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Veröffentliche Beiträge von “CBG Redaktion”

Trasylol

CBG Redaktion

APOTHEKE ADHOC, 18. August 2010

Bayer zahlt Millionen wegen Trasylol

Berlin - Der Pharmakonzern Bayer hat einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge im Rechtsstreit um sein umstrittenes Herzmedikament Trasylol (Aprotinin) in den USA einen Vergleich geschlossen. Der Konzern zahlt demnach mindestens 60 Millionen US-Dollar an 150 Kläger.

Die Einigung sieht eine durchschnittliche Auszahlung von 400.000 Dollar pro Patient vor. Bayer hatte den Vertrieb von Trasylol Ende 2007 eingestellt. Im Mai 2008 wurden dann alle Bestände aus Arztpraxen und Kliniken eingezogen. Zuvor hatten Studien herausgefunden, dass die Sterberate bei Trasylol-Patienten mehr als 50 Prozent höher lag als bei Herzkranken, die andere Mittel bekamen.

In Deutschland ruht die Zulassung für das Antifibrinolytikum. Der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gilt bis März 2011. Letztendlich muss die Europäische Kommission über die Zulassung entscheiden.

weitere Infos:
=> Interview „Massive Nebenwirkungen von TRASYLOL lange bekannt“
=> TRASYLOL-Studie verheimlicht
=> BAYERs neuer Pharma-GAU
=> Unter tödlichem Verdacht - Bayer und sein „Wundermittel“ Trasylol

IPPNW

CBG Redaktion

Die IPPNW, die 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, unterstützt die Forderung der CBG nach Offenlegung des Vertrags zwischen Bayer AG und Universität Köln (alle Infos zur Kampagne)

Offener Brief

Offenlegung der Rahmenvereinbarung zur privilegierten Partnerschaft zwischen der Universität Köln und der Bayer Health Care AG

Berlin, 11. August 2010

Sehr geehrter Herr Prof. Freimuth,

mit großer Sorge nimmt die IPPNW die Weigerung Ihrer Universität zur Kenntnis, den Kooperationsvertrag mit der Bayern Health Care AG offen zu legen. Als Friedensorganisation mit 7000 Mitgliedern befassen wir uns als „Ärzte in sozialer Verantwortung“ u.a. auch mit dem Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die Medizin sowie mit der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens.

Sie begründen die Nicht-Offenlegung der Rahmenvereinbarung damit, dass von dieser Vereinbarung die Freiheit von Forschung und Lehre berührt werde, auf die der §22, Abs. 3 des Informationsfreiheitsgesetzes von NRW keine Anwendung fände. Diese Rechtsauffassung wird, wie Sie wissen, von der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit von NRW nicht geteilt, da im „Regelungsgerüst ‚Rahmenplanung’“ eher organisatorische Bedingungen und nicht „Forschungsplanung“ im engeren Sinne zu erkennen seien. Sie hat der Universität Köln daher erst kürzlich empfohlen, dem Informationszugangsantrag, den einige Verbände gestellt hatten, zu entsprechen. Da die Universität Köln offenbar von Ihrer Rechtsauffassung nicht abweichen will, bleibt jetzt nur der Klageweg.
Die Offenlegung des Rahmenvertrages, der eine „ privilegierte Partnerschaft“ zwischen der Universität und der Bayer Health Care AG in der Pharmaforschung vorsieht, wurde von einem Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen gefordert, weil sie die Unabhängigkeit der öffentlichen Forschung durch diese Vereinbarung potentiell gefährdet sehen und die Subsumierung öffentlicher Forschung unter wirtschaftlichen Interessen befürchten. Die Forderung nach Offenlegung ist wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung in den Leitmedien auf große öffentliche Resonanz gestoßen. Wir haben uns inzwischen diesem Bündnis angeschlossen.

Wir möchten Ihnen die Gründe dafür darlegen:
Auch wir sehen in der Freiheit von Forschung und Lehre ein hohes Gut, dem unsere Verfassung zu Recht einen großen Stellenwert zuweist. Aber diese Freiheit der Forschung wird heute primär nicht mehr vom Staat bedroht, sondern zunehmend von mächtigen wirtschaftlichen Interessen. Deren Akteure sind rechtlich ihren Aktionären und nicht dem Gemeinwohl verpflichtet. Hier ergibt sich grundsätzlich eine antagonistische Interessenlage zwischen der Universität, deren Forschung weit gehend öffentlich finanziert wird, und der Industrie.

Eine Kooperation zwischen Universität und Industrie in der klinischen Forschung ist oft sinnvoll und notwendig. Eine Zusammenarbeit ist daher zu begrüßen, wenn sie zu beiderseitigem Vorteil ist und der Vorteil der Zusammenarbeit für die Universität im öffentlichen Interesse, d.h. in diesem Fall im Interesse öffentlicher Gesundheit liegt. Dem erwähnten konstitutiven Interessensgegensatz kann u.E. nur begegnet werden, wenn die Bedingungen der Zusammenarbeit transparent sind.

Der Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die Medizin und die medizinische
Forschung ist inzwischen enorm und gefährdet die Unabhängigkeit der Forschung und die Integrität des ärztlichen Berufsstandes, wie einschlägige Studien nahe legen. Industrie finanzierte klinische Studien werden inzwischen – im Gegensatz zu früher – weit gehend durch die Industrie kontrolliert: vom Studiendesign, über die Auswertung bis zur Publikation. Akademische Forscher sind oft nicht mehr Herr über die Studien und ihre Ergebnisse. Um den wirtschaftlichen Erfolg eines Medikamentes nicht zu gefährden werden negative Studienergebnisse häufig unterdrückt, Informationen über gefährliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückgehalten, für den Patienten irrelevante Endparameter für die Wirksamkeit gewählt. Auch das ist vielfältig dokumentiert. Erst kürzlich hat eine Studie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz auf diese Zusammenhänge und die Formen der Einflussnahme auf Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen hingewiesen (Dtsch Ärztebl 107 (16): 279-85 und 107
(17): 295-301).

Darin heißt es: „Auf vielen Ebenen muss dafür gesorgt werden, dass kommerzielle
Interessen nicht die Kenntnisse über eine wissenschaftlich korrekte Studienplanung, - durchführung und Publikation unterminieren.“ Ärzte und Ärztinnen, die an Arzneimittelstudien mitwirken, „sollten dabei zum Wohle der Patienten verstärkt Verantwortung übernehmen, indem sie den wirtschaftlichen Eigeninteresse der pharmazeutischen Unternehmen in Forschung und Klinik entgegenwirken.“

Die Industrie hat primär Gewinninteressen. Sie entwickelt z.B. aus primär kommerziellen Gründen zu etwa 70 % sog. me too Präparate, die keinen oder nur einen geringen Zusatznutzen gegenüber herkömmlichen Therapien haben, während echte Innovationen eher die Ausnahme sind. An solchen Forschungen besteht kein wirkliches öffentliches Interesse und daran sollten sich u. E. öffentliche Forschungsinstitute wegen der Fehlallokation von Mitteln nicht beteiligen.
Zu benennen sind weiterhin die vielfältigen Interessenskonflikte, denen klinische Forscher in der Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen ausgesetzt sind, und die ebenfalls ein Gefahr für die Unabhängigkeit und Objektivität der Forschung darstellen, ohne dass hierauf näher eingegangen werden kann.
Angesichts dieser hier nur kurz skizzierten Fehlentwicklungen und Problemlage bedarf es u.E. dringend einer größeren Distanz zwischen akademischer Medizin und pharmazeutischer Industrie, vor allem aber einer größeren Sensibilität gegenüber dem berechtigten Verlangen der Öffentlichkeit nach weitgehender Transparenz der Beziehungen zwischen Akademie und Pharmaindustrie. Ein Blick in die USA zeigt, welche Konsequenzen man inzwischen sowohl in der akademischen Medizin wie in der Gesetzgebung zieht, um Transparenz herzustellen und den unzulässigen Einfluss der Pharma- und Geräteindustrie auf die akademische Medizin einzudämmen.

Die Universität Köln wäre u.E. daher gut beraten, den Rahmenvertrag offen zu legen. Sie könnte dadurch nur gewinnen und einen weiteren Imageschaden vermeiden. Mit dem Schutz von Freiheit der Forschung lässt sich die Weigerung der Universität, dies zu tun, nach unserem Kenntnisstand nicht begründen. Im Gegenteil. Gerade die Offenlegung würde das Vertrauen der (Fach-) Öffentlichkeit in die Unabhängigkeit und Integrität klinischer Forschung der Universität Köln gegenüber starken wirtschaftlichen Interessen stärken.

Mit freundlichen Grüssen
Dr. Dieter Lehmkuhl
Vorstandsmitglied IPPNW

13. August 2010 / junge Welt

»Die Industrie kontrolliert medizinische Forschung«

Kooperation zwischen Kölner Universität und Bayer: Ärzte fordern Offenlegung von Geheimverträgen. Ein Gespräch mit Dieter Lehmkuhl

Dieter Lehmkuhl ist Vorstandsmitglied der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung) und Arzt im Ruhestand

Sie haben in einem offenen Brief den Rektor der Universität Köln aufgefordert, die Vereinbarung zur Partnerschaft zwischen der Universität und Bayer Health Care offenzulegen. Was ist hinter der Geheimhaltung zu befürchten?
Wenn man sich die Entwicklung des Verhältnisses von der Pharmaindustrie zur Medizinforschung in den vergangenen zehn oder zwanzig Jahren anschaut, gibt es Grund zur Beunruhigung. Es gibt viele Interessensverflechtungen, die oft nicht transparent sind. Die Industrie hat wachsenden Einfluß auf die medizinische Forschung an den Universitäten. Häufig kontrolliert sie die Medikamentenstudien, so daß klinische Forscher nur noch Erfüllungsgehilfen sind. Studienergebnisse werden mitunter auf diese Weise manipuliert: Erwünschte Ergebnisse im Interesse der Pharmaindustrie werden hervorgehoben, unerwünschte stattdessen geheimgehalten. Das wirkt sich auf die Behandlung von Patienten aus, die aus diesem Grund gesundheitliche Schäden erleiden. Zahlreiche Studien belegen das. Die Universität hat als öffentliche Einrichtung jedoch eine besondere Verantwortung, die Unabhängigkeit der Forschung zu gewährleisten.

Die Universitätsleitung weigert sich, auf Ihre Forderung nach kompletter Offenlegung der Vereinbarung zu reagieren…
Eine Transparenz der vertraglichen Bedingungen der Forschungspartnerschaft ist unbedingt erforderlich. Es ist interessant, daß die Universität zunächst mit Betriebsgeheimnissen argumentiert und Konkurrenznachteile gegenüber zukünftigen anderen Partnern von Bayer fürchtet, wenn ihre privilegierten Kooperationsbedingungen öffentlich werden. Weiterhin argumentiert sie mit der Wissenschaftsfreiheit. Der Landesdatenschutzbeauftragte Ulrich Lepper pocht aber auf Veröffentlichung. Dabei beruft er sich auf das sogenannte Informationsfreiheitsgesetz, das jedem Bürger das Recht zuspricht, Zugang zu amtlichen Daten zu erhalten.

Was ist der neueste Stand der Debatte?
Aufgrund der Forderungen eines Bündnisses von zehn Organisationen, angeführt von der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG), hat die Universität einige Informationen preisgegeben. Doch ganz wesentliche Fragen bleiben offen; beispielsweise die nach den Eigentumsverhältnissen von den in der Forschungsgemeinschaft entwickelten Produkten. Welchen Anteil der Gewinne erhält die Universität als öffentliche Einrichtung bei der Vermarktung der Produkte? Liegen die Verwertungsrechte ausschließlich bei Bayer? Das würde bedeuten, daß eine Mitsprache der Universität bei späteren Entscheidungen zur Verwertung der gemeinsam entwickelten Produkte von vornherein ausgeschlossen ist. Zu fordern wäre beispielsweise eine Sozialklausel, die dafür sorgt, daß wichtige Medikamente auch in der Dritten Welt zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung gestellt werden. Zudem könnte es auch sein, daß die Geheimhaltungs- und Nichtverwendungsverspflichtung der Patente von Medikamenten die spätere Forschung der Universität selber einengt. So wird wissenschaftlicher Austausch behindert. Zu bemerken ist zudem, daß die Pharmaindustrie nicht so innovativ ist, wie sie immer behauptet. 70 Prozent der Präparate haben keinen oder nur einen geringen Zusatznutzen gegenüber herkömmlichen Therapien. An solchen Arzneimittelstudien sollte sich keine Universität beteiligen.

Sie werden den Rechtsweg beschreiten müssen. Auf welcher gesetzlichen Grundlage werden Sie klagen?
Es ist beabsichtigt, Klage einzureichen. Das Informationsfreiheitsrecht muß umgesetzt werden, die Bürger müssen informiert werden. Gerade bei Public Private Partnership-Projekten (PPP) ist das von grundlegender Bedeutung. Die Universität ist eine mit Steuermitteln finanzierte öffentliche Einrichtung; ihre Entwicklung darf nicht durch Kapitalinteressen gesteuert werden. Interview: Gitta Düperthal

[Editorial] STICHWORT BAYER 02/03 2010

CBG Redaktion

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

seit Jahrtausenden schaffen Menschen auf der ganzen Welt die Vielfalt der Kulturpflanzen. Sie ist Gemeingut und gehört allen. Dass wir über sie verfügen können, ist grundlegend für das tägliche Brot und unsere Ernährungssouveränität. In vielen Ländern gewinnen, tauschen und verkaufen Bäuerinnen und Bauern bis heute ihr selbst erzeugtes Saatgut.

Die EU will die bestehenden Saatgutgesetze in Europa ändern. Dabei fordern die Saatgut-Konzerne die Absicherung der von ihnen beanspruchten geistigen Eigentumsrechte, die Patentierbarkeit ihrer Sorten sowie eine starke Einschränkung, wenn nicht gar ein Verbot, aller bäuerlichen, nicht eingetragenen Sorten.

Zehn Konzerne – unter ihnen BAYER, MONSANTO, SYNGENTA und LIMAGRAIN – kontrollieren bereits 67 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes. Sie wollen sich das Geschäft mit dem übrigen Markt nicht länger entgehen lassen und ihre eingetragenen Sorten, die meist nur mit chemischen Düngern, Pestiziden und künstlicher Bewässerung gedeihen können, der ganzen Welt aufzwingen. Aber nicht diese hochgezüchteten Industrie-Sorten werden die Weltbevölkerung in Zukunft ernähren, sondern die vielfältigen, regionalen und an Klimaveränderungen anpassungsfähigen Sorten.

Die Verhandlungen für das neue europäische Saatgutrecht verlaufen bisher im stillen Kämmerlein zwischen VertreterInnen der Saatgutindustrie und EU-FunktionärInnen - und lassen Schlimmes befürchten. Um auf das zukünftige Saatgutrecht Einfluss zu nehmen, wollen wir eine breite Öffentlichkeit für unsere Ziele gewinnen. So fordern wir das Recht, Saatgut aus eigener Ernte zu gewinnen, nachzubauen und weiterzugeben, das Verbot von Gentechnik in der Landwirtschaft und von Pflanzen-Patentierungen. Darüber hinaus verlangen wir die Förderung regionaler Sortenvielfalt durch Unterstützung der ErhalterInnen und ZüchterInnen biologischer Sorten und ein neues Saatgutzulassungsverfahren, das gentechnisch produzierte und chemie-intensive Sorten ausschließt. Zudem treten wir für eine Reduzierung des hohen Energieverbrauchs in der Landwirtschaft ein, der durch Einsatz von Industriesorten, Kunstdünger und Pestiziden, durch Monokulturen und weite Transporte entsteht. „Zukunft säen – Vielfalt ernten“ lautet unsere Devise. Deshalb muss Saatgut Gemeingut bleiben: Keine Patentrechte für BAYER & Co.!

BU: Jürgen Holzapfel gehört der Saatgutkampagne an (www.saatgutkampagne.org )

[Medikamententests] STICHWORT BAYER 02/03 2010

CBG Redaktion

Versuchskaninchenstall „Dritte Welt“

Bayer globalisiert Arzneitests

Der Leverkusener Multi Bayer verlegt immer mehr Medikamentenversuche in arme Länder. Dort locken ein großes Reservoir an Probanden, unschlagbare Preise, schnelle Verfahren und eine mangelhafte Aufsicht.

„Auch als Ressource wird Indien für die Pharma-Sparte interessant“, schreibt das Handelsblatt 2007 über die Aktivitäten von Bayers Pillen-Abteilung auf dem Subkontinent, „Sie lässt dort bereits sechs neue Medikamente testen. Das bringt deutliche Ersparnisse und ein schnelleres Entwicklungstempo“. Und die Firmen, die für den Leverkusener Multi oft die Durchführung übernehmen, sprechen eine ähnliche Sprache. IGATE verweist auf ein „Rohmaterial-Lager“ von 40 Millionen Asthmatikern, 34 Millionen Diabetikern und 8 bis 10 Millionen HIV-Infizierten, PAREXEL wirbt gleichfalls mit „‚Rich World‘-illnesses“ sowie mit Indiens genetischer Vielfalt als Standortfaktor, und CSC PHARMACEUTICALS hat auch „große Quantitäten“ im Angebot, „die für Klinische Tests offeriert werden können“.
Auf diese greift der Global Player nur allzu gern zurück. Drei Jahre nach dem Handelsblatt-Artikel führt allein CSC sechs Klinische Studien für den Global Player durch. Das Unternehmen prüft das Multiple-Sklerose-Medikament BETAFERON und die Hautgeschwür-Arznei IMPAVIDO sowie vier Krebs-Präparate: NEXAVAR für einen neuen Anwendungsbereich, FLUDURA in zwei unterschiedlichen Dosierungen und HONVAN. Darüber hinaus laufen in dem Staat unter anderem Versuche mit dem Röntgenkontrastmittel ULTRAVIST und dem Diabetikum GLUCOBAY in neuen Darreichungsformen, mit der Hormonspirale MIRENA für die Indikation „Blutungen“ und mit dem Antibiotikum MOXIFLOXACIN, das ProbandInnen in einem Alter von drei Monaten bis zu 18 Jahren schlucken müssen.
Für all diese Tests, die zumeist neue Anwendungsbereiche für alte Medikamente suchen, reicht das „Rohmaterial-Lager Indien“ allerdings nicht aus. Darum erschließt sich Bayer als zusätzliche „Ressourcen“ Kolumbien, Pakistan, Moldawien, die Philippinen, China, Russland und andere Nationen mit großen Armutspopulationen. Die Mitbewerber gehen ähnlich vor, was die Arzneitests in solchen Ländern rasant zunehmen lässt. Auf 18.000 bis 24.000 jährlich schätzt eine Untersuchung der niederländischen Initiative SOMO1 ihre Zahl.
Weltweit führt Big Pharma nach SOMO-Schätzungen per annum ca. 60.000 Erprobungen durch. Vor der eigenen Haustür finden sich für diese Masse an Studien kaum noch genug geeignete KandidatInnen. Entsprechend lange dauern oft die Vorbereitungen, und so manches Mal enden sie ergebnislos. Dann geht es ab in die unterentwickelten Regionen zu schnell anberaumten „Rettungsversuchen“ (rescue trials). Dort stehen nämlich sowohl für solche Notlösungen als auch für normale Arznei-Prüfungen ausreichend ProbandInnen zur Verfügung - noch dazu äußerst pflegeleichte. Sie sagen nicht nur öfter zu, sie verabschieden sich auch längst nicht so häufig wieder aus den Kliniken wie ihre KollegInnen aus dem Westen. „Die Chinesen sind nicht so emanzipiert wie die US-Bürger. Sie zeigen sich eher bereit, Versuchskaninchen zu spielen“, heißt es etwa in einer Marktuntersuchung der Beratungsfirma CENTERWATCH. Von der Not und der Aussicht auf medizinische Versorgung getrieben, häufig ohne jede Schulbildung und den ÄrztInnen blind vertrauend, schlucken sie klaglos die ihnen verabreichten Cocktails.
Die chronisch unterfinanzierten Kliniken gehen ebenfalls gern auf die Angebote von Bayer & Co. ein. Und die auch nicht eben nach westlichen Standards bezahlten MedizinerInnen können oftmals ebenso wenig widerstehen, wenn Big Pharma mit einem „Kopfgeld“ von 1.500 bis 3.000 Dollar pro akquiriertem Proband winkt. Dafür müssen sie allerdings alles machen, was die Konzerne verlangen, und das heißt in der Regel gar nichts. „Sie diktieren jedes Detail des Versuchsprotokolls“, sagt Dr. Shashank Joshi vom ESIS-Krankenhaus in Mumbai und fährt fort: „Sie kontrollieren die Analyse der Daten und die Veröffentlichung (...) Wir liefern nur die Patienten. Der Arznei-Prüfer ist Teil eines Knecht/Herr-Verhältnisses“.
Die Regierungen der ökonomisch schwachen Länder betrachten die Test-Reihen gleichfalls nur als Einnahmequelle. Indien, Costa Rica und Peru haben jüngst die gesetzlichen Auflagen für Pillen-Erprobungen gelockert, um die Pharma-Riesen anzulocken. Und mit dem regulatorischen Restbestand nehmen die Staaten es auch nicht so genau. So hat das indische Unternehmen BIOGEN Versuche mit gentechnisch produziertem Insulin zwar bei der Arzneimittelbehörde DGCI zur Genehmigung vorgelegt, bei der für Gentechnik zuständigen Institution GEAC jedoch erst im Nachhinein. „Ein kleiner Verfahrensfehler“, befand die Firma, und Bayer sah das offenbar genauso: Der Leverkusener Multi erwarb von BIOGEN die China-Rechte an dem Mittel. Im Übrigen können die Multis solche „kleinen Verfahrensfehler“ auf dem Subkontinent auch kaufen. Das Zehnfache des normalen Test-Preises kostet es die Konzerne ungefähr, die Regularien ihrem Bedarf anzupassen, hat der indische Industrieverband CII vorgerechnet.
Nur ums Geld geht es auch den zahlreichen Firmen, die für Bayer & Co. die Probeläufe organisieren. Ca. 60 Prozent aller Versuche haben die Pillen-Riesen ausgegliedert - sie kaufen Arznei-Tests mittlerweile als Dienstleistung ein. So genannte CROs (Contract Research Organisations) haben sich darauf spezialisiert und bieten Komplettlösungen mit Ethik-Kommissionen und allem Drum und Dran an. Ihr Auftrag lautet, ein neues Pharma-Produkt möglichst schnell und kostengünstig zu erproben und nicht etwa, es im Sinne des vorsorglichen Gesundheitsschutzes genau zu prüfen. Da bleibt nach Beobachtungen der Wissenschaftlerin Adriana Petryna eine „taktische Flexibilität“ in ethischen Grundsatzfragen nicht aus. Und einige CROs rühmen sich sogar damit. „Bei der Rekrutierung von Probanden kann ich die Kriterien so setzen, dass es unmöglich sein wird, Nebenwirkungen zu identifizieren“, prahlt etwa der Geschäftsführer einer US-amerikanischen CRO. PAREXEL, das für Bayer unter anderem die Antibiotika-Wirkstoffe Ciprofloxacin und Moxifloxacin examinierte, bietet sogar Fortbildungen zum Thema „alltägliche Konfliktsituationen mit Prüfärzten“ an. Und als besonders werte-verbunden empfiehlt sich Dr. Kiran Marthak von dem Unternehmen VEEDA CLINICAL RESEARCH, das für den Leverkusener Multi Prostata- und Brustkrebs-Präparate testete, ebenfalls nicht. Nachdem Indien 2005 dem Drängen von Big Pharma nach einer Verschärfung des Patentrechts nachgegeben hatte und damit so ganz nebenbei auch die Voraussetzungen für mehr Test-Outsourcing schuf, frohlockte er: „Es wird ein großer Kuchen, und jeder kann einen Teil davon abhaben“.
Erst kommt das Fressen und dann die Moral - die taktische Flexibilität in ethischen Grundsatzfragen zeigt sich bei den Pharma-Riesen oder den von ihnen angeheuerten CROs unter anderem im Umgang mit der eigentlich vorgeschriebenen „informierten Einwilligung“. Bei Nachprüfungen wussten die ProbandInnen von dieser häufig gar nichts. „Sie dachten, sie würden eine reguläre Behandlung bekommen“, berichtet die Aktivistin Annelies den Boer von der niederländischen Initiative WEMOS in einem GID-Interview2. Auch in Thailand waren sich 30 von 32 befragten Versuchspersonen nicht im Klaren darüber, gerade einen Aids-Impfstoff erprobt zu haben. Ähnlich erging es Test-TeilnehmerInnen in Brasilien und Haiti3. „Die Idee der bewussten und informierten Einwilligung ist ein schlechter Scherz“, resümiert deshalb ein Wissenschaftler. Auch die eigentlich für die Kontrolle zuständigen Ethik-Kommissionen bestehen in den armen Staaten oft nur auf dem Papier. Einer Studie zufolge haben diese in Lateinamerika und Indien nur ein Viertel aller Versuche genehmigt und die Durchführung niemals überwacht. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMEA kann das nicht ausgleichen: Sie reist zu gerade mal 40 Inspektionen pro Jahr in fernere Länder.
Diese Praxis entspricht nicht der „Deklaration von Helsinki“, mit welcher der Weltärztebund 1964 weltweit verbindliche ethische Standards für die pharmazeutische Wissenschaft formulierte. „In der medizinischen Forschung am Menschen muss das Wohlergehen der einzelnen Versuchsperson Vorrang vor allen anderen Interessen haben“ - einen solchen Maßstab haben Bayer & Co. nicht angelegt. Deshalb erfüllen sie auch nicht die Vorgabe der Deklaration, wonach Experimente mit Benachteiligten immer auch den Benachteiligten selber zu nützen haben und die ProbandInnen nach Ablauf der Versuche einen Anspruch darauf haben, die Arzneien weiter zu erhalten - wie das ganze Land. Als bloßes Labor dürfen die Konzerne es der Deklaration zufolge nicht missbrauchen. In ihrer ursprünglichen Fassung lehnte diese sogar die Verwendung von Placebos strikt ab, weil das bedeutet, kranken Menschen ohne ihr Wissen dringend benötigte Medizin vorzuenthalten. Besonders bei psychisch Kranken wie Schizophrenen hatte das Absetzen ihrer Medikamente nämlich immer wieder zu schwerwiegenden Zwischenfällen geführt. Aber die Pharma-Riesen intervenierten und erreichten eine Revision. Es blieb nicht die einzige: Die heute gültige Fassung weicht beträchtlich von der ursprünglichen ab.
Trotzdem mochte sich der Bayer-Chef Werner Wenning auf der diesjährigen Hauptversammlung nicht eindeutig zu der Deklaration von Helsinki bekennen. Er bekundete nur ganz allgemein Gesetzestreue und versicherte, der Multi würde immer die Auflagen der Behörden, wozu in manchen Ländern nicht zuletzt Placebo-Tests gehörten, respektieren. „Eigenständige Qualitätskontrollen“ regelten ihm zufolge das Übrige. Darum wusste er auch von keinem Zwischenfall zu berichten. Nicht ein einziges Medikament hat ihm zufolge im letzten Jahr ProbandInnen Schaden zugefügt und wegen zu vieler Risiken und Nebenwirkungen die Tests nicht überstanden. Der Wahrheitsgehalt solcher Aussagen enthüllte sich, als es konkret wurde. Auf das Parkinson-Medikament SPHERAMINE angesprochen, das bei VersuchsteilnehmerInnen im Jahr 2005 Depressionen, Lähmungserscheinungen, motorische Störungen, Sprachausfälle, epileptische Anfälle, Hirnblutungen, Asthma und Verwirrtheitszustände ausgelöst hatte und daraufhin nicht auf den Markt kam, stritt er den Tatbestand schlicht ab. Ein Zusammenhang zwischen den Schädigungen und dem Medikament sei „nicht erwiesen“, sagte Wenning, wie er es immer sagt, wenn Produkte des Konzerns die Gesundheit von Menschen beeinträchtigen. Die Dunkelziffer der Arzneitest-Opfer dürfte also recht hoch sein.

von Jan Pehrke, Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. (www.CBGnetwork.org)

1 Ethics for Drug Testing in Low and Mittle Income Countries, S. 14
2 GID - Gen-Ethischer Informationsdienst Nr. 195
3 Ethics for Drug Testing in Low and Mittle Income Countries, S. 71

[US-Gesundheitsreform] STICHWORT BAYER 02/03 2010

CBG Redaktion

US-Gesundheitsreform: Wandel nach BAYER-Gusto

Obamas Gesundheitsreform sollte ein Jahrhundert-Werk werden. Das aber haben BAYER & Co. mit vielen Millionen Dollar Einsatz zu verhindern gewusst.

Von Jan Pehrke

Die USA sind ein Garten Eden für die Pharma-Riesen. Mit zwei Billionen Dollar fließen alljährlich 16 Prozent des Bruttosozialproduktes in den Gesundheitsmarkt. Allerdings haben nicht alle Zutritt zu dem Profit-Paradies. Ca. 45 Millionen Menschen müssen draußen bleiben: Sie können sich keine Krankenversicherung leisten. Ihnen bleibt bloß eine Notversorgung, wie sie etwa selbstlose ZahnärztInnen offerieren, die in angemieteten Hallen am Fließband Zähne ziehen. Diese bietet jedoch keinen vollständigen Gesundheitsschutz. So sterben nach einer Studie der Harvard-Universität jährlich 45.000 US-AmerikanerInnen, nur weil ihnen eine Versicherungspolice fehlt.
Und die fehlt leicht. Die rendite-orientierten privaten Krankenversicherungen sortieren nämlich „schlechte Risiken“ gnadenlos aus. Wer an „AIDS“ erkrankt oder bei Vertragsabschluss seine Gallensteine verschweigt, verliert leicht seinen Versicherungsschutz. Aber selbst wer ihn hat, hat ihn oftmals nicht so ganz. Zu den 45 Millionen Unversicherten kommt noch einmal eine hohe Anzahl an Unterversicherten. Sie dürfen sich zwar kleinere Wehwehchen, aber keine schweren Gesundheitsstörungen leisten, wenn sie nicht ihr Hab und Gut verlieren wollen wie die 1,5 Millionen Menschen, deren Häuser jährlich wegen einer krankheitsbedingten privaten Insolvenz in die Zwangsvollstreckung gehen.
Seit 1912 versuchen demokratische PolitikerInnen vergeblich, den US-AmerikanerInnen solche Lebensnöte zu ersparen und eine allgemeine staatliche Krankenversicherung einzuführen. Zuletzt scheiterte Bill Clinton daran. „Jedes Mal, wenn wir nahe dran sind, eine Gesundheitsreform durchzusetzen, schlagen die speziellen Privat-Interessen zurück“, klagte Barack Obama deshalb und war entschlossen, die mittlerweile fast ein Jahrhundert dauernde Negativserie zu beenden.
Aber die speziellen Privat-Interessen in Gestalt der Krankenversicherungen und der Pharma-Riesen rüsteten auch dieses Mal zum Gegenschlag. Sie investierten immense Summen - von 250 bis 380 Millionen Dollar reichen die Schätzungen - in Desinformationskampagnen, „PolitikerInnen-Beratungen“, Wahlkampf-Spenden, Demonstrationen und andere politische Aktionen. Der Leverkusener Multi hat dazu im Jahr 2009 8,5 Millionen beigetragen. Kein bundesdeutsches Unternehmen wendet für die Lobbyarbeit in den USA so viel Geld auf - 23 Millionen waren es seit 2006.
Mit diesem Millionen-Etat haben BAYER & Co. einiges bewegt. „Ich habe so etwas seit 40, 45 Jahren nicht mehr erlebt“, sagte der Demokrat John Lewis. Nicht zu Unrecht fühlte sich der Afro-Amerikaner in die Zeit der Bürgerrechtsauseinandersetzungen zurückversetzt. „Nigger“ bekam er nämlich von GegnerInnen der Gesundheitsreform zu hören. Obama verglichen diese hingegen wahlweise mit Hitler, Stalin oder Mao. Der konservative TV-Moderator Glenn Beck verstieg sich sogar zu der Behauptung, der Präsident verstehe sein Projekt als ein Mittel, um vom weißen Mann Reparationen für die Sklaverei einzutreiben. Sogar zu Morddrohungen gegen demokratische Politiker und Übergriffen kam es in dem aufgeheizten Klima.
Big Pharma konnte jedoch auch anders und zeigte sich bei Gelegenheit durchaus gesprächsbereit. BAYER-Sprecher Rolf Ackermann etwa signalisierte Unterstützung dafür, den US-AmerikanerInnen einen „erschwinglichen Zugang zu umfassender Krankenversorgung zu ermöglichen“, bedeutete das doch automatisch den Zugang zu ein paar Millionen Neu-KundInnen. Allerdings hatte der Konzern so seine eigene Vorstellungen von den Zugangsregeln. Mit größerer Kontrolle und Wettbewerbseinschränkungen dürften sie nicht einhergehen, mahnte Ackermann.
Diese Doppelstrategie aus Fundamental-Opposition und Pragmatismus führte im August 2009 zum Erfolg. Den Versicherungs- und Pharma-Konzernen gelang es, aus dem Jahrhundertwerk ein Reförmchen zu machen. Anfang des Monats ließ sich Obama auf einen Ablasshandel mit BAYER & Co. ein, wie er sich auch hierzulande einiger Beliebtheit erfreut. Der US-Präsident erkaufte sich die Zustimmung der Pillen-Riesen zu seinem Vorhaben mit dem Zugeständnis, auf Zwangsrabatt-Regelungen für Medikamente zu verzichten. Stattdessen sollte es nun ein Obolus von 80 Milliarden Dollar in Form von Pillenpreis-Nachlässen richten. Kurz darauf rückte Obama davon ab, eine staatliche Krankenversicherung einführen zu wollen. Er verabschiedete sich damit von dem, was für seinen Partei-Kollegen Howard Dean „der letzte Fetzen von Reform in diesem Gesetz“ gewesen war.
Sieben Monate - und noch einige „Nachbesserungen“ später - passierte das Gesetz dann den Kongress. Es bietet 32 Millionen BürgerInnen erstmals Versicherungsschutz, 23 Millionen bleiben dagegen weiterhin ohne, ungefähr die Hälfte davon „illegale“ MigrantInnen. Mit durchschnittlich 6.000 Dollar jährlich subventioniert der Staat nun die Policen von Einkommensschwachen. Die Risiken und Nebenwirkungen des fortdauernden privaten Monopols will er durch das Verbot, sich „schlechter Risiken“ einfach zu entledigen, durch eine Prämienerhöhungskontrolle, die Vorschrift, 80 Prozent der Einnahmen für Gesundheitsleistungen auszugeben und andere Regelungen begrenzen. Zur Finanzierung der auf zehn Jahre berechneten Kosten des „Patient Protection and Affordable Care Acts“ in Höhe von ca. einer Billion Dollar muss Medicare, das Gesundheitsprogramm für sozial Schwache, die Hälfte beitragen, den Rest sollen Einsparungen in anderen Bereichen sowie Steuer-Erhöhungen für Reiche einbringen.
Während Obama verkündete: „So sieht der Wandel aus“, befand die Washington Post: „Eine Reform, die die Republikaner lieben sollten“. Und BAYER & Co. liebten sie wirklich. „US-Gesundheitsreform beflügelt Pharma-Aktien“ lautete am 24. März die Überschrift eines Artikels in der Faz. In einem Kommentar zeigte die Zeitung sich verwundert darüber, „wie gut die Branche mit der Gesundheitsreform in Amerika weggekommen ist“ und resümierte: „Die Branche hat es verstanden, ihr Revier zu wahren.“ Wieder einmal.

[Hauptversammlung] STICHWORT BAYER 02/03 2010

CBG Redaktion

BAYER-Hauptversammlung 2010: Beteiligung mit Negativ-Rekord

Erhöhung der bürokratischen Hürden senkte die Teilnahme

Mit immer neuen Schikanen versucht BAYER seine KleinaktionärInnen vom Besuch der Hauptversammlung abzuhalten. Aktionärsdemokratie stammt aus den Zeiten der Sozialpartnerschaft und ist out im Zeitalter des ungeschminkten Turbokapitalismus. Zumal die KleinaktionärInnen auch noch hemmungslos Redebeiträgen über Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung, Ruin menschlicher Gesundheit und anderen Skandalen und Verbrechen im Zusammenhang mit den Gewinn-Milliarden Beifall zollen.

von Axel Köhler-Schnura

Auch wenn Konzerne allmächtig scheinen, so gibt es doch Dinge, die sind ihnen lästig. Dazu gehört im Fall des BAYER-Konzerns mit Sicherheit, dass seit nahezu 30 Jahren, exakt seit 1983, kritische AktionärInnen der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) auf den Hauptversammlungen auftreten. Statt von Umsatz, Rendite und Gewinn ist seitdem an den Mikrofonen der jährlichen Besitzer-Treffen unüberhörbar von Umweltzerstörung, Gefährdung des Friedens, Ausbeutung, Ruin menschlicher Gesundheit und all den anderen Dingen die Rede, über die sonst regelmäßig als Kollateralschäden der Profiterwirtschaftung schweigend hinweggegangen wird.

Und was die abgefeimten BAYER-Bosse und die milliardenschweren Großaktionäre im Hintergrund noch mehr nervt, das ist die Tatsache, dass die Tausende von KleinaktionärInnen auch noch Interesse an diesen Informationen zeigen. Während zu den Hauptversammlungen des Konzerns vor 1983 lediglich tausend bis zweitausend AktionärInnen anreisten, schnellte nach dem ersten Auftritt der CBG-KritikerInnen diese Zahl hoch auf 25 Tausend. Tendenz: weiter steigend - immerhin gab es damals bereits 300.000 KleinaktionärInnen.

Und noch schlimmer: die ordnungsgemäß eingereichten Gegenanträge der CBG-KritkerInnen fanden bei den Abstimmungen die Unterstützung von Millionen von Aktien. Und erstmals gelang es den kritischen AktionärInnen sogar auf einer BAYER-Hauptversammlung mit einem Aktienpaket in Millionhöhe die Tagesordnung zu verändern. Ein historischer Skandal!

Alles Grund genug für das Management und die hinter dem Konzern stehenden Großaktionäre, die Notbremse zu ziehen. Auf allen Ebenen: Auf der juristischen mit Prozessen gegen die KritikerInnen. Auf der persönlichen mit Bespitzelung, Herabwürdigung und Verleumdung. Auf der organisatorischen mit Streichung der bis dahin üblichen Geschenktüten und dem Ersatz der als angemessen betrachteten Fünfsterne-Verpflegug durch unzumutbare Papp-Sandwiches. Auf der bürokratischen Beschränkung der Eintrittskarten je Aktie. Also Schluss mit lustig.

Doch es reichte nicht. Die Zahl der an den Reden der Kritischen interessierten AktionärInnen konnte so zwar eingeschränkt, aber nicht ihrer Wirkung beraubt werden. Noch immer reisten um die 10 Tausend AktionärInnen an und die Medien berichteten ausführlich. Also griff man zu brutaleren Methoden: Als „Malocher“ verkleidete Werkschützer schwenkten DKP-Fahnen, um die Kritischen als „kommunistische Umstürzler“ zu verleumden, in der Presse wurden Horror-Meldungen lanciert mit der Headline „Kritiker planen Bombenanschlag auf Chemie-Transporter“ und durch gezielte Drohung mit der Streichung der Werbemilliarden wurde den Medien ein Maulkorb verpasst, der die Berichterstattung massiv reduzierte. Verbunden wurde das zugleich mit willkürlicher Manipulation der Rednerlisten mit dem Ziel, die kritischen Redebeiträge nicht mehr in der Folge der Wortmeldungen, sondern am Ende der Debatte aufzurufen. Und bis zum Ende der Debatte salbadert der Vorsitzende mit eintönig vorgetragenen Langweilerein den Saal leer.

Doch auch das reichte nicht. Die Abstimmungsergebnisse brachten immer noch reichlich Gegenstimmen - auch wenn 90 Prozent der (anwesenden) Aktien sich in den Händen von 10 Prozent der Anwesenden befinden. Hinzu kommen nochmals Enthaltungen in mindestens gleicher Höhe. Am liebsten hätte man die Kritiker gar nicht mehr im Saal und würde man die Hauptversammlungen gleich ganz abschaffen. Also unternahmen die Herren des Vorstands, die gleichgesinnte Camarilla anderer Konzerne und die auf ihren Gehaltslisten stehenden Parlamentarier und Lobbyisten immer neue politische Vorstöße, um die Hauptversammlungen ihrer Bedeutung und Wirkung zu berauben.

Der neueste Coup dieser Art war die vor einigen Jahren politisch durchgesetzte Änderung des Aktienrechts. Bei BAYER brachte das über eine Satzungsänderung im vergangenen Jahr eine Umstellung der Aktien auf sogenannte Namensaktien. Damit wurde erreicht, dass die AktionärInnen ihre Aktien nicht mehr anonym bei den Banken im Depot halten können, sondern sich direkt bei BAYER listen lassen müssen. Und bedeutsamer noch, die Bestellung der Eintrittskarten muss nun innerhalb einer auf gerade einmal 10 Tage verkürzten Frist ebenfalls direkt beim Konzern vorgenommen werden. Mittels eines Fragebogen mit Stasi-Charakter, der dem unbefangenen Aktionär gegenüber den Eindruck vermittelt, er müsse sein Abstimmungsverhalten dem Konzern bereits bei der Bestellung der Aktien offenlegen.

Im Ergebnis führte diese erneute bürokratische und organisatorische Beschränkung dazu, dass bei der Hauptversammlung 2010 tatsächlich die Zahl der anreisenden AktionärInnen weiter auf rund dreitausend AktionärInnen zurück ging. Erstmals seit 1983 konnte der Vorstandsvorsitzende die Hauptversammlung vor einem halb leeren Saal eröffnen. Und den Verantwortlichen erlaubte, gleich mit mehreren vorgeschriebenen Regularien zu brechen. So nahm der Vorstandsvorsitzende beispielsweise in seiner Rede nicht mehr Stellung zu den eingereichten Gegenanträgen. Und auch die ordnungsgemäße Verkündung der Wahlergebnisse fiel mit dem lapidaren Verweis auf das Internet einfach aus.

So erlebt der neoliberalen Durchmarsch bei BAYER eine neue Qualität. Draußen droht die Gesellschaft zusammenzubrechen, die SteuerzahlerInnen werden gezwungen, die Wirtschaft mit Billionenzuschüssen am Laufen zu halten und dennoch genehmigen die Topmanager sich immer neue Millionengehälter und die Profite der Großaktionäre explodieren; auf der Hauptversammlung des BAYER-Konzerns nehmen die Großaktionäre und das Management auf die KleinaktionärInnen keine Rücksicht mehr.
Die Kritischen AktionärInnen allerdings bringen sie damit nicht zum Schweigen. Sie können durchaus ihre Hauptversammlung leerreden und die Aktionärsdemokratie mit Füßen treten, aber den Widerstand und den Unmut der Beschäftigten und der Bevölkerung können sie damit nicht eindämmen. Im Gegenteil, der Wind, der dem Vorstand und dem Kapital ins Gesicht weht wird kälter.

[Ticker] STICHWORT BAYER 02/03 2010

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Protest gegen Anlagen-Inbetriebnahme
Die Behörden hatten BAYERs Anlage zur Produktion von Nano-Kohlenstoffröhrchen nach einfachem Baurecht genehmigt (Ticker 1/10). Obwohl Nano-Teilchen ungeahnte Folgen für Mensch, Tier und Umwelt haben können, interessierten Fragen zur Umweltverträglichkeit sowie zum Katastrophen-, Arbeits- und Immissionsschutz nicht. Dagegen haben die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, der BUND und der BUNDESVERBAND BÜRGERINITIATIVEN UMWELTSCHUTZ in einer gemeinsamen Stellungnahme protestiert. „Bei allem Respekt: ein Bauamt ist nicht in der Lage, die Risiken von neuartigen Stoffen zu prüfen. Wir fordern ein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit sowie eine toxikologische Bewertung der in Leverkusen produzierten Nanotubes!“, heißt es in der Erklärung der Verbände.

Einwendung gegen Kohlekraftwerk
TRIANEL plant auf dem Gelände von BAYERs Chemie„park“ in Krefeld ein Kohlekraftwerk. Von CURRENTA, der Tochterfirma des Pharma-Riesen betrieben, soll es BAYER und andere Unternehmen mit Energie versorgen. Im Frühjahr stellte TRIANEL nun offiziell den Genehmigungsantrag. So einfach dürfte der jedoch nicht durchgehen. Nicht nur die Nachbarstadt Düsseldorf und der NIEDERRHEINISCHE UMWELTVEREIN (gemeinsam mit dem BUND) haben nämlich eine gegen das Projekt gerichtete Einwendung - wie es im Behörden-Deutsch heißt - formuliert, sondern auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Zur Begründung der Ablehnung führte die Coordination unter anderem die immensen Kohlendioxid-Emissionen, den Ausstoß von Feinstaub, Quecksilber und anderen Schwermetallen sowie radioaktiver Substanzen und den hohen Wasserverbrauch an.

CBG will Bisphenol-Verbot
Angesichts der Bestrebungen in mehreren europäischen Ländern, den Anwendungsbereich der gefährlichen Chemikalie Bisphenol A einzuschränken, hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gefordert, in der Bundesrepublik entsprechend vorzugehen. „Bisphenol A muss nun endlich aus Trinkflaschen, Spielzeug und Lebensmittel-Verpackungen verschwinden“, verlangte CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes mit Verweis auf das Gefährdungspotenzial der Substanz. Da Bisphenol A hormon-ähnlich wirkt, kann der Stoff zu Schädigungen des Nervensystems, Entwicklungsstörungen, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen. Diese Risiken und Nebenwirkungen haben jüngst auch das Umweltbundesamt dazu bewogen, für gesetzliche Maßnahmen einzutreten. „Die vorliegenden Kenntnisse sollten ausreichen, die Verwendung bestimmter Bisphenol-haltiger Produkte aus Vorsorgegründen zu beschränken“, heißt es in einer neuen Veröffentlichung der Behörde.

Initiativen gegen Hybrid-Reis
Die Agro-Multis investieren Millionen in Hybrid-Reis, den die LandwirtInnen nicht wiederaussäen können, was die Abhängigkeit von den Konzernen steigert (siehe auch SWB 1/10). Auch sonst machen die FarmerInnen eher schlechte Erfahrungen mit diesen Sorten. So klagen Bauern und Bäuerinnen in der indonesischen Region Gorontalo über BAYERs ARIZE, weil er hohe Produktionskosten verursacht, schlecht schmeckt und gegenüber Schadinsekten anfälliger ist. Da der Leverkusener Multi in Ländern wie Indonesien, Brasilien, Burma, China, Thailand, den Philippinen und Vietnam Kooperationen mit den Regierungen vereinbart hat, setzen sich die hybriden Arten trotzdem immer mehr durch. Und damit auch die industrielle Landwirtschaft, denn für Kleinbauern und -bäuerinnen lohnen sich die Investitionen nicht. Darum warnen jetzt mehrere asiatische Initiativen wie die indonesische ALLIANCE OF AGRARIAN REFORM MOVEMENT und die SOUTH EAST ASIA REGIONAL INITIATIVES FOR COMMUNITY EMPOWERMENT vor einem Bauernsterben durch ARIZE & Co.

Demonstration in Lyon
Im französischen Lyon haben Beschäftigte des dortigen BAYER-Werks gemeinsam mit Belegschaftsmitgliedern anderer Firmen gegen eine Erhöhung des Renten-Eintrittsalters und für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums demonstriert. Ca. 16.000 Menschen nahmen an den Protesten teil.

Kritik an Hochhaus-Leuchtreklame
BAYERs mittels 5,6 Millionen Leuchdioden zum größten Werbeträger der Welt umgerüstetes altes Verwaltungszentrum stößt zunehmend auf Kritik. „Wie passt diese Geld- und vor allem Energieverschwendung zu den derzeitigen Diskussionen und Bemühungen, den drohenden Klimawandel zu verlangsamen“, fragt eine Leserin des Leverkusener Anzeigers angesichts eines Stromverbrauches von 1.800 Kilowattstunden am Tag. Eine andere empört sich: „Die wunderbare Aussicht bis nach Köln und zur Bergisch-Neukirchner Kirche fand ich allerdings verschandelt durch das verstörende, nervende, „völlig bescheuerte“ dauernde Aufblitzen der bunten Farben der BAYER-Hochhausfassade“. Mit der Frage „Gibt es irgendetwas, das die Firma BAYER dazu bewegen könnte, diesen Unfug zu lassen?“ endet ihr Leserbrief.

Akzeptanz steht auf dem Spiel
„Vielleicht hätte Werner Wenning nicht auf die Analysten und andere Gurus des Marktes hören sollen, als er beschloss, den BAYER-Konzern kunstvoll zu filetieren (...) Denn während es an anderen BAYER-Standorten ‚nur‘ um Großprojekte wie ein Kraftwerk oder eine Kohlenmonoxid-Pipeline geht, gegen die sich erbitterter Widerstand formiert hat, steht in Leverkusen mehr auf dem Spiel: die Akzeptanz des Unternehmens, das die Keimzelle für diese Stadt gelegt hat“, schreibt der Leverkusener Anzeiger in einem Kommentar und begrüßt die jüngste „Charme-Offensive“ des Multis.

YASMIN-Artikel ohne Preis
Der Leverkusener Multi sponsert den Preis des „Verbandes deutscher Medizin-Journalisten“ für Artikel über Pharma-Themen und sitzt auch in der Jury. Das hielt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nicht davon ab, einen Text über die mitunter tödlichen Risiken und Nebenwirkungen von BAYERs Verhütungsmitteln einzureichen. Überraschenderweise erhielt dieser jedoch keine Auszeichnung. Das Gremium teilte der CBG jedoch mit, sie solle sich „davon nicht entmutigen lassen und für 2010 einen neuen Versuch starten“.

Presserat gibt CBG Recht
Die Sindelfinger Zeitung hatte einen PR-Text von DAIMLER, der ein gemeinsames Projekt des Automobil-Herstellers mit BAYER zum Anbau einer Pflanze für die Biodiesel-Produktion in den höchsten Tönen lobt, 1:1 abgedruckt, ohne auf die Quelle zu verweisen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN rief daraufhin den Presserat an, der dem Medium auch umgehend eine Rüge erteilte. „Die in Richtlinie 7.2 geforderte besondere Sorgfalt im Umgang mit PR-Material wurde bei dieser Veröffentlichung grob missachtet“, urteilte das Organ (SWB 2-3/10).

KAPITAL & ARBEIT

Magerer Tarifabschluss
Der diesjähriger Tarifabschluss für die Chemie-Industrie fiel äußerst mager aus. Erstmals gab es überhaupt keine prozentuale Entgelt-Erhöhung, sondern lediglich eine Einmalzahlung. Diese beträgt 550 Euro für Normalbeschäftigte - SchichtarbeiterInnen erhalten 611 bis 715 Euro. Nur wenn die Geschäfte von BAYER & Co. in diesem Jahr allzu gut gehen sollten, steht noch einmal ein „Konjunkturbonus“ bis zu 260 Euro in Aussicht. Für die Unternehmen hat eine solche Einmalzahlung ein großen Vorteil, denn „diese geht nicht dauerhaft in die Tarifbasis ein“, wie der „Bundesarbeitgeberverband Chemie“ in seiner Erklärung zum Tarifabschluss erfreut feststellt.

Betriebsratswahl 2010
Bei der diesjährigen Betriebsratswahl im Leverkusener BAYER-Werk konnten die linken Listen hinzugewinnen und der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE Stimmen abnehmen. Die IG BCE erhielt 26 Sitze, Die KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN FÜR EINE DURCHSCHAUBARE BETRIEBSRATSARBEIT kamen auf fünf Sitze, die BASIS-BETRIEBSRÄTE auf vier Sitze und das BELEGSCHAFTSTEAM errang einen Sitz. Bei der CURRENTA, ein Joint-Venture des Leverkusener Multis und seiner Chemie-Ausgründung LANXESS, sieht es sogar noch besser aus. Dort gewann die IG BCE nur 50 Prozent der Stimmen, weshalb es bloß zu einer hauchdünnen Mehrheit im Betriebsrat reichte (12 von 23 Sitzen). Die BASIS-BETRIEBSRÄTE erlangten 31 Prozent und das BELEGSCHAFTSTEAM 19 Prozent. Jetzt muss die IG BCE mit den BASIS-VertreterInnen kooperieren. Nach Ansicht des Leverkusener Anzeigers hat die Chemie-Gewerkschaft das den von ihr mitgetragenen Ausgliederungen zu verdanken. In deren Folge brachen für die Beschäftigten nämlich harte Zeiten an. „Sie entfernten sich Jahr für Jahr mehr vom komfortablen Chemie-Tarif. Dass eine solche Entwicklung auch der maßgeblichen Gewerkschaft angekreidet wird, kann niemanden wundern“, schreibt das Blatt.

BAYER trennt sich von Job@ctive
Das Buch „Arm durch Arbeit“ von Marcus Breitscheidel hat BAYERs hauseigene Zeitarbeitsfirma Job@ctive berühmt-berüchtigt gemacht (SWB 4/08). Der Journalist hatte sich nämlich undercover über den Personaldienstleister bei der Pillen-Produktion des Leverkusener Multis verdingt und dafür nur einen Hungerlohn erhalten. 6,24 Euro brutto zahlte ihm JOB@CTIVE dafür und damit 1,14 Euro weniger als der Zeitarbeitstarifvertrag eigentlich vorsieht. „Wir sind hier im ehemaligen Ostteil der Stadt, und somit gilt der Osttarif“, bekam Breitscheidel zu hören. Jetzt will der Global Player für die Lohndrückerei offensichtlich nicht mehr persönlich haften: Er verkaufte das Unternehmen an die HANFRIED GmbH, die auch die 230 bei Job@ctive unter Vertrag stehenden BilligjobberInnen übernimmt.

BMS trennt sich von Testcenter
BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) hat seinen Testcenter an UNDERWRITERS LABORATORIES verkauft und ist nun einer der größten Kunden des US-Unternehmens, das alle 65 Beschäftigten übernommen hat.

Weniger Bonus für BMS-Beschäftigte
Seitdem der Leverkusener Multi sich eine Holding-Struktur gegeben hat, agieren die einzelnen Teil-Gesellschaften formal selbstständig. Darum entwickeln sich auch die Belegschaften auseinander. So fallen die Bonus-Zahlungen für die Beschäftigten von BAYER MATERIAL SCIENCE, der von der Wirtschaftskrise am härtesten betroffenen Sparte, um ein Drittel geringer aus als die ihrer Pharma- oder Cropscience-KollegInnen.

Baumann verkauft BAYER-Aktien
Die BAYER-ManagerInnen müssen nicht allein von ihrem üppigen Fixgehalt leben. Sie werden auch in Aktien bezahlt und können diese bei Gelegenheit zu Geld machen. Diese Möglichkeit nutzte Werner Baumann gleich in den ersten Wochen seiner Zeit als BAYER-Vorstand. Er verkaufte 8.000 Papiere des Konzerns und erhielt dafür 450.400 Euro. Das geht aus Informationen des Leverkusener Chemie-Multis hervor, der verpflichtet ist, der Börsenaufsicht größere Deals seiner Besserverdienenden zu melden, da bei solchen Transaktionen immer der Verdacht des Insiderhandels besteht.

Schlechte Frauenquote
Auf der diesjährigen Hauptversammlung nach dem Anteil der Frauen in Führungspositionen befragt, gab Konzern-Chef Werner Wenning die Zahlen bekannt. Auf der obersten Management-Ebene beträgt die Quote zwei Prozent, auf der darunterliegenden 12,7 Prozent, der nächstfolgenden 17,8 Prozent und auf der vierthöchsten 25 Prozent.

Schneider verdient 1,1 Millionen
Der ehemalige BAYER-Boss Manfred Schneider ist mit Aufsichtsratschefsesseln beim Leverkusener Multi, bei RWE und LINDE sowie mit einfachen Mandaten bei DAIMLER und TUI der mächtigste und auch einkommensstärkste bundesdeutsche Konzern-Kontrolleur. Im Geschäftsjahr 2009 strich er 1,143 Millionen Euro ein - 145.000 Euro mehr als 2008.

Beistandskassen-Versammlung unrechtmäßig
Die BAYER-Beistandskasse hatte 2007 Einschnitte beim Sterbegeld, das durchschnittlich ca. 6.000 Euro beträgt, vorgenommen (Ticker 3/08). Die Abschläge können bis zu 2.000 Euro - also ein Drittel der Summe - betragen. Die Mitgliederversammlung fällte diese Entscheidung faktisch ohne die Mitglieder, denn der Vorstand setzte diese nicht über den brisanten Tagesordnungspunkt in Kenntnis. So nahmen nur 26 Personen an der einstündigen Sitzung teil, die für die rund 90.000 Versicherten den Gewinnzuschlag in Höhe von 25 Prozent strich. Deshalb fochten einige Kassen-Angehörige den Beschluss an. Im Februar 2010 bekamen sie endgültig Recht zugesprochen. Jetzt muss die Beistandskasse ihre Mitglieder erneut über die Kürzungen abstimmen lassen.

ERSTE & DRITTE WELT

Bio-Pirat BAYER vertreibt Indigene
In Chiapas wachsen die letzten Urwälder Mexikos. Dort lockt BAYER & Co. ein breites Reservoir an unbekannten Stoffen, die zur Arzneimittel-Produktion dienen könnten. Zudem haben Agro-Multis das Gebiet zur Kultivierung von Palm-Öl zur Biodiesel-Produktion auserkoren. Es gibt nur ein Problem: In der Region leben auch Menschen. Aber dieses behebt die mexikanische Regierung gerade. Sie bietet hunderte von Soldaten und Polizisten auf, um für die Konzerne den Weg freizumachen. Über 40 Dörfer hat sie auf diese Weise schon zerstört.

Kommt das Biopiraterie-Abkommen?
BAYER betrachtet die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen lediglich als Rohstoff-Reservoir und plündert sie ohne Rücksicht auf Verluste aus (s. o.) So produziert der Pharmariese das Diabetes-Mittel GLUCOBAY mittels eines Bakteriums, das aus dem kenianischen Ruiru-See stammt, ohne dem ostafrikanischen Land auch nur einen Cent dafür zu bezahlen (siehe SWB 1/06). Zudem durchsucht der Leverkusener Multi die Weltmeere gemeinsam mit dem Unternehmen MAGELLAN BIOSCIENCE GRUPPE INC. nach Mikroorganismen, deren Abwehrstoffe sich zur Herstellung neuer Pestizide eignen. Vielleicht kann er das demnächst nicht mehr ganz so ungehindert tun. Im Oktober 2010 steht nämlich die Unterzeichnung des Anti-Biopiraterie-Protokolls an. Aber die Lobbygruppen der Industrie wehren sich vehement gegen allzu verbindliche Regelungen. So weigern BAYER & Co. sich, künftig bei Patent-Anmeldungen Zertifikate über den legalen Erwerb der Ausgangsstoffe vorzulegen. Zudem wehren die Konzerne sich dagegen, Krankheitserreger, die sie zur Produktion von Impfstoffen brauchen, in das UN-Abkommen aufzunehmen.

WHO unter Einfluss
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat in einem Report Vorschläge für eine die Gesundheitsversorgung in den Staaten der „Dritten Welt“ verbessernde Arznei-Forschung gemacht. Eine Reform des Patentrechts, eine Förderung des Technologie-Transfers oder eine Forschungsabgabe der Konzerne gehörte allerdings ebenso wenig dazu wie mehr Geld für die Erforschung seltener Krankheiten. Der Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. hatte sich also wieder einmal als erfolgreich erwiesen. „Das Gesamtergebnis befindet sich in Übereinstimmung mit den meisten Industrie-Positionen in dieser Sache“, urteilte der „Internationale Verband der Forschenden Arzneimittel-Industrie“ (IFPMA). Weil die Lobby-Organisation sich illegal Zugang zu dem Entwurf verschafft hatte, leitete die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan allerdings Ermittlungen ein und drohte sogar mit der Aufhebung der Immunität von WHO-Beschäftigten. Die Delegierten der „Entwicklungsländer“ bekamen die Dokumente indes erst unmittelbar vor dem anberaumten Arbeitstreffen zu Gesicht und weigerten sich aus diesem Grund, den Abschlussbericht zu unterzeichnen. Ob sie bis zur offiziellen Vorstellung der WHO-Pläne noch Veränderungen durchsetzen können, bleibt abzuwarten.

EU betreibt Patent-Politik
Seit die Verhandlungsrunden der Welthandelsorganisation WTO zur weiteren Erleichterung des Warenverkehrs gescheitert sind, betreibt Brüssel eine eigene Wirtschaftspolitik im Dienste von BAYER & Co.. Bei den Verhandlungen zu bilateralen Abkommen mit Kolumbien, Indien und den Andenstaaten widmet sie dem „Schutz des geistigen Eigentums“ große Aufmerksamkeit und verlangt eine Verlängerung des Patentschutzes (Ticker 1/10). In Peru hätte BIG PHARMA gerne vier Jahre mehr. Wie die beiden Nichtregierungsorganisationen OXFAM und HEALTH ACTION INTERNATIONAL ausgerechnet haben, würde das die Arzneimittel-Kosten um 459 Millionen Dollar erhöhen.

POLITIK & EINFLUSS

BAYER Top-Lobbyist in den USA
Kein anderer bundesdeutscher Konzern gibt in den USA so hohe Summen für Lobby-Arbeit aus wie BAYER. 23 Millionen pumpte der Pharma-Riese dort seit 2006 in die Pflege der politischen Landschaft. Allein im letzten Jahr investierte der Leverkusene Multi 8,5 Millionen Dollar. Dabei ging vor allem Obamas Gesundheitsreform ins Geld, bei der es galt, das Schlimmste zu verhindern (siehe SWB 2/10). Nicht zuletzt zu diesem Behufe erweiterte der Pharma-Riese den MitarbeiterInnenstab seines Washingtoner Büros für „Legislative Affairs“ um vier Beschäftigte auf nunmehr 10.

BAYER & Co. schreiben Brandbrief
CDU und FDP hatten die Wunschliste der Konzerne in ihrem Koalitionsvertrag gewissenhaft abgearbeitet - bis auf einen Punkt. Sie wollten nur mittelständischen Betrieben Steuernachlass für ihre Forschungsausgaben gewähren, nicht aber den Global Playern, wie BAYER-Chef Werner Wenning immer wieder gefordert hatte, weil diese angeblich 85 Prozent aller Investitionen in dem Bereich aufbringen. Ende April 2010 schrieb Wenning in dieser Sache gemeinsam mit 17 weiteren Industrie-Bossen einen Brandbrief an die Bundesregierung. Darin verlangen die Manager nicht weniger als einen zehn-prozentigen Steuer-Abschlag auf Forschungskosten. Mit Verweis auf die in anderen Ländern angeblich übliche Subventionspraxis heißt es in dem Schreiben: „Deutschland muss gleichziehen, damit Unternehmen ihre Forschungszentren in Deutschland ausbauen oder ansiedeln und hier ihr innovatives Potenzial entfalten“. Von einem Steuergeschenk reden die Vorstandsvorsitzenden dabei natürlich nicht.

Etwas weniger Derivat-Regulierung
Auch BAYER nutzt die umstrittenen Instrumente, die der Finanzmarkt so bietet. So hat der Konzern Geld in Derivaten angelegt, die eine Art Wette auf Preissteigerungen oder -senkungen von Rohstoffen, Aktien, Währungen, Zinsen oder aber von Derivaten selber sind. Der Leverkusener Multi weist dabei das Motiv „Spekulation“ weit von sich. „Derivate Finanzinstrumente werden dabei fast ausschließlich zur Absicherung von gebuchten und geplanten Transaktionen abgeschlossen“, heißt es im Geschäftsbericht. Aber wo die Absicherung endet und die Spekulation beginnt, ist nicht immer leicht zu bestimmen. Das Unternehmen flankiert nämlich nicht ein bestimmten Deal mit dem Kauf von Derivaten, sondern schätzt das Volumen seiner Auslandsgeschäfte ab und erwirbt dann die Papiere. Auch sonst teilt BAYER die Interessen der SpekulantInnen, da sie Liquidität in die Märkte bringen, wie es heißt. Deshalb hat sich der Vorstandsvorsitzende Werner Wenning gegen eine strengere Regulation ausgesprochen. Und Finanz-Vorstand Klaus Kühn erklärte in der Börsen-Zeitung: „Ich hoffe sehr, dass man für die Industrie in diesem Zusammenhang Ausnahmen schafft“. Das tat die Bundesregierung dann auch. Nach einer „ExpertInnen-Anhörung“ änderte sie den Kabinettsbeschluss. Der Entwurf des „Gesetzes zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte“ sieht jetzt kein direktes Verbot von spekulativen Währungsderivaten mehr vor, er behält sich ein solches lediglich vor.

Kühn hakt beim Ministerium nach
Die Konzerne treibt ständig die Furcht vor feindlichen Übernahmen um. Um das „Anschleichen“ möglicher Käufer per Aktien-Erwerb zu verhindern, forderte BAYER-Chef Werner Wenning bereits 2008 gemeinsam mit seinen KollegInnen in einem Offenen Brief an den damaligen Finanzminister Peer Steinbrück strengere Kapitalmarkt-Regelungen mit Offenlegungspflichten über Besitzverhältnisse. Bislang hat sich allerdings nach Meinung des Leverkusener Multis noch nicht viel getan. Auf die Frage der Börsen-Zeitung: „Haben Sie im Finanzministerium noch einmal nachgehakt?“, antwortete der Finanzvorstand Klaus Kühn: „Das schon, aber es ist noch nichts Konkretes passiert“. Aber das wird schon noch.

Die Parteien-Spenden des VCI
Der Leverkusener Multi spendet in der Bundesrepublik nicht mehr selbst für Parteien, er tut dies nur in Tateinheit mit anderen Chemie-Unternehmen. Dann aber nicht zu knapp. Im Jahr 2008 ließ der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) der CDU laut Rechenschaftsbericht des Bundespräsidenten 120.000 Euro zukommen und der SPD 35.000 Euro.

BAYER mietet Rüttgers
Von dem Spenden-Skandal um Jürgen Rüttgers, den die CDU den Unternehmen in Partner-Paketen mit Einzelgesprächs-Zuschlägen von 6.000 Euro zwecks Wahlkampf-Finanzierung angeboten hat, ließ BAYER sich nicht von einem Auftritt beim CDU-Zukunftskongress abhalten. Der Leverkusener Multi mietete für 8.000 Euro einen Stand und konnte Rüttgers bei seinem obligatorischen Rundgang auch von den tollen Investitionen am Standort Dormagen berichten - ganz ohne Zuzahlung, wie BAYERs Energie- und NRW-Beauftragter Wilfried Köplin versicherte. Extras „seien nicht angeboten worden. Die hätten wir auch nicht angenommen“, so Köplin laut Kölner Stadtanzeiger.

Schavan besucht BAYER
Die bundesdeutschen Multis suchen auf ihren großen Absatzmärkten auch immer die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen. Die Bundesregierung erleichtert ihnen das, indem sie regelmäßig Gipfeltreffen mit VertreterInnen von Wirtschaft und Wissenschaft ausrichtet. Das „Deutsch-Brasilianische Jahr für Wissenschaft, Technologie und Innovation“ eröffnete Bundesforschungsministerin Annette Schavan am 14. April 2010 in São Paulo. Daneben fand sie noch Zeit, die Niederlassung des Leverkusener Multis in der Stadt zu besuchen, der gerade eine Kooperation mit dem brasilianischen „Zentrum für Zuckerrohr-Technologie“ vereinbart hat (siehe GENE & KLONE).

Buirer CDU besucht BAYER
Der Ortsverband Buir der CDU hat im März dem Monheimer BAYER-Werk einen Besuch abgestattet. Er besichtigte das Forschungszentrum und die Institute für Pestizid-Entwicklung.

Emissionsrechte für Gentech-Pflanzen?
Auch die Landwirtschaft produziert klima-schädliche Gase. Deshalb gibt es Überlegungen, die Agrar-Industrie in den Emissionshandel einzubeziehen und den Ausstoß von Methan, Distickstoffmonoxid oder anderen Stoffen kostenpflichtig zu machen, wenn er bestimmte Grenzen übersteigt. In diese Diskussion haben sich jetzt auch BAYER & Co. eingeschaltet. Die Konzerne wollen ihre Genpflanzen in der Klima-Bilanz der LandwirtInnen als Aktiva verbuchen lassen. Weil die Bauern und Bäuerinnen die Laborfrüchte ohne Pflügen und Umgraben aussäen können, tragen diese zu einer nachhaltigen Bodenbewirtschaftung bei, argumentieren die Global Player. In den USA haben BAYER, MONSANTO und andere Agro-Riesen die Lobby-Firma NOVECTA engagiert, um die PolitikerInnen in diesem Sinne zu beeinflussen. Darüber hinaus warben die Multis auf der Klima-Konferenz in Kopenhagen und bei der UN-Welternährungsorganisation FAO für ihr Projekt, das den gen-manipulierten Pflanzen zusätzliche Absatzmärkte erschließen würde.

Obamas Gentech-Fans
Barack Obama hat einige Schlüsselpositionen an Personen mit guten Kontakten zu den Gentech-Multis vergeben. Landwirtschaftsminister Thomas Vilsack ernannte der Industrie-Verband „Biotechnology Industry Organisation“ wegen seiner Verdienste für die Gentechnik bereits 2001 zum „Governor of the Year“. Das neu gegründete „Nationale Institut für Nahrung und Landwirtschaft“ leitet mit Roger Beachy ein ehemaliger MONSANTO-Forscher, und in der Handelsbehörde kümmert sich bald Islam Siddiqui von der Agromulti-Organisation „CropLife America“ um die Landwirtschaftspolitik, wenn sich der Senat nicht doch noch den Protesten von GREENPEACE, PESTICIDE ACTION NETWORK und anderen Initiativen beugt.

EU Weltspitze im Patentschutz
Dank der Lobby-Aktivitäten des „Europäischen Verbandes der Forschenden Pharma-Unternehmen“ (EFPIA) erhalten BAYER & Co. nirgendwo so lange Patentschutz für ihre Präparate wie in der EU. Während die USA Monopolrechte für neue Medikamente nur ca. 8 Jahre gewähren, billigt die Europäische Union BAYER & Co. seit 2004 durchschnittlich elf Jahre zu.

Jugend forscht für BAYER
Der Nachwuchs-Wettbewerb der Stiftung „Jugend forscht“ hat seit neuestem einen wissenschaftlichen Beirat. In diesem sitzt auch BAYERs Forschungsvorstand Wolfgang Plischke, weshalb er die Jugend jetzt direkter für den Leverkusener Multi forschen lassen kann. „Aufgabe des wissenschaftlichen Beirats ist es, relevante Themen und Trends zu identifizieren sowie konkrete Empfehlungen zur künftigen Ausrichtung von ‚Jugend forscht‘ im Rahmen der Nachwuchsförderung in Deutschland auszusprechen“, erklärt die Stiftung nämlich.

PROPAGANDA & MEDIEN

UNICEPTA bereitet Interviews vor
Der Leverkusener Multi hat zwar eine gut besetzte Presseabteilung, aber trotzdem holt sich der Konzern zusätzlich noch Fremd-Expertise ins Haus. So hat das Medienbeobachtungsunternehmen UNICEPTA bei BAYER ein eigenes Büro mit drei Beschäftigten und übernimmt Sonderaufträge. Wenn es beispielsweise eine Interview-Anfrage gibt, checkt UNICEPTA den Journalisten vorher genau aus, „um zu antizipieren, wie er denkt“, vermeldet das prmagazin.

BAYER wirbt um Akzeptanz
Was seine Akzeptanz bei der Bevölkerung angeht, fühlt der Leverkusener Multi sich angesichts der Proteste gegen seine Kohlekraftwerk- und Pipeline-Pläne wieder in die alten Hochzeiten der Umweltbewegung versetzt. „Vielleicht erleben wir nach den siebziger Jahren jetzt wieder eine Phase, in der sich die Chemische Industrie erklären muss“, sagt der Leverkusener Chemie„park“-Leiter Ernst Grigat. „Kritische Gruppen werden zum Risiko für den Industrie-Standort NRW“, warnt er. Deshalb startet der Konzern jetzt eine „Charme-Offensive“ (Leverkusener Anzeiger) und macht auf BürgerInnen-Nähe (siehe auch AKTION & KRITIK). So stellt er die alljährlichen BesucherInnen-Tage unter das Motto „Sicherheit, Energie und Umwelt“ und heißt dort angeblich auch KritikerInnen willkommen.

Große Spende an Bluter-Verband
Weltweit infizierten sich in den 80er Jahren Tausende Bluter durch Blutprodukte von BAYER & Co. mit AIDS oder Hepatitis C. Sie wurden Opfer der Profitgier der Konzerne, denn diese hatten sich aus Kostengründen lange Zeit geweigert, eine Hitze-Behandlung der Mittel zur Abtötung der Krankheitskeime vorzunehmen. Seit dieser Zeit sieht der Leverkusener Multi sich zu vertrauensbildenden Maßnahmen gezwungen, um die Patienten wieder für sich zu gewinnen. So spendet er den Bluter-Organisationen regelmäßig hohe Beträge. So erhielt der US-amerikanische Verband im April 2010 einen Scheck über 250.000 Dollar.

Große Spende an ImkerInnen-Verband
Pestizide von BAYER und anderen Herstellern stellen eine Landplage für Bienen dar und sorgen regelmäßig für Sterbewellen. Da gilt es, sich des Wohlverhaltens der BienenzüchterInnen-Verbände zu versichern. In England tut BAYER das durch regelmäßige Spenden. So erhält die „British Bee Keepers Association“ jährlich 17.000 Pfund und zeichnet die Ackergifte des Konzerns dafür im Gegenzug mit ihrem Gütesiegel aus. Nach Protesten aus den eigenen Reihen und einigen kritischen Tageszeitungsartikeln hat die Organisation diese Kooperation jedoch aufgekündigt.

Rheinische Post wirbt für BAYER
Der Pharma-Riese spielt seinem Stammsitz Leverkusen seit längerer Zeit übel mit. Das Werk schrumpft und schrumpft und damit auch die Zahl der Arbeitsplätze, die Gewerbesteuer fließt nur noch spärlich und die vielbeschworene BAYER-Familie wird dysfunktionaler und dysfunktionaler. Deshalb hat der Multi im letzten Jahr unter dem Motto „Leverkusen und BAYER. Ein starkes Team“ eine Image-Kampagne mit Anzeigen, lokaler Internet-Seite und Foto-Wettbewerben begonnen. 2010 setzt der Konzern sie fort. So veranstaltete er gemeinsam mit der Rheinischen Post auf einer ganzen Zeitungsseite den Quiz „Sind Sie ein Leverkusen-Experte?“, der eigentlich „Sind Sie ein BAYER-Experte?“ heißen müsste. Fragen nach BAYERs „Hilfsprogramm“ für benachteiligte Jugendliche, dem BAYER-Kulturprogramm, dem BAYER-Erholungshaus und dem Spitznamen der Frau von BAYERs ehemaligem Generaldirektor Carl Duisberg lassen jedenfalls arge Zweifel an der journalistischen Unabhängigkeit des Blattes aufkommen.

BAYER bildet JournalistInnen fort
Die Konzerne setzen seit einiger Zeit an den Quelle an, um ihr Bild in der Öffentlichkeit zu bestimmen: Sie bilden JournalistInnen aus bzw. weiter. Während BASF, SIEMENS und RWE die „Initiative Wissenschaftsjournalismus“ ins Leben gerufen haben, bietet BAYER Fortbildungen an. Der Leverkusener Multi lud MedienarbeiterInnen zu dem kostenlosen Seminar „Von den Fakten zur Story - Themen finden und platzieren“ ein.

Gentechnik-PR bei Preisverleihung
Der Leverkusener Multi nutzte die Verleihung des Otto-Bayer-Preises an den Entwicklungsbiologen Dr. Detlef Weigel (Ticker 1/10), um Propaganda für die grüne Gentechnik zu machen. Wohlweislich wählte der Konzern Berlin als Ort für den feierlichen Festakt und redete den PolitikerInnen ins Gewissen. „Es gilt, das gesamte Spektrum der Möglichkeiten zu nutzen, um Ernten vor Krankheiten, Schädlingen, Unkraut und Umwelteinflüssen zu schützen, die Erträge zu erhöhen und die Eigenschaften der Pflanzen zu verbessern“, mahnte BAYER-Chef Werner Wenning. Und der BAYER-Aufsichtsrat und Gentechnik-Multifunktionär Ernst-Ludwig Winnacker versicherte treuherzig: „Ich selbst wäre der Erste, der sich bei einer Gefahr für Leib und Leben für einen Verzicht auf die entsprechende Technologie aussprechen würde“.

TIERE & VERSUCHE

171.251 Tierversuche
Auf der diesjährigen Hauptversammlung nach Tierversuchen bei BAYER befragt, gab Konzern-Chef Werner Wenning die Zahlen bekannt. Demnach hat das Unternehmen im Jahr 2009 171.251 Experimente mit Lebewesen durchgeführt, 93 Prozent davon mit Ratten und Mäusen.

DRUGS & PILLS

GADOVIST jetzt auch für Kinder
BAYERs Kontrastmittel GADOVIST ist seit Anfang des Jahres auch für Kinder über sieben Jahren zugelassen. Der Leverkusener Multi hatte das hauptsächlich bei Magnetresonanz-Tomographien verwendete Mittel in einer Studie mit nur 140 jungen TeilnehmerInnen getestet und keine größeren Unverträglichkeiten festgestellt. Die Risiken und Nebenwirkungen blieben offenbar im Rahmen dessen, was der Beipackzettel aufzählt: Übelkeit und Erbrechen, Schock-Reaktionen, Herz/Kreislauf-Probleme, Atemwegsbeschwerden und Hautausschläge.

GADOVIST für Mammographien?
Der Leverkusener Multi will sein Kontrastmittel GADOVIST (s. o.) auch bei Mammographien zum Einsatz kommen lassen und hat mit Klinischen Tests der dritten und letzten Phase begonnen.

Hör-Schädigungen durch ASPIRIN
ASPIRIN und andere Schmerzmittel steigern die Wahrscheinlichkeit, eine Hörschädigung zu erleiden, um 30 Prozent. Das ergab eine im American Journal of Medicine (Nr. 123) veröffentlichte Studie. Die Präparate stören die Synthese des Gewebe-Hormons Prostaglandin, was zu einer Unterversorgung der Hörzellen mit Blut führt. Eingeschränktes Hörvermögen und Hörstürze können die Folge sein.

BAYER lanciert ASPIRIN COFFEIN
Der Leverkusener Multi hat mit ASPIRIN COFFEIN eine neue Version des Wirkstoff-Mixes Acetylsalicylsäure/Koffein herausgebracht. BAYER zufolge sorgt das Koffein für eine schnellere Aufnahme der Acetylsalicylsäure und verstärkt seinen pharmazeutischen Effekt. Fachleute warnen allerdings vor den Kombinationspräparaten, weil sie die Nieren schädigen, zu Abhängigkeit führen und Dauerkopfschmerz verursachen können. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) hat deshalb bereits 1997 die Forderung nach einer Verschreibungspflicht für solche Medikamente aufgestellt - und diese im letzten Jahr erweitert. Mittlerweile verlangt das BfArM, gar keine Schmerzmittel-Großpackungen mehr ohne Rezept auszugeben (Ticker 1/10).

Immer noch keine XARELTO-Zulassung
Während die Europäische Union BAYERs XARELTO bei schweren orthopädischen OPs zur Thrombose-Prophylaxe bereits zugelassen hat, verzögert sich die US-Genehmigung weiter. Wegen des erhöhten Risikos von Gefäß-Verschlüssen, Blutungen, Herz/Kreislaufstörungen und Leberschäden sowie ungeklärter Langzeitwirkung hatte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA Anfang 2009 weitere Unterlagen über die Verträglichkeit des Medikamentes angefordert (Ticker 1/09). Und der Leverkusener Multi hat erhebliche Mühe, diese bereitzustellen. Zunächst wollte er sie im Herbst 2009 übergeben, aber daraus wurde nichts. Auch bei der Bilanz-Pressekonferenz im Februar gab es nichts Neues zum Stand der Dinge. „Im Laufe dieses Jahres erwarten wir neue, wichtige Studiendaten“, erklärte BAYER-Chef Werner Wenning dort nur lapidar.

XARELTO: Krankenhäuser zögern
BAYER hat Schwierigkeiten bei der Vermarktung seines bei schweren orthopädischen OPs zur Thrombose-Prophylaxe eingesetzten Präparates XARELTO. Krankenhäuser zögern nämlich mit der Bestellung, weil sie das Preis/Leistungsverhältnis nicht überzeugt. Überlegen zeigt sich das Mittel nämlich nur in der Darreichungsform: Die MedizinerInnen können XARELTO in Tablettenform verteilen und brauchen es nicht zu spritzen.

Neue LEFAX-Version
BAYER bietet LEFAX, das gegen Blähungen, Völlegefühle und Druckbeschwerden helfen soll, jetzt auch in Granulatform und mit Zitronengeschmack an. Das dürfte jedoch nichts an dem vernichtenden Urteil ändern, das der „Arzneiverordnungsreport ‘97“ über das Präparat fällte. Das Buch bescheinigte dem Produkt mit dem Wirkstoff Simethicon völlige Wirkungslosigkeit und riet: „Aus diesem Grund empfiehlt es sich, den Einsatz dieses Mittels als Placebo-Medikation auf besondere Einzelfälle zu beschränken“.

Sonderstatus für CIPROBAY-Version
Pharma-Konzerne entwickeln lediglich Medikamente zur Therapie der verbreitetsten Gesundheitsstörungen, weil nur das genügend Profit verspricht. Sie betrachten es nicht als ihre Aufgabe, Arzneien zur Behandlung von möglichst vielen Beschwerden zu erfinden. Deshalb müssen die GesundheitspolitikerInnen Mittel zur Therapie seltener Krankheiten subventionieren. Diese Aufgabe erfüllt die Verleihung des Orphan-Drug-Status (orphan = engl. Waise). Einen solchen Status verlieh nach der europäischen Arzneimittelbehörde EMA nun auch ihr US-amerikanisches Pendant FDA einer gepimpten Version des altbekannten BAYER-Antibiotikums CIPROBAY. Als Trockenpulver, das zum Inhalieren geeignet ist, will der Multi es künftig gegen chronische Lungeninfektionen einsetzen. Zur Orphan Drug geadelt, kommt das neue alte Medikament jetzt in den Genuss einer schnelleren Genehmigung und verminderter Zulassungsgebühren. Zudem kann der Pharma-Riese sich über eine längere Patentlaufzeit freuen.

AVELOX schädigt Leber
Nach zahlreichen Meldungen über Leberschäden durch sein Antibiotikum AVELOX musste der Leverkusener Multi bereits 2008 der Aufforderung des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte“ nachkommen und die europäischen MedizinerInnen und PatientInnen ausdrücklich auf diese Nebenwirkung hinweisen. Anderswo verschwieg der Konzern den unerwünschten Arznei-Effekt jedoch weiter. In Kanada allerdings hat es damit jetzt ein Ende. MedizinerInnen informierten die Gesundheitsbehörde „Health Canada“ über die Gegenanzeige, weshalb BAYER sich gezwungen sah, vor Gesundheitsrisiken für die Leber durch AVELOX zu warnen.

NEXAVAR bei Darmkrebs?
Der Leverkusener Multi versucht unentwegt, das Anwendungsspektrum seiner zur Behandlung von fortgeschrittenem Nieren- und Leberkrebs zugelassenen Gentech-Arznei NEXAVAR zu erweitern. Für die Indikation „Darmkrebs“ hat gerade die dritte und letzte Testphase begonnen. Entsprechende Versuche laufen auch zur Therapie von Schilddrüsen-, Brust- und fortgeschrittenem Lungenkrebs; bei Haut- und Bauchspeicheldrüsenkrebs versagte das Medikament dagegen bereits.

YASMIN-Beipackzetteländerungen
Zeitungsmeldungen über bisweilen sogar tödlich verlaufende Nebenwirkungen von BAYERs Antibaby-Pille YASMIN haben die Öffentlichkeit im letzten Jahr schockiert. Doch alles, was vom Skandal übrig bleibt, ist ein anderer Beipackzettel. Der Leverkusener Multi muss künftig in Europa und in den USA auf das Risiko von Thromboembolien hinweisen. Er zeigt sich jedoch weiterhin uneinsichtig, zweifelt die Ergebnisse neuer Studien zu dieser Gesundheitsgefährdung an und sieht noch Diskussionsbedarf, „bevor eine endgültige Aussage über das Thrombose-Risiko unter YASMIN getroffen werden kann“.

Neues Verhütungsmittel
Der Leverkusener Multi hat für sein Verhütungsmittel NATAZIA, das er in Europa unter dem Namen QLAIRA vermarktet, auch in den USA eine Zulassung erhalten. Die neue Pille mit den Wirkstoffen Estradiol und Dienogest bewirbt der Multi ebenfalls wieder als Lifestyle-Präparat, das angeblich Gewichtszunahmen verhindert. Über Risiken und Nebenwirkungen wie Thrombosen, die bei dem Kontrazeptivum YASMIN bereits zu Todesfällen geführt haben (SWB 3/09), weiß der Pharma-Riese hingegen angeblich nichts. Das könnte „nur in großen epidemiologischen Studien geklärt werden“, lässt er verlauten.

Neue Herz-Medikamente
Der Leverkusener Multi entwickelt zur Zeit drei neue Wirkstoffe zur Behandlung von Herz-Krankheiten. Eine Substanz soll die Produktion von Guanosinmonophosphat anregen, das die Blutgefäße erweitert und schützt. Von einem anderen Stoff erhoffen sich die Arznei-ForscherInnen eine Hemmung des den Herzmuskel angreifenden Aldosterons und von einem weiteren die Blockade des gefäß-verengenden Hormons Vasopressin.

BAYER kontrolliert sich selbst
Die Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten sorgen für fünf Prozent aller Krankenhaus-Einweisungen. Das bewog Brüssel zum Handeln. Die EU plant Reformen zur Arzneimittel-Sicherheit. Allerdings will sie BAYER & Co. die Aufgabe anvertrauen, die Schadensmeldungen zu sammeln, auszuwerten und dann an staatliche Stellen weiterzureichen, was die BUKO-PHARMA-KAMPAGNE kritisiert. „Man kann von ihnen wohl kaum erwarten, dass sie sich allein am VerbraucherInnenschutz orientieren und die Interessen ihrer Anteilseigner an einem möglichst hohen Umsatz ignorieren“, schreibt die Initiative in ihrem Pharma-Brief. Auch das Bestreben der Europäischen Union, die Zulassungsverfahren zu beschleunigen, dürfte kaum zu einem besseren Schutz der PatientInnen führen (s. u.).

Beschleunigte Pillen-Zulassungen
Die EU will die Zulassungsverfahren für Arzneimittel beschleunigen. Künftig brauchen BAYER & Co. weder die Wirksamkeit noch die Unbedenklichkeit ihrer Medikamente vor der Genehmigung zu belegen - die entsprechenden Daten können nachgereicht werden. Und falls die Hersteller der Aufforderung nicht nachkommen, droht ihnen - anders als in den USA - nicht einmal ein Entzug der Vermarktungsrechte.

Tests mit Tabakpflanzen-Impfstoff
Der Leverkusener Multi hat Klinische Tests mit einem Arzneistoff begonnen, den Tabakpflanzen produzieren. Bei dem Verfahren zur Herstellung eines Antikörper-Impfstoffes zur Behandlung eines Lymphsystem-Krebses tauchen die PharmakologInnen die Tabakpflanzen in ein Bakterien-Bad, wodurch sich das Antikörper-Erbgut überträgt und seine Arbeit in der Botanik aufnimmt (Ticker 3/08). Diese von BAYER als „extrem preisgünstig“ gepriesene Herstellungsart hat die Firma ICON GENETICS entwickelt, was sie die Selbstständigkeit kostete: 2006 verleibte sich der Multi das Biotech-Unternehmen ein.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Brasilien:Aktivist ermordet
Als Sprecher der Gemeinde von Sãl João do Tomé und Präsident einer Vereinigung von kleinen LandwirtInnen hatte sich José Maria Filho (Zé Maria) unermüdlich gegen den Einsatz von Ackergiften auf den großen Plantagen engagiert und sogar ein Verbot von Sprühungen aus dem Flugzeug durchgesetzt. Das bezahlte er jetzt mit seinem Leben. Am 21. April 2010 erlag José Maria Filho den 19 Schuss-Verletzungen, die ihm Unbekannte beigebracht hatten.

Sonderzulassung für SANTANA
BAYERs Saatgut-Beize PONCHO mit dem Wirkstoff Clothianidin hat vor zwei Jahren ein massives Bienensterben verursacht, weshalb in vielen Ländern Verbote erfolgten und hierzulande die Zulassung für Mais-Kulturen einstweilen ruht. Der Leverkusener Multi leugnet jedoch den Zusammenhang. Er führt stattdessen technische Fehler beim Beiz-Prozess, veraltete Sämaschinen und das Wirken der Varroa-Milbe als Gründe für die Dezimierung der Bienenvölker an und drängt auf Wiederzulassung des Giftes. Im Frühjahr errang der Konzern einen Teil-Erfolg. Die Behörden erteilten BAYERs Clothianidin-Granulat SANTANA eine - zeitlich und regional begrenzte - Sondergenehmigung. Das alarmierte den DEUTSCHEN IMKERBUND. Er forderte, den Einsatz von Pestiziden aus der Gruppe der Neonicotinoide wie SANTANA oder PONCHO zu unterbinden, „solange ein Schutz der Bienen nicht gewährleistet ist“.

ImkerInnen warnen vor PROTEUS
Die BAYER-Insektizide PONCHO und GAUCHO haben Millionen Bienen den Tod gebracht. Von dem neuen, ebenfalls zur Gruppe der Neonicotinoide gehörenden Mittel PROTEUS mit den Wirkstoffen Thiacloprid und Deltamethrin befürchten die BienenzüchterInnen vom französischen Verband UNAF deshalb wieder das Schlimmste. „Es besteht aus zwei für Bienen gefährlichen Substanzen“, stellt die Imkerin Sophie Dugué fest und kritisiert die Zulassungsbehörden des Landes für ihre Entscheidung, das Pestizid zu genehmigen.

Deutschland: große Bienenverluste
Der Imker Manfred Gerber hat auf der letzten BAYER-Hauptversammlung dargelegt, wie dramatisch das Bienensterben im letzten Winter verlief. In der Bundesrepublik sind zwischen 30 und 60 Prozent der Bienenvölker verendet - 20 bis 50 Prozent mehr als üblich. Wie der DEUTSCHE IMKERBUND forderte Gerber deshalb das Verbot aller Ackergifte auf Neonicotinoid-Basis wie BAYERs PONCHO, GAUCHO und SANTANA, deren Gebrauch bislang nur eingeschränkt ist.

USA: große Bienenverluste
ImkerInnen verlieren immer viele Bienenstämme über den Winter. Dieses Mal lagen die Verluste unter denen der letzten beiden Jahre, jedoch immer noch mehr als 10 Prozent über dem Normalwert. Viele Bienenzüchter machen die Pestizide dafür verantwortlich; die BAYER-Mittel PONCHO und GAUCHO sind inzwischen berühmt-berüchtigt. Der größte Bienenzüchter des Bundesstaates Pennsylvania zog daraus die Konsequenz, mit seinen Bienen erstmals nicht mehr zur Orangen-Blüte nach Florida aufzubrechen. „Die Chemikalien, die sie dort benutzen, machen etwas, das das Immunsystem der Bienen zerstört“, so Dave Hackenberg.

Schweiz: große Bienenverluste
Im vorletzten Jahr hat BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO in Süddeutschland ein verheerendes Bienensterben ausgelöst. Deshalb dürfen die LandwirtInnen das Produkt in der Bundesrepublik vorerst auf Maisfeldern nicht mehr ausbringen. Andere Länder reagierten hingegen nicht. Nach einem Massentod von Bienen in Österreich, Kroatien und Japan (Ticker 3/09) beklagten deshalb nun auch ImkerInnen in der Schweiz große Verluste.

Fischsterben in Australien
Vor anderthalb Jahren gingen Bilder von verendeten Fischen und solchen mit zwei Köpfen oder anderen Deformationen durch die australische Presse. Sie stammten vom Noosa-Fluss, der an große Nuss-Plantagen grenzt. Die dort ausgebrachten Pestizid-Mengen - unter anderem die auch in BAYER-Produkten verwendeten Wirkstoffe Endosulfan, Carbendazim und Beta-Cyfluthrin - galten sofort als Grund für das Fischsterben. Die Behörden untersagten den Gebrauch zwar nicht umgehend, gaben aber eine Untersuchung in Auftrag. Die Ergebnisse bestätigen nach Aussagen des beteiligten Wissenschaftlers Dr. Matt Landos jetzt den Anfangsverdacht. Allerdings herrscht unter den ForscherInnen keine Einigkeit. Die industrie-freundlichen unter ihnen führen andere Erklärungen an wie Hitzestress oder Sauerstoffmangel, weshalb der Abschlussbericht kaum zu einem eindeutigen Urteil kommen dürfte.

Wirkungslose Anti-Unkrautmittel
Der Dauer-Einsatz von Herbiziden auf den Feldern macht Unkräuter im Laufe der Zeit resistent gegen die Mittel. So können sich Ackerfuchsschwanz und Windhalm immer ungestörter ausbreiten. BAYERs ECONAL versagte bereits 2004 seinen Dienst, und nun tut sich auch ATLANTIS deutlich schwerer mit den Wildgräsern. Die über den Boden wirkenden Mittel CADOU und MALIBU zeigen ebenfalls deutliche Verschleiß-Erscheinungen. Die Aussicht auf ungehinderten Wildwuchs bezeichnete der Landwirtschaftskammer-Berater Dr. Manfred Bartels in dem Wochenblatt Land & Forst als „Horrorvision“. Eine „Verführung durch die modernen Möglichkeiten der Landtechnik und des Pflanzenschutzes“ machte er für die Misere verantwortlich.

Vereinfachte Biozid-Zulassung?
Die EU plant, die Zulassung von Haushaltsinsektiziden und anderen Bioziden zu vereinfachen und den VerbraucherInnenschutz im Namen des „Bürokratie-Abbaus“ den Industrie-Interessen zu opfern.

GENE & KLONE

Individuelle Krebstherapien
BAYER hat einen Kooperationsvertrag mit dem US-amerikanischen Biotech-Unternehmen PROMETHEUS unterzeichnet, weil die Firma ein Verfahren zur Bestimmung des Aktivitätszustandes von Tumor-Zellen entwickelt hat. Mit Hilfe dieser Technologie will der Leverkusener Multi seine Krebsmedikamente so veredeln, dass sie genau auf den Gesundheitszustand der PatientInnen abgestimmte Therapien ermöglichen.

Fast 6 Millionen Euro für BETAFERON
BAYERs gentechnisch hergestelltes BETAFERON gehört zu den Arzneien, die den Krankenkassen die größten Kosten verursachen. Die Ausgaben für das Multiple-Sklerose-Präparat lagen 2008 bei 5.852.470 Millionen Euro - nur für drei Medikamente mussten DAK & Co. mehr zahlen.

Mehr Gentechnik, mehr Pestizide
Entgegen den Behauptungen von BAYER & Co. senkt die grüne Gentechnik den Pestizid-Verbrauch nicht. Das ergab eine neue Studie von Charles Benbrook, einem ehemaligen Mitarbeiter des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums. Benbrook zufolge hat sich die verwendete Gift-Menge seit der Markteinführung gentechnisch manipulierter Pflanzen um 145.000 Tonnen erhöht. Die Wirksamkeit der Substanzen, welche die Hersteller gemeinsam mit den gegen sie resistenten Ackerfrüchten vermarkten, hat über die Jahre erheblich nachgelassen, weshalb die LandwirtInnen nach den Beobachtungen des Experten zusätzlich zu anderen Mitteln greifen müssen. Im Jahr 2008 brachten sie 28 Prozent mehr Agro-Chemikalien aus als ihre nicht auf die grüne Gentechnik setzenden KollegInnen.

BAYER & Co. gegen EU-Richtlinie
Bislang dürfen Ackerfrüchte-Importe in die EU-Länder keinerlei Spuren von Gentech-Pflanzen ohne Brüsseler Zulassung aufweisen. Diese Regelung wollen Landwirtschaftsverbände und Agro-Multis allerdings kippen. Sie verweisen auf massive Engpässe in der Futtermittel-Versorgung, vor allem weil die US-FarmerInnen nicht mehr für ihr Soja bürgen können, und warnen vor Preis-Steigerungen für Nahrungsmittel. Beweise bleiben sie allerdings schuldig. Sogar das Fachblatt Agra-Europe muss festzustellen, dass die „von Brüssel gefahrene ‚Nulltoleranz-Politik‘ bisher keinen Niederschlag in den US-Statistiken findet; die amerikanischen Sojaschrot-Exporte sollen gegenüber 2008/09 sogar leicht steigen“. So hat die Kampagne zuvorderst den Zweck, die Marktchancen für die Risiko-Technologie zu erhöhen und image-schädigende Gen-GAUs künftig zu vermeiden. Der Skandal um den Supermarkt-Reis, in dem sich 2006 BAYERs noch nirgendwo zugelassene LL601-Sorten fanden, wäre dann nämlich von einem Tag auf den anderen keiner mehr.

Gentech-Zuckerrohr zu Agrosprit
Der Agrosprit-Boom nimmt immer mehr Ackerflächen in Anspruch und verdrängt so die Kulturpflanzen von den Feldern, weshalb die Preise für Nahrungsmittel steigen. BAYER profitiert seit längerem von der Situation. So bietet der Agro-Riese den Biosprit-Baronen mit dem Gentech-Raps INVIGOR maßgeschneiderte, besonders viel Öl produzierende Pflanzen an. Und jetzt bedient der Agro-Multi sich beim Agrosprit-Geschäft auch noch der Gentechnik. Gemeinsam mit dem brasilianischen „Zentrum für Zuckerrohr-Technologie“ will er gentechnisch manipulierte Zuckerrohr-Sorten entwickeln, die eine besonders gute Ernte versprechen und so in der Weiterbearbeitung besonders viel Biokraftstoff abwerfen.

WASSER, BODEN & LUFT

USA: BAYER Top-Luftverschmutzer
BAYER ist in den USA zum größten Luftverschmutzer aufgestiegen. Hatte der Leverkusener Multi in der letzten Liste des „Political Economy Research Institutes“ aus Massachusetts noch den vierten Rang eingenommen, so arbeitete er sich nun bis zur Top-Position vor. 326,6 Tonnen Schadstoffe blies der Multi 2009 in die Luft und 4.028 Tonnen ließ er verbrennen. Aber nicht die absoluten Zahlen gaben den Ausschlag, da lagen nämlich einige Konzerne noch vor BAYER. Die WissenschaftlerInnen bewerteten stattdessen das von den Hinterlassenschaften ausgehende Gesundheitsrisiko - und hier konnte keiner den Pharma-Riesen übertrumpfen. Ausschlaggebend dafür waren wieder einmal die Produktionsanlagen in Baytown, die den Müll-Öfen Jahr für Jahr mehr als 1.000 Tonnen des krebserregenden Stoffes Toluylen-Diamin (TDA) zuführen.

BAYER Top-Wasserverbraucher
209 Millionen Kubikmeter Wasser verbrauchen BAYERs Produktionsstätten in Nordrhein-Westfalen jährlich. Das hatte im letzten Herbst eine Anfrage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ergeben. Wie groß der Durst des Brunsbütteler Werkes ist, brachte die CBG im Frühjahr 2010 in Erfahrung: fast 30 Millionen Kubikmeter.

Neue TDI-Produktionsanlage
Die Produktion des Kunststoffes Toluoldiisocyanat (TDI) stellt ein großes Sicherheitsrisiko dar, da zu seiner Herstellung das Ultragift Phosgen benötigt wird. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat angesichts zahlreicher Störfälle mit Phosgen-Austritt immer wieder auf die Gefährdungen aufmerksam gemacht. Bei den Plänen zu einer neuen TDI-Anlage in Dormagen berücksichtigt BAYER diese Bedenken teilweise. Der Leverkusener Multi will die Fertigungsstätte einhausen und die Wände mit Sensoren versehen, die bei minimalsten Phosgen-Emissionen anschlagen. Aber gebannt hat er die Gefahr damit noch nicht. So kam es Ende 2009 in der Pilotanlage zu einer Freisetzung von Phosgen (Ticker 4/09). Zudem finden sich in den Unterlagen zu dem Vorhaben, die der Konzern der Bezirksregierung vorlegte, keine detailliertere Angaben zum Schadstoff-Ausstoß und zur Beschaffenheit der Produktionsrückstände, wie die Coordination in einer Stellungnahme kritisierte. Auch forderte sie mit Verweis auf eine Explosion im Baytowner TDI-Werk Informationen darüber, wie das Unternehmen künftig die Entstehung von Überdruck im Reaktor zu verhindern gedenkt.

EU-Bodenschutz-Richtlinie blockiert
Die Industrie-Produktion und das, was davon übrig bleibt, setzt den Böden immens zu. Die Konzerne haben gemeinsam mit der Landwirtschaft allein in Europa ca. 3,5 Millionen Grundstücke verunreinigt. Beim aktuellen BAYER-Sanierungsfall „Wolfenbüttel“ wird es nach Schätzungen von ExpertInnen noch ca. 50 Jahre dauern, die Hinterlassenschaften des stillgelegten Werkes zu beseitigen (SWB 1/10). Wegen dieser bedrohlichen Lage sah die EU bereits vor einiger Zeit Handelsbedarf und bereitete eine Bodenschutz-Richtlinie vor. Aber die Multis liefen Sturm gegen die Regelung und hatten Erfolg. Die Bundesrepublik legte im März 2010 zusammen mit vier anderen Ländern ein Veto ein und blockierte damit das Paragrafen-Werk wieder einmal.

Hauxton bereitet Kopfschmerzen
Im englischen Hauxton nahe Cambridge hinterließ der Global Player nach der Schließung eines Pestizid-Werkes verbrannte Erde: jede Menge Altlasten im Boden und im Grundwasser. Jetzt will der Investor HARROW ESTATES trotz der Proteste vieler AnwohnerInnen auf dem verseuchten Gelände eine Wohnsiedlung errichten. Erst nach massivem Druck erklärte das Unternehmen sich zu grundlegenden Sanierungsmaßnahmen bereit. Diese bereiten den HauxtonerInnen nun im wahrsten Sinne des Wortes Kopfschmerzen. Was die Aushub-Arbeiten zu Tage fördern, stinkt nämlich erbärmlich und löst bei vielen Menschen Kopfschmerzen, Rachen-Entzündungen und Atemprobleme aus.

Klimawandel im Geschäftsbericht
In den USA findet der Klimawandel Eingang in die Geschäftsberichte der Konzerne. Die Börsenaufsicht SEC hat BAYER & Co. aufgefordert, mögliche Auswirkungen der Erderwärmung auf die Unternehmenspolitik in ihre Bilanzen aufzunehmen. Wenn nämlich ein Multi etwa besonders viel klima-schädigendes Kohlendioxid ausstößt wie BAYER mit derzeit 7,57 Millionen Tonnen pro Jahr, dann muss er mit umweltpolitischen Maßnahmen rechnen, welche die Gewinne schmälern könnten.

Vassiliadis für Kohlekraftwerke
Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE, hat sich für den Bau von Kohlekraftwerken ausgesprochen und sich damit hinter entsprechende Planungen BAYERs für den Krefelder Chemie„park“ gestellt. Der Kohlendioxid-Ausstoss ist für den Gewerkschaftler kein Problem, da setzt er auf die unterirdische Speicherung, obwohl die Technologie sich noch nicht einmal in der Erprobungsphase befindet.

Antwerpen gegen Kohlekraftwerk
Der Energie-Riese EON plant auf dem Antwerpener Werksgelände von BAYER das größte Kohlekraftwerk der Benelux-Staaten zu errichten. Es kann 1.100 Megawatt Strom im Jahr produzieren - und sechs Millionen Tonnen Kohlendioxid, nicht weniger als zehn Prozent des Gesamtaufkommens in Belgien. Dazu will es der Rat der Stadt aber nicht kommen lassen. Er hat sich wegen der Emission klimaschädlicher Gase und gesundheitsgefährdender Stoffe gegen das Mammutprojekt ausgesprochen.

BAYER gegen Kohlekraftwerk
Ursprünglich wollte der Pharma-Riese in Krefeld den Energiebedarf nicht mit einem Kohlekraftwerk, sondern umweltpolitisch korrekt mit einer Dampf/Kraft/Wärme-Koppelungsanlage decken. „BAYER plant mittelfristig die Errichtung einer Dampf/Kraft/Wärme-Koppelung am Standort Uerdingen“, kündigte die Firma WINGAS in einem Antrag zum Bau von Leitungen an, welche das dafür erforderliche Gas liefern sollten. Aber ein Großteil der Pipelines wurden nie verlegt. Der Leverkusener Multi gab das Projekt nämlich aus Kostengründen auf und setzte auf die etwas billigere und mehr als nur etwas umweltschädlichere Kohlekraft. Heute will der Konzern von den Plänen nichts mehr wissen und leugnet den Zusammenhang von Gas-Verbund und Kraft/Wärme-Koppelung. Das Vorhaben sei nur eines von acht Argumenten für die Leitung gewesen, behauptet Mark Mätschke von der BAYER-Tochter CURRENTA, und für die künftige Energie-Versorgung hätte es damals sogar 19 Optionen gegeben.

Eine Millionen Tonnen CO2 mehr
BAYER hat in den USA eine Salpetersäure-Anlage gekauft, die der Klima-Bilanz teuer zu stehen kommt: Sie stößt im Jahr eine Millionen Tonnen Kohlendioxid aus.

Quecksilber-Ausstoß: 77 Kilogramm
BAYER gehört zu den letzten Chlor-Herstellern, die noch das veraltete Amalgam-Verfahren einsetzen. Nicht zuletzt deshalb fallen hohe Quecksilber-Emissionen an. Im Jahr 2008 betrug der Ausstoß des gefährlichen Schwermetalls 77 Kilogramm, ca. 74 Kilogramm in die Luft und drei Kilogramm in die Gewässer. Nach einer Kleinen Anfrage der Grünen, zu der eine Presse-Information der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN den Anstoß gegeben hatte, musste der Leverkusener Multi die von ihm bislang als vertraulich eingestuften Werte preisgeben. Ob sich die Quecksilber-Bilanz stark verbessert, wenn der Konzern wie angekündigt seine Technologie zur Chlor-Produktion umstellt, bleibt abzuwarten.

Wasserverschmutzer BAYER
Die nordrhein-westfälische Landesregierung beantwortete eine Kleine Anfrage der Grünen (s. o.) und listete auf, was BAYER MaterialScience allein in Krefeld so alles in die Gewässer eingeleitet hat: 100 Kilogramm Stickstoff, 8 Kilogramm Arsen, 105 Kilogramm Chrom, 239 Kilogramm Kupfer, 58 Kilogramm Nickel, 51,5 Kilogramm Blei, 639 Kilogramm Zink (jeweils inklusive Stoff-Verbindungen), sowie 493 Kilogramm Dichlormethan, 3.000 Kilogramm halogenierte organische Verbindungen wie Chlor, Brom und Jod und 133.777 Kilogramm organischen Kohlenstoffs allein im Jahr 2008.

BAYER & Co. wollen AKW-Profite
BAYER & Co. haben ausgerechnet, was den Stromriesen die Laufzeit-Verlängerung für ihre 17 Atomkraftwerke an Extra-Profiten bringt: 66 bis 84 Milliarden Euro. Und von diesem Kuchen wollen die Konzerne etwas abhaben. Mit Verweis auf die im Vergleich zur europäischen Konkurrenz angeblich höheren Energie-Kosten erhebt der bei BAYER für Energie-Politik zuständige Wilfried Köplin Ansprüche auf einen Preis-Nachlass: „Wir erwarten keinen vollständigen Ausgleich unserer Mehrbelastung, sondern eine signifikante Milderung unseres Standort-Nachteils“.

Bt-Gift in Gewässern
BAYER & Co. bauen in ihre Gentech-Pflanzen gern den giftigen Bacillus thuringiensis (Bt) ein, um Schadinsekten zu töten. Allerdings bleibt das Toxin nicht an seinem Bestimmungsort. Wie US-ForscherInnen herausfanden, wird es oft vom Winde verweht und gelangt so in Gewässer, wo es Fische und andere Lebewesen gefährdet. Auch das „Bundesamt für Naturschutz“ und das Land Brandenburg haben die Gefahr erkannt und wollen die Wasserverschmutzung durch Genmais-Streu nun untersuchen.

Radioaktiver Müll von BAYER
Im Pharma-Bereich arbeitet der Leverkusener Multi auch mit radioaktivem Material. Er setzt es beispielsweise bei bildgebenden Diagnose-Verfahren als Marker ein oder verwendet es bei der Therapie von Erkrankungen des Lymphsystems zur Zerstörung befallener Zellen. Am Standort Berlin fielen auch bei Umbau-Maßnahmen strahlende Abfälle an. Die Produktionsrückstände des Konzerns landen regelmäßig im „Helmholtz-Zentrum für Material und Energie“, das dem Land Berlin als Zwischenlager dient, bis es in Salzstöcken verschwindet

Müllkraftwerk in Bitterfeld
Müll heißt jetzt „erneuerbare Energie“ - jedenfalls bei BAYER & Co.. Sie führen ihre Produktionsrückstände nämlich neuerdings gerne Müllkraftwerken zu und nennen das „thermische Verwertung“, weil dabei ein wenig nutzbare Wärme-Energie entsteht. In viel größeren Mengen entstehen jedoch chlorierte Kohlenwasserstoffe, Schwefeldioxid, Kohlendioxid, Feinstaub und andere Substanzen. Aber den Leverkusener Multi stört das nicht. Er betreibt in Brunsbüttel ein Müllkraftwerk, befeuert eines in Bitterfeld und plant in Dormagen ein neues.

CO & CO.

Neue CO-Anlage
Der Leverkusener Multi will in Dormagen eine Kohlenmonoxid-Anlage bauen, um den durch die Erweiterung der TDI-Produktion erhöhten Bedarf zu decken (s. o.). Warum er eine solche nicht auch in Krefeld errichtet und stattdessen eine 67 Kilometer lange Pipeline quer durch Nordrhein-Westfalen legt, weiß nur der Konzern allein. Zudem wird mit dem neuesten Vorhaben BAYERs Argumentation in Sachen „CO-Leitung“ hinfällig. „Bislang wurde das ganze Projekt damit gerechtfertigt, dass die Überschüsse, die in Dormagen entstehen, in der Uerdinger Kunststoff-Produktion dringend benötigt würden und deshalb dorthin geleitet werden müssten. Jetzt braucht man in Dormagen plötzlich mehr CO, als dort zur Zeit überhaupt anfällt. Warum dann noch eine CO-Transportleitung nach Uerdingen mit den unkalkulierbaren Risiken“, fragt Dieter Donner, Koordinator der Anti-Pipeline-Initiativen.

Landtag für CO-Pipeline
Auf Antrag der Grünen stimmte der nordrhein-westfälische Landtag Ende März 2010 nochmals über BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline ab. Eine mega-große Koalition aus CDU, SPD und FDP befürworteten den Bau der 67 Kilometer langen Leitung von Dormagen nach Krefeld. Allerdings gab es ein paar Abtrünnige: Vier CDU-Abgeordnete aus dem Kreis Mettmann und vier SPD-Abgeordnete aus Duisburg gesellten sich zu den Grünen und der Linkspartei und lehnten das Projekt ab.

Bombenreste gefunden
Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte der Firma WINGAS als Bauherr von BAYERs umstrittener Kohlenmonoxid-Pipeline vorgeschrieben, den Boden vor Beginn der Verlegungsarbeiten mit Detektoren nach Fliegerbomben und anderen Kampfmitteln zu durchsuchen. Das Unternehmen kam dieser Aufforderung jedoch nur unvollständig nach, obwohl es schon bei der oberflächigen Untersuchung auf zwei Brandbomben gestoßen war. So begann die Überprüfung erst Ende 2009 - und fördert immer wieder Bedenkliches zu Tage. So gesellten sich im April 2010 den bisherigen Funden - zwei Granaten und zwei 10-Zentner-Blindgänger - zwei Bombenreste und ein Maschinengewehr hinzu.

Feuerwehr kritisiert Sicherheitskonzept
Das „Worst Case Scenario“ des Leverkusener Multis für einen Pipeline-Unfall stößt auf massive Kritik. Die Hochrechnungen zum möglichen Umfang eines Gas-Austrittes kalkulieren extreme Wetterlagen nicht ein, monierte René Schubert von der Ratinger Feuerwehr. Nebelbänke etwa könnten der CO-Wolke zu einer größeren Ausdehnung als 800 Meter verhelfen, gab er zu bedenken. Um dieser zu Leibe zu rücken, haben die Einsatzkräfte dem Experten zufolge nur eine Viertelstunde Zeit - länger schützen die Gas-Masken nicht. Der Konzern hatte eine Stunde zugrunde gelegt, moderne Geräte sollten das nach Ansicht von BAYERs Pipeline-Beauftragtem Werner Breuer ermöglichen. Nur leider seien diese noch gar nicht zugelassen, erklärte Schubert. Auch die mangelhafte Ausstattung der Schieberstationen prangerte er an, so habe das Unternehmen aus Kostengründen auf die Installation von Windmessern verzichtet, weshalb die Feuerwehr bei einem GAU auf den Wetterdienst angewiesen sei. Wolfgang Cüppers von den Pipeline-GegnerInnen der IG ERKRATH reichen die Vorsorge-Maßnahmen ebenfalls nicht. Wenn ein Leck entsteht, machen die Schieberstationen zwar die Schotten dicht und schneiden das betroffene Segment von weiterer CO-Zufuhr ab, allerdings tun sie das nicht automatisch, so Cüppers. Ein BAYER-Beschäftigter müsste erst den Mechanismus auslösen, wodurch im Ernstfall wertvolle Zeit verloren ginge, beanstandete er.

STANDORTE & PRODUKTION

BAYER-Hochhaus keine Leuchte
Der Leverkusener Multi hatte vor, sein altes Verwaltungshochhaus mittels 5,6 Millionen Leuchtdioden zur weltgrößten Medienskulptur umzurüsten, aber „es ward Licht“ will es partout nicht heißen. „Spannungsspitzen“ ließen die Dioden durchbrennen - und zwar gleich reihenweise. Auf Ersatz aus dem fernen Japan wartete BAYER drei Monate lang, und dann begannen erst einmal die Trockentests. Diese verliefen negativ, weshalb der Konzern jetzt alle Lichter austauschen muss. Mit dem großen Kino, das „faszinierende Bildwelten aus der Wissenschaft“ erschließt, dürfte es also noch eine Weile dauern. Einstweilen bleibt das Gebäude ein Geisterhaus. Zur Freude des Klimas, denn die Lichtkunst frisst 1.800 Kilowattstunden Strom pro Tag.

Krefeld: Neue Chlor-Produktion
Während viele mittelständische Betriebe ihre Chlor-Herstellung bereits seit einiger Zeit auf das Membran-Verfahren umgestellt haben, bei dem kein giftiges Quecksilber als Produktionsrückstand mehr anfällt, sperrte BAYER sich lange gegen die Neuerung. Aber mit Subventionen vom Forschungsministerium konnte der Leverkusener Multi jetzt auch die Veränderung stemmen und kündigte die Errichtung einer Fertigungsstätte an. Dafür hat der Konzern gemeinsam mit dem Anlagenbauer UHDE und der RWTH Aachen das Membran-System mittels Sauerstoff-Verzehrkathoden so weiterentwickelt, dass zur Einspeisung des zur Elektrolyse benötigten Sauerstoffs weniger Energie erforderlich ist als bisher üblich.

Öl-Kosten: 1,3 Milliarden Euro
Die zur Neige gehenden fossilen Rohstoffe machen den Unternehmen zunehmend Sorge, weshalb ihr Druck auf die Politik zunimmt, die Ressourcen-Versorgung sicherzustellen, notfalls auch militärisch (SWB 1/10). Der Leverkusener Multi kann seinen Bedarf noch ca. 20 Jahre decken, prognostizieren die Konzern-StrategInnen. Er muss aber schon jetzt beträchtliche finanzielle Mittel dafür aufwenden. Nach Angaben von BAYER-Chef Werner Wenning auf der diesjährigen Hauptversammlung gab der Konzern im Geschäftsjahr 2009 1,3 Milliarden Euro für Öl aus.

IMPERIUM & WELTMARKT

Der Osten leuchtet
Für BAYER & Co. leuchtet der Osten. Auf der „Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft“, an der auch BAYER-VertreterInnen teilnahmen, sprachen die Manager angesichts der steigenden Exporte in diese Weltregion von einem „pazifischen Jahrhundert“. Um dafür gerüstet zu sein, müssten die Konzerne jedoch noch an ihrer Wettbewerbsfähigkeit feilen, so Monika Stärk vom „Ostasiatischen Verein“. Das „Jahrhundert der Beschäftigten“ dürfte das 21. angesichts der damit verbundenen Rationalisierungsmaßnahmen also kaum werden.

Condon neuer Chef von BAYER VITAL
Der Leverkusener Multi hat den Iren Liam Condon zum neuen Chef von BAYER VITAL ernannt. Er löst damit Hans-Joachim Rothe ab, der die Sparte für frei verkäufliche Arzneimittel seit 1999 geleitet hatte und zum Jahreswechsel in den Ruhestand trat.

Kooperation mit PROMETHEUS
BAYER hat mit dem US-amerikanischen Biotech-Unternehmen PROMETHEUS einen Kooperationsvertrag unterzeichnet (siehe GENE & KLONE).

BAYER kauft ARTIFICIAL MUSCLE
Der Leverkusener Multi hat die US-Firma ARTIFICIAL MUSCLE übernommen

[HV Reden] STICHWORT BAYER 02/03 2010

CBG Redaktion

Pharma-Opfer auf BAYER-HV

„Lassen Sie keine jungen Frauen mehr sterben!“

15 KritikerInnen machten die BAYER-Hauptversammlung am 30. April 2010 zu einem Tribunal gegen die menschenverachtende Unternehmenspolitik. Besonders viel Belastungsmaterial lieferten dabei die Anklageschriften der Pharma-Opfer.

Von Jan Pehrke

Die Geschäftspolitik BAYERs misst sich in Zahlen. All das, was sich nicht in Ziffern von 0 bis 10 ausdrücken lässt, findet keinen Eingang in die Bilanz. So gibt es kein Register für die Risiken und Nebenwirkungen profit-orientierten Wirtschaftens. Die Produktion von Kunststoff und die Produktion von klima-schädigendem Kohlendioxid, die Produktion von Pestiziden und die Produktion von Vergifteten, die Produktion von Arzneistoffen und die Produktion von Pharma-Opfern - das führt der Geschäftsbericht nicht zusammen auf, obwohl es zusammen gehört.

Nur die alljährliche Hauptversammlung eröffnet die Möglichkeit zu dieser Art der doppelten Buchführung. Allerdings nicht ganz freiwillig und entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung. Aber wer immer im Gewande eines Aktionärs auftritt, der kann eine ganz andere „Soll und Haben“-Rechnung aufmachen. Und so zwingt ausgerechnet das Aktienrecht den Konzern-Vorstand dazu, den Opfern ihres Gewinnstrebens ins Gesicht zu sehen.

Darum mussten die Manager am 30. April den Anblick von Felicitas Rohrer ertragen. Die Tiermedizinerin hatte nach der Einnahme des Kontrazeptivums YASMINELLE eine Lungenembolie erlitten und wäre daran fast gestorben. Die Verhütungsmittel, die BAYER-Chef Werner Wenning in seiner Eröffnungsrede als Beispiel für Konzern-Entwicklungen pries, „die die Therapie in ihrer jeweiligen Indikation revolutioniert haben“, hat die 25-jährige am eigenen Leib so erlebt: „Am 11. Juli 2009 war ich zufällig mit meinem Freund in Freiburg. In der dortigen Universität wurde mir plötzlich schwindlig, bevor ich ohnmächtig zusammengesackt bin. Mein Freund konnte mich gerade noch auffangen, und es gelang ihm nach einiger Zeit, mich aus der Ohnmacht zurückholen. Aber ich hatte furchtbare Schmerzen, ein enormes Druckgefühl auf dem Oberkörper, und ich konnte kaum noch atmen (...) Der Notarzt ließ mich sofort in die Uniklinik einliefern. Dort haben im Schockraum bereits etwa fünfzehn Ärzte auf mich gewartet. Mir wurden die Kleider vom Leib geschnitten. Die Schmerzen wurden so stark, dass ich nicht mehr liegen bleiben konnte. Dann weiß ich bis zum nächsten Tag nichts mehr“.

„Doppelte Lungenembolie“ war die Diagnose und die Prognose entsprechend düster: Die ÄrztInnen bezeichneten das Überleben der jungen Frau als ein Wunder. Allerdings ist Felicitas Rohrer schwer gezeichnet. Ihre Venen transportieren das Blut nicht mehr richtig, weshalb sie Stützstrümpfe tragen und einmal die Woche zur Lymph-Drainage muss. Herz und Lunge arbeiten nur noch eingeschränkt, und Narben überziehen den Körper. Ihren erlernten Beruf als Tierärztin kann sie nicht ausüben, und auch ihren Kinderwunsch musste sie begraben. „Ich stand mitten im Leben, und ihre Pille hat mich da herausgerissen, mir Qualen und unerträgliche Schmerzen zugefügt und mich geschädigt hinausgespuckt in ein neues Leben“, klagte Felicitas Rohrer an.

Es war eine Pille, der BAYER in der Werbung allen Anschein eines Medikamentes genommen hatte. Als Lifestyle-Präparat mit angeblich hautfreundlicher und gewichtsneutraler Wirkung pries der Konzern sein Produkt an. Am Anfang ihrer Rede zitierte Felicitas Rohrer diese Reklamesprüche, weil es gerade dieser „Feel-Good-Faktor“ war, der ihr zum Verhängnis wurde. YASMINELLE & Co. entziehen dem Körper wegen des in Aussicht gestellten „Figur-Bonus‘“ nämlich Wasser, was das Blut verdickt und das Thrombose-Risiko erhöht. „Wann werden Sie etwas unternehmen und die Pillen der dritten und vierten Generation vom Markt nehmen“, fragte das Pharma-Opfer deshalb und appellierte an den Vorstand: „Lassen Sie keine jungen Frauen mehr sterben. Mein Leben haben Sie schon zerstört!“.

Und Felicitas Rohrer ist kein Einzelfall. Dafür stand an diesem Tag Kathrin Weigele. „Ich bin heute hier, um auch anderen Betroffenen ein Gesicht zu geben“, erklärte sie auf dem RednerInnen-Pult und berichtete den AktionärInnen, auf welche Weise sie im Alter von 24 Jahren durch die Pille YASMIN ebenfalls beinahe aus dem Leben gerissen wurde. Die Frauenärztin hatte ihr die Pille wegen der angeblich positiven Effekte auf Haut und Gewicht empfohlen. „Die Folgen dieser Entscheidung: eine schwere beidseitige Lungenembolie, durch die sich ein lebensgefährlicher Lungenhochdruck entwickelte, sowie eine damit verbundene Rechtsherz-Belastung mit der Gefahr akuten Herzversagens“, so Weigele. Die angehende Juristin, die ebenso wie Felicitas Rohrer noch immer an der Nebenwirkung „Lungenembolie“ zu leiden hat, zitierte eine Vielzahl von Studien und Untersuchungen als Beleg für die besondere Gefährlichkeit der Mittel aus der YASMIN-Familie und wollte vom Vorstand wissen: „Wie können Sie angesichts solcher Ergebnisse weiterhin von einem positiven Nutzen-/Risikoprofil von YASMIN ausgehen? Wie erklären Sie sich dann, dass nun auf Veranlassung europäischer Arzneimittelbehörden sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland der Beipackzettel geändert (...) werden muss?“. Mit der Aufforderung an die BAYER-Manager, auf die Betroffenen zuzugehen und sie bei der Problem-Bewältigung zu unterstützen, beendete Kathrin Weigele ihre Rede.
Aber nicht nur die Verhütungsmittel, auch andere Pharma-Produkte des Multis haben es in sich. Der Engländer John Santiago führte das der Hauptversammlung eindrucksvoll vor, indem er auf die Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Konzerns hinwies, ganz ohne die Sprach-Barriere überwinden zu müssen. Santiago deutete auf die Bühnendekoration mit dem weithin sichtbaren BAYER-Leitsatz „Science for a better life“ und hielt dann seine Hand mit zwei Finger-Stümpfen hoch. Diese Missbildung rührt von dem hormonellen Schwangerschaftstest PRIMODOS der heute zu BAYER gehörende Firma SCHERING her, den seine Mutter Ende der 60er Jahre verwendete. Tausende Babys starben dadurch unmittelbar nach der Geburt, wenn sie nicht schon im Mutterleib verendeten oder kamen mit schweren Missbildungen zur Welt. „Wann wird BAYER SCHERING die Verantwortung für diesen Fehler übernehmen?“, fragte der Brite die Vorstandsriege und forderte eine Entschädigung der Opfer.

Eine solche verlangte ebenso - wie bereits im letzten Jahr - der PRIMODOS-Geschädigte Karl Murphy von der ASSOCIATION OF CHILDREN DAMAGED BY HORMONE PREGNANCY TESTS. Nach seinem Auftritt auf der Hauptversammlung 2009 hatte der Pharma-Riese Murphy gebeten, ihm Dokumente zu seinem Fall zuzusenden. Das tat der Engländer auch - geschehen ist aber bislang nichts. Dafür wollte der 37-Jährige, der wie John Santiago deformierte Gliedmaßen hat, nun eine Erklärung. Zudem legte er der Hauptversammlung neues Beweismaterial vor. So entsprach die Hormon-Dosis von PRIMODOS derjenigen von zwei bis drei Packungen Antibaby-Pillen. „Was würden Sie sagen, wenn ihr Doktor Ihnen zwei bis drei Packungen Antibaby-Pillen als Schwangerschaftstest verschreiben würde?“, fragte der Liverpooler Wenning & Co. und wartete die Reaktion nicht ab: „Ich denke, wir alle kennen die Antwort. Nur die Verantwortlichen von BAYER beharren darauf, dass diese Hormon-Menge unbedenklich für den Fötus ist“. Und BAYER tut das nicht nur entgegen der Urteile des „British Committee on Safety of Medicines“ und großer Studien, sondern sogar in Verleugnung des eigenen Beipackzettels. Darauf heißt es laut Murphy nämlich: „Es besteht die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen der Verwendung von PRIMODOS in der frühen Schwangerschaft und einer erhöhten Gefahr von Fehlbildungen. Wegen dieser möglichen Folgen darf PRIMODOS nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden.“

Die Existenz eines solchen Beipackzettels bestritt Werner Wenning nicht, wohl aber dessen Aussage. SCHERING habe den Warnhinweis 1975 auf Drängen der Behörden ergänzt, „obwohl das Unternehmen nicht der Auffassung war, dass ein Zusammenhang zwischen PRIMODOS und den Fehlbildungen besteht“, so der BAYER-Chef. Und dieser Auffassung ist der Vorstandsvorsitzende auch heute noch nicht. Er sagte Karl Murphy auf den Kopf zu: „Wir schließen PRIMODOS als Ursache für Ihr Leiden aus“. Für das Wenning ihm ansonsten sein Mitgefühl aussprach. „Wir haben Ihnen schon im vergangenen Jahr deutlich gemacht, wie sehr wir ihr Schicksal bedauern“, erklärte der BAYER-Boss.

Nach diesem Schema - salbungsvoll-verbindlich in der persönlichen Ansprache, unnachgiebig in der Sache - waren auch die Antworten auf die Fragen der anderen Pharma-Opfer gestrickt. „Lassen Sie uns zuerst sagen, wie sehr wir Ihr Schicksal bedauern“, bekam John Santiago zu hören - und gleich danach eine Ableugnung der fatalen Nebenwirkungen des Schwangerschaftstests. Das Schicksal Kathrin Weigeles machte den BAYER-Chef ebenfalls betroffen. Er fing sich allerdings schon recht bald wieder und stellte klar, „dass nicht feststeht, ob die Erkrankung wirklich auf unser Produkt zurückzuführen ist oder nur ein zeitlicher Zusammenhang besteht“. An den von ihr angeführten Untersuchungen zum erhöhten Lungenembolie-Risiko der YASMIN-Pille zweifelt Wenning nach wie vor, während er nicht einsehen will, warum an den entlastenden Ergebnissen einer Studie zu zweifeln ist, die BAYER selbst in Auftrag gegeben hat: „Die Validität wird dadurch in keinster Weise berührt“. In der „Aktualisierung“ der Packungsbeilage mochte er so wenig wie im Fall „PRIMODOS“ ein Schuldeingeständnis sehen. In seiner Reaktion auf die Rede Felicitas Rohrers gestattete sich Werner Wenning vorab gleichfalls einige persönliche Worte über die Last von Krankheiten, aber seine Anteilnahme überdauerte dann nicht mal den Satz. „Ich verstehe sehr gut, dass Sie Antworten suchen“, setzte er an, um der Frau dann zu erklären, „dass Sie die Antwort hier nicht finden können“. Hier hieß es nämlich: „Wir stehen hinter der YAZ-Familie“ und „Das positive Nutzen/Risiko-Profil besteht unverändert fort“. Darum versicherte der Große Vorsitzende seinen AktionärInnen auch, mit Nachdruck daran arbeiten zu wollen, den Trend umzukehren, der - durch die Negativ- Schlagzeilen ausgelöst - vor allem in den USA zu massiven Umsatzeinbußen für YASMIN & Co. geführt hat.

Freundliche Unterstützung erhielt Wenning dabei von der Betriebsrätin des Wuppertaler Pharma-Werkes, Gudrun Kiesler. Die Chemie-Gewerkschaftlerin bekannte sich in der AktionärInnen-Versammlung eindeutig zu den Pillen, sprach den Entlastungsstudien blind ihr Vertrauen aus und bezeichnete die Krankengeschichten Felicitas Rohrers und Kathrin Weigeles als bedauerliche Einzelfälle. Von Felicitas Rohrer nach ihren Einlassungen zur Rede gestellt, beschied Kiesler den Pharma-Opfern allen Ernstes, sie hätten sich ja vorher über die Risiken und Nebenwirkungen des Medikamentes informieren können.
Es war an Axel Köhler-Schnura von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), diesen erbärmlichen Akt der Sozialpartnerschaft öffentlich zu geißeln. „Was die Betriebsrätin aus dem BAYER-Werk Wuppertal, Frau Kiesler, vorhin hier am Mikrofon angesichts des Leids der Opfer von YASMIN und deren Angehörigen von sich gegeben hat, und das auch noch im Wissen um die weltweiten Schlagzeilen zum BAYER-Medikament LIPOBAY, die vielen Todesopfer von ASPIRIN und die tödlichen BAYER-Bluter-Pharmazeutika, für das gibt es leider nur einen Kommentar: Unterste Schublade!“

Damit demonstrierte der CBG-Vorständler auch gleich, dass es sich bei den jüngsten Pharma-GAUs nicht um Einzel-Ereignisse handelt, sie vielmehr in einer langen, vom Profitstreben begründeten Tradition stehen. Aus dieser Erfahrung heraus wusste er bereits, wie Wenning auf die Reden der Opfer reagieren würde und kritisierte das im Vorgriff äußerst treffend: „Und noch schändlicher ist es, Herr Wenning, wenn der Konzern das Ganze noch regelmäßig toppt, indem er nach Eintritt der Schadens- und Todesfälle jede Verantwortung leugnet, die Opfer oftmals sogar verhöhnt und Entschädigungen für die Opfer und deren Angehörigen grundsätzlich verweigert“.

Das tat der Konzernlenker nicht nur in Sachen „YASMIN“ und „PRIMODOS“. Zwischenfälle bei aus Kostengründen in die „Dritte Welt“ verlegten Arzneimitteltests leugnete er schlichtweg ab. Den Imkern Christoph Koch und Manfred Gerber gegenüber, die über die Verluste Tausender Bienenvölker durch BAYER-Pestizide klagten, brachte er wieder den Textbaustein „Es besteht kein Zusammenhang zwischen ...“ in Anschlag. Auch die Rede Antje Kleine-Wiskotts vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE veranlasste ihn nicht dazu, seine Meinung über die Gefährlichkeit der Ackergifte zu ändern: „Wir sind davon überzeugt, dass unsere Produkte sicher sind“. Und Warnungen vor den Risiken und Nebenwirkungen neuer Projekte wie der geplanten Kohlenmonoxid-Pipeline und der unlängst in Betrieb genommenen Nanotechnologie-Pilotanlage hielt er für gegenstandlos.

Dank soviel Ignoranz und Gnadenlosigkeit musste Axel Köhler-Schnura die Jubelarien konterkarieren, die Werner Wenning zu seinem Abgang nach acht Jahren als Vorstandsvorsitzender gewidmet wurden. „Herr Wenning, ich kann nur sagen, Sie mögen sich für die Profite des Konzerns einen Namen gemacht haben, aber für die Belegschaften, für die Allgemeinheit und für die Umwelt haben Sie großen Schaden angerichtet“, bilanzierte Köhler-Schnura. Und Wennings Nachfolger Marijn Dekkers forderte der Diplom-Kaufmann zu einer Umkehr auf: „Andernfalls, Herr Dekkers, können Sie sich zwar im goldenen Schein der Profite sonnen, aber Sie werden den Zorn und die Wut der Beschäftigten, der Menschen und der Kinder und Enkel auf sich ziehen“.

Kritische AktionärInnen belasten Vorstand

BAYER in der Defensive

Nicht nur im Konzernbereich „Pharma“ bot der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2009 reichlich Anlass zur Kritik. Auch in den Segmenten „Material Science“ und „Crop Science“ tat sich so einiges. Von der Kohlenmonoxid-Pipeline und bienenvergiftenden Pestiziden über geplante CO2-Dreckschleudern und nicht sicherheitsüberprüfte Nano-Anlagen bis zu umstrittenen Gentechnik-Vorhaben reichte die Mängelliste der GegenrednerInnen.

Von Jan Pehrke

Den prominentesten Platz in den Reden der Konzern-KritikerInnen nahm wieder einmal die geplante Kohlenmonoxid-Leitung von Dormagen nach Krefeld ein. Gleich in fünf Stellungnahmen fand die „verflixte Pipeline“, wie sie Dieter Donner zufolge BAYER-intern mittlerweile genannt wird, Eingang. Für den Presse-Koordinator der Bürgerinitiative STOPP BAYER-CO-PIPELINE lässt schon das Ausmaß des Pfusches am Bau Böses über die Sicherheitslage bei einer möglichen Inbetriebnahme ahnen. So hat der Leverkusener Multi an 36 Stellen dünnere Rohre als ursprünglich vorgesehen verwendet, an zehn Stellen anderen Stahl als beantragt verbaut und an über 80 Stellen einen anderen Trassenverlauf als genehmigt gewählt. Zudem versäumte er es, das Gebiet sorgfältig nach Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg zu durchsuchen. Aber nicht nur diese „Ungereimtheiten“ sind es, die Donner gegen das Projekt einnehmen. Er zweifelte generell an dessen Sinnhaftigkeit, zumal das Unternehmen 2004 einen langfristigen Vertrag über CO-Lieferungen mit LINDE abgeschlossen hat, widersprüchliche Aussagen über die angeblich dringend abzuleitenden Kohlenmonoxid-Überkapazitäten in Dormagen macht und den Stoff am Standort Leuna direkt vor Ort produziert. „Warum meinen BAYER und LINDE jetzt in Uerdingen alles anders machen zu können und wollen partout das giftige CO-Gas von LINDE 67 Kilometer durch dichtest besiedeltes Gebiet leiten?“, fragte er den Vorstand.

Was bei diesem Unternehmen schon im Falle einer kleinsten Leckage droht, malte Marlis Elsen der Hauptversammlung aus: „Bei einem 54 Millimeter großen Loch wird (...) mit bis zu fünf Tonnen Gas-Austritt und einer Gaswolke in Form einer Keule von 800 Metern gerechnet“. Die Vertreterin der AnwohnerInnen-Initiative FAMILIENHEIM-SIEDLUNG LEHMKUHLER WEG verstand ebenso wenig wie Dieter Donner, warum der Multi nicht einfach eine CO-Anlage in Uerdingen baut, äußerte aber eine Vermutung. Auf eine Interview-Aussage von BAYER-Sprecher Jörg Brückner Bezug nehmend, wonach der Global Player den Leitungsverbund brauche, um „Reserven einzuspielen“, mutmaßte sie, der Multi wolle die Pipeline aus wirtschaftlichen Gründen als Speicher zur CO-Vorratshaltung nutzen. Für Elsen ein unakzeptables Vorgehen: „Wann endlich begreift der Konzern, dass es nicht darum geht, ob BAYER eine Vernetzung der Standorte braucht oder Wettbewerbsnachteile hat? Es geht darum, dass die Erhöhung der Profite durch diesen Wettbewerbsvorteil auf Kosten unserer Sicherheit erfolgt“.

Und noch dazu klammheimlich. Harald Jochems vom NIEDERRHEINISCHEN UMWELTSCHUTZVEREIN prangerte die desaströse Informationspolitik von BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) an, welche die AnwohnerInnen im Unklaren über die Risiken des Giftgas-Verbundes lasse und damit den Vorschriften der Störfall-Verordnung zuwiderlaufe.

Nach Ansicht von Rainer Kalbe ist ein Konzern, der seine Absichten mit solchen Mitteln „auf Teufel komm raus“ gegen den - hunderttausendfach auf Unterschriftenlisten dokumentierten - Widerstand der Bevölkerung verfolgt, schon von vornherein auf dem Holzweg. „Vielleicht ist es auch so, dass nicht die mehr als 110.000 Menschen in diesem Lande industriefeindlich sind, sondern ein Konzern, der so handelt, menschenfeindlich ist?“, stellte er in den Raum. Eine ehrliche Antwort darauf erwartete Kalbe, der wie Dieter Donner der Bürgerinitiative STOPP BAYER-CO-PIPELINE angehört, ebenso wenig wie auf seine anderen Fragen. Das hatte ihn die letzte AktionärInnen-Versammlung gelehrt. Hatte BAYER-Chef Werner Wenning ihm dort doch versichert: „BMS ist bei dem in die Kritik geratenen Projekt stets nach geltendem Recht vorgegangen“, während zeitgleich wenige Kilometer Luftlinie entfernt das Düsseldorfer Verwaltungsgericht zahlreiche Verstöße gegen den genehmigten Bauplan festgestellt hatte. Diese Erfahrung veranlasste den Aktivisten, auf eine Stellungnahme Wennings zu verzichten. „Sie brauchen Ihre Mitarbeiter hinter der Bühne nicht zu bemühen. Wissen Sie, ich habe einfach keinen Bock mehr auf Märchenstunden“, mit diesen Worten beschloss Kalbe seinen Vortrag.

Werner Wenning nahm das Angebot gerne an. Seine Ausführungen zu den Reden der anderen Pipeline-GegnerInnen zeigten dann, dass Kalbe nicht allzu viel entging. „CO ist kein ungefährliches Gas“, räumte der Ober-BAYER ein, um dann aber flugs zu ergänzen: „Entscheidend ist der richtige Umgang“. Und den pflegt BAYER seiner Meinung nach. Die Sicherheit habe für den Konzern nach wie vor oberste Priorität, bekräftigte Wenning. Daran änderten für ihn auch die Verwendung anderer Stahlsorten und die paar Umwege in der Streckenführung nichts, schließlich habe der TÜV das abgesegnet. „Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass es im Industrieland NRW möglich sein muss, eine solche Pipeline zu bauen und zu betreiben“, sagte der Konzern-Chef und betete das Pipeline-Mantra herunter: „Sie ist symbolträchtig. Sie dient dem Allgemeinwohl. Sie dient dem Standort“.

Unsichere Anlagen
Ebenfalls über alle Zweifel erhaben wähnte Wenning ein anderes Bau-Vorhaben, das in Krefeld von TRIANEL auf dem BAYER-Gelände geplante Kohlekraftwerk, ein kalkulierter Kohlendioxid-Ausstoß von 4,4 Millionen Tonnen änderte daran nichts. Dabei setzte der Leverkusener Multi ursprünglich auf eine umweltschonendere Art der Strom-Gewinnung, wie Harald Jochems dokumentierte. Er zitierte aus einem Planfeststellungsbeschluss, wonach BAYER an dem Standort eine Gas/Wärme-Koppelungsanlage errichten wollte, um „zu einer nachhaltigen Reduzierung der CO2-Emissionen“ zu kommen. Aber letztendlich wählte das Unternehmen die etwas billigere - und umweltschädlichere Alternative. „Hat BAYER die Umstellung auf eine gas-basierte Energie-Erzeugung aufgegeben?“, wollte der Architekt deshalb wissen. Wenning verneinte: Kohle habe am Energiemix des Unternehmens nur einen Anteil von 20 Prozent, Gas hingegen einen von 80 Prozent. Das hörte sich überzeugend an, entsprach aber leider nicht den Angaben des eigenen Nachhaltigkeitsberichts. Nach den dort veröffentlichten Zahlen für die selbst produzierte Energie beträgt das Kohle-Kontingent ca. 37 Prozent!

Den Gefahren eines von BAYER bereits realisierten Großprojektes, eine Produktionsstätte für Nano-Röhrchen namens BAYTUBES, widmete sich Claudia Baitinger vom BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ DEUTSCHLAND (BUND). Obwohl auch diese „Zukunftstechnologie“ mit vielen Risiken behaftet ist - so gibt es Hinweise auf eine asbest-ähnliche Wirkung der Nano-Röhrchen - blieb der Fabrik eine Umweltverträglichkeitsprüfung erspart. Der Multi hatte sie kurzerhand als Pilotanlage deklariert und musste deshalb nur die Auflagen des Baurechts erfüllen. Ein Etikettenschwindel, wie Baitinger befand. Über einen bloßen Testlauf ist das Nano-Werk mit einer Kapazität von 200 Jahrestonnen nämlich bereits weit hinaus. Die Sprecherin des BUND-Landesarbeitskreises „Technischer Umweltschutz“ zitierte dazu aus der Eröffnungsrede Werner Wennings und aus einer Konzern-Veröffentlichung, in der es hieß: „Vor diesem Hintergrund hat BAYER MATERIAL SCIENCE bereits früh die Weichen für eine industrielle Herstellung von BAYTUBES gestellt“. Claudia Baitinger zählte mit dem Arbeitsschutz- und Chemikalien-Gesetz, der Gefahrstoff-, Altstoff- und der Biozidmelde-Verordnung, der EU-Biozid- und Arbeitschutzrichtlinie die Regelungen auf, die laut „Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ im Umgang mit Nano-Materialien zu beachten sind, und fragte anschließend: „Sind die Verantwortlichen wirklich davon überzeugt, dass das alles im Baurecht abzuhandeln ist?“. Und wie nicht anders zu erwarten, waren sie das. „Die Anlage läuft auf höchstem Sicherheitsniveau“, konstatierte Wenning und bezeichnete das Vorgehen des Unternehmens bei der Genehmigung als „gesetzeskonform“.

Just dieses „höchste Sicherheitsniveau“ hatte der BAYER-Chef 2008 trotz der von CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes präsentierten Mängelliste auch der Anlage im US-amerikanischen Institute bescheinigt, bis es wenige Monate später zu einer Explosion mit zwei Toten kam. Wären die durch die Luft wirbelnden Teile in die Lager mit der Bhopal-Chemikalie Methylisocyanat (MIC) eingeschlagen, hätte sich die indische Katastrophe von 1984 wiederholen können. „Ganz so unbegründet waren unsere Forderungen also offenbar doch nicht“, stellte Mimkes deshalb jetzt fest. Die nach dem großen Knall eingeleiteten Veränderungen bezeichnete er als einen Schritt in die richtige Richtung; sie gingen ihm allerdings nicht weit genug. Statt einer Reduzierung der auf dem Werksgelände vorgehaltenen MIC-Bestände um 80 Prozent verlangte er eine Umstellung auf Verfahren, die ohne die gefährliche Chemikalie auskommen. Das war mit Wenning allerdings nicht zu machen. Er zählte dem CBGler zwar „weitreichende Maßnahmen“ auf, die BAYER nach dem Unglück zur Verbesserung der Anlagensicherheit durchgeführt hat, diese spezielle erschien ihm dann aber doch zu weitreichend.

Mehr oder weniger weitreichende Maßnahmen dürften auch im thailändischen Map Ta Phut auf den Pharma-Riesen zukommen. Im dortigen Chemie-Park hat die Regierung wegen der hohen Umweltbelastungen nämlich über 60 Fabriken geschlossen und zwei Erweiterungsbauten des Leverkusener Multis gestoppt.

Unsichere Genpflanzen
Vor den Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen hatten Konzern-KritikerInnen den Global Player ebenfalls frühzeitig gewarnt. Auf der Hauptversammlung von 2004 hatte Geert Ritsema von FRIENDS OF THE EARTH EUROPE ein ganzes Bündel von Nebenwirkungen von BAYERs Genreis aufgezählt wie die Bedrohung der Artenvielfalt, erhöhte Pestizid-Ausbringungen und Einkreuzungen in andere Sorten. Der Konzern ignorierte diese Hinweise jedoch - und sah sich 2006 mit dem größten Gen-GAU der Nuller-Jahre konfrontiert: Die haus-eigene Zucht war weltweit in Supermärkten aufgetaucht, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nirgendwo eine Zulassung für die Laborfrucht vorlag. Aber auch aus diesem Schaden wurde das Unternehmen nicht klug, wie Mimkes kritisierte. Trotz Verurteilungen zu Schadensersatz von über 50 Millionen Dollar an LandwirtInnen, deren Ernte durch den Genreis kontamiert wurde, hält der Leverkusener Multi an seinem Produkt fest. In Russland, Kanada, Argentinien und Brasilien wächst es auf den Feldern, die Philippinen und Südafrika lassen Einfuhren zu, und auch den entsprechenden EU-Antrag zieht BAYER nicht zurück, so rapportierte Wenning Mimkes den Stand der Dinge.

Pleiten, Pech und Pannen dieser Art stellen natürlich eine Herausforderung für die PR-Abteilung des Global Players dar. Aber warum sich die Werbe-Kosten auf fast acht Milliarden Euro belaufen, leuchtete Philipp Mimkes trotzdem nicht ein. Weil er Investitionen im Graubereich wie die Finanzierung von Pharma-ReferentInnen, ÄrztInnen-Kongressen und Anwendungsstudien dahinter vermutete, erbat er eine genaue Aufstellung. Diese konnte seinen Verdacht dann nicht widerlegen, sprach Wenning doch von einem „hohen Betreuungsaufwand“ angesichts der fast 300.000 MedizinerInnen, die es auf die BAYER-Arzneien einzustimmen gelte und großem Bedarf an „Aufklärung“. Den sah der scheidende Vorsitzende in Sachen CO2-Emissionen des in Krefeld geplanten Kohlekraftwerkes nicht. Wiederum betrachtete der BAYER-Chef sich als nicht zuständig und beschied Mimkes, sich an den Bauträger zu wenden.

Die Zuständigkeit für die vom Verfasser dieser Zeilen auf die Tagesordnung der Hauptversammlung gesetzten Verlagerung von Arzneitests in die Länder der „Dritten Welt“ (siehe auch Seite ) bestritt der Konzern-Lenker dagegen nicht. Ein großes Reservoir an armen und deshalb auf Geld angewiesenen ProbandInnen, unschlagbare Preise und eine mangelnde Aufsicht - diese Standortvorteile locken den Pillen-Produzenten dort. Über die Risiken und Nebenwirkungen für die Versuchspersonen schwieg Wenning sich in seiner Antwort auf den Beitrag allerdings aus. Er begnügte sich mit allgemeinen Ausführungen zu hohen Qualitätsmaßstäben, ständigen Kontrollen und versicherte: „Die Einhaltung von Gesetzen ist selbstverständlich“.

Unsichere Pestizide
Die Risiken und Nebenwirkungen von BAYERs Pestizid-Produktion schilderten der Imker Christoph Koch vom BERUFS- UND ERWERBSIMKERBUND und Manfred Gerber vom UMWELTBUND. Die Agrochemikalien stellen nämlich eine existenzielle Bedrohung für die von Gerber als „Leittier einer intakten Kulturlandschaft“ bezeichnete Biene dar. So hat die Saatgut-Beize PONCHO vor zwei Jahren am Oberrhein 12.500 Bienenvölker vergiftet, weshalb in vielen Ländern Verbote erfolgten und hierzulande die Zulassung für Mais-Kulturen einstweilen ruht. Während gesprühte Agrochemikalien bloß die Oberflächen der Pflanzen treffen, dringt PONCHO als „systemisches Pflanzenschutzmittel“ vom Boden her in jede Pore ein. Das „bereitet Bienenzüchtern und Naturschützern auf der ganzen Welt größte Sorgen und ist verantwortlich für einen der größten Umweltskandale durch die chemische Industrie in dieser Dekade“, konstatierte Gerber. Der Leverkusener Multi hatte das auf der letzten Hauptversammlung erwartungsgemäß anders gesehen und auf technische Fehler beim Beiz-Prozess, veraltete Sämaschinen und das Wirken der Varroa-Milbe verwiesen. Nun kam es aber 2009 in Österreich zu neuen Vergiftungen, obwohl die LandwirtInnen beste Beizen und Sägeräte verwendet hatten und weit und breit keine Varroa-Milbe zu sehen war. Darüber verlangte Christoph Koch vom Management Aufschluss: „Nun frage ich Sie, wie Sie sich diese Vergiftungen von 2009 in Österreich erklären können?“. Für ihn selber war der Fall klar: BAYER hat den Wirkstoff nicht im Griff. Dieser Meinung schloss sich Manfred Gerber an. „Um in Zukunft ein großflächiges Aussterben der Bienen und des Nutzinsektenbestandes und ein damit verbundenes Artensterben zu verhindern, fordern wir daher das sofortige Verbot aller systemischen Pestizide, denn diese Erde gehört nicht uns, wir haben sie von unseren Nachkommen geliehen“, lauteten seine Schlussworte. Aber Wenning antwortete in der Manier eines Herren der Welt und wies alle Anschuldigungen von sich. Wiederum waren sich ihm zufolge die ExpertInnen einig, dass die inkriminierten Zustände am Oberrhein, in Österreich und anderswo alle möglichen, bloß keine BAYER-spezifischen Ursachen haben.

Antje Kleine-Wiskott vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE widmete sich ebenfalls den Mensch, Tier und Umwelt gefährdenden Ackergiften und wollte vom Vorstand wissen, warum er entgegen aller Versprechen seine Agro-Chemikalien der höchsten Gefahrenklasse immer noch nicht vom Markt genommen hat. Diese Unterlassung war für sie allerdings nur ein Beispiel dafür, wie wenig ernst das Unternehmen es mit seinem Bekenntnis meint: „Wir wollen Nachhaltigkeit erreichen - in allem, was wir tun“. Auch das Setzen auf klima-schädliche Kohlekraftwerke und auf eine die Artenvielfalt bedrohende industrielle Landwirtschaft, der immense Wasserverbrauch und der wenig Verantwortung für das Allgemeinwesen erkennen lassende ständig schrumpfende Steuer-Beitrag zeigten für Kleine-Wiskott, wie groß die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist. Die Antworten Wennings konnten den Abstand nicht verringern. An das 1995 gemachte Versprechen bezüglich der chemischen Keulen erinnerte er sich nicht, lediglich an eine Ankündigung, diese „schrittweise durch Präparate mit geringerer Giftigkeit zu ersetzen“. Da sei man halt immer noch dabei, einen Fuß vor den anderen zu setzen, weil es keine „Schwarz/Weiß-Lösung“ gäbe, erläuterte der BAYER-Chef. Seine Einlassungen zu den anderen angesprochenen Punkten fielen nicht überzeugender aus, so dass Kleine-Wiskotts Paraphrasierung der Nachhaltigkeitsmaxime „Wir wollen Profit erreichen - in allem, was wir tun“ der Realität bedeutend näher kam. Und den Schadensbericht dazu wird sich der BAYER-Vorstand auch im nächsten Jahr wieder anhören müssen.

[Nano] STICHWORT BAYER 02/03 2010

CBG Redaktion

Nanotubes-Produktion in Leverkusen

Genehmigung ohne Risikoprüfung

Die BAYER MATERIAL SCIENCE AG eröffnete im Januar in Leverkusen eine der weltweit größten Produktionsstätten für Nanoteilchen. Die Anlage wurde als „Versuchsbetrieb“ eingestuft und deshalb von einem regulären Zulassungsverfahren befreit. Die Risiken der neuartigen Stoffe sind weitgehend unbekannt. Umweltverbände stellen die Genehmigung in Frage.

von Philipp Mimkes

„Die Zukunft ist Nano“, heißt es in einer bunten BAYER-Werbebroschüre, „Baytubes bieten nahezu unendliche Möglichkeiten“. Durch Nanotubes ließen sich die magnetischen, elektrischen und mechanischen Eigenschaften vieler Werkstoffe weitgehend verändern. Entsprechend euphorisch ist Joachim Wolff vom Vorstand der BAYER MATERIAL SCIENCE AG: „Aktuelle Prognosen sagen für Carbon Nanotubes ein jährliches Wachstum von 25 Prozent und innerhalb von zehn Jahren ein Marktvolumen von zwei Milliarden US-Dollar voraus“. Die BAYER-Tochter MATERIAL SCIENCE hatte Ende Januar in Leverkusen den weltgrößten Produktionsbetrieb für Nanotubes eröffnet. Zwei kleinere Anlagen betreibt BAYER seit 2006 im badischen Laufenburg.
Carbon Nanotubes (CNT) sind winzige Röhrchen aus Kohlenstoff, deren Durchmesser meist nur wenige Nanometer beträgt. Ein Nanometer ist gerade mal ein Millionstel Millimeter. Die Länge der Röhrchen beträgt bis zu einigen Mikrometern, also Tausendstel Millimetern. CNT werden von BAYER unter dem Handelsnamen Baytubes verkauft und schon heute in elektronischen Bauteilen eingesetzt. Weitere Anwendungen sind in Lacken, beim Bau von Rotorblättern sowie in Sportartikeln wie Skier oder Hockeyschläger geplant.
Trotz einer jährlichen Produktionsleistung von 200 Tonnen wurde die Leverkusener Fabrik von der zuständigen Behörde, der Bezirksregierung Köln, als „Technikum“, also als Probeanlage, eingestuft. Der Betrieb wurde daher von einem öffentlichen Genehmigungsverfahren nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes befreit.
Die fehlende Genehmigung war erst durch eine Anfrage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bekannt geworden. Die CBG hatte von den Behörden wissen wollen, welche Nano-Emissionen von dem laufenden Betrieb zu erwarten sind, wie hoch die Belastung der Atemluft innerhalb der Anlage ist, welche Mengen Nanotubes bei einem Störfall austreten könnten und welche toxikologischen Daten vorliegen.
Keine der Fragen konnte jedoch beantwortet werden. Die Risiken von CNT waren bei der Entscheidung der Behörden nicht berücksichtigt worden. Da die Nanotubes-Produktion weder der Immissionsschutz- noch der Störfall-Verordnung unterliegt, galt bei der Genehmigung das einfache Baurecht. Inspiziert wurde die Anlage somit nur vom Leverkusener Bauamt.

Genehmigung rechtswidrig
Professor Dr. Martin Führ, der an der Hochschule Darmstadt Umweltrecht lehrt, kritisiert das Verfahren: „Nach den vorliegenden Informationen ist die erteilte Baugenehmigung wegen Verstoßes gegen das Bundesimmissionsschutzgesetz rechtswidrig. Jeder Anwohner kann dagegen Widerspruch einlegen und damit den Betrieb der Anlage zum Stillstand bringen. BAYER hat sich hier in eine sehr prekäre Situation hinein manövriert. Hier hilft nur, umgehend die Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes einzuhalten.“
Auf eine weitere Nachfrage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gab die Überwachungsbehörde an, dass die Anlage als Versuchsbetrieb eingestuft wurde und deshalb kein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden musste. Eine „wirtschaftliche Vermarktung der in der Technikumsanlage hergestellten Nanoröhren“ finde nicht statt. In den Publikationen des Unternehmens klingt das jedoch ganz anders: „Bislang hielten sich die Produktionsmengen der Nanoröhrchen in Grenzen. Durch die Inbetriebnahme der weltgrößten Pilotanlage für Baytubes mit einer Kapazität von 200 Jahrestonnen kommt Bayer Material Science der großen Nachfrage einen erheblichen Schritt entgegen“, heißt es zum Beispiel im „Bayer Report“. Eine Kontrolle, ob die produzierten CNT auch wirklich vernichtet werden, erfolgt nicht.

Toxikologisch bedenklich
Die Gefährlichkeit der Winzlinge, die rund 50.000-mal dünner sind als ein Haar, ist bislang weitgehend unbekannt. Tierversuche zeigen, dass bestimmte CNT die Entstehung von Krebs ähnlich wie Asbestfasern begünstigen können (1). Ken Donaldson von der Universität Edinburgh, der die bislang umfangreichste Studie zu Nanotubes durchgeführt hat, empfiehlt daher, auf bestimmte Formen des Materials zu verzichten und weitere Untersuchungen durchzuführen. Das Medizinerteam von Donaldson hatte gezeigt, dass längere Kohlenstoff-Röhrchen ähnlich wirken wie lange Asbestfasern: Im Bauchraum von Mäusen kam es zu Entzündungen, die zu krankhaften Wucherungen des Gewebes führten. Im Fall von Asbest begünstigen solche Wucherungen die Bildung von Krebszellen.
Problematisch ist auch die Ansammlung der Partikel in der Lunge. So starben in Inhalations-Versuchen 15 Prozent aller Ratten, wenn sie fünf Milligramm Nanotubes je Kilogramm Körpergewicht eingeatmet hatten. Auf den Menschen hochgerechnet wäre das nicht einmal ein Gramm der Substanz.
Schon im Jahr 2003 hatte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung dem Deutschen Bundestag einen 450-Seiten starken Bericht zu Nanotechnologie vorgelegt und vor gesundheitlichen Risiken gewarnt. „Künstliche Nanostrukturen können durch Emissionen der Nanoindustrie oder durch Entstehung von Nanopartikeln beim alltäglichen Gebrauch in die Umwelt gelangen,“ konstatierten sie, potenzielle Langzeitfolgen seien nicht auszuschließen.

Umweltverbände protestieren
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) NRW, die Coordination gegen BAYER-Gefahren und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) kritisierten die Inbetriebnahme der Leverkusener Produktionsanlage in einer gemeinsamen Stellungnahme. Uwe Friedrich von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Die Produktion von potentiell gefährlichen Stoffen darf nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit genehmigt werden. Eine Anlage mit einer Produktionsmenge von 200 Tonnen eines Nano-Materials überschreitet zudem deutlich den im Bundesimmissionsschutzgesetz genannten Technikums-Maßstab.“
Claudia Baitinger vom BUND NRW ergänzt: „Bei allem Respekt: ein Bauamt ist nicht in der Lage, die Risiken von neuartigen Stoffen zu prüfen. Wir fordern ein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit sowie eine toxikologische Bewertung der in Leverkusen produzierten Nanotubes!“. Baitinger wandte sich in der BAYER-Hauptversammlung am 30. April auch direkt an den Vorstand: „Wenn sich die verantwortlichen BAYER-Manager ihrer Sache so sicher sind, dass wirklich keine Risiken von dieser Anlage ausgehen werden: Warum stellen Sie sich nicht einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren mit öffentlicher Auslegung der Antragsunterlagen und einem öffentlichen Erörterungstermin?“

Regelungslücke
Nanopartikel im allgemeinen und Nanotubes im speziellen fallen bislang in eine Regelungslücke. Trotz der Hinweise auf Gesundheitsgefahren wurden CNTs nicht in die Liste der risikoreichen Stoffe aufgenommen, deren Herstellung der Störfallverordnung und damit einer intensiveren Überwachung unterliegt.
Auch auf europäischer Ebene unterbleibt bislang eine spezielle Überprüfung von Nanoteilchen. Die europäische Chemie-Behörde European Chemicals Agency in Helsinki teilte auf Anfrage mit, dass Nanotubes unter „Graphit“ oder „Ruß“ geführt würden. Beide Stoffe bestehen zwar ebenfalls aus Kohlenstoff, haben aber nicht die speziellen Eigenschaften der tausendfach kleineren CNT.
Noch einmal Claudia Baitinger vom BUND: „Bislang gibt es bei Freisetzungen von Nanomaterialien im Wasser-, Bodenschutz- und Abfallrecht noch keinerlei Regelungen. Wir halten deshalb den Umgang mit diesen Stoffen über den Labormaßstab hinaus für unverantwortlich, solange der Gesetzgeber mit drittschützenden Maßnahmen hinterherhinkt.“
Langfristig plant BAYER sogar die Produktion von 3.000 Tonnen Nanotubes jährlich. Erst eine solche riesige Anlage soll nach Willen der Bezirksregierung in einem öffentlichen Verfahren genehmigt werden. Nach Auffassung der Umweltverbände muss vorher jedoch die toxikologische Unbedenklichkeit der produzierten Stoffe bewiesen werden.

(1) Die Coordination gegen BAYER-Gefahren befürwortet keine Tierversuche und fordert die Einführung tierversuchsfreier Verfahren zur Risikoanalyse neuer Stoffe, z.B. Studien mit Zell- und Gewebekulturen (In-Vitro-Verfahren)

Pharmaforschung

CBG Redaktion

29. Juli 2010, Deutschlandfunk „Campus und Karriere“

Diskrete Zusammenarbeit

Vorwürfe gegen Partnerschaftsabkommen zwischen Bayer und Uni Köln

Ein Kooperationsvertrag zwischen dem Pharmaunternehmen Bayer und der Uni Köln, dessen Inhalt die Partner unter Verschluss halten, stößt zunehmend auf Kritik. Während die Uni die Geheimhaltung mit der Wissenschaftsfreiheit verteidigt, fordern Medizinstudierende und der Landesdatenschutzbeauftragte mehr Transparenz.

Von Martin Schütz

Es ist nicht viel bekannt über die Kooperation der Bayer AG mit der Kölner Universität. Offiziell arbeitet die Kölner Uniklinik mit dem Konzern in der Krebs- und Herzforschung eng zusammen. Die Zusammenarbeit bezieht sich nicht auf einzelne Lehrstühle, sondern auf verschiedene Forschungsschwerpunkte. Unklar ist, wie der Konzern auf die Forschung Einfluss nimmt und wie Ergebnisse genutzt und publiziert werden. Die Ergebnisse dazu sind rar. Deshalb sind die Fronten zwischen Kritikern und Universität verhärtet. Ende 2009 hat der Landesdatenschutzbeauftragte empfohlen, dass die Uni die Rahmenbedingungen offen legt. Allerdings kann er dies der Universität nur empfehlen, rechtlich bindend sind seine Aussagen nicht. Daher wird die Kölner Uni auch weiterhin keinen Einblicke in die Verträge gewähren. Das gefährde die Freiheit der Wissenschaft, so Pressesprecher Dr. Patrick Honecker:

„Bei dieser Rahmenvereinbarung geht es inhaltlich nicht um besonders weitreichende Dinge. Was uns nur wichtig ist, ist erst mal grundsätzlich zu klären, inwieweit wir ein grundrechtlich geschütztes Recht, nämlich die Wissenschaftsfreiheit weiterhin in Anspruch nehmen können, oder ob Landesgesetze da stärker sind.“

Auch die Bayer AG möchte sich zu den Inhalten nicht äußern. Die Befürchtung des Industrieunternehmens konzentriert sich auf die Veröffentlichung von Betriebsgeheimnissen. Die spärlichen Informationen beunruhigen allerdings die Kritiker der Kooperation von Kölner Uni und Bayer. Für Torsten Bultmann, Geschäftsführer des Bunds demokratischer Wissenschaftler, stellt der Vertrag eine neue Dimension dar.

„Dass sie ganze Fakultäten herausbrechen in solche privaten Kooperationsstrukturen, das ist eine relativ neue Qualität.“

„Aber ich finde es ja insgesamt problematisch und skandalös, dass ein solcher Kooperationsvertrag, der natürlich große Teile der Universität betrifft und nicht nur einen Lehrstuhl und ein befristetes Projekt, was ja sonst normalerweise der Fall ist, dass der im Prinzip von einem privaten Konzern zum Betriebsgeheimnis erklärt wird. Das ist ja der eigentliche Skandal.“

Das sieht die Kölner Hochschulgruppe der Kritischen Mediziner ebenfalls so. Die Medizinstudenten bemängeln die fehlende Transparenz. Grundsätzlich wollen sie einen Einblick in den Vertrag, um die Rahmenbedingungen überhaupt kennenzulernen. Die Kritischen Mediziner befürchten, dass Unternehmen Einfluss auf Forschungsergebnisse nehmen könnten, so Sven Quilitzsch:

„Wenn man sich anguckt, wie Pharmaunternehmen vorgehen, das sind ja wirtschaftliche Unternehmen, die haben ein Interesse daran, dass bestimmte Forschungsergebnisse, wenn es zum Beispiel negative Ergebnisse in Studien gibt, dass die nicht unbedingt publik gemacht werden.“

Sven Quilitzsch betont allerdings, dass solche Praktiken nur vermutet werden können. Schließlich habe bisher kein Außenstehender Einblick in die vertraglich festgelegten Inhalte. Dass Kölner Wissenschaftler Ergebnisse zurückhalten halten könnten, ist für Patrick Honecker jedenfalls nicht vorstellbar.

„Wir gehen davon aus, dass unsere Wissenschaftler ein ganz reges Interesse daran haben, Dinge zu veröffentlichen, die wissenschaftlich valide sind und die wollen nicht etwas veröffentlichen, was von irgendwelchen Lobby- oder Industrieorganisationen gesteuert wird.“

Die Kritischen Mediziner haben die Universität um eine Stellungnahme gebeten. Bis zum 15. August erwarten sie eine Antwort. Sollte diese nicht erfolgen, streben die „Kritischen Mediziner“ laut Sven Quilitzsch eine andere Lösung an:

„Gesetzt der Fall, dass Uni und Bayer nicht einlenken und uns die Rahmenbedingungen und es geht nur um diese Rahmenbedingungen, um es noch mal ganz explizit zu sagen, dann erwägen wir weitergehende juristische Schritte, das könnte ein Präzedenzfall sein und den wollen wir auf jeden Fall auch geklärt wissen.“

Dann wird sich ein Verwaltungsgericht mit dem Problem beschäftigen müssen. Denn die Hochschule wird Einblicke in den Vertrag wohl verweigern. Die Bayer AG verweist jede Nachfrage an die Universität. Eine Kompromisslösung wird also immer unwahrscheinlicher. Sollte es zu einem Prozess kommen, kann Patrick Honecker dem auch etwas Positives abgewinnen:

„Aber wenn es sein muss, lassen wir das auch vor Gericht prüfen. Wir denken schon, dass das wichtig ist, das mal grundlegend zu klären, und wir würden abwarten, wenn es eine Klage gäbe, das ganze vor Gericht kommen würde, uns dementsprechend aufstellen und einen Prozess führen.“

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Bienensterben

CBG Redaktion

Presse Information vom 28. Juli 2010
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Langzeitrisiken von Imidacloprid unterschätzt

Neue Studie zu BAYER-Pestiziden veröffentlicht / Oberflächengewässer belastet / weltweit meistverkauftes Insektizid / Bienensterben auch in Deutschland

Der niederländische Toxikologe Dr. Henk Tennekes weist in einer aktuellen Untersuchung nach, dass die Langzeitrisiken der Insektizide Imidacloprid und Thiacloprid weitaus größer sind, als bislang angenommen. Dies könne eine der Ursachen für die Bienenvolksterben in aller Welt sein. Die Studie The toxicity of neonicotinoid insecticides to arthropods is reinforced by exposure time erschien am 23. Juli in dem Fachmagazin Toxicology (online).

Dr. Henk Tennekes zu seinen Ergebnissen: "Das Risiko von Pestiziden wie Imidacloprid und Thiacloprid wird wahrscheinlich enorm unterschätzt, besonders für Wasserlebewesen und Bodenorganismen. Die bislang gültigen Grenzwerte wurden weitgehend aus Kurzzeit-Tests abgeleitet. Würde man Langzeit-Versuche durchführen, könnten schon bei wesentlich geringeren Konzentrationen verheerende Schäden auftreten. Damit kann erklärt werden, wieso schon geringe Mengen Imidacloprid längerfristig Bienensterben verursachen können“. Tennekes zeigt sich besorgt über die hohe Belastung von Oberflächengewässern mit schwer abbaubaren Agrochemikalien. So wiesen Messungen der niederländischen Umweltbehörde bis zu 320 Mikrogramm Imidacloprid pro Liter (µg/l) nach. Der EU-Grenzwert für Trinkwasser hingegen liegt bei 0,1 µg/l.

Imidacloprid wird unter den Handelsnamen Gaucho, Provado und Admire angeboten, der Wirkstoff gilt als meistverkauftes Pestizid weltweit. Thiacloprid wird unter den Namen Biscaya, Proteus und Calypso vertrieben. Beide Wirkstoffe gehören zur umstrittenen Wirkstoffklasse der Neonicotinoide, die u.a. zur Behandlung von Saatgut verwendet wird. Hersteller ist die Bayer CropScience AG, die im vergangenen Jahr allein mit Imidacloprid 606 Millionen Euro erlöste. Saatgutbehandlungsmittel von Bayer hatten vor zwei Jahren das großflächige Bienensterben in Süddeutschland verursacht.

Neonicotinoide können wegen ihrer hohen Persistenz mehrere Jahren im Boden verbleiben. Selbst unbehandelte Pflanzen, auf deren Feldern in den Vorjahren Imidacloprid oder Clothianidin eingesetzt wurde, können den im Boden befindlichen Giftstoff über die Wurzeln aufnehmen und eine für Bienen gefährliche Konzentration enthalten. Ähnlich wie Dr. Tennekes hatte die kanadische Zulassungsbehörde Pest Management Regulatory Agency wegen der mehrjährigen Verweildauer im Boden ein Risiko für Bienen befürchtet; die von Bayer vorgelegten Studien hatte die Behörde als mangelhaft („deficient“) bezeichnet. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert wegen der Risiken für Bienen einen Verkaufs-Stopp für Neonicotinoide. Der Verband hatte vor zwei Jahren Strafanzeige gegen den Bayer-Vorstandsvorsitzenden Werner Wenning wegen der „Inkaufnahme der verheerenden Bienensterben in aller Welt“ gestellt.

Auch die vor sechs Wochen von italienischen Wissenschaftlern veröffentlichte Studie The puzzle of honey bee losses: a brief review kommt zu dem Schluss, dass der Einfluss von Pestiziden für das weltweite Bienensterben unterschätzt wird. Schon im Jahr 2003 hatte ein im Auftrag des französischen Landwirtschaftsministerium erstellter Untersuchungsbericht festgestellt, dass die Verwendung von Imidacloprid für den Tod Hunderttausender Bienenvölker mitverantwortlich ist.

Da der Patentschutz von Imidacloprid in den meisten Ländern abgelaufen ist, brachte Bayer im Jahr 2003 das chemisch verwandte Nachfolgeprodukt Clothianidin auf den Markt. Seit dem Bienensterben in Deutschland vor zwei Jahren sind Imidacloprid und Clothianidin für die Behandlung von Mais-Saatgut verboten. Auch Italien, Frankreich und Slowenien verhängten Verbote bzw. verweigerten eine Zulassung.

weitere Informationen:
· Kontakt Dr. Henk Tennekes: info(at)toxicology.nl, Tel. +31 575 545500
· Kampagne „Bienensterben stoppen“

GenMais

CBG Redaktion

Presse Information vom 28. Juli 2010
Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.

Klage von Umweltverbänden erfolgreich

Brasilien: Gericht entzieht Zulassung für GenMais von BAYER

Karikatur LL Mais: Angriff auf Konsumenten und Landwirte

Der Bundesgerichtshof des brasilianischen Bundesstaats Paraná hat dem Unternehmen Bayer CropScience gestern die Zulassung für sogenannten Liberty Link-Mais entzogen. Die gentechnisch veränderte Sorte ist resistent gegen das von Bayer produzierte Herbizid Liberty mit dem Wirkstoff Glufosinat. Das vom Gerichtshof in Curitiba verhängte Verbot gilt landesweit. Die zuständige Richterin Pepita Durski Tramontini gab damit den Umweltverbänden Terra de Direitos, AS-PTA, IDEC and ANPA Recht, die bereits 2007 Klage eingereicht hatten. Die Verbände fürchten eine gentechnische Kontamination traditioneller Mais-Sorten.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Wir begrüßen das Verbot von glufosinat-resistentem Mais in Brasilien. Zum einen würde der Anbau von LL-Mais zwangsläufig zu gentechnischen Verunreinigungen herkömmlicher Sorten führen. Zum anderen ist eine gefahrlose Anwendung von Glufosinat nicht möglich – schon gar nicht in tropischen Ländern, in denen Landarbeiter meist nicht über angemessene Schutzkleidung verfügen.“ In Europa gehört Glufosinat zu den 22 Wirkstoffen, die wegen ihrer Risiken keine erneute Zulassung erhalten dürfen. Der Wirkstoff ist als reproduktionstoxisch klassifiziert und kann Missbildungen bei Föten verursachen. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren bezeichnet es als „unverantwortlich“, einen vermehrten Einsatz gefährlicher Wirkstoffe wie Glufosinat in Schwellen- und Entwicklungsländern zu forcieren und fordert einen sofortigen Verkaufs-Stopp.

Das Gericht in Curitiba begründet das Urteil mit dem Fehlen von Kontroll-Mechanismen nach der Aussaat, die eine Koexistenz von transgenem und herkömmlichem Mais garantieren würden. Dem Unternehmen wird ein tägliches Strafgeld von 50.000 Real angedroht, sollten Verkauf und Anbau nicht sofort gestoppt werden. Die Entscheidung der nationalen Kommission für biologische Sicherheit (CTNBio), eine Zulassung für Liberty Link-Mais zu erteilen, wurde aufgehoben. CTNBio wurde zudem aufgefordert, Einblick in die Zulassungsunterlagen zu gewähren. Bislang waren die zugrundeliegenden Studien wegen angeblicher Geschäftsgeheimnisse nicht offengelegt worden.

Erst vor wenigen Wochen war Bayer damit gescheitert, in Brasilien eine Zulassung für gentechnisch veränderten Reis zu erhalten. Die von Bayer hergestellte Sorte LLRice62 ist ebenfalls gegen Glufosinat resistent.

weitere Informationen:
·Brazilian court suspends release of Bayer's GM maize
·Kein GenReis von BAYER in Brasilien
·Herbizid Glufosinat sofort vom Markt nehmen!

[Kohlekraftwerk] Kohlekraftwerk Uerdingen

CBG Redaktion

21. Juli 2010, Der Westen

Uerdingen setzt auf Kohle, Leverkusen auf Gas

In Leverkusen macht Chempark-Betreiber Currenta vor, was in Uerdingen angeblich nicht möglich ist: An dem Standort soll ein Gas- und Dampfkraftwerk entstehen.

Ein solches hatten auch die Kritiker des Uerdinger Steinkohle-Kraftwerks gefordert. Doch in Uerdingen lehnte das Projektplaner Trianel ab: Es sei einfach kein vernünftiger Gasliefervertrag für eine solche Anlage erhältlich, hieß es.
Wenige Kilometer weiter südlich ist das offenbar kein Hindernis: Im Leverkusener Chempark will das Energieunternehmen „Repower“ aus der Schweiz rund 340 Millionen Euro investieren. Das Gas- und Dampfkraftwerk soll 430 Megawatt liefern, mit der umweltschonenden Kraft-Wärme-Kopplung erreiche die Anlage einen Nutzungsgrad von über 80 Prozent, teilte Currenta gestern mit. Wie in Uerdingen arbeitet Currenta auch in Leverkusen eng mit dem Kraftwerksbauer zusammen und wird die Anlage nach dem Bau betreiben. Die Dampfversorgung erfolge abgestimmt auf den Bedarf des Chemieparks, der Strom wird für den deutschen Markt produziert.
Für das umstrittene Kohlekraftwerk in Uerdingen läuft derzeit das Genehmigungsverfahren. Am 20. September wird in Krefeld über die mehr als 22.000 Einwendungen gegen die Anlage verhandelt.

Pressemitteilung BÜNDNIS '90 DIE GRÜNEN, RATSFRAKTION DER STADT KREFELD
21. Juli 2010

Grüne zu Gasturbinenanlage im Chempark Leverkusen:

Bayer misst mit zweierlei Maß

Nachdem noch im März auch in Leverkusen Pläne geäußert wurden, im dortigen Chempark ein Kohlekraftwerk zu bauen, wurde heute bekannt, dass stattdessen nun das Schweizer Energieunternehmen Repower mit der Planung eines modernen Gas- und Turbinenkraftwerks beauftragt wurde.

Während man in Uerdingen klettenartig an der Steinkohle klebe, werde in Leverkusen das nicht nur umweltfreundlichere, sondern auch wirtschaftlichere und effizientere Gas favorisiert, um den Standort und Arbeitsplätze zu sichern.

„Vor dem Hintergrund der Geschehnisse hier in Krefeld ist das natürlich ein hochinteressanter Vorgang und eine weise Entscheidung der Geschäftsleitung“, meint dazu die Fraktionsvorsitzende der Krefelder Grünen Stefani Mälzer, „wir geben daher die Hoffnung nicht auf, dass auch bei uns noch ein Umdenken stattfindet“.

„Die Menschen hier in Krefeld werden von Bayer seit Jahren schlicht auf den Arm genommen. Wer die gleichen Argumente für ein Gaskraftwerk in Leverkusen, aber gegen ein Gaskraftwerk im Uerdinger Chempark anführt, argumentiert höchst doppelbödig und unglaubwürdig“, so Mälzer weiter. Sachliche Gründe dafür, warum hier unmöglich sei, was dort gehe, seien jedenfalls nicht erkennbar.

„Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass die Schweizer besser rechnen können“, meint Mälzer mit Blick auf die sehr viel höhere Wirtschaftlichkeit eines Gas- und Turbinenkraftwerkes.

Insgesamt jedenfalls sei nicht hinzunehmen, dass in dieser Sache mit zweierlei Maß gemessen werde, so die Grüne abschließend.

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Artensterben

CBG Redaktion

Presse Information vom 13. Juli 2010
Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.

UN-Studie: Großkonzerne betreiben Raubbau an der Natur

Artensterben durch Pestizide und Agrosprit / „UN-Kooperation mit BAYER endlich beenden!“

Die Vereinten Nationen werfen den großen Konzernen der Welt schwere Versäumnisse beim Umweltschutz vor. Allein die 3.000 wichtigsten Unternehmen sollen Umweltschäden von jährlich knapp zwei Billionen Euro verursachen. Das Artensterben sei 100-mal schneller, als es die Evolution vorgibt. Achim Steiner, Leiter des UN-Umweltprogramms UNEP, äußerte heute gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „Der Raubbau an der Natur durch die Wirtschaft setzt sich seit Jahren ungebremst fort. Das natürliche Kapital der Welt wird im großen Stil vernichtet“, und weiter: „In vielen Konzernen gilt noch immer die Devise: Natürliche Ressourcen sind unerschöpflich. Dabei müssen wir längst schmerzhaft spüren, dass das nicht mehr stimmt“.

Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Wir begrüßen die unmissverständlichen Aussagen von Achim Steiner zur mangelnden Verantwortung multinationaler Unternehmen. Die UNEP muss hieraus Konsequenzen ziehen und endlich die unselige Kooperation mit dem BAYER-Konzern beenden. BAYER als einer der größten Hersteller von Pestiziden und gentechnisch verändertem Saatgut gehört zu den Verursachern des Artensterbens. Die Kooperation mit einem Umweltsünder wie BAYER beschädigt die Glaubwürdigkeit der UNEP.“ Der Leverkusener Konzern spendet jährlich 1,2 Millionen Euro für das Jugendumweltprogramm der UNEP und darf sich hierfür als Partner der Vereinten Nationen präsentieren. „Unternehmen verfolgen Gewinn-Interessen, diese treten zwangsläufig mit dem Allgemeinwohl in Konflikt. Es ist daher grundsätzlich nicht hinnehmbar, dass die Vereinten Nationen einen Konzern als gleichberechtigten Partner behandeln“, so Mimkes weiter.

Der Weltagrar-Rat hatte vor zwei Jahren die durch Pestizide geschädigten Ackerflächen sowie den Anbau von Agrardiesel als wesentliche Ursachen der Ernährungskrise und des Artensterbens bezeichnet. Die 400 Wissenschaftler des Weltagrar-Rats drängen auf radikale ökologische Reformen in der Landwirtschaft und auf eine Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden. BAYER hingegen forciert neben dem Einsatz von Pestiziden und Gen-Saatgut auch den Anbau von Energiepflanzen, welcher großflächige Monokulturen und einen hohen Einsatz von Düngemitteln, Wasser und Pestiziden erfordert.

Zudem will BAYER gentechnisch veränderte Pflanzen wie Raps, Zuckerrüben, Soja und Mais in den Markt drücken. Aktuell entscheidet die EU über eine Importzulassung für herbizidresistenten Reis des Konzerns. Dieser sogenannte Liberty Link-Reis war für den bislang größten Kontaminations-Skandal verantwortlich, als im Jahr 2006 die herbizidresistente Sorte LL601 weltweit in den Handel kam. Eine europäische Zulassung von Gen-Reis hätte besonders in Asien dramatische Konsequenzen: Der großflächige Anbau würde unweigerlich zur Kontamination und Verdrängung traditioneller Reis-Sorten führen. Hierdurch würde langfristig die Ernährungssicherheit gefährdet.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren kritisiert auch den geplanten Bau mehrerer Kohlekraftwerke in BAYER-Werken sowie den hohen Ressourcenverbrauch des Konzerns.

Weitere Informationen:
· BAYER und die Biodiversität
· Die Kooperation von BAYER und der UNEP

[Uni Köln] Pharmaforschung

CBG Redaktion

Presse Information vom 9. Juli 2010

BUKO Pharma-Kampagne
Coordination gegen BAYER-Gefahren
medico international
Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte

NRW Landesbeauftragte für Informationsfreiheit: Kooperation von Uni Köln und Bayer AG soll offengelegt werden

Antrag von zehn Gesundheits-Initiativen / Ausrichtung der Pharmaforschung ausschließlich auf Vermarktbarkeit befürchtet / „Signalwirkung für alle PPP-Projekte“

Nach Einschätzung der NRW Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit sollte der Kooperationsvertrag, den die Universität Köln und die Bayer HealthCare AG vor zwei Jahren geschlossen haben, offen gelegt werden. Damit unterstützt sie einen Antrag von zehn Gesundheits-Initiativen und studentischen Interessengruppen. Die Landesbeauftragte begründet in dem heute veröffentlichten Schreiben, weswegen die bisherige Weigerung von Universität und BAYER-Konzern, eine Einsichtnahme in den Vertrag zu ermöglichen, dem nordrhein-westfälischen Informationsfreiheitsgesetz widerspricht. Die Veröffentlichung war unter anderem von der BUKO Pharma-Kampagne, der Coordination gegen BAYER-Gefahren, medico international und dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte gefordert worden.

Dr. Christian Wagner-Ahlfs von der BUKO Pharma-Kampagne: „Wir begrüßen die Empfehlung der Datenschutzbeauftragten. Sie kann helfen, endlich mehr Transparenz über die Beziehungen von Universitäten und Pharmaunternehmen zu schaffen."

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) ergänzt: „Eine aus Steuergeldern finanzierte Einrichtung wie die Uniklinik Köln muss der öffentlichen Kontrolle unterliegen - zumal in einem sensiblen Bereich wie der Pharma-Forschung.“ Nach Auffassung der CBG handelt es sich bei dem Verfahren um einen Präzedenzfall, der alle Public Private Partnership (PPP)-Projekte betrifft. „Die Allgemeinheit kann solche Kooperationen nur bewerten, wenn alle relevanten Informationen veröffentlicht werden. Das Argument, wonach Geschäftsgeheimnisse von einer Offenlegung betroffen sind, darf nicht länger dafür herhalten, dass der Einsatz öffentlicher Mittel im Dunkeln bleibt.“

Bernd Eichner von medico international: „Dies ist ein großer Erfolg! Medizinische Forschung darf sich nicht ausschließlich an der Vermarktbarkeit orientieren - im Gegenteil: Wir benötigen mehr unabhängige Studien. Zudem müssen wir verhindern, dass medizinische Erkenntnisse, die nicht dem Erfolg eines Präparates dienen, in der Schublade verschwinden.“

Die Bayer HealthCare AG und die Kölner Uniklinik hatten vor zwei Jahren eine Kooperation in den Bereichen Onkologie, Kardiologie und Erkrankungen des Zentralnervensystems vereinbart. Die Initiativen legten der Universität daraufhin einen Fragenkatalog vor, der mit dem Hinweis auf „Geschäftsgeheimnisse“ unbeantwortet blieb. Unter anderem fürchten die Kritiker, dass Verwertungsrechte neuentdeckter Substanzen vollständig an Bayer HealthCare übergehen, dass auch Präparate ohne therapeutischen Mehrwert untersucht werden und dass nur positive Studienergebnisse publiziert werden - negative jedoch nicht, falls diese als betriebsschädigend eingestuft werden (ein sogenannter publication bias).

Eine Reaktion der Universitätsklinik auf die Entscheidung der Landesbeauftragten steht noch aus.

Alle Informationen zur Kampagne

[CO Pipeline] CO Pipeline stoppen!

CBG Redaktion

Rheinische Post, 06. Juli 2010

Kinderärzte contra CO Leitung

106 Mediziner und Kinder- und Jugendpsychiater entlang der Trasse rufen die Politiker und Bayer auf, das Projekt zu stoppen. Bei einem größeren Unfall gebe es tatsächlich keine Rettungsmöglichkeiten.

Dr. Gottfried Arnold, Kinderarzt aus Hilden, und Dr. Martin Terhardt aus Ratingen, Obmann der Kinderärzte für den Kreis Mettmann im Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte, haben den Offenen Brief initiiert.

Ein Projekt mit einem „weltweit so einmalig hohen Risiko“ dürfe nicht in Betrieb gehen, appellieren die Mediziner an den Ministerpräsidenten, den Landtag NRW, die Bezirksregierung und den Betreiber der Kohlenmonoxidleitung, die Firma Bayer. Bisher sei die chemische Industrie verpflichtet gewesen, CO nur dort zu produzieren, wo es verbraucht werde.

„Ablenkungsmanöver“
106 Kinder- und Jugendärzte sowie Kinder- und Jugendpsychiater haben den Offenen Brief unterzeichnet. Nach Angaben von Arnold sind das – bis auf eine Ausnahme – sämtliche Kinderärzte aus dem Kreis Mettmann, Düsseldorf, Duisburg, Meerbusch, Krefeld, Leverkusen, Neuss und Solingen.

Warum jetzt diese Aktion? Bereits vor zwei Jahren hätten sich die Kinderärzte aus dem Kreis Mettmann mit einem Offenen Brief an die Politik und Bayer gewandt, erläuterte Arnold gestern auf einer Pressekonferenz in Hilden – ohne Resonanz.

„Die Politiker haben beschwichtigt, dem Gesetz werde genüge getan“, ergänzte Terhardt. Der mit den lokalen Feuerwehren abgestimmte „Allgemeine Gefahren-Abwehr-Plan“ wird von den Medizinern als „formaljuristisches Ablenkungsmanöver“ empfunden. „Bei einem größeren CO-Unfall gibt es tatsächlich keine Rettungsmöglichkeiten“, betonte Arnold: „Deshalb müssen wir präventiv tätig werden und die CO-Leitung verhindern.“

Wachsame Pipeline-Gegner
Man könne nicht erwarten, dass keine Unfälle mit der CO-Leitung passieren, erläuterte Terhardt. Bei einem größeren Leck sollen die lokalen Feuerwehren helfen. Bei Gefahr für Leib und Leben dürften die Einsatzleiter ihre Helfer gar nicht in die Todeszone schicken. Das wüssten auch Bayer und die Politiker.

Nur zwei Behandlungsplätze
Selbst bei einem kleinen Leck sei die Diagnose einer CO-Vergiftung so schwierig, dass oft bei Rettungsversuchen die Zahl der Verletzten erheblich ansteige. Bei einem – wie sich später herausstellte – CO-Unfall auf einem Campingplatz bei Preetz seien am 26. März 2009 zunächst drei Bewusstlose gemeldet worden. Durch die Rettungsversuche hätten schließlich 15 Verletzte – inklusive Notarzt – stationär behandelt werden müssen. Für ganz NRW gebe es an der Uni-Klinik Düsseldorf nur zwei stationäre Behandlungsplätze für Bewusstlose in der Sauerstoffüberdruckkammer mit 24-Stunden-Dienst.

Die Gabe von Sauerstoff helfe nur bei einer leichten CO-Vergiftung, erklärte Arnold, weil Kohlenmonoxid 200 Mal stärker als Sauerstoff im Blut gebunden werde. Zwischen Diagnose und Therapie gebe es nur ein kleines Zeitfenster. Je länger der Erstickungszustand bei einer CO-Vergiftung anhalte, um so wahrscheinlicher seien unumkehrbare Dauerschäden des Gehirns. Diese könnten auch noch nach mehr als einem Jahr nach der Behandlung auftreten. Über 110 000 Bürger haben bislang gegen die CO-Leitung protestiert. Dieter Donner, Pressekoordinator der Stopp-Bayer-CO-Pipeline-Initiativen, bedankte sich gestern für die Unterstützung der Mediziner: „Das ist ein Signal.“ VON CHRISTOPH SCHMIDT

5. Juli 2010

Offener Brief von mehr als 103 Kinder- u. Jugendärzten und Kinder- u. Jugend-Psychiatern entlang der CO-Pipeline

An die/den
Ministerpräsident/in NRW,
an den Landtag von NRW
an die Bezirksregierung Düsseldorf,
an die CO-Pipeline -Betreiber-Firma BAYER
Frau Ministerpräsidentin in spe Hannelore Kraft,
Frau Sylvia Löhrmann,
Herrn Dr. Jürgen Rüttgers, amtierender Ministerpräsident NRW,
Damen u Herren Abgeordnete des Landes NRW,
Herrn Regierungspräsident Jürgen Büssow,
Herrn Werner Wenning u Herrn Dr. Marijn Dekkers, Firma Bayer

Sehr geehrte Damen und Herren Verantwortliche,
nach 3 Jahren öffentlicher Diskussion ist unser Vertrauen in Ihr Projekt „CO-Pipeline von Dormagen nach Krefeld“ vollends zerstört: das Gerede von Sicherheit trotz lückenhafter Bauaufsicht, Unterschreitung der Sicherheitsvorgaben wie Rohrwanddicke, nachträgliche teilweise Kampfmittelbeseitigung sind nur einige Beispiele.

Katastrophal ist die Tatsache, dass bei einem Leck in der CO-Leitung die Fa. Bayer entscheiden kann, ob und wann die Öffentlichkeit informiert wird oder nicht.
Menschenverachtend empfinden wir das formal-juristisch korrekte Vorgehen, nach Erstellen eines sog. Allgemeinen Gefahren-Abwehr-Planes (AGAP), der praktisch nur eine Telefonkette darstellt, bei einem größeren Leck die Rettung den lokalen Feuerwehren zu überlassen: zwar können später Tote geborgen werden, aber eine Rettung ist nicht möglich! Denn sowohl Bayer und die Politiker als auch die Feuerwehren wissen, dass bei einem Rohrbruch die Einsatzleiter ihre Retter bei Gefahr für Leib und Leben nicht in die Todeszone schicken dürfen.

Dieses Spiel mit Leben und Tod werden wir als Kinderärzte nicht dulden!

Selbst bei einem kleinen Leck ist die Diagnose einer CO-Vergiftung so schwierig, dass oft bei Rettungsversuchen die Zahl der Verletzten erheblich ansteigt: am 26.3.2009 auf einem Campingplatz bei Preetz waren 3 Bewusstlose gemeldet; durch die Rettungsversuche mussten schließlich 15 Verletzte, incl. Notarzt stationär behandelt werden. Wie Sie wissen, gibt es bei den aktuellen Sparmaßnahmen nur 2
stationäre Behandlungsplätze für Bewusstlose in der Sauerstoffüberdruckkammer mit 24-Std-Dienst (nur Uni Düsseldorf in NRW!). Für die übrigen bewusstlosen CO-Vergifteten werden bewusst und billigend mehrere Transportstunden unter Sauerstoffmangel in Kauf genommen: das bedeutet Dauerschäden des Gehirns, die irreversibel sind.

Wer von Ihnen wird bei einem tatsächlichen CO-Unfall oder einer CO-Katastrophe die persönliche Verantwortung übernehmen? Herr Wenning? Herr Dekkers? Herr Rüttgers? Frau Kraft? Frau Löhrmann? Welcher Politiker will sich von seinen Kindern oder Enkelkindern nach einer Mitschuld fragen lassen wollen?

Diese Entscheidung für eine CO-Pipeline kann nur jemand treffen, der systematisch seine Verantwortung auf andere abschiebt: der Industrielle auf die Techniker und seine gesamte Firma, der Ministerpräsident auf sein Parlament und den Rechtsstaat, der Politiker an den Techniker, der Techniker an den Kranführer, der nicht mehr wusste, wo einmal die CO-Leitung verlegt wurde, die er versehentlich mit seiner Baggerschaufel getroffen hat.

Der Umgang mit Worten, Wahrheit und Verantwortung hat auch unser Vertrauen in die Pharmasparte von Bayer zerstört.

Die Volksvertreter bitten wir dringend, angesichts der nicht mehr unbekannten Gefährlichkeit des Giftgases CO und der ablehnenden Haltung der betroffenen Bevölkerung (ca.110.000 Unterschriften gegen das Projekt), die gesetzlichen Grundlagen für die CO-Pipeline zu korrigieren: ein Projekt mit einem weltweit so einmalig hohen Risiko darf nicht in Betrieb gehen. Bisher war die chemische Industrie verpflichtet, CO nur dort zu produzieren, wo es verbraucht wird!

Namen der Kinder- u. Jugendärzte u. Kinder- u. Jugendpsychiater, aufgelistet nach Städten/Tätigkeitsorten entlang der Pipeline:

Düsseldorf: Dr. Albert Fuchs, Irina Gelmann, Dr. Willem Geraets, Dr. Axel
Hofmann, Dr. Siegfried Joel, Barbara Jusinska-Kanczuk, Dr. H. Josef
Kahl, Dr. Teresa Kraus, Dr. Rainer Kroschinski, Dr. Petra Lankisch,
Gabriele Lucassen, Kinder-u Jgdl.psychotherap.,Dr. Gerald Schieber,
Dr. Sylvia Schuster, Dr. Hans Stannigel, Dr. Ute Steindor, Dr. Robert
Wiskandt, Dr. Martina Zuckmantel,
Duisburg: Dr. Mike Amoah, Dr. Anja Eisenberger, Christiane Emmig, Dr. Christoph
Fangmann, Leo Gamermann, Dr. Barbara Herbrand, Dr. Harald
Kral, Dr. Hana Laioun, Dr. Jens Niklas, Dr. Abdul-Karim Noureddine,
Dr. Maria Philipps, Dr. Liliana Pohl, Ellen Rohs, Dr. Uwe Roschlau,
Dr. Gudrun Sommers, Dr. Hans-Jochen Teuber, Oleg Witkowski,
Dr. Sofija Zafari,
Erkrath: Dr. Klaus Dahl, Dr. Sandra Dahl,
Haan: Dr. Gabriela Warbanow, Dr. Rolf-Peter Zaß,
Heiligenhaus: Dr. Heidemarie Pankow-Culot, Dr. Georg Paulus, Ulrike Paulus,
Hilden: Dr. Gottfried Arnold, Dr. Ulrich Geisler, Dr. Helma Gölz, Priv-Doz.Dr.
Sabine Preis, Gudrun Rotenberger, Dr. Christian Steinhagen,
Krefeld: Dr. Andreas Christaras, Prof.Dr. Tim Niehues,
Langenfeld: Dr. Barbara Gripp, Dr. Holger Muscheid, Sabine Muscheid, Dr. Andrea
Nemecek, Dieter Siegmund, Dr. Fritz Verfuß,
Leverkusen:Bernhard Bartmann, Dr. Dieter Ladwig,
Meerbusch: Dr. Isabella Martinez-Gadow,
Mettmann: Dr. Gisela Arcari-von Dessien, Dr. Brigitte Biggemann, Dr. Marketa
Groeger, Norbert Hilbert, Dr. Claudia Niederer,
Monheim: Dr. Paula Menczel, Dr. Ursula Wargalla-Plate, Dr. Ewa Toporowski,
Neuss: u.a. Michael Fleischer, Dr. Michael Gerigk, Cornelia Grosse, Miriam
Guzman, Prof. Dr. Peter Gonne Kühl, Anke Sandquist, Nina Schnieder,
Svitlana Lisovets, Dr. Norbert Veiser, Rüdiger Wentzell,
Ratingen: Milan Adler, Bernd Appolt, Dr. Ulrike Düx-Waniek, Angela Grager,
Claudia Kämmerer-Müller, Dr. Stefan Richter, Dr. Ali Tarhan, Dr. Martin
Terhardt, Dr. Rudolf Werntges,
Solingen: u.a. Dr. Karl Heinz Jacobs,
Velbert: Dr. Mark David Arhelger, Sabine Backendorf, Judith Hess, Dr. Birgit
Jansen, Dr. Nicola Kappenhagen, Dr. Oliver Keull, Jutta Lampson-
Lempken, Heike Nicolai, Dr. Alexander Nordhues, Markus Prisett, Dr.
Dagmar Schaumann, Renata von Schnering-Mhadmi, Dr. Erdmuth
Schubert,
Wülfrath: Christa Meiwald-Schirra.

v. i. S. d. P. Dr. Gottfried Arnold, Hilden
Dr. Martin Terhardt, Ratingen, Obmann der Kinder- u. Jugendärzte des
Kreises Mettmann

alle Infos zur Kampagne

[Duogynon] Primodos / Duogynon

CBG Redaktion

alle Informationen zur Kampagne

Berliner Morgenpost, 1. Juli 2010

Schering

Ein Leben auf zwei kurzen Beinen

Wolf-Dietrich Molzow ist anders als andere Menschen. Das sieht man auf den ersten Blick. Er ist nur 1,25 Meter groß. Ihm fehlen Ober- oder Unterschenkel - je nachdem, wie man die Sache sieht: Seine Beine bestehen jeweils aus einem nach außen gebogenen Knochen - ohne Kniegelenke.
Das ist aber noch nicht alles, was bei Molzow auffällt. Seine Füße haben jeweils nur vier Zehen und stehen außerdem seitlich ab, sodass er in einem eigentümlichen Watschelgang läuft. Auch seine Hüftgelenke sind nicht richtig ausgebildet. Seinen rechten Arm kann er im Ellenbogengelenk maximal 90 Grad strecken. Beide Oberarme und das rechte Schulterblatt sind verkürzt. Mit dieser Ansammlung körperlicher Behinderungen kam Wolf-Dietrich Molzow vor 53 Jahren auf die Welt. Was war geschehen?
Die Mutter von Herrn Molzow, Käthe Molzow, hat bei ihren Schwangerschaften das hormonelle Schwangerschaftsmittel Duogynon verabreicht bekommen. Das Hormonpräparat des Berliner Pharmaunternehmens Schering wurde ihr von ihrem Gynäkologen im schleswig-holsteinischen Rendsburg verschrieben. Sie sollte damit testen, ob sie schwanger ist.
Duogynon wurde als Injektion (bis März 1978) und in Drageeform (1957 bis 1973) sowohl als Schwangerschaftstest als auch zur Behandlung ausbleibender Monatsblutungen eingesetzt. Es handelte sich um eine Kombination der weiblichen Sexualhormone Progesteron und Östradiol. Durch die Einnahme des Präparates ließ sich innerhalb von einer Woche eine Blutung auslösen. Ein Ausbleiben der Blutung deutete auf eine Schwangerschaft hin.
Zahlreiche Frauen, die Duogynon während der Schwangerschaft eingenommen hatten, gebaren kranke oder behinderte Kinder mit Wasserköpfen, Missbildungen der Extremitäten, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Herzfehlern, Fehlbildungen der Genitalien, offenen Rücken, offenen Bäuchen, offenen Harnröhren.
Medikament mit Nebenwirkung
Schon Ende der 70er-Jahre sahen Experten einen unheilvollen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Medikaments und den Behinderungen. Doch bisher konnten die Opfer nicht den Beweis führen, dass das Schering-Mittel der Auslöser der Missbildungen war.
Schon während der Schwangerschaft merkt Käthe Molzow, dass irgendetwas anders ist als bei ihren anderen Schwangerschaften. „Es kratzt so, wenn sich das Kind im Bauch bewegt“, sagt sie zu ihrem Mann Wolfgang Molzow. So etwas wie Ultraschall oder vorgeburtliche Diagnostik gibt es damals nicht. Am 16. Januar 1957 kommt Wolf-Dietrich auf die Welt. Sofort wickelt die Krankenschwester den Säugling in ein weißes Tuch. Als die Mutter ihr Baby wieder auswickelt, erschrickt sie. Der Junge ist viel zu kurz.
An einen Pharma-Skandal denken die Eltern nicht, auch nicht an eine Klage. Damals, in den 50er- und 60er-Jahren, schieben manche Eltern ihre behinderten Kinder in Heime ab. Die Molzows behalten ihren kleinen Jungen zu Hause, umhegen und unterstützen ihn. Und sie suchen Hilfe bei Ärzten. Als Wolf-Dietrich zwei Jahre alt ist, gehen die Eltern mit ihm zu einem Orthopäden. Der Mediziner rät, die nach außen gerichteten Füße in eine Frontstellung zu zwängen. Die Beine des Jungen werden eingegipst und mit Metallschienen fixiert. Drei Monate muss er in der Klinik bleiben. Der Effekt ist gleich Null. Die Füße stehen immer noch nach außen. Seit diesem Zeitpunkt mag Wolf-Dietrich keine Menschen in weißen Kitteln mehr.
Kaum fassbar ist der Vorschlag eines anderen Facharztes einer Universitätsklinik. Der rät den Eltern, die Füße des Jungen einfach abschneiden zu lassen. Begründung: Dann könne das Kind wenigstens schöne Prothesen tragen. Auf die Empfehlung dieses Mediziners lassen sich die Molzows - zum Glück - nicht ein.
Zu Hause robbt Wolf-Dietrich durch die Altbauwohnung, bohnert mit seinem kleinen Körper die Dielen blitzblank. Er hängt am Rockzipfel seiner Mutter und ist so auf seine häusliche Umgebung fixiert, dass er bei der ersten Übernachtung bei einem Schulfreund schlimmes Heimweh bekommt. Wolf-Dietrich ist ein schlaues Kind. Weil er wenig mit seinem Körper anfangen kann, benutzt er den Geist. Schon mit vier Jahren kann er lesen. Er kommt in die Grundschule. „Das war eine gute Idee“, sagt er rückblickend. Er ist das einzige körperbehinderte Kind in der Schule.
Mit hänselnden Mitschülern hat Wolf-Dietrich keine Probleme. Ärgert ihn jemand, wird derjenige von den anderen Schülern verprügelt. Das Abitur macht er mit mäßigem Notendurchschnitt von 3,3. Beim Studium bessert er sich: Das erste Studium beendet er mit der Note 2, das zweite mit dem Notendurchschnitt 1,6.
Heute ist Wolf-Dietrich Molzow Diplomingenieur und arbeitet beim Heinrich-Hertz-Institut der Fraunhofergesellschaft in Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er wohnt in Moabit zusammen mit seiner Frau Geertje in einer 130 Quadratmeter Altbauwohnung im Erdgeschoss. Geertje ist 45 Jahre alt, 1,80 Meter groß, sportlich und Beamtin bei der Deutschen Rentenversicherung. Die Beiden leben auf unterschiedlichen Ebenen: Molzows Welt ist der Fußboden. Dort liegen seine Sachen: Schuhe, CDs, Kleidung, Bücher. Seine Frau lebt quasi im oberen Stockwerk. Es nervt ihn, wenn sie die Pfeffermühle in für ihn unerreichbare Höhen stellt. Es nervt sie, wenn auf dem Fußboden viel von ihm rumliegt und sie darüber stolpert.
Als Molzow erfährt, dass seine Mutter Duogynon genommen hat, will er den Pharmakonzern Bayer Schering Pharma AG verklagen. Ein Fachanwalt rät ihm damals ab: keine Chance auf Erfolg. Zumal es keine Belege gebe, dass die inzwischen verstorbene Mutter wirklich die Arznei genommen hatte.
Das sieht der Berliner Medizinrechtler Jörg Heynemann anders. „Es gibt einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Einnahme von Duogynon und dem Geburtsschaden“, sagt er. Eine solche Korrelation müsse nur plausibel gemacht werden, er müsse nicht bewiesen werden. Dies sei die Voraussetzung für den Auskunftsanspruch nach Paragraf 84 a Arzneimittelgesetz (AMG). Darin heißt es: „Liegen Tatsachen vor, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat, so kann der Geschädigte von dem pharmazeutischen Unternehmer Auskunft verlangen.“

Viele verschiedene Missbildungen
Heynemann zieht eine Parallele zur Contergan-Tragödie. „Auch in den Contergan-Fällen konnte der Beweis eines Zusammenhanges nicht erbracht werden. Auch in den Contergan-Fällen sind sämtliche Klagen abgewiesen oder nicht zu Ende geführt worden und strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden.“ Der Zusammenhang zwischen der Medikamenteneinnahme der Mütter und den geschädigten Kindern sei in den Duogynon-Fällen mindestens ebenso wahrscheinlich wie in den Contergan-Fällen.
Bei dem Berliner Anwalt haben sich in den vergangenen Wochen viele Duogynon-Geschädigte gemeldet. Er vertritt einige der Betroffenen, auch den Grundschullehrer André Sommer aus dem Allgäu. Der 34-Jährige kam mit einer Blase zur Welt, die außerhalb seines Bauchraumes lag und sein Penis war verkümmert; seine Mutter hatte Duogynon in der Schwangerschaft genommen. Zwei Dragees reichten aus, um André Sommer sein Leben lang körperlich zu schädigen. Sommer hat die Bayer Schering Pharma AG verklagt. Beim Landgericht Berlin hat er eine Auskunftsklage eingereicht. Damit will er klären, was der Pharmakonzern wusste über das Medikament Duogynon. Erst wenn diese Klage Erfolg hat, kann Sommer auf Schadensersatz klagen. Über den Lehrer und sein Schicksal wurde in den Medien berichtet. Innerhalb von zwei Wochen meldeten sich daraufhin bei ihm 70 Duogynon-Betroffene aus dem ganzen Bundesgebiet. „Ich kriege seit zwei Wochen eine Gänsehaut“, sagt Sommer. Immer mehr Menschen mit missgebildeten Beinen und Armen, mit Blasenfehlbildungen, verkümmerten Genitalien und anderen seltenen Erkrankungen riefen bei ihm an. Anders als beim Schlafmittel Contergan steht die Hormonbombe Duogynon im Verdacht, viele Leiden verursacht zu haben. Sommer hat eine Homepage eingerichtet ( www.duogynonopfer.de ).
Alles dies wird indes von der Bayer Schering Pharma AG bestritten. „Bei Duogynon ließ sich kein Zusammenhang zwischen Einnahme und der Entstehung von embryonalen Missbildungen nachweisen“, teilt der Pharmakonzern mit. Nach wie vor befänden sich mehrere Präparate mit den Wirkstoffen, die in Duogynon-Tabletten enthalten waren, auf dem Markt und würden nach den heute geltenden Vorschriften von Bayer Schering Pharma und den zuständigen Behörden überwacht, ohne dass sich nach dem heutigen Wissensstand Hinweise auf fruchtschädigende Wirkungen ergeben habe. „Vor diesem Hintergrund halten wir auch etwaige Ansprüche auf Entschädigungen nach wie vor für unbegründet“, erklärt eine Sprecherin des Unternehmens.
Das sind Argumente, mit denen Wolf-Dietrich Molzow nichts anfangen kann. Auch er erwägt, den Pharmakonzern zu verklagen. Ihn ärgert der Gedanke, dass das Unternehmen mit dem Medikament, das ihm offenbar lebenslange körperliche Einschränkungen eingebracht hat, auch noch viel Geld verdienen konnte. Tanja Kotlorz

Bisphenol A

CBG Redaktion

Jährlich werden rund vier Millionen Tonnen Bisphenol A hergestellt. Der BAYER-Konzern gehört neben den US-Firmen Dow Chemicals und Hexion sowie den taiwanesischen Unternehmen Nan Ya Plastics und Chang Chun Plastics zu den größten Herstellern weltweit. BAYER produziert Bisphenol A in Krefeld, Antwerpen, Baytown/Texas, Map Ta Phut/Thailand und Shanghai/China.

die tageszeitung, 30. Juni 2010

Bisphenol-A-haltige Produkte

Gift in kleinen Dosen

Bisphenol-A (BPA) ist eine Chemikalie, die in vielem steckt. So auch in Babyflaschen und Nuckeln. Wie gefährlich ist sie? Die EU prüft, die deutschen Behörden warten so lange ab. VON H. HOLDINGHAUSEN & R. WOLFF

Es wird eng für die europäischen Kunststoffhersteller: Immer mehr EU-Staaten verbieten Babyflaschen oder andere Produkte, die mit Nahrungsmitteln für Kleinkinder in Kontakt kommen, wenn sie die Chemikalie Bisphenol A (BPA) enthalten. Jüngstes Beispiel: Dänemark. Die liberal-konservative Regierung verbietet entsprechende Plastikprodukte mit dem Inhaltsstoff. Ab 1. Juli werden sie aus dem Handel verschwinden. BPA wirkt ähnlich wie das weibliche Hormon Östrogen und steht unter Verdacht, schwere Krankheiten auszulösen oder zu verstärken. Jahrelang hatten dänische Wissenschaftler die Regierung zu einem Verbot der massenhaft hergestellten Chemikalie gedrängt, die sich in zahlreichen Kunststoffprodukten wiederfindet.
Dänemarks Initiative schließt sich nun auch das Nachbarland Schweden an. Umweltminister Andreas Carlgren teilte mit, man werde ein entsprechendes nationales Verbot erlassen, falls es zu keinem EU-weiten Verbot komme. Dem ging ein Appell zahlreicher WissenschaftlerInnen und der staatlichen Chemiebehörde „Kemikalieinspektionen“ voraus. Behördenchefin Ethel Forsberg kritisierte, die EU berücksichtige bei ihrer Risikobewertung äußerst wichtige und von renommierten Wissenschaftlern gemachte Studien nicht ausreichend. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hatte zuletzt 2008 ein Verbot von BPA abgelehnt und den Stoff als unbedenklich eingestuft. Die in der EU geltenden Grenzwerte seien ausreichend .
Die französische Regierung folgte lieber der kritischen Bewertung ihrer nationalen Agentur für Lebensmittelsicherheit und untersagte im Frühjahr Herstellung, Aus- und Einfuhr sowie den Verkauf von BPA-haltigen Babyflaschen. Schon vor zwei Jahren hatte Kanada mit einem solchen Verbot von Babytrinkflaschen und anderen Produkten zur Aufbewahrung von Kleinkindnahrung den Anfang gemacht.

Unklares Zusammenspiel
Auch in Deutschland wurde wegen BPA seither Alarm geschlagen. In seinem Kinder-Umwelt-Survey fand das Umweltbundesamt vor einigen Jahren bei 99 Prozent der 1.790 untersuchten Kinder Bisphenol A im Urin. Andere Studien hätten BPA im Blut, Fruchtwasser und in Gebärmuttergewebe entdeckt, sagt Sarah Häuser, Chemikalienexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND. Weil sich BPA im Körper nicht anreichert, sondern binnen weniger Stunden abgebaut wird, wiesen die gefundenen Belastungen darauf hin, dass Menschen dem Stoff ständig ausgesetzt seien, sagt Silvia Pleschka von der Frauenrechtsorganisation WECF.
Ob die Massenchemikalie BPA gefährlich ist, darüber streiten die Experten. Und für jede Position gibt es die passende Studie. Klar ist: BPA wirkt im Körper ähnlich dem weiblichen Hormon Östrogen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sagt, die Substanz wandle sich im menschlichen Körper schnell in ein Stoffwechselprodukt um, das keine östrogene Wirkung mehr habe und über die Nieren ausgeschieden werde. Zudem existierten für die Verwendung im Lebensmittelbereich Grenzwerte für BPA. Menschen seien also nicht gefährdet.
Stopp, ruft da die Gegenseite. Es gebe ausreichend Studien über die gesundheitsschädliche Wirkung von Bisphenol A. Die Chemikalie könne die Fruchtbarkeit verringern, Brust- und Prostatakrebs auslösen und die Gehirnentwicklung stören. Außerdem steht sie im Verdacht, Diabetes und Fettleibigkeit auszulösen.
Die Bedeutung sehr geringer Mengen der Substanz sei zumindest „unklar“, sagt Natalie von Götz vom Institut für Chemie und Bioingenieurwissenschaft der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Zum Zusammenspiel der Hormone im Körper und zu hormonwirksamen Substanzen gebe es noch viele offene Fragen und einen hohen Forschungsbedarf.
Auch das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau sieht zur Wirkung des Stoffes noch „Datenlücken“. Doch die „vorliegenden Kenntnisse sollten ausreichen, die Verwendung bestimmter Bisphenol-A-haltiger Produkte aus Vorsorgegründen zu beschränken“, warnt das UBA in einem Hintergrundpapier und fordert, Bisphenol A durch gesundheits- und umweltfreundliche Alternativen zu ersetzen. Den Zeitpunkt für seine Warnung hatte das UBA genau berechnet: Anfang Juli wird, angeregt durch die Verbotsserie europäischer Staaten, eine Stellungnahme der EU-Lebensmittelbehörde Efsa zu der Chemikalie erwartet.

Deutsche warten ab
Von der deutschen Bundesregierung wird ein Verbot derzeit noch nicht erwogen. „Wir warten die Stellungnahme der Efsa ab“, sagt Robert Schaller, Sprecher des Verbraucherministeriums in Berlin. Bislang orientiere man sich an der Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung, dass die Aufnahme von BPA über die Nahrung „zu keiner gesundheitlichen Schädigung führt“, so Schaller. Die europäische Lobbyorganisation der Kunststoffhersteller, Plastics Europe, verweist auf die „überaus umfangreiche Datenlage“ zu Bisphenol A, die eine gute Risikoabschätzung des Stoffes erlaube. Experten der zuständigen Behörden seien auf Basis dieser Daten zu dem Schluss gekommen, dass weitere Schutzmaßnahmen nicht nötig seien.
Verschiedene Umwelt- und Verbraucherorganisationen forderten die Efsa auf, unabhängige Studien zu berücksichtigen. „Eine vorurteilsfreie und umfassende Kenntnisnahme der wissenschaftlichen Literatur“ müsse zu der Erkenntnis führen, dass der Ausstoß von Bisphenol A gesenkt werden muss, vor allem für Hochrisiko-Gruppen wie Kleinkinder und Schwangere, heißt es in einem offenen Brief zahlreicher Organisationen und Wissenschaftler aus Europa und den Vereinigten Staaten an den Vorsitzenden des zuständigen Efsa-Gremiums.
Silvia Pleschka vom WECF betont, die Chemikalie verstecke sich in zahlreichen Alltagsprodukten. „Grenzwerte sind kein Ersatz für ein generelles Verbot“, so Pleschka. „Es gibt keinen Grenzwert, bis zu dem Bisphenol A sicher ist.“

[Duogynon] Primodos / Duogynon

CBG Redaktion

Presse Information vom 29. Juni 2010
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Duogynon: weitere Opfer gehen in die Öffentlichkeit

Fehlbildungen durch hormonelle Schwangerschafts-Tests / aktuelle Berichte in SPIEGEL und WDR / „skandalöses Urteil aufheben!“ / Unterstützung durch Contergan-Geschädigte

Zahlreiche Medien berichteten in den vergangenen Wochen über die Forderung von Duogynon-Opfern nach einer finanziellen Entschädigung und einer Entschuldigung durch die Firma Schering. Bei den Initiatoren der Kampagne meldete sich eine große Zahl weiterer Betroffener. Dem Unternehmen Bayer Schering, Rechtsnachfolgerin von Schering, wurde unterdessen die Klageschrift von drei Opfern zugestellt.

Andre Sommer, einer der Kläger: „Die Firma Bayer Schering sagt in der Öffentlichkeit, sie habe nichts zu verbergen. Warum setzt sich das Unternehmen dann nicht mit uns in Verbindung und legt alle Unterlagen zu Duogynon offen? Im Sinne der Opfer, die jahrzehntelanges Leid erdulden mussten, fordern wir eine Entschädigung wie im Fall von Contergan“. Allein bei Sommer meldeten sich nach den aktuellen TV-Berichten rund 70 Geschädigte.

Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), die die Kampagne initiiert hat: „Das erste Verfahren gegen Schering wurde 1980 mit der ungeheuerlichen Begründung eingestellt, die Schädigung eines Fötus stelle keinen Straftatbestand dar, da „ein Angriff gegen die Gesundheit eines Menschen im Rechtssinn“ nicht vorliege. Die Justiz ist gefordert, dieses skandalöse Urteil zu tilgen. Schließlich hat Schering selbst in den siebziger Jahren auf jeder Packung einen Warnhinweis anbringen lassen, laut dem Duogynon wegen der Gefahr von Fehlbildungen nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden darf.“ Auf Einladung der CBG hatten mehrere Betroffene in der BAYER-Hauptversammlung vor Tausenden von Aktionären gesprochen.

Die Reaktion weiterer Betroffener (z.T. anonym):

=> „Meine jahrelangen Schmerzen, die Isolation in den ersten 6 Lebensjahren, die Ausgrenzungen danach, die immer noch andauernde Angst vor Blindheit - all das kann niemand wieder gut machen. Trotzdem fordere ich Bayer Schering auf, endlich zu seiner Verantwortung zu stehen!“
Andre Meier (Name von der Redaktion geändert)

=> „Meine Frau hat ebenfalls Duogynon eingenommen, unser Sohn wurde mit einer Gaumenspalte geboren. Es traf etwas später auch seine Schwester, ebenfalls nach der Einnahme von Duogynon.“

=> „Als Betroffener finde ich die Verhaltensweise merkwürdig, dass eine pharmazeutische Firma sich beständig weigert, Einblicknahme in ihre Duogynon betreffenden Unterlagen zu gewähren und sich lieber auf Veröffentlichung verklagen lässt. Diese Haltung spricht für mich dafür, dass bei Bayer Schering die Befürchtung besteht, sich bei Akteneinsicht eben DOCH gewinnschmälernden Schlussfolgerungen ausgesetzt zu sehen. Den von Schering in Auftrag gegebenen Gutachten muss immer der Verdacht anhaften, das Lied des Geldgebers zu singen.“
Wolf-Dietrich Molzow

=> „Ein Verdacht richtete sich bei mir schnell auf Duogynon, das ich als Schwangerschaftstest eingenommen hatte. Eine Spaltbildung lässt sich im Entwicklungsablauf des Embryos zeitlich ziemlich klar einordnen, genau zu dem Zeitpunkt habe ich Duogynon eingenommen.“

=> „Unser Sohn wurde mit einem schweren Herzfehler geboren. Er wurde nur 3 Monate alt.“

=> „In drei Wochen werde ich zum 14. Mal in meinem Leben operiert. Hätte das alles verhindert werden können? Hätte verhindert werden können, dass noch 10 Jahre nach meiner Geburt wegen Duogynon behinderte Kinder auf die Welt kamen? Ich möchte Aufklärung darüber.“
Karin Riedhammer, geb. 1966

=> „Mein Sohn hat eine Blasenextrophie und ist mindestens 10 Mal operiert worden.“

In den 60er und 70er Jahren hatten Tausende Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft die Präparate Duogynon, Cumorit und Primodos eingenommen hatten, schwere Fehlbildungen erlitten, darunter Herzfehler, fehlende Gliedmaßen, Gaumenspalten, Fehlbildungen der Genitalien, Wasserkopf und Nierenschäden. Die Firma Schering hatte trotz jahrelanger, auch interner Warnungen an den hormonellen Schwangerschafts-Tests festgehalten. Bis heute steht eine Entschädigung der Opfer aus.

Unterstützung erhalten die Betroffenen von Contergan-Opfern: „Die deutschen Pharmaunternehmen genießen zwar übermäßigen staatlichen Schutz, dürfen aber keineswegs aus ihrer moralischen und gesellschaftspolischen Verantwortung entlassen werden. Die verantwortlichen Firmen Grünenthal und Bayer Schering Pharma AG sind nachhaltig aufzufordern, für die von ihnen angerichteten Schäden angemessene Leistungen zu erbringen!“, so Christian Stürmer vom Contergannetzwerk.

Hier die Kampagne der Coordination gegen BAYER-Gefahren unterstützen

Weitere Informationen:
· Artikel im SPIEGEL: http://www.cbgnetwork.de/downloads/ArtikelSPIEGEL.pdf
· Warnhinweis auf Schering-Packungen
· Informationen von Betroffenen http://www.Duogynonopfer.de
· Artikel „Bittere Pillen von Schering“