Frau dem Journalisten Maurice Lemoine ihr Leid. Mehr als ein Viertel der Bewohner litt unter Schwindel, Kopf- oder Magenschmerzen, Durchfall oder Übelkeit. „Ich habe die Patienten untersucht, die Symptome sind bei allen dieselben: Vergiftungserscheinungen“, konstatierte der Arzt Luis Eduardo Cerón (8).
Auch die Menschen aus Rioblanco de Sotará litten massiv unter dem Glyphosat-Einsatz. Über das ganze Ausmaß der Gesundheitsstörungen konnte der Reporter Larry Rohter von der New York Times im örtlichen Krankenhaus jedoch nichts in Erfahrung bringen. „Wir wurden angewiesen, mit niemandem darüber zu sprechen, was hier passiert ist“, beschied ihm eine Pflege-Helferin (9).
Tiere griff das Glyphosat ebenfalls an. Regenbogenforellen in Fischfarmen verendeten elendig, und auch das Vieh der Landwirte verschonte das Mittel nicht. „Ich habe 12 Rinder verloren, die durch das Herbizid getötet wurden, und ich musste den Rest verkaufen, weil es kein Gras mehr gab, auf dem sie grasen konnten. Ich habe alles verloren, was ich investiert hatte“, sagt Pedro Nel Segura aus der Provinz Nariño und spart nicht mit Vorwürfen. „Jeder Pilot hätte sehen müssen, dass ich kein Koka anbaue. Meine Kühe sind weiß – man kann sie aus der Luft leicht erkennen – und sie weideten auf offenem Land, auf dem nichts angebaut wurde“, erregt er sich (10) .
Was die Feldfrüchte der Bauern und Bäuerinnen betraf, zeigte sich das Glyphosat nicht eben wählerischer. Erbarmungslos ging es auch auf Felder mit Bananen, Bohnen, Kartoffeln, Mais, Kaffee, Zwiebeln, Knoblauch und anderen Gewächsen nieder. Und selbst wenn das Pestizid einigermaßen zielsicher zum Einsatz kam, trug es der Wind allzu oft auf benachbarte Äcker. Das gefährdete die Nahrungsmittel-Sicherheit und bedrohte die Existenz vieler FarmerInnen. Sobald sich die Kunde über das Ausbringen des Herbizids und die Nebenwirkungen verbreitete, sanken die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte der betroffenen Regionen rapide. Wegen der grenzüberschreitenden Folgen der Sprühungen reichte Ecuador im Jahr 2008 gar eine Klage gegen Kolumbien beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein.
Die Glyphosat-Einsätze veranlassten viele FarmerInnen der ländlichen Gemeinden dazu, aufzugeben. „Diese Gemeinschaften mussten die Geißel des Kriegs, des Drogenhandels und der strukturellen Gewalt gegen sie erleben. Doch bei allem, was es bedeutet, zwischen Armut, Kugeln und Bedrohungen zu leben, ist nichts schlimmer, als inmitten von Pestizid-Besprühungen zu leben, denn sobald sie kommen, steht eine massive Vertreibung dieser Gemeinden bevor“, schreibt die Juristin und Soziologin Carolina Bernal Ibáñez (11).
Ein militärisches Eingreifen zur Bekämpfung einer Guerilla, ein chemical warfare mit einem Pestizid als Waffe und die verbrannte Erde, die es hinterließ – die „Echos of Vietnam“ waren in dem lateinamerikanischen Land weithin vernehmbar. „In Kolumbien führen wir wieder einmal einen Giftkrieg gegen die einzigartigen Ökosysteme eines anderen Staates und die Gesundheit unschuldiger Zivilisten“, befand deshalb die US-amerikanische Wissenschaftlerin Rachel Massey (12).

Das Friedensabkommen
Diesem Treiben wollte der Duque-Vorgänger Juan Manuel Santos ein Ende machen. 2015 verkündete der damalige kolumbianische Präsident das Ende der Glyphosat-Flüge und ein Jahr später schloss er mit der FARC ein Friedensabkommen. Da das Kokain einen bedeutenden Beitrag zur Finanzierung ihrer Kämpfe gespielt hatte, erhoffte sich der Politiker von diesem Schritt einen Rückgang der Anbau-Flächen und Produktionsmengen, zumal die Übereinkunft den Guerilla-Mitgliedern Wege aus der Illegalität bahnte.
Auch die Landwirte erhielten Hilfsangebote. Rein wirtschaftlich betrachtet, handelt es sich bei Koka-Pflanzen nämlich um Cash Crops. Sie sind anspruchslos im Anbau und ermöglichen bis zu sieben Ernten im Jahr. Zudem gibt es eine Absatz-Garantie, ohne dass die AnbauerInnen dafür lange Lieferwege durch kaum erschlossene Gebiete in Kauf nehmen müssten. „Koka ist das einzige Produkt, das man aus dem Gebiet bekommt, in dem es angebaut wird. Mit anderen Produkten kann man gute Ernten erzielen, aber der Transport zum Markt ist so teuer, dass man einen Verlust macht“, erklärte der Sprecher einer lokalen FarmerInnen-Gruppe (13). So boten die Gewächse den Bauern und Bäuerinnen dann ein auskömmliches Leben und ihren Kindern eine Zukunftsperspektive, denn die Einnahmen reichten, um in die Ausbildung des Nachwuchses zu investieren. Andererseits fanden sich die „Cocaleros“ durch die Plantagen in der Gewalt-Ökonomie des Drogenhandels wieder. Sie gerieten zwischen die Fronten des „War on Drugs“, die nicht nur zwischen den Strafverfolgungsbehörden auf der einen und FARC, ELN und Paramilitärs auf der anderen Seite verliefen, sondern auch zwischen den einzelnen Gruppen selbst, da diese teilweise heftige Revier-Kämpfe ausfochten. „Koka brachte bewaffnete Gruppen direkt zu meiner Farm. Zu jedem Zeitpunkt konnten wir in Gefahr sein“, berichtet etwa ein Landwirt (14). Zwangsarbeit, Alkohol und Prostitution erhielten mit dem Kokain ebenfalls Einzug in die Welt der FarmerInnen. Vor allem viele Frauen wollten all das hinter sich lassen.
Den Ausstieg sollte das Substitutionsprogramm „Programa Nacional Integral de Sustitución“ (PNIS) ermöglichen, das unter anderem eine Unterstützung bei der Kultivierung anderer Pflanzen bereithielt. Eine solche hatte zwar schon der „Plan Colombia“ vorgesehen, aber eingebettet in einen kompromisslos geführten „War on Drugs“ wirkte das nur wenig attraktiv. Juan Hugo Torres, damals mit für die „Umschulung“ der „Cocaleros“ verantwortlich, kritisierte deshalb das inkonsistente Vorgehen von ehedem. „Man baut Vertrauen zu den Menschen auf, sie haben Hoffnungen, und dann macht das Sprühen all das zunichte“, so Torres. Und seine Vorgesetzte Alba Lucía Otero pflichtete ihm bei: „Der Staat ist eine Einheit, aber wir arbeiten auf der einen Seite, während diejenigen, welche die Ausräucherung durchführen, auf der anderen Seite arbeiten (15).“
Jetzt aber strebte Santos eine Politik aus einem Guss an. Das PNIS umfasste Kompensationszahlungen zusätzlich zu den Anreizen für Kokaersatz-Pflanzungen und zahlreiche weitere Maßnahmen zur Förderung der rund 200.000 vom Koka-Anbau lebenden Familien. So sah es einen besseren Zugang zu Landtiteln und Krediten sowie Hilfe bei der Vermarktung der Ackerfrüchte vor. Darüber hinaus strebte das PNIS eine Förderung des gesamten ländlichen Raumes an mit Infrastruktur-Projekten, einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung und neuen Bildungsangeboten. Nicht weniger als 36 Gesetzes-Vorhaben enthielt das Paket.

Mangelhafte Umsetzung
Bei der Umsetzung allerdings haperte es, denn die Kosten waren mit mehr als einer Milliarde Dollar immens. Zumal Kolumbien diese fast allein aufbringen musste. Die EU trug rund 200 Millionen Euro bei, aber die USA sperrten sich. Hatte das Land noch Milliarden in den „narco war“ gepumpt, so war ihm der Frieden nichts wert. Die Vereinigten Staaten stuften die FARC nämlich als Terror-Gruppe ein, was jegliche Form von Unterstützung ausschloss. Deshalb floss das Geld an die LandwirtInnen nur spärlich. Bis zum Dezember 2020 hatten erst drei Prozent von ihnen Finanzmittel für legales Saatgut erhalten. Auch die Reformen kamen nicht recht voran. Im August 2020 stand noch die Realisierung von 21 Projekten aus. Überdies verfügte das PNIS kaum über MitarbeiterInnen.
Einen Einschnitt markierte dabei der 7. August 2018, denn da kam Iván Duque an die Macht. Der Rechtskonservative lehnte das Friedensabkommen in der vorliegenden Form ab und wollte es neu verhandeln. Das verhindete allerdings das Verfassungsgericht. Also verlegte sich Duque auf Obstruktionspolitik und fuhr das PNIS-Programm zurück. Statt ursprünglich 188.000 Farmen durften jetzt nur noch 99.000 teilnehmen. Etliche der Bauern und Bäuerinnen hatten da schon ihre Koka-Pflanzen vernichtet und standen auf einmal mit leeren Händen da.
Diese Umstände trugen wesentlich dazu bei, den Erfolg in Grenzen zu halten. Nach Abschluss des Friedensabkommens weiteten sich die Koka-Felder zunächst sogar noch einmal von 146.139 auf 171.495 Hektar aus, weil nicht wenige FarmerInnen auf diese Weise die Kompensationszahlungen zu steigern hofften. Erst ab 2018 schrumpften die Anbau-Flächen wieder. Im Jahr 2019 nahmen sie noch 154.000 Hektar ein. Aber auch andere Faktoren spielten eine Rolle dabei, die Zahlen auf einem hohen Niveau zu halten. So stießen andere Gruppen in das Vakuum, das die FARC hinterließ wie z. B. mexikanische Drogen-Kartelle. Zudem kehrten Tausende FARC-KämpferInnen, enttäuscht vom Deal mit der Regierung, in den Untergrund zurück. Überdies sank der Goldpreis, was dem illegalen Abbau so einiges von seiner Attraktivität nahm und viele wieder oder erstmals zur Koka-Pflanze trieb. Der hohe Dollar-Kurs, der den Bauern und Bäuerinnen mehr Einnahmen für ihre Ernte versprach, tat dann ein Übriges. „Bogotá hat es nicht geschafft, die ökonomischen Grundlagen zu verändern, die Koka – schnell wachsend und für einen loyalen internationalen Markt bestimmt – zu einer so verlässlichen Frucht macht“, resümierte die „International Crisis Group“ (16).
Die USA verfolgten die Aufs und Abs der Koka-Ökonomie genau und sahen Handlungsbedarf. Als Hebel nutzten sie ein 1974 eingeführtes Instrument, das Handelsbegünstigungen und finanzielle Unterstützung von einer Zusammenarbeit in Sachen „Drogen-Bekämpfung“ abhängig machte und das Maß des Wohlverhaltens mittels eines Punkte-Systems taxierte. Die Trump-Administration drohte Juan Manuel Santos mit Abwertung und den entsprechenden ökonomischen Konsequenzen. Um eine solche „Decertification“ zu verhindern, sagte dieser der US-Regierung Anfang 2017 zu, die Koka-Felder um 50.000 Hektar zu dezimieren und schickte Korps aus, um die Plantagen zu zerstören. In Tomaco beschwor dies Mitte Oktober 2017 gewalttätige Auseinandersetzungen mit Bauern und Bäuerinnen herauf, bei denen nach offiziellen Angaben sieben und nach Angaben der LandwirtInnen 16 Menschen starben. „Kolumbianische Sicherheitskräfte ‚massakrieren’ Koka-Bauern unter Druck von Trump“, titelte eine Zeitung (17). Und auch für Ariel Ávila von der FOUNDATION FOR PEACE AND RECONCILATION waren es die Interventionen aus Washington, die zu „einer Radikalisierung der Antidrogen-Politik“ führten. „Der kolumbianische Staat setzt alles daran, sich zu fügen“, kritisierte er und sah das Friedensabkommen gefährdet (18). Eindruck machte das jedoch nicht. Nach neuerlichen Drohungen der US-Regierung im Juni 2018 sagte Santos zu, die Kokain-Produktion binnen fünf Jahren um die Hälfte zu reduzieren. Das Mittel der Wahl dazu: Das Ausbringen von Glyphosat per Drohne. Das sei weniger gefährlich, versicherte Santos, zudem komme eine niedrigere Konzentration zur Anwendung. „Bodentruppen“, die das Herbizid aus Sprühflaschen über die Koka-Pflanzen niedergehen ließen, waren da schon länger im Einsatz.
Und dann kam Duque und kündigte eine Wiederaufnahme der Glyphosat-Flüge an. Der Mahnung Donald Trumps bei einem Besuch des kolumbianischen Präsidenten im Weißen Haus Anfang März 2020: „Sie werden sprühen müssen, sonst bekommen Sie das nicht in den Griff“, bedurfte es da gar nicht mehr (19). Duque nutzte die Zusammenkunft jedoch, um wieder mit der schon obligatorischen Hektar-Zahl aufzuwarten: 130.000 weniger sollten es diesmal bis Jahresende sein.

Massive Proteste
Die Entscheidung des Politikers für den Neustart der „Luftangriffe“ mit dem berüchtigten Pestizid löste massive Kritik aus. So appellierten sieben Sonderberichterstatter der UN an Duque, nicht noch einmal zu der unheilvollen Methode zu greifen, mit der „enorme Risiken“ verbunden wären. Ende April zogen LandwirtInnen vor das Verfassungsgericht in Bogotá. Sie störten den Betrieb mit einer Sitzblockade und übergaben eine von 20.000 Menschen unterzeichnete Anti-Glyphosat-Petition.
Das Menschenrechtsnetzwerk REDHPNA und das Kollektiv ORLANDO FALS BORDA setzen ebenfalls bei der Justiz an. Sie beabsichtigen, das Glyphosat-Comeback auf rechtlichem Wege zu stoppen. Daneben versuchen GegnerInnen des Vorhabens, die Unterstützung der US-amerikanischen Regierung zu gewinnen. 150 ExpertInnen verfassten in der Sache einen Offenen Brief an Joe Biden, und kolumbianische PolitikerInnen wandten sich an den US-Kongress. „Um die Koka-Plantagen in Kolumbien zu zerstören, braucht es mehr soziale Investitionen und keine chemische Kriegsführung“, konstatierten sie in ihrem Schreiben (20).
Auch bei den aktuell in dem Staat stattfindenden Protesten, die sich massiver Gewalt von Polizei und Militär ausgesetzt sehen, verschaffte sich die Ablehnung der Flugzeug-Einsätze Gehör. So beteiligten sich indigene Gruppen an einem landesweiten Streik und forderten die Regierung auf, „das Versprühen von Glyphosat aus der Luft und die Gesundheitsreform zu stoppen und die aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen“ (21).

Und BAYER?
Der Leverkusener Multi wollte sich der Financial Times gegenüber nicht zum neuen Glyphosat-Programm Kolumbiens äußern, da er nicht direkt in die Praxis involviert sei. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte das Unternehmen unmissverständlich auf, das Pestizid für solche Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen. „Der BAYER-Konzern muss sich gerade vor Gericht für die chemische Kriegsführung seiner nunmehrigen Tochter-Gesellschaft MONSANTO in Vietnam verantworten. Er sollte jetzt in Kolumbien keine neue Front eröffnen und deshalb kein Glyphosat an die Regierung Duque liefern“, hieß es in ihrer Presseerklärung. Überdies hat die Coordination den Streikenden und Protestierenden in Kolumbien ihre Solidarität erklärt.
Auch die Bundesregierung muss nach Ansicht der CBG handeln, denn die Sprüh-Flüge widersprechen dem Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land, wie er unter der Überschrift „Das Friedensabkommen mit Leben erfüllen“ formuliert ist. Zudem verletzt der Duque-Plan die Grundsätze der mit Kolumbien geschlossenen „Allianz für Frieden und nachhaltige Entwicklung“, in dessen Rahmen der lateinamerikanische Staat Gelder in Höhe von 535 Millionen Euro erhält. Und die EU sieht die Coordination ebenfalls in der Pflicht, die finanzielle Unterstützung, die sie zur Umsetzung des Friedensabkommens leistet, zu überprüfen. Laut Vertragstext ist nämlich die freiwillige Substitution der Koka-Pflanzen durch andere Gewächse „ein wesentlicher Faktor zur Erreichung der Ziele“ (22). Über die wirtschaftlichen Beziehungen vermag Brüssel ebenfalls Druck auf Duque auszuüben. Darum zählt die CBG zu den MitunterzeichnerInnen einer Petition, die von der EU-Kommission verlangt, das Handelsabkommen mit dem lateinamerikanischen Land so lange auszusetzen, bis „die kolumbianische Regierung nachweislich das Recht auf friedlichen Protest garantieren kann“ und alle anderen Menschenrechte achtet, denn dazu hat diese sich in dem Vertragswerk verpflichtet (23).

(1) Colombia to ban coca spraying herbicide glyphosate; www.bbc.com
(2) Colombia: Background and U.S. Relations, S. 32; www.fas.org
(3) Dario Azzelini: Der Krieg der USA gegen die vermeintliche „Narcoguerilla“; www.nadir.org
(4) ebenda
(5) ebenda
(6) Maurice Lemoine: Krieg den Hütten, Frieden dem Kartell; Le monde diplomatique vom 12.Januar 2001
(7) Adriana Camacho, Daniel Mejia: The Health Consequences of Aerial Spraying of Illicit Crops: The Case of Colombia; www.cgdev.org
(8) Maurice Lemoine: Krieg den Hütten, Frieden dem Kartell; Le monde diplomatique vom 12.Januar 2001
(9) Larry Rohter: To Colombians, Drug War Is a Toxic Foe; New York Times vom 1. Mai 2000
(10) Gideon Long: Cocaine: Colombia weighs a new areal war on drugs; Financial Times vom 20. Februar 2021
(11) Carolina Bernal Ibáñez: Glyphosat-Besprühungen in Kolumbien: Die effektivste Methode für Vertreibungen; www.amerika21.de
(12) Rachel Massey: Echoes of Vietnam; www.thirdworldtraveler.com
(13) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 16; www.crisisgroup.org
(14) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 17; www.crisisgroup.org
(15) Larry Rohter: To Colombians, Drug War Is a Toxic Foe; New York Times vom 1. Mai 2000
(16) The International Crisis Group: Deeply Rooted: Coca Eradication and Violence in Colombia, S. 4; www.crisisgroup.org
(17) Colombian Security Forces „Massacre“ Coca Farmers Under Pressure From Trump, The Daily Beast vom 15.10.2017
(18) ebenda
(19) Kolumbien: Nächste Runde im Kampf gegen die Drogen?; www.dw.com
(20) Interim Comission about drug policy; www.cdn77.pressenza.com
(21) Indigenous peoples join the national struggle in Colombia’s strike; Global Voices vom 14. Mai 2021
(22) Final agreement to end the armed conflict and build a stable and lasting peace, S. 106; www.peaceagreements.org
(23) Petition: Aussetzung des Handelsübereinkommens zwischen der EU und Kolumbien

[MaM Paris] Auf den Straßen von Paris

CBG Redaktion

CBG beim „March contre MONSANTO/BAYER et l‘agrochimie“

Dieses Jahr hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN am „March contre MONSANTO/BAYER et l‘agrochimie“ in Paris teilgenommen. Auf der Demonstration am 15. Mai waren trotz strömenden Regens und der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie zeitweise mehr als 1.000 BAYER/MONSANTO-GegnerInnen unterwegs. Ein beeindruckendes Zeichen gegen Konzern-Macht.

Von Marius Stelzmann

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) arbeitet ständig daran, den weltweiten Widerstand gegen BAYER/MONSANTO zusammenzubringen. Als sie anlässlich des Beginns des historischen „Agent Orange“-Prozesses in Frankreich zu möglichen internationalen BündnispartnerInnen Kontakt aufzunehmen versuchte, bekam die Coordination eine Rückmeldung vom COLLECTIF VIETNAM DIOXINE, das hauptsächlich in Frankreich aktiv ist, jedoch auch in Deutschland Mitglieder hat. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die CBG die AktivistInnen des Collectif nicht nur zu den Aktionen rund um die BAYER-Hauptversammlung einladen würde, sondern möglichst auch ihren Kampf vor Ort unterstützen würde. Und beim „March contre MONSANTO/BAYER et l‘agrochimie“ bot sich die passende Gelegenheit dazu, denn das Thema „Agent Orange“ spielte an dem Tag eine nicht unwesentliche Rolle.
Bereits im Vorfeld des Marches war in dem Verfahren gegen gegen BAYER/MONSANTO, DOW CHEMICAL, HERCULES, UNIROYAL und neun weitere Konzerne, die während des Vietnamkrieges Agent Orange produziert hatten, ein Urteil gefallen. Am 10. Mai, dem Montag vor der Demonstration, verkündete das Gericht in Evry nahe Paris, dass es die Klage einer Geschädigten – der mittlerweile 79-jährigen, vietnamesisch-stämmigen Französin Tran To Nga – für unzulässig halte. Es schloss sich damit der Sichtweise der Konzern-AnwältInnen an, die argumentiert hatten, dass die Verantwortung für den Einsatz von „Agent Orange“ alleine bei der US-Regierung in Washington läge und nicht bei den „Lieferanten zu Kriegszeiten“. Dementsprechend erklärte nun das Gericht, dass die Unternehmen „auf Anweisung und im Namen des amerikanischen Staates bei der Vollendung eines souveränen Aktes“ gehandelt hätten.
Auch gegen diese skandalöse Ignoranz gegenüber der Mittäterschaft der BAYER-Tochter MONSANTO sollte an diesem Samstag demonstriert werden: CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann hatte eine Rede vorbereitet, welche diese genau benannte. Schon lange vor dem offiziellen Beginn des Marches begann sich der Plac Stalingrad zu füllen. Es wurden zahlreiche Stände aufgebaut, welche die auf dem Platz flanierenden PariserInnen über das Anliegen informierten. Obwohl an dem Wochenende in der Stadt noch mehrere andere Demonstrationen stattfanden, das Wetter nicht gerade zu politischen Aktionen einlud und die Corona-Pandemie zur Vorsicht zwang, fand sich schnell eine beeindruckende Menge von über 1.000 Personen zusammen. Frankreichweit gab es darüber hinaus noch in 17 anderen Städten kleinere Aktionen und Demonstrationen gegen BAYER & Co.
Tran To Nga eröffnete die Auftakt-Kundgebung auf dem Place Stalingrad. Sie war während des Krieges als Lehrerin und Journalistin tätig und Ende 1966 bei einem Angriff nördlich von Saigon in eine von einem Flugzeug aus versprühte Wolke von Agent Orange geraten. Über die schweren gesundheitlichen Folgen war sie sich damals nicht im Klaren. Ein Kind, welches sie drei Jahre später zur Welt brachte, starb jedoch mit nur 17 Monaten. Vorher hatte sich die Haut in Fetzen von dessen Körper abgelöst. Tran To Nga selber leidet noch heute an den schweren gesundheitlichen Spätfolgen der Besprühung. Brustkrebs, Herzprobleme, Alpha-Thalassämie, Diabetes Typ zwei, hoher Blutdruck und Chlorakne stehen in ihrer Krankenakte.
Von der Gerichtsentscheidung zeigte sie sich unbeeindruckt. In einer kämpferischen Ansprache betonte sie, weiter durch alle Instanzen gehen zu wollen. Noch stärker als bisher sollte in den Prozess die ökologische Dimension des Kriegsverbrechens „Agent Orange“ einfließen. So wolle sie den Begriff „Ökozid“ starkmachen, um das Ausmaß des Schadens für die Umwelt von Vietnam hervorzuheben. 80 Millionen Liter der hochgiftigen Chemikalie waren während des Krieges über Vietnam ausgebracht worden.
Tran To Nga ist ebenfalls Mitglied im Collectif Vietnam Dioxine, welches alte VeteranInnen, die den Vietnamkrieg noch selbst erlebt haben, mit einer jungen Generation neuer AktivistInnen verbindet, die den Kampf um Gerechtigkeit für das Land, aus dem ihre Familien einst nach Frankreich emigrierten, auch als Akt des antikolonialen und antirassistischen Widerstandes begreifen.
Die nachfolgenden RednerInnen vergewisserten Tran To Nga ihre Solidarität und betonten die Wichtigkeit des Prozesses. Offensichtlich war die Demonstration der politische Ausdruck des Kampfes, der in Evry vor Gericht mit rechtlichen Mitteln geführt wurde. Die neokoloniale Dimension des globalen Pestizidhandels thematisierte ein Vertreter des Netzwerkes ZÉRO CHLORDÉCONE ZÉRO POISON, eine Organisation von MigrantInnen aus den französischen Überseegebieten Gouadeloupe und Martinique. Er schilderte die verheerenden Zustände in diesen Regionen, denn Großkonzerne des globalen Nordens wie BAYER nutzen Länder wie Goudaloupe und Martinique als Absatzmärkte für Pestizide, die in der EU schon längst verboten sind. Die Folge: Die EinwohnerInnen leiden massiv unter den gesundheitlichen Folgen dieser Ultragifte. Das Netzwerk und seine AktivistInnen sorgten dann auch noch für ein besonderes Highlight, als die Demo sich nach dem Ende des ersten Redeblocks lautstark in Richtung der Pariser Innenstadt in Bewegung gesetzt hatte. Da schlug nämlich die Stunde für eine Performance. Diese war zu gleichen Teilen Demo-Chor und Gesangsdarbietung und wurde unterstützt von einer eigenen Demoband, deren treibende Rythmen der ganzen Demonstration Energie verliehen.
Die Coordination steuerte zum Erscheinungsbild ihr eigenes Transparent mit dem passenden Slogan „Tod auf den Feldern“ bei. Denn das ist es, was BAYER/MONSANTO Mensch und Umwelt weltweit bringt. Das Transparent trug Stelzmann gemeinsam mit GenossInnen der ASSOCIATION D‘AMITIÉ FRANCO-VIETNAMIENNE, bei denen er auch über das Wochenende untergebracht war.
Im Verlaufe der Demonstration kam es traurigerweise noch zu einem Akt brutaler Polizeigewalt: Die Polizei beschoss die friedlichen AktivistInnen mit Tränengas. Dieses Niveau von Polizeibrutalität schien jedoch niemanden zu überraschen: Spätestens seit den Protesten der „Gilets jaunes“ waren die Menschen in Frankreich wesentlich Schlimmeres gewohnt. Und so ging die Demonstration nach einem kurzen Ausspülen der Augen genauso kraftvoll weiter wie vorher.
Auf der Abschlusskundgebung hielt die CBG eines der Schlussworte. Viele AktivistInnen hatten noch ausgeharrt, da sie gespannt waren, was der internationale Gast zu sagen hatte. In seiner Rede verurteilte Marius Stelzmann zunächst die Polizeigewalt und erklärte dann seine Solidarität mit den kämpfenden Völkern von Martinique und Guadeloupe. Die Vergiftung dieser Länder gehe von der Konzernzentrale in Leverkusen aus. Also, so Stelzmann, sei es notwendig, alle Kräfte zu bündeln, und den Leverkusener Multi direkt vor seiner Haustür mit seinen Verbrechen zu konfrontieren. Dazu lud er unter lautem Jubel der Anwesenden alle Gruppen und Personen vor Ort ein. Auch zeigte er auf, dass BAYER/MONSANTO unter dem Druck der vielen Geschädigten des Konzerns, die ihr Recht geltend machen, wankt. So musste das Unternehmen, vor allem aufgrund „rechtlicher Risiken“ als Folge einer Masse von Schadensersatz-Klagen, Rückstellungen in Milliarden-Höhe bilden und für das Geschäftsjahr 2020 ein negatives Konzern-Ergebnis verkünden. Auch zur aktiven Rolle MONSANTOs bei der Verwendung von Agent Orange als Kriegswaffe nahm Stelzmann Stellung: Bereits seit den 50er Jahren hatte MONSANTO auf das Pentagon eingewirkt, den Einsatz der Substanz zu kriegerischen Zwecken in Erwägung zu ziehen.
Zum Schluss übergab Stelzmann den OrganisatorInnen vom Collectif noch ein symbolisches Geschenk: Ein Transparent der CBG, welches das Glyphosat-Verbrechen anklagt. Mit einem prallen Adressbuch voller französischer Kontakte, um neue Perspektiven des Kampfes bereichert und angespornt durch die Vielfalt der Stimmen gegen den Riesen BAYER/MONSANTO geht die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN durch das hoffentlich weiter kooperationsreiche Jahr.

[Ein Aufrechter] Friedhelm Meyer ist tot

CBG Redaktion

Am 15. Juni 2021 ist der langjährige CBG-Mitstreiter Friedhelm Meyer im Alter von 85 Jahren verstorben

Von Axel Köhler-Schnura

Der Pfarrer Friedhelm Meyer war in der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) seit den frühen Anfängen in den 80er Jahren aktiv. Von dieser Zeit an war Friedhelm bei unzähligen regionalen, überregionalen und internationalen Aktionen des konzernkritischen Netzwerkes dabei. Er hat es aktiv mit aufgebaut und dazu beigetragen, dass die Coordination heute da steht, wo sie steht.
Auch in der Höhle des Löwen, auf den jährlichen Hauptversammlungen des BAYER-Konzerns, stand er immer wieder als Kritischer Aktionär am Mikrofon. Und es war für die Vorstandsriege des Unternehmens immer schon ein besonderes Erlebnis, wenn Friedhelm seine Kanzel mit dem RednerInnen-Pult des AktionärInnen-Treffens vertauschte und wider den Profit predigte.
Der Leverkusener Multi nahm dieses Engagement bei der CBG ebenso wenig hin wie das von Friedhelms Kollegin, der Pfarrerin Friedel Geisler aus Solingen. So drohte er öffentlich, seine damals 170.000 Beschäftigten dazu anzuhalten, keine Kirchensteuer mehr zu zahlen. Die Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland ging sofort vor BAYER auf die Knie und holte den Konzern in die Leitung des Kirchentags in Düsseldorf. Friedel Geisler und Friedhelm Meyer hingegen bekamen heftigen Druck von oben zu spüren.
Auch ansonsten war Friedhelm bei den Kirchen-Oberen nicht eben wohlgelitten. In seiner 35 Jahre währenden Amtszeit in der Düsseldorf-Garather Hoffnungkirche hat sein Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und das (Über-)Leben auf der Erde immer wieder das Missfallen der Kirchenleitung erregt. So z. B. zur alljährlichen Mobilisierung für den Ostermarsch, wenn er die Kirchenglocken in Garath läutete und die Friedensfahne mit der weißen Taube auf blauem Grund auf der Kirchturmspitze hisste.
Nach der Beendigung der aktiven Zeit als Pfarrer in Garath steckte Friedhelm Meyer nicht etwa zurück, sondern vergrößerte seinen Aktionsradius noch. Er arbeitete im Vorstand des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge, bei „Düsseldorf stellt sich quer“, im Düsseldorfer Sozialforum und bei zahlreichen weiteren Initiativen mit. Keine Aktion, keine Demonstration konnte beginnen, bevor nicht Friedhelm auf seinem Fahrrad angeradelt war.
Friedhelm Meyer war Menschenfreund, Familienmensch, Friedensaktivist, Antifaschist, Kapitalismus- und Konzernkritiker und Umweltschützer. Beispielgebend war, dass er Antikommunismus nie Raum gab und sich vehement für den gemeinsamen Einsatz aller ehrlich interessierten Kräfte für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz einsetzte.
Friedhelm Meyer war einer von uns. Wir werden sein Werk ehren und in seinem Sinne weiter wirken. ⎜

[„BAYER liefert nur den Tod“] Interview mit Philippe Piard

CBG Redaktion

Am Pariser „March contre MONSANTO/BAYER et l‘agrochimie“ im Mai 2021 hatte neben der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auch die Initiatve SECRETS TOXIQUES teilgenommen. Sie setzt sich zum Ziel, versteckte giftige Stoffe, welche in als „glyphosatfrei“ deklarierten Pestiziden enthalten sind, sichtbar zu machen. In Frankreich sind glyphosathaltige Pestizide nämlich seit 2019 für den Verkauf an Privatpersonen verboten. BAYER/MONSANTO reagieren darauf mit der Einführung giftiger neuer Formulierungen, deren harmlos klingende Hauptzutat Essig ist. Nicht aufgeführt sind aber weitere Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Arsen. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann sprach mit Philippe Piard über die Arbeit der Organisation.

Könntest Du dich und deine Organisation kurz vorstellen?

Ich bin Philippe Piard, ein Kleinbauer aus dem Süden Frankreichs. Der Verein, dem ich angehöre, heißt SECRETS TOXIQUES (Toxische Geheimnisse, Anm. SWB) Dieser Verein ist ein Dachverband. Ungefähr 30 Gruppen sind zur Zeit Mitglied.

Was motivierte euch, am March teilzunehmen?

Wir sind heute hier in Paris, weil BAYER/MONSANTO ein Symbol ist: ein Symbol für die Vergiftung der Welt, ein Symbol für die Lügen, die man den Leuten über die Ungiftigkeit ihrer Unkrautvernichtungsmittel erzählt.

Seit wann besteht eure Gruppe?

Unsere Gruppe nahm im Dezember 2020 ihre Arbeit auf, als wir eine Anzeige gegen Unbekannt erstatteten, auf Grundlage einer Studie von Prof. Gilles-Éric Séralini und Gerald Jungers, die das Vorkommen von nicht deklarierten Giftstoffen in mehreren Unkrautvernichtungsmitteln ohne Glyphosat als Wirkstoff nachwies (Zum Beispiel in BAYERs ROUNDUP SPEED EVERGREEN, Anm. SWB). Diese Unkrautvernichtungsmittel sollten nur Essigsäure, Pelargonsäure oder Caprinsäure enthalten. Die Studie zeigte jedoch, dass auch Schadstoffe drin waren: Arsen, Blei und andere Schwermetalle, aber auch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. Diese Produkte werden von BAYER, CLEARLAND, COMPO, SOLABIOL u. a. verkauft. Es ist sehr schockierend, diese Schadstoffe in Produkten zu finden, die sicher sein sollen! Also haben wir die Staatsanwaltschaft aufgefordert, Untersuchungen anzustellen und haben Anzeige gegen Unbekannt wegen Etikettenschwindels, Falschdeklaration, Gefährdung des Lebens Dritter und Umweltschädigung erstattet.

Was sind die Ziele der Kampagne, und wie wollt ihr diese erreichen?

Das Hauptziel unserer Kampagne ist es, die Schlupflöcher im System der Bewertung von Pestiziden aufzuzeigen. Wir berufen uns auf ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union, das sich mit den EU-Regularien zur Genehmigung von Pestiziden befasst. Das Gericht sagt uns, wie die Regeln anzuwenden sind. Wir haben den Verdacht, dass die europäische Lebensmittelbehörde EFSA sich nicht an diese hält. Wenn nämlich eine Studie über Pestizide, die neu auf den Markt kommen sollen, korrekt durchgeführt würde, müsste sie zeigen, dass die kumulativen Wirkungen der verschiedenen Schadstoffe im Produkt 1.000 bis 100.000 mal gefährlicher sind als der Wirkstoff, der von der EFSA untersucht wird. Wir haben auch den Verdacht, dass keine Untersuchung der langfristigen Giftigkeit und krebs-erregenden Wirkung des gesamten Inhalts der Produkte durchgeführt wird.Wir werden alles tun, was wir auf dem Gerichtsweg erreichen können, um das Gesetz durchzusetzen, sowohl in Europa als auch in Frankreich. Warum? Weil kein Pestizid auf den Markt und auf die Felder kommen kann, wenn seine tatsächliche Giftigkeit bekannt ist.

Du bist selber Bauer. Wie beeinflusst das deinen Blickwinkel im Kampf gegen BAYER/MONSANTO?

Als Bauer, der seit 16 Jahren biologisch arbeitet, weiß ich, dass es eine andere Art Pflanzen anzubauen und Vieh zu züchten gibt. Leben liebt das Leben. BAYER/MONSANTO liefert nur den Tod. Tod für die Umwelt, Tod für den Bauern, der ihre Pestizide benutzt, Tod für Menschen, die diese ungesunden Lebensmittel essen und verschmutztes Wasser trinken.

Was war für dich heute beim March das Wichtigste?

Für mich war heute der Hauptpunkt zu zeigen, dass wir vereint sind, enschlossen und bereit, unseren Kampf zu gewinnen.

Wie lange seid ihr schon Teil des Bündnisses, das den March organisiert?

Für mich ist es das erste Mal, dass ich am Marsh teilnehme, und ich war sehr stolz darauf, mich zu beteiligen. Für SECRETS TOXIQUES ist es auch das erste Mal – wir sind eine junge Organisation. Aber wir werden nächstes Jahr auch hier sein.

Kannst Du uns von weiteren Konzernverbrechen von BAYER/MONSANTO in Frankreich erzählen?

Das Hauptverbrechen von BAYER/MONSANTO in meinen Augen ist die Lüge, die sie so viele Jahrzehnte lang über die angebliche Unschädlichkeit ihrer Pestizide verbreitet haben. Dieses Verbrechen ist für eine allgemeine Vergiftung unserer Körper, unserer Felder, unserer Natur verantwortlich. Es ist für die Abnahme der Zahl der Vögel, Insekten und Säugetiere verantwortlich. Es ist für die Zunahme der Nervenkrankheiten, Krebs-Erkrankungen und genetischen Störungen verantwortlich. Es ist verantwortlich für die Zerstörung unserer Demokratien durch massives Lobbying mit dem Effekt, dass Menschen das Recht genommen wird, eine gesunde Lebensweise zu wählen.

Was sind deine Forderungen an BAYER/MONSANTO?

Ich fordere sie auf, ihre Verbrechen anzuerkennen, und ebenso fordere ich nichts von ihnen, denn wir brauchen sie nicht.

Hast Du eine Botschaft an die Vorstandsmitglieder von BAYER?

Ja, ich möchte sie fragen, wie sie ihren eigenen Kindern und Enkeln ihre Verbrechen erklären werden, nachdem sie gerichtlich verurteilt worden sind.

Hast Du eine Botschaft an unsere AktivistInnen?

Oh ja, die habe ich! Bitte erhebt Euch und schließt Euch zusammen. Wir können stärker sein als sie, aber wir müssen dafür zusammenstehen. Ihr könnt in eurem Land so etwas wie SECRETS TOXIQUES gründen, Ihr könnt Euch der europäischen Bewegung anschließen, die im Aufbau ist. Ihr könnt bei eurer nationalen Lebensmittelsicherheitsbehörde nach den Produkten fragen, die in der Untersuchung von Séralini und Junger analysiert wurden. Manche von ihnen werden auch in Deutschland verkauft! Dieser Kampf ist unser Kampf, und wir werden gemeinsam siegen!

[Ticker 03/21] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion
BLOCK BAYER in Aktion Der BAYER-Konzern vertreibt in den Ländern der sogenannten Dritten Welt zahlreiche Pestizide, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben. Aus Protest dagegen haben AktivistInnen von BLOCK BAYER am 16. April 2021 zwei Verladestationen des Dormagener Chemie-„Parks“ besetzt, wo der Agro-Riese einige dieser Mittel wie z. B. Probineb produziert. „Es ist ein Skandal, dass ein deutscher Konzern im globalen Süden hochgefährliche Pestizide verkauft, die hier verboten sind. Das wollen wir hier deutlich machen und fordern, dass BAYER die Produktion hochtoxischer Pestizide stoppt“, erklärte eine Sprecherin von BLOCK BAYER. Toxic BAYER 256 Seiten stark ist das Schwarzbuch zu BAYER, das der französische Journalist Martin Boudot verfasst hat. Die ganze Geschichte des Leverkusener Multis floss in „Toxic BAYER“ ein; von den Anfängen über die Mittäterschaft im NS-Staat bis hin zum MONSANTO-Deal reicht der Bogen, den Boudot spannt. Dabei stützte er sich nicht zuletzt auf Informationen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), deren konzern-kritische Arbeit in dem Werk dann auch nicht zu kurz kommt. Patent-Krake BAYER BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe gentechnischer Methoden, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten. Dadurch droht die Kontrolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hände der Agro-Riesen zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert das Europäische Patentamt deshalb in einer Petition dazu auf, keine solchen Schutzrechte mehr zu erteilen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) unterstützt dieses Anliegen und unterzeichnete den Appell. Insgesamt kamen 196.000 Unterschriften zusammen. Mercosur-Abkommen stoppen! Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lehnt den Handelsvertrag ab, den die EU mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abschließen will. Dieser droht nämlich das agro-industrielle Modell in diesen Ländern noch einmal voranzutreiben. Und damit steigen auch die Risiken und Nebenwirkungen dieser Wirtschaftsweise wie mehr Monokulturen, mehr Pestizide und Gentechnik, mehr Vertreibungen von Indigenen und weniger Regenwald, denn die Übereinkunft verspricht den lateinamerikanischen Nationen einen erleichterten Zugang zum EU-Markt für ihre Agrar-Güter. Das wiederum erhöht die Absatz-Chancen und damit auch die Produktion – und die Nachfrage nach Glyphosat & Co. Aber BAYER würde nicht nur davon profitieren, sondern auch von den Gegenleistungen, welche die Mercosur-Mitglieder erbringen müssen, haben diese sich doch zur Senkung der Einfuhr-Zölle für Güter aus Europa verpflichtet. Brüssel erwartet durch die Reduktion der Sätze, die bisher für Autos 35 Prozent des Warenwerts, für Chemikalien bis zu 18 Prozent und für Pharmazeutika bis zu 14 Prozent betrugen, Einsparungen von rund vier Milliarden Euro für die EU-Unternehmen. Grund genug also für den Leverkusener Multi, trotz der desaströsen Folgen des Abkommens für Mensch, Tier und Umwelt für eine Unterzeichnung zu streiten. Und Grund genug für die CBG, Mercosur abzulehnen und den entsprechenden Aufruf des SEATTLE TO BRUSSELS NETWORK zu unterzeichnen. Hormongifte stoppen! Viele Pestizide von BAYER wie z. B. ARENA C, BALET oder CONSENTO wirken hormon-ähnlich und zählen deshalb zu den sogenannten endokrinen Disruptoren (EDCs). Diese können den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln und Krankheiten wie Krebs oder Diabetes auslösen. Darum appellierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gemeinsam mit den Gruppen HEJSUPPORT, WOMEN ENGAGE FOR A COMMON FUTURE (WECF) und dem PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN), welche die Initiative gestartet hatten, an die Bundesregierung, endlich zu handeln. „Das Fehlen dringend nötiger politischer Maßnahmen und der offensichtliche Schutz der Interessen einer starken Chemie-Industrie gefährden die Gesundheit jetziger und künftiger Generationen. Hier kann die Politik nicht tatenlos zusehen. Sie hat eine Verantwortung für die BürgerInnen, die sie erfüllen muss“, so Johanna Hausmann von WECF. Glyphosat stoppen! Die kanadische Grünen-Politikerin Jenica Atwin hat eine Initiative zum Stopp von Glyphosat ins Leben gerufen und einen Gesetzesvorschlag ins Parlament eingebracht. „Dieser Erlass ändert den Pest Control Products Act, um die Herstellung, den Besitz, die Handhabung, die Lagerung, den Transport, den Import, den Vertrieb und die Verwendung von Glyphosat zu verbieten“, heißt es in der „Bill C-285“. Dabei ist Atwin bewusst, dass sie einen langen Weg vor sich hat. „Es geht gegen die großen Industrien“, sagt sie: „Es wird eine Menge Hürden geben, aber es ist der Beginn einer Diskussion.“

KAPITAL & ARBEIT

Aufsichtsrat bekommt 19 Prozent mehr Der BAYER-Aufsichtsrat hat sich eine gewaltige Lohn-Erhöhung gegönnt. Die Bezüge steigen im Vergleich zu 2017 um rund 19 Prozent. Der oder die Vorsitzende des Gremiums erhält künftig ein Fix-Gehalt von 480.000 Euro, der oder die Vize-Vorsitzende schlappe 320.000 Euro. Das gemeine Aufsichtsratsmitglied kann auf einen Betrag von bis zu 360.000 Euro kommen, die Sitzungsgelder von 1.500 Euro pro Zusammenkunft noch nicht einmal mitgerechnet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Maßlosigkeit in einem Gegenantrag, den sie zur diesjährigen Hauptversammlung einreichte. „Diese Summen sind der arbeitenden Bevölkerung im Allgemeinen und den BAYER-Beschäftigten im Besonderen nicht zu vermitteln“, hieß es darin. Ohnehin liegen beim Leverkusener Multi Welten zwischen den ManagerInnen-Gehältern und denen der ArbeiterInnen und Angestellten. Nach einer Erhebung der „Hans-Böckler-Stiftung“ lag der Verdienst des BAYER-Vorstandsvorsitzenden im Jahr 2017 um den Faktor 58 über dem Durchschnittslohn der Belegschaft. Angehörige der Leitungsebenen strichen 41 Mal so viel ein und die Vorstandsmitglieder 24 Mal so viel. Auf der Hauptversammlung von 2009 hatte eine Vertreterin des DACHVERBANDES DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE die Vorstandsriege auf der Hauptversammlung einmal gefragt, ob sie bereit wäre, die eklatante Lohn-Spreizung erst einmal auf den Faktor 20 zurückzuführen. Sie erhielt jedoch eine schnöde Abfuhr. BAYERs damaliger Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Schneider sprach sich vehement gegen solche „statistischen Grenzen“ aus.

POLITIK & EINFLUSS

NRW will Steuer-Wettbewerb Im Jahr 2012 zog der BAYER-Konzern seine Patent-Abteilung aus Leverkusen ab und verlegte sie nach Monheim, das sich ihm mit der niedrigsten Gewerbesteuer ganz Nordrhein-Westfalens als gute Adresse für eine Briefkasten-Firma empfohlen hatte. Damit trat er einen gnadenlosen Unterbietungswettbewerb los. 2019 gab sich dann auch Leverkusen geschlagen. Die Stadt ließ sie sich in Kamin-Gesprächen auf einen Deal mit BAYER ein. Der Pillen-Produzent sagte die Rückverlagerung von Teil-Gesellschaften zu und erhielt im Gegenzug Hebe-Sätze auf Monheim-Niveau. Mit diesen Tarifen ging die Kommune sogar auf Werbetour und versuchte, Unternehmen aus dem Umland zu akquirieren. Das wiederum nahm die Landes-SPD zum Anlass für eine Kleine Anfrage im Landtag. „Wie will die Landesregierung den Gewerbesteuer-Kannibalismus verhindern?“, wollte sie wissen. Die Antwort lautete zusammengefasst: Gar nicht. Das Land NRW sieht anders als Brandenburg, wo Gemeinden mit hohen Gewerbesteuer-Einnahmen eine Umlage zahlen müssen, keinerlei Anlass, den ruinösen Konkurrenz-Kampf der Städte und Gemeinden um Industrie-Ansiedlungen zu beenden. Es benennt den Grund für die Misere von BAYERs Stammsitz zwar eindeutig: „Der Rückgang in Leverkusen stand in Zusammenhang mit dem vollständigen Verlust der Steuer-Einnahmen von dem bis dahin größten Gewerbesteuer-Zahler infolge der gezielten Verlagerung ausgewählter Geschäftsbereiche dieses Betriebs“, will aber nicht an der Ursache ansetzen. Stattdessen unterstützen CDU und FDP Leverkusen bei der Kapitulation vor dem Kapital bzw. dabei, „den Standort auch im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig zu machen und dadurch einerseits Steuer-Erträge ihres größten Gewerbe-Betriebs zurückzuerlangen und andererseits die bereits kommunizierte Abwanderung anderer Großsteuerzahler abzuwenden.“ Für immer virtuelle HVs Schon lange vor Corona hatten BAYER & Co. mit der Abkehr von Präsenz-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit, ihre AktionärInnen-Treffen online abhalten zu können, was BAYER als erster DAX-Konzern nutzte. Nun will die Politik den Unternehmen die Flucht ins Internet dauerhaft ermöglichen. Im Juni 2021 fasste die Konferenz der JustizministerInnen der Länder einen entsprechenden Beschluss. An das Justizministerium erging der Auftrag, dafür ein Gesetz zu erarbeiten. „Unser Aktienrecht braucht mehr digitalen Schwung“, meinte der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) und konstatierte: „Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass Hauptversammlungen auch virtuell gut abgehalten werden können.“ Ein bisschen weniger Glyphosat Gegen einen Glyphosat-Stopp vor dem Auslaufen der EU-Zulassung Ende 2023 hatte die Große Koalition sich schon im September 2019 ausgesprochen. Sie gab sich mit einer Minderungsstrategie zufrieden. Für diese ließen sich die PolitikerInnen dann zu allem Übel auch noch Zeit bis kurz vor Toresschluss der Legislatur-Periode. Überdies fielen die Regelungen äußerst bescheiden aus. SPD und CDU verabschiedeten diese im Rahmen des Insektenschutz-Gesetzes. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für die Anwendung im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fällt. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid bis 2024 erlaubt. Erst dann erfolgt das Aus – und das auch noch unter Vorbehalt. Wenn die EU Glyphosat bis dahin nämlich nicht aus dem Verkehr zieht, wackelt auch der Beschluss der Bundesregierung. „Sollten sich in diesem Zusammenhang Änderungen der Dauer der Wirkstoff-Genehmigung ergeben, ist das Datum des vollständigen Anwendungsverbots gegebenenfalls anzupassen“, hält die „Pflanzenschutzanwendungsverordnung“ fest. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte weisen ebenfalls starke Mängel auf. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch zunahmen. So sicherten sich die Länder Öffnungsklauseln. Zudem drückte die CDU einen „Erschwernisausgleich Pflanzenschutz“ durch, der den LandwirtInnen den Spritz-Entzug durch Zahlungen in Höhe von 65 Millionen Euro erleichtert.

Lieferketten-Gesetz verabschiedet

Die Lieferketten BAYERS erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi seine Arznei-Grundstoffe zu einem guten Teil aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei zunächst davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne ausüben und setzte auf Freiwilligkeit. Sie hob den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe und machte sich daran, erst einmal ein Lagebild zu erstellen. Dazu startete die Große Koalition eine Umfrage unter den Betrieben und bat um Informationen darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollte sie dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Nur ein Bruchteil der angeschriebenen Firmen antwortete überhaupt, und von diesen genügte bei der Beschaffung kaum eines den sozialen und ökologischen Anforderungen. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Und den bereitete die Politik dann auch vor, was die Industrie-VertreterInnen in Panik versetzte. „Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmen verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, was sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“, echauffierte sich etwa der damalige Präsident der „Bundesvereinigung der Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), Ingo Kramer. In der Folge taten die LobbyistInnen der Industrie alles, um das Schlimmste zu verhindern. Sie mahnten eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnten eine Haftungsregelung vehement ab. Schlussendlich konnten sie sich damit durchsetzen. Im jetzigen Paragrafen-Werk fehlt beides. Dem Leverkusener Multi dürfte es daher erspart bleiben, mit einer Klage von solchen InderInnen oder ChinesInnen konfrontiert zu werden, die in den Hot Spots der globalen Pharma-Produktion leben und unter den gesundheitlichen Folgen leiden. Dazu liegen nämlich zu viele Zwischenhändler zwischen BAYER und den Arznei-Produzenten vor Ort. Zudem müssten die Betroffenen in Deutschland noch eine Nichtregierungsorganisation finden, die in ihrem Namen vor Gericht zieht und so eine „Prozess-Standschaft“ wahrnimmt. Eine Möglichkeit, direkt Ansprüche anzumelden, lässt das Lieferketten-Sorgfaltspflichtgesetz den Geschädigten nämlich nicht „Eine Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz begründet keine zivilrechtliche Haftung“, heißt es auf Drängen der Konzerne nun im Paragraf 3, Absatz 3. Milliarden-Amnestie für BAYER & Co. Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage gilt der Förderung alternativer Energien. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken, die sich pro Gigawatt-Stunde auf rund 64.000 Euro belaufen. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen vor einiger Zeit verklagt. Der Leverkusener Multi, der Betrugsvorwürfe „entschieden“ zurückweist, sah sich mit immensen Nachforderungen konfrontiert und schickte ein Hilfe-Ersuchen nach Berlin. Fast 20 solcher Schreiben von Unternehmen gingen bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein. Und die Briefe zeigten Wirkung. Das Bundeswirtschaftsministerium fügte ins „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ von 2021 den Paragrafen 104 ein, der BAYER & Co. die Möglichkeit einräumt, mit den Übertragungsnetzbetreibern einen Vergleich zu schließen. „Eine Milliarden-Amnestie für Konzerne“ nannte der Spiegel das. Kein Unternehmensstrafrecht „Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Sogar höhere Strafen für Multis planten die Parteien: „Die geltende Bußgeld-Obergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig.“ Und wirklich nahm auch alles seinen parlamentarischen Gang. Mitte 2019 veröffentlichte das Justizministerium erste Vorschläge und im Weiteren zwei ReferentInnen-Entwürfe. Im Juni 2020 kam dann der Gesetzesentwurf der Bundesregierung – und dann nichts mehr. Der Lobby-Druck von BAYER & Co. brachte die CDU zum Umfallen. Sie trug das Vorhaben nicht mehr mit, was Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erboste: „Das ist ein Bruch des Koalitionsvertrags, für den mir jedes Verständnis fehlt. Das zeigt, wie wenig die CDU aus Skandalen gelernt hat.“ So braucht der Leverkusener Multi auch künftig bei Abrechnungsbetrügereien mit falschen Arznei-Rechnungen (siehe RECHT & UNBILLIG), Preisabsprachen, unlauterer Werbung oder der Vermarktung gefährlicher Produkte die Macht des Gesetzes nicht allzu sehr zu fürchten. Hickhack um Hartwig BAYERs langjähriger Chef-Jurist Roland Hartwig sitzt heute für die AfD im Bundestag. Er gehört zu den vier stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion und hat keine Berühungsängste mit extrem rechten Positionen. So hielt er im Juni 2019 eine Rede beim „Staatspolitischen Kongress“, einer Veranstaltung des von Götz Kubitscheck und Karlheiz Weißmann gegründeten braunen Thinktanks „Institut für Staatspolitik“. Ende 2020 musste Hartwig den Vorsitz der „Arbeitsgruppe VS“ abgeben, welche die Aufgabe hat, die Partei aus dem Visier des Verfassungsschutzes zu bugsieren. Der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen veranlasste seine Ablösung, nachdem der EX-BAYER ihn für die Aussage kritisiert hatte, nicht alle AfDlerInnen stünden auf dem Boden der Verfassung. Auf Initiative Björn Höckes fasste der AfD-Bundesparteitag im Frühjahr 2021 allerdings den Beschluss, den Juristen wieder in Amt und Würden zu bringen. Der Bundesvorstand lehnte das – gegen die Stimmen von Alice Weidel, Tino Chrupalla, Stephan Brandner und Stephan Protschka – jedoch ab.

DRUGS & PILLS

DUOGYNON-Studie erst 2022 Ein hormoneller Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das unter den Namen DUOGYNON und PRIMODOS vertriebene Medizin-Produkt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Geschädigte oder deren Eltern fordern den Leverkusener Multi seit Jahren auf, die Verantwortung dafür zu übernehmen, bislang allerdings vergeblich. „BAYER schließt DUOGYNON als Ursache für Missbildungen aus“, erklärte der Global Player auf der jüngsten Hauptversammlung. Die Bundesregierungen jedweder Couleur sahen ebenfalls keinen Handlungsbedarf. In England hatten die Betroffenen mehr Erfolg. Die Politik gab einen Untersuchungsbericht in Auftrag, der den Behörden zahlreiche Versäumnisse im Umgang mit den Risiken des Medizinprodukts bescheinigte, woraufhin sich der damalige Gesundheitsminister bei den Geschädigten entschuldigte. Auch die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik versagten. So stand der damals im Bundesgesundheitamt zuständige Referatsleiter Klaus-Wolf von Eickstedt früher selbst in Diensten SCHERINGs und tat in alter Verbundenheit alles dafür, das Mittel auf dem Markt zu halten. Genau diese Machenschaften soll jetzt eine Untersuchung aufklären. Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte eine solche bereits im September 2020 an. Geschehen ist bisher jedoch noch nichts. Darum hakten Bündnis 90/Die Grünen in einer Kleinen Anfrage nach. Zurzeit laufe die Auftragsvergabe, antwortete die Bundesregierung. Die Veröffentlichung der Arbeit kündigte sie für das Frühjahr 2022 an. Die Betroffenen bezog das Gesundheitsministerium bei der Konzeption des Studien-Designs jedoch nicht ein. Das stieß ebenso auf die Kritik der Initiative NETZWERK DUOGYNON wie die Wahl eines geheimen Ausschreibungsverfahrens. ASTEPRO ohne Rezept Nach Meinung vieler ExpertInnen müsste die Rezeptpflicht für viel mehr Medikamente gelten. Nicht wenige der Pharmazeutika, die frei in der Apotheke erhältlich sind, haben nämlich starke Nebenwirkungen und verlangen einen sorgsamen Umgang. Dazu zählen etwa das Schmerzpräparat ASPIRIN oder die Magenarzneien ANTRA und IBEROGAST aus dem Hause BAYER. Die Pharma-Multis versuchen hingegen mit allen Mitteln, den Menschen immer mehr ihrer Produkte auch ohne eine Verschreibung zugänglich zu machen, um den Absatz zu erhöhen. So setzte der Leverkusener Multi das Thema bereits einmal auf die Agenda seiner regelmäßigen Lobby-Runden in Berlin, den „Politik-Lunches“. Mit einem natürlich eindeutigen Ergebnis: „Die Referenten sprachen sich dafür aus, dass die Rahmenbedingungen für einen OTC-Switch (Wechsel von der Verschreibungspflicht zum rezeptfreien Arzneimittel) in Deutschland optimiert werden können.“ Auch in Australien ist da dem Unternehmen zufolge noch Luft nach oben, denn die Aufsichtsbehörden des Landes lehnten einen OTC-Switch seines Potenzmittels LEVITRA ab. Aber dafür konnte der Konzern in den USA jüngst einen Erfolg verbuchen. Für sein Antihistaminikum ASTEPRO, ein Nasenspray für AllergikerInnen, ist künftig keine ärztliche Verordnung mehr nötig. CIPROBAY schädigt Herzklappen Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen auslösen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hinaus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Aorten-Aneurysmen und -Dissektionen – krankhafte Ausweitungen der Hauptschlagader verbunden mit der lebensbedrohlichen Gefahr eines Risses – traten ebenfalls bereits auf. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachten die MedizinerInnen schon. Und jetzt muss der Leverkusener Multi auf seinen Packungsbeilagen noch einen weiteren Warnhinweis ergänzen. Fluorchinolone können nämlich die Herzklappen angreifen. Schlechte Zeiten für YASMIN & Co. Von BAYERs Verhütungsmitteln mit dem Wirkstoff Drospirenon wie YAZ, YASMIN und YASMINELLE geht ein erhöhtes Embolie-Risiko aus (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Während es bei neun bis zwölf von 10.000 Frauen, welche diese Pharmazeutika oder andere der dritten oder vierten Generation gebrauchen, zu Blutgerinnseln kommt, ist das nur bei fünf bis sieben von 10.000 derjenigen Frauen der Fall, die Pillen mit den älteren Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nutzen. Glücklicherweise hat sich das in der Bundesrepublik inzwischen herumgesprochen. Der Versorgungsanteil der Drospirenon-Präparate sank von 2009 bis 2019 von 22 auf zwei Prozent. Auf den übrigen Märkten macht der Leverkusener Multi aber immer noch gute Geschäfte mit den Mitteln. Im Jahr 2020 betrug der weltweite Umsatz mit YAZ & Co. 670 Millionen Euro. Mehr Glaukome durch Kontrazeptiva Durch die Einnahme von Verhütungsmitteln auf Hormon-Basis steigt die Gefahr, an Grünem Star zu erkranken. Forschende der „University of British Columbia“ machten bei Frauen, welche diese Kontrazeptiva nutzten, ein mehr als doppelt so hohes Risiko aus, das Augenleiden zu bekommen, als bei solchen, die nicht zu YASMIN & Co. greifen. Lieferengpässe bei BAYER-Arzneien Der Pharma-Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. BAYER und andere große Unternehmen setzen mehr und mehr auf neue, patent-geschützte Pillen, da diese besonders hohe Renditen versprechen. Bei ihrem nicht so viel Geld abwerfenden Alt-Sortiment rationalisieren die Konzerne hingegen nach Kräften. So beziehen sie Vor- und Zwischenprodukte zur Wirkstoff-Herstellung und manchmal auch die komplette Substanz zunehmend aus Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien und China. Dort produzieren hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. Damit nicht genug, konzentriert sich die Fabrikation auf immer weniger Anbieter. Und wenn da einmal Störungen im Betriebsablauf auftreten, leiden PatientInnen auf der ganzen Welt unter Lieferengpässen. Seit einiger Zeit passiert das immer häufiger. Im letzten Jahr konnten die Apotheken den PatientInnen 16,7 Millionen Packungen nicht aushändigen. Auch Präparate des Leverkusener Multis glänzen zunehmend durch Abwesenheit, 2021 waren es bisher ASPIRIN i. v. 500 mg, das Herzmittel NIMOTOP, der Gerinnungshemmer XARELTO und das umstrittene Verhütungsmittel YASMINELLE (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Die Produktion des Mittels BAYOTENSIN zur Akutbehandlung eines hohen Blutdrucks stellte der Konzern ganz ein. Für die Spezial-Behältnisse, in die der Wirkstoff abgefüllt war, gab es dem Unternehmen zufolge nämlich keine Lieferanten mehr. Globale Pharma-Lieferketten Die Lieferketten BAYERS im Pharma-Bereich erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi Arznei-Grundstoffe aus Indien und China (s. o.). Dort locken nämlich Standort-Vorteile wie niedrige Herstellungskosten und laxe Umweltauflagen – mit den entsprechenden Risiken und Nebenwirkungen. Bei der BAYER-Hauptversammlung im April 2021 erfragte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, welche Substanzen genau der Konzern aus diesen Ländern bezieht. Antibiotika und Vorstufen für Röntgen-Kontrastmittel, lautete die Antwort.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat und kein Ende? Im Jahr 2023 läuft in der Europäischen Union die Glyphosat-Genehmigung aus. BAYER und die anderen Hersteller haben jedoch einen Antrag auf eine Zulassungsverlängerung gestellt. Und im Juni 2021 keimte bei ihnen auch Hoffnung auf. Da gab nämlich die sogenannte Bewertungsgruppe für Glyphosat (AGG) ein positives Votum ab. Durch die Behandlung von Pflanzen mit Glyphosat sei kein „chronisches oder akutes Risiko“ für die VerbraucherInnen zu erwarten, hielt die AGG fest. Das Gremium, in dem sich Prüfbehörden-VertreterInnen aus Frankreich, Ungarn, den Niederlanden und Schweden zusammenfanden, kam zu dem Schluss, dass „Glyphosat die Zulassungskriterien für die menschliche Gesundheit erfüllt“. Dementsprechend hieß es dann in der Pressemitteilung der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA: „Eine Einstufung für Keimzell-Mutagenität, Karzinogenität oder Reproduktionstoxizität war nicht gerechtfertigt. Der Vorschlag der vier Mitgliedstaaten beabsichtigt keine Änderung der bestehenden Einstufung.“ BAYER zeigte sich erfreut. Der Bericht bestätige „die Schlussfolgerungen führender Gesundheitsbehörden“, so der Konzern. Trotzdem stehen die Zukunftschancen für das Herbizid nicht eben gut. „Ich glaube nicht, dass es eine ernsthafte Chance für eine Verlängerung der Glyphosat-Lizenz gibt. Dafür ist die politische Stimmung gegen das Mittel zu aufgeheizt“, zitierte das Handelsblatt einen EU-Insider. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird alles in ihren Kräften stehende tun, um es nicht zu einem Temperatur-Abfall kommen zu lassen. Mehr Kindestode durch Glyphosat In Brasilien erhöht sich durch Glyphosat-Rückstände im Wasser die Kindersterblichkeit. Das ergab die Studie „Down the River: Glyphosate Use in Agriculture and Birth Outcomes of surrounding Populations“ von Mateus Dias, Rudi Rocha und Rodrigo R. Soares. Eine Steigerung um fünf Prozent durch das Mittel machten die drei aus, was ein Plus von 503 Sterbefällen pro Jahr ergibt. Auch die Zahl der Frühgeburten und der Babys mit einem niedrigen Geburtsgewicht steigt den ForscherInnen zufolge. Alan Tygel von der brasilianischen PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGROGIFTE UND FÜR DAS LEBEN forderte daraufhin einen sofortigen Vermarktungsstopp. Der BAYER-Konzern sah dafür keinen Grund. Er nannte die wissenschaftliche Arbeit, die im Auftrag der „Latin American and the Caribbean Economic Association“ entstand, „unsolide und schlecht durchgeführt“ und betonte, der Sicherheit bei all seinen Produkten immer die höchste Priorität einzuräumen. Glyphosat schädigt die Darmflora Glyphosat hat das Potenzial, eine Schädigung der Darmflora, eine sogenannte Dysbiose, hervorzurufen. Das ergab eine Analyse von Studien, die Jacqueline A. Barnett und Deanna L. Gibson von der kanadischen „University of British Columbia“ vornahmen. Sogar als Auslöser für Gesundheitsstörungen, die viele MedizinerInnen mit einer Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) in Verbindung bringen, kommt das BAYER-Herbizid nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen in Betracht. „Glyphosat kann eine Rolle bei vielen Krankheiten spielen, die mit der Dysbiose in Zusammenhang stehen, darunter Zöliakie, entzündliche Darm-Erkrankungen und das Reizdarm-Syndrom“, so die Forscherinnen. Damit nicht genug, vermag das Pestizid durch seine Einwirkung auf das Darm-Mikrobiom Barnett und Gibson zufolge auch die psychische Gesundheit zu beeinträchtigen und beispielsweise Depressionen auszulösen. Insektensterben durch Glyphosat BAYERs Pestizid Glyphosat trägt zum Insektensterben bei. Einen neuen Beleg dafür liefert eine Studie, die WissenschafterInnen der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität gemeinsam mit ihren KollegInnen vom „Max-Planck-Institut für chemische Ökologie“ und des japanischen „National Institute of Advanced Industrial Science and Technology“ durchführten. So greift das Herbizid ihren Angaben zufolge ein Bakterium an, das in enger Symbiose mit dem Getreideplatt-Käfer lebt und Schutzfunktionen erfüllt, ohne die das Insekt nicht existieren kann. Dabei halten die ForscherInnen ihren Befund auch übertragbar: „Da wir beobachten konnten, wie Glyphosat die symbiotische Gemeinschaft schädigt, fragten wir uns, ob Glyphosat auch für andere Insekten, die auf ihre mikrobiellen Partner angewiesen sind, eine Gefahr darstellt.“ Glyphosat gegen Koka-Pflanzen Der kolumbianische Präsident Iván Duque plant, die im Jahr 2015 von seinem Amtsvorgänger Juan Manuel Santos gestoppten Flugzeug-Sprüheinsätze mit Glyphosat zur Zerstörung von Koka-Pflanzen wieder anlaufen zu lassen (siehe auch SWB 3/21). Dabei fällt die Bilanz des Chemie-Krieges gegen die Droge verheerend aus, sowohl in gesellschaftlicher und sozialer als auch in gesundheitlicher und ökologischer Hinsicht. Entsprechend groß ist die Empörung im Land. Auch bei den aktuell stattfindenden Protesten, die sich massiver Gewalt von Polizei und Militär ausgesetzt sehen, spielt das Thema eine Rolle. So beteiligten sich indigene LandwirtInnen an einem landesweiten Streik und forderten die Regierung auf, „das Versprühen von Glyphosat aus der Luft und die Gesundheitsreform zu stoppen und die aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtungen zu erfüllen“. Der Leverkusener Multi wollte sich der Financial Times gegenüber nicht zum neuen Glyphosat-Programm Kolumbiens äußern, da er nicht direkt in die Praxis involviert sei. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte das Unternehmen dagegen unmissverständlich auf, das Pestizid für solche Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen. Dicamba: EPA übt Selbstkritik Bei einer internen Revision stellte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA schwere Mängel bei der Dicamba-Zulassung im Jahr 2018 fest. Donald Trump hatte der Behörde gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine neue Führungsspitze verpasst, die sich offenbar massiv in den Prüfungsprozess einschaltete. „In unseren Interviews nannten die Wissenschaftler der Pestizid-Abteilung Beispiele dafür, dass wissenschaftliche Analysen geändert wurden, um die politischen Entscheidungen leitender Beamter zu unterstützen“, heißt es in dem Bericht. So fehlten dann in den Abschluss-Dokumenten plötzlich Passagen über das Gefährdungspotenzial von Dicamba. Auch erhielten die ExpertInnen die Anweisung, sich bei der Sichtung der Unterlagen ausschließlich auf Daten der Hersteller zu stützen. „Die Wissenschaft selber können wir nicht ändern, aber unsere Politik basiert nicht immer auf deren Ergebnissen“, zitiert der Report einen frustrierten EPA-Beschäftigten. Der niederschmetternde Befund veranlasste die AutorInnen der Untersuchung, eine Reihe von Reformen zur Wahrung der Unabhängigkeit der Einrichtung anzumahnen. Aus deutschen Landen Der BAYER-Konzern vertreibt in den Ländern des Globalen Südens zahlreiche Pestizide, die in der Europäischen Union wegen ihrer Gefährlichkeit keine Zulassung (mehr) haben. Einige dieser Ackergifte stellt er sogar in Deutschland her und exportiert sie dann. So produziert der Global Player in Dormagen den Wirkstoff Probineb und in Frankfurt Indaziflam sowie Ethoxysulfuron.

GENE & KLONE

Schlappe für CUREVAC Der Corona-Impfstoff von BAYERs Kooperationspartner CUREVAC hat bei den klinischen Tests ein enttäuschendes Endergebnis erzielt. Das Gentech-Mittel kam nur auf eine Wirksamkeit von 48 Prozent gegen SARS-CoV-2. ExpertInnen führen das auf die im Vergleich zu anderen Präparaten niedrige Dosierung der Wirksubstanz zurück. Die ForscherInnen hatten bewusst keine höhere gewählt, um das Vakzin nicht so stark wie etwa dasjenige von BIONTECH herunterkühlen zu müssen. Der Leverkusener Multi arbeitete seit Anfang Januar 2021 mit CUREVAC zusammen. Er erklärte damals, „sein Fachwissen und seine etablierte Infrastruktur“ einbringen zu wollen, um der Firma bei der Durchführung der Klinischen Studien, dem Zulassungsprozedere, der späteren Überwachung der Sicherheit des Vakzins sowie bei der Organisation der Lieferkette für die benötigten Zusatzstoffe zur Seite zu stehen. Rund einen Monat später erweiterten die beiden Firmen ihre Verbindung noch einmal. Sie erstreckt sich nun auch auf den Produktionsprozess; BAYER baut dafür zurzeit in Wuppertal Kapazitäten auf. Nun steht allerdings in den Sternen, ob diese überhaupt einmal zum Einsatz kommen werden. Warnung vor EYLEA Das BAYER-Präparat EYLEA zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zu Blindheit führen kann – ist nicht ohne. In einer Fertigspritze verabreicht, erhöht das Gentech-Mittel das Risiko eines Anstiegs des Augeninnendrucks. Die Aufsichtsbehörden haben den Leverkusener Multi deshalb angewiesen, vor dieser Nebenwirkung zu warnen und den ÄrztInnen einen sogenannten „Rote-Hand-Brief“ zuzustellen. Viel Geld für METAGENOMI Die Gen-Scheren, die bei der Gentechnik 2.0 zum Einsatz kommen, schnippeln längst nicht so präzise, wie ihre ErfinderInnen behaupten. Allzu oft kommt es zu so genannten Off-Target-Effekten, also zu Veränderungen der DNA an Stellen, die gar nicht im Visier der ForscherInnen standen. Dem abzuhelfen, hat sich das Start-Up METAGENOMI verschrieben. Es will zielgerichtetere Methoden des Genome Editing auf Basis der CRISPR-Cas-Technik entwickeln und konnte dafür viele Unterstützer gewinnen. BAYER, der Humboldt Fund, HOF CAPITAL und andere Investoren stellten METAGENOMI rund 65 Millionen Dollar zur Verfügung. Neues Gensoja für Brasilien Der BAYER-Konzern bringt in Brasilien ein neues Gensoja auf den Markt. Das Erbgut der Pflanze der Produktlinie ROUNDUP READY 2 XTEND ist so manipuliert, dass das Gewächs sowohl Duschen mit Glyphosat als auch solche mit Dicamba übersteht, wenn diese Herbizide auf den Feldern gegen Wildwuchs zum Einsatz kommen. Und gegen Raupen hat der Konzern die Ackerfrüchte ebenfalls gentechnisch gewappnet. SMARTSTAX-Start mit Gentech 2.0 Der BAYER-Konzern setzt massiv auf die Gentechnik 2.0. Rund 100 Patent-Anträge hat er in diesem Bereich schon beim Europäischen Patentamt eingereicht und bis jetzt sieben positive Bescheide erhalten. 2022 startet der Leverkusener Multi in den USA nun mit der Vermarktung der ersten Pflanze, in der eines der neuen Verfahren zur Anwendung kommt. Der Mais der SMARTSTAX-PRO-Produktreihe wartet nämlich nicht nur mit den üblichen Resistenzen gegen die Herbizide Glyphosat und Glufosinat auf, sondern auch mit der RNAi-Technologie. Mit Hilfe dieser sogenannten Ribonukleinsäure-Interferenz blockiert das Gewächs ein Gen im Erbgut des Maiswurzelbohrers und schützt sich so vor dem Schadinsekt. Ohne Nebenwirkungen geht das allerdings nicht ab: Die Ribonukleinsäure kann mit der Darmflora von Mensch und Tier interagieren, in den Blutkreislauf gelangen und sogar in die Steuerung von Genen eingreifen. Aber BAYER ficht das an. „Uns liegen keine verlässlichen wissenschaftlichen Nachweise dafür vor, dass die sachgerechte Anwendung von Produkten mit einer Wirkungsweise auf RNAi-Basis zu negativen Effekten führt“, erklärte Agrar-Vorstand Liam Condon auf der letzten Hauptversammlung. EU-Parlament gegen Import-Zulassungen Im März 2021 sprach sich das Europäische Parlament gegen Import-Zulassungen für zwei Gen-Pflanzen von BAYER und SYNGENTA aus. Bei der Baumwolle des Leverkusener Multi aus der Produktreihe GHB 614 x T 304-40 x GHB 119 füllte die Mängel-Liste fünf Seiten. Unter anderem machten die PolitikerInnen Fehler bei der Gefahren-Analyse der Laborfrucht aus, die zur Insekten-Abwehr mit gleich zwei Sorten des Bacillus thuringiensis (Bt) bestückt und zudem gegen die beiden Herbizide Glufosinat und Glyphosat resistent ist. So ignorierte die „Europäische Lebensmittelbehörde“ (EFSA) bei ihren Risiko-Prüfungen den Abgeordneten zufolge die Tatsache, dass die Bt-Proteine in der Baumwolle eine viel stärkere Giftigkeit entfalten als in der freien Wildbahn. Sie interagieren nämlich mit den Enzymen der Gewächse. Trotzdem untersuchte die EFSA nur der Bacillus selber. Die Initiative TESTBIOTEST begrüßte die Entscheidung der EU-ParlamentarierInnen: „Damit wächst der Druck auf die EU-Kommission, wesentlich kritischer mit den Prüfberichten der EFSA umzugehen.“ Der Gentech-Schmetterling In Brasilien startet ein Freiluft-Versuch mit gentechnisch veränderten Eulenfaltern. Da sich Raupen dieser Schmetterlingsart zum Verdruss von BAYER & Co. an Mais schadlos halten, haben ForscherInnen der Firma OXITEC in das Erbgut des Spodoptera frugiperda eingegriffen. Um die Bestände der Spezies zu dezimieren, ist es nun so verändert, dass die weiblichen Nachkommen das Larvenstadium nicht überstehen. Der BAYER-Konzern unterstützt das Projekt finanziell, denn sein Gentech-Mais kann sich dieses Wurms nicht mehr erwehren, weil „einige der wirksameren Kontroll-Strategien resistenz-anfällig geworden sind“. Konkret versagt das in den Pflanzen eigentlich für die Schadinsekten-Abwehr zuständige Bt-Toxin zunehmend seinen Dienst. Die Risiken, die mit der Freisetzung der Labor-Schmetterlinge einhergehen, ignoriert der Global Player geflissentlich. Ihm geht es einzig und allein darum, die Profite im Geschäft mit seinen Gen-Pflanzen zu sichern.

WASSER, BODEN & LUFT

Neues Klimaschutz-Gesetz Im März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutz-Gesetz stattgegeben. Die Karlsruher RichterInnen teilten den Standpunkt der BeschwerdeführerInnen, wonach dieses Paragrafen-Werk die grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechte künftiger Generationen ungebührlich einschränke, weil die Bundesregierung diesen die Hauptlast bei der Kohlendioxid-Einsparung aufbürde. „So sind die notwendigen Freiheitsbeschränkungen der Zukunft bereits in den Großzügigkeiten des gegenwärtigen Klimaschutz-Rechts angelegt“, heißt es in der Begründung des Urteils. Darum musste die Große Koalition nachbessern und die Klimaziele verschärfen. Jetzt legte sie sich auf eine CO2-Reduktion von 65 statt wie bisher 55 Prozent bis 2030 fest, ausgehend vom Basis-Jahr 1990. Dementsprechend senkten CDU und SPD die zulässigen Jahres-Emissionsmengen für Gebäude-Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft, Energie-Branche und Industrie ab. Für BAYER & Co. reduzierten sich die Grenzen des Erlaubten gegenüber dem Klimaschutz-Gesetz von 2019 um 22 Millionen Tonnen. 2022 dürfen sie noch 177 Millionen Tonnen ausstoßen und dann sukzessive immer weniger bis 118 Millionen im Jahr 2030. Die im Vergleich zu den anderen Bereichen strengeren Vorgaben für Industrie und Energie hatten Gründe. „Dies folgt einerseits dem ökonomischen Gedanken, dort zu mindern, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind, andererseits sind Industrie- und Energie-Sektor weiterhin die Sektoren mit den höchsten Emissionen“, heißt es im Gesetz. Der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) kritisiert das Paragrafen-Werk. Er vermisste unter anderem Subventionsregelungen, „um Wettbewerbsnachteile auszugleichen“ und politische Weichenstellungen für „günstigen Strom“. Grüne wollen Kampfstoff-Bergung 1,6 Millionen Tonnen Munition, Minen und chemische Kampfstoffe aus zwei Weltkriegen lagern in den Gewässern von Nord- und Ostsee, darunter auch die einst von BAYER entwickelten Substanzen Lost, Tabun und Sarin. Da die Metall-Umhüllung der Chemie-Waffen mittlerweile durchrostet, treten die Gifte aus. Als besonders gefährlich betrachtet das Umweltbundesamt dabei neben bestimmten Arsen-Verbindungen Zäh-Lost, eine Mixtur aus Schwefel-Lost und Verdickungsmitteln. Während sich andere Kampfstoffe im Wasser allmählich zersetzen, behält diese Chemikalie nämlich eine feste Konsistenz und verliert kaum etwas von seiner Wirksamkeit. „Die meisten der bisher bekannten Unfälle mit Kampfstoffen wurden durch Zäh-Lost rund um das Versenkungsgebiet östlich der dänischen Ostsee-Insel Bornholm verursacht, wobei Klumpen von Zäh-Lost in Fischernetze gerieten“, konstatiert die Behörde. Die FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben die Bundesregierung jetzt aufgefordert, endlich etwas gegen die tickenden Zeitbomben in den Meeren zu unternehmen die schon viele Todesopfer gefordert haben. „Munitionsaltlasten in den Meeren bergen und umweltverträglich vernichten“, ist ihr gemeinsamer Antrag überschrieben, mit dem sich der Bundestag Mitte April 2021 befasste. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) begrüßte diesen Vorstoß, trat aber dafür ein, das Verursacher-Prinzip greifen zu lassen und die damaligen Hersteller der Kriegswerkzeuge wie etwa BAYER an der Finanzierung des Unterfangens zu beteiligen. „Die Räumungsarbeiten sind laut FDP und Grünen mit immensen Kosten verbunden. Darum ist es nur recht und billig, BAYER als Pionier auf dem Gebiet der chemischen Kampfstoffe mit zur Kasse zu bitten“, hieß es in der Presseerklärung der CBG. Glyphosat gefährdet Grundwasser Bis zu 50 Prozent des ausgebrachten Glyphosats kann ins Grundwasser gelangen. Das stellte ein ForscherInnen-Team um Andreas Hartmann von der Universität Freiburg und Thorsten Wagener von der Universität Potsdam fest. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass 99 Prozent des Pestizides im Boden versickert. Wie Hartmann und Wagener aber in einem Aufsatz, den die Zeitschrift Proceedings veröffentlichte, darlegen, leiten Risse und Hohlräume in der Erde große Mengen des Mittels bis ins Grundwasser weiter. Wasser-Strategie ohne Plan Der Klimawandel macht Wasser zu einer immer kostbareren Ressource. Das hat auch die Politik erkannt. Im Juni 2021 stellte Bundesumweltministerin Svenja Schulze den Entwurf zu einer nationalen Wasser-Strategie vor, um das Lebenselixier besser zu schützen. BAYER & Co. als die größten Wasserverbraucher und Wasserverschmutzer nahm das 76-seitige Papier dabei allerdings nicht in den Blick. Es führte keinerlei konkrete Vorhaben auf, um das gefährdete Gut vor dem Zugriff der Profit-Interessen zu bewahren, obwohl allein der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020 auf einen Wassereinsatz von 57 Millionen Kubikmetern kam. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte das scharf. „Zunehmende Trockenheitsperioden, eine schwindende Grundwasser-Neubildungsrate, der immense Durst der Konzerne und eine wachsende Schadstoff-Belastung der Gewässer verlangen ein sofortiges gesetzgeberisches Handeln. Dazu kann oder will sich die Umweltministerin aber offensichtlich nicht entschließen. So bleibt es bei bloßer Symbol-Politik“, hieß es in ihrer Presseerklärung. BAYERs großer Durst Der BAYER-Konzern hat einen enormen Wasser-Durst (s. o.) Bei der jüngsten Hauptversammlung erfragte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, wie viel Kubikmeter der kostbaren Ressource die Standorte in Nordrhein-Westfalen verbrauchen. Auf insgesamt 4,4 Millionen Kubikmeter kommen die Niederlassungen in Leverkusen, Wuppertal, Bergkamen und Monheim, bekam die Coordination zur Antwort.

ÖKONOMIE & PROFIT

Rating-Agentur stuft BAYER herab Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Glyphosat-Geschädigten platzen und legte stattdessen einen eigenen Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten vor (siehe RECHT & UNBILLIG). Unmittelbar danach stufte die Rating-Agentur MOODY’S INVESTORS SERVICE die Kreditwürdigkeit des Konzerns von Baa1 auf Baa2 herab. „Die anhaltende Unsicherheit in Bezug auf die abschließende Beilegung von Rechtsfällen gegen BAYER im Zusammenhang mit Glyphosat“, führte sie als einen der Gründe für die Entscheidung an. Auch die hohen Kosten für den Rechtskomplex „Glyphosat“ stellte die Agentur in Rechnung. Zudem zeigte sie sich von den „mittelfristigen Finanzzielen“ des Leverkusener Multis enttäuscht und bewertete die Profit-Aussichten im Agrar-Geschäft wegen des verstärkten Wettbewerbs negativ. Trotz des Verkaufs von Unternehmensteilen, eines kostensparenden Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramms und steigenden Renditen im Bereich „Consumer Health“ kam MOODY’S bei der „Betriebsprüfung“ letztlich „zu Finanzkennzahlen, die nur mit einem Baa2 bewertet werden können“. Hohe Abschreibungen In die BAYER-Bilanz fließt auch der Wert der Zukäufe ein. Dieser sogenannte Goodwill macht beim Leverkusener Multi 118 Prozent des Eigenkapitals aus. Für MONSANTO hatte er den Goodwill allerdings viel zu hoch angesetzt. Die immensen Schadensersatz-Ansprüche in Sachen „Glyphosat“ und schlechte Geschäfte im Agro-Bereich erforderten eine massive Korrektur: 9,3 Milliarden Euro musste der Global Player abschreiben.

RECHT & UNBILLIG

Immer mehr Dicamba-Klagen Neben Glyphosat entwickelt sich für den BAYER-Konzern auch das Herbizid Dicamba, das er hauptsächlich in Kombination mit gentechnisch gegen die Substanz immunisierten Gewächsen anbietet, zu einem Sorgenkind. Der Wind treibt das vom Leverkusener Multi z. B. unter dem Namen XTENDIMAX vertriebene Mittel nämlich zu Ackerfrüchten hin, die dem Stoff nichts entgegenzusetzen haben und deshalb eingehen. 57 Wein-AnbauerInnen und vier WeiterverarbeiterInnen machen wegen dieser Abdrift auf einer Fläche von 1.200 Hektar Schädigungen an Weinreben geltend und fordern eine Kompensation in Höhe von 114 Millionen Dollar plus 228 Millionen Dollar Strafe. Zudem zog ein Imker vor Gericht, weil die chemische Keule seine Bienenvölker dezimierte und der Pflanzen-Kahlschlag den Tieren Pollen und Nektar nahm, sodass die Honig-Produktion einbrach. Zwei weitere Prozesse in Sachen „Dicamba“ laufen bereits seit Längerem. Darüber hinaus schloss der Global Player im Juni 2020 mit rund 170 KlägerInnen einen Vergleich, der ihn zu einer Zahlung von 400 Millionen Dollar verpflichtete. Trotzdem lässt das Unternehmen auf das Ackergift nichts kommen. „BAYER ist von der Sicherheit und dem Nutzen des Herbizids XTENDIMAX überzeugt. Wir werden diese Technologie auch weiterhin verteidigen“, ließ der Gen-Gigant verlauten. Klage gegen Phosphorit-Abbau „Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hochproblematischer Stoff“, sagt die Umwelt-Aktivistin Hannah Connor von der US-amerikanischen Organisation Center for Biological Diversity. Und tatsächlich sorgt das Herbizid sogar schon vor seiner eigentlichen Geburt für so einige Verwerfungen. Der Abbau des Sediment-Gesteins Phosphorit, das BAYER zur Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor benötigt, belastet Mensch, Tier und Umwelt nämlich massiv. So gelangen etwa Schwermetalle und radioaktive Stoffe wie Uran, Radom, Radium und Selen in die Umwelt. Darum fechten mehrere US-amerikanische Umweltverbände die Genehmigung zum Abbau des Phosphorits ein, die BAYERs Minen-Gesellschaft P4 PRODUCTIONS im Jahr 2019 erhielt. Das Center for Biological Diversity, das Western Watersheds Project und die WildEarth Guardians werfen dem „Bureau of Land Management“ vor, bei der Prüfung des Antrages Umweltrichtlinien missachtet zu haben, und reichten Klage ein. Besonders das Selen stellt den Organisationen zufolge eine Bedrohung dar. „Zwischen 1996 und 2012 starben in der Nähe der Phosphorit-Minen im Südosten von Idaho über 600 Stück Vieh an Selen-Vergiftung“, hält die Klageschrift fest. Die Gewässer verseucht das Halbmetall ebenfalls. „Die Selen-Konzentration im Blackfoot-Fluss entspricht schon jetzt nicht mehr den Wasserqualitätsstandards von Idaho. Mehr Selen in fragilen Ökosystemen ist das Letzte, was die Region braucht“, so Chris Krupp von den WILDEARTH GUARDIANS. Erst Anfang März 2021 musste der Leverkusener Multi für Schäden, welche die Phosphorit-Förderung während der 1950er und 1960er Jahre in der inzwischen stillgelegten Ballard-Mine verursachte, eine hohe Summe zahlen (siehe Ticker 2/21). Der Prozess, den die US-amerikanische Umweltbehörde EPA, der Bundesstaat Idaho und eine Gruppe von Indigenen angestrengt hatten, endete mit einem Vergleich, der den Konzern fast 2,5 Millionen Dollar kostete. Ähnliche Verfahren gegen P4 PRODUCTIONS gab es in den Jahren 2011 und 2015. Bienengift-Bann bleibt Im Jahr 1999 begann die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihre Kampagne gegen BAYERs bienengefährliche Pestizide. Es sollte jedoch noch fast 20 Jahre dauern, bis sich der Erfolg einstellte: Im April 2018 verbot die Europäische Union die Wirkstoffe von BAYERs GAUCHO und PONCHO (heute BASF) sowie die SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam. Aber die Konzerne gaben sich nicht geschlagen. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGh) war nämlich noch die Klage von BAYER und SYNGENTA gegen das im Jahr 2013 von Brüssel erlassene vorläufige Verbot anhängig. 2018 verloren die Unternehmen in erster Instanz, und Anfang Mai 2021 scheiterte auch das Berufungsverfahren. Entsprechend zerknirscht reagierte der Leverkusener Multi: „BAYER ist enttäuscht darüber, dass die wesentlichen Aspekte dieses Falles vom Gericht nicht anerkannt wurden.“ Allerdings dürfen die Mittel in einigen Teilen der EU per Notfall-Zulassungen weiter ihr Unwesen treiben (s. u.) – und im Rest der Welt sowieso. Klage wg. Vogelschwund Der französische Vogelschutzbund „Ligue de protection des oiseaux“ LPO) hat BAYER und NUFARM verklagt. Der Verband macht den von beiden Unternehmen verkauften Pestizid-Wirkstoff Imidacloprid aus der Gruppe der Neonicotinoide für den Rückgang der Vogel-Populationen verantwortlich und verlangt Reparationszahlungen. Zudem fordert die LPO das Gericht auf, ein Total-Verbot der Agro-Chemikalie zu verhängen und damit die Ausnahmeregelungen des „loi du décembre 2020“ aufzuheben. „Die Neonicotinoide stehen für ein industriell geprägtes Agrarmodell, das unsere Landwirte in eine wirtschaftliche Sackgasse führt und die Vögel auf dem Land hat verschwinden lassen (...) Die Verantwortlichen für diese Katastrophe müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte LPO-Präsident Allain Bougrain Dubourg. Mexiko: Glyphosat-Bann bleibt Im Jahr 2020 hatte die mexikanische Regierung Glyphosat verboten. Der BAYER-Konzern ging gegen die Entscheidung gerichtlich vor, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Auch eine Klage des „National Farm Councils“, einer Vereinigung von GroßagrarierInnen, scheiterte. Kein Glyphosat-Vergleich Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Glyphosat-Geschädigten platzen (siehe auch SWB 3/21). Der Konzern sah keine Chance mehr, den richterlichen Segen für sein Ansinnen zu bekommen, das Herbizid unbegrenzt weiter zu vermarkten, aber für weitere Gesundheitsschäden nur noch begrenzt zu haften. Stattdessen präsentierte der Leverkusener Multi einen eigenen 5-Punkte-Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten. Dieser sieht vor, auf den Packungen des Pestizids statt eines Warn-Labels einen Hinweis auf wissenschaftliche Studien zu Glyphosat anzubringen. Überdies erwägt der Agro-Riese, das Mittel nicht mehr auf dem PrivatkundInnen-Markt anzubieten, da aus diesem Kreis über 90 Prozent der KlägerInnen stammten. Zum Umgang mit künftigen Schadensersatz-Ansprüchen enthält der Plan nichts Konkretes. „Das Unternehmen wird andere Lösungen für potenzielle künftige Klagen zu ROUND UP prüfen“, heißt es lediglich. Niederlage im Fall „Hardeman“ Der Leverkusener Multi hat bisher in allen drei großen Glyphosat-Prozessen Niederlagen erlitten. Den ersten, den Dewayne Johnson gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO angestrengt hatte, musste das Unternehmen sogar schon endgültig verloren geben. Und im Fall „Hardeman“ unterlag der Agro-Riese Mitte Mai 2021 in zweiter Instanz. Dabei hatte sich der Global Player gerade hier Chancen ausgerechnet, denn er konnte die US-amerikanische Umweltbehörde EPA als Entlastungszeugen aufbieten. Gemeinsam mit dem Justizministerium nutzte die Einrichtung das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht, das es Unbeteiligten gestattet, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, hieß es in dem „Brief of the United States as Amicus Curiae in Support of MONSANTO“, was das Wall Street Journal damals so kommentierte: „Die Trump-Administration stützt BAYER in Herbizid-Verfahren.“ FRAG DEN STAAT vs. BfR Anfang 2019 hatte das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) die Initiative „FRAG DEN STAAT“ verklagt (Ticker 3/19). Die Behörde warf der Organisation vor, mit der Veröffentlichung eines BfR-Gutachtens zu Glyphosat, das diese unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz angefordert und auf ihrer Website veröffentlicht hatte, gegen das Urheberrecht verstoßen zu haben. Das 6-seitige Dokument spielt eine Schlüsselrolle im wissenschaftlichen Streit um das Pestizid. Im Jahr 2015 bewertete die „Internationale Agentur für Krebsforschung“ (IARC) der Weltgesundheitsorganisation das Breitband-Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend“ und setzte sich damit von dem Glyphosat-Prüfbericht des „Bundesinstituts für Risiko-Bewertung“ ab. Die Politik sah Klärungsbedarf und erbat vom BfR eine Stellungnahme. Daraufhin erstellte die Behörde eine ergänzende Expertise. Die Kurzfassung dieses „Addendum I“ ging dann als Handreichung an das Bundeslandwirtschaftsministerium und enthält offenbar so brisantes Material, dass das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ dieses lieber unter Verschluss halten möchte. Aber das gestaltet sich schwierig. Nach Ansicht des Landgerichts Köln kann das Dokument keine Schutzrechte mehr beanspruchen. FRAG DEN STAAT hatte nämlich einfach an UnterstützerInnen appelliert, ebenfalls Anträge zur Einsicht in das Schriftstück nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu stellen. Das geschah 45.000 Mal, auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beteiligte sich damals. Und damit war das Gutachten dann in der Welt. Darüber hinaus deckt die im Urheberrechtsgesetz garantierte Zitat- und Berichterstattungsfreiheit das Vorgehen der AktivistInnen, befanden die RichterInnen im November 2020. Das BfR ging gegen die Entscheidung vor, verlor im Mai 2021 jedoch auch in zweiter Instanz. Pestizid-Kritikerin verurteilt Im Herbst 2020 hatte die französische Initiative ALERTE AU TOXIQUES ein Dossier über Pestizid-Rückstände in französischen Weinen aus der Region um Bordeaux veröffentlicht. Der Befund war alarmierend: In allen der 20 untersuchten Fabrikate fanden sich Ackergift-Spuren. In manchen Flaschen stießen die WissenschaftlerInnen auf bis zu 15 unterschiedliche Wirkstoffe. Sogar das EU-weit verbotene Iprodion – enthalten unter anderem in BAYERs ROVRAL und CHIPCO GREEN – wiesen die ForscherInnen nach. Der Branchenverband CIVB sah seine Umsätze in Gefahr. Deshalb verpflichtete er einen Anwalt, der schon in Diensten von MONSANTO gestanden hatte, und ging gerichtlich gegen die Alerte-Gründerin Valérie Murat vor. In erster Instanz verurteilte das Gericht die Pestizid-Kritikerin zu einer Strafzahlung in Höhe von 125.000 Euro. Murat will den RichterInnen-Spruch jedoch anfechten. Zahlreiche Gruppen stärkten ihr bei dem Prozess mit einer Solidaritätserklärung den Rücken, darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). In Sachen „Agent Orange“ Das im Vietnam-Krieg von den USA als Entlaubungsmittel eingesetzte Agent Orange hat unermessliches Leid über das Land gebracht. Dennoch hat bisher noch noch kein Vietnamese und keine Vietnamesin eine Entschädigung erhalten. Das will die in Vietnam geborene und seit Langem in Frankreich lebende Tran To Nga ändern. Sie berief sich auf ein Gesetz in ihrer Wahlheimat, das die rechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen gestattet, auch wenn diese außerhalb der Grenzen des Staates geschahen, und verklagte die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO sowie dreizehn weitere Unternehmen. „Ich kämpfe nicht für mich selbst, sondern für meine Kinder und die Millionen von Opfern“, sagt die 79-Jährige. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und zahlreiche andere Organisationen unterstützen sie dabei. BAYER hingegen erklärt die Schadensersatz-Ansprüche für unbegründet. Der Konzern behauptet, MONSANTO hätte lediglich als Erfüllungsgehilfe der US-Army agiert, obwohl das Unternehmen mit dem Pentagon bereits seit 1950 in einem regen Austausch über die Kriegverwendungsfähigkeit der „Agent Orange“-Chemikalie 2,4,5-T stand. BAYER-Anwalt Jean-Daniel Bretzner zog schon die Zuständigkeit des Gerichts in Zweifel. Er bestritt ihm das Recht, über die Verteidigungspolitik eines souveränen ausländischen Staates in Kriegszeiten zu richten. Die RichterInnen folgten den Argumentationen von Bretzner & Co. Sie befanden, dass die Firmen „auf Anweisung und im Namen des amerikanischen Staates“ gehandelt hätten und sprachen die Unternehmen frei. Tran To Nga akzeptiert dieses Votum jedoch nicht und kündigte an, in Berufung zu gehen.
  • YASMINELLE-Klage abgewiesen
Ende Juni 2021 hat das Oberlandesgericht Karlsruhe die Klage der Arznei-Geschädigten Felicitas Rohrer gegen den BAYER-Konzern abgewiesen. Die 37 Jahre alte Frau forderte 200.000 Euro von dem Unternehmen, weil sie nach der Einnahme des Verhütungsmittels YASMINELLE eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand erlitten hatte. Diese „Nebenwirkung“ des Medikaments ist seit Langem bekannt. Zudem reicht dem Arzneimittelgesetz eine bloße Kausalitätsvermutung, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Einen exakten wissenschaftlichen Nachweis über eine Kausalbeziehung zwischen einer Arzneimittel-Einnahme und dem Auftreten von Nebenwirkungen zu erbringen, erweist sich nämlich allzu oft als eine unlösbare Aufgabe. Trotz alledem sprach die Richterin den Leverkusener Multi frei. Dessen AnwältInnen war es nämlich gelungen, die Juristin zu überzeugen, dass auch eine lange Flugreise Rohrers den Venenverschluss ausgelöst haben könnte. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte die Entscheidung scharf. „Das ist ein Skandal-Urteil. In den USA haben bisher schon 12.000 Leidensgenossinnen von Felicitas Rohrer Recht bekommen und insgesamt zwei Milliarden Dollar Schmerzensgeld von BAYER erhalten. Hierzulande aber kuscht die Justiz vor der Macht der Konzerne“, hieß es in ihrer Presseerklärung. Ähnlich reagierte die Klägerin. „Ich bin sehr enttäuscht über dieses Urteil und hätte es so nicht erwartet. Wir werden es nun genau prüfen und schauen, welche weiteren juristischen Schritte möglich sind“, erklärte sie. Da das Gericht eine Revision skandalöserweise nicht zuließ, bleibt Felicitas Rohrer nur noch der Weg, eine Nichtzulassungsbeschwerde einzureichen, um ein endgültiges Schließen der Akte „YASMINELLE“ zu verhindern. LIPOBAY-Klage stattgegeben BAYERs Cholesterinsenker LIPOBAY hat mindestens 100 PatientInnen den Tod gebracht, bis der Konzern ihn im Sommer 2001 vom Markt nehmen musste. In der Folge sah sich das Unternehmen mit einer Unmenge von Entschädigungsprozessen konfrontiert. Derjenige, den der italienische Arzt Roberto Trevisanato führte, zog sich über 20 Jahre hin, bis er im Mai 2021 nun mit einer Verurteilung des Leverkusener Multis endete. Das Gericht bezeichnete die Arznei als gefährlich und warf dem Pharma-Riesen vor, auf den Packungsbeilagen nicht ausreichend vor den Nebenwirkungen gewarnt zu haben. Im Rückblick sagte Trevisanato in einem Interview: „Mein Leben wurde zerstört: Als ich dieses Mittel für zwei Monate einnahm, landete ich für zwei Jahrzehnte in der Hölle.“ BAYER vor Gericht In Italien müssen sich BAYER, NOVARTIS und der Krankenhaus-Konzern SAN DONATO wegen Abrechnungsbetrugs zulasten der öffentlichen Gesundheitssysteme vor Gericht verantworten. Das Hospital hatte beim regionalen Gesundheitsdienst der Lombardei Arznei-Rechnungen der beiden Unternehmen eingereicht, die nicht den wahren Preisen entsprachen, da die Pharma-Riesen SAN DONATO unter der Hand Rabatte gewährten. Auf ähnliche Weise hatte der Leverkusener Multi in Tateinheit mit anderen Pillen-Produzenten, Krankenhäusern, ÄrztInnen und Apotheken Anfang der 2000er Jahre die US-amerikanischen staatlichen Gesundheitsprogramme Medicaid und Medicare geschröpft. Den Einrichtungen, die Bedürftigen Arzneien zur Verfügung stellen, entstand so Jahr für Jahr ein Schaden von rund einer Milliarde Dollar. Im Jahr 2000 zahlte der Global Player dafür 14 Millionen Dollar Strafe und 2003 sogar 250 Millionen Dollar. Ermittlungen wg. Bestechung Der BAYER-Konzern sieht sich in Griechenland mit dem Vorwurf der ÄrztInnen-Bestechung konfrontiert. Er soll von 2005 bis 2008 rund 800 MedizinerInnen mit Sachzuwendungen und Geld-Geschenken von bis zu 20.000 Euro veranlasst haben, Medikamente des Konzerns zu verschreiben. Im Jahr 2015 hat die Staatsanwaltschaft deshalb eine Anzeige erstattet. Über den aktuellen Stand der Ermittlungen liegen keine Informationen vor.

[Wahlfreiheit in Gefahr] BAYER & Co. wollen Gentechnik-Deregulierungen

CBG Redaktion

Aktuell hat die Frage, ob neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR/Cas als Gentechnik reguliert bleiben – oder ob sie wie von der Industrie gewollt nicht reguliert werden – erheblich an Fahrt aufgenommen. Hintergrund ist ein Bericht der EU-Gesundheitskommission von Ende April diesen Jahres, der die Tür für eine Deregulierung aufsperrt. Um eine gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung vom Saatgut bis zum Teller sicherstellen zu können und damit die Wahlfreiheit aufrechtzuerhalten, müssen auch die neuen Gentechniken nach Gentechnikrecht reguliert bleiben. Das hohe Gut der Gentechnikfreiheit Europas gilt es zu verteidigen.

Von Annemarie Volling, Referentin für gentechnikfreie Landwirtschaft bei der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL)

Neue Verfahren zur gentechnischen Veränderung der DNA wie CRISPR/Cas sind Gentechnik und müssen nach EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Das hat das richtungsweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juli 2018 bestätigt und damit Rechtssicherheit für alle Wirtschaftsbeteiligten geschaffen. Regulieren heißt nicht verbieten, wie es zum Teil dargestellt wird, sondern beinhaltet die Verpflichtung zur Durchführung einer Risikobewertung und eines Zulassungsverfahrens sowie auch Nachweisbarkeit, Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Monitoring der Gentechnik-Pflanzen und -Produkte. Für nicht in der EU zugelassene gentechnisch veränderte Organismen gilt Nulltoleranz. Freisetzungen zu Versuchszwecken unterliegen einem Genehmigungsvorbehalt. Diese EuGH-Entscheidung war gut für VerbraucherInnen und die konventionellen und ökologischen gentechnikfreien LebensmittelerzeugerInnen.
Konzerne wie BAYER hingegen fordern einen „innovationsfreundlichen Regulierungsrahmen.“ Würden die neuen Gentechniken nach EU-Gentechnik-Richtlinie reguliert, fürchtet BAYER „langwierige und kostspielige Zulassungsverfahren“. Diese stellten ein enormes Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pflanzenzüchter und für Investitionen in die Pflanzeninnovation dar, so der Konzern in seiner Stellungnahme zur Farm-to-Fork-Strategie der EU.
Der Geschäftsführer der BAYER CROP-SCIENCE DEUTSCHLAND GmbH, Peter R. Müller, betonte beim digitalen „Agrar Gespräch“ im März 2021, man brauche technologische Alternativen und die Möglichkeiten, diese auch einsetzen zu können. Die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen, damit die Wirtschaft entsprechende Geschäftsmodelle und Angebote für die Landwirtschaft aufbauen könne. Anders gesagt wollen sie möglichst schnell und ohne Hürden (wie Zulassungsverfahren, verpflichtende Risikobewertung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit) mit ihren Gentechnik-Produkten auf den europäischen Markt, letztendlich aber möglichst wenig Verantwortung für ihre Produkte übernehmen. Entsprechend lobbyieren sie für eine Deregulierung der Gentechnik.

EU für Deregulierung
Ende April 2021 veröffentlichte die Gesundheitskommission der EU einen Bericht zum „Status neuartiger genomischer Verfahren.“ Darin bestätigt sie einerseits die Auffassung des Europäischen Gerichtshofes, dass auch die neuen Gentechniken dem EU-Gentechnikrecht unterliegen. Auch will sie das „hohe Schutzniveau für Mensch und Umwelt aufrechterhalten“. Andererseits seien die Potenziale der neuen Gentechniken (NGT) hoch, und von den verschiedenen Anwendungen gingen „keine neuen Gefahren“ (gegenüber konventionellen Züchtungen oder alten Gentechniken) aus.
Das geltende Regulierungssystem stoße bei den neuen Verfahren an Grenzen – vor allem, weil Nachweisverfahren fehlen würden. Zudem sei das Gentechnikrecht „nicht zweckmäßig“. Aufgrund von unterschiedlichen Regulierungssystemen anderer Länder käme es überdies zu Wettbewerbsverzerrungen und womöglich Handelshemmnissen. Deshalb werde die Kommission „einen breit angelegten und offenen Konsultationsprozess einleiten, um die Gestaltung eines neuen Rechtsrahmens für diese biotechnologischen Verfahren zu erörtern“ heißt es in ihrer Pressemeldung.
Der Kommissions-Bericht könnte die Tür öffnen für eine Deregulierung der neuen Gentechniken wie CRISPR/Cas. Damit wäre die gentechnikfreie Erzeugung, die derzeit ein großer Wettbewerbsvorteil für europäische Bäuerinnen und Bauern ist, massiv in Gefahr. Es gilt deshalb, aktiv in diesen Prozess einzugreifen.

Wunschkonzert
In ihrem Bericht nimmt die Kommission die Erzählungen der Konzerne auf: NGT hätte das Potential, zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem beizutragen, da schnell Pflanzen erzeugt werden könnten, die widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels seien. So könnten dem Report zufolge die EU-Ziele des Green Deals, der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie bis 2030 erreicht werden.
Die Kommission beruft sich bei den Potentialen auf eine Studie des Joint-Research-Centre (JRC) der EU. Demnach würden in den nächsten fünf Jahren 15 NGT-Pflanzen auf den Markt kommen. Der Bericht bezieht sich auf „Unternehmensaussagen“, enthält aber keine Referenzen. Es wird auch nicht dargelegt, wie das JRC Organismen einer bestimmten Entwicklungsphase zuordnet. Die Realität zeigt, dass Firmen Angaben zur Markteinführung wiederholt verschieben und Produkte ohne weitere Begründung aus den Pipelines verschwinden. Bislang werden erst zwei NGT-Pflanzen in geringem Umfang in den USA angebaut: Ein herbizidresistenter Raps der Firma Cibus und eine in der Ölzusammensetzung veränderte Soja der Firma Calyxt. In den Pipelines der Unternehmen sind vor allem NGT´s mit Herbizidresistenz angekündigt. Weitere Eigenschaften betreffen die Produktion von Insektengiften innerhalb der Pflanze sowie eine veränderte Zusammensetzung der Inhaltsstoffe.
Die Wirksamkeit der Pestizid- und Insektenresistenz hält in der Regel nicht lange vor. Das führt in der Praxis schnell zu Resistenzbildungen von sog. Unkräutern oder Schadinsekten und zieht einen höheren Pestizideinsatz nach sich, wie die bitteren Erfahrungen der FarmerInnen in Nord- und Südamerika zeigen. Dass NGT-Pflanzen „per se“ zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beitragen könnten, ist also kein Fakt, wie von der Kommission dargestellt. Sondern es handelt sich um Produkt-Versprechen der Gentechnik-AnwenderInnen. Hiermit eine Deregulierung zu begründen, ist nicht akzeptabel. In keinem Fall kann mit einem angeblichen Nutzen von Produkten oder aber einer schnelleren Züchtung begründet werden, Risikoprüfungen abzuschwächen. Diese sind nach dem in der EU verankerten Vorsorgeprinzip vor einer Zulassung geboten.
Ob die vollmundigen Versprechen, mit CRISPR & Co schnell „klimaanpassungsfähige“ und widerstandsfähige NGT-Pflanzen zu erzeugen, einzuhalten sind, und ob diese dann auch auf dem Acker und in der Umwelt so funktionieren wie gedacht, ist im Moment sehr spekulativ. Es gibt kein „Klimaanpassungs-Gen“ – das Zusammenspiel der Gene ist hochkomplex und Pflanzen haben sehr unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten auf die verschiedenen Wetterbedingungen. Von der Kommission nicht erwähnt wird, dass es wissenschaftliche und praktische Belege gibt, dass widerstandsfähige und umweltschonende Anbausysteme und der Ökolandbau zur Reduzierung der Treibhausgase sowie des Düngemittel- und Pestizideinsatzes beitragen können. Zudem vermögen sie die Biodiversität zu fördern und widerstandsfähige Systeme aufbauen. Konventionelle Züchtungs- und Selektionsmethoden und insbesondere die Verwendung von Mischungen und heterogenen Populationen bringen Vielfalt und Anpassungsfähigkeit ins System. Diese Lösungen sind praktikabel und erfolgsversprechend und sollten deshalb viel stärker gefördert und gestärkt werden.

Risiken
Die EU-Kommission schlägt vor, bestimmte Anwendungen (SDN1, SDN2 und Cisgenese) der neuen Gentechniken von der Regulierung auszunehmen oder weniger zu regulieren. Das widerspricht der aktuellen Risikodebatte und ist wissenschaftlich nicht begründbar. Zur Erläuterung: SDN bedeutet ortsgerichtet (site directed) und meint, dass die sogenannten Gen-Scheren wie CRISPR/Cas sich an einen vorher bestimmten Ort binden und dort das Erbgut (die DNA) aufschneiden können. An diesen Orten soll es dann zu Veränderungen kommen wie z. B. unbestimmte Änderungen weniger Basenpaare (SDN-1), was dazu führen kann, dass einzelne Gene stillgelegt, aktiviert oder in ihrer Wirkung verändert werden. Bei SDN-2 wird zusätzlich zur Gen-Schere eine Vorlage in den Zellkern eingeführt. So sollen vorher definierte Veränderungen an der vorgesehenen Stelle erreicht oder kleine Gen-Abschnitte in das Erbgut eingebaut werden. Bei SDN-3 können ortsgerichtet größere Abschnitte eingebaut werden bis hin zu ganzen Genen (entweder arteigen: cisgen oder artüberschreitend: transgen). Bislang sind ein Großteil der aktuellen Anwendungen (ca. 90 Prozent) SDN-1 Anwendungen, also ungerichtete kleine Veränderungen an einem Zielort.
Um die Gen-Schere in die Zelle einzuschleusen, werden Verfahren der alten Gentechnik verwendet – mit den entsprechenden Risiken der alten Gentechnik, wie bspw. der ungewollte mehrfache Einbau von DNA-Anschnitten ins Erbgut. Entscheidend bei der Risikobewertung ist also, dass jede Prozessstufe zur Entwicklung neuer Gentechnik-Pflanzen mit ihren speziellen Risiken betrachtet werden muss.
Aktuelle Studien zeigen, dass es auch bei den vermeintlich „präziseren“ (weil ortsgerichteten) Gen-Scheren zu unerwarteten Effekten kommt, bspw. weil CRISPR an einem anderen Ort schneidet als vorgesehen (off-target) oder es durch die eigentlich gewollte Veränderung zu nicht erwarteten Effekten kommt (on-target). Zudem besteht die Möglichkeit, diese Verfahren mehrfach hintereinander oder in Kombination zur Anwendung zu bringen. Damit können sehr weitreichende Veränderungen vorgenommen werden. Anders als die alte Gentechnik können die neuen Gentechniken Veränderungen in geschützten Erbgutbereichen vornehmen. Es können auch mehrere Gene gleichzeitig verändert und alle Genkopien synchron verändert werden. Mit den NGTs vermögen also starke und sehr weitgehende Veränderungen erzeugt zu werden. Das ist ein großer Unterschied zu den bisherigen Verfahren. Die Techniken sind neu, es gibt bislang keine systematischen Risiko-untersuchungen. Zu behaupten, sie seien sicher, ist wissenschaftlich unseriös. Entsprechend ist es wissenschaftlich geboten, alle neuen Gentechnik-Organismen einer verpflichtenden Risikoprüfung und einem Zulassungsverfahren zu unterziehen. Nur so kann das in der EU geltende Vorsorgeprinzip umgesetzt und das von der Kommission angestrebte hohe Schutzniveau für Mensch, Tier und Umwelt eingehalten werden.

Nachweisbarkeit
Die Kommission führt an, dass es Probleme für die AnwenderInnen der Technik gebe, Nachweisverfahren zu entwickeln und sie somit diese Zulassungsvoraussetzung nicht erbringen könnten. Zudem gebe es Schwierigkeiten, Importe auf GVO zu testen. Dies ist eine einseitige Bewertung der Kommission, die eine mögliche Weiterentwicklung von Methoden und andere Lösungsoptionen ausblendet. Für die beiden bisher auf dem Markt befindlichen neuen Gentechnik-Pflanzen (CIBUS-Raps und CALYXT-Soja) ist es möglich, mit Hilfe etablierter Testmethoden spezifische Nachweisverfahren zu entwickeln. Dies geht zu dem Zeitpunkt, wenn die veränderte Sequenz bekannt ist. So hat CIBUS ein Nachweisverfahren bei den kanadischen Behörden eingereicht, und der „Verband Lebensmittel ohne Gentechnik“ (VLOG) und andere Organisationen haben ein CIBUS-Nachweisverfahren entwickelt. Die Schlussfolgerung der Kommission, AntragstellerInnen könnten die Zulassungsvoraussetzung der Entwicklung eines Nachweisverfahrens nicht stemmen, ist also hinfällig.
Gentechnisch veränderte Pflanzen nachzuweisen, wenn die DNA-Sequenzveränderung nicht bekannt ist, war schon bei der alten Gentechnik ein Problem. Das Screening bzw. die Routineuntersuchungen bspw. bei Importen suchen nach häufig vorkommenden (transgenen) Elementen, die bei mehreren Gentechnik-Events (Eigenschaften) auftreten. Nach einer solchen „Voruntersuchung“ muss dann das spezifische Event ermittelt werden. Gentechnik-Pflanzen, die diese „allgemeinen“ Elemente nicht haben, fallen bei einem Screening durch, wie bspw. die GV-Petunie, die jahrelang unentdeckt blieb. Entsprechend ist dies also ein generelles Problem, was nicht speziell bei NGT´s auftaucht und dringend angegangen werden muss. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten müssen hier endlich aktiv werden, Maßnahmen ergreifen und Nachweismethoden sowie Strategien für diesen Bereich entwickeln. Laut Bericht beträgt der Anteil der Forschungsinvestitionen der Mitgliedstaaten für Entwicklung von Nachweismethoden, Risikostudien und Monitoring lediglich 1,6 % – statt gerade bei neuen Techniken hier einen Schwerpunkt zu legen. Europäische und internationale öffentliche Register sind auszubauen. Forschende und Gentechnik-AnwenderInnen müssen verpflichtet werden, alle nötigen Informationen zur Entwicklung von Nachweisverfahren zur Verfügung zu stellen. Dies muss spätestens ab Freisetzung eines GVO gelten. In keinem Fall dürfen Vollzugsprobleme wie die Nachweisproblematik instrumentalisiert werden, um so eine Deregulierung der NGT zu begründen.

Was die EU nicht sieht
Behauptet wird auch, dass eine strenge Regulierung und aufwendige Zulassungsverfahren zu Wettbewerbsnachteilen der EU-Akteure führen. Das mag für die Gentechnik-Industrie und AnwenderInnen so sein, entsprechend versuchen sie, die Hürden herabzuschrauben. Innovationen machen jedoch noch lange keine Sicherheit aus.
Völlig unterbewertet wird von Seiten der Kommission der Wettbewerbsvorteil, den die gentechnikfreie Landwirtschaft und Saatguterzeugung bietet. Europäische Bäuerinnen und Bauern haben einen großen Wettbewerbsvorteil, weil sie gentechnikfreie Pflanzen problemlos und oft ohne Kontaminationsgefahren anbauen. Die abnehmende Hand verlangt Gentechnikfreiheit im Ackerbau, insbesondere die europäischen Mühlen, Verarbeitungsunternehmen und der Lebensmittel-Einzelhandel. Auch die Abnehmer in Asien und Nordamerika bestehen auf gentechnikfreier Ware. Sollten die NGT-Pflanzen, wie von der Gentechnik-Industrie gefordert, dereguliert werden, könnten Bäuerinnen und Bauern das Qualitätsmerkmal „gentechnikfrei“ nicht mehr erzeugen, stattdessen würden sie zu austauschbaren Rohstofflieferanten und müssten zu noch schärferen Wettbewerbsbedingungen und Dumpingpreisen produzieren. Desgleichen erfreuen sich tierische Produkte (Milch, Eier, Fleisch) „ohne Gentechnik“ eines stetig wachsenden Marktes in Deutschland und Europa. Auch der Biomarkt, für den seine Verpflichtung, keine Gentechnik einzusetzen, ein wichtiges Verkaufsargument ist, boomt. Europa hat trotz – oder gerade wegen – der Gentechnik-Regulierung noch eine vergleichsweise vielfältige Züchterlandschaft. Für österreichische Saatgutzüchter war es anfangs ein Vorteil, wenn sie garantiert gentechnikfreies Saatgut angeboten haben. Anbieter in Deutschland zogen nach, um sich ihre Märkte zu sichern.

Viel zu verteidigen
Die EU-Gentechnikgesetzgebung basiert auf dem im EU-Recht verankerten Vorsorgeprinzip und der Wahlfreiheit. Auch die neuen Gentechniken sind risikobehaftet, ihr Nutzen für die Landwirtschaft fragwürdig. Entsprechend müssen sie aus Vorsorgegründen sowie zur Entwicklung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft und Züchtungsarbeit und gerade auch aus wirtschaftlicher Sicht weiterhin nach EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Es gilt das Recht auf gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und Wahlfreiheit zu sichern. Packen wir es gemeinsam an!

Die neue AbL-Broschüre: „CRISPR & Co. Neue Gentechnik – Regulierung oder Freifahrtschein?“ liefert passende Antworten in der nach dem EU-Kommissions-Bericht erneut aufflammenden Debatte um die neuen Gentechnik-Verfahren. Die Broschüre versammelt Perspektiven aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Betroffenen. Zu Wort kommen Menschen aus Saatgutzüchtung, Landwirtschaft, Verarbeitung, Verbraucherschutz und den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (Molekulargenetik, Ökologie, Ethik, Recht). Sie kann bestellt werden unter www.bauernstimme.de/broschuere/ und steht unter www.abl-ev.de/publikationen/ als PDF zur Verfügung.

[Konfrontationskurs] Auf Konfrontationskurs

CBG Redaktion

BAYER bricht die Glyphosat-Vergleichsverhandlungen ab

Sechs Jahre währt die Causa „Glyphosat“ jetzt schon, und ein Ende ist nicht abzusehen. Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Geschädigten platzen. Der Konzern sah keine Chance mehr, den richterlichen Segen für sein Ansinnen zu bekommen, das Herbizid unbegrenzt weiter zu vermarkten, aber für weitere Gesundheitsschäden nur noch begrenzt zu haften.

Von Jan Pehrke

Das Urteil des zuständigen Richters Vince Chhabria über BAYERs Vergleichsvorschlag zur Regelung der Ansprüche von US-amerikanischen Glyphosat-Geschädigten ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Als „eindeutig unangemessen“ bezeichnete er den „settlement plan“. Damit erhielt der Leverkusener Multi für seine Vorstellungen zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten bereits zum zweiten Mal eine Abfuhr von Chhabria. Die Nachbesserungen, die der Konzern vorgenommen hatte – eine Erhöhung des Etats für zukünftige Klagen auf zwei Milliarden Dollar und ein nur noch beratend tätiges, nicht aber länger über die Berechtigung der Schadensersatz-Forderungen entscheidendes Wissenschaftsgremium – reichten ihm nicht aus. Vor allem stieß er sich an der auf vier Jahre begrenzten Laufzeit des Programms für Menschen, die neu am Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), eine Art von Lymphdrüsen-Krebs, erkranken. Angesichts der Fülle von Jahren, die zwischen einer Glyphosat-Exposition und dem NHL-Ausbruch liegen kann, sei das nicht genug, so der Jurist. Bei der Anhörung versetzte er sich in die Lage eines solchen Betroffenen, der erst lange nach dem Gebrauch des von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO hergestellten Herbizids Symptome herausbildet, und erklärte: „Es gibt keinen Grund für mich anzunehmen, dass dieser Vergleich für mich dann eine Entschädigung bereithielte.“
Zudem fiel es Chabria schwer zu beurteilen, ob der Fonds die Kranken mit den zwei Milliarden fair entschädigen würde, da der Agro-Riese keine Angaben über die Höhe der Zahlungen bei den bisher getroffenen außergerichtlichen Einigungen machte und überdies die Zahl der Anspruchsberechtigten nicht abzuschätzen sei. Darüber hinaus stieß er sich daran, dass der Vergleich zwar eine Ausstiegsklausel hat und den Rechtsweg für die Geschädigten offenhält, ihnen aber gleichwohl den Zugang zu Verfahren verbaut, an deren Ende die für das Unternehmen besonders kostspieligen „punitive damages“ lauern. Dies würde die Verhandlungsposition der KlägerInnen bei den Gesprächen über mögliche Vergleiche schwächen, befand der Richter. Überdies verstand er nicht, warum der Konzern sich so dagegen sperrt, auf den Glyphosat-Packungen eindeutiger vor den Risiken und Nebenwirkungen des Mittels zu warnen, wie es z. B. die Tabak-Firmen tun, um sich vor kostspieligen Prozessen zu wappnen. Und auch mit der nunmehr zurechtgestutzen Rolle des „science panels“ zeigte er sich noch nicht zufrieden. Er wusste nämlich nur allzu genau, was die BAYER-Tochter mit dieser Einrichtung im Schilde führt. „Der Grund dafür, warum MONSANTO so dringend ein science panel will, ist, dass das Unternehmen die ‚Schlacht der Experten’ in drei Verfahren verloren hat“, so Chhabria.
„Kurz gefasst, würde dieser von den AnwältInnen vorgeschlagene Vergleich MONSANTO viel nutzen“, resümierte er, während der Vorschlag für zukünftige Geschädigte des von BAYER unter dem Namen ROUNDUP vermarkteten Pestizids nicht viel Gutes bereithielte: „Für die ROUNDUP-Anwender, bei denen kein NHL diagnostiziert wurde, würde es weit weniger bringen – und nicht annähernd so viel, wie die Anwälte, die diesen Deal vorantreiben, behaupten.“
Hatte sich BAYER unmittelbar nach der Anhörung am 19. Mai 2021 noch optimistisch gezeigt, „die vom Gericht aufgeworfenen Punkte gemeinsam mit den Kläger-Anwälten lösen zu können“, so änderte sich das nun. Zu grundsätzlich erschienen dem Konzern Chhabrias Einwände in schriftlich vorliegender Form. „Leider lässt sein jüngster Beschluss keinen anderen Schluss zu, als dass das Gericht den Lösungsmechanismus nicht ohne weitere erhebliche Änderungen genehmigen wird. Diese Änderungen sind nicht im Interesse von BAYER“, konstatierte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in einer Telefon-Konferenz für Investoren und Medien. Also erklärte der Agro-Riese die Vergleichsverhandlungen für beendet und legte gleich einen eigenen 5-Punkte-Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten vor. „Jetzt ist es unter unserer Kontrolle“, bekundete Baumann.

Der BAYER-Plan
Das Programm sieht vor, auf den Packungen des Herbizids statt eines Warn-Labels einen Hinweis auf wissenschaftliche Studien zu Glyphosat anzubringen. Überdies stellt es die Zukunft des Mittels auf dem PrivatkundInnen-Markt zur Disposition, da aus diesem Kreis über 90 Prozent der KlägerInnen stammten und die Verluste von rund 300 Millionen Euro bei einem Gesamtumsatz mit dem Herbizid von rund 2,5 Milliarden Euro zu verschmerzen sind. Die 30.000 von rund 125.000 Klagen, die bisher noch nicht Teil einer Vergleichslösung sind, will der Konzern nach wie vor „gütlich beilegen“. Gleichwohl kündigte er eine härtere Gangart bei den Verhandlungen mit den AnwältInnen an: „Allerdings behält sich das Unternehmen vor, regelmäßig zu prüfen, ob dieser Ansatz noch im besten Interesse des Unternehmens ist.“ Zum Umgang mit den zukünftigen Klagen – dem eigentlich Knackpunkt – äußerte BAYER sich nur vage. „Das Unternehmen wird andere Lösungen für potenzielle künftige Klagen zu ROUND UP prüfen“, heißt es.
Bei denjenigen Klagen, die schon zu Gericht gingen und in Prozesse mündeten, beabsichtigt der Global Player hart zu bleiben. „Die Berufungsverfahren in den beiden Fällen Hardeman und Pilliod werden weiter betrieben“, hält er fest. Der Konzern hofft nämlich darauf, auf diesem Wege ein Grundsatz-Urteil des U.S. Supreme Courts zu seinen Gunsten erwirken zu können, das neue Glyphosat-Geschädigte davon abhält, den Rechtsweg zu bestreiten.
Dabei setzt der Leverkusener Multi vor allem auf die US-amerikanische Umweltbehörde EPA. Von Trump auf Linie gebracht, hält diese das Herbizid nämlich im Gegensatz zur Weltgesundheitsorganisation WHO nicht für „wahrscheinlich krebserregend“ und schritt ein, als der Staat Kalifornien die Produzenten zu entsprechenden Warn-Hinweisen verdonnern wollte. Die EPA diente sich bei der Causa „Hardeman“ sogar als Entlastungszeuge für BAYER an. Gemeinsam mit dem Justizministerium nutzte sie das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht, das es Unbeteiligten gestattet, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, erklärten die staatlichen Stellen ummissverständlich.
Wenn die Umweltbehörde der USA nichts an Glyphosat findet, dann darf es die Justiz des Landes auch nicht – dieser Argumentation will die Aktien-Gesellschaft endlich Geltung verschaffen. Sie steht nämlich nach wie vor in Treue fest zu ihrem Produkt. Es blicke auf eine lange, 40-jährige Geschichte der Bewertung durch Zulassungsbehörden zurück, die in den Gerichtssälen bislang keine Rolle gespielt habe, aber überall sonst in der Welt sehr präsent sei, so BAYERs oberster Prozess-Beauftragter Bill Dodero in der Investoren-Konferenz. „Dass ein Hersteller, der sich an die Wissenschaft hält und alle Vorschriften befolgt hat, haftbar gemacht wird“, findet er schlichtweg skandalös.
Zur Abwendung dieses Schicksals bedient das Unternehmen sich aller möglichen juristischen Winkelzüge. So gab es ein eigentliches schon gewonnenes Glyphosat-Verfahren im Nachhinein verloren und zahlte dem Prozess-Gegner 100.000 Dollar, um Berufung einzulegen und die juristische Auseinandersetzung so weiter durch die Instanzen bis hin zum Supreme Court treiben zu können. „Was den Obersten Gerichtshof betrifft, so ist er sicherlich ein wichtiger Teil des Plans“, spricht Dodero Klartext.
Mit diesem Vorstoß hat der Leverkusener Multi der unendlichen Glyphosat-Geschichte nun ein neues Kapitel zugefügt, von dem er denkt, dass es das letzte sei: „BAYER ist überzeugt dass dieser neue Fünf-Punkte-Plan aus rechtlichen und kommerziellen Maßnahmen ein guter Weg ist, um die Risiken durch mögliche künftige Rechtsstreitigkeiten zu ROUNDUP zu minimieren.“

Viel Kritik
Diese Einschätzung teilten die Kommenta-tor-Innen allerdings nicht. „Einen Ausdruck von Hilflosigkeit“ nannte die Rheinische Post den Fünf-Punkte-Plan. Für den Kölner Stadtanzeiger hielt er „mehr Fragen als Antworten“ bereit, während die Süddeutsche Zeitung ihn als einen „Affront gegen den Richter, aber auch gegen das gesamte US-Rechtssystem“ bezeichnete. Mit Verweis auf den nach der Vorstellung des neuen Ansatzes um zeitweilig 5,4 Prozent eingebrochenen Aktien-Kurs konstatierte das Münchner Blatt: „Was die Investoren davon halten, zeigten sie Baumann deutlich: nichts“. Der FAZ zufolge ist BAYER nun „zurück auf Los“ und „weit entfernt davon, einen Schlussstrich unter den seit Jahren andauernden Rechtsstreit in Amerika zu ziehen“. Die Börsen-Zeitung diagnostizierte derweil einen „Kontrollverlust“ und sah eine zweite Klagewelle auf den Konzern zukommen. Auch beschworen nicht wenige BeobachterInnen die Gefahr der Aufspaltung herauf, da Hedge Fonds den verminderten Börsen-Wert als Chance nutzen könnten, um zuzuschlagen.
Viele Publikationen stellten deshalb die Position Werner Baumanns als Vorstandsvorsitzender in Frage. Business Insider präsentierte mit Heiko Schipper, der beim Unternehmen momentan der „Consumer Health“-Sparte vorsteht, sogar schon einen Nachfolger. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert ebenfalls Baumanns Rücktritt. Ihre Vorschläge zur Lösung der gegenwärtigen Probleme des Konzerns gehen jedoch weit über diese Personalie hinaus. „Glyphosat muss endlich vom Markt. Die Opfer müssen schnellstens entschädigt werden! Die Verantwortlichen müssen endlich vor Gericht gestellt und zur Verantwortung gezogen werden ( ...) Der Konzern muss endlich unter demokratische Kontrolle gestellt werden“, hieß es in ihrer Presseerklärung.