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Beitrag veröffentlicht im Januar 2013

Bienensterben

CBG Redaktion

Presse Info vom 31. Januar 2013
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Bienensterben: EU will Neonicotinoide verbieten

„Hersteller für Schäden haftbar machen!“

Die EU-Kommission hat heute empfohlen, drei Pestizide aus der Substanzklasse der Neonicotinoide ab dem 1. Juli aus dem Verkehr zu ziehen. Das Verbot soll zunächst für zwei Jahre gelten. Betroffen sind die Insektizide Clothianidin und Imidacloprid von BAYER sowie Thiamethoxam von SYNGENTA.

Die Mitgliedsstaaten sollen Ende Februar über den Vorschlag abstimmen. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) begrüßt die Ankündigung als „Schritt in die richtige Richtung“, fordert jedoch ein dauerhaftes Verbot. Außerdem müssten die Hersteller für die entstandenen Schäden haften.

Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Seit 1998 fordern wir ein Verbot von Neonicotinoiden wegen ihrer Schädlichkeit für Bienen. BAYER und SYNGENTA haben mit den Präparaten Milliarden verdient - es darf nicht sein, dass die Firmen jetzt die Gewinne einsacken, die Allgemeinheit hingegen für die entstandenen Schäden aufkommen muss!“. Die CBG hatte in den vergangenen 15 Jahren wiederholt Gegenanträge zur BAYER-Hauptversammlung eingereicht und zusammen mit Imker/innen aus drei Kontinenten gegen den fortgesetzten Einsatz der Mittel protestiert. „BAYER und SYNGENTA müssen Neonicotinoide jetzt umgehend weltweit vom Markt nehmen – ein doppelter Sicherheitsstandard für Europa und den Rest der Welt ist nicht hinnehmbar!“, so Mimkes weiter.

Die CBG fordert zudem die Bundesregierung auf, den Vorschlag der EU rückhaltlos zu unterstützen. Nach Medienberichten wollen insbesondere England und Deutschland ein Verbot torpedieren. Das EU-Verbot soll für die wichtigsten Kulturen (Sonnenblumen, Raps, Mais und Baumwolle) gelten.

Nach den massiven Bienensterben im Jahr 2008 hatte die CBG wegen „wissentlicher Gefährdung von Bienen, Wildinsekten und Vögeln“ Strafanzeige gegen den BAYER-Vorstand eingereicht. In der Hauptversammlung des Konzerns waren im vergangenen Jahr mehr als eine Million Unterschriften für einen Verkaufs-Stopp übergeben worden.

Bereits vor zwei Jahren hatte die UN-Umweltbehörde UNEP Imidacloprid und Clothianidin in einem Bericht zum globalen Bienensterben als „Bedrohung zahlreicher Tierarten“ bezeichnet.

Die Auseinandersetzung um das globale Bienensterben hat viel Zeit und Geld gekostet. Sie können die Kampagne online mit ihrer Spende unterstützen

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Yasmin / Yaz

CBG Redaktion

28. Januar 2013

Anti-Baby-Pillen auf dem Prüfstand der EU

Die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) will neuere Antibaby-Pillen wegen möglicher Thrombose-Gefahren unter die Lupe nehmen. Frankreich habe die Behörde gebeten zu prüfen, ob der Einsatz von Verhütungsmitteln der sogenannten dritten und vierten Generation auf Frauen beschränkt werden sollte, die keine anderen Pillen nehmen könnten, teilte die EMA am Montag in London mit.
Die französische Regierung hatte die EMA vor zweieinhalb Wochen aufgerufen, die Verschreibung von Anti-Baby-Pillen der dritten und vierten Generation einzuschränken. Das wolle den Einsatz solcher Verhütungsmittel zugunsten älterer Präparate der sogenannten zweiten Generation einschränken.
Bei den jüngeren Verhütungsmitteln besteht im Vergleich zu Pillen der zweiten Generation ein erhöhtes Thrombose-Risiko und damit ein höheres Schlaganfall-Risiko. In Frankreich wurde die Diskussion unter anderem durch die Mitte Dezember eingereichte Klage einer jungen Frau gegen den deutschen Pharma-Konzern Bayer angeheizt. Die junge Frau, die die Bayer-Pille Meliane einnahm, erlitt 2006 einen Schlaganfall und ist seitdem schwerbehindert. In Frankreich nehmen derzeit rund 2,5 Millionen Frauen Pillen der dritten oder vierten Generation - das ist etwa die Hälfte der Frauen, die die Pille nutzen.
Die EMA betonte am Montag, das Thrombose-Risiko sei auch bei Pillen der dritten und vierten Generation „sehr gering“. Vor zweieinhalb Wochen hatte die Agentur beteuert, es gebe für Nutzerinnen dieser Pillen „überhaupt keinen Grund“, sie abzusetzen. Es gebe „keine neuen Beweise“ für ein verändertes „Sicherheitsprofil“ der Verhütungsmittel.
Für Wirbel sorgt in Frankreich derzeit auch das Akne-Medikament Diane 35, das häufig als Verhütungsmittel verschrieben wird. Die französische Arzneimittelaufsicht (ANSM) stellte am Wochenende vier Todesfälle mit der Einnahme des von Bayer hergestellten Medikaments in Zusammenhang. Am Montag forderte die Behörde die Ärzte in Frankreich auf, Diane 35 nicht mehr als Verhütungsmittel zu verschreiben.

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Nanotubes

CBG Redaktion

Presse Info vom 24. Januar 2013
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Nanotechnik-Projekte von BAYER

Millionen-Förderung für Risikotechnologie

Der BAYER-Konzern hat öffentliche Zuschüsse von mindestens neun Millionen Euro für die Erforschung sogenannter Carbon Nanotubes (CNT) erhalten. Dies geht aus einer auf Anfrage der Coordination gegen BAYER-Gefahren erstellten Aufstellung des Bundesforschungsministeriums (BMBF) hervor. Nanotubes sind winzige Röhrchen aus Kohlenstoff. Tierversuche zeigen, dass bestimmte CNT - ähnlich wie Asbestfasern - die Entstehung von Krebs begünstigen können.

Allein 4,3 Mio. Euro hat das BMBF demnach für ein „Scale Up“ zur großtechnischen Herstellung von Nanotubes bewilligt. Die Mittel flossen in den Bau der nach Angaben von BAYER „weltgrößten Pilotanlage für Kohlenstoff-Nanoröhrchen“, die im Januar 2010 in Leverkusen eröffnet wurde. Geplant war dort eine jährliche Produktion von 200 Tonnen. Wegen technischer Probleme läuft die Anlage bis heute jedoch mit einer weit geringeren Kapazität.

Wegen der Probleme in Leverkusen hat BAYER im vergangenen Jahr den Antrag gestellt, eine Versuchsanlage im badischen Laufenburg in unmittelbarer Nähe von Schulen, Kindergärten und Wohngebieten in einen regulären Produktionsbetrieb zu überführen. Obwohl Umweltverbände und Anwohner/innen rund 60 Einwendungen eingereicht haben, wurde im November die Herstellung von 75 Jahrestonnen Nanotubes genehmigt. Nach Angaben von BAYER handelt es sich um die einzige Produktion weltweit im „Multitonnen-Maßstab“.

Das Regierungspräsidium Freiburg stützte sich in seinem Bescheid ausschließlich auf einseitig recherchierte Aussagen des umstrittenen Toxikologen Helmut Greim, der seit Jahrzehnten für seine industrie-freundlichen Expertisen bekannt ist. Greim hatte in seinem Gutachten hauptsächlich Studien zitiert, die BAYER selbst durchgeführt hatte.

Jan Pehrke von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG): „Es ist nicht einzusehen, weswegen ein Konzern mit einem Jahresgewinn von rund drei Milliarden Euro öffentliche Fördergelder erhält – zumal für die großtechnologische Produktion einer Risiko-Technologie, deren toxikologische Auswirkungen auf Mensch und Umwelt noch gar nicht umfassend erforscht sind. Stattdessen sollte das Forschungsministerium lieber unabhängige Untersuchungen von Nanotubes unterstützen.“

Claudia Baitinger vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND NRW) ergänzt: „Bislang gibt es bei Freisetzungen von Nanomaterialien im Wasser-, Bodenschutz- und Abfallrecht noch keinerlei Regelungen. Wir halten deshalb den Umgang mit diesen Stoffen über den Labormaßstab hinaus für unverantwortlich, solange der Gesetzgeber mit drittschützenden Maßnahmen hinterherhinkt.“

Carbon Nanotubes sollen in Lacken, beim Bau von Rotorblättern und in Sportartikeln wie Skiern oder Hockey-Schlägern eingesetzt werden. Die winzigen Partikel können vom Körper über die Atemwege, den Magen-Darm-Trakt und die Haut aufgenommen werden. DNA-Schäden sind hierdurch ebenso möglich wie eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion. Selbst der BAYER-Konzern hält in dem Sicherheitsdatenblatt zu den in Laufenburg produzierten „BAYTUBES C 70P“ fest: „Achtung – noch nicht vollständig geprüfter Stoff“ und warnt vor einem Kontakt mit dem Material, denn: „Toxikologische Untersuchungen am Produkt liegen nicht vor.“

=> Die Aufstellung der vom BMBF geförderten Projekte

weitere Informationen zur Nanotubes-Kampagne

Lipobay

CBG Redaktion

Presse Info vom 23. Januar 2013
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Lipobay-Skandal:

BAYER in Italien zu Entschädigung verurteilt

Italienische Medien berichten, dass der BAYER-Konzern in der vergangenen Woche von einem Gericht in Venedig zu einer Entschädigung von 350.000 Euro an ein Lipobay-Opfer verurteilt wurde (siehe Artikel Il Gazzettino). Ein damals 51-jähriger Arzt hatte sich das Präparat im Jahr 1999 selbst verschrieben. Zwei Monate später erlitt er eine lebensbedrohliche Rhabdomyolyse (Muskelzerfall) und war zu 100% arbeitsunfähig geworden. Er bezieht seitdem eine Invalidenrente. BAYER muss auch die Verfahrenskosten in Höhe von 14.000 Euro tragen.

Erst im vergangenen September war das Unternehmen in Buenos Aires zu einer Entschädigung von 160.000 Euro an ein argentinisches Lipobay-Opfer verurteilt worden. Das Urteil hatte einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Präparats und schweren Gesundheits-Schäden sowie ein schuldhaftes Verhalten des Konzerns festgestellt.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG): „Firmeninterne Dokumente belegen, dass das Management von BAYER die schweren Gesundheitsschäden der Patienten billigend in Kauf nahm und dabei sogar Warnungen aus dem eigenen Haus missachtete. Die Entscheidungen der Gerichte in Argentinien und nun in Italien sind daher eine große Genugtuung für die Betroffenen in aller Welt. Zusätzlich fordern wir strafrechtliche Konsequenzen für die damaligen Verantwortlichen bei BAYER.“

Der Konzern hatte das Präparat im August 2001 nach über 100 Todesfällen vom Markt genommen. Weltweit leistete BAYER Vergleichszahlungen von über einer Milliarde Euro. In den meisten Fällen zahlte das Unternehmen Entschädigungen, bevor es zu einer Verurteilung kam. In Deutschland kam es nur zu marginalen Zahlungen.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hat heute eine Kampagnenseite zum Lipobay-Skandal mit Berichten von Betroffenen, Gerichtsurteilen und Presseberichten veröffentlicht

[TDI] TDI Dormagen

CBG Redaktion

22. Januar 2013
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Dormagen: Genehmigung für umstrittene TDI-Anlage

hoher Energie- und Rohstoff-Verbrauch / Kritik von Umweltverbänden führt zu Auflagen / Schutzraum und Warntafeln am S-Bahnhof „Bayerwerk“

Die Bezirksregierung Köln hat eine Bau- und Betriebsgenehmigung für die umstrittene TDI-Anlage in Dormagen erteilt (siehe: http://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/presse/pressemeldungen/archiv_2013/presse_003_2013/bekanntmachung.pdf). Umweltverbände hatten das Projekt vor allem wegen des enormen Ressourcen-Verbrauchs sowie wegen der Verwendung hochgefährlicher Zwischenprodukte wie Phosgen kritisiert. Die Einwendungen der Coordination gegen BAYER-Gefahren und des BUND waren Ende 2011 in einem zweitägigen Erörterungstermin diskutiert worden.

Auf viele Kritikpunkte geht die Bezirksregierung in dem Genehmigungsbescheid nicht ein. So fehlt eine vollständige Energie- und Treibhausgas-Bilanz, da die Herstellung von Vorprodukten wie Kohlenmonoxid und Chlor in getrennte Verfahren ausgelagert wurde. Eine Bewertung der Umweltauswirkungen der TDI-Produktion ist nach Auffassung der Umweltverbände daher nicht möglich.

Auch wird die Forderung nach einer Betonhülle um alle phosgen-führenden Anlagenteile nicht erfüllt. Geplant ist stattdessen eine Einhausung aus Blechplatten. Zu dieser Frage hatten Behördenvertreter/innen eigens eine Betonhülle in einem Isocyanat-Betrieb in Stade besichtigt.

Rund um die Anlage sollen Phosgendetektoren installiert werden. Zudem wird am S-Bahnhof Bayerwerk ein Schutzraum mit Warntafeln gebaut. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) hatte bemängelt, dass der Bahnhof nur 300m von der Anlage entfernt liegt, während die Kommission für Anlagensicherheit für Phosgen einen Sicherheits-Abstand von 1.500m empfiehlt.

Philipp Mimkes von der CBG: „Wir sind nach wie vor gegen die Genehmigung einer Anlage, deren Bau über Jahrzehnte hinweg die Herstellung gefährlichster Stoffe zementiert. Nirgendwo in den Antragsunterlagen werden die Folgen eines Austritts großer Mengen Phosgen untersucht, obwohl sich in der Anlage zu jedem Zeitpunkt 60 Tonnen dieses einstigen Kampfgases befinden. Zwar führte die jahrzehntelange Kritik der Umweltverbände dazu, dass neue Isocyanat-Betriebe nur noch mit Einhausung gebaut werden dürfen. Der Bau eines Schutzraums auf öffentlich zugänglichem Gelände stellt aber eine Externalisierung der Maßnahmen zu Anlagensicherheit zu Lasten der Bevölkerung dar“.

Hier einige Anmerkungen zu Auszügen aus dem Genehmigungsbescheid im Detail:

Klimaemission (S. 29)
Hier heißt es: „Abgesehen von der Wärmeträgeröl-Anlage emittiert die TDI-Anlage kein CO2. Sie unterliegt daher nicht dem Treibhausemissionshandelsgesetz (TEHG) und bedarf daher keiner Genehmigung nach diesem Gesetz. Eine mögliche Vermeidung oder Reduzierung der CO2-Emissionen ist nicht ersichtlich. Weitergehende Anforderungen z.B. durch Erstellung einer Energie- oder CO2-Bilanz ergeben sich nach aktuellem deutschem Recht nicht.“
Diese Sichtweise ignoriert, dass für die Herstellung der Vorprodukte wie Kohlenmonoxid, Chlor, TDA, etc ein hoher Ressourcen-Einsatz erforderlich ist.

Störfälle (S. 56)
Hierzu heißt es: „Es wird seitens der Einwender befürchtet, dass die Antragstellerin Ereignisse und Störfälle, die in der Vergangenheit bei anderen Anlagen stattgefunden haben, bei der Planung der Anlage nicht berücksichtigt hat.
Wie bereits ausgeführt, wurde durch die Antragstellerin im Rahmen der Planung der Anlage zur Erfüllung der Betreiberpflichten gemäß Störfall-Verordnung eine Gefahrenanalyse durchgeführt, die vom LANUV geprüft wurde. Im Rahmen dieser Prüfung wurden seitens des LANUV auch Ursachen verschiedener Störungen der Vergangenheit und die Vergleichbarkeit dieser Störungen im Hinblick auf die geplante Anlage mit der Antragstellerin besprochen.“
Die Einwender/innen hatten auf mehrere Groß-Unfälle in BAYER-Werken hingewiesen (Baytown/US, Dormagen, Institute/US), auf die in den öffentlich zugänglichen Antragsunterlagen nicht eingegangen wird. Es fehlt eine nachvollziehbare Erläuterung, welche Konsequenzen aus den vorherigen Störfällen gezogen wurden.

Gefahren benachbarter Anlagen
Die Einwender/innen hatten auf Gefahren durch „Domino-Effekte“ hingewiesen. Hierzu wird lediglich ausgeführt: „Gemäß den Antragsunterlagen befinden sich im relevanten Abstand zur TDI-Anlage die TAD-Anlage, ein BCS-Lager, die Salzsäure-Anlage und die NaCl-Elektrolyse sowie ein CO-Reformer. Weiterhin wird ein zusätzlicher CO-Reformer im Umkreis der TDI-Anlage geplant. Diese Anlagen unterliegen alle den Pflichten der Störfall-Verordnung und müssen die Umsetzung der Anforderungen dieser Verordnung dokumentieren.“

Betonhülle S. 64
Hierzu heißt es: „Im Rahmen des Erörterungstermins wurde darüber hinaus die Bauform der geplanten Anlage in Frage gestellt. Die Anlage eines anderen Betreibers im Norden Deutschlands sei mit einer druckfesten Einhausung ausgestattet. Diese Einhausung sei auch für die TDI-Anlage notwendig und zu fordern.
Wie auf dem Erörterungstermin zugesagt, wurde diese Anlage im Nachgang des Erörterungstermins von Vertretern der Genehmigungsbehörde und des LANUV am 19.12.2011 besichtigt. Die Betreiberin dieser Anlage hat dabei umfangreich Informationen zum Sicherheitskonzept und zu Ausführung und Betrieb der Anlage gegeben.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich die besagte Anlage, die 1991 errichtet wurde, und die TDI-Anlage in wesentlichen sicherheitstechnischen Verfahrensbedingungen unterscheiden. Zunächst handelt es sich nicht um eine Anlage zur Herstellung von Toluylendiisocyanat (TDI), sondern Methylendiphenyldiisocyanat (MDI), die anderen verfahrenstechnischen Bedingungen unterliegt. Dem entsprechend wird ein anderes Lösungsmittel eingesetzt und diese MDI-Anlage bei höheren Drücken betrieben, was wiederum eine andere sicherheitstechnische Ausstattung erfordert. Weiterhin handelt es sich bei dem Verfahren der besichtigten Anlage um eine Flüssigphasenphosgenierung, während die TDI-Anlage das unstrittig sicherheitstechnisch vorzuziehende Gasphasenphosgenierverfahren verwendet.“

Angemessene Abstände nach Art. 12 der Seveso-II-Richtlinie (S. 69/70)
Dies ist der wohl interessanteste Punkt: die Bahnstrecke und die Straße, die durch das Werk führen, sowie der S-Bahnhof Bayerwerk befinden sich deutlich innerhalb des empfohlenen Sicherheits-Abstands von 1.500m. Die Frequentierung von 5.000 PkW bzw. 140 Zügen wird als niedrig (!) bezeichnet. Immerhin führte die Kritik zur Errichtung eines öffentlichen Schutzraums. Wörtlich heißt es:
„Um auch diesen Aspekt der angemessenen Abstände mit ausreichender Sorgfalt prüfen zu können, wurde als zusätzliche Erkenntnisquelle ein Gutachten durch einen Sachverständigen nach § 29a BImSchG in Auftrag gegeben, um die angemessenen Abstände in Anlehnung an die Regelungen des KAS-18-Leitfadens (Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG) zu ermitteln.
Im Ergebnis wurde festgestellt, dass nahezu alle relevanten schutzbedürftigen Gebiete (Wohngebiete, öffentlich genutzte Gebiete, Freizeitgebiete und naturschutzrelevante Gebiete) außerhalb der jeweils ermittelten angemessenen Abstände liegen.
Nur die S-Bahn-Station „Dormagen Bayerwerk“ sowie Teile der Verkehrswege Bahntrasse und Parallelweg liegen innerhalb dieser angemessenen Abstände. Aufgrund der geringen Frequentierung des Parallelweges von ca. 5.000 PKW pro Tag ist dieser nicht als wichtiger Verkehrsweg im Sinne Art. 12 der Seveso-II Richtlinie zu betrachten. Aufgrund der Frequentierung der Bahntrasse durch ca. 140 Züge pro Tag wird auch dieser nicht als wichtiger Verkehrsweg angesehen. Es handelt sich auch nur um ein kurzes Streckenstück, das sich innerhalb der angemessenen Abstände befindet.
In Absprache mit der Antragstellerin und der CHEMPARK-Betreiberin wurde für die S-Bahn-Station „Dormagen Bayerwerk“ ein zusätzlicher Schutzraum auf der westlichen Bahnsteigseite errichtet. Weiterhin werden in der Umgebung des Bahnhofes „Informationstafeln mit Sicherheitsmaßnahmen und zum richtigen Verhalten im Störungsfall“ aufgestellt.“

Phosgendetektoren (S. 72)
Auch hier kommt die Behörde den Forderungen der Umweltverbände nach: „Neben der Detektion von Leckagen durch verschiedene Detektionssysteme innerhalb der geplanten TDI-Anlage, sind außerhalb der Anlage in geeignetem Umkreis Phosgendetektoren auf mehreren Gebäudedächern geplant. Die Lage wurde mit der Behörde abgestimmt.“

Auswärtige Feuerwehren (S. 73)
Nicht nachvollzogen werden können die Aussagen zu auswärtigen Feuerwehren. Beim großen INEOS-Brand in Dormagen waren hunderte von Feuerwehrleuten eingesetzt worden, die mit den spezifischen Gefahren nicht vertraut waren. Hierzu heißt es im Bescheid:
„Die Aus- und Fortbildung von Mitarbeitern der Gefahrenabwehr als auch der ehrenamtlichen Angehörigen öffentlicher Feuerwehren sind im Feuerschutz- und Hilfeleistungsgesetz geregelt. Danach sind für Grundausbildung die Gemeinden, für die weitergehende Aus- und Fortbildung die kreisfreien Städte und Kreise zuständig. Eine Ausbildung von ehrenamtlichen Feuerwehren hinsichtlich anlagen- oder stoffspezifischer Fragestellungen ist im Übrigen nicht erforderlich, da Aufgaben, die dies erfordern, von diesen Personen nicht wahrgenommen werden.“

Versicherung (S. 77)
Die Einwender hatten nachgefragt, welche möglichen Schäden durch Versicherungen abgedeckt wären. Hierzu heißt es lediglich: „Die Deckungssumme der Haftpflichtversicherung kann seitens der Genehmigungsbehörde mangels rechtlicher Prüfgrundlagen nicht überprüft werden.“

Presseberichte, Einwendungen und weitere Informationen

Blutprodukte

CBG Redaktion

siehe auch: Experten dringen auf Entschädigung der durch Blutprodukte mit HCV infizierten Bluterkrankten

Presse Information vom 18. Januar 2013

Coordination gegen BAYER-Gefahren
Robin Blood (www.RobinBlood.org)

Hepatitis-belastete Blutprodukte in den 80er Jahren

„Infektionen billigend in Kauf genommen“

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren und das Netzwerk Robin Blood kritisieren die in der vergangenen Woche veröffentlichten Antworten der Bundesregierung auf zwei Anfragen der Linkspartei zu Hepatitis-belasteten Blutprodukten (Drucksachen 17/10910 und
17/11934). Die Regierung bezeichnet die damaligen Infektionen Tausender Bluter darin als „schicksalhaft“.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Der Bundestags-Untersuchungsausschuss „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ (Bundestagsdrucksache 12/8591) kam zu dem Ergebnis, dass ab Ende 1982 nahezu alle Infektionen hätten verhindert werden können. Es ist nicht hinnehmbar, wenn Behörden und Industrie nun versuchen, die Geschichte umzuschreiben“.

Andreas Bemeleit, Betroffener und Gründer des Netzwerks Robin Blood, ergänzt: „Die pharmazeutischen Unternehmen haben aus reiner Profitgier unzählige Infektionen billigend in Kauf genommen. Die Bundesregierung hat seinerzeit ihre Aufsichtspflicht verletzt und sich zum Handlanger der Industrie gemacht. Der hilflos anmutende Verweis auf eine angebliche Schicksalhaftigkeit der Ereignisse zeigt, dass die Bundesregierung nicht gewillt ist, Verantwortung zu übernehmen und nicht fähig ist, ihre Positionen gegenüber der pharmazeutischen Industrie durchzusetzen.”

Etwa 90 Prozent des für die Gewinnung von Gerinnungsfaktoren verwendeten Blutplasmas wurden in den 70er und 80er Jahren aus den USA importiert. Dort galten andere Sicherheitsbestimmungen, u. a. wurden bis 1985 Risikogruppen wie Drogenabhängige, Prostituierte und Strafgefangene als Spender zugelassen. Eine risiko-mindernde Auswahl der Blutspender gab es meist nicht. Der in Deutschland seit 1976 vorgeschriebene ALT-Test wurde in den USA erst ab 1986 Pflicht. Zudem wurden Inaktivierungsverfahren zur Senkung der Infektionsgefahr wegen des Widerstands der Pharma-Industrie jahrelang nicht angewendet.

Andreas Bemeleit bezeichnet es als „erstaunlich“, mit welcher Vehemenz die Regierung die vorliegenden Fakten, darunter das Ergebnis des Untersuchungsausschusses, ignoriert: „Viele Infektionen hätten damals vermieden werden können, wenn das Bundesgesundheitsamt auf die Verwendung virus-inaktivierter Präparate bestanden hätte. Stattdessen ließ sich das BGA in eine jahrelange Diskussion mit der Industrie verwickeln, die die teuren Umstrukturierungen in den Fertigungsbetrieben vermeiden wollte. Fast 75 Prozent der Infektionen erfolgten in diesem Zeitraum.“

Weltmarktführer damals war der Leverkusener BAYER-Konzern. Nach dem Verbot unbehandelter Blutprodukte in den USA und Europa hatte das Unternehmen die übriggebliebenen Chargen nach Lateinamerika und Asien exportiert, wo es zu weiteren Infektionen kam.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren kooperiert seit 25 Jahren mit HIV- und Hepatitis-infizierten Blutern. Ziele der Kampagne sind eine dauerhafte Stiftungslösung, die den Betroffenen ein würdiges Leben ermöglicht, sowie strafrechtliche Ermittlungen gegen die Verantwortlichen in der Pharma-Industrie.

weitere Informationen:
=> Süddeutsche Zeitung „Eiskalte Abwicklung eines Skandals“
=> Neue Dokumente zur HIV-Infizierung Tausender Bluter durch die Bayer-Tochterfirma Cutter
=> Interne Aufstellung des Gesundheitsministeriums: http://robinblood.org/?page_id=239
=> Pharmaindustrie muss infizierte Bluter entschädigen!
=> Rede von Andreas Bemeleit in BAYER-Hauptversammlung
=> Ergebnisse des Untersuchungs-Ausschuss des Deutschen Bundestags (40 MB): http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/12/085/1208591.pdf
=> „Tödlicher Ausverkauf“: Cutter-Exporte nach Asien
=> Gier nach Beute: Interview mit Todd Smith, USA

[EFSA] Bienensterben

CBG Redaktion

16. Januar 2013
Coordination gegen BAYER-Gefahren

EFSA-Bewertung von Neonicotinoiden

EU-Behörde: „unakzeptable“ Gefahren für Bienen

Die European Food Safety Authority (EFSA) hat in einer heute veröffentlichten Stellungnahme vor den Gefahren von drei Insektiziden gewarnt. Nach Auffassung der Behörde zeige sich für einige Anwendungsgebiete „ein hohes Risiko für Honigbienen“. In der von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Untersuchung ging es um Wirkstoffe der Unternehmen BAYER und SYNGENTA, die zur Substanzklasse der Neonicotinoide gehören.

Die EFSA warnt, dass Bienen die Wirkstoffe über belasteten Nektar und Pollen aufnehmen. Hierdurch wird der Orientierungssinn der Tiere gestört, sodass sie nicht mehr in ihre Bienenstöcke zurückfinden. Eine Gefahr sieht die EFSA auch durch den Abrieb der Wirkstoffe von gebeiztem Saatgut. Die Behörde hält daher eine Verwendung von Neonicotinoiden allenfalls auf solchen Pflanzen für akzeptabel, die für Bienen unattraktiv sind. Mais, Raps und Sonnenblumen dürften dann nicht mehr mit Insektiziden gebeizt werden.

Ein Sprecher von EU-Kommissar Tonio Borg kommentierte, die Untersuchung habe „ziemlich klare“ und „beunruhigende“ Schlussfolgerungen ergeben. Die EU werde gemeinsam mit den Mitgliedstaaten über ein Verbot beraten. Bereits 2011 hatte die UN-Umweltbehörde UNEP Neonicotinoide in einem Bericht zu globalen Bienensterben als eine Bedrohung für zahlreiche Tierarten bezeichnet.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) arbeitet seit 1998 zur Bienengefährlichkeit der von BAYER CropScience verkauften Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin und kooperiert hierbei eng mit Imker/innen im In- und Ausland. Philipp Mimkes vom Vorstand der CBG: „Die Gefahren von Neonicotinoiden sind in zahlreichen großen Studien bestätigt worden. Durch die fortgesetzte Vermarktung der Präparate gefährdet das BAYER-Management wissentlich den Bestand von Bienen, Wildinsekten und Vögeln. Die EU-Behörden müssen nun reagieren und die Zulassung von Clothianidin und Imidacloprid vollständig aufheben“.

In der Hauptversammlung der BAYER AG waren mehr als eine Million Unterschriften für einen sofortigen Verkaufs-Stopp übergeben worden. Geschädigte Imker hatten in der Versammlung wiederholt auf die durch Neonicotinoide verursachten Bienensterben hingewiesen.

Nach einer Reihe großer Bienensterben hatten die Wirkstoffe bereits in Deutschland, Frankreich und Italien die wichtigsten Zulassungen verloren. Trotzdem exportiert BAYER die Präparate in mehr als 100 Länder.

ausführliche Informationen zur Kampagne

Die vollständige Bewertung der EFSA: http://www.efsa.europa.eu/en/press/news/130116.htm?utm_source=homepage&utm_medium=infocus&utm_campaign=beehealth

[Yasmin] Antibaby-Pillen

CBG Redaktion

Presse Information vom 15. Januar 2013

Coordination gegen BAYER-Gefahren
Selbsthilfegruppe Drospirenon Geschädigter (SDG)

Verbot gefährlicher Antibaby-Pillen gefordert

Klagen gegen BAYER in Frankreich, USA, Deutschland und der Schweiz / mindestens 18 Todesfälle in Deutschland / mehr als 700 Mio. Euro Entschädigung

Wegen der erhöhten Thrombose-Gefahren von Antibabypillen der 3. und 4. Generation werden gegen den BAYER-Konzern immer mehr Klagen eingereicht, aktuell in Frankreich und der Schweiz. Für Vergleichszahlungen musste der Konzern bisher über 700 Mio. Euro aufwenden. Insgesamt sind gegen BAYER mindestens 13.500 Klagen anhängig.

Die Geschädigten erneuern nun ihre Forderung, wonach alle „Pillen“ mit erhöhten Nebenwirkungen vom Markt genommen werden müssen. Felicitas Rohrer, Mitbegründerin der Selbsthilfegruppe Drospirenon-Geschädigter, hat bereits Klage eingereicht: „Die jüngsten Entwicklungen in den USA, Frankreich und der Schweiz zeigen, dass BAYER mit dem Rücken zur Wand steht. Von einem angeblichen „positiven Nutzen/Risiko-Profil“ der Präparate kann längst nicht mehr gesprochen werden. Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass BAYER amerikanische Opfer mit enormen Summen entschädigt, sich aber in Europa weiterhin weigert, Verantwortung für exakt dieselben Pillen zu übernehmen.“ Rohrer kritisiert, dass BAYER auf die Gesprächsangebote der Opfer bislang nicht eingegangen ist: „Immer noch werden wir als Einzelfälle behandelt. Klägerinnen in Deutschland müssen nun schon seit Jahren für Gerechtigkeit kämpfen!“. Rohrer hatte nach Einnahme der BAYER-Pille Yasminelle eine schwere Embolie erlitten und nur durch ein Wunder überlebt.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) ergänzt: Alle Präparate mit dem Hormon Drospirenon müssen umgehend vom Markt genommen werden, eine weitere Zulassung ist nicht zu rechtfertigen. Mit einem freiwilligen Einlenken von BAYER ist jedoch nicht zu rechnen, so lange die Entschädigungen nicht die Gewinne durch den Verkauf übersteigen – eine zynische Rechnung!“. Die BAYER AG macht mit drospirenonhaltigen Antibabypillen einen jährlichen Umsatz von über einer Milliarden Euro.

In Frankreich sollen die Kosten von Pillen wie Yasmin und Yaz ab Anfang April wegen ihres erhöhten Risiko-Profils nicht mehr von den Krankenkassen übernommen werden – nach Auffassung der CBG ein „Schritt in die richtige Richtung“. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hatte mehrfach Gegenanträge zur BAYER-Hauptversammlung gestellt und Betroffene eingeladen, vor Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionären über die tödlichen Risiken neuerer Antibaby-Pillen zu sprechen.

Pillen wie Yasmin, Yasminelle, Yaz, Aida und Petibelle, die das Hormon Drospirenon enthalten, verursachen Studien zufolge ein um den Faktor drei erhöhtes Embolie- und Thromboserisiko. Nach Angaben der Aufsichtsbehörde FDA starben in den USA mindestens 190 Frauen nach der Einnahme von Yaz. In Deutschland waren es nach jüngsten Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 18 Frauen. Ein kausaler Zusammenhang ist im Einzelfall nicht zu belegen (die Zahlen bieten also nur einen Anhaltspunkt), zu befürchten ist aber eine hohe Dunkelziffer.

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Antibaby-Pille

CBG Redaktion

9.01.2013

Anti-Baby-Pille:

30 Französinnen verklagen Pharma-Firmen wegen fahrlässiger Körperverletzung

Thrombosen, Lungen-Embolien, Hirnschläge – 30 Frauen in Frankreich sehen einen Zusammenhang zwischen schweren Gesundheitsproblemen und der Einnahme der Anti-Baby-Pille. Sie verklagen die Pharma-Konzerne.

Paris. „Meliane“ hat ihr Leben zerstört, sagt Marion Larat. Die Anti-Baby-Pille sei schuld daran, dass sie 2006 einen Gehirnschlag erlitt und ins Koma fiel. Seither leidet sie an epileptischen Anfällen und ist zu 65 Prozent behindert. Neun Mal musste sie operiert werden. „Weil sie eine Verhütungspille genommen hat, wurde ihr Alltag zu einem Albtraum“, erklärt Marions Vater André Larat. Deshalb klagt die 25-jährige Französin gegen das Pharma-Unternehmen Bayer als Hersteller von „Meliane“ (in Deutschland nicht auf dem Markt) wegen fahrlässiger Körperverletzung sowie gegen den Generaldirektor der französischen Nationalagentur für die Sicherheit von Medikamenten ANSM. Ihr haben sich nun 30 weitere Französinnen angeschlossen, die die Konzerne Bayer, Schering, Pfizer und Merck verklagen wegen der Herstellung von Pillen der dritten und vierten Generation.

Die Frauen im Alter zwischen 17 und 48 Jahren sehen einen Zusammenhang zwischen der Einnahme und schweren Gesundheitsproblemen wie Thrombosen, Lungen-Embolien, Hirnschlägen und Venenentzündungen. Eine von ihnen ist gestorben; ihre Familie hat Klage eingereicht. Die Pillen der dritten und vierten Generation sind in Frankreich seit den 80er Jahren auf dem Markt und haben gegenüber denen der ersten und zweiten Generation einen geringeren Östrogengehalt. Das soll unerwünschte Nebenwirkungen wie Akne oder Gewichtszunahme vermeiden. Allerdings konnten diese Vorteile laut einer Studie der Gesundheitsbehörde HAS vom September 2012 nicht nachgewiesen werden; dennoch nehmen 1,5 bis zwei Millionen Frauen in Frankreich diese Pille.

Als erwiesen gilt hingegen ein verdoppeltes Risiko von Blutgerinnseln gegenüber den Pillen der ersten und zweiten Generation, die ebenfalls bereits diese Gefahr bergen, vor allem in Verbindung mit Tabak-Konsum, Übergewicht oder häufigen Flugreisen. In den USA wurden Ende 2011 mehr als 13 000 Klagen gegen den Konzern Bayer eingereicht, der sich auf einen Vergleich und die Zahlung von 107 Millionen Euro einließ.

Bernard Delorme von der ANSM sagte in der französischen Zeitung „Le Figaro“, jährlich sterben in Frankreich zehn bis 30 Frauen an den Folgen der Pillen-Einnahme. Dementsprechend stark stehen nun auch die Gesundheitsbehörden in der Kritik. Die ANSM empfiehlt nun, die Verschreibung der Pillen der dritten und vierten Generation massiv einzuschränken. Gesundheitsministerin Marisol Touraine hat angekündigt, ab März würden die Kosten nicht mehr von der Krankenkasse erstattet. Den Betroffenen und vielen Experten geht das nicht weit genug. „Auch wenn das erhöhte Risiko relativ schwach ist, ist es nicht akzeptabel, wenn es sichere Alternativen gibt“, sagt der Professor für medizinische Pharmakologie Jean-Louis Montatruc. Véronique Séhier vom Nationalen Büro für Familienplanung fordert eine klare Entscheidung: „Entweder die Pillen der dritten und vierten Generation sind gefährlich, dann muss man sie vom Markt nehmen. Oder sie sind ungefährlich, dann darf man keine Unterschiede zu den anderen Verhütungspillen machen.“

Marion Larat ist von der Gefahr überzeugt und kämpft dafür, dass andere Frauen nicht dasselbe Schicksal erleiden wie sie selbst. Bayer hat erklärt, die Vorwürfe prüfen zu wollen. Man habe aber Verständnis für den Schmerz der Klägerin und ihrer Familie.

Behörden haben geschlafen
Fehlerhafte Brustimplantate, krank machende Appetitzügler – und jetzt eine Klagewelle gegen Hersteller von Anti-Baby-Pillen, die krank machen sollen: Frankreich hat einen neuen Gesundheitsskandal. Das Vorgehen der Behörden muss dabei verwundern: In Studien wurden die angepriesenen Vorteile der betroffenen Pillen nicht erwiesen, wohl aber eine erhöhte Gefahr für Blutgerinnsel. Dennoch wird mit Maßnahmen gezögert, und die Krankenkasse erstattet weiter einen Teil der möglicherweise schädlichen Pillen, während man gleichzeitig vor Risiken warnt. Zurück bleibt eine große Verunsicherung bei den Konsumentinnen, die sich schlecht oder falsch informiert fühlen. Erneut haben die Behörden geschlafen oder ein Auge zugedrückt. Das ist umso unverzeihlicher, als es sich um das wertvollste Gut der Patienten handelt: ihre Gesundheit.

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Yasmin

CBG Redaktion

8. Januar 2013

Anti-Baby-Pille

CSS will Geld im Fall Celine zurück

Hunderttausende Franken hat die Krankenkasse für die Nebenwirkungen Anit-Baby-Pille Yasmin von Bayer bereits ausgegeben. Nun fordert sie vom deutschen Pharma-Riesen das Geld zurück.

Die Schweizer Krankenkasse CSS nimmt den Pharmakonzern Bayer ins Visier: Sie unterstützt die Klage des mutmasslichen Antibabypillen-Opfers Celine auf finanzielle Entschädigung. Die CSS hat für Celine und auch für andere Frauen hunderttausende Franken für Heilungskosten aufgewendet – und will nun dieses Geld zurück, wie das Nachrichtenmagazin «10vor10» des Schweizer Fernsehens berichtet.

Laut dem Rechtsanwalt Felix Rüegg, der für die Familie des mutmasslichen Antibabypillen-Opfers Celine Klage gegen den Pharmakonzern Bayer eingereicht hat, hat die CSS im Fall Celine bis heute 600‚000 Franken und in einem andern Fall über 900‘000 Franken für Behandlungskosten aufgewendet. Rüegg sagt gegenüber «10vor10»: «Es soll nicht sein, dass die Allgemeinheit bezahlt und auf der andern Seite die Firma Bayer Gewinn macht».
Konkret hat die CSS eine sogenannte «Nebenintervention zur Unterstützung der Klägerin» eingereicht. Celine hatte als sechszehnjährige nur wenige Wochen die Antibabypille Yasmin der Firma Bayer eingenommen, eine schwere Lungenembolie erlitten und ist seither schwerstbehindert.

Bayer muss zahlen
Für Bayer haben die Fälle aber bereits vor einer Entscheidung im Fall Celine weitreichende Folgen. In den USA ist der deutsche Konzern mittlerweile mit 12‘400 Klagen konfrontiert, rund ein Drittel wurde mit Vergleichszahlungen in der Höhe von 750 Millionen Dollar abgegolten.
Zudem wurde die betroffene Yasmin-Pille von der Konkurrenz überholt. Nuvaring von der Firma Merck, Sharp & Dohme MSD ist seit zwei Jahren das meistverkaufte hormonelle Verhütungsmittel. Aber auch diesen droht ähnlichen Ärger. «Eine neue, grosse dänische Studie zeigt für den Nuvaring ein ähnliches Thrombose-Risiko wie die Dritt- und Viert-Generations-Pillen», sagt Stephan Krähenbühl, Präsident der Swissmedic-Kommission zu «10vor10».
Darum müssten die Warnhinweise in der Packungsbeilage des Nuvarings voraussichtlich verschärft werden. Auch die Firma MSD gerät in den USA unter Druck. Bis heute sind über 1200 Klagen wegen Nebenwirkungen des Nuvarings eingereicht worden. Bayer wollte zu den rechtlichen Schritten der CSS wegen des laufenden Verfahrens keine Stellung nehmen.

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[Ticker] STICHWORT BAYER 01/2013 TICKER

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Keine Gewerkschaften in Kolumbien
Der kolumbianische Gewerkschaftler Guillermo Correa Montoya hat bundesdeutsche Unternehmen dafür kritisiert, an ihren Standorten in dem Land keine Beschäftigten-Vertretungen zu dulden. Neben dem Verhalten von SIEMENS und DHL rügte der stellvertretende Leiter der Gewerkschaftsschule ENS auch die Geschäftspolitik des Leverkusener Multis. „Ein anderes Beispiel ist die BAYER AG. Die hat eine Firmengeschichte von mehr als hundert Jahren in Kolumbien, aber weder im Werk Barranquilla noch in jenem in Cali gibt es eine Gewerkschaft. Das ist kein Zufall“, so Correa Montoya in einem Interview des Neuen Deutschland. In Nordamerika versucht der Konzern ebenfalls zu verhindern, dass die Beschäftigten sich organisieren. So hat er in Emeryville die Gründung einer Gewerkschaft hintertrieben, indem er mit Stellen-Streichungen drohte und die BelegschaftsvertreterInnen als „Schmarotzer“ diffamierte, die es nur auf die Beiträge der ArbeiterInnen abgesehen hätten (Ticker 3/11). Und auf den Philippinen kündigte der Pharma-Riese Anfang der 2000er-Jahre GewerkschaftlerInnen mit fadenscheinigen Begründungen, was ihm sogar eine Klage wegen Verletzung der OECD-Richtlinien für Global Player einbrachte.

CBG gegen Produktionserweiterung
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat Einspruch gegen das Vorhaben BAYERs eingelegt, am Standort Brunsbüttel die Produktion des Kunststoff-Zwischenprodukts MDI zu erweitern (siehe auch STANDORTE & PRODUKTION). Nach Ansicht der Coordination berücksichtigen die Pläne die Möglichkeit eines Austrittes großer Mengen des Giftgases Phosgen nicht in ausreichendem Maße. So will das Unternehmen die Anlage zwar mit einer Einhausung schützen, womit er einer langjährigen Forderung der Umweltverbände nachkommt, diese aber nicht aus Beton, sondern nur aus Blechplatten errichten. Zudem verzichtet der Konzern auf eine so genannte Ammoniak-Wand als zweites Sicherheitssystem. Darüber hinaus hält die Fertigungsstätte den Mindestabstand zu bewohnten Gebieten nicht ein.

Antibiotika: CBG schreibt Aigner
1.734 Tonnen Antibiotika landeten nach Angaben der Bundesregierung 2011 in den Tier-Ställen. Mittel aus der Gruppe der Fluorchinolone, zu denen BAYERs BAYTRIL zählt, waren mit acht Tonnen dabei. Einen Umsatz von 118 Millionen Euro machte der Leverkusener Multi in diesem Marktsegment weltweit mit dem Produkt – und produzierte dabei Risiken und Nebenwirkungen en masse. Darum sandte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) einen Offenen Brief an die Adresse von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner. „Der übermäßige Einsatz antimikrobieller Substanzen führt zur Entwicklung resistenter Erreger. Immer mehr Menschen sprechen daher auf eine Behandlung mit Antibiotika nicht mehr an – eine mitunter tödliche Gefahr“, heißt es in dem Schreiben. Im Fall von BAYTRIL ist diese Gefahr besonders groß. Der Leverkusener Multi bietet nämlich für den Humanmedizin-Bereich mit CIPROBAY ebenfalls ein Medikament aus der Gruppe der Fluorchinole an, das sogar den Status eines Reserve-Antibiotikas für besonders schwierig zu behandelnde Infektionen besitzt. Darum forderte die CBG die Ministerin auf, den Gebrauch von BAYTRIL in der Massentierhaltung zu verbieten und daran zu arbeiten, mittelfristig alle Antibiotika aus den Zuchtbetrieben zu verbannen.

BAYERs Steuergeheimnis
Auf der von TRANSPARENCY INTERNATIONAL (TI) veröffentlichten Transparenz-Rangliste der 105 größten Global Player landete BAYER auf Platz 25. Während der Pharma-Riese für seine Angaben zur Konzern-Organisation die volle Punktzahl erhielt und für diejenigen zu seinen Antikorruptionsprogrammen 8,1 von 10 möglichen, bekam er nur zwei Punkte für seine Auskunftsfreudigkeit in bezug auf die im Ausland gezahlten Steuern. Die TI-Vorsitzende Edda Müller kritisierte diese Verschwiegenheit des Leverkusener Multis und anderer bundesdeutscher Firmen: „Unternehmen sollten länder-spezifische Zahlen wie Umsatz, Vorsteuer-Ergebnis und Steuern veröffentlichen. Nur so können Bürger dieser Länder feststellen, inwieweit Unternehmen Zahlungen an die Regierungen tätigen, Gelder verschwunden sind oder durch entsprechende Konstruktionen Steuern vermieden werden.“

Protest gegen Freihandelsabkommen
Da es der Welthandelsorganisation WTO kaum noch gelingt, auf globaler Ebene Handelsliberalisierungen durchzusetzen (Ticker 4/12), geht die EU dazu über, mit einzelnen Ländern oder Staaten-Verbünden entsprechende Verträge abzuschließen. Diese Vereinbarungen gehen dabei in der Regel noch über die im internationalen Patentabkommen TRIPS getroffenen Regelungen hinaus. So gelang es der Europäischen Union in den Verhandlungen mit Peru und Kolumbien, beste Markt-Bedingungen für BAYER & Co. zu schaffen. Sie erreichte unter anderem eine Verlängerung des Pillen-Patentschutzes über die bisher geltenden 20 Jahre hinaus, eine die Entwicklung von Nachahmer-Präparaten verzögernde 5-jährige Sperrfrist für die Daten aus den Klinischen Prüfungen und eine strengere Ahndung von Verletzungen des geistigen Eigentums. Solche Zugeständnisse will Brüssel nun auch in den Abkommen mit Thailand, Indien und der ASEAN-Gruppe durchsetzen. Doch dagegen erhebt sich Protest. Thailändische Initiativen wie die AIDS ACCESS FOUNDATION, das CANCER PATIENT NETWORK und die FOUNDATION FOR CONSUMERS sehen durch das geplante Freihandelsabkommen die Versorgung der Bevölkerung mit erschwinglichen Medikamenten gefährdet, weshalb sie das Europäische Parlament in einem Offenen Brief aufforderten, eine Verschärfung der TRIPS-Bestimmungen in dem Vertragswerk nicht zuzulassen.

Protest gegen Aschen-Aufbereitung
Die 60-prozentige BAYER-Tochter CURRENTA will auf ihrem Gelände in Leverkusen-Bürrig für die Betreiber-Gesellschaft AVEA eine Ofenschlacken-Aufbereitungsanlage errichten und diese auch für bis zu 25.000 Tonnen Rostasche aus eigener „Produktion“ nutzen (Ticker 4/12). Doch gegen die Pläne regt sich Widerstand. AnwohnerInnen befürchten Giftstaub-Emissionen, weil die Beschäftigten die Asche auf offenen Förderbändern nach wertvollen Metall-Resten durchsuchen sollen und es keine Lagerhäuser gibt. Zudem rechnen sie mit Belästigungen durch den Liefer-Verkehr. „Das alles ist eine Zumutung für uns Bürger“, sagt etwa Manfred Zans. Er fordert einen geschlossenen Betrieb und hat bei der Stadt deshalb Einspruch gegen das Projekt erhoben.

KAPITAL & ARBEIT

Arbeitsplatzvernichtung in Berlin
Das 800 Millionen Euro schwere Rationalisierungsprogramm, das 4.500 Arbeitsplätze vernichtet, reicht BAYER noch nicht. Zusätzlich kündigte der Leverkusener Multi nun an, am Pharma-Standort Berlin im Bereich der chemisch-pharmazeutischen Entwicklung 130 Stellen zu streichen. Darüber hinaus will der Konzern 170 Jobs nach Wuppertal verlegen. Er begründete den Schritt mit dem notwendigen Abbau von Doppel-Strukturen nach der 2006 erfolgten Übernahme von SCHERING und versuchte abzuwiegeln: „Berlin ist und bleibt unser wichtigster Pharma-Standort.“ Der Bezirksleiter der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE, Oliver Heinrich, zeigte sich trotzdem „aufs Höchste alarmiert“. Der Betriebsratsvorsitzende Yüksel Karaaslan reagierte ähnlich: „Wir fürchten hier in Berlin eine Demontage auf Raten“. Und wirklich hat der Pharma-Riese der Hauptstadt-Belegschaft schon übel mitgespielt. Unmittelbar nach dem SCHERING-Deal stellte der Global Player den Beschäftigten noch Vorteile aus dem Zusammenschluss in Aussicht. Die Realität sah jedoch anders aus. 1.000 Belegschaftsangehörige mussten sofort gehen. Mit dem neuen BAYER-Chef Marijn Dekkers brachen dann noch härtere Zeiten an. Er tilgte den Namen SCHERING, unterstellte die Pillen-Schmiede direkt dem Kommando des Pillen-Chefs Jörg Reinhardt und begrub auch die hochtrabenden Pläne für einen „Pharma-Campus“ auf dem Firmen-Gelände. „BAYER scheint schon fast Lust daran zu haben, hier in Berlin Unruhe zu schüren“, beklagte sich ein anonym bleiben wollender Beschäftigter in einem Beitrag für die Berliner Morgenpost. „Besonders bitter stößt uns diese Debatte auf, weil der BAYER-Konzern gerade seine Gewinn-Erwartung erhöht hat“, heißt es in dem Artikel, der mit dem Satz schließt: „Kampflos werden wir unser Arbeitsplätze hier nicht aufgeben, so viel ist klar.“

Betriebsräte polieren Pharma-Image
Betriebsräte großer Pharma-Firmen machen nicht etwa die Profit-Jagd der Unternehmen für Arbeitsplatz-Vernichtungen und immer neue Rationalisierungsmaßnahmen verantwortlich, sondern die staatliche Gesundheitspolitik. Diese Lage-Beurteilung führt sie auch dazu, über die neu gegründete „Arbeitsgemeinschaft Pharma-Betriebsräte“ Lobby-Arbeit für BAYER & Co. zu treiben. So kritisierte der Verband bei Treffen mit PolitikerInnen wie dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Ulrike Flach (FDP), Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz scharf, weil es den Pharma-Riesen mehr Rabatte abverlangt und eine Kosten/Nutzen-Bewertung für Medikamente eingeführt hat. Auch über die angeblich ebenfalls Job kostenden hohen Forschungskosten beklagte er sich und forderte eine steuerliche Absetzbarkeit dieser Ausgaben. Darüber hinaus beabsichtigen die Beschäftigten-VertreterInnen, etwas gegen das schlechte Image der Branche zu tun. „Wir wollen zeigen, dass wir gute Dinge produzieren und eine hohe Wertschöpfung erzielen“, kündigte der BAYER-Betriebsrat Willy Beumann an.

Service-GesellschaftlerInnen unzufrieden
BAYERs Beschäftigten-Befragung bescherte dem Konzern Zustimmungswerte, die von 58 Prozent für das obere Management über 67 Prozent für Vergütung und 73 Prozent für Zufriedenheit bis zu 85 Prozent für das Engagement des Pharma-Riesen gingen. Allerdings traten deutliche Unterschiede zwischen der Belegschaft der drei Sparten „Pharma“, „Kunststoffe“ und „Landwirtschaft“ und den bei den Service-Gesellschaften unter Vertrag Stehenden auf. Während letztere das Unternehmen negativer beurteilten als noch vor zwei Jahren, verteilten erstere bessere Noten als 2010. Ein deutliches Indiz für die 2-Klassen-Gesellschaft beim Leverkusener Multi, die sich unter anderem in der Bezahlung widerspiegelt.

253 LeiharbeiterInnen
Die Zahl der LeiharbeiterInnen ging beim Leverkusener Multi von 650 vor der Wirtschaftskrise auf nunmehr 253 zurück. Das hält der Nachhaltigkeitsbericht für das Jahr 2011 fest. Allein der Aderlass bei BAYER BUSINESS SERVICES (Ticker 4/12) kostete 290 prekär Beschäftigte ihren Job. Ob sich die Konditionen für die ZeitarbeiterInnen seit den Zeiten um 2008, da der Konzern sie mit 6,24 Euro abspeiste und dafür sogar eine Klage von der IG METALL hinnehmen musste (SWB 4/08), inzwischen gebessert haben, darüber steht in dem Report nichts. Auch die Menge der bloß per Werksvertrag beim Global Player malochenden ArbeiterInnen nennt er nicht.

Mangelware Tarifverträge
Weltweit hat der Leverkusener Multi nur mit knapp der Hälfte seiner Beschäftigten Tarifverträge abgeschlossen. Während BAYER in Europa solche Vereinbarungen mit 88 Prozent der Belegschaftsangehörigen getroffen hat, beträgt die Quote in Lateinamerika 46, in der Asien/Pazifik-Region 16 und in den Vereinigten Staaten gar nur drei Prozent. Dort ging sie binnen eines Jahres um fünf Prozent zurück. Die „rückläufige Entwicklung gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter in den USA“ nennt der Konzern dann auch als eine der Hauptursachen für die Absenkung des Anteils der tariflich Angestellten von 55 auf 53,6 Prozent im Geschäftsjahr 2011. An dieser Tendenz hat der Global Player freilich kräftig mitgewirkt, denn er macht GewerkschaftlerInnen das Leben schwer, wo er nur kann. (siehe auch AKTION & KRITIK).

Viele befristete Verträge
Von den 72.800 männlichen Beschäftigten bei BAYER (Stand: 2011) hatten 69.400 unbefristete Arbeitsverträge und 3.400 befristete. Von den 39.000 weiblichen Belegschaftsangehörigen waren 36.900 unbefristet und 2.100 befristet angestellt.

Viele chinesische AkademikerInnen
Der Leverkusener Multi verortet seine Wachstumspotenziale hauptsächlich in den aufstrebenden Schwellenländern. Das zeigt sich unter anderem daran, dass er diese Nationen nicht länger als verlängerte Werksbank betrachtet, sondern dort auch neue Produkte entwickeln will und dafür gut ausgebildetes Personal rekrutiert. So stellte der Konzern 2011 in China 1.900 Uni-AbsolventInnen ein und in Indien 750, in der Bundesrepublik dagegen nur 400 und in den USA bloß 250.

Kündigung nach Kritik
Der Leverkusener Multi bietet seinen Beschäftigten Aktien des Konzerns zum Vorzugspreis an. So vorzüglich ist dieser jedoch gar nicht, wie ein Jurist des Unternehmens erfahren musste. Er kaufte die Anteilsscheine, um ein wenig später zu erfahren, dass er diese bei seiner Hausbank für 500 Euro weniger hätte erhalten können. Der Mann sprach den Fall auf einer Management-Versammlung an und erntete für diesen Mut das Lob von Belegschaftsangehörigen. „Die Kollegen haben mir deshalb hinterher auf die Schulter geklopft, aber auch sofort prophezeit, dass es das für mich bei BAYER war“, berichtet er. „So etwas vergisst der Kardinal nicht“, hatten sie ihn gewarnt. Und der Kardinal vergaß tatsächlich nicht und sandte dem Rechtsexperten ein Kündigungsschreiben. Dieser aber lässt sich das nicht gefallen und ficht vor einem Arbeitsgericht nicht nur seine Entlassung, sondern auch den Aktien-Verkauf an.

Renten-Beiträge: Merkel liefert
Bereits seit Längerem fordern BAYER & Co. eine Senkung der Rentenversicherungsbeiträge (Ticker 1/12). So traten die Unternehmen für eine stufenweise Reduzierung auf 19,1 Prozent ein, eine Kosten-Ersparnis von rund vier Milliarden Euro anvisierend. Nun liefert die Bundesregierung und geht mit der Absenkung der Beiträge auf 18,9 Prozent sogar noch über die von den Konzernen gewünschte Entlastung hinaus.

ERSTE & DRITTE WELT

Kontrazeptiva als Entwicklungshilfe

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Der Leverkusener Multi lässt sich den Absatz seiner Antibaby-Pillen in ärmeren Ländern kräftig sponsern: Verhütung gilt als Entwicklungshilfe. So übernimmt etwa die US-amerikanische Entwicklungsbehörde USAID die Kosten für Erstellung und Verbreitung von Informationsmaterial zu YASMIN & Co in Äthiopien (Ticker 1/12). Und Gelder aus dem mit 400 Millionen Euro gefüllten Topf der Bundesregierung „für Vorhaben zur Förderung der Familienplanung und Frauengesundheit“ griff der Multi ebenfalls ab. Sogar bei der Rekrutierung von Personal greift das Unternehmen auf öffentliche Mittel zurück. So qualifizierte er im Rahmen des Programms „Afrika kommt“ mit freundlicher Unterstützung des Auswärtigen Amtes Spitzenkräfte aus Trikont-Staaten weiter, die ihm nun gute Dienste in ihren Herkunftsländern leisten. Willis Omondi Ogutu etwa kümmert sich nach einer neun Monate langen Schulung am BAYER-Standort Berlin in Kenia um den Vertrieb der Kontrazeptiva und kann dabei auf seine guten Kontakte bauen. Er arbeitete dort nämlich bereits für eine Nichtregierungsorganisation, die sich im Bereich der AIDS- und Malaria-Prävention engagierte.

Kontrazeptiva als Entwicklungshilfe

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„Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson. Zur Freude des Leverkusener Multis teilen auch andere Ex-Präsidenten des Landes diese Ansicht, denn die „gigantischen Fruchtbarkeitsmärkte“ in den armen Ländern versprechen gute Absatzchancen für die Verhütungsmittel des Konzerns. So einigte BAYER sich mit der „Clinton Health Access Initiative“ von Bill Clinton und der „Children’s Investment Fund Foundation“ darauf, den Organisationen das Hormon-Implantat JADELLE zur „Entwicklunghilfe“ um 50 Prozent verbilligt zur Verfügung zu stellen; im Gegenzug gingen diese eine Kauf-Verpflichtung für sechs Jahre ein.

Kontrazeptiva als Entwicklungshilfe

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Der Leverkusener Multi klärt gemeinsam mit der von ihm gesponserten „Deutsche Stiftung Weltbevölkerung“ Uganda auf. Im Rahmen des Projekts „Improving the Sexual and Reproductive Health of Young Adolescents in Uganda“ informiert der Konzern über die AIDS-Prävention und Verhütungsmethoden. Und er vermeldet Erfolge: Während vor dem Start des Programms weniger als 20 Prozent der SchülerInnen mehr als zwei Methoden der Familienplanung kannten, verfügen jetzt mehr als 70 Prozent über umfangreiches Wissen zur Familienplanung – das umfangreichste macht dabei sicherlich dasjenige über die Kontrazeptiva aus dem Hause BAYER aus. Zudem wenden die Jugendlichen ihre Kenntnisse auch an und sorgen so dafür, dass die Armen sich nicht mehr so schnell vermehren. „Mehr als 90 Prozent der Schüler gaben an, dass sie ihr erstes Kind mit 21 oder später haben wollen“, vermeldet das Unternehmen stolz. Sein Nachhaltigkeitsbericht liefert derweil die Angaben über die Anzahl der in das Land gelieferten Pillen nach: 7.420 Zyklus-Packungen. Insgesamt beglückte der Pharma-Riese die so genannten Entwicklungsländer – nicht zuletzt dank der Entwicklungshilfe diverser staatlicher und privater Einrichtungen (s. o.) – 2011 mit 119 Millionen Zyklus-Packungen.

Neoliberale Entwicklungshilfe

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Die Neoliberalisierung der Entwicklungshilfe unter Minister Dirk Niebel schreitet voran. So will er ausgerechnet mit BAYER, BASF und SYNGENTA einen nachhaltigen Beitrag zur Ernährungssicherheit in Schwellen- und Entwicklungsländern leisten und den Aufbau einer lokalen Agrar- und Ernährungswirtschaft fördern. Zu diesem Behufe gründete sich unter seiner Schirmherrschaft nämlich die „Deutsche Initiative für die Agrarwirtschaft und Ernährung in Schwellen- und Entwicklungsländern“ (DIAE), der außer den Multis noch die „Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) und die „Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) angehören.

Neoliberale Entwicklungshilfe

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Mitte Mai 2012 haben die G8-Staaten auf ihrem Treffen in Camp David eine „Neue Allianz für Ernährungssicherung“ gegründet, der mit BAYER, MONSANTO & Co. die üblichen Verdächtigen angehören. Und diese erklären sich auch gleich zu allen Schandtaten bereit. So nimmt sich die Organisation in einem Strategie-Papier vor, die „Verteilung von frei verfügbarem und nicht verbessertem Saatgut systematisch zu beenden“ und „Regeln zu den Eigentumsrechten an Saatgut umzusetzen“. Damit müssten Kleinbauern und -bäuerinnen fortan Lizenzgebühren zahlen, wenn sie ihre Saaten wiederverwenden wollen, was ihre ohnehin schon oft prekäre Lage nochmals verschärfen würde. Auch den Aufkauf von Ackerflächen, das so genannte Landgrabbing, möchte die Allianz erleichtern. Es sieht also alles ganz nach Entwicklungshilfe zur Selbsthilfe aus, was die Global Player da treiben. Dem Bundesentwicklungsministerium (s. o.) macht das nichts aus. Es unterstützt das Unternehmen der Konzerne mit über 50 Millionen Euro.

Gentech-Moratorium in Indien?
Ein Beratergremium hat eine erste Bilanz der „grünen Gentechnik“ in Indien gezogen. Das Ergebnis fällt negativ aus. „Die Erfahrungen der vergangenen Dekade mit transgener Agro-Technik haben gezeigt, dass zwar die Industrie stark profitiert hat, bei der überwiegenden Mehrheit der armen Bauern aber kein positiver Effekt angekommen ist“, heißt es in ihrem 484 Seiten starken Zwischenbericht. Die ExpertInnen empfehlen deshalb dem Obersten Gerichtshof des Landes, ein zehnjähriges Moratorium für Feldversuche zu verhängen. Ob es dazu kommen wird, bleibt jedoch zweifelhaft. Die RichterInnen vertagten Anfang November 2012 einstweilen ihre Entscheidung, während es der Regierung bei dem Termin gelang, einen neuen Sachverständigen in die Beratungskommission berufen zu lassen, was Einfluss auf die Endfassung des Reports haben könnte.

KONZERN & VERGANGENHEIT

Die Flamme weitertragen
Die Geschichtswissenschaftlerin Kordula Kühlem hat den Briefwechsel von BAYERs langjährigem Generaldirektor Carl Duisberg herausgegeben. Bei der Buchvorstellung Anfang Oktober 2012 würdigte der „Leib und Magen“-Historiker des Leverkusener Multis, Werner Plumpe, Duisberg als einen Mann, der den Konzern zu einem Global Player machte, in seiner Amtszeit die modernsten Labore der Welt errichtete, Leverkusen „erfand“ und eine große soziale Ader hatte. Von seiner Verantwortung für den Giftgas-Einsatz und für die Verpflichtung von ZwangsarbeiterInnen im Ersten Weltkrieg sowie von seinem maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN war dagegen nicht die Rede. Der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers litt ebenfalls an selektiver Wahrnehmung. „Tradition heißt nicht, die Asche zu bewahren, sondern die Flamme weiterzutragen“, zitierte er bei der Präsentation der Korrespondenz Thomas Morus und gab damit schon einmal einen Ausblick darauf, wie der Pharma-Riese bei den 2013 anstehenden Feiern zu seinem 150-jährigen Bestehen mit seiner dunklen Vergangenheit umgehen dürfte.

Kontroverse um Ausstellung
Die Universität Köln zeigt in ihren Fakultäten eine Ausstellung zu dem von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzern IG FARBEN. Nachdem diese im Hauptgebäude und im Chemie-Bereich zu sehen war, sollte sie zur Medizin wandern. Dies stieß jedoch auf Ablehnung, ist der Leverkusener Multi doch Kooperationspartner dieses Hochschulteils und an Forschungsvorhaben beteiligt (Ticker berichtete mehrfach). Aber die KRITISCHEN MEDIZINSTUDIERENDEN setzten sich erfolgreich für die Schau ein, und nun können sich in ihrer Fachbibliothek auch die angehenden ÄrztInnen ein Bild von der unheilvollen Geschichte des Pharma-Riesen machen.

POLITIK & EINFLUSS

Keine Kennzeichnung in Kalifornien
In Kalifornien scheiterte ein BürgerInnen-Begehren zur Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln, die Gentech-Ausgangsstoffe enthalten, knapp mit 46,9 zu 53,1 Prozent der Stimmen. Die 25 Millionen Dollar, die BAYER und andere Gen-Multis in eine Gegen-Kampagne investierten, haben sich damit ausgezahlt. Aber die InitiatorInnen der Abstimmung lassen sich nicht entmutigen und versuchen nun in anderen US-amerikanischen Bundesstaaten ihr Glück.

EU fördert Antibiotika-Entwicklung
Immer mehr Krankheitserreger entwickeln Resistenzen gegen Antibiotika. Auch die Präparate des Leverkusener Multis erweisen sich zunehmend als wirkungslos – und das nicht von ungefähr. Der Konzern bietet nämlich Mittel aus derselben Wirkstoff-Gruppe zugleich für die Veterinär- und die Humanmedizin an. Und wenn sich ein Keim im Massentierstall erst einmal an BAYTRIL gewöhnt hat, dann kann ihm, wenn er in den menschlichen Organismus gelangt ist, CIPROBAY ebenfalls nichts mehr anhaben. Unter anderem deshalb stieg die Zahl der CIPROBAY-resistenten „Staphylococcus aureus“-Erreger nach Angaben des „German Network for Antimicrobial Resistance Surveillance“ von 1990 sechs Prozent auf über 26 Prozent im Jahr 2006. Die Zahl der CIPROBAY-resistenten „Staphylococcus epidermides“-Keime nahm der PEG-Resistenzstudie zufolge von 1995 55,3 Prozent auf 2004 70,1 Prozent zu, die der „Escherichia coli“-Erreger von 5,2 auf 21,9 Prozent. Trotz dieses alarmierenden Befundes sucht BAYER ebenso wenig wie viele andere Konzerne nach neuen Substanzen, denn der aus medizinischen Gründen erwünschte sparsame Einsatz erschwert profitable Geschäfte. Deshalb will die EU den Unternehmen das Forschen nun schmackhafter machen. Der Brüsseler „action plan against antimicrobial resistence“ verspricht Big Pharma vereinfachte Zulassungsverfahren und „angemessene Markt- und Preisbedingungen“.

BAYER EU-Lobbyist No. 1
Kein Pillen-Riese lässt sich die Lobby-Anstrengungen auf EU-Ebene so viel kosten wie BAYER. Das ergab eine Untersuchung, die HEALTH ACTION INTERNATIONAL und CORPORATE EUROPE OBSERVATORY durchgeführt haben. Divide & Conquer zufolge gab der Leverkusener Multi im Jahr 2011 über 2,5 Millionen Euro für die Beeinflussung von EU-Kommission und -ParlamentarierInnen aus. Unter anderem investierte er das Geld in ein „Life Science Dinner“ mit ausgewählten Mitgliedern des Europäischen Parlaments, ihren MitarbeiterInnen und Offiziellen der Europäischen Kommission. In den USA wandte der Konzern für seine Einfluss-Arbeit 3,3 Millionen Euro auf und kam damit auf Platz fünf in der „Big Pharma“-Rangliste. Bei dem, was das Unternehmen als seine Pflicht, sich „in die gesetzgeberischen Entscheidungsprozesse einzubringen“, betrachtet, nutzte es auch die Dienste des berüchtigten PR-Giganten BURSON-MARSTELLER, der einst die argentinische Militär-Junta und den rumänischen Diktator Nicolae Ceau&

  • 537;escu zu seinem KundInnen-Stamm zählte.

Gesundheitswirtschaft beim BDI
Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) betrachtet die industrielle Gesundheitswirtschaft als einen „der großen Wachstumstreiber der deutschen Wirtschaft“ und hat deshalb einen „Ausschuss für Gesundheitswirtschaft“ ins Leben gerufen. Den Vorsitz übernahm der BAYER-Vorstand Wolfgang Plischke. Zum obersten Ziel des neuen Gremiums erklärte er „die Entwicklung einer branchen-übergreifenden Perspektive für alle im Gesundheitssektor tätigen Unternehmen“.

Teures Verbindungsbüro
„Wir bei BAYER verstehen uns als Bestandteil der Gesellschaft und sehen es daher als unsere Pflicht, uns in die gesetzgeberischen Entscheidungsprozesse einzubringen“, sagte der damalige Vorstandsvorsitzende Werner Wenning bei der Einweihung des Berliner „Verbindungsbüros“. 2011 ließ der Leverkusener Multi sich die Arbeit seiner Hauptstadt-LobbyistInnen 1,2 Millionen Euro kosten und besetzte auch den Chef-Sessel neu. Seit Juli führt der auf Gesetzesvorhaben der EU spezialisierte Stephan Schraff die Einflüsterungsgeschäfte.

BAYER muss draußen bleiben
BAYER, MONSANTO und andere Gen-Multis haben ihren privilegierten Zugang zum französischen Parlament verloren. Sie mussten ihren Akkreditierungsausweis zurückgeben. Damit wollen die regierenden SozialistInnen dem Extrem-Lobbyismus vorbeugen, der bei den kommenden Entscheidungen des Abgeordnetenhauses zur Risiko-Technologie zu erwarten steht. Eine BAYER-Sprecherin zeigte sich „erstaunt“ über die Maßnahme: „Eine solche Entscheidung (...) ähnelt einer Stigmatisierung“. Den Konzernen bleiben aber auch so noch genügend Mittel und Wege offen, ihren Einfluss geltend zu machen.

BAYER will politischer werden
Aktuelle Projekte des Leverkusener Multis wie die Kohlenmonoxid-Pipeline sehen sich einem erbitterten Widerstand gegenüber. Bei neuen Vorhaben soll sich das nicht wiederholen. „BAYER wird seine politische Arbeit verstärken“, droht die Propaganda-Postille direkt an und zitiert den Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers: „Wir müssen unsere Geschäfte auf eine breite Basis der Akzeptanz stellen.“

Wenning gegen Banken-Zerschlagung
Die Rolle der Banken in der Finanzkrise hat auch viele ManagerInnen dazu bewogen, am Universalbanken-Prinzip zu zweifeln und eine Trennung von Kredit- und Investment-Aktivitäten zu fordern. BAYERs Aufsichtsratschef Werner Wenning tritt in einem Interview mit dem Manager-Magazin jedoch für die Beibehaltung des alten Systems ein: „Weil es gerade der globalen Industrie nutzt. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung als Vorstandsvorsitzender von BAYER sagen, dass es enorm wichtig ist, Finanzpartner zu haben, die nicht nur das eigentliche Kredit-Geschäft betreiben.“

BAYER im Sparkassen-Beirat
Seit 2003 existiert der 24 Mitglieder umfassende Wirtschaftsbeirat der LEVERKUSENER SPARKASSE. Dort „tauschen sich Unternehmer und Verantwortliche in großen Firmen regelmäßig aus“, wie der Leverkusener Anzeiger weiß. Und seit diesem Jahr tauscht in der Runde auch BAYERs Finanzvorstand Werner Baumann mit.

BAYER-Auszubildende bei Ulrike Flach
Die FDP-Politikerin Ulrike Flach (FDP) unterhält beste Kontakte zum Pillen-Riesen. Im letzten Jahr besuchte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium den Leverkusener Chemie-„Park“ und heuer hat sie in Berlin neben der „Arbeitsgemeinschaft Pharma-Betriebsräte“ (siehe KAPITAL & ARBEIT) auch schon 20 BAYER-Lehrlinge empfangen, mit denen sie über Nachhaltigkeit plauderte.

Kraft bei BAYER
Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) besuchte im August 2012 den BAYER-Stand im Essener „Ideen-Park“, der Kinder und Jugendliche für Naturwissenschaft, so wie sie die Konzerne verstehen, gewinnen will. Besonders angetan zeigte sich die Politikerin von dem Projekt „Dream Production“, das den Einsatz von Kohlendioxid als Rohstoff zur Kunststoff-Herstellung erprobt, obwohl WissenschaftlerInnen den Recycling-Effekt als gering einschätzen. „Die stoffliche Nutzung kann keine riesigen Mengen binden, weil wir einfach viel, viel mehr Kohlendioxid freisetzen“, sagt etwa der Chemie-Ingenieur Arno Behr von der „Technischen Universität Dortmund“ (Ticker 1/10).

Landesminister bei BAYER
Anfang Oktober 2012 besuchten der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) und der Energiewende-Minister Robert Habeck (Grüne) Brunsbüttel. Sie schauten sich in Begleitung des parteilosen Bürgermeisters Stefan Mohrdieck den Elbe-Hafen sowie die Schleusen-Anlagen an und machten auch bei BAYER Halt. Dort nahm Habeck kein Blatt vor den Mund. Während Mohrdieck im Namen der heimischen Wirtschaft vor allem Infrastruktur-Verbesserungen einforderte (siehe auch STANDORTE & PRODUKTION), verlangte Habeck von der Industrie eine Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes: „Auch für Sie kann nicht gelten ‚Immer weiter wie bisher’.“

EU lockert Werbe-Verbot nicht
Unter massivem Lobby-Einsatz hatte BAYER in Tateinheit mit der gesamten Branche versucht, das EU-weite Werbe-Verbot für Medikamente zu kippen, um unter dem Siegel der „PatientInnen-Information“ mit seinem Milliarden-Etat noch ein wenig mehr Marketing betreiben zu können. Initiativen wie die BUKO-PHARMA- KAMPAGNE liefen Sturm gegen den Plan – und konnten sie durchsetzen. Die Europäische Union verfolgt das Gesetzes-Vorhaben vorerst nicht weiter.

PROPAGANDA & MEDIEN

„Verantwortungsvolles Marketing“
Über zwei Milliarden Euro gab BAYER im Geschäftsjahr 2011 für Werbung und „Kundenberatung“ aus. Neuerdings sieht sich der Leverkusener Multi dabei zu einem „verantwortungsvollen Marketing“ verpflichtet. Der Konzern bekennt sich in seinem Nachhaltigkeitsbericht dazu, bei der Reklame für Arzneien und sonstige Produkte klar und deutlich auf Risiken hinzuweisen, keine missverständlichen Aussagen zu machen und nur behördlich genehmigte Anwendungsgebiete zu propagieren. Gehalten hat der Global Player sich an seine eigenen Grundsätze jedoch nicht. Auch im Berichtszeitraum mussten die Aufsichtsbehörden wieder einschreiten (Ticker 4/11). So rügte das Selbstkontroll-Organ der britischen Pharma-Industrie, die „Prescription Medicines Code of Practice Authority“ (PMCPA), eine Annonce für das Verhütungsmittel YASMIN als „hochgradig unethisch“, weil der Pharma-Riese darin das Kunststück fertiggebracht hatte, das Kontrazeptivum mit dem Zusatznutzen „gegen Akne“ und „gegen Wassereinlagerungen“ zu bewerben, um dann im Kleingedruckten just „Akne“ und „Wassereinlagerungen“ als mögliche Nebenwirkungen aufzuführen. Zudem kritisierte die Einrichtung den Global Player dafür, die Kommunikationsplattform Twitter dafür genutzt zu haben, verbotenerweise verschreibungspflichtige Arzneien anzupreisen.

ÄrztInnen-Fortbildung in China
In den ländlichen Regionen Chinas organisiert der Leverkusener Multi gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium unter dem Label „Go West“ Fortbildungskurse für MedizinerInnen, „um verbesserte Diagnose, Therapie und Patienten-Beratungen zu erreichen“, sprich: mehr BAYER-Pillen in Umlauf zu bringen. 3.500 ÄrztInnen und 3.100 Krankenhaus-Angestellte haben seit 2007 die entsprechenden Programme durchlaufen.

Kooperationsvertrag mit Schule
2004 hat BAYER mit dem Monheimer Otto-Hahn-Gymnasium einen Kooperationsvertrag geschlossen. Seither suchen jährlich sechs ReferentInnen des Leverkusener Multis die Schule heim. Im Mai 2012 hielt Dr. Norbert Mencke, in der Tiermedizin-Abteilung des Konzerns für das „Global Marketing“ zuständig, einen Vortrag über Infektionskrankheiten bei Mensch und Tier. Welche Lernziele das Unternehmen bei solchen Übungen verfolgt, darüber gab eine Pädagogin einmal der Wirtschaftswoche Auskunft. „Natürlich bekommen die Schüler dort den Eindruck vermittelt, Gentechnik sei das Nonplusultra, und ohne BAYER und seine Pflanzenschutzmittel würde keine Nutzpflanze auf dieser Welt überleben“, sagte sie der Zeitschrift. Die Chemie-Lehrerin der Otto-Hahn-Schule ist da allerdings anderer Ansicht. „Eine Win-win-Situation“ nannte Katja Lücke das Arrangement mit dem Global Player.

Diabetes-Dialog in Dubai
BAYER hat im April 2012 in Dubai eine Diabetes-Konferenz veranstaltet, zu der unter anderem MedizinerInnen und PolitikerInnen aus Ägypten, Kuwait, Saudi Arabien, Bahrein und den Vereinigten Arabischen Emiraten anreisten. „In den Teilnehmer-Regionen des ersten Symposiums herrscht dringender Bedarf an neuen lokalen Perspektiven zum Diabetes-Management“, meint der Leverkusener Multi mit Blick auf die Krankheitsraten in den Ländern – und hofft diese Aussichten mit seinen Medikamenten und Blutzucker-Messgeräten zu gewähren. Ob das gelingt, steht allerdings in Frage, denn die Diabetika des Konzerns haben nicht den besten Ruf. So bescheinigte der Pharmazeut Gerd Glaeske dem Präparat GLUCOBAY, „gerade mal so wirksam wie Müsli“ zu sein.

160.000 Euro für PatientInnen-Gruppen
Im Jahr 2011 spendete BAYER bundesdeutschen PatientInnen-Organisationen 162.000 Euro; nur NOVARTIS, PFIZER und ROCHE zeigten sich spendabler. Die Auswahl des Pharma-Riesen richtete sich dabei strikt nach seinem Produkt-Portfolio. Mit 62.000 Euro erhielt die „Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft“ als Zielgruppe des Medikamentes BETAFERON am meisten Geld, mit 20.000 Euro folgten dann die potenziellen KOGENATE-AbnehmerInnen von der „Deutschen Hämophilie-Gesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten“. In Zukunft dürften die Verbände noch mehr bekommen. Die Bundesregierung will nämlich die Mitsprache-Rechte der PatientInnen unter anderem bei der Zulassung von Arzneimitteln und der Frage der Kostenerstattung durch die Krankenkassen stärken, und da ist eine verstärkte Pflege der medizinischen Landschaft geboten.

Preis vom Bluterverband
Von all den PatientInnen-Vereinigungen, die der Leverkusener Multi sponsert, bedenkt er Bluter-Verbände am reichlichsten, gilt es doch, vergessen zu machen, dass in den 1990er Jahren Tausende Bluter an HIV-verseuchten Blutprodukten des Konzerns starben, weil er sein Präparat KOGENATE aus Kostengründen keiner Hitze-Behandlung unterzogen hatte. 5,5 Millionen Euro erhielten die verschiedenen Organisationen im Geschäftsjahr 2010. Und die Investition lohnt sich. Im Juli 2012 bekam BAYER von der „World Federation of Hemophilia“ den „Robert Koch Award“ – ausgerechnet für die Entwicklung von KOGENATE. „Der renommierte Preis unterstreicht, wofür BAYER steht: Science for a better Life“, konnte der BAYER-Manager Liam Condon in seiner Dankesrede sagen.

PatientInnen-Akademie gegründet
BAYER & Co. intensivieren ihre Bemühungen, PatientInnen-Organisationen für sich zu gewinnen (s. o.). Zu diesem Zweck haben sie jetzt die „Europäische Patienten-Akademie zu therapeutischen Innovationen“ (Eupati) gegründet. „Mit einem geeigneten Training können Patienten-Vertreter akzeptierte Partner in Wissenschaft, Ethik- und Kontrollausschüssen werden und dabei klinische Studien, Arzneimittel-Entwicklung und Zugangsstrategien verbessern und beschleunigen“, meinen die Unternehmen. Zu allem Überfluss lassen die Pillen-Riesen sich die Nachhilfe in Sachen Lobbying auch noch teilweise von der EU finanzieren. Die Kosten für die Eupati in Höhe von zehn Millionen Euro übernimmt nämlich die von Brüssel mit insgesamt zwei Milliarden Euro geförderte „Innovative Medicines Initiative“, eine „Public Private Partnership“ zwischen der EU-Kommission und den europäischen Pillen-Riesen. Der Leverkusener Multi lässt sich bei Eupati durch die beiden Manager Jutta Ulbrich und Mark Fairbourn sowie durch den Medizin-Professor und BAYER-Berater Dr. Wolf See (s. u.) vertreten. Das Trio sorgt dort unter anderem für das generelle Management, die Einbindung der Industrie-Netzwerke, die Implementierung der Computer-Technik und die Entwicklung der PR-Strategie. „Unabhängige Gesundheitsinformation ist für Laien wie Fachleute wichtig. Die öffentliche Hand muss hier ihre Verantwortung besser wahrnehmen und darf das Feld nicht der Industrie überlassen“, mit diesen Worten kritisiert die BUKO PHARMA KAMPAGNE die Initiative der Konzerne.

Ein Mann mit vielen Eigenschaften
Der Mediziner Prof. Dr. Wolf See ist im Nebenberuf BAYER-Berater. Da ergeben sich schon bei den Lehrveranstaltungen, die See an der Ruhr-Universität Bochum als außerplanmäßiger Professor abhält, Synergie-Effekte, bietet er dort doch Lehrveranstaltungen zu den klinischen Prüfungen von Wirkstoffen an. Darüber hinaus vertritt der fleißige Gelehrte den Leverkusener Multi nicht nur in der „Europäischen Patienten-Akademie zu therapeutischen Innovationen“ (s. o.) und der „Innovative Medicines Initiative“, einer „Public Private Partnership“ zwischen der EU-Kommission und den europäischen Pillen-Riesen, er schreibt für den Global Player auch Aufsätze in Fach-Magazinen wie dem European Journal of Pharmaceutical Sciences. Zudem nahm See 2011 am Frühjahrssymposion des von BAYER gegründeten „Verbandes der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ zum Thema „Von der Gesundheitsforschung in die Gesundheitsversorgung – gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft meistern“ teil.

Ausstellung in Leverkusen
BAYER sponsert das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), um sich ein Öko-Image zu verschaffen. Im Rahmen dieser Kooperation veranstaltet der Konzern alljährlich auch einen Kinder-Malwettbewerb zum Thema „Naturschutz“. Eine Auswahl der Bilder stellte der Pharma-Riese Ende August 2012 im Leverkusener Baykomm aus.

Lokalblatt macht BAYER-Werbung
Ende September 2012 machte der Leverkusener Anzeiger unbezahlt BAYER-Werbung. Die Zeitung feierte den Global Player, seine Chemie-Abspaltung LANXESS und den im Besitz der beiden Unternehmen befindlichen Chemie„park“-Betreiber CURRENTA als „die drei Säulen der lokalen Wirtschaft“. Dass diese Säulen die Stadt schon längst nicht mehr tragen können – sie ist hochverschuldet (siehe STANDORTE & PRODUKTION) – ficht das Blatt nicht an. Wacker rühmt es BAYERs gute Geschäfts- und Ökobilanz, letztere trotz eines Kohlendioxid-Ausstoßes von über acht Millionen Tonnen, feiert das kulturelle Engagement des Konzerns und promoviert das BAYER-Kreuz und die roten Werksfahrräder zu Trägern der kulturellen Identität Leverkusens.

RP macht BAYER-Werbung
Mit der „Langen Nacht der Industrie“ versuchen BAYER & Co. ihr nicht zuletzt durch gefährliche Projekte wie die Kohlenmonoxid-Pipeline (siehe CO & CO.) ramponiertes Image zu liften. Die Rheinische Post ließ sich dabei bereitwillig einspannen. Sie stellte auf ihren Seiten die Chemie-„Parks“ von BAYER vor und legte sich kräftig ins Zeug, um Bedenken zu zerstreuen. So hob die Zeitung die hohen Sicherheitsstandards hervor und lobte die umweltgerechte Schadstoff-Entsorgung. Sie entblödete sich nicht einmal, dem „architektonisch preisgekrönten“ Monheimer Standort „Wohlfühl-Ambiente“ zu bescheinigen.

Gentech-Werbung auf Sunshine Live
Der Leverkusener Multi will verstärkt Jugendliche für seine Gentechnik-Produkte gewinnen und umwarb die Zielgruppe deshalb mit einem Spot für die Risiko-Technologie auf dem Sender Sunshine Live, der speziell auf elektronische Musik ausgerichtet ist. AktivistInnen wandten sich deshalb an die Redaktion und protestierten gegen die Gentech-Propaganda auf der Welle.

BAYER im Museum
Der Leverkusener Multi nahm im Sommer 2012 das Kölner „Museum für angewandte Kunst“ in Beschlag. Der Konzern präsentierte in der Ausstellung „Architekturteilchen“ nicht nur seine „Sample-Box“ mit unterschiedlichen Baumaterialien und einen Teil der Dach-Konstruktion eines chinesischen Bahnhofs, auch alle Präsentationsmedien wie Tische und Schautafeln wurden aus Kunststoff made by BAYER gefertigt.

BAYER in Boston auf der BIO 2012
Im Juni 2012 nahm BAYER an der weltgrößten Biotechnologie-Messe der Welt teil, der „BIO International Convention“ in Boston. Der Leverkusener Multi präsentierte sich dort auf einem Gemeinschaftsstand der Länder Berlin und Brandenburg zusammen mit Biotech-Firmen aus der Region, dem Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik und weiteren Einrichtungen und Unternehmen.

BAYER vergibt Klima-Preis
Um sich trotz eines jährlichen Kohlendioxid-Ausstoßes von über acht Millionen Tonnen als Klima-Kümmerer darstellen zu können, verleiht der Leverkusener Multi einen „Climate Award“. 2012 erhielt der finnische Wissenschaftler Markku Kulmala von der Universität Helsinki diese Auszeichnung für seine Forschungen über bestimmte Partikel in der Atmosphäre, die zu einer Abmilderung der Erderwärmung beitragen könnten.

Greenwashing mit dem EBEN
Auch in den USA versucht BAYER sich mittels PR-Aktionen als Umweltengel zu präsentieren. Um sein Sündenregister vergessen zu lassen, rief der Multi am Standort Berkeley das „East Bay Environmental Network“ (EBEN) ins Leben, einen Verbund aus Stadtverwaltungen, Unternehmen und Universitäten, der sich nominell der Förderung des Umweltschutzes im Allgemeinen und des Klimaschutzes im Besonderen verschrieben hat.

TIERE & ARZNEIEN

Kein BAYTRIL-Verbot
1.734 Tonnen Antibiotika landeten nach Angaben der Bundesregierung 2011 in den Tier-Ställen. Der massenhafte Einsatz dieser Mittel in der Massenzucht fördert die Entwicklung resistenter Erreger. In den menschlichen Organismus gelangt, können diese Krankheiten auslösen, gegen die Antibiotika dann nicht mehr wirken. Bei BAYERs BAYTRIL ist diese Gefahr besonders groß, denn CIPROBAY, sein Pendant für die Humanmedizin, entstammt ebenfalls aus der Gruppe der Fluorchinolone und hat sogar den Status eines Reserve-Präparats für besonders schwierig mit Antibiotika zu behandelnde Infektionen inne. Trotzdem will die Bundesregierung den TierhalterInnen die Gabe von BAYTRIL & Co. nicht verbieten. „Für Cephalosporine und Fluorchinolone zur Anwendung bei Tieren bestehen nationale und EU-weite Zulassungen, die Bestandsschutz genießen“, antwortete die Regierungskoalition auf eine Kleine Anfrage der Grünen. CDU und FDP behalten sich lediglich Einschränkungen des Gebrauchs vor, obwohl immer mehr Bakterien und Keime gegen diese Wirkstoffe immun werden.

Noch mehr BAYRIL
Der Leverkusener Multi ignoriert die Risiken und Nebenwirkungen der massenhaften Verwendung von Antibiotika in der Massentierhaltung (s. o.) und wirft in Europa mit BAYTRIL MAX FOR PIGS ein neues Produkt speziell für Schweine-ZüchterInnen auf den Markt. Um es den TierhalterInnen schmackhaft zu machen, scheut der Konzern nicht einmal davor zurück, mit dem inflationären Gebrauch des Präparats in anderen Welt-Regionen Werbung zu treiben. So verweist er auf Erfahrungen mit dem Mittel in Nord- und Südamerika, „wo es erfolgreich zur Behandlung von mehr als sechs Millionen Schweinen eingesetzt wurde“.

Tier-Markt wächst tierisch
Längst hält der Leverkusener Multi für die vierbeinigen Freunde nicht mehr nur Arzneien und Mittel gegen Flöhe und andere Parasiten bereit. Er hat auch eine Art Deodorant gegen den tierischen Geruch, Vitamin-Cocktails und diverse Pflege-Artikel von Kurz- und Langhaar-Shampoo über Ohren-Spülungen bis hin zu Zahnpflege-Sets im Angebot. Und der Konzern will dieses Segment sogar noch ausbauen. „An der Erweiterung der Pflege-Produkte und Futter-Ergänzungsprodukte um interessante Produkte arbeiten wir, da dies ein durchaus wachsender Markt ist“, lässt das Unternehmen verlauten.

DRUGS & PILLS

USA: Aus für Baby-ASPIRIN
BAYERs Schmerzmittel ASPIRIN kann das Reye-Syndrom auslösen. Diese seltene Krankheit schädigt Leber und Gehirn und verläuft zu 40 Prozent tödlich. Am häufigsten tritt sie im Alter zwischen vier und neun Jahren auf. Darum musste der Leverkusener Multi in den USA nun das speziell auf diese Zielgruppe ausgerichtete „Baby-ASPIRIN“ vom Markt nehmen (SWB 1/13). In Lateinamerika hingegen vermarktet der Konzern bis heute solche speziell für Kinder gedachten Acetylsalicylsäure-Präparate.

BfArM zu DUOGYNON
Der hormonelle Schwangerschaftstest DUOGYNON der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Darüber hinaus kamen unzählige Kinder mit schweren Missbildungen zur Welt. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) erfasst bis heute Meldungen über Risiken und Nebenwirkungen des 1980 aus dem Verkehr gezogenen Mittels und veröffentlichte 2012 einen Bericht dazu. Obwohl selbst firmen-interne Dokumente DUOGYNON eine hohe Gefährlichkeit bescheinigten, sah sich die Behörde zu einem eindeutigen Urteil nicht in der Lage. „Ein Kausalzusammenhang zwischen den berichteten Fehlbildungen und der Exposition mit DUOGYNON in der Schwangerschaft kann nicht bestätigt, aber auch nicht sicher ausgeschlossen werden“, heißt es in dem Report.

EU-Zulassung für Augenmittel
Nach einem Zulassungsbescheid der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA für BAYERs Augen-Arznei EYLEA (Ticker 2/12) genehmigte ihr europäisches Pendant EMA das Medikament. Das Mittel zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zur Blindheit führen kann – erschließt jedoch nicht gerade medizinisches Neuland. Laut Konzern zeigte das Pharmazeutikum in Tests lediglich „eine vergleichbare Wirkung (‚Nicht-Unterlegenheit’) gegenüber der Behandlung mit LUCENTIS“.

Noch mehr YASMIN & Co.
Trotz zahlreicher Todesfälle und starker Nebenwirkungen setzt BAYER weiter auf drospirenon-haltige Kontrazeptiva aus der YASMIN-Familie. Weil für die Präparate bald der Patentschutz ausläuft, entwickelt der Leverkusener Multi fieberhaft Varianten mit geringfügigen Abweichungen. So hat er jetzt die europa-weite Zulassung für die Pille FLEXYESS erhalten, die es den Frauen durch ein flexibles Einnahme-Schema erlaubt, die Zyklus-Länge vorauszuplanen.

BAYER entwickelt Verhütungspflaster
Der Leverkusener Multi will ein Verhütungspflaster auf den Markt bringen und hat bei den EU-Behörden einen entsprechenden Zulassungsantrag gestellt. Das Produkt enthält mit 0,55 mg des Hormons Ethinylestradiol und 2,1 mg des Hormons Gestoden höher dosierte Wirkstoffe als Kontrazeptiva in Pillen-Form, soll diese aber angeblich peu à peu über die Woche verteilt abgeben. Der Konzern erwartet von der Neuentwicklung einen Jahres-Umsatz von 250 bis 500 Millionen Euro.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Pestizid-Folgekosten: 90 Milliarden
Schätzungen zufolge kommt es Jahr für Jahr zu 41 Millionen Pestizid-Vergiftungen. Und eine Studie des UN-Umweltprogrammes UNEP rechnet für die Zukunft mit noch höheren Zahlen – vor allem in Armutsregionen. Dort steigt nämlich der Pestizid-Verbrauch rasant. Der Report „Global Chemicals Outlook“ rechnet deshalb für 2015 bis 2020 allein in Afrika mit Behandlungskosten in Höhe von 90 Milliarden Dollar. Um es nicht so weit kommen zu lassen, appelliert die UNEP an Regierungen und Agrochemie-Hersteller, mehr gegen die Risiken und Nebenwirkungen der Mittel zu unternehmen. Den Kontakt zu BAYER hätte die Einrichtung auch auf dem kleinen Dienstweg aufnehmen können: Der Leverkusener Multi gehört nämlich zu ihren Sponsoren.

Pestizid-Markt wächst
Nicht nur in den Armutsregionen steigt der Absatz von Pestiziden (s. o.), auch generell erhöht sich der Verbrauch. So wuchs der globale Agrochemie-Markt 2011 gegenüber dem Vorjahr um 18 Prozent; 45,3 Milliarden Dollar betrug der Umsatz von BAYER & Co.. In der Bundesrepublik nahm er um 2,9 Prozent auf 1,255 Milliarden Euro zu. Das stärkste Plus verzeichneten die bundesdeutschen Hersteller bei dem Segment der „Pflanzenschutzmittel“ für Haus und Garten mit einem Anstieg von 19,1 Prozent auf 119 Millionen Euro. Überproportional legten dabei die Produkte zu, die auf Chemie verzichteten.

BAYER-Pestizide in Lebensmitteln
2010 fanden sich nach einer Studie des „Bundesamtes für Verbraucherschutz“ in 62,8 Prozent der untersuchten Obst- und Gemüseproben Pestizid-Rückstände; in 2,9 Prozent der Fälle überschritten die Spuren die gesetzlich festgelegten Grenzwerte. Besonders alarmierend: Baby-Nahrung war zu 17,2 Prozent belastet. Und unter den acht am häufigsten nachgewiesenen Substanzen tummelten sich mit Carbendiazim (enthalten in der Agrochemikalie DEROSAL) und Chlorpyrifos (enthalten in BLATTANEX, PROFICID und RIDDER) zwei auch von BAYER produzierte Wirkstoffe.

GAUCHO & Co. giftiger als DDT
BAYERs Saatgut-Behandlungsmittel PONCHO und GAUCHO mit den Wirkstoffen Clothianidin bzw. Imidacloprid haben verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. So tragen die zur Gruppe der Neonicotinoide gehörenden Pestizide eine Mitschuld am weltweiten Bienensterben, denn sie haben es in sich: Ihre Giftigkeit übersteigt diejenige von DDT um das 5.000 bis 7.000fache.

Zulassungen trotz Bienengefährlichkeit
Die EU-Zulassungsverordnung für Pestizide untersagt eigentlich die Genehmigung von Ackergiften, die negative Auswirkungen auf Bienenvölker haben. Trotzdem gelangen vieler dieser Mittel auf den Markt (s. o.). Grund dafür ist die bisherige Praxis der Risiko-Prüfung, wie ein von der „Europäischen Behörde für Lebensmittel-Sicherheit“ berufenes WissenschaftlerInnen-Gremium herausfand. Die bisherigen Bestimmungen schreiben nämlich nur Kurzzeit-Tests auf der Basis von akut toxischen Dosen vor. Über einen längeren Zeitraum gehende Untersuchungen mit geringeren Konzentrationen ergäben nach Ansicht der ForscherInnen mutmaßlich weit größere Gefährdungen durch die BAYER-Wirkstoffe Imidacloprid und Thiacloprid. Zudem bemängelten sie die Nichtberücksichtigung von Kombinationswirkungen. Deshalb forderten die ExpertInnen eine Überarbeitung der Zulassungsvorschriften.

GAUCHO-Bann in England?
In Großbritannien rückt ein Verbot von BAYERs Pestizid GAUCHO und anderer Ackergifte aus der Gruppe der Neonicotinoide wegen ihrer Bienengefährlichkeit näher. „Die Gesundheit unserer Bienen liegt uns sehr am Herzen, und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber, die einen Zusammenhang zwischen der Dezimierung der Bienenvölker und der Verwendung bestimmter Pestizide nachweisen, waren wir immer aufgeschlossen“, erklärte der britische Umweltminister Owen Paterson von den Konservativen. Deshalb wies er seine MitarbeiterInnen an, die Konsequenzen eines Banns der Mittel zu prüfen. Zumindest drastische Anwendungsbeschränkungen für GAUCHO & Co. bestehen schon in der Bundesrepublik, Slowenien, Italien und Frankreich.

PFLANZEN & SAATEN

Zuckerrübe mit Pestizid-Resistenz
BAYER und die KWS SAAT AG wollen eine Zuckerrübe mit Pestizid-Resistenz entwickeln, ohne dabei auf gentechnische Verfahren zurückzugreifen. Dazu züchten die beiden Unternehmen eine Pflanze weiter, bei der es zu einer „spontanen Veränderung des Erbgutes“ kam, wie es heißt.

Neues Zuchtzentrum in Australien
BAYER will im australischen Bundesstaat Victoria eine Forschungsstätte zur Kultivierung neuer Raps- und Weizensorten errichten. Besonders im Bereich „Weizen“ engagiert sich der Leverkusener Multi seit einiger Zeit stark. So hat er vor kurzem in Gatersleben das „Europäische Weizenzucht-Zentrum“ eröffnet. Zudem unterhält der Konzern viele Kooperationen mit Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen, um neue Arten dieser Kulturpflanze zu entwickeln.

GENE & KLONE

Mehr Gentech in Lebensmitteln?
Im Februar 2011 hob die EU die Regelung auf, wonach Futtermittel-Importe keinerlei Spuren von Gentech-Pflanzen aufweisen dürfen, und legte einen Höchstwert von 0,1 Prozent fest. Gleiches plant die Brüsseler Kommission jetzt auch für Lebensmittel-Importe. „Sie geht damit zum wiederholten Mal vor der Gentech-Lobby in die Knie“, kritisierte der grüne EU-Parlamentarier Martin Häusling. Und damit auch vor dem Leverkusener Multi. Der Konzern hat nämlich ein intensives Interesse an der Neuregelung, verhinderte sie doch eine Wiederholung des Gen-GAUs von 2006, als sich BAYERs nicht zugelassener Gentech-Reis LL601 unvermittelt in diversen Handelssorten wiederfand. Was damals noch einen Skandal auslöste, wäre dann in Zukunft nämlich ganz legal.

STIVARGA-Zulassung erhalten
BAYER hat in den USA die Zulassung für sein Gentech-Medikament STIVARGA (Wirkstoff: Regorafenib) erhalten. Es darf ab sofort bei PatientInnen mit fortgeschrittenem Darmkrebs, bei denen alle sonstigen Therapien versagt haben, zum Einsatz kommen. Die Genehmigung erfolgte trotz bescheidener Test-Ergebnisse. Die Substanz steigerte die Gesamtüberlebenszeit der ProbandInnen im Vergleich denjenigen aus der Placebo-Gruppe gerade einmal um 1,4 Monate und schenkte ihnen bloß eine um 0,2 Monate längere Zeit ohne weiteres Tumor-Wachstum.

Kooperation mit EVOTEC
Vor ein paar Jahren noch verkündete BAYER positive Ergebnisse von Tests mit dem Hormon Dienogest zur Behandlung der Endometriose, einer Schleimhaut-Wucherung im Blasen-, Darm- oder Eierstockbereich. Die Resultate ließen sich aber offenbar nicht bestätigen, denn Anfang Oktober 2012 beauftragte der Leverkusener Multi das Hamburger Biotech-Unternehmen EVOTEC damit, Wirkstoffe gegen die Endometriose zu finden und setzte dafür eine Belohnung von bis zu 580 Millionen Euro aus.

Kooperation mit QIAGEN
Bisher hat die personalisierte Medizin, also die Entwicklung einer passgenauen, auf die jeweiligen Bedürfnisse der PatientInnen ausgerichteten Therapie-Form, die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllt. BAYER versucht sich trotzdem weiter auf diesem Feld. So vereinbarte der Leverkusener Multi mit QIAGEN eine Kooperation. Der Pharma-Riese will künftig bei Krebs-Therapien die von dem Hildener Biotech-Unternehmen entwickelten Tests und Analyse-Geräte zum Einsatz bringen. Diese Begleit-Diagnostika sollen die Genome der jeweiligen Tumore bestimmen und auf diese Weise eine gezieltere Behandlung ermöglichen. Auch neue Verfahren in diesem Bereich wollen die Partner bis zur Produktreife bringen.

Bundesregierung kapituliert
Das von BAYER und GENZYME gemeinsam entwickelte Gentech-Medikament MABCAMPATH (Wirkstoff: Alemtuzumab) hat eine Zulassung zur Behandlung einer seltenen Leukämie-Art. Diese PatientInnen stehen jetzt allerdings auf dem Schlauch. Die beiden Konzerne wollen das Mittel nämlich zur Therapie von Multipler Sklerose einsetzen, wo es achtmal so viele Betroffene gibt – und entsprechend mehr zu verdienen. Deshalb haben die Unternehmen die Arznei für die bisherige Indikation kurzerhand aus dem Verkehr gezogen. Und die Bundesregierung meint, das hinnehmen zu müssen. „Rechtliche Möglichkeiten, einen pharmazeutischen Unternehmer dazu zu zwingen, ein Arzneimittel in Deutschland zu vermarkten, bestehen nicht“, antwortete sie auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

Frankreich verbietet Bisphenol
BAYER ist mit einer Jahresproduktion von ca. einer Million Tonnen einer der größten Produzenten der Industrie-Chemikalie Bisphenol A. Drei Prozent davon finden in Lebensmittel-Verpackungen wie etwa Konservendosen Verwendung. Da die Substanz Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen hervorrufen kann, hatte die EU im März 2011 ihre Verwendung in Babyflaschen untersagt (Ticker 1/12). Frankreich geht jetzt noch einen Schritt weiter. Das Land hat ein Bisphenol-Verbot für den gesamten Nahrungsmittel-Sektor beschlossen, das 2015 in Kraft treten soll.

PLASTE & ELASTE

Lade-Stationen für Elektro-Autos
BAYER hat gemeinsam mit den Unternehmen POLICAM und INGETEAM Lade-Stationen für Elektro-Autos entwickelt. Der Leverkusener Multi steuerte dazu das Kunststoff-Gehäuse bei. Solche Verkleidungen hatte das Unternehmen bereits für die Batterien der Wagen konstruiert. Da der Konzern sich von diesem Markt viel erhofft, gehört er auch der „Nationalen Plattform Elektromobilität“ an, welche die Bundesregierung in Fragen der neuen KFZ-Technologie berät.

CO & CO.

22.000 Einwendungen
Beim Bau der zwischen Krefeld und Dormagen verlaufenden Kohlenmonoxid-Pipeline nahm der Leverkusener Multi zahllose „Planungsanpassungen“ vor. So verzichtete er etwa auf ein oberflächen-nahes Warnband, reduzierte die Breite der Abschirmungsmatten von 80 auf 60 cm und verlegte an manchen Stellen nur 5,6 mm statt 6,3 mm dicke Rohre. Darum musste der Konzern sich nun auf ein Planergänzungsverfahren mit BürgerInnen-Beteiligung einlassen. Und diese beteiligten sich rege. 22.000 Einwendungen gegen die Genehmigung 2.0 gingen bei der Bezirksregierung Düsseldorf ein. Darunter befand sich auch ein Einspruch der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. Darüber hinaus formulierten auch CBG-Vorstände und -Mitglieder Vetos.

Neue Auflagen für Pipeline
Im Mai 2011 hatte das Düsseldorfer Verwaltungsgericht die Genehmigung für BAYERs zwischen Krefeld und Dormagen verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline aufgehoben. Die RichterInnen verlangten Nachbesserungen beim Nachweis der Erdbeben-Sicherheit. Die Bezirksregierung hat die zusätzlichen Anforderungen Ende August 2012 in einem Planergänzungsbeschluss formuliert. So muss der Leverkusener Multi nun noch Gutachten nachreichen, die Gefährdungen der oberirdischen Anlagen und des Leitungsabschnitts im Risiko-Gebiet Monheim durch Bodenerschüttungen ausschließen. Darüber hinaus darf die Inbetriebnahme nur erfolgen, wenn eine von der Behörde gestartete Untersuchung keine Anhaltspunkte für Gefahren durch Hohlräume entlang der Strecke findet. Aber selbst bei Erfüllung all dieser Kriterien gebe es noch kein grünes Licht. Die zahllosen während der Bauphase vorgenommenen „Planungsanpassungen“ machten nämlich ein Planergänzungsverfahren unumgänglich (s. o.), dessen Abschluss frühestens im nächsten Jahr zu erwarten ist. Zudem steht noch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster zum Röhren-Werk aus.

Bau in Pipeline-Nähe
In unmittelbarer Nähe der Kohlenmonoxid-Leitung hat ein Unternehmen fünf große Stahlträger in den Boden gerammt, um daran Werbetafeln anzubringen. Bei den Arbeiten hätte es gut auf das Röhren-Werk treffen können, wenn nicht eine der zahlreichen „Planungsanpassungen“ (s. o.) den Abstand erhöht hätte. Ein Pipeline-Hinweisschild gab es an der Stelle nämlich nicht. „Da hat man Glück gehabt. Beim Bau der Stutzen im Mai hat noch niemand die neue Pläne gekannt“, so der Langenfelder Bürgermeister Frank Schneider (CDU).

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Staub-Explosion in Dormagen
Im Dormagener BAYER-Werk kam es am 8.10.12 zu einer Staub-Explosion in Folge einer elektrostatischen Aufladung. Dadurch geriet ein Zwischenprodukt zur Pestizid-Herstellung in Brand. Laut Zeitungsberichten schoss eine weithin sichtbare Stichflamme in den Himmel. Ein Beschäftigter erlitt eine Verbrennung und musste kurzzeitig ins Krankenhaus, die anderen Belegschaftsangehörigen konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.

STANDORTE & PRODUKTION

Leverkusen braucht Finanzhilfe
BAYER machte im Geschäftsjahr 2011 mit 36,5 Milliarden Euro einen Rekord-Umsatz. An seinem Stammsitz Leverkusen kommt von dem Geld allerdings kaum etwas an. Die Gewerbesteuer-Zahlungen steigen seit einiger Zeit zwar wieder etwas, aber nicht in dem erwarteten Ausmaß. So musste Kämmerer Rainer Häußler die Einnahme-Prognose von 108 Millionen Euro schon im Frühjahr um zehn Millionen nach unten korrigieren. „Die neuen Zahlen haben sich nach konkreten Gesprächen mit den Spitzensteuerzahlern in Leverkusen ergeben“, sagte Häußler zur Begründung. 1990 hatte allein der Chemie-Multi mehr aufgebracht, 123 Millionen Euro überwies der Konzern damals. Die Zäsur brachte dann allerdings im Jahr 2000 die Unternehmenssteuer„reform“, die BAYERs ehemaliger Steuer-Chef Heribert Zitzelsberger als Staatssekretär im Finanzministerium maßgeblich mitgeprägt hat. Seither herrscht Ebbe in der Stadtkasse. Darum musste Leverkusen jetzt Finanzhilfen vom Land annehmen: Die Kommune trat dem Stärkungspakt Stadtfinanzen bei.

Keine Kita im Duisberg-Park
Die nach der Chemie-Katastrophe von 1976 erlassene Seveso-Richtlinie schreibt einen ausreichenden Abstand zwischen Industrie-Anlagen und anderen Gebäuden vor. Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs dazu, das die Errichtung eines Gartencenters in der Nähe des Areals von MERCK verbot, rief diese Bestimmung noch einmal in Erinnerung, was Folgen auch für den BAYER-Stammsitz Leverkusen hatte. Der Chemie-Multi musste seinen Plan aufgeben, im Carl-Duisberg-Park eine Kindertagesstätte zu bauen, denn das Grundstück liegt nur 800 Meter von den Produktionsstätten entfernt. Nun entsteht die Einrichtung am Kurtekotten-Weg.

BAYER braucht kein Brauchtum
BAYER stellt den KarnevalistInnen ab 2014 das Erholungshaus in Leverkusen-Wiesdorf nicht mehr zur Verfügung. Weder die Sessionssitzungen noch die Party nach dem Zug können dann dort noch stattfinden. „Die Miet-Einnahmen stehen in keinem Verhältnis zu den Gesamtkosten“, gibt der Konzern zur Begründung an. Der Aufwand – die Herrichtung des Saales und seine Wiederherrichtung nach den Feiern inklusive der anfallenden Reparatur- und Reinigungsmaßnahmen – hätte in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag gestanden, so ein Unternehmenssprecher. Bei Prinzengarden-Präsident Peter Schmitz stieß der Beschluss auf Unverständnis: „Das Erholungshaus wurde doch für die Wiesdorfer Bevölkerung gebaut. Und jetzt sowas!“

Neue Anilin-Anlage in Brunsbüttel
BAYER will in Brunsbüttel die Produktion des Kunststoff-Zwischenprodukts MDI erweitern. Im Zuge dessen soll auch eine neue Fertigungsstätte für den Grundstoff Anilin mit angeschlossenem Tanklager entstehen. Der Multi hat dabei vor, das krebserregende Nervengift über ein Rohrleitungssystem zu den Plaste-Fabrikationsorten zu leiten. Überschüsse plant der Konzern am Landeshafen Ostermoor zwischenzulagern und weiterzuverkaufen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hat gegen das Vorhaben wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen Einspruch eingelegt.

BAYER für Straßenbau
Der Leverkusener Multi fordert an seinem Standort Brunsbüttel umfangreiche Infrastruktur-Maßnahmen ein. Er mahnt einen Ausbau der A20 über die Elbe hinweg statt nur bis zur A7, eine Erweiterung der B5 um eine Spur sowie eine bessere Eisenbahn-Anbindung an. „Wir brauchen Zuverlässigkeit. Wenn wir nichts machen, bekommen wir einen Investitionsstau“, erklärte der BAYER-Manager Klaus Gebauer auf einer Veranstaltung mit Vertretern der Industrie- und Handelskammer (IHK), die auf dem Werksgelände stattfand. Die IHK hatte in dieser Sache sogar schon bei der Landesregierung vorgesprochen, weil der Koalitionsvertrag bloß Projekte in weit geringerem Ausmaß vorsieht, und konnte einen ersten Erfolg vermelden. SPD, Grüne und der schleswig-holsteinische Wählerbund hätten ihre Position zur A20 „etwas relativiert nach unseren vehementen Hinweisen“, berichtete IHK-Präsident Uwe Möser.

50 Jahre Pestizide aus Dormagen
Aus dem Geist der Giftgas-Produktion entsprang bei BAYER die Pestizid-Herstellung. So entstanden aus Sarin und anderen Organophosphaten nach dem Zweiten Weltkrieg Agrochemikalien wie E 605. Aber diesen Teil der Geschichte sparte der Global Player aus, als er in Dormagen feierlich mit vielen Gästen – darunter VertreterInnen der Städte Köln und Monheim – den 50. Jahrestag der Ackergift-Fertigung am Standort beging. Auch über die 41 Millionen Vergiftungsfälle per annum hüllte der Leverkusener Multi lieber den Mantel des Schweigens.

Bürgerentscheid für Römer Therme
Einst unterhielt der Leverkusener Multi Werkskindergärten, Kaufhäuser, Bibliotheken, Breitensportvereine und Schwimmbäder. Aber das ist schon eine Weile her. Von den Dormagener Römer Thermen trennte der Konzern sich bereits 2003. Er überschrieb die Badeanstalt dem ebenfalls schon länger in die Selbstständigkeit entlassenen und nur noch sporadisch unterstützten TSV BAYER Dormagen, fing aber gemeinsam mit der Stadt weiterhin das Defizit auf. Vor einiger Zeit jedoch erklärte die Kommune, ihren Beitrag nicht mehr aufbringen zu können. Da der Pharma-Riese den Anteil nicht übernehmen wollte, stand damit die Existenz des Bades a

[CO Pipeline] STICHWORT BAYER 01/2013

CBG Redaktion

BAYER will Planungshoheit

Pipelines & andere Projekte

Mit einem neuen Genehmigungsantrag wegen der zahlreichen „Planungsanpassungen“ während der Bau-Phase – und 22.000 Einwendungen dagegen – geht die Auseinandersetzung um BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline ins siebte Jahr. Die Beharrlichkeit, mit welcher der Leverkusener Multi das Vorhaben verfolgt, lässt dabei vermuten, dass er dabei für mehr als nur für die Gas-Leitung streitet: nämlich für das Prinzip als solches, Projekte nach eigenem Belieben durchführen zu können.

Von Uwe Koopmann

Die Chance, bei einer Havarie an BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline zu überleben, ist so signifikant klein, dass Bilder des Grauens aufsteigen: Giftgas-Einsatz im 1. Weltkrieg, CO-Einsatz in den Gaswagen von Januar 1940 bis Juli 1941. Und die Giftgas-Pipeline heute kommt ähnlich gut getarnt daher wie es die Giftgas-Fahrzeuge im Faschismus taten: Niemand, der die von Krefeld nach Dormagen verlaufende Trasse nicht kennt, vermutet unter den Sonnenblumenfeldern von Bauer Hans-Wilhelm Kuwertz am Gollenberger Weg in Hubbelrath Giftgas, so wie niemand, der 1940 im damaligen Ostpreußen oder im okkupierten Polen den Lkw-Anhänger mit der Aufschrift „Kaiser’s Kaffee“ sah, vermutet hätte, dass es sich dabei um eine fahrbare Gaskammer handelte.
Es geht heute nicht um den militärischen Einsatz von Kohlenmonoxid. Es geht auch nicht um gezielte Tötungspläne mittels CO. Allerdings: Kollateralschäden können nicht ausgeschlossen werden, denn das Giftgas ist geruchlos, farblos, unsichtbar, und absolut tödlich auch in kleinsten Mengen.
Um in der Sprache der Militärs zu bleiben: Bei der Verlegung und Nutzung der BAYER-Pipeline geht es nicht nur um ein kurzfristiges Kampfziel, bei dem der Widerstand der betroffenen Bevölkerung trotz einer wie auch immer gescheiterten BAYER-Kommunikationspolitik gebrochen werden soll. Es geht auch um die Absicherung der „Heimatfront“ im Düsseldorfer Landtag. Die Divisionen von CDU und SPD stehen mit Ausnahme von ein paar DeserteurInnen hinter der Pipeline. Das Bataillon der Grünen hat sich durch den Koalitionsvertrag mit der SPD neutralisiert. Die Kompanie der FDP steht geschlossen in der BAYER-Front, während die Piraten-Partei der ganze Sache ergebnisoffen gegenübersteht und lediglich „die vollständige Transparenz des gesamten Verfahrens“ anmahnt.
Es geht bei der Pipeline aber nicht nur darum: Sie ist vielmehr ein Baustein in der strategischen Planung der BAYER-Chefetage, welche die Wirtschaftspolitik des Landes Nordrhein-Westfalen nach eigenen Konzern-Vorgaben ausgerichtet sehen will. Die Annahme liegt nahe, dass die Rohrleitung hier eine Vorreiterrolle für weitere Projekte spielt.
Strategische Vorgaben liefert ebenfalls der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI), in dem mit BAYER und 1.649 weiteren Firmen mehr als 90 Prozent der Chemie-Unternehmen in Deutschland vereinigt sind. Nach Angaben des Verbandes machte die Branche 2011 mit 428.000 Beschäftigten einen Umsatz von 184 Milliarden Euro. Der Präsident Dr. Karl Ludwig Kley ist der BAYER AG seit 30 Jahren verbunden. 1982 war er Assistent des Vorstandsvorsitzenden, danach für den Konzen in Japan und Italien aktiv und schließlich Leiter des Bereichs „Finanzen und Investor Relations“, bevor er dann 2004 zu MERCK ging.
Gleich zwei Tage nach seinem Aufstieg vom Vizepräsidenten zum Präsidenten des VCI formuliere er in der FAZ Anforderungen an eine „wirkungsvolle Industriepolitik“: Sie müsse langfristig angelegt sein und Planungssicherheit gewähren. Sperre sich die Politik, diese Bedingungen im Sinne der Multis zu erfüllen, „muss sie sich nicht wundern, wenn Investitionsentscheidungen zu Gunsten anderer Länder fallen.“ Es wäre doch alles so einfach: „Die Politik sorgt für stabile Rahmenbedingungen (...) Die Wirtschaft ist dafür verantwortlich, den Rahmen verantwortungsvoll zu nutzen.“ Ebenso fordert Kley „Ideologiefreiheit“: „Wir sollten uns davor hüten, die Industrie in ‚gute grüne’ und ‚schlechte ressourcenintensive’ Industrie aufzuteilen.“ Zudem mahnt Kley „den Abbau der verbreiteten Technologieskepsis“ an. Ohne sie beim Namen zu nennen, ist der VCI-Chef mit diesen Hinweisen – oder sind es versteckte Drohungen? – schon ganz dicht bei der CO-Pipeline.
Wo liegen nun die Differenzen zwischen BAYER und dem VCI auf der einen Seite und der NRW-Landesregierung von SPD und Grünen auf der anderen Seite? Für „Planbarkeit“ steht in der am 12. September 2012 abgegebenen Regierungserklärung von Hannelore Kraft eine ähnliche Formulierung: „Es reicht nicht, wenn wir in der Politik nur reagieren. Wir müssen viel öfter vorausschauend agieren.“ Das gilt auch für Großinvestitionen, die durchgesetzt werden sollen: „Damit solche Investitionen weiter akzeptiert werden, haben wir die Geschäftsstelle ‚Dialog schafft Zukunft’ ins Leben gerufen. Sie soll helfen, Dialogprozesse bereits im Vorfeld von geplanten Investitionen in Gang zu bringen.“ Mit Blick auf die CO-Pipeline ist hier fast ein versteckter Rüffel an die Adresse der BAYER-Kommunikationspolitik zu hören.
Man könnte Hannelore Kraft mit dem BAYER-Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers in einem Boot wähnen, wenn die Ministerpräsidentin im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz nach ihrer ersten gewonnenen Wahl feststellte: „Wir, Unternehmen und Politik, müssen uns diesen möglichen Zielkonflikten frühzeitig stellen.“ Das war noch vor der Wahl ganz schlecht gelaufen, denn die SPD-geführte Bezirksregierung Düsseldorf als Genehmigungsbehörde erfüllte alle BAYER-Wünsche, ließ sich dabei aber immer wieder von den Initiativen erwischen, welche die Pipeline unter ständiger Beobachtung hatten.
Das Interpretationsmonopol innerhalb der Landesregierung liegt bei Hannelore Kraft. Auf einen Bericht der Rheinischen Post über Differenzen mit den Grünen hinsichtlich der CO-Pipeline antwortete sie schon 2010 bei ihrer ersten Regierungsbildung scheinbar sybillinisch und machtbewusst eindeutig: „Das werden wir in den Koalitionsverhandlungen sehen.“ Nach den Verhandlungen war schließlich zu sehen, dass die Grünen – im deutlichen Gegensatz zu ihren Oppositionszeiten – nicht mehr offen gegen die CO-Pipeline auftraten.
Die SPD gewann dann auch die zweite Landtagswahl. Hannelore Kraft suchte sich mit Garrelt Duin einen neuen Wirtschaftsminister, der es nun richten soll. Duin besuchte sogar schon die Pipeline-GegnerInnen in Erkrath. Die Initiative freute sich, und Duin erklärte dann: „Die Chemie-Industrie ist eine Schlüsselbranche der NRW-Wirtschaft. Großvorhaben stärken den Standort und sichern Wachstum und Beschäftigung.“ Die Fragen der BürgerInnen wollte er dem Konzern zuleiten. Kurze Zeit später kritisierte Duin in der Rheinischen Post nicht etwa die Pipeline an sich; es seien lediglich „in der Umsetzung deutliche Fehler gemacht“ worden. Den AnwohnerInnen riet er derweil, ihre politische Arbeit an ExpertInnen zu delegieren. Diese sollten als Ombudsleute den BürgerInnen helfen, „das Verfahren zu verstehen“.
Die Mehrheit der Menschen an der Trasse der CO-Pipeline ließ sich aber nicht einlullen. Der Widerstand wuchs sogar. Gegen den neuen Genehmigungsantrag des Multis, der nötig wurde, weil BAYER während des Baus zahlreiche „Planungsanpassungen“ vorgenommen hatte, erreichten die Bezirksregierung Düsseldorf sage und schreibe 22.000 Einwendungen, darunter auch eine der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (siehe S. ). Die Behörde will die Eingaben im ersten Halbjahr 2013 abschließend bearbeitet haben. Dann gibt es eine Erörterung. Es handelt sich dabei um einen „nicht-öffentlichen Termin, an dem alle Einwendungen mit den Verfassern von Einwendungen erörtert werden“ sollen. Danach entscheidet die Bezirksregierung, ob sie den geänderten Plänen des Pharma-Riesen nachträglich zustimmt – oder den betroffenen BürgerInnen.
Auch noch nach der Übergabe der Einsprüche ging der Protest weiter: Bei der Stadt Düsseldorf wurde angefragt, wie es denn nun um den Allgemeinen Gefahrenabwehrplan (AGAP) bestellt sei. Die Antwort war eindeutig: Er ist nicht rechtskräftig. Einen Sonderrettungsplan gebe es ebenfalls nicht in einer rechtlich abgesicherten Fassung, da der voraussetze, dass es einen gültigen AGAP gebe. Gefragt wurde auch, ob vielleicht Karten einzusehen seien, die deutlich machen würden, wo BAYER „nacharbeiten“ würde. Diese Karten, so die Antwort aus dem Gerresheimer Rathaus, hätte BAYER vorlegen müssen. Sie lagen aber nicht vor. Fazit: Mit einer umfassenden Rettung ist bei Vollbruch der Leitung nicht zu rechnen.
Und dann ist da noch die vor dem Oberverwaltungsgericht Münster anhängige Klage, welche die Rechtsmäßigkeit des Projekts bestreitet, weil es nicht wie behauptet dem Allgemeinwohl dient. „Die BI (Bürgerinitiative Contra Pipeline Duisburg-Süd, Anm. SWB), aber auch die Kläger gehen davon aus, dass vor dem OVG in Münster, dem BVG in Leipzig oder letztendlich vor dem VG in Karlsruhe das AUS für dieses unsinnige und unnötige Projekt fällt. Denn das Allgemeinwohl der CO-Pipeline ist niemals herstellbar“, das trug BI-Sprecher Erich Hennen bei der gemeinsamen öffentlichen Sondersitzung des Umweltausschusses, des Ausschusses für Wirtschaft, Stadtentwicklung und Verkehr sowie der Bezirksvertretung Duisburg-Süd vor. Ein weiteres Statement von ihm war direkt an die Adresse BAYERs gerichtet: „Wir dulden nicht, dass Duisburg irgendwann als die Stadt der toten Kinder bezeichnet wird.“ Und eine solche Zukunft für ihre Städte werden auch alle anderen Initiativen entlang der 67 Kilometer langen CO-Pipeline nicht dulden.

[Nachhaltigkeitsbericht] STICHWORT BAYER 01/2013

CBG Redaktion

BAYERs Umweltbilanz

Nicht im grünen Bereich

Es grünt so grün im neuen Umweltbericht des Leverkusener Multis, dass mensch sich in einem Öko-Paradies wähnt. Nachhaltigkeit, so weit das Auge reicht: bei der Produktion, bei den Produkten und sogar bei den Lieferanten. Auf fast 80 Seiten erblüht das Biotop BAYER, nur lassen es die schnöden Zahlen im Kleingedruckten recht schnell wieder eingehen. Sie dokumentieren nämlich fast durchweg eine wachsende Belastung von Mensch, Tier und Umwelt durch die Geschäftstätigkeit des Konzerns.

„Nachhaltigkeit ist fest in unserem Kerngeschäft verankert“, verkündete BAYERs Forschungsvorstand Wolfgang Plischke bei der Vorstellung des Nachhaltigkeitsberichtes für das Geschäftsjahr 2011 und vermeldete in allen Bereichen „erfreuliche Fortschritte“. Das gelingt dem Leverkusener Multi allerdings nur, indem er – ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten – nicht die nackten Zahlen sprechen lässt, sondern in dichterischer Freiheit die Bemessungsgrundlage für Nachhaltigkeit um Themen wie „soziales Engagement“, „Gleichberechtigung“, „demographischer Wandel“ sowie „Risiko-Management“ erweitert und auch sonst einige Phantasie entfaltet, um die harten Fakten in Vergessenheit geraten zu lassen. So versucht sich etwa der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers als Science-Fiction-Autor: „In unseren Kerngeschäftsfeldern engagieren wir uns für die Gesundheit von Mensch und Tier, für eine bessere Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung sowie auf dem Gebiet der Energie- und Ressourcen-Effizienz.“

CO2-Reduktionen eingefroren
Die wahre Umweltbilanz, wie sie sich nur im Kleingedruckten der Emissionstabellen und in einigen Randbemerkungen findet, fällt dann allerdings um einiges prosaischer aus. So weigert sich der Konzern, den Ausstoß des klimaschädigenden Kohlendioxids zu senken. Er möchte ihn bis 2020 vielmehr in etwa auf dem Niveau von 2007 halten, wo er sich auf 9,3 Millionen Tonnen belief. Aktuell betrugen die CO2-Emissionen 8,15 Millionen Tonnen, 350.000 Tonnen weniger als 2010. Allerdings fließen nicht alle Faktoren in diese Rechnung ein. Anders als die BASF bezieht BAYER das Kohlendioxid, das bei der Herstellung der extern bezogenen Vorprodukte entsteht, ebenso wenig mit ein wie dasjenige, das bei der Verwendung der Endprodukte anfällt. Deshalb musste das Unternehmen im Nachhaltigkeitsranking der britischen Nichtregierungsorganisation EIO auch mit dem 151. von 800 Plätzen vorliebnehmen, während die BASF Position 1 errang.

Für den Großteil des klima-schädigenden Gases ist die Energie-Erzeugung verantwortlich. Und da der Leverkusener Multi sich hier keine Einspar-Ziele vornimmt – die Terrajoule-Produktion blieb von 2007 bis heute quasi konstant – und sogar noch selber als Strom-Dealer auftritt, kann er seinen CO2-Ausstoß gar nicht substanziell senken. Wenigstens dürfte ihn das in nächster Zeit teurer zu stehen kommen, denn die EU will die Regeln des Emissionshandels verschärfen und nicht mehr so viele Verschmutzungsrechte wie bisher umsonst vergeben. Trotz großzügiger Ausnahme-Paragraphen für Großkonzerne, die im globalen Wettbewerb stehen, „müssen wir ab 2013 mit weiteren Kosten-Steigerungen rechnen“, konstatiert der Nachhaltigkeitsbericht deshalb. Mit intensivem Lobby-Einsatz wird BAYER das Schlimmste zu verhindern suchen.

Mehr Luftverschmutzung
Doch auch andere Stoffe, die aus den Schornsteinen des Global Players steigen, tragen zur Klima-Erwärmung bei. Die Emissionen der ODS (Ozone Depleting Substanzen) gingen im Berichtszeitraum um 4,5 Tonnen auf 16,3 Tonnen zurück. Das liegt jedoch keinesfalls an einem grüneren Wirtschaften – Leckagen hatten im letzten Jahr zu außergewöhnlich hohen Werten geführt. Abermals stammt fast das gesamte ODS aus einem einzigen Werk: Die Pestizid-Fabrik im indischen Vapi sorgt für 92 Prozent des Aufkommens. Zusammen mit der Fertigungsstätte im ebenfalls indischen Ankleshwar trug diese auch am meisten zum Anstieg des Wertes für die flüchtigen organischen Substanzen (VOC) bei, der um 150 auf 2.690 Tonnen zulegte. Und dazu, dass die Staatsregierung die Vapi-Region zum verseuchtesten Gebiet im ganzen Land erklärte; Ankleshwar folgt in dieser Aufstellung auf Rang sieben. Ändern wird sich an der Größe dieses Anteils vorerst nichts. BAYER kündigt zwar schon seit langem Maßnahmen an, mit der Umsetzung hat der Agro-Riese jedoch erst im letzten Jahr begonnen, und mit einem Abschluss rechnet er nicht vor 2015. Bis dahin müssen Mensch, Tier und Umwelt die immensen Belastungen noch ertragen.

Die Zahlen für weitere Luftverschmutzungen verharrten ebenfalls auf einem hohem Niveau. Wie schon 2010 entwichen den Schloten des Unternehmens auch 2011 wieder 3.700 Tonnen Stickoxide und 200 Tonnen Staub. Der Kohlenmonoxid-Ausstoß ging geringfügig von 1.400 Tonnen auf 1.300 Tonnen zurück, und das auch nur, weil BAYER die Kunststoff-Produktion im japanischen Niihama einstellte. Lediglich bei den Schwefeloxiden tat sich etwas. Ihr Ausstoß senkte sich um 16,7 Prozent auf 2.300 Tonnen. Der Multi setzte nämlich verstärkt Import-Kohle ein, die einen geringeren Schwefel-Gehalt aufweist. Die Bedingungen allerdings, unter denen diese Kohle beispielsweise in Kolumbien gefördert wird, machen den ökologischen Vorteil wieder zunichte, denn den Minen muss oftmals nicht nur der Mensch weichen, sondern auch die Natur. Die Betreiber-Gesellschaften holzen ganze Wälder ab, vertreiben die indigene Bevölkerung und leiten das umweltschädliche Grubenwasser in die Flüsse ein. Schwerer noch wiegen die gesundheitlichen Folgen für die ArbeiterInnen. Da der Abbau nicht dem neuesten Stand der Technik entspricht, setzen sich die Beschäftigten – unter ihnen viele Kinder – einem hohen Gesundheitsrisiko aus, das durch die erhöhte Unfall-Gefahr in den schlecht abgesicherten Stollen noch zusätzlich steigt. Der Chemie-Riese bekundet zwar, selbst die Lieferanten auf seine Nachhaltigkeitsziele zu verpflichten, ob er jedoch den Weg der Importkohle zurückverfolgt, steht sehr in Frage.

Mehr Wasserverschmutzung
Das Element „Wasser“ schont der Konzern ebenfalls nicht. Mit 72 Millionen Kubikmetern leitete er vier Millionen Kubikmeter mehr Abwässer in die Flüsse als noch 2010. Zu allem Übel stieg auch noch der Anteil der ungereinigten Prozess-Abwässer um drei Millionen auf 18 Millionen Kubikmeter. Die „Rückführung in den Wasser-Kreislauf“ von Kühlwasser reduzierte sich dagegen von 396 auf 324 Millionen Kubikmeter. Da es laut BAYER „ausschließlich erwärmt wird“, gilt es nicht als umweltgefährdend, was allerdings nicht ganz der Wahrheit entspricht. Dieses Wasser trägt nämlich zur Aufheizung der Flüsse bei und zerstört damit die Lebensgrundlage vieler aquatischer Lebewesen.

Bei den reinen Schadstoff-Frachten ist fast durchweg eine Zunahme zu verzeichnen. Auf 926.000 Tonnen anorganischer Salze (2010: 866.000), 1.500 Tonnen organisch gebundener Kohlenstoffe (2010: 1.420 Tonnen) und 530 Tonnen Stickstoff (2010: 490) kam der Gen-Gigant. Als Gründe dafür gibt er eine Ausweitung der Fertigung an, vor allem hervorgerufen durch das neue Kunststoff-Werk im chinesischen Caojing. Entsprechend sanken die Phosphor-Emssionen durch eine geringere Auslastung der Fabriken für phosphat-haltige Produkte von 90 auf 80 Tonnen. Die Werte für Schwermetalle nahmen ebenfalls ab, sie fielen von 11,4 auf 10,8 Tonnen, was der Multi auf ein verbessertes Abwasser-Management und andere technische Innovationen zurückführt. Auch konnte der Multi seinen Durst etwas lindern: Er drosselte seinen Wasser-Verbrauch um 63 auf 411 Millionen Kubikmeter.

Mehr Abfälle
Die Menge des erzeugten Abfalls stieg hingegen von 807.000 auf 958.000 Tonnen. Der Anteil des gefährlichen Mülls daran nahm ebenfalls zu, er erhöhte sich von 354.000 auf 474.000 Tonnen. Ausschlaggebend für diese Zahl sind weniger die Produktionsrückstände als vielmehr die Hinterlassenschaften von Rückbau- und Sanierungsaktivitäten. Während es 2010 keine umfangreicheren Arbeiten gab und das Müll-Aufkommen entsprechend sank, stand 2011 „ein groß angelegtes Grundwasser- und Bodensanierungsprojekt“ im indischen Thane an. Die dort von 1963 bis 2007 betriebene Pestizid-Herstellung ruinierte die Umwelt so nachhaltig, dass BAYER über acht Millionen Euro investieren musste, um das verseuchte Erdreich abzutragen und andere Maßnahmen zu ergreifen. Ein Großteil nicht nur der dort zu Tage geförderten Altlasten landet auf einer Deponie, 38 Prozent allen Ausschusses geht dorthin; in die Verbrennung gelangt 33 Prozent. 28 Prozent seiner Fertigungsreste recycelt der Leverkusener Multi. Das hört sich erst einmal gut an, aber diese Art von Kreislauf-Wirtschaft erweist sich in der Praxis als auch nicht gerade sehr ökologisch. Der „thermischen Wiederverwertung“, beispielsweise in BAYERs Krefelder Industrie-Kraftwerk, zugeführt, produziert der Müll nämlich viel mehr Schadstoffe als das bei einer Entsorgung in Sonderabfall-Verbrennungsöfen mit ihren aufwändigen Reinigungssystemen der Fall wäre (SWB 3/11).

Mehr Unfälle
Die Zahl der Beinah-Katastrophen, die BAYER verharmlosend als „Umweltereignisse“ bezeichnet, hat sich nach Angaben des Konzerns von sieben auf drei reduziert. Die Freisetzung von Ammoniak am Standort Krefeld, die Verseuchung des Kanawha-Flusses durch Prozess-Abwässer in Institute und einen Unfall eines mit Produkten von BAYER CROPSCIENCE beladenen LKWs in Peking führt der Nachhaltigkeitsbericht auf. Daneben verweist der Konzern auf das Internet, wo er „Ereignisse, die von unseren Stakeholdern wahrgenommen und gemeldet werden, aber nicht unsere eigenen Kriterien für Umwelt- und Transport-Ereignisse erfüllen“, auflistet. Dort finden sich dann Hinweise auf den Austritt von Phenol in Map Ta Phut und die Emission von Sandstaub in Leverkusen.

Daneben gibt es allerdings noch so einige Vorfälle, die weder der Multi selber noch seine Stakeholder als Unfälle ansehen und die deshalb nirgendwo erwähnt sind. Als da wären: die Gebäudeschäden bei japanischen BAYER-Niederlassungen nach dem Erdbeben vom März 2011, das Entweichen von Chemikalien in Institute nach einem Stromausfall, der Austritt von Schwefelsäure durch ein Leck auf einem Gefahrgut-Transport, das Auslaufen von einem Lösungsmittel in Wuppertal und die permanenten Geruchsbelästigungen in Bergkamen. Nur weil das Unternehmen diese Geschehnisse kurzerhand zu Nicht-Ereignissen erklärt und einige andere zu Halb-Ereignissen, kann er sich gesunkener Unfall-Zahlen rühmen.

Mehr Ignoranz
Ähnlich kreativ zeigt sich BAYER, wenn es gilt, die Produkte und Projekte zu verteidigen, die im Geschäftsjahr 2011 für Negativ-Schlagzeilen en masse gesorgt haben. Zur Industrie-Chemikalie Bisphenol A (BPA), deren Verwendung in Baby-Flaschen die EU untersagt hat, weil die Substanz Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen verursachen kann, heißt es im Umweltbericht: „Im Einklang mit zahlreichen wissenschaftlichen validen Studien (...) sind wir weiterhin der Überzeugung, dass die Sicherheit von BPA in den bestehenden Anwendungsgebieten gegeben ist.“ Auch den durch viele Expertisen belegten Zusammenhang zwischen dem Ausbringen von BAYER-Pestiziden und dem Sterben von Bienenvölkern streitet der Agro-Riese ab. „In der wissenschaftlichen Literatur sind jüngst einige Publikationen erschienen, die einen Rückgang von Bienen-Populationen mit Pflanzenschutzmitteln in Verbindung bringen. Diese Studien waren jedoch ganz oder teilweise unter unrealistischen Bedingungen durchgeführt worden und sind daher nicht auf Praxis-Bedingungen übertragbar“, stellt der Pillen-Gigant fest. Warum die Behörden Maßnahmen gegen die Einfuhr von Reis-Sorten ergriffen haben, nur weil aus vermeintlich unerfindlichen Grünen ein bisschen Gentech aus Leverkusener Laboren drin war, mag der Multi ebenfalls nicht verstehen. „Obwohl der Reis keine Gefährdung der Lebensmittel-Sicherheit darstellte“, verhängten einige Länder Import-Verbote, beklagt er sich bitterlich. Und selbstverständlich gibt es auf der ganzen Welt nichts Sichereres als den Transport von hochgiftigem Kohlenmonoxid quer durch das Rheinland per Pipeline, wenn sich denn ein Konzern vom Format BAYERs der Sache annimmt.

So fällt die Umweltbilanz ernüchternd aus. Bei fast allen Öko-Parametern gibt es negative Entwicklungen. Und steigen die Werte einmal nicht, dann liegt das nicht etwa an einer grüneren Geschäftspolitik, sondern lediglich an einer geringeren Auslastung der Dreckschleudern aufgrund schlechterer Absatzchancen oder an Standort-Schließungen. Nur in Ausnahmefällen ringt sich das Unternehmen doch einmal zu Umbau-Maßnahmen durch wie etwa im indischen Vapi oder im US-amerikanischen Baytown – und immer erfolgen sie zu spät oder dauern zu lange. Besonders skandalös mutet in dieser Hinsicht das Klimaschutz-Moratorium an, das BAYER beschlossen hat. Trotz immer beunruhigenderen Wetter-Phänomen wie dem Hurrikan Sandy die CO2-Emissionen bis 2020 auf dem Stand von 2007 einfrieren zu wollen, kündet von beispielloser Ignoranz. Das Steuerprüf- und Beratungsunternehmen ERNST & YOUNG, das den Nachhaltigkeitsbericht absegnete, störte das allerdings ebenso wenig wie die Ratingagentur SAM, die den Report sogar prämierte.
Von Jan Pehrke

[Editorial] STICHWORT BAYER 01/2013

CBG Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

Der Nachhaltigkeitsdiskurs hat zwei Entkoppelungsdiskurse hervorgebracht, die jeweils beanspruchen, die wünschenswerten von den unerwünschten Bestandteilen der industriellen Maschinerie abtrennen zu können. Es handelt sich zum einen um die Erhöhung der Effizienz beziehungsweise Ressourcen-Produktivität und um die ökologische Konsistenz.

Effizienz-Maßnahmen orientieren sich daran, den pro Leistungseinheit erforderlichen Input an Energie und Material zu mindern. So gewährleistet beispielsweise ein Passiv-Haus aus Sicht seiner BewohnerInnen dieselben Funktionen wie ein konventionelles Wohnhaus, verbraucht aber nur einen Bruchteil der Wärme-Energie. Ähnliches gilt für Energiespar-Birnen, Drei-Liter-Autos oder Kühlschränke, deren Energie-Bedarf unter Wahrung aller bisherigen Wohlstandsmerkmale reduziert werden kann. Auch veränderte Arrangements von Verfügungsrechten wie etwa beim Carsharing lassen eine Entkoppelung theoretisch möglich erscheinen. An gefahrenen Kilometern soll indes nicht gespart werden, denn sonst ließe sich das zentrale Versprechen dieser Dienstleistungsstrategie nicht einlösen: Entlastung der Ökologie ohne Wohlstandsverlust.

Mit exakt derselben Beteuerung wartet das zweite Entkoppelungsszenario auf, nämlich die ökologische Konsistenz. Sie bezweckt im Unterschied zur Effizienz keine quantitative Reduktion materiellen Inputs, sondern setzt am industriellen Stoffwechsel an. So sollen nach dem Vorbild der Natur alle materiellen Kreisläufe geschlossen und insbesondere die verwendeten Substanzen, Energieträger und Umwandlungsprozesse durch Recycling-Verfahren perfekt in die Ökologie eingebettet werden.

Allerdings scheint sich diese Entkoppelungseuphorie seit Neuestem nicht mehr der gewohnten Einhelligkeit zu erfreuen. Spätestens mit einer sich zum Krisen-Dreigestirn mausernden Gemengelage – der Klimawandel dramatisiert sich, der Ressourcen-Basis des Wohlstandsmodells droht ein „Peak Everything“, die Finanzwelt durchlebt ein nie dagewesenes Chaos – polarisiert sich der Diskurs um eine nachhaltige Zukunftsperspektive.

Jüngst hat eine im Auftrag der Bundeswehr erstellte Studie für Furore gesorgt. Ein „ökonomischer Tipping Point“ bestehe dort, wo infolge des Peaks „die Weltwirtschaft auf unbestimmte Zeit schrumpft. In diesem Fall wäre eine Kettenreaktion die Folge, die das Wirtschaftssystem destabilisiert“. Weiter heißt es dort: „Mittelfristig bricht das globale Wirtschaftssystem und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft zusammen.“ Auch für die Bundesrepublik sagt die Untersuchung bei einer solchen Entwicklung in Anbetracht des hohen Globalisierungsgrades ein hohes systemisches Risiko voraus. Vor diesem Hintergrund werden Lebens- und Versorgungsstile, die unabhängig vom Wachstum und externer Ressourcen-Zufuhr realisierbar sind – folglich eine reaktivierte Balance zwischen lokaler Selbst- und industrieller Fremdversorgung zur Basis haben müssen – zum reinen Selbstschutz. Dieser Logik scheint sich nicht einmal die Bundeswehr, wenngleich strukturell eher für andere Lösungsansätze prädestiniert, verschließen zu können: „Auf gesellschaftlicher Ebene ist (...) auch eine Stärkung von Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Selbstorganisation von Bürgern auf lokalem Level denkbar.“

BU: Prof. Dr. Niko Paech lehrt als außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt der Oldenburger „Carl von Ossietzky“-Universität

[Pharmatests] STICHWORT BAYER 01/2013

CBG Redaktion

Arznei-Tests in Indien

BAYERs Pharma-Sklaven

Im Jahr 2010 berichtete Stichwort BAYER zum ersten Mal über die Arznei-Tests des Leverkusener Multis in Indien. Der Artikel stieß auf viel Resonanz und machte viele Medien auf das Thema aufmerksam. Zuletzt strahlte der WDR eine 45-minütige Dokumentation über die „Pharma-Sklaven“ aus, die unwissentlich ihr Leben für die Profite von Big Pharma riskieren. Auch die Politik reagierte. Die Partei „Die Linke“ zwang die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage, zu den skandalösen Zuständen Stellung zu beziehen.

Von Jan Pehrke

„Nein, ich weiß nicht, was das war, keine Ahnung“, antwortet der 87-jährige Inder Bhimaji Jatav auf die Frage, ob ihm klar sei, dass er gerade an einem Medikamenten-Test teilnehme. Das wussten auch die anderen ProbandInnen nicht, welche die beiden JournalistInnen Benjamin Best und Rebecca Gudisch in der WDR-Dokumentation „Die Pharma-Sklaven“ interviewten. „Ich habe schweres Asthma und bin deshalb in Behandlung. Als ich dann im staatlichen Krankenhaus war, hat mich ein Arzt namens Dr. Salil Bhargav angesprochen. Er hat gesagt, ich soll in seine Privatklinik kommen. Da würde ich die beste Behandlung bekommen. Er sagte, dass sie dort Medikamente hätten, die mich heilen könnten. Er forderte mich auf, Papiere zu unterschreiben. Das waren unzählige Unterschriften auf 10 Seiten. Aber er hat nie gesagt, warum ich unterschreiben soll“, erzählt Dhananjay Shrivastav. Eine Familie berichtet von ähnlichen Erfahrungen. „Der Arzt hat uns nie etwas über die Tabletten gesagt. Er hat sie uns einfach gegeben. Er sagte, das sind teure Medikamente aus dem Ausland. Sie bekommen nur das Beste (...). Mein Vater hat erzählt, dass er aufgefordert wurde, Papiere für die Behandlung zu unterschreiben. Wir haben dem Arzt vertraut, dass er meinen Mann heilt“, erzählen etwa die Angehörigen von Mannalal. Der Arzt heilte ihn jedoch nicht. Mannalal verstarb während der Arznei-Erprobung. „Plötzlicher Herztod“ lautete die Diagnose. So wie er ließen in den vergangenen Jahren Tausende InderInnen für Big Pharma ihr Leben. Allein zwischen 2007 und 2011 gab es 2.038 Test-Tote, 158 davon bei Versuchen von BAYER.

Ethik pro forma
Eigentlich haben Ethik-Kommissionen die Aufgabe, den ordnungsgemäßen Ablauf der klinischen Pillen-Prüfungen zu überwachen. Sie sollen beispielsweise kontrollieren, ob die MedizinerInnen die TeilnehmerInnen – oftmals AnalphabetInnen – auch wirklich über die Tests informiert haben und sich behandlungsbedürftige Menschen nicht unwissentlich dem Risiko aussetzen, nur Placebos verabreicht zu bekommen. In dem süd-asiatischen Land existieren diese Organe jedoch nur auf dem Papier, wie Best und Gudisch herausfanden. Manchmal sitzen dem Gremium sogar bloß TierärztInnen vor. „Bei uns ist es auch kein Doktor“, eröffnete den ReporterInnen frank und frei ein Ethik-Kommissar, dem gegenüber die beiden sich als Angestellte einer Forschungsagentur ausgegeben hatten. An eine wirksame Beaufsichtigung der Test-Reihen durch die Komitees ist seiner Auskunft nach nicht zu denken: „Wie soll das denn gehen? Sie sind ja keine Behörde. Es sind bloß sieben, acht Leute. Wegen dieses Gesetzes müssen sie da sein, und sie treffen sich ab und zu, alle zwei Monate.“ Eine besondere Qualifikation brauchen die Mitglieder nicht. Amar Jesani vom „Centre for Studies in Ethics and Rights“ berichtete dem Tagesspiegel sogar von Pharma-Riesen, die ihre eigenen Ethik-Kommissionen gründen. Und besondere Umstände bei der Absegnung der Pillen-Erprobungen macht kaum eine der Prüf-Institutionen. „Sie zahlen, Sie kriegen den Stempel“, erklärt Chandra Gulhati, der einst selbst einer solchen Einrichtung angehörte, in dem WDR-Film das Prinzip.
Um Geld geht es auch den anderen Akteuren. Die Konzerne sparen durch die Verlagerung der Tests in arme Staaten rund ein Drittel ihrer Kosten, und die MedizinerInnen verdienen pro Versuch 3.500 Euro, was einem Jahresgehalt in einem staatlichen Krankenhaus entspricht. Darüber hinaus bekommen sie noch Leckerlis. So spendierte BAYER etwa einem indischen Doktor einen Trip nach Spanien. „Patienten werden ausgebeutet, weil sich Pharma-Firmen und Ärzte den Profit teilen wollen“, kritisiert der Augenarzt Dr. Anand Rai die gängige Praxis.
Der Leverkusener Multi wollte sich zu dieser in „Die Pharma-Sklaven“ nicht äußern. Dem Tagesspiegel gegenüber zeigte sich der Global Player, der gerade 36 Tests in dem Land laufen oder gerade abgeschlossen hat, ein wenig auskunftsfreudiger. „Klinische Prüfungen werden bei BAYER nach global einheitlichen Standards durchgeführt“, bringt eine Öffentlichkeitsarbeiterin den Textbaustein in Anschlag, den die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) schon aus den AktionärInnen-Versammlungen kennt. Zudem würden sich EmissärInnen des Unternehmens vor Ort angeblich selbst ein Bild vom ordnungsgemäßen Ablauf machen, so die Konzern-Sprecherin. Und einer besonderen Gefahr setzten sich die ProbandInnen in Mumbai und anderswo auch nicht aus: „In Indien ist der Anteil an unerwünschten Ereignissen nicht höher als in anderen Ländern.“

Die Kleine Anfrage
Die Bundesregierung sieht ebenfalls alles im grünen Bereich, wie aus ihrer Antwort auf eine von der Partei „Die Linke“ gestellte Kleine Anfrage hervorgeht, an der die CBG mitgearbeitet hat. Das verwundert allerdings nicht weiter, zeichnet für das Schriftstück als Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium doch federführend Ulrike Flach verantwortlich, die beste Kontakte zu BAYER unterhält. Im letzten Jahr besuchte die FDP-Politikerin den Leverkusener Chemie-„Park“ und heuer empfing sie in Berlin 20 Lehrlinge des Pharma-Riesen zu einem Gespräch über das Thema „Nachhaltigkeit“.
Der schwarz-gelben Koalition zufolge verlegen die Pillen-Hersteller ihre Medikamenten-Tests nicht etwa aus schnöden Kosten-Gründen in Entwicklungs- oder Schwellenländer, sondern „um eine möglichst effektive weltweite Verwendbarkeit der gewonnenen Daten sicherzustellen“. Um die Standards machen sich CDU und FDP auch keine Sorgen, denn die Studien „müssen den international festgelegten Anforderungen der Guten Klinischen Praxis entsprechen, einschließlich entsprechender Inspektions- und Überwachungsmaßnahmen“. Ob das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ oder eine andere bundesdeutsche Institution die entsprechenden Überprüfungen unternimmt, dazu mochte sich die Regierungskoalition jedoch konkret nicht äußern. Es ist lediglich „von den zuständigen Behörden der EU-Mitgliedsstaaten“ die Rede. Und besondere Aktivitäten entfalten diese nicht. So gab die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ (EMA) gegenüber einem Journalisten der Faz zu, „nur eine kleine Anzahl der Studien“ untersuchen zu können, noch dazu erst ein Jahr nach dem Abschluss und ohne Zugang zu den PatientInnen zu haben. Sie baue aber gerade Kontakte in Indien, Russland und China auf, um die Zahl der Kontrollen zu erhöhen, versuchte die EMA zu beschwichtigen.
Eine solche Kontakt-Anbahnung scheint auch die christlich-liberale Koalition nötig zu haben, liegen ihr doch „keine systematischen Informationen darüber vor, welche bundesdeutschen Unternehmen klinische Prüfungen von Arzneimitteln außerhalb Europas durchführen“. Zur Höhe des Anteils der Todesfälle durch Pharmazeutika-Nebenwirkungen im Vergleich zu den Todesfällen durch Vorerkrankungen vermag die Bundesregierung ebenfalls keine Angaben zu machen, da es keine „übergreifende Statistik“ gibt und keine Pflicht besteht, die Todesfälle durch Vorerkrankungen in den Dokumenten zu verzeichnen. Nach der – äußerst strittigen – Darstellung BAYERs starben 2010 in Indien „bloß“ fünf ProbandInnen zweifelsfrei an unerwünschten Medikamenten-Effekten. Den Hinterbliebenen zahlte der Konzern dafür eine Entschädigung von jeweils 5.250 Dollar. „Life is very cheap in India“, so der Kommentar eines Lesers der Publikation moneylife dazu. Merkel & Co. wollten zu diesen Fällen nicht Stellung beziehen: „Die Bundesregierung sieht davon ab, das Entschädigungssystem in Indien zu bewerten.“
Generell bekennt sie sich aber dazu, „geeignete Maßnahmen zum Schutz der von einer klinischen Prüfung betroffenen Personen“ zu unterstützen. Darüber hinaus versichert Schwarz-Gelb, kein Pharmazeutikum zu genehmigen, dessen klinische Erprobung nicht den in der Helsinki-Deklaration festgelegten ethischen Standards entspricht: „Grundsätzlich sind Daten aus Studien, von denen bekannt ist, dass diese Grundsätze nicht eingehalten wurden, nicht für eine Zulassung verwertbar.“
Demnach wären allerdings die Pillen, die BAYER & Co. in Indien unter den vom WDR dokumentierten Bedingungen getestet haben, nicht verkehrsfähig. Peter Sawicki, der ehemalige Leiter des „Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“, spricht das in dem Film deutlich aus: „Wenn die Patienten nicht richtig aufgeklärt worden sind, dass sie an einer Studie teilnehmen, handelt es sich um einen klaren Verstoß gegen die Helsinki-Konventionen. Eine Studie, die dagegen verstößt, darf für nichts verwendet werden. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Zweifelhafte Reaktionen
Ob die Bundesregierung das tun wird, bleibt abzuwarten. Bisher ist sie weniger bestrebt, den Schutz der ProbandInnen in den armen Staaten zu erhöhen als vielmehr die Verfahren hierzulande zu „entbürokratisieren“ und so für eine Angleichung auf niedrigerem Niveau zu sorgen. So haben die Ethik-Kommissionen mit dem im Oktober 2012 in Kraft getretenen „2. Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ nicht mehr die Pflicht, die Qualifikation aller an dem Verfahren beteiligten MedizinerInnen zu kontrollieren. Auch müssen die Pharma-Riesen die VersuchsteilnehmerInnen bei „risiko-armen“ Tests nicht mehr versichern.
Die EU will bei der Nivellierung noch weiter gehen und macht dabei keinen Hehl aus ihren Motiven. „Die Richtlinie über klinische Prüfungen wird von allen Interessenträgern (von Patienten über Forscher bis hin zur Wirtschaft) dafür kritisiert, dass sie die patienten-orientierte Forschung und diesbezügliche Studien in der EU wesentlich weniger attraktiv gemacht hat (...). Dadurch verliert Europa an Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der klinischen Forschung“, heißt es in dem Entwurf zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG. Folgerichtig plant sie, minderjährige und nicht einwilligungsfähige Versuchsteilnehmer größeren Risiken auszusetzen, Ethik-Kommissionen nur noch gemeinsam mit den Arzneimittel-Behörden der Mitgliedsländer entscheiden zu lassen und ihnen weniger Zeit zur Begutachtung zuzugestehen. Auf diese Weise beabsichtigt Brüssel, die Zulassungsverfahren zu beschleunigen und BAYER & Co. dazu zu bewegen, wieder mehr Versuche in Europa zu starten. Der „Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen“ bezweifelt die Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens und hält fest, dass die Zunahme an klinischen Prüfungen in Ländern wie Indien, China und Brasilien nicht den vermeintlich kürzeren Genehmigungsverfahren zu verdanken ist, sondern „den sehr großen Zahlen behandlungsnaiver Patienten, die in der Teilnahme an einer klinischen Prüfung oft die einzige Chance sehen, zu einer medizinischen Behandlung zu kommen“. In diesem Zusammenhang moniert der Verein auch das Weglassen eines Passus’ zur Einhaltung des ProbandInnen-Schutzes bei Tests in Drittländern, der ursprünglich Eingang in das Schriftstück finden sollte. „Der Vorschlag der Europäischen Kommission ist in bedrohlicher und dabei in von Fakten nicht gedeckter Weise von vermutlich wirtschaftlichen Interessen getrieben (...)“, konstatiert der Arbeitskreis.
Sogar nach Ansicht der Bundesregierung überzieht Brüssel mit diesen Vorschlägen. GesundheitspolitikerInnen und der Bundesrat machten gravierende Einwände geltend. Deshalb wird Indien vermutlich doch nicht zur Blaupause der Direktive, die 2016 Gesetzeskraft erlangen soll. Dhananjay Shrivastav und seine vom WDR-Team interviewten Leidensgenossen tröstet das vermutlich kaum. Seinem am Ende des Films geäußerten Wunsch, dass BAYER & Co. aufhören, ihn und seine Landsleute wie Pharma-Sklaven zu behandeln, dürften ihn nämlich weder Brüssel noch Berlin mit konkreten Maßnahmen zur Eindämmung des Test-Tourismus näher bringen.

Liberty Link Reis

CBG Redaktion

Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.

Presse Information vom 21. März 2013

genmanipulierter Reis von BAYER:

Verbände lehnen EU-Zulassung ab

Offener Brief an EU und Bundesregierung / „Verfahren nach zehn Jahren endlich beenden!“ / Gegenantrag zur BAYER-Hauptversammlung am 26. April

Das Gen-ethische Netzwerk und die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordern in einem Offenen Brief an EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg und Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner, den Antrag auf Importzulassung für genmanipulierten Reis der Sorte LL62 abzulehnen. Zur Hauptversammlung der BAYER AG am 26. April haben die Verbände zudem einen Gegenantrag eingereicht, in dem ein Verzicht auf LL62 gefordert wird.

Bereits im Jahr 2003 hatte die Firma BAYER erstmals eine EU-Zulassung für LL62 beantragt. Der Anbau soll in Südamerika und Asien erfolgen, Genehmigungen liegen dort noch nicht vor. LL62 ist tolerant gegen das von BAYER produzierte Herbizid Glufosinat. Glufosinat ist als reproduktionstoxisch klassifiziert und gehört zur Gruppe der 22 gefährlichsten Pestizide, die in der EU keine erneute Zulassung erhalten dürfen.

Christof Potthof vom Gen-ethischen Netzwerk: „Es ist aus unserer Sicht unverantwortlich, im Ausland eine Anbautechnik zu forcieren, die mit der Verwendung eines hochgiftigen und bei uns verbotenen Pestizids verknüpft ist. EU und Bundesregierung dürfen sich nicht zum Handlanger einer Politik der doppelten Standards machen lassen.“

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren ergänzt: „Die Einführung von herbizidresistentem Saatgut ist ein Irrweg. Innerhalb kürzester Zeit bilden sich resistente Wildkräuter, die mit immer mehr Pestiziden bekämpft werden müssen. Der Anbau von Gen-Reis ist mit hohen Risiken für die Landwirte und die Umwelt verbunden. Zehn Jahre nach Antragstellung muss mit diesem Verfahren endlich Schluss sein!“.

Eine ebenfalls gegen Glufosinat tolerante Reis-Sorte, LL601, hatte im Jahr 2006 zur bislang größten Gentech-Kontamination weltweit geführt. Die Langkornreis-Sorte war weltweit in den Handel gelangt, obwohl hierfür keine Zulassung vorlag. Der Schaden für Handel und Landwirte betrug über einer Milliarde US Dollar. Erst nach langen juristischen Auseinandersetzungen konnte die Firma BAYER dazu gezwungen werden, Entschädigungen in Höhe von rund 750 Millionen Dollar zu leisten.

Der Offene Brief und der Gegenantrag im Wortlaut

Für Rückfragen stehen wir gerne zu Verfügung:
. Christof Potthof: christof.potthof(at)gen-ethisches-netzwerk.de, Tel. 0163 2606 359, www.gen-ethisches-netzwerk.de
. Philipp Mimkes: CBGnetwork(at)aol.com, Tel. 0211-333 911, www.CBGnetwork.org

Brunsbüttel

CBG Redaktion

Presse Information vom 1. März 2013

geplante MDI-Anlage in Brunsbüttel

BAYER: Kritik an hohem Wasserverbrauch

Umweltschützer kritisieren den hohen Wasserverbrauch des BAYER-Werks Brunsbüttel. Dieser führt in der Region schon jetzt zu großen Umweltschäden. Durch den geplanten Bau einer neuen MDI-Anlage würde sich das Problem weiter verschärfen. Im Ort Wacken gibt es seit 30 Jahren Proteste gegen die massive Wasserentnahme.

Der BAYER-Konzern plant in Brunsbüttel den Bau einer neuen Kunststoff-Produktionsanlage. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hat wegen der großen Menge an Gefahrstoffen, die in der Fabrik zum Einsatz kommen sollen, eine Reihe von Einwendungen eingereicht. Die Kritikpunkte werden im Erörterungstermin am 18. März in Brunsbüttel diskutiert.

Kritik wird nun auch am hohen Wasserverbrauch der Anlage laut; dieser beträgt jährlich rund 270.000 Kubikmeter. In der von der BAYER AG beim TÜV Süd in Auftrag gegebenen Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) heißt es hierzu lediglich: „Die Wasserversorgung erfolgt über die zentrale Versorgung des Bayer Industrieparks“. Es wird jedoch nicht dargelegt, woher das zusätzlich benötigte Wasser stammt.

Der Umweltexperte Thomas Kleineidam hat eine ausführliche Bewertung der Umweltverträglichkeitsuntersuchung vorgenommen: http://www.cbgnetwork.de/downloads/KLEINEIDAM_UVU_Bayer-MDI.pdf

Kleineidam vermisst in der TÜV-Untersuchung eine Wasserbilanz für die beantragten Anlagen: „Wo die Wasserwerke ihr Wasser herbekommen, ob dazu Steigerungen der Fördermengen erfolgen, welche Auswirkungen diese Wasserentnahmen auf das Schutzgut Grundwasser haben, in welcher Qualität das Wasser geliefert, und in welcher Menge hochwertiges Trinkwasser in verunreinigtes Abwasser verwandelt wird – nicht ein Wort dazu findet sich in der UVU“.

Ein Großteil des im BAYER-Werk verbrauchten Wassers kommt aus dem 19 km entfernten Wacken. Die enorme Wasserentnahme führt dort seit über 30 Jahren zu Grundwasserabsenkungen und infolgedessen zu Gebäudeschäden. Der Landwirt Hans Möller aus Wacken führte deswegen bereits mehrere Prozesse.

Thomas Kleineidam, der die Betroffenen in Wacken seit über 20 Jahren unterstützt, bewertet die Umweltverträglichkeitsuntersuchung abschließend: „Das ist „Wissenschaft“, wie BAYER sie liebt und bezahlt - eben „Käufliche Wissenschaft“. Es ist peinlich, dass sich immer wieder diplomierte Akademiker finden, die sich für solche Auftragsarbeiten hergeben.“

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren ergänzt: „Beim TÜV handelt es sich um alles andere als eine unabhängige Aufsichtsinstanz. BAYER hat den Verband der Technischen Überwachungsvereine einst sogar mitgegründet und stellte jahrelang den Vorsitzenden. Von daher ist es wenig verwunderlich, dass der TÜV wiederholt Gefälligkeitsgutachten an BAYER geliefert hat. Da die Umweltverträglichkeits-Untersuchung offenkundig unvollständig ist, fordern wir die Behörden auf, keine Genehmigung für die MDI-Anlage zu erteilen!“.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) arbeitet seit 1978 zu allen Problemen, die von dem Chemie-Konzern BAYER verursacht werden. Vor drei Jahren hat die CBG den Wasserverbrauch der wichtigsten BAYER-Werke veröffentlicht.

weitere Informationen:
=> Bauern oder BAYER – wem gehört das Grundwasser?
=> Einwendung zur geplanten MDI-Anlage
=> CBG veröffentlicht Wasserverbrauch der BAYER-Werke
=> Streit ums Wasserwerk Wacken

[Bayer Wuppertal] STICHWORT BAYER 01/2013

CBG Redaktion

Die Frühgeschichte von BAYER

Der Rhein als „Opferstrecke“

2013 feiert der Leverkusener Multi sein 150-jähriges Bestehen. Stichwort BAYER wirft deshalb das Jahr über Schlaglichter auf die wenig ruhmreiche Geschichte von BAYER. Den Anfang macht ein Text des Historikers Stefan Blaschke über frühe Umweltsünden des Konzerns, die schon im 19. Jahrhundert immer wieder zu Protesten führten. So betrachtete der Chemie-Riese den Rhein als „Opferstrecke“, technische Maßnahmen zur Abwasserreinigung hingegen als „Vergeudung von Nationalkapital“ und sah sich deshalb mit vielen Klagen konfrontiert.

Historische Umweltforschung
Wenn auch der Ausdruck „Umweltschutz“ in Deutschland erst gegen Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts aufkam, ist das Problem wesentlich älter, allerdings auch das Bewußtsein darüber. Die Menschen waren schon im 19. Jahrhundert gezwungen, sich mit industriellen Umweltbelastungen auseinanderzusetzen, die an bestimmten Brennpunkten erhebliche Ausmaße erreichen konnten.1 Umweltprobleme gab es allerdings schon im Mittelalter und in der Antike, allerdings traten sie in einem begrenzten, lokalen Raum auf. Klagen über Umweltverschmutzung durch gewerbliche Tätigkeit wurden bereits in vorindustrieller Zeit geführt, doch gehäuft traten sie erst seit der Industriellen Revolution auf. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekamen sie zudem eine überregionale und sogar internationale Bedeutung.2

Die Ausbreitung der Industrie und das rasche Anwachsen der Stadtbevölkerung bewirkten neue und ernsthaftere Umweltprobleme. Die ersten Fabriken riefen bereits Proteste hervor. Sie wirkten vielfach wie Fremdkörper in einer traditionellen, landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft, wurden deshalb als besonders belastend empfunden, da wenig Erfahrung mit den neuen Techniken und Produktionsverfahren vorlagen. Die metallerzeugende und -verarbeitende Industrie z.B. belastete ihre Umgebung mit großen Mengen an Rauch, Asche und Staub. Es kam zu Geruchsbelästigungen durch zahlreiche verschiedene Fabriken. Die Belastungen der Umwelt betrafen noch in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts nicht das ganze Reich, sondern nur einige Gebiete, während andere davon wenig oder gar nichts bemerkten. Im Rahmen von Urbanisierung und Industrialisierung waren zunächst die Kommunen in besonderer Weise berührt. Sie entwickelten sich zu Industriestandorten, so daß Auseinandersetzungen um industrielle Emissionen nur folgerichtig waren. Die Umweltbelastungen betrafen auch nicht alle soziale Gruppen im gleichen Maße. Diese litten unterschiedlich stark, nahmen das Problem unterschiedlich wahr und zogen aus dem Wahrgenommenen unterschiedliche Schlüsse.3

Die „Protestler“ stammten in der Regel nicht aus unteren sozialen Schichten. Dies mag auch damit zusammenhängen, daß es z.B. bei den Arbeitern eine Gewöhnung gab.4 Doch konnten diese auch nicht gegen ihre Arbeitgeber vorgehen, ohne mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes zu rechnen. So war es mehr ein Konflikt zwischen verschiedenen Gruppen von Besitzenden. Nennenswerte Möglichkeiten besaßen im Grunde auch nur Haus- und Grundbesitzer, da in der Praxis nur Schädigungen des Eigentums zu länger dauernden Auseinandersetzungen oder gar zu Gerichtsverfahren führten. Ansonsten konnten zwar Einwände vorgetragen oder auf Belästigungen sowie Gefahren verwiesen werden, doch in diesen Fällen lag die alleinige Entscheidungskompetenz bei den Behörden. Andererseits wurde aber immer wieder die Erfahrung gemacht, daß Belastungen größer ausfielen, als zuvor angenommen. Dann war es nahezu unmöglich, etwas gegen den konzessionierten Betrieb zu unternehmen. So war ebenso eine Resignation verbreitet aufgrund begrenzter Handlungsmöglichkeiten.5

Verursacher mußten zwar für Schäden haften, doch mußten sie eindeutig identifiziert werden, was nicht unbedingt einfach war. Denn mit fortschreitender Industrialisierung wurde es immer schwieriger, da zu viele Schadensquellen in Frage kamen.6 Maßnahmen gegen Emissionen bedeuteten für Unternehmen in der Regel ein Verlustgeschäft, insbesondere die Behörden akzeptierten den Hinweis auf entstehende Kosten. Diese Argumentation wirkte noch überzeugender, wenn auf die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Fabrik, des ganzen Industriezweigs oder der Industrie im allgemeinen verwiesen wurde. Daß die beschuldigten Firmen mehr Personen beschäftigten, einen höheren Umsatz erwirtschafteten und einen größeren Beitrag zur Volkswirtschaft leisteten als geschädigte Nachbarn, war nur schwer zu bezweifeln. Selbst wenn die wirtschaftliche Existenz letzterer bedroht war, wie bei Landwirten, Fischern oder denjenigen Gewerben, die auf sauberes Wasser angewiesen waren, änderte sich wenig an der zugrunde liegenden Argumentation. Deren ökonomische Bedeutung war gegenüber der Industrie geringer. Zudem suchten die Unternehmer, ihre Gegner zu disqualifizieren. Ein gewisses Gegengewicht gegen ökonomische Argumente bestand zwar in der Sorge um gesundheitliche Schäden, insgesamt hat die medizinische Debatte für den Umgang mit Emissionen keine große Bedeutung erlangt.7

Streitigkeiten wegen Umweltbelastungen spielten sich nicht nur zwischen Unternehmern einerseits und anderen Gruppen andererseits ab. Zwischen verschiedenen Industriezweigen gab es Auseinandersetzungen, aber auch zwischen verschiedenen Gemeinden. Diese warfen sich gegenseitig Schädigung ihrer Kommunen vor, zumal wenn sie sich gelegentlich einander die steuerträchtigen Firmen nicht gönnten. Manchmal hatten diese Auseinandersetzungen sogar heuchlerischen Charakter. Die Gemeinden bekämpften lautstark die Umweltverschmutzung der Industrien im Nachbarort und duldeten zur gleichenZeit aber die der eigenen.8

Umweltklagen in Barmen und Elberfeld
Umweltklagen gehören zur Geschichte der Farbenfabriken von Anfang dazu.9 Schon 1854 hatten gegen eine Konzessionserteilung für Friedrich Bayer, um Zinn- und Eisenbeize, Indigokarmin und Blaupulver herzustellen, 23 Barmer Bürger Protest eingelegt, da sie Schäden an Gesundheit und Vegetation befürchteten.10 Im Sommer 1864 mußte das erst ein Jahr zuvor gegründete Unternehmen die ersten Entschädigungen zahlen. Es kamen immer mehr Beschwerden in der Nachbarschaft auf, die regelmäßig fälligen Abfindungssummen nahmen zu.11 Die Forderungen nach Schadensersatz wurden allerdings immer höher, so daß Friedrich Bayer nicht bereit war, ihnen nachzukommen. Da die Verbitterung in der Bevölkerung stieg, konnte er sich nicht mehr ohne Begleitung auf der Straße sehen lassen. Bayer strengte einen Prozeß an, um diese Situation zu beenden, wurde aber zur Zahlung verurteilt. Das führte dazu, daß es manchem Nachbar zur Gewohnheit wurde, an bestimmten Tagen seine Abfindung im Fabrikkontor in Empfang zu nehmen, wie die Arbeiter ihren Lohn. Der Umzug nach Elberfeld bedeuteten nicht das Ende von Klagen in Barmen.

1872 zeigten Fabrikrevisionen, daß das Unternehmen es mit den Konzessionsauflagen nicht sonderlich genau nahm, was zu täglichen Geldstrafen führte bis zur Erfüllung der Auflagen. Ein hartes Eingreifen des Elberfelder Bürgermeisters hatte den gewünschten Erfolg, die Firma zu sorgsamen Umgang mit seinen Produktionsabfällen anzuhalten. In der Folgezeit gab es keinen Widerstand, erneute Proteste sind erst für 1884 aktenkundig. Einmal ging es sogar bis zum Minister für Handel und Gewerbe in Berlin, da die Opponenten sich nicht mit der Entscheidung der Beschlußbehörde abfanden, daß keine Belästigungen zu erwarten seien. Es ging um den Miet- und Verkaufswertverlust für benachbarte Wohnhäuser, bedingt durch Rauch und Gestank, und um die Behinderung eines Brauereibetriebs. Bayer bestritt die Einlassungen und verwies darauf, daß jedes Entweichen von Dämpfen einen finanziellen Verlust bedeuten würde. Zudem bewiese der Gesundheitszustand der Arbeiter, daß die Produktion ungefährlich sei. Entweichende Dämpfe würden ohnehin verdünnt, so daß von ihnen keine Gefahr mehr ausginge. Man verwies außerdem auf eine näherliegende Brauerei, die sich noch nie beschwert hätte, was den protestierenden Brauereibesitzer zu der Anschuldigung verleitete, daß Bayer sich das Schweigen erkaufe. Die Farbenfabriken hoben schließlich die eigene überragende wirtschaftliche Bedeutung hervor, ein Argument wie man noch anmerken muß, das man in den Anfangsjahren noch nicht benutzen konnte. Nur durch ein Ansteigen der Betriebsgröße sei der Vorsprung der deutschen chemischen Industrie zu sichern gegen eine wachsende Bedrohung durch das Ausland. Dem Argument konnte sich der Minister nicht verschließen.

Ende der achtziger Jahre erreichten die Proteste einen Höhepunkt. Im Juni 1889 sandten 66 Fabriknachbarn ein von ihnen unterzeichnetes Schreiben an die Königliche Regierung. Die Belastungen waren nicht konstant, sondern traten zu unterschiedlichen Zeiten auf und waren von unterschiedlicher Dauer. Der Historiker Ralf Henneking vermutet, daß das Unternehmen vor jeder Inspektion gewarnt wurde, so daß zu diesen Zeiten Belastungen vermieden werden konnten. Eine ständige Überwachung wäre somit notwendig gewesen. Doch bei der geringen Zahl an Aufsichtsbeamten blieb nichts anderes übrig, als auf das Verantwortungsbewußtsein der Unternehmer zu hoffen12. Seit Ende der achtziger Jahre wurden die Farbenfabriken von Protesten im Raum Barmen-Elberfeld verschont, obwohl die Umweltschädigungen nicht beseitigt worden waren. Ein letztes Mal zu Protesten in Elberfeld kam es 1901. Der Opponent forderte, daß das Unternehmen sofort nach „Leverkusen“ gehen solle. Die Elberfelder Bürgerschaft würde den Wegzug durchaus nicht bedauern.

Klagen gegen Konzessionsanträge im Raum „Leverkusen“
Die Errichtung von Fabrikanlagen und Gebäuden bedurfte jeweils einer staatlichen Genehmigung. Im Zeitraum zwischen 1894 und 1915 beantragte das Unternehmen 64 Konzessionen für das Werk Leverkusen, wobei nur in sieben Fällen Einspruch eingelegt wurde. Henneking behandelt in seiner Studie sechs Fälle auf Grundlage des Hauptstaatsarchiv Düsseldorf. In den Akten des Stadtarchivs Leverkusen ist noch eine weitere Klage dokumentiert, die jedoch nicht weiter verfolgt wurde, so daß sie wohl auch nicht den übergeordneten Behörden bekannt geworden ist. Somit kann man vermuten, daß die Angaben bei Henneking eine Untergrenze darstellen.

Hinsichtlich Ausmaß und Intensität erreichten die Auseinandersetzungen nie die Dimension wie in Barmen und Elberfeld, wo wiederum mit der Verlegung der Fabrikanlagen ein Rückgang an öffentlichen Protesten hervorgerufen wurde. Im Raum „Leverkusen“ blieben zudem die Proteste bei Konzessionsverfahren auf die Zeit bis 1900 beschränkt.13

=> 1894 legten elf Fabriknachbarn gegen die Errichtung einer Schwefelsäurefabrik Protest ein, da sie Nachteile für ihre Ländereien und für die eigene Gesundheit befürchteten. Der Landrat zu Solingen sah sich daraufhin veranlaßt, den Bezirksausschuß in Düsseldorf um die Entsendung eines Sachverständigen zu bitten, der prüfen sollte, ob die Besorgnisse berechtigt seien. Laut Ergebnis des Gutachtens war mit einem Entweichen von saurem Gas in erheblichem Umfang nicht zu rechnen und eine negative Wirkung der Kiesabbrände durch entsprechende Maßnahmen vermeidbar, so daß den Farbenfabriken nur geringe Auflagen bei der Konzessionserteilung gemacht wurden.14

=> Infolge der systematischen Werkserweiterung beantragte das Unternehmen Konzessionen für den Bau einer Reihe von Fabrikanlagen, nämlich einer Anlage zur Konzentration von Schwefelsäure, einer Phtalsäure-, einer Salzsäure-, einer Schwefelsäurehydrit- und einer Salpetersäurefabrik. Gegen deren Einrichtung wurde im Jahre 1895 von sieben Parteien Protest eingelegt. Zwei davon zogen ihren Einspruch schon bei dem Erörterungsgespräch auf dem Bürgermeisteramt zurück. Der Solinger Landrat blieb skeptisch, doch wurde eine generelle Verweigerung der Konzession aufgrund der Bedeutung Bayers und der allgemein günstigen Lage der geplanten Anlagen nicht erwogen. Das Ziel der Konzessionsbedingungen war zwar präzise formuliert. Doch die Bedingungen blieben auslegbar hinsichtlich ihrer Umsetzung, die dem Unternehmen selbst überlassen wurde, so daß der tatsächliche Wert für den Schutz der Nachbarschaft wohl eher gering war.15

=> Im gleichen Jahr legte der Freiherr von Diergardt, der als Meistbegüterter jeweils im Wiesdorfer und Bürriger Gemeinderat saß, gegen den Bau einer Naphtylaminsulfosäurefabrik Einspruch ein. Er erschien allerdings erst gar nicht zum Verhandlungstermin auf dem Bürgermeisteramt. Dort erklärte der von der Firmenleitung bevollmächtigte, damalige Oberingenieur Ludwig Girtler, daß Diergardt ein prinzipieller Gegner der Industrie zu sein scheine, da er bei allen bisherigen Konzessionsfällen Protest eingelegt habe, und daß nun die zuständige Behörde den Wert dieses Protestes prüfen müssen, zumal der Einsprucherhebende nicht erschienen sei. Es ging dabei mehr um eine Disqualifizierung des Gegners, ohne daß eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Protest stattfand. Es scheint so, als habe Diergardt seine Einwände nicht weiterverfolgt, denn Bayer erhielt die Genehmigung ohne weitere Probleme.16

=>In drei weiteren Fällen kam der Einspruch jeweils von Seiten der Stadt Köln, die eine Schädigung für ihr Stadtgebiet befürchtete. Im ersten Fall wurde 1897 der Einspruch gegen die Herstellung von Alizarin und anderen Farbstoffen als unbegründet zurückgewiesen. In den beiden anderen Fällen im Jahre 1899, nämlich beim Bau einer Natron- und Kalifabrik und einer Erweiterung der Fabrik für Oxianthrachinoderivate, zog die Stadt Köln noch vor den Verhandlungen die Proteste von sich aus zurück. Das gleiche geschah im selben Jahr beim letzten Fall, bei dem Protest gegen die Errichtung einer neuen Schwefelsäurefabrik eingelegt wurde. Der einzige Opponent nahm seinen Protest zurück, trotzdem erhielten die Farbenfabriken die Konzession nur unter zahlreichen Auflagen.17

=> Es gab zwar Proteste aus Köln, aber anscheinend keine von Seiten der Nachbarbürgermeisterei Merheim oder der Stadt Mülheim. Johann Paul hat in einem Aufsatz die Umweltbelastungen in der Bürgermeisterei Merheim in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg untersucht. Dabei hat er auch den Problemkreis „chemische Dämpfe und Rauch“ behandelt, führt aber nur Belastungen durch Mülheimer Fabriken auf.18 Zu berücksichtigen ist, daß in Flittard, der nächstgelegenen Ortschaft innerhalb der Bürgermeisterei Merheim, eine große Anzahl von Werksangehörigen wohnten.

Für die BASF in Ludwigshafen bemerkte der Historiker Arne Andersen, daß es für die Landbesitzer lukrativer war, mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten und von Grundstücksverkäufen zu profitieren, als über Proteste Schadensersatzzahlungen zu beanpruchen oder bei neuen Konzessionierungen der Fabrik Schwierigkeiten zu machen. Zudem war etwa ein Viertel der Einwohner direkt vom Unternehmen abhängig, viele ortsansässigen Klein- und Mittelbetriebe waren Zulieferer. Aufgrund der ökonomischen Bedeutung waren Beschwerden kaum noch zu erwarten. Darüber hinaus hatte die BASF in seiner ersten Phase sofort jeden potentiellen Widerstand aufgekauft. Auf sozialdemokratische Kritik reagierte die Direktion mit der Drohung, den Betrieb zu schließen.19 Bayer war der größte Arbeitgeber und Steuerzahler in der Region. Drohungen, das Werk zu schließen, gab es nicht, waren auch nicht zu erwarten wegen der Investitionsleistungen in den Standort. Dafür wurde immer wieder auf die wirtschaftliche Bedeutung verwiesen.

Rheinverschmutzung
Ein zweiter Bereich, in dem sich die Farbenfabriken mit Umweltklagen konfrontiert sahen, war die Abwassereinleitung in den Rhein. In der älteren Forschung wurde der Rhein für die Aufnahme größerer Mengen chemischer Abwässer als günstig angesehen, ohne daß die damit verbundenen Umweltbelastungen und auch die damalige Diskussion gesehen wurde.20 Schon gegen die Ultramarinfabrik von Carl Leverkus hatte es Klagen von Fischern gegeben. Der Fabrikant erklärte jedoch, daß seine Abwässer keine giftigen Stoffe enthielten. Der damals zuständige Bürgermeist von Opladen bestätigte dies 1888 mit der Bemerkung, daß er noch nie von Klagen über die Abnahme des Fischereiertrags gehört habe. Klagten allerdings die betroffenen Fischer allzu laut, konnte es vorkommen, daß die Verunreiniger die staatlichen Fischereireviere meistbietend ersteigerten und dann ungenutzt ließen. Dadurch wurden die Fischer wiederum erwerbslos und wanderten als Arbeiter in die Industrie ab. In dem Konflikt wurde schließlich der Gewerberat bei der Düsseldorfer Bezirksregierung mit einer gründlichen Untersuchung beauftragt, in der er feststellte, daß die Abwässer noch schwach sauer und somit schädlich für die Fische waren. Als einfachste und für Leverkus kostengünstigste Lösung wurde von den Behörden die Versenkung der Abfälle auf dem Fabrikgelände vorgeschlagen, ohne daß dabei die mittelfristige Umweltbelastung in Betracht gezogen wurde.21

Die eigentliche Auseinandersetzung um die „Flußverunreinigungsfrage“ begann in Deutschland in den späten siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts als Weiterführung der zwischen etwa 1860 und 1880 heftig diskutierten „Städtereinigungsfrage“. In den siebziger Jahren waren in Deutschland zwar nur einige kleinere Flüsse verschmutzt im Vergleich mit den Zuständen in England. Zu dieser Zeit sah man noch keine kurz- oder mittelfristige Gefahr, da die Industrialisierung viel weniger fortgeschritten und außerdem die deutschen Flüsse im allgemeinen als wasserreicher galten. Überlegungen bezüglich der Verantwortlichkeit der Industrie blieben lange unbeachtet. Dagegen schien die durch Fäkalien und organische Stoffe verursachten Flußverunreinigung als wichtiger erachtet worden zu sein.

Das Problem der Flußverunreinigung durch industrielle Abwässer war aber schon längst vorhanden. So konstatierte z.B. im Jahre 1876 eine von der preußischen Regierung genehmigte Schrift, daß die Wupper im Raum Barmen-Elberfeld durch die industriellen Abwässer „meistens einem Tintenstrom“ gleiche, was auch schon zehn Jahre zuvor zutraf. Wollte man aber der Industrie die Ableitung ihres Abwassers in den Fluß verbieten, hätte dies nach Ansicht des Staats eine schwere wirtschaftliche Krise zur Folge. Im folgenden Jahrzehnt versuchten die Staaten, die Flußverunreinigung in den Griff zu bekommen.22

Zu den größten Abwassereinleitern im Kölner Raum zählten die Farbenfabriken. 1896 erhielt das Unternehmen die Genehmigung für den Bau einer Abwasserrohrleitung unter der Bedingung, daß die Abwässer klar und neutral sein, also Spuren von Säuren gegebenenfalls neutralisiert werden mußten. Fünf Jahre später bekam Bayer eine weitere Einleitungskonzession, wobei es nun abgeschwächt hieß, daß das Wasser frei von schädlichen oder übelriechenden Beimengungen und möglichst rein sein müsse. Daß davon keine Rede sein konnte, hatte eine Untersuchung wenige Tage vor der Konzessionserteilung ergeben. Da die Abwässer stark sauer reagierten, durften sie eigentlich gar nicht in den Rhein eingeleitet werden.23

Die Unternehmensleitung versprach, eine Selbstkontrolle vorzunehmen, und so setzte man noch 1901 eine vierköpfige Abwasserkommission ein, die die erste derartige Einrichtung eines Chemieunternehmens in der Rheinprovinz war.24 Unter den Kommissionsmitgliedern war auch Curt Weigelt25, der der Vorsitzende der Abwasserkommission des „Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands“ war und der mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt wurde.

Kurz nach seiner Gründung 1878 betrieb der „Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands“ schon eine effektive Verbandsarbeit in Umweltfragen, da die chemische Industrie am stärksten und am frühesten der öffentlichen Kritik und massiver behördlicher Reglementierungsversuche ausgesetzt war. Bereits 1886 wählte man eine Flußkommission, 1889 legte man seine Position fest, und im darauffolgenden Jahr veröffentlichte man dazu eine Denkschrift, die von Konrad Wilhelm Jurich verfaßt worden war. Eine generelle Behandlung der Abwasserfragte sah man als eine Unmöglichkeit an. Die Einleitung der Fabrikabwässer in die Flüsse sei notwendig und berechtigt, da diese als die natürlichen Ableiter anzusehen seien. Dabei stützte man sich auf die These Max von Pettenkoffers, daß Flüsse eine Selbstreinigungskraft besaßen. Die Feststellung allgemeiner Grenzwerte für schädliche Bestandteile der Abwässer hielt man für nicht durchführbar. Die Kritik am Grenzwertkonzept konnte sich auf praktische Erfahrungen aus England stützen. Dort hätte die rigorose Durchsetzung der 1870 aufgestellten Grenzwert die weitere industrielle Entwicklung unmöglich gemacht. Die Entstehung epidemischer Krankheiten durch industrielle Abwässer sei zudem nicht nachgewiesen, womit auf die kommunalen Einleitungen angespielt wurde. Die Industrie erkenne ihre Verpflichtung an, nach wissenschaftlichen und praktischen Mitteln Verschmutzung zu vermeiden, gleichzeitig müßten aber die verschiedenen Interessen abgewogen werden.

1901 beschloß die Abwasser-Kommission, einen Sachverständigen zu berufen, der dem Verein bei der Regelung der Abwasserfrage den größtmöglichen Einfluß sichern sollte mittels wissenschaftlicher Argumente. Man sicherte sich der Dienste Weigelts, der zuvor Vorsitzender des „Deutschen Fischerei-Vereins“ gewesen war. Im Sinne der chemischen Industrie modifizierte er seine wissenschaftlichen Überzeugungen und vertrat nun das Prinzip der „Opferstrecke“ und das der Selbstreinigung der Flüsse, allerdings beruhte sein Standpunkt lediglich auf theoretischen Erwägungen.26

In dem Gutachten für die Farbenfabriken bestätigte Weigelt eine Verunreinigung des Rheins, die jedoch unvermeidlich sei und zudem außer Verhältnis zu der wirtschaftlichen Bedeutung des Werks Leverkusen für Kommune und Staat stünde. So könne eine vorwärtsstrebende Industrie, die bedacht sei, aus Gewinn- und Wettbewerbsinteressen die Kosten für die Abwasserreinigung so niedrig wie möglich zu halten, ohne staatliches Zugeständnis einer größeren Opferstrecke nicht auskommen.27 Nach Ansicht des Vorstandsmitglieds der Farbenfabriken, Carl Duisberg, waren deshalb technische Maßnahmen zur Abwasserreinigung „Vergeudung von Nationalkapital“. Er trat für die „Freiheit der fließenden Welle“ ein und forderte eine unbeschränkte industrielle Nutzung der Wasserläufe.28 Für flüssige Abfallstoffe der Industrie fanden sich keine entsprechenden Verwendungsmöglichkeiten. Es blieb ein zu beseitigender Rest, die aufzubringenden Kosten für eine Reinigung, wenn sie denn technisch möglich war, galten allgemein als „Ausgaben ohne Gegenleistung“.29

Die Unternehmensleitung teilte der zuständigen Behörde auf der Grundlage des Gutachtens mit, daß die Auflagen nicht erfüllt werden könnten. Zwei Jahre später erstellte Weigelt ein weiteres Gutachten, dessen Ergebnis war, daß die Entwicklung des „gewaltigen Werkes“ durch kleinliche Forderungen nach Reinigung der Abwässer nicht gestört werden dürfe, zumal der Schaden doch ohnehin nur minimal sei. Die Aufsichtsbehörden gaben daraufhin nach, der Düsseldorfer Regierungspräsident war beruhigt, daß Bayer sich des Ernstes der Lage bewußt sei, und der Oberpräsident der Rheinprovinz sah einen schwerwiegenden schädlichen Einfluß als nicht erwiesen an.

1908 stellte eine Untersuchungskommission, die aufgrund von Klagen des Oberfischereimeisters bei der Regierung und der Strombauverwaltung tätig geworden war, eine „dampfende, rötlich gefärbte Menge Abwasser“ unmittelbar am Ufer fest, die vom Werk Leverkusen in den Rhein geleitet wurde. Die Farbenfabriken verwiesen dagegen auf die Abwässer der Städte Köln und Mülheim, womit angedeutet wurde, daß man nicht der alleinige Rheinverschmutzer sei. Man benutzte das Argument, das nicht ganz von der Hand zu weisen war, um von sich selbst abzulenken.30 1901 hatte die Wasserbau-Inspektion der Rheinstrombauverwaltung in Koblenz rund 200 nicht-genehmigte Abwassereinleitungen allein auf der Rheinstrecke im Kölner Bezirk festgestellt. Daneben gab es zahlreiche Einleiter, die mit staatlicher Genehmigung den Rhein verschmutzten. Doch auch gegen die Verschmutzung durch Kommunen waren die Behörden letztlich machtlos.31

Die Firmenleitung stimmte mit dem Argument der wirtschaftlichen Bedeutung der Farbenfabriken und der chemischen Industrie allgemein in regionaler und nationaler Hinsicht uneingeschränkt überein. Die Tendenz einer solchen „Nationalisierung“ galt z.B. auch für die Elektroindustrie, was verhinderte, daß sich mit den Protesten inhaltlich auseinandergesetzt wurde. Daß Fabriken für das „öffentliche Wohl“ auch gesundheitsschädlich sein konnten, wurde nicht gesehen32. Nach Ansicht Duisbergs wurden die Schädlichkeiten der chemischen Industrie wesentlich überschätzt. So seien die Gesundheitsverhältnisse z.B. nicht schlechter als bei Krupp, doch sei die öffentliche Meinung eben geneigt, das Gegenteil anzunehmen. Duisberg führte sich selbst als Beweis für die Ungefährlichkeit der „Giftindustrie“ an, da er als Chemiker trotz zahlreicher Vergiftungen immer noch gesund sei. Das Restrisiko sei geringer als die freiwillig eingegangenen Gefahren des Alkohols und des Rauchens. Den Kritikern fehle aber jeglicher Sachverstand, über Giftigkeit der in den Betrieben verwendeten Stoffe zu urteilen.33

Zudem stellte Duisberg eine vielfach fehlende Achtung vor der Industrie und ihrem volkswirtschaftlichen Wert fest. Von Seiten der Farbenfabriken ging man davon aus, daß hinter den Einsprüchen und Protesten politische Motive stünden, obwohl solche nicht nachzuweisen sind. Doch kam die Kritik von den „Hauptgegner“ der chemischen Industrie, nämlich den traditionellen Eliten und der Sozialdemokratie. Dazu gehörten einerseits die Einsprüche des Freiherrn von Diergardt und andererseits die Berichte in der Arbeiterpresse, die das Werk Leverkusen immer wieder als „Gifthütte“ diffamierten, auch wenn es bei der Berichterstattung nicht um Umwelt- oder Gesundheitsschädigungen ging. Das Argument der Giftgefahr sei das „beste Mittel zur Schürung des Klassenkampfes“.34

Leicht geänderte Fassung der Seiten 35 bis 43 aus: Stefan Blaschke. Unternehmen und Gemeinde. Das Bayerwerk im Raum Leverkusen 1891-1914. Köln: SH-Verlag, 1999

Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Unveröffentlichte Quellen

Bayer-Archiv, Leverkusen (BAL)
58/9.4, 58/9.4.1
Geschichte und Entwicklung der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. Elberfeld in den ersten 50 Jahren, München 1918

Stadtarchiv Leverkusen (STAL)
20.1667, 20.1806, 20.2226
Bergische Arbeiterstimme

2 Veröffentlichte Quellen
Duisberg, Carl, 1923: Abhandlungen, Vorträge und Reden aus den Jahren 1892-1921, Berlin/Leipzig: Verlag Chemie

3 Literatur
Andersen, Arne, 1993: Umweltgeschichte. Forschungsstand und Perspektiven, in: Archiv für Sozialgeschichte 33: 672-701
Andersen, Arne, 1996: Historische Technikfolgenabschätzung am Beispiel des Metallhüttenwesens und der Chemieindustrie 1850-1933, Stuttgart: Steiner
Blum, Eva M., 1991: Kultur, Konzern, Konsens. Die Hoechst AG und der Frankfurter Stadtteil Höchst, Frankfurt a.M.: Brandes und Apsel
Brüggemeier, Franz-Josef, 1996: Das unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert, Essen: Klartext
Büschenfeld, Jürgen, 1997: Flüsse und Kloaken. Umweltfragen im Zeitalter der Industrialisierung (1870-1918), Stuttgart: Klett-Cotta
Büschenfeld, Jürgen, 1998: Visionen des Fortschritts: Grenzwerte in der Gewässerschutzdebatte um 1900, in: Hans-Liudger Dienel (Hg.): Der Optimismus der Ingenieure. Triumpf der Technik in der Krise der Moderne um 1900, Stuttgart: Steiner, 77-128
Evans, Richard J., 1996: Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Gilhaus, Ulrike, 1995: „Schmerzenskinder der Industrie“. Umweltverschmutzung, Umweltpolitik und sozialer Protest im Industriezeitalter in Westfalen 1845-1914, Paderborn: Schöningh
Hahn, Hans-Werner, 1998: Die Industrielle Revolution in Deutschland, München: Oldenbourg
Henneking, Ralf, 1994: Chemische Industrie und Umwelt. Konflikte um Umweltbelastungen durch die chemische Industrie am Beispiel der schwerchemischen, Farben- und Düngemittelindustrie der Rheinprovinz (ca. 1800-1914), Stuttgart: Steiner
Hüttenberger, Peter, 1992: Umweltschutz vor dem Ersten Weltkrieg: ein sozialer und bürokratischer Konflikt, in: Hein Hoebink (Hg.): Staat und Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1816-1991. 175 Jahre Regierungsbezirk Düsseldorf, Essen: Klartext, 263-284
Ohmer, Beate, 1998: Wasser. Historisch. Zu Bedeutung und Belastung des Umweltmediums im Ruhrgebiet 1870-1930, Frankfurt a.M. u.a.: Lang
Paul, Johann, 1991: Die Rheinverschmutzung in Köln und Leverkusen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Die alte Stadt 18: 385-402
Paul, Johann, 1992: Umweltbelastungen in der Bürgermeisterei Merheim vor dem Ersten Weltkrieg, in: Rechtsrheinisches Köln 18: 111-128
Pollay, Kurt, 1952: Die wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung der Stadt Leverkusen, Köln Univ. Diss.
Radkau, Joachim, 1994: Was ist Umweltgeschichte?, in: Werner Abelshauser (Hg.): Umweltgeschichte. Umweltverträgliches Wirtschaften in historischer Perspektive, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 11-28
Radkau, Joachim, 1996: Technik und Umwelt, in: Gerold Ambrosius u.a. (Hg.): Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen, München: Oldenbourg, 119-136
Simson, John von, 1978: Die Flußverunreinigungsfrage im 19. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 65: 370-390
Spelsberg, Gerd, 1990: „Im Fieber des Farbenrausches“. Eine Siegesgeschichte, in: Arne Andersen/Gerd Spelsberg (Hg.): Das blaue Wunder. Zur Geschichte der synthetischen Farben, Köln: Volksblatt-Verlag, 9-56
Verg, Erik u.a., 1988: Meilensteine. 125 Jahre Bayer 1863-1988, hg. von Bayer AG, Leverkusen: Bayer
Wengenroth, Ulrich, 1993: Das Verhältnis von Industrie und Umwelt seit der Industrialisierung, in: Hans Pohl (Hg.): Industrie und Umwelt, Stuttgart: Steiner, 25-44

Fußnoten
1 Evans, 1996, 153; Gilhaus, 1995, 2; Henneking, 1994, 7; Hüttenberger, 1992, 263.
Überblicke zum Umweltbegriff und zur historischen Umweltforschung: Andersen, 1993, 672-701; Andersen, 1996, 14-24; Brüggemeier, 1995, 7-15; Büschenfeld, 1997, 9-20; Gilhaus, 1995, 1-17; Hahn, 1998, 115-121; Henneking, 1994, 7-17; Ohmer, 1998, 9-32; Radkau, 1994, 11-28; Radkau, 1996, 119-136.
2 Gilhaus, 1995, 526; Simson, 1978, 370; Wengenroth, 1993, 27.
3 Brüggemeier, 1996, 140; Büschenfeld, 1998, 77; Evans, 1996, 154f, 166-171 und 235; Henneking, 1994, 33f.
4 Duisberg, 1923, 330f (Die Belehrung der Arbeiter über die Giftgefahren in gewerblichen Betrieben 1905); Gilhaus, 1995, 537; Hüttenberger, 1992, 268f.
5 Brüggemeier, 1996, 306.
6 Brüggemeier, 1996, 302.
7 Andersen, 1996, 261; Brüggemeier, 1996, 302-304; Gilhaus, 1995, 415 und 536; Hüttenberger, 1992, 266f.
8 Büschenfeld, 1998, 77; Hüttenberger, 1992, 268f.
9 Henneking, 1994, 284.
10 Spelsberg, 1990, 46-55. Henneking kennt diese Fälle nicht.
11 Henneking, 1994, 284-301; Verg, 1988, 30.
12 Zur zeitlichen, aber auch fachlichen Überforderung der Behörden siehe auch: Ohmer, 1998, 515.
13 Henneking, 1994, 301f.
14 Henneking, 1994, 302f.
15 Henneking, 1994, 302-304.
16 STAL 20.2226: Diergardt an Bürgermeister Keunen vom 11.11.1895, Niederschrift der Verhandlungen auf dem Bürgermeisteramt vom 19.11.1895 (Auch: STAL 20.1667).
17 STAL 20.1806: Oberbürgermeister von Köln an Bürgermeisteramt vom 8.4.1899; Henneking, 1994, 304f.
18 Paul, 1992, 121-127.
19 Andersen, 1996, 249 und 253.
20 Z.B. Pollay, 1952, 166. Nach Blum, 1991, 11, tat sich die chemische Industrie mit der Umweltdiskussion in den achtziger Jahren sehr schwer, da sie an Kritik und öffentlichen Diskussionen nicht gewohnt gewesen sei. Die Umweltklagen seit Beginn der chemischen Industrie werden nicht gesehen.
21 Paul, 1991, 386f.
22 Andersen, 1996, 262f; Simson, 1978, 373-376, 381f und 387f.
23 Paul, 1991, 387f.
24 Henneking, 1994, 305. Zur Abwasser-Kommission: Verg, 1988, 146-149.
25 Zu Weigelt: Büschenfeld, 1998, 94 (Anm. 51).
26 Andersen, 1996, 268-276 und 282-286; Büschenfeld, 1997, 67 und 148f; Büschenfeld, 1998, 102-104; Gilhaus, 1995, 438-442. Zu Grenzwerten allgemein: Büschenfeld, 1998, 83-105.
27 BAL 58/9.4; Paul, 1991, 388-390.
28 Büschenfeld, 1998, 124.
29 BAL 58/9.4.1; Paul, 1991, 389f.
30 Paul, 1991, 386 und 389f.
31 Andersen, 1996, 286; Büschenfeld, 1997, 411f.
32 BAL 58/9.4: Vorläufiger Bericht über die Abwässer in Leverkusen vom 18.5.1902 (Weigelt), siehe Randbemerkungen. Allgemein: Henneking, 1994, 413; Ohmer, 1998, 179. Siehe auch Argumentation Krupps in einem Umweltkonflikt: Ohmer, 1998, 171f.
33 BAL: Geschichte und Entwicklung, 1918, 564 und 643; Duisberg, 1923, 326 (Die Belehrung der Arbeiter über die Giftgefahren in gewerblichen Betrieben 1905); Andersen, 1996, 377f.
34 Duisberg, 1923, 215 (Der chemische Unterricht an der Schule und der Hochschulunterricht für die Lehrer der Chemie 1906); Duisberg, 1923, 330 (Die Belehrung der Arbeiter über die Giftgefahren in gewerblichen Betrieben 1905); Henneking, 1994, 413.
Henneking kennt keine politische Motivierung der Proteste, Gilhaus, 1995, 456-468, zählt zu der Gruppe der „politischen Motivierten“ die adligen Großgrundbesitzer, deren bürgerlichen Rechtsnachfolger und auch den Landadel.
Beispiele für Berichte in der Arbeiterpresse: Bergische Arbeiterstimme vom 10.6.1903, 19.8.1908, 24.7.1909, 14.3.1911 und 30.8.1913 (STAL). Zu den Kontroversen zwischen der chemischen Industrie und der Arbeiterbewegung um den Grad der Gefährdung zu Beginn des 20. Jahrhunderts siehe auch: Andersen, 1996, 369-381.

[Baby Aspirin] STICHWORT BAYER 01/2013

CBG Redaktion

USA: BAYER nimmt „Baby-Aspirin“ vom Markt

Seit den 70er Jahren ist bekannt, dass Aspirin das seltene Reye-Syndrom auslösen kann. Die Krankheit schädigt Leber und Gehirn und verläuft zu 40% tödlich. Am häufigsten tritt das Reye-Syndrom im Alter zwischen vier und neun Jahren auf. In den USA musste BAYER nun sogenanntes „Baby-Aspirin“ vom Markt nehmen. In Lateinamerika hingegen vermarktet der Konzern bis heute Aspirin-Präparate speziell für Kinder.

In Deutschland wurde Aspirin Junior, ein niedrig dosiertes ASS-Präparat, schon in den achtziger Jahren in Aspirin 100 umbenannt. Im Beipackzettel des Präparats wird ausdrücklich gewarnt: „Aspirin soll bei Kindern und Jugendlichen mit fieberhaften Erkrankungen nur auf ärztliche Anweisung und nur dann angewendet werden, wenn andere Maßnahmen nicht wirken.“ Auch im Ausland wird in den Produktinformationen auf das Reye-Syndrom hingewiesen, in den USA sogar direkt auf der Packung.

In Lateinamerika hingegen, wo Aspirin ein Image als Allheilmittel genießt, werden Kinder bis heute einem vermeidbaren Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Präparate von BAYER mit dem Aufdruck Aspirina para Niños („Aspirin für Kinder“) und Aspirina infantil, die eine gefahrlose Anwendung für Kinder suggerieren, sind Umsatzrenner.

Auch auf der südamerikanischen website von BAYER ConsumerCare wird Werbung für Aspirina para Niños gemacht. Für Kinder wird dort eine hohe Tagesdosis von 60 mg pro Kilo Körpergewicht empfohlen. Als Indikation sind u.a. Kopf- und Muskelschmerzen, Erkältungen und Grippe angegeben. Warnungen vor dem Reye-Syndrom: Fehlanzeige - diese findet man erst im schriftlichen Beipackzettel. Viele Eltern lesen jedoch nur die Kurz-Information auf der website, zudem werden Aspirin-Tabletten in Lateinamerika häufig einzeln und ohne Beipackzettel verkauft.

Der Kinderarzt Dr. Gottfried Arnold kommentiert: „Eine undifferenzierte Empfehlung für 60 mg/kg ist eindeutig überzogen. Zudem findet sich im spanischen Beipackzettel die Indikation „Grippe“, während weiter unten im Text Influenza A und B (also Grippe mit Influenza-Viren) als kontra-indiziert aufgeführt werden. Dies erscheint als eine bewusste Irreführung“. Seine Kollegin Dr. Erika Abczynski ergänzt: „Zum Glück gibt es Kinder-Aspirin bei uns schon lange nicht mehr. Es gibt andere Fieber- und Schmerzmittel für Kinder, die sehr gut wirken. Ich selbst verordne Acetylsalicylsäure schon seit über 20 Jahren nicht mehr.“

USA: Irreführung beendet
Die amerikanische National Reye‚s Syndrome Foundation (NRSF), die seit Jahrzehnten vor den Risiken von ASS für Kinder warnt, hat nun einen wichtigen Erfolg errungen: Nach einem Treffen mit der Medikamenten-Aufsicht Food and Drug Administration (FDA) forderte die Behörde das Unternehmen auf, den Verkauf von sogenanntem „Baby-Aspirin“ zu unterbinden.

BAYER wollte sich zunächst damit herausreden, dass sich der Begriff „Baby“ nicht auf die Anwendung für Kinder oder gar Säuglinge, sondern auf die verringerte Wirkstoffmenge von 100 mg beziehe. Ob die FDA daraufhin eine entsprechende Anordnung oder gar Strafen angedroht hat, muss offen bleiben. In jedem Fall reagierte das Unternehmen innerhalb weniger Wochen und kündigte an, keine Schmerzmittel mehr mit dem Aufdruck „Baby-Aspirin“ zu verkaufen. Nach Angabe der NRSF ist das Präparat mittlerweile tatsächlich aus den Regalen verschwunden.

John Freudenberger, Präsident der NRSF, kommentierte in einem Editorial: „Die National Reye‘s Syndrome Foundation hat 37 Jahre lang versucht, das Thema „Baby Aspirin“ mit BAYER zu diskutieren. Jedes Mal, wenn wir die Firma ansprachen, wurden wir hingehalten und abgewiesen. (…) Erst unser Gespräch mit der FDA führte dazu, dass sich die Behörde des Themas annahm. Die FDA stimmte mit uns überein, dass die Bezeichnung „Baby-Aspirin“ dazu führen kann, dass die Verbraucher denken, das Produkt wäre auch für Kinder und Säuglinge sicher.“

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) hat wiederholt in der BAYER-Hauptversammlung gefordert, den doppelten Standard in Bezug auf Kinder-Aspirin zu beenden. Weltweit müssen alle ASS-Präparate mit dem Aufdruck „für Kinder“ oder „Baby“ umbenannt werden. Die empfohlene Tagesdosis bei Kindern von 60 mg pro Kilo Körpergewicht muss nach Auffassung der CBG ersatzlos gestrichen werden. Von Philipp Mimkes