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[Chemiewaffen made by BAYER] Seit dem Ersten Weltkrieg stets zu Diensten

CBG Redaktion

Auch der BAYER-Konzern beteiligte sich mit seinen Pestiziden am „Herbicidal warfare“ in Vietnam. Er konnte dabei aus einem Erfahrungsreservoir im Umgang mit chemischen Waffen schöpfen, das bis zum Ersten Weltkrieg zurückreichte.

Von Jan Pehrke

Die britischen Streitkräfte entwickelten 1940 die Strategie, Antiunkraut-Mittel und andere Pestizide als Chemiewaffen einzusetzen. Anfang der 1950er Jahre erprobten sie den „Herbicidal warfare“ dann im Kampf gegen die malaysische Befreiungsbewegung. Aber erst der Viet-nam-Krieg brachte das ganze zerstörerische Potenzial dieser militärischen Praxis zur Entfaltung. 80 Millionen Liter Ackergifte ließen die USA über das Land niedergehen. Die Armee entlaubte damit die Dschungel, um die sich dort verborgen haltenden Vietcong besser aufspüren zu können, und setzte die Mittel überdies zur Vernichtung der Ernten des Gegners ein.

Nicht nur die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO hatte dazu die passenden Produkte parat, sondern auch die Mutter-Gesellschaft selbst. Sie bestreitet zwar, das Pentagon direkt mit Agent Orange beliefert zu haben, indirekt fanden ihre Erzeugnisse aber doch den Weg in die Tanks der Fairchild-Transportflugzeuge. So produzierte der Leverkusener Multi in der fraglichen Zeit jährlich 700 bis 800 Tonnen des „Agent Orange“-Grundstoffes 2,4,5-T und verkaufte einen Teil davon an die französische Firma PROGIL. Diese wiederum verarbeitete es weiter und exportierte es nach Vietnam. Eine Aktennotiz der ebenfalls mit PROGIL Geschäftsbeziehungen unterhaltenden BOEHRINGER AG belegt dies: „BAYER und PROGIL haben auf dem 2,4,5-T-Sektor seit Jahren (Vietnam) zusammengearbeitet“. Der Global Player bestreitet diese Kooperation nicht, hält allerdings fest: „Über die weitere Verwendung des Wirkstoffes bei der PROGIL liegen keine Erkenntnisse vor.“ In einer früheren Äußerung zu diesem Thema räumt er hingegen durchaus die Möglichkeit ein, „dass Tochter-Unternehmen beziehungsweise Drittfirmen 2,4,5-T-haltige Pflanzenbehandlungsmittel auf den amerikanischen Markt brachten“.
Andere Agro-Chemikalien wie Agent Green, Zineb und Dalapon verkaufte das Unternehmen dem Militär ebenfalls. Teilweise legten die Substanzen dabei einen weiten Weg zurück. Einige von ihnen gelangten über Konzern-Niederlassungen in den damals autoritär regierten Staaten Spanien und Südafrika zur US-Tochter CHEMAGRO und von dort dann zu den Militärbasen. Die Zeitschrift International Defense Business konnte für das Jahr 1972 sogar genau den Wert von BAYERs Kriegsbeitrag beziffern: Rund eine Million Euro stellte die Aktiengesellschaft für die verschiedenen Chemikalien in Rechnung.

ExpertInnen des Unternehmens standen der US-Army gemeinsam mit ihren KollegInnen von HOECHST aber auch direkt vor Ort mit Rat und Tat zur Seite. Als medizinische HelferInnen getarnt, arbeiteten sie dem US-amerikanischen Planungsbüro für B- und C-Waffeneinsätze in Saigon zu. Die transatlantische Kooperation vermochte sich dabei sogar auf alte Verbindungen zu stützen: Die Abstimmung zwischen US-amerikanischen und bundesdeutschen Chemie-Firmen übernahm die GENERAL ANILINE AND FILM CORPORATION, eine ehemalige US-Tochter des von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzerns IG FARBEN.

Erster Weltkrieg
Zu diesem Zeitpunkt verfügte der Global Player bereits über einen Erfahrungsschatz auf dem Gebiet, der bis zum Ersten Weltkrieg zurückreichte. Schon in den ersten Wochen der Kämpfe erschienen der Armee-Führung die verwendeten Waffen nämlich nicht durchschlagskräftig genug. Die Oberste Heeresleitung suchte deshalb gemeinsam mit dem Chemiker Walther Nernst nach Möglichkeiten zur Erhöhung der Geschoss-Wirksamkeit. Als es an die praktische Umsetzung ging, kam der Leverkusener Multi ins Spiel. Und sein damaliger Generaldirektor Carl Duisberg verlor keine Zeit und drückte aufs Tempo, damit „die Chemie die ihr in der modernen Kriegsführung zukommende Rolle spielen“ kann. „Ich bin seit Ende Oktober 1914 zusammen mit Nernst, der (...) der Obersten Heeresleitung zugeteilt ist, auf dem Wahner Schießplatz tätig gewesen, chemische Reizgeschosse zu machen“, schrieb er in einem Brief. Bald danach konnte der Konzern liefern: Mit dem Reizstoff Dianisidin hatte BAYER die erste chemische Waffe für die deutschen Truppen entwickelt. Dabei handelte es sich noch nicht um ein Gift. Die Substanz wirkte „nur“ kurzzeitig auf die Schleimhäute ein. Die Armee wollte den Feind mit ihrer Hilfe überraschen und dann sofort unter Beschuss nehmen, um ihn aus gehaltenen Häusern, von Gehöften oder engeren Ortschaften zu vertreiben. Aber bei solchen begrenzten Wirkungen blieb es nicht. „Es ist uns jedoch auch die Frage vorgelegt worden, wie man es aufgrund unserer jetzt gemachten Erfahrungen anstellen müsste, wenn man eine vollkommene Vergiftung des Gegners auf chemischen Wege durchführen wollte“, berichtete Duisberg als führender Industrieller der „Beobachtungs- und Prüfungskommission für Sprengungs- und Schießversuche“ – und hatte auch bald eine Antwort parat: Blausäure.

Die Büchse der Pandora war also geöffnet, zumal sich Dianisidin an der Front nicht bewährte. Zum ersten Mal bei Neuve-Chapelle in der Nähe von Ypern der Sprengmunition beigemischt, bemerkten die französischen Soldaten die chemische Wirkung der 3.000 verfeuerten Granaten gar nicht.

„Versuche mit neuen Geschossen“ beschäftigten Duisberg im Herbst 1914 nach eigenem Bekunden täglich, und das „schon seit Wochen“. Besonders der sich abzeichnende Stellungskrieg, in dem die Kontrahenten sich aneinander festbissen, ohne dass eine Seite größere Geländegewinne erzielen konnte, trieb die Forschung an. Um die Patt-Situation zu beenden, galt es nämlich, „die große, schwierige Frage der Verpestung der Schützengräben mit chemischen Substanzen der Lösung näherzubringen“, wie der BAYER-Generaldirektor Gustav Krupp von Bohlen und Halbach mitteilte. Die Entwicklung solcher Kampfgase gelang dem Leverkusener Multi auch, und nicht nur das. „So habe ich unsere Fabrik zu Kriegslieferungen umorganisiert, mache Sprengstoffe aller Art, fülle Granaten und bin außerdem persönlich mit Nernst zusammen mit Versuchen beschäftigt, Spezialgeschosse anzufertigen“, vermeldete Carl Duisberg stolz. Eine dieser Entwicklungen pries er der Obersten Heeresleitung gegenüber so an: „Dieses Chlorkohlenoxyd ist das gemeinste Zeug, das ich kenne (...) Ich kann deshalb nur noch einmal dringend empfehlen, die Gelegenheit dieses Krieges nicht vorübergehen zu lassen, ohne auch die Hexa-Granate zu prüfen.“ Und sogar zur Namensgebung durfte der Konzern manchmal beitragen. „Lost“ hieß ein Senfgas zu Ehren des BAYER-Forschers Wilhelm Lommel und seines Kooperationspartners Wilhelm Steinkopf vom „Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie“.

Nur die Chlorgas-Wolke, die am 22. April 1915 in Ypern erstmals zum Einsatz kam und 800 bis 1.400 Menschenleben forderte, stammte nicht aus Leverkusen. Fritz Haber vom Kaiser-Wilhelm-Institut hat diese Waffe entwickelt, die zum Synonym für die Grausamkeit des Chemie-Krieges wurde (1). Sie durchlief ihre Testphase zwar in Köln-Wahn, und Duisberg versuchte auch, auf ihre Fertigung Einfluss zu nehmen, aber letztendlich betrachtete er das Chlor-Gebräu als Konkurrenz zu den eigenen Kreationen. Zynisch und hintersinnig schrieb er von den „‚chlorreichen Siegen’ von Ypern, denen aber leider weitere (...) nicht gefolgt sind“, um so Reklame für die Erzeugnisse aus seinem eigenen Chemiebaukasten zu machen. Und tatsächlich konnte die Wolke die BAYER-Hervorbringungen nicht vom Markt drängen. Die erprobte Leverkusener „Science for Death“ erwies sich letztendlich als überlegen.

Die Zeit des Faschismus
Auch die NationalsozialistInnen versorgte BAYER mit Waffen aus diesem Arsenal. „Angesichts des schweren Schadens, den der Konzern durch den internationalen Aufschrei über Entwicklung und Einsatz chemischer Waffen im Ersten Weltkrieg erlitten hatte, hätte man erwarten können, dass er sich von solchen Projekten ferngehalten hätte“, schreibt der Historiker Diarmuid Jeffreys in seinem Buch „Weltkonzern und Kriegskartell“. Aber der Leverkusener Multi kannte so wenig Skrupel wie die anderen Unternehmen, die damals unter dem Dach der IG FARBEN firmierten.

Einige der Kriegswerkzeuge fielen bei der Pestizid-Forschung als Abfall-Produkte an. So wollte der BAYER-Chemiker Gerhard Schrader neue Insektizide entwickeln und experimentierte dazu mit einer Kombination aus Phosphor-Verbindungen und Zyanid. Er vergiftete sich dabei jedoch selbst und war wochenlang ans Bett gefesselt. Spätere Versuche brachten noch stärkere Mittel hervor. Zur Ausbringung gegen Schadinsekten waren sie nicht geeignet. BAYER lotete deshalb andere Einsatz-Möglichkeiten aus und diente sie dem Heereswaffenamt für den „Chemical warfare“ an. Dieses zeigte sich interessiert, woraufhin Schrader das Nervengas Tabun zusammenbraute. 50.000 Reichsmark erhielten er und ein Kollege dafür von der Wehrmacht. Auf eine ähnliche Weise entstand Sarin. Und wieder floss der EntdeckerInnen-Stolz in die Namensgebung ein. In der Bezeichnung „Sarin“ für die farblose Flüssigkeit verewigten sich Gerhard Schrader, Otto Ambros und Gerhard Richter sowie ihr Kooperationspartner Hans-Jürgen von der Linde vom Heeresgasschutz-Laboratorium.

Die Chemiewaffen-Fertigung lief Ende 1936 an. Eine Tabun-Produktion im industriellen Maßstab baute die IG FARBEN Anfang 1940 in Dyhernfurth auf; das Geld dazu kam vom Oberkommando des Heeres. 12.000 Tonnen Tabun stellte das Werk dort über die Jahre her, zudem bis zu 400 Tonnen Sarin und zusätzlich noch Soman. Bei der Standort-Wahl spielte die Nähe zum KZ Groß-Rosen eine entscheidende Rolle, denn aus diesem wollten die IG-Bosse ZwangsarbeiterInnen rekrutieren. Den Gefangenen überließ Betriebsführer Otto Ambros, der im NS-Staat die Position des Wehrwirtschaftsführers für chemische Kampfstoffe innehatte, dann auch die gefährlichsten Arbeiten. Sie waren es, die das Gift in die Bomben und Granaten zu füllen hatten und dabei ihr Leben riskierten. Weit über 300 Unfälle ereigneten sich in Dyhernfurth, zehn mit Todesfolge. Aber nicht nur an diesem Ort nahe Breslau kreierte die IG FARBEN chemische Waffen. In Gendorf unterhielt sie eine weitere Anlage. Dort setzten die ChemikerInnen aus Thiodiglycol und Chlorwasserstoff Lost zusammen. Auch Sarin wollte das Unternehmen synthetisieren, konnte die Betriebsstätte in Falkenhagen aber nicht mehr rechtzeitig vor Ende des Krieges fertigstellen. Weitere Kampfstoffe lieferten dagegen unter anderem die Niederlassungen in Hüls, Ludwigshafen, Trostberg und Schkopau. Insgesamt standen den Waffenlagern der NS-Militärs 61.000 Tonnen Kampfstoffe zur Verfügung. Über 40 Prozent davon steuerte die IG bei: 25.000 Tonnen.

Und es blieb nicht dabei, den KZ-InsassInnen die riskantesten Tätigkeiten bei der Fabrikation der Nervengifte zuzuteilen, sie mussten überdies als Versuchskaninchen bei den Chemiewaffen-Tests herhalten. Die Prozeduren, mit denen die ForscherInnen genaueren Aufschluss über die Wirksamkeit und Anhaltspunkte zur Entwicklung von Gegenmitteln erhalten wollten, fanden beispielsweise in den Konzentrationslagern Natzweiler, Dachau, Neuengamme und Sachsenhausen statt. In Natzweiler leitete Prof. Dr. August Hirt die Experimente mit Lost. Beim Nürnberger ÄrztInnen-Prozess hat der ehemalige Häftling Ferdinand Holl die Tortur genau beschrieben. „Nach ungefähr zehn Stunden oder es kann auch etwas länger gewesen sein, da stellten sich Brandwunden ein, am ganzen Körper. Da, wo die Ausdünstungen von diesem Gas hinzukamen, war der Körper verbrannt. Blind wurden die Leute zum Teil. Das waren kolossale Schmerzen, so dass es kaum noch auszuhalten war, sich in der Nähe dieser Kranken aufzuhalten“, so zitiert Jo Angerer in seinem Buch „Chemische Waffen in Deutschland“ die ZeugInnen-Aussage. Die Bilanz am Ende allein bei diesem Test: acht Menschen starben. Aber für Hirt lohnte sich das Morden. Die NS-Schergen verliehen ihm für die „Kampfstoff-Versuche am lebenden Objekt“ das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern.
Zum Einsatz kamen die Chemie-Waffen letztlich nicht. Es war allerdings nicht Hitlers eigene Lost-Vergiftung im Ersten Weltkrieg auf einem Schlachtfeld bei Ypern, die zu dem Verzicht führten. Der Diktator hielt den „Chemical warfare“ durchaus für ein Mittel der Wahl. Am 30. Juni 1942 gab er den Befehl, bis zum Frühjahr 1943 alle Vorbereitungen für einen Kriegseinsatz von Lost & Co. abzuschließen. Aber eine Besprechung am 15. Mai 1943, an der auch Otto Ambros teilnahm, stimmte ihn um. Ambros glaubte fälschlicherweise, es sei den Alliierten ein Leichtes, selber Tabun herzustellen und sah – ebenfalls ein Irrtum, wie sich nachher herausstellen sollte – in dem Ausbleiben von US-amerikanischen Forschungspublikationen zu Nervengasen seit Beginn des Kriegs ein Indiz für geheime Entwicklungsarbeiten. Diese Fehleinschätzungen des IG-Managers trugen wesentlich dazu bei, Hitler und seine Gefolgsleute davon abzubringen, die Flugzeuge der Luftwaffe mit den Chemie-Bomben und -Granaten zu bestücken. Zudem fürchteten die Nazis, die Waffenlager wegen des Rohstoffmangels nicht in ausreichendem Maß mit den Kampfstoffen füllen zu können.

Nur eine chemische Massenvernichtungswaffe setzten die FaschistInnen großflächig ein: ZYKLON B. Zu den Hauptherstellern des ursprünglich zum Einsatz gegen Schadinsekten bestimmten Produkts gehörte die DEUTSCHE GESELLSCHAFT ZUR SCHÄDLINGSBEKÄMPFUNG (DEGESCH), eine 42,5-prozentige Tochter der IG FARBEN. Das in den Todesfabriken dringend benötigte Mordinstrument bescherte der DEGESCH satte Gewinne. So heißt es im Geschäftsbericht für 1943: „Den wesentlichen Anteil an der Umsatz-Steigerung hatte die Entwicklung des ZYKLON-Geschäfts. Die ZYKLON-Umsätze erreichten im Berichtsjahr die Rekordhöhe von RM 1.664.000 (...); der Umsatz hat sich somit gegenüber dem Vorjahre um 64 % erhöht.“

Nach 1945
Für diese Mittäterschaft am Holocaust, am Weltkrieg und anderen Verbrechen der Nazis verurteilten die RichterInnen bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen nur dreizehn IG-Beschäftigte, und keiner von ihnen musste seine Haftstrafe ganz absitzen. Gerhard Schrader blieb eine Vorladung ganz erspart. Die Alliierten unternahmen nichts, um die ForscherInnen mit den tödlichen Begabungen für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Sie versuchten vielmehr, von dem gefährlichen Wissen zu profitieren und Hitlers willige Helfer abzuschöpfen. Die Militärs zogen nach dem Krieg die ganze Wissenschafts-elite der Nazis auf Schloss Kransberg im Taunus zusammen. Die IG FARBEN stellte dabei das größte Kontingent. „Die chemischen Nervenkampfstoffe stießen bei den Engländern und Amerikanern auf größtes Interesse, Vergleichbares besaßen sie in ihren Arsenalen nicht. Schrader und Konsorten mussten deshalb in Kransberg bis in die kleinsten Details Aufzeichnungen über die Synthese ihrer Ultragifte anfertigen“, schreiben Egmont R. Koch und Michael Wech in ihrem Buch „Deckname Artischocke“ (siehe auch SWB 1/03). Gerhard Schrader war den US-ExpertInnen dabei sogar so wertvoll, dass sie ihn mit in die Vereinigten Staaten nahmen. In Diensten des „Chemical Corps“ der US-Streitkräfte konnte er seine Arbeit fortsetzen. In den 1950er Jahren kehrte Schrader dann in die Bundesrepublik – und zu BAYER – zurück. Er übernahm beim Leverkusener Multi die Pestizid-Abteilung, beschäftigte sich aber auch weiterhin mit kriegsverwendungsfähigen Erträgen aus der Ackergift-Forschung.

Recherchen von Günter Wallraff und Dr. Jörg Heimbrecht brachten dies im Jahr 1969 ans Licht. Heimbrecht nahm sich Schraders Buch „Die Entwicklung neuer insektizider Phosphorsäure-Ester“ vor und schaute sich einige der dort beschriebenen Stoffe genauer an. So vertiefte er sich etwa in die Struktur-Formel eines Phosphonsäure-Esters, den Schrader gemeinsam mit seinen beiden Kollegen Ernst Schegk und Hanshelmut Schlör 1957 in der Bundesrepublik und 1959 in den Vereinigten Staaten zum Patent angemeldet hatte. „Mir fiel auf, dass diese Verbindung als chemischer Kampfstoff in der ‚Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen’ von 18.7.1969 enthalten war“, lautete sein Befund. Das führte dann zu weiteren Entdeckungen. „Literatur-Recherchen in der Bibliothek des Chemischen Instituts der Uni Bonn ergaben, dass BAYER eine ganze Reihe von Substanzen in deutschen und amerikanischen Patenten hat patentieren lassen, die nach Definition der ‚Kriegswaffen-Liste’ zu den chemischen Kampfstoffen zählen. Bei weiteren Recherchen fiel mir auf, dass auch die US-Nervenkampfstoffe VE, VM, VS, VX und SM nach den o. g. Patenten von BAYER erfunden wurden“, hielt Heimbrecht fest.
Der Leverkusener Chemie-Multi kam deshalb nicht umhin, 1984 in seiner Hauszeitschrift BAYER intern einzuräumen, dass es „innerhalb dieses BAYER-Patentes (...) eine Übereinstimmung von Formeln mit einigen US-amerikanischen Kampfstoffen gibt“. Der Konzern bestritt jedoch, nach diesen Formeln selber Chemie-Waffen hergestellt oder das Recht dazu dem US-Militär gegen die Zahlung einer Lizenz-Gebühr abgetreten zu haben. Wie es dennoch zur Produktion von VX-Waffen kommen konnte, erklärte der damalige Unternehmenssprecher Jürgen von Einem mit einem Ausnahme-Passus im US-amerikanischen Patentrecht. Wenn ein übergeordnetes patriotisches Interesse bestehe, erlaube der Paragraf den zwangsweisen Zugriff auf das geistige Eigentum Dritter, ohne diese zu informieren und zu entschädigen, so von Einem. ExpertInnen ziehen das in Zweifel. Dem Münchner Patentanwalt Dr. Rolf Wilhelms zufolge existiert die entsprechende Regelung zwar, werde aber nur äußerst selten in Anspruch genommen und sehe außerdem sehr wohl eine finanzielle Kompensation etwa in Höhe der sonst üblichen Lizenz-Gebühren vor.

Günter Wallraff und Jörg Heimbrecht stützten sich bei ihrer Arbeit auf Informationen von Dr. Ehrenfried Petras. Der Mikrobiologe leitete in den 1960er Jahren ein Labor des „Instituts für Aero-Biologie“ im sauerländischen Grafschaft, welches er immer mehr für Kampfstoff-Forschungen missbraucht sah. Die Rüstungsanstrengungen der Bundeswehr im Kalten Krieg beunruhigten ihn so sehr, dass er sich entschloss, in die DDR überzusiedeln und die Pläne öffentlich zu machen. Sein Wissen über die illegalen Aktivitäten – die Bundesrepublik hatte sich 1954 beim Beitritt zur Westeuropäischen Union zu einem Verzicht auf die Herstellung biologischer und chemischer Waffen verpflichtet – legte Petras in der Broschüre „Bonn bereitet den Giftkrieg vor“ dar. Zudem gab er eine Erklärung zu dem Sachverhalt ab. Als „ein straff organisiertes System von Forschung, Testung und Produktionsvorbereitung“ bezeichnet Ehrenfried Petras das militärische Projekt darin. Dazu gehörte auch, alle Maßnahmen zu treffen, um im Verborgenen operieren zu können: „Zu Zwecken der Geheimhaltung und Tarnung hat das westdeutsche Bundesverteidigungsministerium von Anfang an bei der Wiederaufrüstung Wert darauf gelegt, seine militärische Forschung weitgehend in den bestehenden zivilen Forschungseinrichtungen der westdeutschen Chemie-Konzerne, Universitätsinstitute und anderen Forschungseinrichtungen durchführen zu lassen.“

Eine wichtige Rolle dabei kam BAYER zu. Der Konzern fungierte als Schaltzentrale, koordinierte die ganzen Abläufe und produzierte nicht zuletzt viele der Chemikalien. So lieferte das Unternehmen dem „Institut für Aero-Biologie“ etwa Zephirol für Tests zur Desinfektion von Kriegsschauplätzen. Das geschah jedoch auf Umwegen. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, gelangte der Stoff über Dr. Max von Clarmann, Leiter der bundesdeutschen Entgiftungszentrale vom Münchner Krankenhaus rechts der Isar, nach Grafschaft. Auch organische Phosphor-Verbindungen des Chemie-Riesen prüfte das Institut. Und das VX, mit dem es arbeitete, dürfte Gerhard Schrader in seinem Labor entwickelt haben.
Die – im wahrsten Sinne des Wortes – Feldversuche mit den verschiedenen Substanzen unternahm dann die Bundeswehr in ihrer Erprobungsstelle E 53 bei Munster. „Aufgrund dieser wissenschaftlichen Ergebnisse (...) ist die moderne chemische Industrie der westdeutschen Bundesrepublik (zum Beispiel die IG-FARBEN-Nachfolgeunternehmen BAYER AG, BASF und HOECHST) in der Lage, kurzfristig größere Mengen des von der Bundeswehr benötigten Kampfstoffes herzustellen und auszuliefern“, erläuterte Petras.

Zum „Institut für Aero-Biologie“, später unter den Bezeichnungen „Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Aerosol-Forschung“ und „Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin“ firmierend, unterhielt der Leverkusener Multi noch lange Zeit Verbindungen. „Ich glaube, wir haben gar keinen Grund, uns in irgendeiner Weise von den durch die Fraunhofer-Gesellschaft geförderten Projekten, die ja im Interesse unseres Staates sind, zu distanzieren“, zitiert Jo Angerer in seinem 1985 erschienenen Werk dazu BAYERs Hellmut Hoffmann.
Hoffmann ist ein Mann vom Fach. Der damalige Forschungsleiter der Pestizid-Abteilung hatte nach eigenem Bekunden an der Entwicklung von Lost und Sarin mitgearbeitet. In den Augen der Politik qualifizierte ihn das dafür, den verschiedenen Bundesregierungen in den 1980er Jahren bei den Verhandlungen zum Chemiewaffen-Übereinkommen der Vereinten Nationen als Berater zu dienen. Unter anderem arbeitete Hoffmann daran mit, Kriterien zur Bestimmung von Kampfstoff-Fertigungsstätten zu entwickeln. Das scheiterte allerdings, denn eindeutige Merkmale waren ihm zufolge nicht zu finden. „Die gibt es nicht. Wir hatten gewusst, wenn man das macht, dass man alle Anlagen genehmigungspflichtig machen muss für den Export.“ Und das konnte natürlich nicht im Interesse des Leverkusener Multis sein, der damals gutes Geld mit der Entwicklung solcher Fabriken für den ausländischen Markt verdiente.
So unterhielt er beispielsweise gute Geschäftsbeziehungen zum Iran. Der Staat begann in den 1980er Jahren mit Planungen zu einem großen Chemie-Komplex mit angeschlossener Pestizid-Produktion nahe der Stadt Ghaswin. An das Anwendungsgebiet „Landwirtschaft“ dürfte das Land in Zeiten des Ersten Golfkrieges, in denen der irakische Gegner auch Tabun, Sarin und Lost einsetzte, kaum gedacht haben. Trotzdem verkaufte das Unternehmen dem Land 1984 Lizenzen zur Fertigung von Azinphos-Methyl und Fenitrothion, einer chemiewaffen-fähigen Substanz aus der berühmt-berüchtigten Gruppe der Phosphorsäure-Ester. Die Aufsichtsbehörden genehmigten den Deal, rieten dem Konzern aber von weiteren Transaktionen im Zusammenhang mit Ghaswin ab. Der Chemie-Riese hielt sich allerdings nicht daran. Ab 1987 lieferte er eine Anlage zur Herstellung von Ackergiften in den Iran. Für alle Bauten vermochte der für die technische Koordination in Ghaswin zuständige LURCHI-Konzern Genehmigungen vorlegen, nur für die von BAYER nicht – aus gutem Grund. „‚Das Endprodukt‘ könnte ‚auch zur Bekämpfung von Warmblütern‘ eingesetzt werden und ‚damit als Kampfgas dienen‘“, zitierte der Spiegel aus einem Schreiben der Kölner Oberfinanzdirektion. Die Behörden leiteten in der Sache dann auch Ermittlungen ein. Im Zuge dessen führten FahnderInnen Ende 1989 Razzien in den Dormagener, Leverkusener und Monheimer Niederlassungen des Agro-Riesen durch und stellten drei Dutzend Ordner mit Konstruktionsplänen sicher. Der Staatsanwalt stellte das Verfahren später jedoch ein.

Gefahren bis heute
Und mehr als 100 Jahre nach der Entwicklung der ersten chemischen Kampfstoffe gehen von ihnen immer noch Gefahren aus. Sie ruhen nämlich unfriedlich auf den Meeresgründen von Ostsee und Nordsee. Mehr als 1,5 Millionen Tonnen von Munition, Bomben und Granaten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg lagern dort, was Mensch, Tier und Umwelt bedroht. Da die Metall-Umhüllung der Chemie-Waffen mittlerweile durchrostet, treten die Gifte nämlich aus. Aus dem Senfgas beispielsweise bilden sich Klumpen, die nicht selten FischerInnen ins Netz gehen – häufig mit fatalen Auswirkungen. Der Phosphor hingegen wird immer wieder an die Strände gespült. Dort verwechseln ihn Bade-UrlauberInnen wegen seiner Farbe und Form dann allzu oft mit Bernstein. Sie stecken die Stücke ein und ziehen sich zum Teil schwere Verbrennungen zu, weil sich der Phosphor, sobald er trocken ist, leicht entzünden kann.
Der Biologe Dr. Stefan Nehring bezifferte die Zahl der Sterbefälle Ende 2015 auf 418. Bei den meisten Toten handelt es sich dabei um Seeleute oder FischerInnen, die durch Detonationen von See-Minen oder den Direkt-Kontakt mit den Chemie-Giften umkamen. Darüber hinaus führt Nehring 720 Personen auf, die durch die Altlasten Gesundheitsschäden erlitten. Inzwischen haben viele Urlaubsorte Warnschilder aufgestellt. Zudem suchen MitarbeiterInnen von Kampfstoff-Bergungsfirmen die Strände an einigen Küsten-Streifen regelmäßig nach Phosphor ab. Aber das ist noch nicht alles. „Daneben gehen erhebliche Gefahren durch kontaminierte Fische aus“, hielt das Bundeslandwirtschaftsministerium bereits im Jahr 1992 fest. Die Chemie-Stoffe können nämlich über die Nahrungskette in den menschlichen Organismus gelangen und dort Krankheiten auslösen. „Wenn man alle Altlasten in einen Güterzug packte, würde er dreimal von Hamburg bis München reichen. Entsorgt kriegen die Räumdienste aber bislang vielleicht einen halben Waggon pro Jahr“, sagt der Meeres-Forscher Warner Brückmann.
In diesem Frühjahr steht das Thema auf der Tagesordnung des Bundestages. Den Anstoß dazu gaben die Grünen und die FDP, die in einem Antrag die Bergung der Altlasten gefordert hatten. Eine Kostenbeteiligung von BAYER bei der kostspieligen Operation sehen die Parteien nicht vor. Dafür tritt bisher nur die Coordination gegen BAYER-Gefahren ein. Es ist nämlich an der Zeit, dass der Konzern endlich einmal wenigstens etwas dafür zahlt, aus seinen Chemie-Laboren Waffen-Fabriken gemacht zu haben.

Anmerkung
(1) Als „Perversion der Wissenschaft“ bezeichnete Habers Frau Clara Immerwahr, die ebenfalls Chemikerin war, diese neue Waffe. Vergeblich hatte sie versucht, ihren Mann von seinem Tun abzubringen. Wenige Tage nach dem ersten Giftgas-Einsatz nahm sie sich das Leben. Haber aber, der 1911 schon gemeinsam mit Carl Bosch das kriegswichtige, sogenannte Haber/Bosch-Verfahren entwickelt hatte – es ermöglichte die synthetische Herstellung von Salpeter und machte das Deutsche Reich so von Importen unabhängig – ging seinen Weg unbeirrt weiter. 1917 gründete er den „Technischen Ausschuss für Schädlingsbekämpfung“, aus dem später die „Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ (DEGESCH) hervorging. Hier sollten Habers Mitarbeiter Ferdinand Flury und Albrecht Hase später das Zyklon B entwickeln, das die Nazis zur Ermordung der Juden einsetzten. Zu Zeiten der Weimarer Republik versuchte Haber überdies, aus Meerwasser Gold zu gewinnen, um dem Staat die Reparationszahlungen zu erleichtern. Ab 1925 saß der Wissenschaftler auch im Aufsichtsrat der IG FARBEN. 1933 aber musste er als Jude diesen Posten genauso aufgeben wie alle seine anderen. Er verließ das Land und starb 1934 in einem Baseler Hotel. An seiner Beerdigung nahmen zahlreiche IG-Direktoren teil.

[Ticker 01/21] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion

Jahrestagung 2020

Ende Juli 2020 startete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihre Kampagne „Glyphosat-Stopp jetzt!“. Da lag es nahe, dass sie auch ihre Jahrestagung dem Total-Herbizid und den anderen Ackergiften BAYERs widmete. „Pestizide, Umwelt, Menschenleben“ lautete deshalb am 10. Oktober in Düsseldorf das Thema. Zum Auftakt sprach die Fernsehköchin und derzeit als Parteilose für die österreichischen Grünen im EU-Parlament sitzende Sarah Wiener – live per Internet zugeschaltet – ein Grußwort. „Pestizide allgemein haben in unserer Umwelt nichts verloren“, stellte sie gleich zu Beginn klar. Dann berichtete Wiener vom Stand der Dinge bei dem Versuch Österreichs, Glyphosat zu verbieten, und gab Einblick in ihre Parlamentsarbeit. Sie klagte über die Landwirtschaftspolitik, die Millionen an Subventionen in die alten agro-industriellen Strukturen pumpt, sah jedoch auch Hoffnungsschimmer wie die avisierte neue Chemikalien-Politik. Der allerdings droht Ungemach durch das Extrem-Lobbying von BAYER & Co. Umso mehr baut Sarah Wiener deshalb auf Druck von außen: „Ich finde es toll, dass ihr so engagiert seid und uns den Rücken stärkt.“ Ihr folgte der Imker Bernhard Heuvel, der über das von Pestiziden mitverursachte Insektensterben im Allgemeinen und das Bienensterben im Besonderen sprach. Dabei legte er den perfiden Wirk-Mechanismus der neueren Insektizide bloß. So bringt etwa BAYERs PREMISE mit dem zur Gruppe der Neonicotinoide zählenden Inhaltsstoff Imidacloprid Termiten nicht etwa via chemischer Keule sofort zur Strecke. Das Mittel setzt vielmehr auf Hilfskräfte. „PREMISE erlaubt es der Natur, zu übernehmen und die Termiten zu zerstören“, hält das Unternehmen fest. Das Produkt selbst führt bei den Tieren „nur“ zu Verhaltensstörungen. Auf einmal pflegen sich die Insekten nicht mehr und unterstützen sich auch nicht mehr gegenseitig, so dass sie für Mikroorganismen wie etwa Boden-Pilze ein leichtes Opfer werden. Praktischer Nebeneffekt: Der Tatbeweis ist nur schwer zu erbringen. Nach der Mittagspause nahm sich Susan Haffmans vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN), per Skype aus Hamburg ins Stadtteilzentrum Bilk flimmernd, Deutschlands Exporte von besonders gefährlichen Ackergiften in Länder des globalen Südens vor. Dabei konzentrierte sie sich aus gegebenem Anlass besonders auf Kreationen des Leverkusener Multis. An Jan Pehrke von der Coordination war es dann, einen allgemeineren Blick auf die Agro-Chemikalien des Konzerns zu werfen. Nach einem Schnelldurchlauf durch die Geschichte der Sparte setzte er die drei Schwerpunkte „Doppelte Standards bei der Pestizid-Vermarktung“, „Bienensterben durch GAUCHO & Co.“ und „Glyphosat“, weil es viele Aktivitäten der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN dazu gab und gibt. Einzelheiten zur aktuellen „Glyphosat-Stopp jetzt!“-Kampagne lieferte dann gleich im Anschluss CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann. Er ging dazu noch mal an deren Ausgangspunkt zurück – BAYERs Versuch, einen juristischen Schlussstrich in Sachen „Glyphosat-Klagen“ zu ziehen – und erläuterte den Ansatz der Coordination. Dieser besteht, wie auch bei den vorausgegangenen Kampagnen, immer darin, ins Herz der Bestie vorzustoßen: dem Profit-System. Mit diesem Beitrag endete dann eine Jahrestagung, die anders verlief als alle bisherigen. Die Corona-Pandemie zwang zu Vorsichtsmaßnahmen wie dem Masken-Tragen und dem Sitzen in weiten Abständen zueinander und sorgte für zwei nur virtuell anwesende RednerInnen. Aber die rund 30 TeilnehmerInnen nahmen all das wacker auf sich, weil es mit der Konzern-Kritik ein übergeordnetes politisches Interesse gab. Und sie sollten es am Ende des Tages auch nicht bereuen.

Schild statt Straßenumbenennung

Am 29. September 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele AktivistInnen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund und Lüdenscheid hatte das Erfolg (siehe auch SWB 1/15). In Dormagen lagen sogar zwei Anträge zur Causa „Duisberg“ vor. Einen hatten „Die Linke“ und die Piraten-Partei gemeinsam eingereicht, ein anderer kam von Bündnis 90/Die Grünen. Die Stadt ließ daraufhin vom ehemaligen Stadt-Archivar Heinz Pankalla und anderen ExpertInnen ein Gutachten erstellen. Darin hieß es unter anderem: „Duisberg engagierte sich (...) massiv für die Erfindung und Produktion von Giftgas im Ersten Weltkrieg (...) Die Quellen belegen zudem, dass Duisberg mit dem Gift-Einsatz kaum moralische Bedenken verband.“ Bei der anschließenden AnwohnerInnen-Befragung sollten diese geschichtlichen Fakten als Entscheidungshilfe dienen. Das taten sie jedoch nicht: Von 62 Haushalten lehnten 56 die Umbenennung ab. Auch gegen das Anbringen einer Tafel mit historischen Erläuterungen sprach sich eine deutliche Mehrheit aus. Für Pankalla war das absehbar, nicht aus politischen Gründen, sondern weil die Menschen den bürokratischen Aufwand fürchten würden: „Eine Befragung der betroffenen Anwohner zu einer Straßenumbenennung ist ein Witz“, mit diesen Worten zitierte ihn die Neuß-Grevenbroicher Zeitung. Zu Duisberg brachte der Ex-Archivar der Stadt eine ambivalente Haltung zum Ausdruck. „Er hat anerkanntermaßen eine große Leistung für das BAYER-Werk und Dormagen vollbracht, zudem ist unklar, ob die Giftgas-Empfehlung in damaliger Zeit als Völkerrechtsverletzung zu sehen ist. Andererseits war seine Empfehlung, Zwangsarbeiter aus Belgien zu rekrutieren, damals schon völkerrechtswidrig“, so Heinz Pankalla. Auch ließ er keinen Zweifel daran, „dass Duisbergs Handeln nach heutigem Recht ein Verbrechen“ sei. Die Entscheidung über die Umbenennung der Straße wollte er der Kommune überlassen. Diese entschloss sich dagegen und votierte – wie auch im Fall der Hindenburgstraße – dafür, es beim Anbringen eines Hinweis-Schildes zu belassen. Klartext wird darauf allerdings nicht gesprochen: Die schwarz-rote Ratsmehrheit lehnte die Titulierung Duisbergs als „Kriegsverbrecher“ ab, „umstritten“ ist stattdessen das Attribut der Wahl. So steht unter dem Straßenschild nun zu lesen: „1861 – 1935, deutscher Chemiker und Generaldirektor der Farbenfabriken vorm. Friedr. BAYER & Co., umstritten v. a. wegen seines Engagements für die Produktion von Giftgas und den Einsatz von belgischen Zwangsinternierten im Ersten Weltkrieg.“

Offener Brief zu doppelten Standards

Seit Jahrzehnten schon kämpft die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gegen doppelte Standards bei der Vermarktung von Pestiziden. Immer wieder kritisierte sie auf den BAYER-Hauptversammlungen, dass der Leverkusener Multi in den Ländern des globalen Südens Ackergifte verkauft, die in Deutschland wegen ihrer Gefährlichkeit längst verboten sind. Im Jahr 1995 rang die Coordination dem Vorstand sogar das Versprechen ab, bis zum Jahr 2000 keine Pestizide mehr in Umlauf zu bringen, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO der Gefahren-Klasse 1 zurechnet. Wort gehalten hat die ManagerInnen-Riege allerdings nicht. Erst 2012 erfolgte ein gößerer Schritt, aber auch heute noch vertreibt der Global Player Pestizide der Gefahren-Klassen 1a oder 1b wie z. B. Carbofuran, Probinep und Thiodicarb. Darum gehörte die CBG mit zu den Unterzeichnern eines von INKOTA und dem PESTIZID AKTIONS-NETZWERK initiierten Offenen Briefs, der Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Wirtschaftsminister Peter Altmaier zur Verhängung eines Export-Verbots für hierzulande nicht zugelassene Agro-Chemikalien auffordert.

Offener Brief an Eduardo Leite

Zwölf Ackergifte, die in der EU nicht zugelassen sind, vermarktet BAYER in Brasilien. Nur der Bundesstaat Rio Grande verwehrt sich gegen diese Praxis der doppelten Standards. Er gestattet den Verkauf von importierten Produkten nur, wenn diese auch über eine Genehmigung im Herkunftsland verfügen. Doch unter dem extrem rechten Präsidenten Jair Bolsonaro gerät die Bestimmung unter Druck. Der jetzige Gouverneur Eduardo Leite will sie kippen. Dagegen macht die PERMANENTE KAMPAGNE GEGEN AGRARGIFTE UND FÜR DAS LEBEN mobil und bat dafür deutsche Partner-Organisationen um Unterstützung. Darum gehörte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) mit zu den Unterzeichnern eines Offenen Briefes, der Leite aufforderte, an der bisherigen Regelung festzuhalten.

„Mercosur-Abkommen stoppen!“

Ende Juni 2019 hat die EU die Verhandlungen mit den MERCOSUR-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay über ein Handelsabkommen abgeschlossen. Es sieht vor, dass die südamerikanischen Länder Zoll-Senkungen für europäische Industrie-Produkte gewähren und im Gegenzug einen erleichterten Zugang zum EU-Markt für ihre Agrar-Güter erhalten. Brüssel erwartet bei den Sätzen, die bisher für Autos 35 Prozent des Warenwerts, für Chemikalien bis zu 18 Prozent und für Pharmazeutika bis zu 14 Prozent betrugen, eine Reduktion im Umfang von rund vier Milliarden Euro. Parallel dazu rechnet der EU-Forschungsdienst durch die dem MERCOSUR gewährten Einfuhr-Erleichterungen mit einer Steigerung von dessen Anteilen an den Lebensmittel-Importen der Europäischen Union von derzeit 17 auf 25 Prozent bis zum Jahr 2025. Träte die Vereinbarung in Kraft, säße BAYER sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks auf der GewinnerInnen-Seite. Einerseits haben chemische Erzeugnisse einen großen Anteil an den Exporten in die MERCOSUR-Mitgliedsländer – sie kommen auf 26 Prozent, mit 42 Prozent erreichen nur Maschinen und Transportmittel mehr – und andererseits ist ein höherer Absatz von Glyphosat & Co. zu erwarten, wenn die brasilianische und argentinische Agrar-Industrie besseren Geschäften auf dem alten Kontinent entgegensehen kann. Und das wiederum bedeutet: mehr Gifte und Gentechnik auf den Feldern, mehr Monokulturen, mehr Vertreibungen von Indigenen – und weniger Regenwald. Diese Aussichten riefen das NETZWERK GERECHTER WELTHANDEL auf den Plan. Es initiierte den Aufruf „Zeit zum Umdenken – EU-Mercosur-Abkommen stoppen!“, zu deren Mitunterzeichnern die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gehört.

KAPITAL & ARBEIT

Trennung von der Tiermedizin

Nachdem das erste Schadensersatz-Verfahren in Sachen „Glyphosat“ am 10. August 2018 erst-instanzlich mit einem millionen-schweren Schuldspruch endete, setzte die BAYER-Aktie zu einer Talfahrt an, die bis heute anhält. Die Großinvestoren meldeten sogleich Handlungsbedarf an – und der Leverkusener Multi lieferte. Im Dezember 2018 kündigte er ein Einspar-Programm an, das unter anderem den Abbau von 12.000 Stellen vorsah. Ein Mittel dazu war die Veräußerung von Geschäftsteilen. So stieß der Global Player seine Beteiligung am Chem„park“-Dienstleister CURRENTA ab und trennte sich von den Sonnenschutz-Mitteln der COPPERTONE-Reihe sowie von den Fußpflege-Präparaten der Marke DR. SCHOLL’S. Und im August 2020 schloss das Unternehmen den Verkauf seiner Tierarznei-Sparte für 5,17 Milliarden Dollar an ELANCO ab und vernichtete auf diesem Weg 4.400 Arbeitsplätze innerhalb des Konzerns. Sie „werden zu vergleichbaren Konditionen weiterbeschäftigt“, versicherte die Aktien-Gesellschaft eilfertig.

Die Frauen-Quote kommt

Jahrelang hat die Politik den großen Konzernen Zeit gelassen, den Frauen-Anteil in den Vorständen und den Leitungsetagen darunter freiwillig zu erhöhen. Geschehen ist jedoch kaum etwas. Darum will die Große Koalition nun ein Gesetz zur Einführung einer Frauen-Quote auf den Weg bringen. Das Paragrafen-Werk sieht vor, die Unternehmen zu verpflichten, ab einer Vorstandsgröße von vier Personen mindestens einen Sitz einer Frau einzuräumen, wenn eine Neubesetzung ansteht. BAYER & Co. zeigten sich darüber not amused. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) spricht von einem „starken Eingriff in die unternehmerische Freiheit“ und die „Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber“ bezeichnet das Vorhaben sogar als „verfassungsrechtlich fragwürdig“. Auch der Leverkusener Multi wird sich in Sachen „Gleichberechtigung“ nun sputen müssen. Er bekundet zwar auf seiner Website: „Das Ziel, das dem Vorstand zum Ende der für das Ziel gesetzten Frist am 30. Juni 2022 und möglichst auch früher eine Frau angehört, wird weiter intensiv verfolgt“, schaffte es jedoch bis jetzt nicht, Vollzug zu melden. Nicht besser schaut es in den beiden ersten Führungsebenen darunter aus. Hier verfehlte der Global Player die Vorgaben von 17 bzw. 21 Prozent, die aus dem Jahr 2017 stammen. Zur Entschuldigung führt er den MONSANTO-Deal und die nachfolgenden Umstrukturierungen an. „Aufgrund dieser Veränderungen konnten die ursprünglich gesetzen Ziele nicht erreicht werden.“

BAYER „militär-freundlich“

Die US-amerikanische Organisation „Military Friendly“ zeichnete den Leverkusener Multi im September 2020 als „militär-freundlichen Arbeitgeber“ aus. Damit ehrte die Vereinigung BAYERs „proaktive Anstrengungen, Veteranen und Militär-Angehörige durch betriebliche Maßnahmen zu ehren, zu integrieren und zu fördern“. Der Konzern, der mit BRAVE beispielsweise eine eigene Struktur zur Unterstützung von Veteranen unterhält, sah sich seinerseits zu Dank verpflichtet. „Diese mutigen Männer und Frauen unserer bewaffneten Truppen haben durch ihren Geist der Opferbereitschaft und den Dienst, den sie ihrem Land erweisen, den Respekt und die Bewunderung aller Amerikaner verdient“, sagte BAYER-Manager Raymond F. Kerins zur Feier des Tages und sprach von „Helden“. Philip Blake, der ehemalige US-Chef des Agro-Riesen, stand dem nicht nach: „Wir bewundern die hohen Werte und den Geist, den unsere Soldaten und Soldatinnen jeden Tag mit zur Arbeit bringen – Führungsqualitäten, Disziplin und Tatkraft.“ Kampferprobte Werte gelten in der Geschäftswelt ganz offensichtlich mehr als demokratische.

KONZERN & VERGANGENHEIT

40 Jahre Dünnsäure-Proteste

Im Jahr 1980 initiierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gemeinsam mit GREENPEACE eine Blockade des Leverkusener Rhein-Anlegers. So wollten die AktivistInnen das Auslaufen eines Tankers verhindern, der eine giftige BAYER-Fracht an Bord hatte: Dünnsäure, also verdünnte Schwefelsäure. Mit dieser Ladung nahmen die Schiffe tagein, tagaus Kurs Richtung Nordsee, wo sie das chemische Abfall-Produkt dann einfach ins Meer kippten. 280.000 Tonnen pro Jahr allein aus der Produktion des Konzerns entsorgten die Boote vor der Küste. Eine Umweltgefährdung sah der Leverkusener Multi darin nicht. Die Dünnsäure sei „für die Nordsee keine Mehrbelastung“, wiegelte der damalige BAYER-Chef Herbert Grünewald ab. Als die Proteste größer wurden, drohte das Unternehmen sogar, die Chemikalie einfach in den Rhein zu leiten und brachte in alter Manier das Arbeitsplatz-Argument ins Spiel. Wenn die Gewässer als Müllkippe ausfielen, ständen 4.000 Jobs zur Disposition, warnte die Aktien-Gesellschaft. Und so machte sich die Dünnsäure von Leverkusen aus noch lange Jahre auf die Reise gen Nordsee. Erst 1990 führte der beharrliche Kampf der UmweltschützerInnen zu einem Verbot der Dünnsäure-Verklappung. Viele Menschen politisierten sich im Zuge der Proteste wie etwa die jetzige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Als Studentin nahm sie an den Blockaden in Leverkusen teil, wie die Politikerin in einem Interview berichtete. „GREENPEACE segelte (...) mit einem alten Dreimaster von Köln nach Leverkusen und versuchte, das zu stoppen. Und das hat mich so mitgenommen, dass ich gesagt habe: ‚Wenn man durch Diskussionen gesellschaftliche Prozesse nicht ändern kann, dann muss man eine Aktion machen, die so viel Aufmerksamkeit erregt, dass auch so ein Unternehmen in Argumentationszwang kommt.’ Und das war im Grunde für mich so eine Initialzündung.“ Die war es dann auch für GREENPEACE selbst. Fünf Wochen nach den Blockaden, am 17. November 1980, gründete sich die deutsche Sektion offiziell.

POLITIK & EINFLUSS

Treffen mit EU-Kommission

Im Mai 2020 hatte die Europäische Union zwei wesentliche Elemente ihres „Green Deals“ vorgestellt: die Biodiversitätsstrategie und die Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“. Letztere gibt nach Ansicht der EU „eine umfassende Antwort auf die Herausforderungen nachhaltiger Lebensmittel-Systeme und erkennt an, dass gesunde Menschen, gesunde Gesellschaften und ein gesunder Planet untrennbar miteinander verbunden sind“. Auf der Agenda steht deshalb unter anderem eine Dezimierung des Pestizid-Einsatzes bis 2030 um 50 Prozent. Da sah der BAYER-Konzern Gesprächsbedarf: Er bat um einen Termin bei der EU-Kommission – „at the highest level“. Mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments und PolitikerInnen der Mitgliedsstaaten hatte der Global Player sich über das Thema zuvor schon ausgetauscht, wie er in seinem Gesuch mitteilte. Anfang August 2020 kam es dann zu einem Treffen mit VertreterInnen der Generaldirektion Agrar, wie Recherchen des CORPORATE EUROPE OBSERVER (CEO) zu den Lobby-Aktivitäten von BAYER & Co. im Umfeld der EU-Landwirtschaftsstrategie ergaben. Bei dem Meeting versuchte das Unternehmen für seine Vorstellungen zur Verminderung der Risiken und Nebenwirkungen zu werben, die von seinen Ackergiften ausgehen. Der Leverkusener Multi will nicht die Gesamtmenge der ausgebrachten Agro-Chemikalien verringern, sondern nur die negativen Effekte, und diese genau um 30 Prozent. „Wenn man die Umwelt-Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln reduzieren will, reicht es nicht aus, nur auf die Volumina zu schauen, meint der BAYER-CROPSCIENCE-Chef Liam Condon nämlich. Strengere Regelungen in dem Bereich hält die Aktien-Gesellschaft nicht für nötig, ließ sie die Generaldirektion Agrar wissen. Zudem plädierte der Agro-Riese noch für schnellere Zulassungen und warnte vor den ökonomischen Folgen einer nur ökologische Ziele verfolgenden Landwirtschaftspolitik.

Extrem-Lobbying der ECPA in Brüssel

Nicht nur der BAYER-Konzern selbst, sondern auch sein Brüsseler Interessenverband, die „European Crop Protection Association“ (ECPA), tat alles, um die Biodiversitäts- und Landwirtschaftsstrategie der EU zum Vorteil der Branche zu verwässern (s. o.). Das ergaben Recherchen des CORPORATE EUROPE OBSERVER (CEO). Vor allem trachtete die ECPA danach, die Kommission von dem Ziel abzubringen, den Pestizid-Einsatz bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Als nicht realistisch bezeichnete sie diese Vorgabe in einem Gespräch mit VertreterInnen der Generaldirektion Agrar und schlug stattdessen 25 Prozent vor. Und auch nach der Verabschiedung der „Farm to Fork“-Strategie ließ die Lobby-Organisation nicht locker. So sponserte sie im Oktober 2020 eine Veranstaltung, welche sich mit den möglichen Folgen der neuen Agrar-Politik auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen LandwirtInnen beschäftigte. Schützenhilfe erhielt die ECPA überdies von seinem internationalen Pendant „Croplife International “, das in Tateinheit mit der BASF im Juni 2020 ein Roundtable-Gespräch mit dem Agrar-Kommissar Janusz Wojciechowski anberaumte. Über die TeilnehmerInnen und Themen wollte die Europäische Union CEO keine Auskünfte geben. Solche Informationen würden „den kommerziellen Interessen des Organisatoren schaden“, bekundete die EU.

BAYER sponsert ALDE

Im Europa-Parlament ist BAYERs Partei der Wahl die „Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“ (ALDE). 2017 ließ der Konzern ihr 12.000 Euro zukommen und 2018 sogar 18.000 Euro. Auch MICROSOFT und HYUNDAI überwiesen der ALDE hohe Beträge. Nach Bekanntwerden dieser massiven Unterstützung aus Kreisen der Wirtschaft erklärte die Fraktionsspitze, auf Zuwendungen von Privat-Unternehmen künftig verzichten zu wollen.

Werbe-Plattform Botschaft

Die Deutschen Botschaften in Südamerika verstehen sich offensichtlich als Lobby-Agenturen zur Förderung des Außenhandels von BAYER & Co. So protestierte der Agrar-Attaché der Deutschen Botschaft in Mexico, Martin Nissen, nicht nur vehement gegen das von der Regierung Obrador verhängte Import-Verbot für Glyphosat und 16 weitere gefährliche Pestizide (s. o.), er verschaffte den Unternehmen auch Gelegenheiten, sich in seinem Hause zu präsentieren. So richtete die Botschaft im November 2019 eine Tagung zur nachhaltigen Nahrungsmittelsicherheit aus. Bei dieser Veranstaltung durfte sich der BASF-Manager José Eduardo Vieira Moraes über die Auswirkungen von Pestiziden auf Umwelt und Gesundheit auslassen und sein BAYER-Kollege Dr. Klaus Kunz über Versuche des Leverkusener Multis, eine Mais-Sorte zu entwickeln, die angeblich dem Klimawandel besser trotzen kann.

Amtshilfe in Sachen „Glyphosat“

Im Jahr 2017 hatten 43 Personen bei der mexikanischen Menschenrechtskommission CNDH wegen des unkontrollierten Einsatzes hochgefährlicher Pestizide in dem Land eine Beschwerde eingereicht (Ticker 3/20). Unter den inkriminierten Ackergift-Wirkstoffen finden sich zahlreiche, die auch in BAYER-Produkten enthalten sind wie z. B. Mancozeb, Glyphosat, Atrazin, Deltamethrin, Methamidophos, Imidacloprid, Carbofuran, Endosulfan, Bifenthrin und Carbendazim. Die CNDH gab den Beschwerde-TrägerInnen im Februar 2019 Recht und empfahl der Politik eine Reihe von Maßnahmen. Und diese reagierte, wie das Portal amerika21 berichtet: Die mexikanische Zentralregierung erließ für Glyphosat und 16 weitere Ackergifte einen Import-Bann. Anschließend lud sie MitarbeiterInnen ausländischer BotschafterInnen zu einem Treffen ein, um ihnen die geplanten Einschränkungen näher zu erläutern. Bei dieser Zusammenkunft zeigte sich der Agrar-Attaché der Deutschen Botschaft, Martin Nissen, „sehr verärgert“ über die drohenden Verbote. „Leider wurde der Vorschlag zum Glyphosat-Ausstieg durch einen Vertreter der Deutschen Botschaft aus der Abteilung ‚Ernährung, Landwirtschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz’ heftig gerügt“, berichteten die mexikanischen Sektionen des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKS (PAN) und von GREENPEACE ihren deutschen Partner-Organisationen. Nissen prophezeite der mexikanischen Landwirtschaft düstere Zeiten, weil den FarmerInnen Alternativen zu den Mitteln fehlen würden, und warnte vor dem Entstehen eines Schwarzmarktes für Glyphosat & Co. PAN und GREENPEACE erboste dieser Auftritt des Sozialdemokraten. Während die Europäische Union im Rahmen ihrer „Farm to Fork“-Strategie den Agrochemie-Verbrauch bis zum Jahr 2030 um die Hälfte reduzieren will, opponierten die EmissärInnen der EU-Länder in Südamerika gegen Beschränkungen, hielten die Initiativen fest und bezeichneten das als „völlig inkohärent“. Zudem klagten sie über den immensen Lobby-Druck, den Konzerne wie BAYER entfalteten, um den Pestizid-Plan der Regierung Obrador zu stoppen.

PROPAGANDA & MEDIEN

BAYER rettet die Welt

Mit der MONSANTO-Übernahme hat der Leverkusener Multi auch das Thema „Welthunger“ entdeckt. „Gemeinsam können wir noch mehr dazu beitragen, dass im Jahr 2025 zehn Milliarden Menschen satt werden“, verkündete Konzern-Chef Werner Baumann damals. Eine solche Mission kauften ihm aber noch nicht einmal die konservativen Zeitungen ab. Als eine „stets etwas salbungsvoll klingende Kapitalmarkt-Story für den Mega-Deal“ bezeichnete etwa die FAZ solche Bekenntnisse. Das hindert den Konzern jedoch nicht daran, die Mär wieder und wieder zu erzählen. Unlängst tat dies BAYERs Agro-Chef Liam Condon, dem der Focus dafür Platz einräumte. Unter der Überschrift „Eine Welt ohne Hunger? Das schaffen wir!“ durfte er seine Ansichten verbreiten. Aller wissenschaftlichen Expertise zum Trotz führt Condon die Mangelversorgung nicht auf ein Verteilungsproblem zurück. Ihm zufolge gibt es einfach zu wenig Nahrungsmittel, um die Menschen satt zu machen. Und da Anbau-Fläche nicht unbegrenzt zur Verfügung steht, braucht es eine intensive Landwirtschaft mit innovativen Produkten, wie sie nur ein Welt-Konzern mit großen Forschungskapazitäten zu entwickeln vermag. Die Entwicklungsorganisation OXFAM nennt das den Welternährungsmythos. „Er suggeriert, dass eine höhere Produktion weniger Hunger bedeutet. Menschen hungern jedoch, weil sie extrem arm sind und sich keine Lebensmittel leisten können“, konstatiert sie. Ihr schlichtes Fazit lautet: „Jenen, die den Welternährungsmythos bemühen, geht es in erster Linie um die Profite von Agrar-Konzernen und weniger um bessere Bedingungen für Hungerleidende.“

BAYER & Co. kapern FAO

Die Vereinten Nationen und ihre Unter-Organisationen geraten immer mehr unter den Einfluss der Superreichen und der Konzerne. So ging die UN im Jahr 2000 eine Kooperation mit BAYER und 43 weiteren Multis ein. Inzwischen schlossen sich über 7.000 weitere Unternehmen diesem „Global Compact“ an. Unterdessen bestimmt Bill Gates mit seinem Spenden-Geld immer mehr die Agenda der Weltgesundheitsorganisation. Und nun öffnet sich auch noch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO den Agro-Riesen. Sie vereinbarte eine Partnerschaft mit „Crop-life International“, dem weltweit agierenden Lobby-Verband von BAYER & Co. Mehr als 350 Organisationen, darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, protestierten in einem Offenen Brief scharf gegen diese Allianz. „Wir brauchen eine starke und von der Pestizid-Industrie unabhängige FAO, die sich – frei von Markt-Interessen globaler Konzerne – für sichere gesunde Ernährung und nachhaltige Anbau-Systeme zum Wohl aller Menschen einsetzt“, hielt etwa Susan Haffmans vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK in dem Schreiben fest. In ihrer Antwort verteidigte die FAO ihre Entscheidung. Sie versicherte zwar, ihre Unabhängigkeit als wichtiges Gut zu betrachten, betonte aber gleichwohl die Bedeutsamkeit einer Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren. Von einem „Geist der Inklusivität“ sprach Generaldirektor Qu Dongyu in diesem Zusammenhang. „Wir sehen strategische Partnerschaften mit dem Privatsektor als wichtig an, um innovative Ansätze zur Unterstützung einer nachhaltigen Landwirtschaft zu identifizieren und umzusetzen und letztlich ein besseres und verantwortungsvolleres Engagement und Verhalten zu fördern“, erklärte der Chinese. BAYER kennt er noch aus seiner Zeit als stellvertretender Landwirtschaftsminister. So nahm er im Jahr 2019 an der feierlichen Zeremonie zur Unterzeichnung eines vage bleibenden Umwelt-Pakts zwischen der Regierung und dem Leverkusener Multi teil. Und bei diesem Anlass ließ er sich es nicht nehmen zu betonen, dass China den MONSANTO-Deal noch vor den USA und Europa abgesegnet und damit signalisiert habe, wie positiv es dem Deal gegenüber eingestellt sei. Darüber hinaus versprach Qu Dongyu eine weitere Öffnung des Landes inklusive noch besserer Bedingungen für multinationale Unternehmen.

Hardy Krüger jr. in BAYER-Mission

Der Leverkusener Multi hat einen Film drehen lassen, der ihn als großen Kümmerer in Sachen „Welternährung“ zeigt. Als Überbringer der Botschaft engagierte er den Schauspieler Hardy Krüger jr. In „Wie ernähre ich mich richtig?“ reist der gelernte Koch auf der Suche nach einer Antwort kreuz und quer durch die Lande. Er spricht unter anderem mit TierzüchterInnen, WissenschaftlerInnen und LandwirtInnen, wobei er durchaus auch mal Biobauern und -bäuerinnen sein Ohr leiht. BAYER-Labore besucht er natürlich ebenfalls. Und selbstverständlich darf BAYERs Agro-Chef Liam Condon mit seinem Mantra: „Wir werden mehr Nahrungsmittel erzeugen müssen, aber wir haben nur begrenzte natürliche Ressourcen“ (s. o.) nicht fehlen, das ihm immer zur Begründung der Unabdingbarkeit einer auf Hochtechnologie basierenden, industriell betriebenen Landwirtschaft dient. Die Lage ist ernst, lautet am Ende das Fazit von Hardy Krüger jr., es gebe jedoch noch eine Chance, eine Lösung zu finden – aber natürlich nur „zusammen mit der Wirtschaft und der Politik“.

Acht Millionen für ÄrztInnen

Von den rund 57 Millionen Euro, die der BAYER-Konzern 2019 zur Absatz-Steigerung seiner Produkte ins Gesundheitswesen pumpte, erhielten ÄrztInnen ca. acht Millionen. Eine detaillierte Aufschlüsselung des Verwendungszwecks der Gelder gibt das Unternehmen nur für diejenigen MedizinerInnen an, die lieber inkognito bleiben wollen. Mit 6,5 Millionen Euro floss ein Großteil der Summe in diesen Bereich. 3,15 Millionen davon gingen für Vortrags- oder Beratungshonorare drauf; 1.549 Doctores standen dem Leverkusener Multi hier zu Diensten. Reise- und Übernachtungskosten in Höhe von 2,1 Millionen Euro, die bei Kongressen und ähnlichen Veranstaltungen anzufallen pflegen, übernahm der Pharma-Riese derweil für 4.756 Weißkittel.

BAYER bedenkt Fachgesellschaften

Zu den Akteuren des Gesundheitswesens, die BAYER mit hohen Summen beglückt (s. o.), gehören auch die medizinischen Fachgesellschaften nebst den von ihnen veranstalteten Kongressen und Weiterbildungen. Und wenn sich die Tätigkeiten der Organisationen auf ein Gebiet erstrecken, für das der Konzern die passende Arznei im Angebot hat, überweist er ihnen besonders viel Geld. So konnte sich die „Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit“ im Jahr 2019 über 50.000 Euro freuen – und der Pharma-Riese sicherlich bald über mehr Rezepte für seine umstrittenen Testosteron-Präparate. Die „Deutsche Gesellschaft für Urologie“ bedachte er ebenfalls. 86.000 Euro landeten bei ihr auf dem Konto. Das Marktumfeld für seine nebenwirkungsreichen Röntgen-Kontrastmittel GADOVIST, PRIMOVIST und MAGNEVIST gestaltete der Pillen-Riese durch Zuwendungen an die „Deutsche Röntgen-Gesellschaft“ (16.000 Euro) und ihren Kongress (120.000 Euro) freundlicher. Der „Kongressverein für radiologische Diagnostik“ verbuchte sogar 127.000 Euro. Der Absatz-Förderung des gentechnisch hergestellten Augen-Präparats EYLEA dienten Überweisungen an den „Bundesverband der Augenärzte“ (23.000 Euro), der „Augenärztlichen Akademie“ (16.000 Euro) und der „Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft“ (95.000 Euro) nebst Kongress (86.000 Euro). Das meiste Geld aber gab der Global Player für die Promotion seines umstrittenen Gerinnungshemmers XARELTO aus. Schecks erhielten hier unter anderem das „Online Portal Kardiologie“ (250.000 Euro) und der „Bundesverband niedergelassener Kardiologen“ (54.000 Euro). Dessen Fortbildungsforum strich dann nicht weniger als 333.000 Euro ein. Die „Deutsche Gesellschaft für Angiologie“ bekam 65.000 Euro und die „Deutsche Gesellschaft für Kardiologie“ 226.000 Euro. Deren Kongress nebst BAYER-Symposien bezuschusste der Konzern mit 53.000 Euro. Die Jahrestagung der „Gesellschaft für Thrombose und Hämostase-Forschung“ war ihm 106.000 Euro wert. Die GEBE GmbH, die im Bereich „Verhütung“ eine „Gesundheitsförderung durch aufsuchende Beratung“ betreibt, erhielt 70.000 Euro und erbrachte dafür die Gegenleistung „Logo/Nennung im Programm/Standgebühr“.

BAYER bedenkt Krankenhäuser

Auch in die Pflege der Krankenhaus-Landschaft investierte der Leverkusener Multi im Jahr 2019 viel Geld. So erhielten beispielsweise das Universitätsklinikum Aachen 36.000 Euro, das Dresdener Universitätsklinikum Carl Gustav Carus 25.000 Euro, die Münsteraner Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie 18.000 Euro, das Berliner Gertrauden-Krankenhaus ebenfalls 18.000 Euro, die Berliner Charité 62.000 Euro, das Krankenhaus Martha-Maria in Halle 64.000 Euro, das Institut für Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene des Universitätsklinikums Köln 30.000 Euro, die Hautklinik der Hochschule Hannover 28.000 Euro und die Hamburger Martini-Klinik 50.000 Euro an Zuwendungen.

DRUGS & PILLS

XARELTO: Mehr Todesfälle

BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO zählt gemeinsam mit LIXIANA, PRADAXA und ELIQUIS zu den „Neuen Antikoagulanzien“ (NOAK), denen es – nicht zuletzt dank immenser Werbe-Etats – gelang, der bisherigen Standard-Therapie mit MARCUMAR (Wirkstoff: Phenprocoumon) Markt-Anteile wegzunehmen. Dabei spricht die Sicherheit eindeutig für MARCUMAR, wie auch eine Studie des „Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland“ wieder belegt. So kommt es unter Phenprocoumon seltener zu Schlaganfällen als unter NOAK. Um dreizehn Prozent sinkt die Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu XARELTO, um 52 Prozent im Vergleich zu ELIQUIS und um 93 Prozent im Vergleich zu PRADAXA. Bei den Blutungen hingegen zeigen sich die NOAK überlegen. Das Risiko reduziert sich gegenüber MARCUMAR um elf Prozent; nur XARELTO tanzt hier mit einem Gefährdungspotenzial von plus drei Prozent aus der Reihe. Als Ursache für die höhere Schlaganfall-Rate vermutet das Fachblatt arznei-telegramm eine in der Regel zu niedrige Dosierung der NOAK, sieht da aber noch Klärungsbedarf.

Kein ASPIRIN in der Schwangerschaft

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat ihre Empfehlungen bezüglich der Nutzung von ASPIRIN und anderen Schmerzmitteln in der Schwangerschaft verschärft. Bisher riet die Einrichtung dazu, die Mittel ab der 30. Woche nicht mehr zu nutzen, weil diese das Herz des Kindes schädigen können. Jetzt hält sie es für ratsam, schon ab der 20. Woche auf die Präparate zu verzichten. Sie drohen nämlich die Nierenfunktionen des Fötus zu stören und damit auch die Fruchtwasser-Produktion, was wiederum das Risiko erhöht, dass sich die Atemorgane, die Muskeln und/oder das Verdauungssystem nicht richtig entwickeln.

Kooperation mit EXSCIENTIA

Das britische Unternehmen EXSCIENTIA hat ein Verfahren entwickelt, mittels Künstlicher Intelligenz eine Vorauswahl von solchen Molekülen zu treffen, die vielleicht als Arznei-Wirkstoffe infrage kommen. BAYER will sich diese Technologie zunutze machen und hat deshalb einen Vertrag mit der Firma geschlossen. Konkret bezieht sich der Suchauftrag auf Substanzen zur Therapie von Krebs und Herz/Kreislauf-Erkrankungen. Zahlungen von bis zu 240 Millionen Euro plus Umsatz-Beteiligungen stellt der Leverkusen Multi dem Unternehmen in Aussicht, sollte es liefern können.

Neue Zulassung für LAMPIT

Die BAYER-Arznei LAMPIT (Wirkstoff: Nifurtimox) kommt schon lange zur Behandlung der Chagas-Krankheit zum Einsatz, die der Parasit „Trypanosoma cruzi“ überträgt und vor allem in Lateinamerika stark verbreitet ist. Anfang des Jahres erhielt der Leverkusener Multi in den USA nun die Zulassung für eine kinder-verträgliche Nifurtimox-Formulierung. „Kampf gegen vernachlässigte Tropen-Krankheiten Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie von BAYER“, verlautete flugs aus der Konzern-Zentrale. Dabei hat der Global Player das Forschungsfeld „Tropenkrankheiten“ schon vor langer Zeit abgewickelt und setzt nur noch auf die Alt-Medikamente, die aus dieser Abteilung einst hervorgingen.

VERICIGUAT überzeugt nicht

BAYER hat in der EU und in Japan Anträge auf Genehmigung der Arznei Vericiguat gestellt, die zur Behandlung chronischer Herz-Insuffizenz bestimmt ist. Der Leverkusener Multi hat das Mittel, das in Kombination mit den gängigen Therapien zum Einsatz kommen soll, gemeinsam mit dem Unternehmen MSD entwickelt. Bei den Klinischen Prüfungen konnte es dem Pharma-Riesen zufolge überzeugen. „In der VICTORIA-Studie sank das absolute Risiko für kardio-vaskulären Tod oder Hospital-Aufenthalte aufgrund von Herz-Insuffizienz um 4,2 Ereignisse pro 100 Patienten-Jahre“, vermeldete der Konzern. Wenn also 24 bis 28 herzkranke Personen über ein Jahr lang Vericiguat bekommen, kann das Medikament eine/n von ihnen vor einem Herzinfarkt oder dem Krankenhaus verschonen. Tieferen Einblick in die Untersuchung gab der Global Player auf einem Kongress des „American College of Cardiology“. Und dieser wirkte einigermaßen ernüchternd. Als Studien-Ziel für das Präparat die Verhinderung von Todesfällen oder Klinik-Einweisungen definiert zu haben, erwies sich nämlich im Nachhinein als geschickter Schachzug, mit dem die Aktien-Gesellschaft verbarg, dass VERICIGUAT auf den weit wichtigeren der beiden Parameter – die Sterbe-Rate – keinen statistisch signifikanten Einfluss hatte. FARXIGA von ASTRA ZENECA oder ENTRESTO von NOVARTIS zeigten da bessere Resultate. Das Pharma-Portal Evaluate räumt dem BAYER-Pharmazeutikum daher Marktchancen nur im Segment der Herz-PatientInnen mit hohem Gefährdungspotenzial ein.

Kein SATIVEX-Vertrieb mehr

Im Jahr 2010 hatte BAYER in Großbritannien die Vertriebsrechte für das Cannabis-Spray SATIVEX vom Hersteller GW PHARMAZEUTICALS erworben. Nun ließ der Leverkusener Multi den Vertrag auslaufen. Das Mittel, das zur Linderung bestimmter Begleiterscheinungen der Multiplen Sklerose wie etwa Spastiken zum Einsatz kommt, hat offenbar die Profit-Erwartungen des Konzerns nicht erfüllen können.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat schädigt Hormon-Haushalt

Glyphosat ruft zahlreiche Krankheiten hervor. So stuft die Weltgesundheitsorganisation WHO das Pestizid als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Aber auch die Nieren vermag das Mittel anzugreifen. Zunächst als Substanz zur Wasser-Enthärtung zugelassen, bindet es nämlich Kalzium, Magnesium und andere Metalle, welche die Funktion dieses Organs stören. Zudem machen zahlreiche MedizinerInnen das Total-Herbizid für Schwangerschaftskomplikationen verantwortlich, die zu Fehlgeburten führen oder Kinder mit massiven gesundheitlichen Problemen wie etwa Speiseröhren-Anomalien auf die Welt kommen lassen. Der Grund: Glyphosat wirkt auf die Retinsäure ein, die bei der Embryonal-Entwicklung eine bedeutende Rolle spielt. Und jetzt fanden die WissenschaftlerInnen Juan Monoz, Tammy Bleak und Gloria Calaf von der chilenischen Tarapacá-Universität neue Belege für hormon-ähnliche und deshalb gefährliche Effekte des Produktes. Den ForscherInnen zufolge erfüllt es acht der zehn Kriterien, die für endokrine Disruptoren (EDC) gelten. Substanzen dieser Kategorie gleichen in ihrem chemischen Aufbau Hormonen und können deshalb den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln mit Folgen wie Krebs, Diabetes, Fettleibigkeit oder Unfruchtbarkeit.

Glyphosat-Restriktionen in Frankreich

Andere Staaten gehen viel rigoroser gegen Glyphosat vor als Deutschland. Luxemburg hat das Herbizid ganz verboten, und Frankreich schränkt den Gebrauch drastisch ein. So zog das Nachbarland bereits mehr als zwei Drittel der 190 glyphosat-haltigen Mittel aus dem Verkehr. Und LandwirtInnen, die partout nicht auf das Pestizid oder andere ähnlich schädliche Produkte verzichten wollen, müssen eine Umweltzulage zahlen. Zudem darf das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Ackergift nur in bestimmten Mengen ausgebracht werden. Und im Oktober 2020 reduzierte die Zulassungsbehörde ANSES die erlaubten Höchstgrenzen noch einmal um 60 Prozent für Obstgärten und Ackerflächen sowie um 80 Prozent für Wein-Kulturen.

Glyphosat in höherer Konzentration

BAYER hat ein Glyphosat-Produkt mit einer neuen Formulierung auf den Markt gebracht. Das ROUNDUP POWERMAX 3 enthält eine höhere Konzentration des Wirkstoffes und kann dementsprechend noch mehr Schaden anrichten.

Glyphosat: Klöckner spielt auf Zeit

Bereits Mitte April 2018 hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ihre Strategie zur Minimierung der Verwendung glyphosat-haltiger Pestizide vorgestellt. Dazu gehörten ein Verbot der Verwendung in Privatgärten, in der Nähe von Gewässern und auf allgemein zugänglichen Flächen rund um Kindergärten, Schulen, Sportanlagen und Altenheime. Auch beabsichtigte die CDU-Politikerin, letzte Ausnahmen hinsichtlich der Glyphosat-Nutzung in Naturschutzgebieten und dort, wo ein ausreichender Artenschutz nicht gewährleistet werden kann, zu streichen. Liefern wollte sie bis 2020, doch geschehen ist bisher noch nichts. Der Reduktionsplan werde noch „erarbeitet“ und dann sei noch eine Folgenabschätzung nötig, verlautete aus dem Ministerium. Auch bei Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens kann Klöckner noch nicht Vollzug melden. Das Umweltministerium wirft der Christdemokratin deshalb Blockade-Politik vor und beschwerte sich beim Bundeskanzleramt. Die Ministerin verhindere „jedweden Fortschritt beim Insektenschutz und bei der Beschränkung von schädlichen Pflanzenschutzmitteln“, hieß es in dem Schreiben. Zur rechtlichen Umsetzung der diesbezüglichen Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag habe das Bundeslandwirtschaftsministerium „bislang Folgendes geliefert: nichts“. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte diese Obstruktionsstrategie ebenfalls scharf. „Im Koalitionsvertrag heißt es eindeutig: ‚Wir werden mit einer systematischen Minderungsstrategie den Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich einschränken mit dem Ziel, die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden.’ Julia Klöckner muss das jetzt endlich umsetzen“, forderte die CBG in ihrer Presseerklärung.

Glyphosat schädigt die Darmflora

Nach einer Untersuchung von ForscherInnen der finnischen Universität Turku hat Glyphosat einen negativen Einfluss auf die Darmflora. Den WissenschaftlerInnen zufolge reduziert das Herbizid die Vielfalt der Mikroorganismen und ändert deren Zusammensetzung. Das Mittel blockiert nämlich das Enzym EPSPS, das für die den Darm besiedelnden Mikroorganismen eine wichtige Funktion erfüllt. „Wir können davon ausgehen, dass eine langfristige Exposition gegenüber Glyphosat-Rückständen zur Dominanz resistenter Stämme in der Bakteriengemeinschaft führt“, konstatieren die WissenschaftlerInnen. Auch vor einer Schwächung der Immun-Abwehr und dem Auftreten anderer Gesundheitsstörungen, die mit einer geschädigten Darmflora in Verbindung stehen, warnen sie.

Aus für Chlorothalonil

BAYER darf das Fungizid AMISTAR innerhalb der EU nicht mehr vermarkten. Nach einem Gutachten der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA können die Abbau-Produkte von dessen Wirkstoff Chlorothalonil Fische und Amphibien schädigen und die Trinkwasser-Gewinnung gefährden. Darum zog Brüssel das Ackergift aus dem Verkehr.

Viele Pestizide in Obst und Gemüse

Das „Chemisches und Veterinär-Untersuchungsamt Stuttgart (CVUA) entdeckte auch 2019 wieder viele Pestizid-Rückstände in Obst und Gemüse. 95 Prozent der insgesamt 753 Obst-Proben enthielten Ackergift-Spuren. Bei den 916 Gemüse-Proben waren es 93 Prozent. 166 davon lagen sogar über dem Grenzwert. Eigentlich hätten diese Produkte in den Supermärkten überhaupt nichts mehr zu suchen. „Ein Lebensmittel mit Rückständen über dem Rückstandshöchstgehalt ist nicht verkehrsfähig, darf also nicht verkauft werden“, hält das CVUA fest. Auch Wirkstoffe, die in BAYER-Erzeugnissen enthalten sind wie Bifenthrin, Carbendazim, Chlorthalonil, Flupyram und Tebuconazol lagen über dem Limit. In der Rangliste der Ackergifte, deren Rückstände sich am häufigsten in Tomaten, Bohnen & Co. fanden, waren Agro-Chemikalien des Leverkusener Multis ebenfalls gut vertreten. Den „besten“ Platz belegte dabei Fluopyram mit 216 positiven Befunden. Propamocarb kam auf 72, Imidacloprid auf 68, Thiacloprid auf 61, Tebuconazol auf 60, Deltametrin auf 43, Spiromesifen auf 42 und Trifloxystrobin auf 33.

Neues Herbizid auf dem Markt

BAYER hat in den USA ein neues Herbizid für Weizen-Kulturen auf den Markt gebracht. Das Mittel mit dem Produkt-Namen LUXXUR (Inhaltsstoffe: Thiencarbazone-methyl und Tribenuron-methyl) wirkt hauptsächlich gegen Wildhafer, kann dem Leverkusener Multi zufolge jedoch auch anderen Wildpflanzen das Leben schwer machen.

Herbizid in der Entwicklung

BAYER-WissenschaftlerInnen entdeckten ein Molekül, das im Labor gegenüber einigen Gräser-Arten Wirkung zeigte. Aber bis zum fertigen Produkt ist es noch ein weiter Weg; zehn Jahre kalkulieren die ForscherInnen dafür ein. In einer Parallelaktion machen sie sich jedoch schon einmal daran, Pflanzen mittels gentechnischer Verfahren eine Resistenz gegen das Antiunkraut-Mittel einzubauen. Das eröffnet nämlich die lukrative Möglichkeit, den LandwirtInnen später einmal ganze Kombi-Packs zu verkaufen. Hoffnung auf einen Ersatz für das umstrittene Glyphosat macht das Molekül dem Leverkusener Multi zufolge jedoch nicht. Es zählt nämlich im Gegensatz zu der von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften Substanz nicht zu den Breitband-Herbiziden, die gleich dutzende von unerwünschten Gewächsen von den Feldern fegen.

Vereinbarung mit CLAAS

BAYER hat mit dem Landmaschinen-Hersteller CLAAS eine Kooperation im Bereich der digitalen Landwirtschaft vereinbart. LandwirtInnen, die CLAAS TELEMATICS zur Erhebung von Daten nutzen, erhalten nun auch Zugriff auf die BAYER-Plattform FIELDVIEW. Das Tool des Leverkusener Multis stellt unter anderem Informationen über das Wetter, bereits bearbeitete Felder, die durchschnittliche Getreide-Feuchte sowie Ertragsberichte und Karten zur Verfügung.

PFLANZEN & SAATEN

Nährstoff-Verluste bei Tomaten

Den Markt für Gemüse-Saatgut beherrschen wenige große Konzerne. Neben BAYER gehören unter anderem LIMAGRAIN, SYNGENTA und BASF zu dem Oligopol. Bei ihren Züchtungen kommt es den Multis hauptsächlich auf hohe Erträge, längere Haltbarkeit und ein ansprechendes Äußeres an. Und genau das ist es, was ihren Erzeugnissen den Geschmack und den Nährgehalt nimmt, wie der Film „Das Saatgut-Kartell“ von Linda Bendali dokumentiert. So vermindern etwa die eingezüchteten Eigenschaften, die den Reife-Prozess von Tomaten verlangsamen, um sie auch mit langsameren und deshalb billigeren Transportmitteln zu ihrem jeweiligen Bestimmungsort bringen zu können, die Gaumenfreuden und die positiven Effekte auf die Gesundheit. Aromen sind nämlich auch Nährstoffe. So enthält etwa eine moderne Hochleistungstomate einer hybriden, also nicht für die Wiederaussaat geeigneten Art 29 Prozent weniger Magnesium als eine alte Sorte, sowie 56 Prozent weniger Polyphenole, 58 Prozent weniger Lycopin und 72 Prozent weniger Vitamin C.

GENE & KLONE

Bt-Pflanzen giftiger als erwartet

BAYER & Co. haben zahlreiche Pflanzen per Gentechnik mit Proteinen des Bacillus thuringiensis (Bt) bestückt, um diese gegen Schadinsekten zu wappnen. Auf diesem Wege ändert das Boden-Bakterium jedoch seine natürlichen Eigenschaften. So nimmt die Giftigkeit stark zu, bis zu 20 Mal höher kann sie sein. Das belegen alte Dokumente des jetzt zu BAYER gehörenden Unternehmens MONSANTO, welche die Initiative TESTBIOTECH aufgespürt hat. Die Bt-Proteine interagieren nämlich mit den Enzymen der Gewächse, in welche die GenwerkerInnen sie eingebaut haben. Bei den Genehmigungsverfahren spielte die stärkere Toxizität nie eine Rolle. Darum fordert die Organisation die EU auf, die derzeit anstehenden Anträge von BAYER und SYNGENTA für Importzulassungen von gentechnisch veränderten Soja- und Maispflanzen nicht weiter zu bearbeiten und die bisherige Prüf-Praxis einer kritischen Revision zu unterziehen.

Neue EYLEA-Tests

Die Augen-Arznei EYLEA ist nach dem Gerinnungshemmer XARELTO BAYERs erfolgreichstes Medikament. Auf einen Umsatz von rund 2,5 Milliarden Euro kam das Gentech-Präparat im Geschäftsjahr 2019. Ursprünglich nur zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zur Blindheit führen kann – zugelassen, kamen bisher vier weitere Genehmigungen dazu. Trotzdem versucht der Konzern immer noch, das Anwendungsspektrum des Mittels mit dem Wirkstoff Aflibercept zu erweitern. So startete er im Juni 2019 eine Klinische Prüfung zum Einsatz bei Netzhaut-Schädigungen von Frühgeborenen. Und im Juni 2020 begann das Unternehmen gemeinsam mit REGENERON PHARMACEUTICS einen Test mit einer 8mg-Dosierung von Aflibercept zur Behandlung von Sehstörungen aufgrund eines diabetischen Makular-Ödems sowie einer altersbedingten feuchten Makula-Degeneration.

EYLEA-Fertigspritzen

Im April 2020 hatten die Bemühungen des BAYER-Konzerns um eine Ausweitung der Anwendungszone für seine Augen-Arznei EYLEA (s. o.) Erfolg. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA erteilte einer neuen Darreichungsform die Genehmigung. Der Leverkusener Multi darf das Mittel nun auch als Injektionslösung in einer Fertigspritze anbieten.

Bt-Baumwolle: fatale Bilanz

Im Jahr 2002 begann die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO in Indien mit der Vermarktung der Bt-Baumwolle. Einen höheren Ertrag bei einem sinkenden Insektizid-Verbrauch versprach das Unternehmen den LandwirtInnen damals. Damit wurde es allerdings nichts. Der mittels Gentechnik in die Pflanzen eingebaute Bacillus thuringiensis hielt nämlich längst nicht alle Schadinsekten von dem Gewächs ab. So stellte sich beispielsweise der Kapselbohrer recht bald auf das Toxin ein und entwickelte eine Resistenz. Auch fielen die Ernten nicht besser aus. Darum zog der Wissenschaftler Glenn Davis Stone nach 18 Jahren Bt-Baumwolle eine negative Bilanz: „Unsere Schlussfolgerung ist, dass die Hauptauswirkung der Bt-Baumwolle auf den Bauern darin besteht, dass sie die Landwirtschaft kapital-intensiver macht – und nicht in einem dauerhaften agronomischen Nutzen.“

WASSER, BODEN & LUFT

Neues Landeswasser-Gesetz in NRW

BAYER hat einen enormen Wasser-Bedarf. 2019 stieg der Verbrauch gegenüber dem Vorjahr um 17 Milliarden auf 59 Milliarden Liter. Allein am Standort Leverkusen kommt der Global Player auf einen Wasser-Einsatz von 700 Millionen Litern. Obwohl die im Zuge des Klimawandels immer häufiger auftretenden Trockenheitsperioden die Ressource zu einem kostbaren Gut machen, unter anderem weil die Grundwasser-Neubildung zurückgeht, gedenkt die nordrhein-westfälische Landesregierung, Industrie und Landwirtschaft den Zugang zu erleichtern. Sie plant eine Reform des Landeswasser-Gesetzes, die vorsieht, Wasserentnahme-Rechte nicht mehr wie bisher nur befristet zu erteilen. Auch die Genehmigungspflicht für das Einleiten flüssiger Stoffe beabsichtigen Laschet & Co. aufzuheben. Eine bloße „Anzeige-Pflicht“ soll künftig reichen. Und bei der Indirekt-Einleitung von wasser-schädigenden Substanzen will Schwarz-Gelb sogar die Möglichkeit, in Einzelfällen doch noch eine Genehmigungspflicht anzuordnen, streichen.

Glyphosat in der Ostsee

WissenschaftlerInnen des Warnemünder „Leibniz-Instituts für Ostsee-Forschung“ haben Glyphosat und sein Abbau-Produkt AMPA in der Ostsee nachgewiesen. Die Glyphosat-Konzentration betrug 0,42 bis 0,49 Nanogramm pro Liter – unabhängig von der Entfernung zur Küste. Darin sehen die ForscherInnen ein Zeichen für die Stabilität des Herbizids. AMPA dagegen zersetzte sich vergleichsweise schnell. Während das Team um Marisa Wirth an Fluss-Mündungen noch Stärken von bis zu 1,47 Nanogramm maß, fand es auf dem offenen Meer oftmals keine Spuren mehr. „Diese Ergebnisse können nur als erster Fingerzeig darauf betrachtet werden, wie sich Glyphosat und AMPA im Oberflächen-Wasser des Meeres verhalten und verteilen“, so das Leibniz-Institut.

ÖKONOMIE & PROFIT

BAYER handelt mit sich selbst

Bei entsprechend optimierter Unternehmensstruktur können die Global Player sogar profitabel Handel mit sich selbst treiben. So verdiente BAYER dem neuesten Jahresabschluss zufolge 2018 durch den „konzerninternen Weiterverkauf von vier MONSANTO-Gesellschaften“ 13 Millionen Euro und 2019 durch den „innerkonzernlichen Verkauf von Anteilen an der BAYER (PROPRIETARY) LIMITED, Südafrika“ sogar 27 Millionen Euro.

Steuer-Paradies mit Außenwirkung

Auch in Deutschland gibt es Steuer-Paradiese wie z. B. Monheim. Einst warb die Stadt mit den NRW-weit niedrigsten Gewerbesteuer-Hebesätzen um Unternehmen. Sie hat damit allerdings einen Unterbietungswettbewerb losgetreten, der überall die Kassen schröpft. In diesen ist auch Leverkusen eingetreten, das einst die BAYER-Tochter BAYER INTELLECTUAL PROPERTY (BIP) an Monheim verlor. Inzwischen erhebt die Kommune ebenso wie ihr Nachbar ebenfalls nur noch einen Gewerbesteuer-Satz von 250 Punkten und hat im Gegenzug Absprachen mit BAYER über Rücktransfers aus Steuer-Oasen getroffen. Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann verteidigt die Politik, BAYER & Co. zu Ansiedelungen verlockt zu haben, aber mit Verweis auf die internationale Standort-Konkurrenz weiterhin standhaft. Auf die Frage von VER.DI PUBLIK: „Profitiert Monheim davon, dass große Konzerne Einnahmen aus Lizenzen dort versteuern, wo die Gewerbesteuern besonders niedrig sind?“ antwortete Zimmermann, es sei ihm lieber, „wenn deutsche Firmen ihre Steuern in NRW zahlen als in den Niederlanden“.

STANDORTE & PRODUKTION

Neues Pestizid-Werk in Lipezk

BAYER errichtet in Russland ein neues Pestizid-Werk. Es ist Teil des Agrar-Kompetenzzentrums, welches das Saatgut-Unternehmen KWS in Lipezk aufgebaut hat. Von dieser Stadt aus, die in der für ihre ertragreichen Böden bekannten zentralen Schwarze-Erde-Region liegt, will der Leverkusener Multi vor allem den russischen Markt beliefern.

RECHT & UNBILLIG

EuGH weist Glyphosat-Klage ab

Die Hauptstadtregion Brüssel hatte im Jahr 2016 ein Glyphosat-Verbot erlassen. Durch die Ende 2017 erfolgte Zulassungsverlängerung der EU sah sie die Verordnung ausgehebelt. Deshalb focht die Gebietskörperschaft die Entscheidung gerichtlich an. Der Europäische Gerichtshof wies die Klage Anfang Dezember 2020 jedoch als unzulässig ab. Die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit sei nicht gegeben, argumentierten die RichterInnen. Die von der Hauptstadtregion geltend gemachten Zweifel am rechtlichen Bestand ihrer Glyphosat-Verordnung seien „nicht für den Nachweis geeignet, dass sie unmittelbar betroffen wäre“, so das EuGH.

Milliarden für „Essure“-Vergleich

ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommende Sterilisationsmittel, hat zahlreiche Nebenwirkungen. Allzu oft bleibt die Spirale nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Gesundheitsschädigungen, über die Frauen berichten. Darum sieht sich der Leverkusener Multi mit rund 39.000 Klagen konfrontiert. Mit einem Großteil der Geschädigten schloss der Konzern im August 2020 einen Vergleich, der ihn zu einer Zahlung von 1,6 Milliarden Dollar verpflichtet. „Gleichwohl stehen wir weiterhin hinter der Sicherheit und Wirksamkeit von ESSURE“, bekundete der Pharma-Riese.

ESSURE-Nebenwirkungen verschwiegen

BAYER hat die Aufsichtsbehörden jahrelang über das gesundheitsgefährdende Potenzial der Sterilisationsspirale ESSURE getäuscht. Das geht aus firmen-internen Unterlagen hervor, die den Gerichten bei den Entschädigungsprozessen vorlagen (s. o.). Bereits unmittelbar nachdem der Leverkusener Multi im Jahr 2013 die Rechte an der Vermarktung des gesundheitsschädlichen Medizinprodukts (s. o.) von CONCEPTUS erworben hatte, warnte der damals beim Konzern für die Arznei-Sicherheit zuständige Michael Reddick vor einer Unmenge von zu erwartenden Meldungen über Risiken und Nebenwirkungen. Dies „werde sicherlich die Aufmerksamkeit der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde erwecken“, schrieb er in einer E-Mail. Darum entschied der Leverkusener Multi, die Berichte nicht an die FDA weiterzuleiten. So blieb es 2016 bei einer Verschärfung der Anwendungsbestimmungen. „Weil BAYER den Berichtspflichten nicht nachkam, war es der FDA unmöglich zu wissen, dass es strengerer Warn-Hinweise bedurfte“, konstatierte die Geschädigten-Anwältin Fidelma Fitzpatrick. Der ehemalige FDA-Mediziner David Kessler bestätigte diese Einschätzung. Wären der Behörde alle Informationen zugänglich gewesen, hätte sie härtere Maßnahmen angeordnet, so Kessler.

BAYER verliert LASSO-Prozess

Der französische Landwirt Paul François hatte im Jahr 2004 durch das MONSANTO-Ackergift LASSO (Wirkstoff: Monochlorbenzol) massive gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten. „Mein Abwehrsystem ist so geschwächt, dass jede Infektion tödlich sein kann“, sagte er einmal in einem Interview. 2007 verklagte der Bauer den Konzern deshalb und geriet damit in einen langwierigen Rechtsstreit, den der Leverkusener Multi nach dem MONSANTO-Erwerb weiterführte. Darum reiste der Pestizid-Geschädigte 2019 auch zur BAYER-Hauptversammlung nach Bonn an und konfrontierte den Vorstand dort direkt mit seiner Situation. Die Management-Riege weigerte sich aber, die Verantwortung für die Risiken und Nebenwirkungen der Agro-Chemikalie zu übernehmen. Bei französischen BAYER-Beschäftigten unterhalb der Führungsebene fand Paul François mehr Verständnis, zumindest unter der Hand. Einem Journalisten der Stuttgarter Nachrichten wusste er von einem Angestellten zu berichten, den sein Fall empörte. Man könne nur den Kopf darüber schütteln, wie sich MONSANTO mit seinen Kunden auf der halben Welt anlege. Das habe BAYER bei der Übernahme zweifellos unterschätzt, so laut Paul François dessen unter dem Siegel der Verschwiegenheit geäußerten Worte. Im Oktober 2020 bekam der Agro-Riese dafür die Rechnung präsentiert. Das höchste französische Berufungsgericht gab dem Unternehmen als Rechtsnachfolger MONSANTOs die Schuld an den Krankheiten des Landwirtes, weil es auf den LASSO-Behältnissen bzw. Beipackzetteln keine genaueren Angaben zu den Gefahren gab.

FRAG DEN STAAT vs. BfR

Anfang 2019 hatte das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) die Initiative „FRAG DEN STAAT“ verklagt (Ticker 3/19). Die Behörde warf der Organisation vor, mit der Veröffentlichung eines BfR-Gutachtens zu Glyphosat, das diese unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz angefordert und auf ihrer Website veröffentlicht hatte, gegen das Urheberrecht verstoßen zu haben. Das 6-seitige Dokument spielt eine Schlüsselrolle im wissenschaftlichen Streit um das Pestizid. Im Jahr 2015 bewertete die „Internationale Agentur für Krebsforschung“ (IARC) der Weltgesundheitsorganisation das Breitband-Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend“ und setzte sich damit von dem Glyphosat-Prüfbericht des „Bundesinstituts für Risiko-Bewertung“ ab. Die Politik sah Klärungsbedarf und erbat vom BfR eine Stellungnahme. Daraufhin erstellte die Behörde eine ergänzende Expertise. Die Kurzfassung dieses „Addendum I“ ging dann als Handreichung an das Bundeslandwirtschaftsministerium und enthält offenbar so brisantes Material, dass das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ dieses lieber unter Verschluss halten möchte. Aber das gestaltet sich schwierig. Nach Ansicht des Landgerichts Köln kann das Dokument keine Schutzrechte mehr beanspruchen. FRAG DEN STAAT hatte nämlich einfach an UnterstützerInnen appelliert, ebenfalls Anträge zur Einsicht in das Schriftstück nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu stellen. Das geschah 45.000 Mal, auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beteiligte sich damals. Und damit war das Gutachten dann in der Welt. Darüber hinaus deckt die im Urheberrechtsgesetz garantierte Zitat-Freiheit das Vorgehen der AktivistInnen, befanden die RichterInnen im November 2020. „Wir haben gemeinsam ein kleines Stück Rechtsgeschichte geschrieben“, freuten sich die StaatsfragerInnen. Ein Ende der Auseinandersetzung bedeutet das jedoch noch nicht, denn das BfR will in Berufung gehen.

Neue Dicamba-Genehmigungen

Das Pestizid Dicamba, das BAYER & Co. hauptsächlich in Kombination mit ihren gen-manipulierten Pflanzen vermarkten, hat in den USA eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Zahlreiche LandwirtInnen machen das Herbizid für Ernte-Schäden verantwortlich. Es bleibt nämlich nach dem Ausbringen nicht einfach an Ort und Stelle, sondern verflüchtigt sich und treibt zu Ackerfrüchten hin, die gegen den Stoff gentechnisch nicht gewappnet sind und deshalb eingehen. Allein bei Soja war das auf einer Fläche von mehr als zwei Millionen Hektar der Fall. Darum zog ein US-amerikanischer FarmerInnen-Verband gemeinsam mit anderen Organisationen vor Gericht und bekam Anfang Juni 2020 auch Recht zugesprochen (SWB 3/20). Die RichterInnen ordneten ein sofortiges Verbot des Mittels an. Dieses unterlief jetzt jedoch die US-amerikanische Umweltbehörde EPA. Ende Oktober 2020 ließ sie BAYERs XTENDI-MAX, BASFs ENGENIA und SYNGENTAs TAVIUM PLUS unter Auflagen wieder zu. So dürfen die FarmerInnen die Produkte nun nur noch bis zu einem bestimmten Stichtag verwenden. Zudem müssen sie Dicamba vor dem Ausbringen Substanzen beimengen, welche die Pestizide auf dem Boden halten sollen, und auf größere Abstände zu anderen Feldern achten. Das CENTER FOR FOOD SAFETY hält diese Maßnahmen für ungenügend, weil es auch in den vergangenen Jahren immer wieder strengere Vorgaben zum Umgang mit Dicamba gab, die jedoch die Abdrift nicht haben verhindern können. BAYER hingegen zeigte sich nach der EPA-Entscheidung zufrieden. „Wir begrüßen die wissenschaftsbasierte Überprüfung und Zulassung von XTENDIMAX“, verlautete aus der Konzern-Zentrale.

Freispruch für ONE-A-DAY

BAYERs Vitamin-Präparate aus der „One-A-Day“-Produktreihe, denen viele Fachleute jeglichen Nutzen absprechen, beschäftigen in den USA immer wieder die Gerichte. Wegen unwahrer Behauptungen über die heilsamen Wirkungen der bunten Pillen musste der Leverkusener Multi schon Strafen in 2-stelliger Millionen-Höhe zahlen. Im letzten Jahr erfolgte erneut ein Prozess wegen Etikettenschwindels. Eine Sammelklage machte dem Pharma-Riesen das Recht streitig, auf den ONE-A-DAY-Packungen eine Stärkung des Herzens, des Immunsystems und der physischen Energie zu versprechen. Aber die RichterInnen nahmen keinen Anstoß an den Formulierungen und sprachen den Konzern frei.

Strafe für vietnamesischen Manager

China streitet mit seinen Nachbarn Taiwan, den Philippinen, Malaysia, Brunei und Vietnam um Hoheitsrechte im Südchinesischen Meer. Peking beansprucht rund 80 Prozent des fisch- und rohstoff-reichen Gebiets, durch das überdies eine wichtige internationale Handelsroute führt, für sich und grenzt es mit der sogenannten Neun-Strich-Linie ein. Ein vietnamesischer BAYER-Manager hat nun in einer firmen-internen Mail zur chinesischen Corona-Politik eine Karte des Landes mitgeschickt, welche das umstrittene Areal dem Reich der Mitte zuschlägt. Das hatte sofort juristische Konsequenzen. Ein Gericht verurteilte den Beschäftigten zur Zahlung einer Strafe von rund 1.300 Dollar. Und der Leverkusener Multi entschuldigte sich auf seiner Website für den Vorfall.

BAYER-Widerspruch gegen Befristungen

Gegen den Widerstand von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), der auch das „Bundesamt für VerbraucherInnenschutz und Lebensmittelsicherheit“ (BVL) untersteht, setzte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) bei den Genehmigungen von Pestiziden strengere Regeln durch. Seit Januar 2020 hat der Gesetzgeber die Zulassung bestimmter Agro-Chemikalien mit Auflagen zum Schutz der Biodiversität verknüpft. Wer weiterhin die Artenvielfalt gefährdende Substanzen wie etwa Glyphosat verwendet, der muss mindestens zehn Prozent seiner Felder als giftlose Ausgleichsflächen für Insekten und Vögel bereithalten. Darum hatten 2019 zahlreiche Mittel nur noch befristete Zulassungen bis zum Ende des Jahres erhalten. Dagegen legten BAYER und andere Hersteller jedoch Widerspruch beim BVL ein. Ein Unternehmen klagte sogar und erzielte einen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg sprach den Widersprüchen der Unternehmen eine aufschiebende Wirkung zu. Darum bleibt der Gebrauch von 44 Produkten, welche das Leben von Bienen, Schmetterlingen und anderen Tieren gefährden können, vorerst erlaubt. Neben Glyphosat finden sich auf dieser Liste auch noch weitere Wirkstoffe, die in Erzeugnissen des Leverkusener Multis enthalten sind wie etwa Spirotetramat (MOVENTO OD 150) sowie Iodosulfuron, Mesosulfuron und Thiencarbazone (ATLANTIS STAR).

FORSCHUNG & LEHRE

KI-Kooperation mit ATOMWISE
Nicht nur bei der Vorauswahl von Substanzen, die vielleicht als Arznei-Wirkstoff in Frage kommen, setzt BAYER auf Künstliche Intelligenz (siehe auch DRUGS & PILLS), sondern auch bei der ersten Sichtung von Stoffen, die ein Potenzial für einen Einsatz als Agro-Chemikalien haben könnten. Bei der Suche nach Nachfolgern von Gl

100 Jahre 1. Weltkrieg

CBG Redaktion

Giftgas, Sprengstoffe, Zwangsarbeit

Die deutsche Chemie-Industrie produzierte im 1. Weltkrieg Sprengstoff, Munition und Giftgas. Tausende Zwangsarbeiter wurden deportiert - auch um im Leverkusener BAYER-Werk zu schuften. Dank staatlich garantierter Preise konnten die Konzerne ihre Profite erheblich steigern. Bis heute verleugnen BAYER, BASF und Co ihre Mitverantwortung für Kriegstreiberei und Massensterben.

150 Jahre BAYER

CBG Redaktion
2013 feiert die Firma BAYER mit zahlreichen Festveranstaltungen ihr 150-jähriges Bestehen. Da in der offiziellen Firmen-Chronik Themen wie chemische Kampfstoffe, Umweltschäden, tödliche Pharmaprodukte oder die Symbiose mit dem Dritten Reich nicht vorkommen, beleuchtet die Coordination gegen BAYER-Gefahren schlaglichtartig die wenig ruhmreiche Geschichte des Konzerns. => 150 Jahre: CBG veröffentlicht Pressespiegel, Berliner Zeitung und FR greifen Kritik der Coordination auf => 100 Jahre 1. Weltkrieg: BAYER an vorderster Front; „Konzern trägt Mitverantwortung für Kriegsgräuel“ => ARD-Dokumentation: „Die Bayer Story“ unter Mitwirkung der Coordination gegen BAYER-Gefahren => Merkel-Besuch: „Konzerngeschichte nicht weißwaschen!“ => Zeichungen der Karikaturisten Berndt Skott, Carlos Latuff, Kostas Koufogiorgos und aus Italien zur Kampagne. Und eine Kunst-Installation aus Polen => Der Tagesspiegel, die Süddeutsche Zeitung, der Jewish Chronicle (US), die Hannoversche Allgemeine und das Neue Deutschland berichten über die Kampagne => Film-Clip des WDR zum BAYER-Jubiläum: 115 Jahre Heroin => Jubiläumsfeier in Leverkusen: „Druck auf Belegschaft nimmt ständig zu“ => Rede in der Bayer HV zum Jubiläum => Die junge Welt druckt eine Chronologie von uns zum BAYER-Jubiläum => Die Wiedergeburt: Keine Zäsur für BAYER nach dem 3. Reich => Seminar: „150 Jahre BAYER - Ausbeutung, Umweltzerstörung, Kriegstreiberei“ am 2. November in Düsseldorf => Coordination startet Kampagne, Gegenantrag zur Hauptversammlung => Schon im 19. Jahrhundert gab es massive Proteste gegen die von BAYER verursachte Luft- und Wasserverschmutzung. Hierzu ein Artikel des Historikers Stefan Blaschke => Artikel zur Geschichtsschreibung von BAYER => Kurt Hansen: Wissenschafts-Preis von BAYER nach Ex-Nazi benannt => Der Umgang von BAYER mit der IG Farben-Geschichte => Ärzteverein kritisiert Profitgier auf Kosten von Mensch und Tier => Informationen zum Leben von Carl Duisberg => Schöne Künste statt Profit: BAYER zeigt Kunstsammlung => Heroin: ein Hustensaft von BAYER Die Kampagne wurde von der Stiftung Menschenwürde & Arbeitswelt (Berlin) unterstützt [gallery]

Carl Duisberg: „als Vorbild ungeeignet“

CBG Redaktion

Erfolg: Straßen in Dortmund und Lüdenscheid umbenannt

2011 jährte sich zum 150. Mal der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg. Er setzte im 1. Weltkrieg den Einsatz von Giftgas durch, betrieb die Deportation von Zwangsarbeitern und forderte die Annexion großer Teile Osteuropas. Höhepunkt von Duisbergs Lebenswerk war der Zusammenschluss der deutschen Chemie-Industrie zur IG FARBEN.
Carl Duisberg taugt nicht als Vorbild für künftige Generationen. Die CBG fordert Umbenennungen der nach Duisberg benannten Straßen in Bonn, Krefeld, Frankfurt, Wuppertal und Leverkusen, der Carl Duisberg-Centren und des CD-Gymnasiums in Wuppertal. In Dortmund und Lüdenscheid war die Kampagne bereits erfolgreich.

Beirut ist überall

CBG Redaktion

Die Katastrophe von Beirut kostete über 220 Menschen das Leben, weitere 6.000 trugen zum Teil schwere Verletzungen davon, Hunderttausende wurden obdachlos. Die Großexplosion offenbarte wieder einmal, welche Gefahren der industrielle Umgang mit chemischen Stoffen birgt. Aber die VertreterInnen von BAYER & Co. wiegelten ab. Dabei genügt schon ein kurzer Blick auf die Störfall-Liste des Leverkusener Multis, um sie eines Besseren zu belehren.

Von Jan Pehrke

„Wir saßen in unserem Wohnzimmer, und plötzlich fielen uns die Wand und Glas auf den Kopf“, so beschreibt ein Beiruter die Folgen der Explosion, welche die Stadt am 4. August 2020 erschütterte. Viele BewohnerInnen überlebten das nicht. Die Detonation von 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen der Metropole riss über 220 Menschen in den Tod, fügte 6.000 zum Teil schwere Verletzungen zu und machte 300.000 zu Obdachlosen.

Das Unglück rückte wieder einmal die Gefahren der Chemie-Produktion in den Fokus. Rund 80 kleinere und größere Störfälle allein in Nordrhein-Westfalen binnen der letzten zehn Jahre zählte der WDR. Trotzdem gab der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) Entwarnung. Hierzulande werde alles sorgfältig kontrolliert, so Hans-Jürgen Mittelstaedt vom nordrhein-westfälischen Landesverband der Lobby-Organisation zu den ReporterInnen der Aktuellen Stunde. „Wenn eine Anlage in Betrieb gegangen ist, dann gibt es eine regelmäßige behördliche Überwachung durch die Bezirksregierung (...) Je höher das Risiko-Potenzial durch Stoffe ist, desto regelmäßiger und auch schneller wird eine solche Überwachung durchgeführt“, tat Mittelstaedt kund. Marius Stelzmann von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) vertrat in der Sendung naturgemäß eine ganz andere Meinung, hatte die Coordination sich doch 1978 nach einer Reihe von Beinahe-Katastrophen im Wuppertaler BAYER-Werk gegründet und ihrer seither geführten Unfall-Liste jedes Jahr neue Einträge hinzufügen müssen. „Die Kontroll-Mechanismen, die wir haben, sind den großen Mengen der gefährlichen Substanzen und dieser Form der Produktion nicht angemessen. Man könnte sich zum Beispiel auch fragen: Ist es – und das ist auch die Kritik, die wir haben – ist es richtig, dass so große Mengen von so hoch gefährlichen Chemikalien in der Nähe von Wohngebieten eingelagert werden?“, gab der CBG-Geschäftsführer zu bedenken.

Die CBG hatte sich jahrzehntelang bemüht, von BAYER genauere Angaben über das Ausmaß der an den Standorten vorgehaltenen risikoreichen Stoffe zu erhalten. Der Konzern verwies jedoch auf das Betriebsgeheimnis und hüllte sich in Schweigen. 2011 und 2012 stellte die Coordination dann offizielle Anfragen nach dem Umweltinformationsgesetz und bekam so die gewünschten Auskünfte. Und was sie da in Erfahrung bringen konnte, gab Grund zur Beunruhigung. So lagerte am Stammsitz Leverkusen allein die inzwischen abgestoßene Kunststoff-Sparte 1.600 Tonnen sehr giftiger, 9.200 Tonnen giftiger Stoffe und 3.400 Tonnen leicht entzündlicher Flüssigkeiten ein. Unter anderem befanden sich damals 42 Tonnen des Giftgases Phosgen in den Beständen.

Zum letzten großen Knall bei BAYER kam es im Jahr 2008. Am US-amerikanischen Standort Institute ging ein Rückstandsbehälter in die Luft und schlug in eine Anlage zur Herstellung des Pestizids Methomyl ein. Von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“ berichteten AugenzeugInnen damals. Zwei Beschäftigte starben durch die Detonation. Dabei hätte alles noch schlimmer kommen können, wenn nämlich der Kessel den Tank mit dem Ackergift Methylisocyanat (MIC) getroffen hätte. „Die Explosion in dem BAYER-Werk war besonders beunruhigend, weil ein mehrere Tonnen wiegender Rückstandsbehälter 15 Meter durch das Werk flog und praktisch alles auf seinem Weg zerstörte. Hätte dieses Geschoss den MIC-Tank getroffen, hätten die Konsequenzen das Desaster in Bhopal 1984 in den Schatten stellen können“, hieß es in dem Untersuchungsbericht des US-Kongresses zum Unglück. Weil die US-Aufsichtsbehörde CSB in Institute „schwerwiegende Sicherheitsmängel“ ausmachte, musste der Leverkusener Multi eine Strafe in Höhe von einer Million Dollar zahlen und zusagen, 4,6 Millionen in Vorsorge-Maßnahmen zu investieren.

Aber der Konzern hat auch so seine eigenen Erfahrungen mit dem in Beirut detonierten Ammoniumnitrat. Diese auch „Ammoniak-Salpeter“ oder „brennbarer Salpeter“ genannte Substanz gehört zu den „Dual Use“-Gütern. Sie kann sowohl als Basis zur Produktion von Düngemitteln als auch von Sprengstoff dienen. Und Anfang des 20. Jahrhunderts interessierten hierzulande vor allem die explosiven Eigenschaften. Die erste Marokko-Krise hatte damals die Gefahr einer See-Blockade durch England heraufbeschworen, was das Deutsche Reich von Salpeter-Zufuhren aus Chile abgeschnitten hätte. Darum fingen die Chemie-Firmen an, mit der synthetischen Herstellung des Stoffes zu experimentieren. BAYER begann 1906 mit entsprechenden Versuchen, stellte diese aber wieder ein, als die außenpolitische Lage sich wieder zu entspannen schien. Durchsetzen konnte sich schließlich das von dem Wissenschaftler Fritz Haber gemeinsam mit Carl Bosch von BASF entwickelte Verfahren, auf chemischem Weg Ammoniak herzustellen. Diesem brauchte dann nur noch Salpetersäure beigegeben werden, um Ammoniumnitrat zu erhalten. 1910 erhielten die beiden Männer dafür das Patent. Schon vier Jahre später sollte es eine große Bedeutung erlangen. Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte Großbritannien nämlich die Nordsee dichtgemacht und Deutschland damit den Weg zum sogenannten Chile-Salpeter verbaut. Da trat jedoch die heimische Chemie-Industrie auf den Plan. Haber und Bosch schlossen sich mit dem damaligen BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg kurz und gaben der Obersten Heeresleitung gemeinsam das sogenannte Salpeter-Versprechen. Das Trio sicherte den Generälen zu, ausreichend Sprengstoff für die Pläne der Militärs zu liefern. Duisberg & Co. hatten damit nach eigenem Bekunden „den Krieg gerettet“ – und dem Staat so ganz nebenbei auch noch Abnahme-Garantien zu Festpreisen und Finanzspritzen zum Ausbau der Produktionskapazitäten abgerungen.

Die BASF machte sich sogleich daran, die Fabrik am Standort Oppau umzurüsten und in Leuna ein neues Werk zur Ammoniak-Synthese hochzuziehen, wofür das Unternehmen staatliche Subventionen in Höhe von 400 Millionen Reichsmark erhielt. BAYERs nach dem Haber/Bosch-Verfahren arbeitende Anlage nahm indessen im März 1915 ihren Betrieb auf. Das fertige Ammoniumnitrat kam dann unter anderem bei der Produktion von TNT zum Einsatz. Für die Produktion solcher Sprengstoffe baute das Unternehmen in Köln-Flittard eine eigene Fertigungsstätte auf, die einen beträchtlichen Ausstoß hatte. Allein an TNT braute sie pro Monat 250 Tonnen zusammen. Daneben spezialisierte sich der Konzern während des Krieges vor allem auf chemische Kampfstoffe.

Bei den mit Ammoniumnitrat in Zusammenhang stehenden chemischen Prozessen ereigneten sich immer wieder schwere Unfälle. 1897 brach in einem Salpetersäure-Lager am BAYER-Standort Wuppertal ein Feuer aus, woraufhin sich giftige Untersalpetersäure-Dämpfe bildeten. 1917 gingen in Köln-Flittard 60.000 Kilogramm TNT hoch und rissen acht Arbeiter in den Tod. Hunderte Beschäftigte trugen Verletzungen davon. Die Spur der Verwüstung zog sich von der Flittarder Anlage bis hin zu den Leverkusener Werken. Die schlimmste Katastrophe aber geschah 1921 bei der BASF in Oppau. 559 Menschenleben kostete die Explosion von 400 Tonnen Ammoniumsulfatnitrat. Und dass die Gefahr bis heute nicht gebannt ist, zeigt nicht allein Beirut. Im Jahr 2001 entzündeten sich im französischen Toulouse mehrere hundert Tonnen Ammoniumnitrat, das in der Giftmüll-Deponie eines Düngemittel-Unternehmens lagerte. Die Bilanz: 31 Tote und über 2.500 Verletzte.

Auch die Sprengstoffe, welche die Chemie-Firmen im Ersten und Zweiten Weltkrieg auf der Basis von Ammoniumnitrat oder anderen Substanzen entwickelten, bergen immer noch ein Gefährdungspotenzial. Die Reste davon wurden nämlich zusammen mit chemischen Kampfstoffen, Minen, Bomben und Granaten einfach in der Ost- und Nordsee entsorgt. Rund 1,6 Millionen Tonnen davon lagern in den Gewässern. Und sie schlummern nicht einfach friedlich auf dem Meeresgrund. Immer wieder kommt es zu Unfällen, etwa wenn FischerInnen Sprengstoffe ins Netz gehen oder die Behältnisse durchrosten und die Stoffe austreten und an die Strände gelangen.
Der Biologe Dr. Stefan Nehring zählte bis Ende 2015 418 Todesfälle und 720 Verletzte. Auf der letzten BAYER-Hauptversammlung im April 2020 forderte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN den Global Player auf, sich an den Bergungsarbeiten zu beteiligen. Aber davon wollte der Vorstand nichts wissen. Und auch nach Beirut dürfte er seine Meinung nicht geändert haben.

[Rhein] „Das giftige Königreich am Rhein“

CBG Redaktion

Die Umweltgeschichte des BAYER-Konzerns

Im August 2020 veröffentlichte die Tageszeitung junge Welt eine Beilage zum Thema „Ökologie“, zu der die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN einen Artikel über BAYER beisteuerte. Das Stichwort BAYER dokumentiert den Text in einer etwas erweiterten Fassung.

Von Jan Pehrke

Als Egon Erwin Kisch im Jahr 1927 für eine Reportage zum Stammsitz des BAYER-Konzerns nach Leverkusen reiste, fielen ihm zuerst die zum Trocknen aufgehängten Hemden auf. Sie hatten ihre weiße Farbe auch nach dem Waschen nicht wiedergewonnen. Vielmehr zeichneten sich auf ihnen an vielen Stellen blaue, grüne oder violette Flecken ab. Ihre Träger arbeiteten nämlich in der Farbstoff-Produktion des damals zum IG-FARBEN-Konglomerat gehörenden Unternehmens, und die Haut gab die dabei aufgesogenen Pigmente wieder an die Kleidung ab. „Aber schlimmer wirken die Dämpfe, die beim Verkochen der Farben in die Lungen dringen, gefährlicher die Blei-Vergiftungen, die oft Geisteskrankheit zur Folge habenden Arsenwasserstoff-Gase“, schrieb Kisch. Und auch sonst zeichnete er in seinem Text, der unter der Überschrift „Das giftige Königreich am Rhein“ in der „Roten Fahne“ erschien, ein deprimierendes Bild von der Situation vor Ort. „Erschütternde Blässe und Abgezehrtheit sind bei den Arbeitern von ‚Jammerkusen’ die Regel“, hielt „der rasende Reporter“ fest.

Klagen über die Umwelt-Belastungen seiner Produktion begleiten den Leverkusener Multi seit seiner Gründung im Jahr 1863, wie der Historiker Stefan Blaschke in seinem Buch „Unternehmen und Gemeinde. Das Bayerwerk im Raum Leverkusen 1891-1914“ schreibt. Bereits ein Jahr nach der Inbetriebnahme der Fertigungsanlagen musste die Firma FRIEDR. BAYER ET COMP. die ersten Entschädigungen zahlen. Immer wieder kam es zu Protesten. Im Juni 1889 etwa unterzeichneten 66 AnwohnerInnen eine Eingabe an die Königliche Regierung.
So missbrauchte BAYER die Flüsse in der Nähe der Werke als „Opferstrecke“. Eine zeitgenössische Schrift bescheinigte dementsprechend der Wupper, „meistens einem Tintenstrom“ zu gleichen. Der damalige Generaldirektor Carl Duisberg hielt eine Abwasser-Reinigung jedoch für eine „Vergeudung von Nationalkapital“. Im Übrigen verwies die Aktien-Gesellschaft, wie sie es auch heute noch gern tut, auf ihre bedeutende Wirtschaftskraft, der keine Fesseln angelegt werden dürften. Artikel in der Arbeiterpresse, die für den Chemie-Riesen die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Gifthütte“ fanden, tat Duisberg als reine Propaganda ab. Der Verweis auf die mit der Herstellung von Farbstoffen und anderen Produkten verbundenen Gefahren sei lediglich das „beste Mittel zur Schürung des Klassenkampfes“, so der damalige Konzern-Chef. Sich selber führte er als Beispiel dafür ins Feld, wie wenig Chemikalien einem Menschen schaden können. „Als Chemiker bin ich schon seit 25 Jahren im Laboratorium und im Betrieb dieser „Giftindustrie“ tätig und daher gezwungen, täglich und stündlich mit solchen Giften umzugehen. Ja noch mehr, (...) ich präsentiere mich hier sogar als ein „vergifteter Giftarbeiter“, denn wer von uns Chemikern hat nicht bereits eine Chlor- oder Brom-Vergiftung, eine Phosphor-Vergiftung oder Gott weiß was für Vergiftungen durchgemacht (...) Kurz, zahlreiche Vergiftungen, wie sie bei einem Chemiker vorkommen können, habe ich durchgemacht und stehe dennoch gesund vor Ihnen“, tönte er.

Bis heute ist BAYER aller Greenwashing-Aktivitäten zum Trotz weit davon entfernt davon, sauber zu sein. Dazu genügt ein Blick in den neuesten Nachhaltigkeitsbericht. Die klima-schädlichen Kohlendioxid-Emissionen erhöhten sich im Vergleich zum Vorjahr um 830.000 Tonnen auf 3,71 Millionen Tonnen. Der Ausstoß von ozon-abbauenden Substanzen schnellte von 9,3 auf 17,8 Tonnen hinauf. Die Stickstoff-Emissionen wuchsen um 1.440 Tonnen auf 4.700 Tonnen und die Schwefeloxid-Emissionen um 1.610 Tonnen auf 2.310 Tonnen. Die Einleitungen in die Gewässer legten ebenfalls zu. Die Phosphor-Werte steigerten sich von 180 auf 510 Tonnen, die Stickstoff-Werte von 390 auf 420 Tonnen, die Schwermetall-Werte von 2,4 auf 2,6 Tonnen, die für organisch gebundenen Kohlenstoff von 600 auf 980 Tonnen und diejenigen für anorganische Salze von 97.000 auf 167.000 Tonnen.
Der Leverkusener Multi erklärt die miese Umweltbilanz hauptsächlich mit der Übernahme des MONSANTO-Konzerns. Und tatsächlich haben es Produkte wie Glyphosat in sich. Neben allem anderen ist das Total-Herbizid beispielsweise auch ein Klima-Killer. „Mit dem akquirierten Agrargeschäft haben wir neben Standorten für die Saatgutproduktion u. a. auch eine Rohstoffgewinnung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten übernommen, mit der energie-intensive Auf- und Weiterverarbeitungen verbunden sind“, heißt es verklausuliert im Geschäftsbericht zur Erklärung. Konkret handelt es sich dabei um eine Anlage im US-amerikanischen Soda Springs zur Gewinnung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor. Um es aus dem Sediment-Gestein Phosphorit zu lösen, muss ein spezieller Schmelz-Reduktionsofen nämlich erst auf eine Betriebstemperatur von 1500° kommen. Und dazu braucht er jede Menge Kohle.

Das Öko-Desaster beginnt jedoch schon vorher. Es nimmt mit dem Phosphorit-Tagebau in der Umgebung von Soda Springs seinen Anfang, der eine massive Luft- und Wasserschmutzung zur Folge hat und endet mit der Ausbringung des Total-Herbizids auf den Feldern noch lange nicht. Von den Äckern gelangt das Mittel in die Flüsse, wo es das biologische Gleichgewicht gehörig durcheinanderwirbelt, ist Phosphor doch ein Nährstoff, den vor allem Algen dankbar aufnehmen. Diese decken dann die Oberflächen der Gewässer ab und lassen kaum noch Licht durch. Deshalb können die tiefer gelegenen Pflanzen keine Foto-Synthese mehr vollziehen. Sie sterben ab und verbrauchen bei ihrer Zersetzung große Mengen Sauerstoff, der dann wiederum den Fischen und anderen aquatischen Lebewesen fehlt. 151.000 Tonnen Phosphor setzt das Ultra-Gift nach einer Studie der kanadischen McGill University jährlich frei. „Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hoch problematischer Stoff“, resümiert Hannah Connor vom „Center for Biological Diversity“.

All diese Risiken und Nebenwirkungen der BAYER-Produktion befeuern den Klassenkampf entgegen Duisbergs Befürchtungen jedoch nur wenig bis kaum. Die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) stritt nie für eine sauberere Chemie, sondern versuchte diese in Tateinheit mit den Vorstandsetagen aus Angst vor Arbeitsplatz-Vernichtungen stets so schmutzig wie möglich zu halten. Aber es gab und gibt immer auch Gegenbewegungen. Die Betriebsrätin Marianne Hürten bespielsweise engagierte sich als Grüne in den 1980er Jahren stark für den Umweltschutz. Als sie 1985 ein Landtagsmandat anstrebte, ließ der Konzern ihren Wahlkampf durch den Werksschutz beobachten. „Sie hat von Dioxin und Cadmium bei der BAYER-Produktion gesprochen, BAYER der Profitgier bezichtigt und behauptet, dass die Vergiftungen in Spanien auf das BAYER-Produkt NEMACUR zurückzuführen seien“, meldete dieser. Das hatte den Rausschmiss zur Folge. Hürten ließ sich aber nicht einschüchtern, zog vors Arbeitsgericht und erreichte ihre Weiterbeschäftigung. Allerdings nur so lange, bis ihre Zeit als gewählte Betriebsrätin ablief. Dann musste sie gehen bzw. räumte freiwillig das Feld.
Marianne Hürten hat jedoch Nachfolger gefunden, beispielsweise in der Initiative „Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftler für den Klimaschutz“, die den Schulterschluss mit Öko-AktivistInnen sucht. Zuletzt geschah das im Januar des Jahres auf der Konferenz „Vom Klimawandel zum Gesellschaftswandel“, an der neben Mitgliedern von DGB, ver.di und IG BCE auch Vertreter von ATTAC und Bürgerinitiativen aus der Braunkohle-Region wie „Alle Dörfer bleiben“ teilnahmen. Trotz dieser Lichtblicke trifft jedoch die Diagnose des Historikers Arne Andersen aus dem Jahr 1989 nach wie vor zu, „dass bis heute die Arbeiterbewegung sich schwer tut, für industriell bedingte Umweltprobleme Lösungen zu entwickeln“.

Ticker 3/20

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Appell zur EU-Ratspräsidentschaft

Am 1. Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO), LOBBYCONTROL, die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und zahlreiche andere Organisationen haben die Befürchtung, dass dabei die großen Konzerne die Marsch-Richtung vorgeben werden. Die Gründe dafür legten die Initiativen in der Studie „Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft – Industrie in der Hauptrolle“ dar. Die Untersuchung zeigt, welch großen Einfluss die Unternehmen auf die Entscheidungen in Berlin haben. Im Einzelnen beschäftigen die AutorInnen sich etwa damit, wie die Auto-Industrie, die Banken, die Pharma-Riesen und die Erdgas-Multis die politische Landschaft pflegen. Die Umtriebe der Chemie-Industrie im Allgemeinen und BAYERs im Besonderen zeichnete die CBG nach. Angesichts dieser Gemenge-Lage appellieren die Gruppen an die Große Koalition: „Die Bundesregierung muss die Vergangenheit hinter sich lassen, sich von Konzern-Interessen frei machen (trotz der massiven Lobby-Aktivitäten, die derzeit unter dem Stichwort „Coronawashing“ laufen) und das Gemeinwohl an die oberste Stelle setzen.“ In diesen Zeiten Individual-Interessen, den Interessen Superreicher oder einseitig den Unternehmen entgegenzukommen, könnte für die Europäische Union weitreichende und zutiefst destruktive Folgen haben, warnen die Initiativen.

Lieferengpässe: AOK wehrt sich

Der Pharma-Markt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. BAYER und andere große Unternehmen setzen mehr und mehr auf neue, patent-geschützte Pillen, da diese besonders hohe Renditen versprechen. Bei ihrem nicht so viel Geld abwerfenden Alt-Sortiment rationalisieren die Konzerne hingegen nach Kräften. So beziehen sie Vor- und Zwischenprodukte zur Wirkstoff-Herstellung und manchmal auch die komplette Substanz zunehmend aus Schwellen- oder Entwicklungsländern wie Indien und China. Dort konzentriert sich die Fabrikation auf immer weniger Anbieter. Und wenn da einmal Störungen im Betriebsablauf auftreten, leiden PatientInnen auf der ganzen Welt unter den Lieferengpässen. Seit einigen Jahren passiert das immer häufiger. Auch Präparate des Leverkusener Multis glänzen in den Apotheken zunehmend durch Abwesenheit. Die Schuld dafür geben die Firmen gerne den Krankenkassen. Diese zwängen die Hersteller durch den Preis-Druck ihrer Rabatt-Verträge, eigene Pharma-Produktionen aus Kosten-Gründen zu schließen und die benötigten Substanzen stattdessen auf dem Weltmarkt einzukaufen. Der AOK-Vorstandschef Johannes Bauernfeind weist die Kritik zurück: „Dieser Argumentationsgang ist ebenso eingängig wie unwahr. Bereits seit den späten siebziger Jahren wich die Wirkstoff-Produktion nach Fernost aus.“ Zudem träten Lieferengpässe auch in Ländern auf, in denen es gar keine Rabatt-Verträge gebe, so Bauernfeind.

Mexiko: Pestizid-Beschwerde

Im Jahr 2017 hatten 43 Personen bei der mexikanischen Menschenrechtskommission CNDH wegen des unkontrollierten Einsatzes hochgefährlicher Pestizide in dem Land eine Beschwerde eingereicht. Unter den inkriminierten Ackergift-Wirkstoffen finden sich zahlreiche, die auch in BAYER-Produkten enthalten sind, wie z. B. Mancozeb, Glyphosat, Atrazin, Deltamethrin, Methamidophos, Imidacloprid, Carbofuran, Endosulfan, Bifenthrin und Carbendazim. Die CNDH gab den Beschwerde-TrägerInnen im Februar 2019 Recht und empfahl der Politik eine Reihe von Maßnahmen. Diese umfassten beispielsweise Vorschläge zu einer strengeren Regulierung der Agro-Chemikalien, zu einem besserem Schutz der LandwirtInnen und LandarbeiterInnen sowie zu einer besseren Ermittlung des Risiko-Potenzials der Substanzen.

MONSANTO-Listen: Die CBG hakt nach

Die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO hat über Jahre hinweg in eigener Regie oder über externe Dienstleister hunderte von JournalistInnen, PolitikerInnen, AktivistInnen und andere Personen ausspioniert. Mit diesem Wissen wollte sie dann unter anderem die Entscheidung der EU über die Zulassungsverlängerung für das Herbizid Glyphosat, die im Herbst 2017 anstand, im Sinne des Konzerns beeinflussen. Im Frühjahr 2019 flog der Skandal dann auf. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) startete sofort eine Reihe von Initiativen, um das ganze Ausmaß der Umtriebe aufzuklären. Unter anderem forderte die Coordination die Datenschutz-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen auf, aktiv zu werden. Das lehnte diese jedoch zunächst ab. Es lägen keine Anhaltspunkte für ein zielgerichtetes Auskundschaften einzelner Personen vor, MONSANTO hätte vielmehr themen-bezogen agiert, lautete die Antwort. Damit gab sich die CBG allerdings nicht zufrieden. In einem weiteren Schreiben zitierte sie aus den Unterlagen des von MONSANTO mit der Observation beauftragten Unternehmens FLEISHMANHILLARD. Diesen Dokumenten zufolge hatte die Agentur bei ihren Ziel-Objekten auch „Freizeit oder andere Interessen (Golf, Tennis, Jagd etc.)“ im Blick. Und mit der Drecksarbeit, „Auskünfte und Informationen zu sammeln, die NICHT (Hervorhebung im Original) öffentlich zugänglich sind“, beauftragte sie die Firma PUBLICIS. Diese Fakten-Lage bewog die Landesdatenschutz-Beauftragte dann, sich in der Sache doch noch mal an BAYER zu wenden. Eine Antwort steht jedoch noch aus.

CBG beim Online-Klimastreik dabei

Wegen der Corona-Pandemie konnte der Klimastreik am 24. April nicht wie gewohnt auf der Straße stattfinden. Trotzdem gab es viele Aktionen. Die Menschen stellten Plakate ins Fenster, bestückten Bäume, Briefkästen und Tor-Eingänge mit Demo-Schildern und legten Transparente vor den Ratshäusern aus. Und um zumindest digital vor Ort präsent zu sein, suchten sie auf der von FRIDAYS FOR FUTURE ins Netz gestellte Deutschland-Karte ihre Stadt und luden da Protest-Fotos hoch. Daran beteiligte sich auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) – zusammen mit 87.000 anderen virtuellen MitstreiterInnen.

Patent-Kampagne erfolgreich

Der BAYER-Konzern hält nicht nur Patente auf gen-manipulierte Pflanzen, sondern auch auf solche aus konventioneller Zucht. Das Europäische Patentamt (EPA) erteilt diese recht freigiebig, rund 200 Anträge genehmigte es. Sogar nach einem im Juni 2017 erfolgten Beschluss des Verwaltungsrates, in dem VertreterInnen aus 38 Ländern sitzen, solche Genehmigungen nicht mehr zu erteilen, wich das Amt nicht von seiner Linie ab. Seine technische Beschwerdekammer bewertete das Verwaltungsratsvotum nämlich als Verstoß gegen EU-Bestimmungen. Daraufhin gewährte das EPA Produzenten, die auf traditionellem Wege eine Tomate mit reduziertem Wassergehalt sowie einen Brokkoli mit angeblich krebs-präventiven Nebenwirkungen entwickelt hatten, Schutzrechte. Das wiederum rief das Europäische Parlament auf den Plan. Die Abgeordneten prüften die Praxis der Behörde und kamen zu einem eindeutigen Ergebnis. In einer Entschließung sprachen sie sich gegen die Verleihung solcher Patente aus. Schließlich musste sich dann die Große Beschwerdekammer des EPA mit der Sache befassen und ein Grundsatz-Urteil fällen. Im Vorfeld reichte ein breites Bündnis aus verschiedenen Organisationen – darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) – und Einzelpersonen Stellungnahmen ein, welche die Kammer bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen muss. Und das blieb offenbar nicht ohne Wirkung. Die Große Beschwerdekammer befand am 14. Mai 2020, dass Pflanzen und Tiere aus „im Wesentlichen biologischen“ Züchtungsverfahren nicht patentierbar sind. Der Beschluss gilt rückwirkend und betrifft alle Anträge, die ab Juni 2017 eingingen. Die Initiative KEINE PATENTE AUF SAATGUT und andere Gruppen begrüßten dieses Votum, allerdings machten sie noch rechtliche Grauzonen aus. „Das aktuelle Urteil kann dazu beitragen, ein Jahrzehnt voller rechtlicher Absurditäten und chaotischer Entscheidungen am EPA zu beenden. Es gibt aber immer noch ein großes Risiko, dass große Konzerne wie BAYER, ehemals MONSANTO, das Patent-Recht dazu missbrauchen, um die Kontrolle über Landwirtschaft und Lebensmittel-Produktion zu erhalten“, so Katherine Dolan von ARCHE NOAH. Beispielsweise besteht für die Unternehmen immer noch die Möglichkeit, zufällige Pflanzen-Mutationen als eigene Erfindungen auszugeben. So hat das EPA bereits kurz nach dem Spruch der Großen Beschwerdekammer einige mit einem Moratorium belegte Patent-Verfahren wieder anlaufen lassen. Darum dringen die Patent-KritikerInnen unter anderem darauf, die Unterschiede zwischen technischen Erfindungen und den Methoden konventioneller Züchtung genauer zu bestimmen. Um der Forderung nach mehr Klarheit in diesem Bereich mehr Nachdruck zu verleihen, setzte die Initiative TESTBIOTECH einen Offenen Brief an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) auf, den neben vielen anderene Organisationen auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN unterschrieben hat.

Kunst gegen Konzerne

Die US-amerikanische Künstlerin Kirsten Stolle setzt sich intensiv mit dem Treiben der Agro-Industrie auseinander. Ihre persönlichen Erfahrungen motivierten sie dazu: „Meine von Pestiziden verursachten Gesundheitsstörungen haben mich dazu gebracht, mich mit der unheilvollen Geschichte von BAYER/MONSANTO und DOW CHEMICAL zu befassen und deren Desinformationspolitik bloßzustellen.“ Im Zuge dessen nahm sich Kirsten Stolle etwa die ganzseitige Glyphosat-Anzeige vor, die BAYER am 4. Juni 2019 in der New York Times geschaltet hatte, um gut Wetter für das Mittel zu machen. Die Künstlerin „überarbeitete“ die Annonce und schwärzte den größten Teil des Textes ein, so dass nur noch Wort-Fetzen wie „likely to be carcinogenic“ übrig blieben. Umgekehrt ging sie bei „Annotated“ vor, da ließ sie den Glyphosat-Text stehen, versah ihn aber mit einer Fülle von Anmerkungen. Auch bei TV-Spots von MONSANTO legte Kirsten Stolle Hand an. Zudem entwickelte sie eine makabre BAYER/MONSANTO-Version des Spiels „Scramble“: Zu den Wörtern, die aus einem Quadrat mit 400 Buchstaben herauszuklauben waren, gehören unter anderem „Auschwitz“, „Vietnam“ und „DDT“.

Anfrage in Sachen „Glyphosat“

Im Streit um das Ackergift Glyphosat, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft, hat sich die Bundesregierung gegen einen sofortigen Stopp entschieden. CDU und SPD beschlossen im September 2019 lediglich eine Minderungsstrategie. Andere Länder gehen da rigoroser vor. So erließ Österreich ein Verbot. Das nahm ein Mitglied der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zum Anlass, sich bei Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nach den Gründen für diese zögerliche Haltung zu erkundigen. „Die Risiko-Bewertung von Glyphosat im Rahmen der Erneuerung der Genehmigung hat unter Zugrundelegung aller verfügbaren Studien ergeben, dass alle gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen für eine erneute Genehmigung gegeben sind“, anwortete das „Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft“ (BMEL). Weder eine krebserregende noch eine nervenschädigende Wirkung habe die „Europäische Chemikalien-Agentur ECHA bei ihrer Prüfung feststellen können, so das BMEL. Der Fragesteller hatte in seinem Brief auf Untersuchungen verwiesen, die zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen waren. Darauf aber ging das Ministerium nicht ein.

KAPITAL & ARBEIT

AktionärInnen-Richtlinie light

Im Jahr 2017 hat die Europäische Union als späte Reaktion auf die Finanz-Krise von 2008 eine neue Richtlinie zum AktionärInnen-Recht erlassen (Ticker 2/20). Unter anderem ermächtigt die Verordnung die AnteilseignerInnen, über die Gehälter der ManagerInnen mitzuentscheiden. „Um sicherzustellen, dass die Aktionäre auch tatsächlich Einfluss auf die Vergütungspolitik nehmen können, sollten sie das Recht erhalten, eine Abstimmung mit verbindlichem oder empfehlenden Charakter über die Vergütungspolitik (...) durchzuführen“, hält die Direktive fest. Und zu den dabei auf den Hauptversammlungen anzulegenden Maßstäben heißt es: „Die Leistung von Mitgliedern der Unternehmensleitung sollte anhand sowohl finanzieller als auch nicht-finanzieller Kriterien, gegebenenfalls einschließlich ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren, bewertet werden.“ Also ausdrücklich nicht nur nach Profit-Kriterien. Ende 2019 hat der Bundestag die Richtlinie 2017/828 in bundesdeutsches Recht überführt. Allerdings fehlen bedeutende Teile. Von sozialen und ökologischen Messgrößen zur Ermittlung des ManagerInnen-Salärs findet sich in dem „Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechte-Richtlinie“ kein Wort mehr, stattdessen heißt es nur noch: „Die Vergütungsstruktur ist bei börsen-notierten Gesellschaften auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten.“

Wenning weg

BAYERs Aufsichtsratschef Werner Wenning gibt sein Amt vorzeitig auf. Die GroßaktionärInnen des Konzerns schassten ihn offenkundig wegen des desaströsen Krisen-Managements des Konzerns in Sachen „MONSANTO“, für das Wenning Mitverantwortung trägt. Vor seiner Zeit als Ober-Aufseher stand er dem Leverkusener Multi lange als Vorstandsvorsitzender vor. Sein Amtsantritt im Jahr 2002 markierte eine Zäsur. Mit ihm gelangte zum ersten Mal ein Finanz-Experte an die Spitze des Leverkusener Multis, und genau das strich der Global Player bei seiner Bestallung auch heraus: „Als ausgewiesener Finanzfachmann besitzt er hohe Akzeptanz auf den internationalen Kapitalmärkten.“ Die besaß Wennings Vorgänger Manfred Schneider nämlich eher nicht. Schneider war Betriebswirt und hat nicht selten sein Befremden über die Finanz-AnalystInnen geäußert. In seinen Augen waren das alles Laien, grüne Jungs, die noch nie ein Unternehmen geführt hatten. Er wusste auch gar nicht so recht, woher diese Leute sich plötzlich das Recht nahmen, ihm etwas sagen zu wollen. Wenning hingegen wusste das nur allzu gut. Schon in seiner Zeit als Finanzchef hatte er BAYER finanzmarkt-kompatibler gestaltet. So führte er beispielsweise das Wertmanagement ein, die konsequente Ausrichtung jeder Unternehmenshandlung, jedes Beschäftigen auf die Steigerung des Aktienkurses. Und Wenning richtete 1998/1999 auch eine eigene Abteilung für „Investor Relations“ ein. Als Vorstandsvorsitzender bestand dann eine seiner ersten Amtshandlungen darin, aus BAYER eine Holding zu machen, um „Werttreiber und Wertvernichter noch leichter identifizieren zu können“. Und mit der Chemie-Sparte hatte er bald auch schon einen „Minderleister“ identifiziert. Im Jahr 2003 trennte sich die Aktien-Gesellschaft von diesem Geschäft und gab damit dem Druck der Kapitalmärkte nach, dem Manfred Schneider noch widerstanden hatte. Von da an setzte sich der Umbau des Konzerns dann munter fort – bis hin zur verhängnisvollen MONSANTO-Akquisition.

Arbeitsplatz-Vernichtung in Berlin

Die Prozesse in Sachen „Glyphosat“ mit ihren millionen-schweren Schadensersatz-Urteilen haben zu einem Absturz der BAYER-Aktie geführt. Großaktionäre wie BLACKROCK mahnten Handlungsbedarf an, und der Leverkusener Multi lieferte. Im November 2018 verkündete er ein großes Rationalisierungsprogramm („Super Bowl“), das unter anderem die Streichung von 12.000 Stellen vorsieht. Dabei kommt es auch am Standort Berlin zu Einschnitten. Dort gibt der Global Player die Forschung auf dem Gebiet klein-molekularer Wirkstoffe auf. Die Firma NUVISAN übernimmt zwar den Bereich, aber längst nicht alle der rund 400 Beschäftigten.

Tarifvertragsquote: 55 Prozent

Weltweit hat BAYER im Geschäftsjahr 2019 nur mit 55 Prozent seiner Beschäftigten Tarifverträge abgeschlossen, 2014 waren es 52 Prozent. In der Region „Europa/Nahost/Afrika“ gibt es solche Vereinbarungen für 80 Prozent der Belegschaften (2014: 87 Prozent), in Lateinamerika beträgt die Quote 54 Prozent (2014: 45 Prozent) und in den USA lediglich zwei Prozent (2014: fünf Prozent).

599 Arbeitsunfälle

Für das Geschäftsjahr 2019 führt BAYER 599 „berichtspflichtige Arbeitsunfälle mit Ausfall-Tagen“ auf. In fünf Prozent der Fälle war dabei der Kontakt mit Chemikalien die Ursache.

34 Fälle von Berufskrankheiten

Im Geschäftsjahr 2019 kam es bei BAYER laut Nachhaltigkeitsbericht zu 34 „arbeitsplatz-bedingten Erkrankungen“. „Sie betrafen u. a. den Bewegungsapparat und Haut-Reaktionen, ohne dass sich klare Risiko-Bereiche abzeichnen lassen“, heißt es darin.

IG FARBEN & HEUTE

Keine Stunde Null

Am 8. Mai vor 75 Jahren befreiten die Alliierten Deutschland vom Faschismus. Das von BAYER mitgegründete Industrie-Konglomerat IG FARBEN war ein wesentlicher Bestandteil des NS-Systems. Der Mega-Konzern hatte sich schon 1932 mit Hitler verbündet und den „Benzinpakt“ geschlossen. Nach der Machtergreifung erstellte er die Blaupause für den Vierjahresplan, mit dem die Nazis die Wirtschaft wehrtüchtig machten. Als es dann 1939 so weit war, vermochte der Multi die Armee fast alleine auszustatten. An der Vernichtungspolitik wirkte die IG FARBEN ebenfalls mit. Sie errichtete in unmittelbarer Nähe von Auschwitz ein Chemie-Werk und unterhielt in der Nähe der Baustelle ein eigenes ZwangsarbeiterInnen-Lager als Arbeitskräfte-Reservoir, während ihre Tochter-Firma DEGESCH den FaschistInnen mit dem Zyklon B die Mordwaffe lieferte. Darum stand die Zerschlagung des Giganten zunächst ganz oben auf der Agenda der Kriegskoalition. „Wenn es die Politik der Alliierten ist, dass ‚Deutschland nie wieder seine Nachbarn oder den Frieden der Welt bedrohen wird’, dann müssen die IG FARBEN zusammen mit ihren kriegswichtigen Anlagen zerstört werden“, hieß es in einem Bericht des US-Finanzministeriums. Aber es sollte anders kommen. Zum einen änderten sich in den USA die politischen Kräfteverhältnisse, sodass die „Tabula Rasa“-Fraktion unter Finanzminister Henry Morgenthau in die Defensive geriet. Zum anderen unterhielt die US-Industrie umfangreiche Geschäftsbeziehungen zu deutschen Unternehmen und verlangte von der Regierung, ihre Absatzgebiete zu sichern. Und schließlich begann der Kalte Krieg, weshalb ein starkes Deutschland gefragt war, das als „Frontstaat“ agieren konnte. Die westlichen Besatzungsmächte beließen es deshalb bei einer mehr als halbherzigen Entflechtung, die BAYER, BASF und HOECHST unbeschadet überstanden. Und bereits 20 Jahre später waren die einstigen IG-Teile allein größer als das damalige Ganze.

IG FARBEN & HEUTE

Benjamin Ferencz wurde 100

Im März 2020 feierte Benjamin Ferencz seinen 100. Geburtstag. Bei den Nürnberger KriegsverbrecherInnen-Prozessen hatte er das Verfahren gegen die Einsatz-Truppen des NS-Regimesgeleitet. In den 1950er Jahren dann verhandelte der Ungar im Auftrag der „Jewish Claims Conference“ mit der Bundesregierung und denjenigen Unternehmen, die während der Nazi-Zeit ZwangsarbeiterInnen beschäftigt hatten, über Entschädigungszahlungen. Die von BAYER mitgegründete IG FARBEN musste nur 27 Millionen DM aufbringen. Da blieb für die ehemaligen SklavenarbeiterInnen nicht viel übrig. „Sogar die strengen Härtefälle unter denen, die die Arbeit für die IG FARBEN in Auschwitz überlebt haben, erhielten jeder nicht mehr als 1.700 Dollar“, klagte Ferencz.

KONZERN & VERGANGENHEIT

100 Jahre Betriebsräte-Gesetz

Die Weimarer Verfassung sah umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten für Betriebsräte vor. Sie billigte den Beschäftigten-VertreterInnen im Artikel 165 das Recht zu, „gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken“. Näheres sollte das Betriebsräte-Gesetz regeln. BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg ersann darum prophylaktisch schon einmal geeignete Gegenmaßnahmen. So plante er unter anderem, die Gesamtzahl an Betriebsratssitzen zu erhöhen, um die Beschäftigten überstimmen zu können. Am Ende erwiesen sich solche Tricks jedoch als unnötig, denn es gelang der Kapital-Seite, die Regelungen massiv zu verwässern. Dementsprechend kritisch standen die KPD sowie Teile von USPD und Freien Gewerkschaften dem Gesetzes-Vorhaben gegenüber. Für den Tag der 2. Lesung des Paragrafen-Werkes riefen sie deshalb zu Protesten auf, bei denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Die Schätzungen reichen von 20 bis hin zu 42 Toten; zudem gab es über 100 Verletzte. Niemals zuvor und niemals wieder hat in der deutschen Geschichte eine Demonstration so viele Opfer gefordert. Von all dem findet sich in BAYERs Firmen-Chronik „Meilensteine“ nichts. In ihr feiert sich der Global Player unter der Überschrift „Schneller als die Gesetze: Mitbestimmung und Mitverantwortung“ hingegen als ein Unternehmen, das seinen Beschäftigten aus freien Stücken schon weit vor dem Betriebsräte-Gesetz und dem 1916 verabschiedeten „Vaterländischen Hilfsdienst-Gesetz“ eine Interessensvertretung zugestanden hatte.

Feine Füße von drüben

Der Fußball-Club BAYER Leverkusen hatte die DDR bereits in den 1980er Jahren als Spieler-Reservoir entdeckt. Wie aus Stasi-Unterlagen hervorgeht, beobachtete er mit Hilfe des in die Bundesrepublik geflohenen Trainers Jörg Berger DDR-Kicker bei Auswärtsspielen und verleitete geeignete Kandidaten wie Falko Götz oder Dirk Schlegel zur Republikflucht (Ticker 3/00). Und nach der Wende legte der Verein in Tateinheit mit anderen Bundesligisten erst so richtig los. „Am 5. Januar 1990 kam ich zum ersten Training nach der Winterpause und wusste nicht, wer überhaupt noch da war“, klagte etwa der Trainer des PSV Schwerin, Manfred Radtke, über das Ausmaß des „Schlussverkaufs“. Im Juni des Jahres bestritt er mit seiner Mannschaft das DDR-Pokalfinale gegen Dynamo Dresden. Der damalige BAYER-Manager Reiner Calmund saß damals auf der Tribüne und lockte Matthias Stammann für 350.000 DM vom PSV weg. Andreas Thom hatte Calmund da schon eingesackt. Am liebsten hätte er auch noch den zu der Zeit bei Dynamo Dresden spielenden Matthias Sammer verpflichtet, aber da war der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl vor. „Sie können die DDR nicht einfach leerkaufen“, redete dieser den Leverkusener ManagerInnen ins Gewissen. Aber BAYER ließ nicht locker und angelte sich dann noch Ulf Kirsten. Unter der Überschrift „‚Go West’– Zwischen Flucht und Mauerfall – Feine Füße von drüben“ handelt der Verein selber das Ost-Kapitel ab.

POLITIK & EINFLUSS

Online-HV nach BAYER-Gusto

Der Leverkusener Multi ergreift stets jede Gelegenheit, um sich die bei seinen Hauptversammlungen notorischen Proteste so gut es geht vom Leib zu halten. Im Jahr 2020 hieß die Gelegenheit „Corona-Pandemie“. Der Leverkusener Multi nutzte die Ungunst der Stunde und flüchtete vor den Konzern-KritikerInnen ins Virtuelle: Er berief eine Online-HV ein. Die rechtliche Handhabe dazu bot ihm das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“. Dessen Passagen zu den AktionärInnen-Treffen erlaubten den Konzernen, statt Reden nur noch Fragen zu gestatten. Sie konnten dabei sogar noch aussieben und Groß-Investoren wie BLACKROCK den Vortritt lassen. Ein Aktivist der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) stellte dazu einige Bundestagsabgeordnete zur Rede und erhielt erhellende Antworten. So schrieb der CDUler Dr. Carsten Brodesser, in den letzten Jahren würden Hauptversammlungen „zunehmend als politisches Forum genutzt, was bei den Abläufen zu teilweise unübersichtlichen Situationen führte“. Das sei in der realen Welt noch zu managen, nicht aber in der virtuellen, und „dem will der Gesetzgeber mit seinem Vorstoß unter anderem Rechnung tragen“. Das Büro des CDU-Parlamentariers Sepp Müller hielt bei nur im Netz stattfindenden Hauptversammlungen hingegen „eine Flut von Fragen und auch – wie bei sozialen Medien nicht unüblich – inhaltlich inakzeptablen Einwürfen“ für denkbar, dem Vorschub geleistet werden müsse. Und dabei halfen BAYER & Co. kräftig mit. Stellungnahmen zum Gesetzes-Entwurf „werden vermutlich auch die Vorstände mancher AGs geschrieben haben“, hielt Brodesser-Mitarbeiter Carl Canzler fest. Sein Kollege aus dem Büro Müller verwies indessen etwas unkonkreter auf „externe Expertise aus allen Bereichen“, die es den Abgeordneten ermöglicht habe, „auch praktische Auswirkungen auf unterschiedliche Akteure abbilden zu können“. Auf der Hauptversammlung selber hat BAYER dann auch eine Einflussnahme über den „Bundesverband der deutschen Industrie“, den „Verband der Chemischen Industrie“ und das „Deutsche Aktieninstitut“ eingeräumt.

Forschungsförderung für BAYER & Co.

Seit Jahr und Tag fordert der BAYER-Konzern die staatliche Förderung von Forschungsaufwendungen. Nun hat die Bundesregierung die Signale erhört. Anfang 2020 trat das „Forschungszulagen-Gesetz“ in Kraft, das jährliche Subventionen in Höhe von 1,27 Milliarden Euro vorsieht. Bis zu 500.000 Euro kann ein einzelnes Unternehmen abgreifen – und im Zuge der Corona-Maßnahmen erhöhte die Große Koalition die Summe dann noch einmal auf vier Millionen. Ursprünglich sollten nur kleine und mittelgroße Firmen in den Genuss der Gelder kommen, aber Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) räumte den Weg für die Multis frei. Dem „Verband der chemischen Industrie“ (VCI) gelang es bei seiner Lobby-Arbeit für BAYER & Co. darüber hinaus sogar noch, finanzielle Unterstützung für Labor-Arbeiten herauszuschlagen, die gar nicht bei den Konzernen selber stattfinden: Auch für Auftragsforschung hält die Große Koalition Mittel bereit.

Verfassungsrichter nach BAYER-Gusto

Der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, ist ein Mann ganz nach dem Geschmack der Leverkusener. Als Anwalt und späterer Partner der Wirtschaftskanzlei SZA hat er nämlich schon zahlreiche Unternehmen wie etwa VW vor rechtlichem Unbill geschützt. Das hat bei SZA eine Tradition, die weit zurückreicht. So tüftelten die beiden Gründer Heinrich Kronstein und Wilhelm Zutt in der Weimarer Republik die rechtliche Konstruktion für die von BAYER mitgegründete IG FARBEN aus, den späteren Mörder-Konzern mit eigenem ZwangsarbeiterInnen-Lager in Auschwitz. Auch bei von BAYER gesponserten Events trat Harbarth schon auf. So hielt der Jurist im Jahr 2018 auf der „German American Conference“, zu deren Förderern außerdem noch SIEMENS und die BOSTON CONSULTION GROUP zählten, eine Rede über den Schutz der Meinungsfreiheit.

MONSANTO verstieß gegen Lobby-Regeln

Die nunmehrige BAYER-Tochter MONSANTO investierte Unsummen, um für ihr umstrittenes Pestizid Glyphosat 2017 eine erneute EU-Zulassung zu bekommen. Die von ihr zu diesem Behufe engagierte PR-Firma FLEISHMANHILLARD scheute dabei vor keinem Mittel zurück. Sie legte umfangreiche Listen von PolitikerInnen, JournalistInnen sowie Behörden-MitarbeiterInnen an und ordnete sie in Kategorien wie „Verbündeter“, „möglicher Verbündeter“, „zu erziehen“ oder „im Auge behalten“ ein (siehe SWB 3/19). Allein in Brüssel bei der EU betrieb FLEISHMANHILLARD mit rund 60 Beschäftigten Einfluss-Arbeit. Die Kosten für die von Oktober 2016 bis Dezember 2018 dauernde „Glyphosate Renewal Campaign“ hat BAYER auf 14,5 Millionen Euro beziffert. Diese Summe findet sich im Lobby-Register der EU allerdings nicht wieder (siehe Ticker 2/20). Dort gab FLEISHMANHILLARD für 2016 lediglich 0,8 Millionen Euro an und MONSANTO für den Zeitraum von September 2016 bis August 2017 bloß 1,45 Millionen Euro. „Diese Zahlen zeigen, dass die Lobby-Macht der Pestizid-Industrie viel größer ist, als offiziell verlautbart (...) Diese Diskrepanz zwischen den angegebenen Aufwendungen und den 14,5 Millionen Euro kann als ein klarer Fall von Desinformation angesehen werden“, konstatierte das CORPORATE EUROPE OBSERVATORY (CEO) und reichte eine Beschwerde ein. Daraufhin prüfte das Sekretariat des Lobby-Registers die MONSANTO-Zahlen. Dabei kam heraus, dass der Konzern nur seine Aufwendungen für das Antichambrieren in Brüssel selber aufgeführt und die Lobbying-Investitionen in den Mitgliedsländern ausgespart hatte. Damit verstieß das Unternehmen gegen die Vorschriften. Die Meldungen müssen nämlich alle Ausgaben „zum Zweck der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme auf EU-Organe, unabhängig vom Ort, an dem die Tätigkeiten ausgeführt werden“, enthalten. Eine Strafe will die Europäische Union trotzdem nicht verhängen, sie kündigte lediglich an, die Regeln klarer fassen zu wollen.

Konzerne schreiben neues EEG-Gesetz

Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage ist für die Förderung alternativer Energien bestimmt. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu fiktiven Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen nun verklagt. Der Leverkusener Multi hingegen ist sich keiner Schuld bewusst und beteuert, sich immer an geltendes Recht gehalten zu haben. Betrugsvorwürfe wies BAYER-Chef Werner Baumann auf der Hauptversammlung des Konzerns am 28. April 2020 „entschieden“ zurück. Damit nicht genug, gehen die Firmen in die Offensive. Wie wiederum der Spiegel berichtete, möchten sie eine Gesetzes-Änderung erreichen, die sie vor Strafzahlungen schützt. Dazu haben BAYER & Co. dem Wirtschaftsministerium schon einmal frei Haus die passende Vorlage geliefert und eine „Novellierung Paragraf 104 Absatz 4 Erneuerbare Energien Gesetz (EEG)“ verfasst. Zudem trafen sich AnwältInnen und andere VertreterInnen der Firmen sowie EmissärInnen des „Verbandes der chemischen Industrie“ und anderer Organisationen in der Causa bereits mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Und nach dem Gespräch zeigte sich ein Konzern-Jurist auch hoffnungsfroh, dass „Missverständnisse“ über das Eigenstrom-Privileg bald „zielführend ausgeräumt“ werden.

Baumann kritisiert „Green Deal“

Im Mai 2020 hat die Europäische Union zwei wesentliche Elemente ihres „Green Deals“ vorgestellt: die Biodiversitätsstrategie und die Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“. Letztere gibt nach Ansicht der EU „eine umfassende Antwort auf die Herausforderungen nachhaltiger Lebensmittel-Systeme und erkennt an, dass gesunde Menschen, gesunde Gesellschaften und ein gesunder Planet untrennbar miteinander verbunden sind“. Auf der Agenda steht unter anderem eine Verringerung des Pestizid-Einsatzes bis 2030 um 50 Prozent. Das passt BAYER-Chef Werner Baumann gar nicht. „Es wäre illusorisch zu glauben, wir könnten ohne Pflanzenschutzmittel die bald acht Milliarden Menschen auf der Erde ernähren, die Biodiversität schützen und zugleich keine weiteren Flächen für die Landwirtschaft erschließen“, sagte er in einem Interview mit der FAZ. Ähnlich argumentiert der Konzern seit Jahren. Die Initiative OXFAM spricht in diesem Zusammenhang vom „Welternährungsmythos“. Sie hält die Zahlen, mit denen BAYER & Co. die Notwendigkeit einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion (und damit des Gebrauchs der Ackergifte) begründen, für nicht belastbar. In diese fließt nämlich nicht nur der mutmaßliche Bedarf an Lebensmitteln, sondern auch derjenige an Futtermitteln und Agrar-Rohstoffen zum industriellen Gebrauch ein. Auch zweifelt OXFAM den Zusammenhang zwischen der Menge an vorhandenen Nahrungsgütern und dem Hunger an. „Er suggeriert, dass eine höhere Produktion weniger Hunger bedeutet. Menschen hungern jedoch, weil sie extrem arm sind und sich keine Lebensmittel leisten können“, konstatiert die Organisation. Ihr schlichtes Fazit lautet: „Jenen, die den Welternährungsmythos bemühen, geht es in erster Linie um die Profite von Agrar-Konzernen und weniger um bessere Bedingungen für Hungerleidende.“

„Green Deal“: Klöckner reserviert

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zeigt sich wenig begeistert von der Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“, welche die Europäische Union am 20. Mai 2020 als „Kernstück“ ihres „Green Deals“ vorstellte. Diese sieht nämlich unter anderem eine Reduzierung des Pestizid-Einsatzes um 50 Prozent bis 2030 vor. „Die Vorschläge sind sehr ambitioniert“, konstatierte die CDU-Politikerin und führte weiter – ganz im Sinne von BAYER-Chef Werner Baumann (s. o.) – aus: „Die ausreichende Verfügbarkeit unserer Grundnahrungsmittel und die Ernährungssicherung der EU und global müssen stets im Vordergrund stehen. Und das wird immer Umwelt-Einflüsse haben.“ Klöckner bezeichnete die 24 Seiten lediglich als „Diskussionsgrundlage“ und stimmte schon einmal auf Kontroversen ein. Vielsagend wies sie in ihrer Presseerklärung darauf hin, dass der EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bei der Präsentation der „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie fehlte.

BfR unter Einfluss

Das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) fällt immer wieder durch Entscheidungen im Sinne der Konzerne auf. So stellte es dem von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften BAYER-Pestizid Glyphosat im Rahmen der EU-Entscheidung über die Zulassungsverlängerung eine aus Industrie-Unterlagen zusammengeklaubte Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Das wundert allerdings nicht weiter, denn das Bundesinstitut steht unter Einfluss. So sitzt in der „BfR-Kommission für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände“ neben VertreterInnen von BASF auch der BAYER-Manager Dr. Frank Pierre Laporte.

PROPAGANDA & MEDIEN

VCI macht Schule

BAYER & Co. drängen mit aller Macht in die Schulen, um Einfluss auf die Lehrpläne zu nehmen und ForscherInnen-Nachwuchs zu rekrutieren. Nach einer Studie der „Otto Brenner Stiftung“ haben sie bereits rund 800.000 – natürlich kostenlose – Lehrmaterialien erstellt, die noch nicht einmal die bei normalen Schulbüchern üblichen pädagogischen Eignungstests durchlaufen müssen, ehe sie in den Klassenzimmern landen. Ganz vorne mit dabei: der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI). Mit einem Etat von ca. zwölf Millionen Euro gedenkt er im Jahr 2020 die Schullandschaft zu pflegen. Dabei reicht das Programm von „Finanzmitteln für Experimente über kostenfreie Unterrichtsmaterialien bis hin zu Angeboten für die Lehreraus- und -fortbildung“.

EU ermöglicht Gift-Importe

Die Europäische Union hatte sich vorgenommen, konsequent zu sein und Rückstände von Pestiziden, die sie wegen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkungen verboten hat, auch nicht mehr in Lebensmittel-Importen zu dulden (siehe auch SWB 3/20). Das wussten BAYER & Co. allerdings zu verhindern. Immer wieder trafen EmissärInnen des Leverkusener Multis mit EU-KommissarInnen und/oder deren Kabinettsmitgliedern zusammen, um die Pläne zu vereiteln. So präsentierte der Konzern der Generaldirektion Handel etwa einen Report, der vor großen finanziellen Einschnitten durch die avisierten EU-Maßnahmen warnte. Und der beharrliche Lobby-Einsatz zahlte sich am Ende aus. Die Wünsche der Unternehmen fanden Eingang in die neue EU-Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“. In dem entsprechenden Passus heißt es, Brüssel gewähre „Einfuhr-Toleranzen für Pestizid-Wirkstoffe, die in der EU nicht mehr genehmigt sind“. „Das ist ein Offenbarungseid. Die EU-Kommission räumt den Konzern-Interessen den Vorrang vor der menschlichen Gesundheit ein“, konstatierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in ihrer Presseerklärung.

DRUGS & PILLS

EMA überprüfte CIPROBAY

Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen auslösen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hinaus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerungen, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachten die MedizinerInnen schon. Da sich in letzter Zeit zudem Meldungen über Schädigungen der Herzklappen durch die Mittel häuften, leitete die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ (EMA) ein Prüfverfahren ein. Dieses bestätigte den Verdacht jedoch nicht. Darum müssen BAYER & Co. die Warnhinweise auf den Beipackzetteln nicht ändern.

Gefährliche Hormonersatz-Therapie

BAYER & Co. ist es gelungen, die Wechseljahre zu einer Krankheit zu erklären, bei der nur eins hilft: die Hormonersatz-Therapie. Was die Konzerne „Menopausen-Management“ nennen, bezeichnen KritikerInnen als „die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen“. Und diese setzt die Patientinnen erheblichen Gesundheitsgefahren aus. Da neue Studien das Brustkrebs-Risiko von Hormonersatz-Therapien zu bestätigen schienen, hatte die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ (EMA) ein Prüfverfahren eingeleitet. Erhöhten Handlungsbedarf sah die EMA nach Vorlage des Berichts jedoch nicht. „Zurzeit keine weiteren Maßnahmen“, verkündete sie.

Mehr Umsatz mit YASMIN & Co.

Verhütungsmittel der dritten und vierten Generation wie die Präparate aus BAYERs YASMIN-Produktreihe stehen seit Jahren wegen des erhöhten Thrombose-Risikos, das von ihnen ausgeht, in der Kritik. Während sich unter YASMIN, YAZ, YASMINELLE & Co. bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen ein Blutgerinnsel bildet, kommt es bei älteren Arzneien mit den Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nur bei 5 bis 7 von 10.000 Frauen dazu. Die Geschäfte des Pharma-Riesen beeinträchtigt das jedoch nicht. Im Geschäftsjahr 2019 stieg sein Umsatz mit diesen Medikamenten gegenüber 2018 um 42 Millionen auf 681 Millionen Euro.

Neue Arznei gegen Prostata-Krebs

BAYER hat gemeinsam mit dem finnischen Unternehmen ORION ein Medikament zur Behandlung von Prostata-Krebs entwickelt. Das Präparat NUBEQA mit dem Wirkstoff Darolutamid ist dabei auf solche Patienten zugeschnitten, die zwar noch keine Metastasen haben, aber erhöhte, nicht auf eine Therapie mit Testosteron-Blockern reagierende PSA-Werte. Bei dieser Gruppe von Kranken stört das Darolutamid angeblich die Arbeit des Androgen-Rezeptors und hemmt so die Bildung von Testosteron, welches das Tumor-Wachstum befördert.

PCOS-Kooperation mit EVOTEC

BAYER hat mit dem Hamburger Biotech-Unternehmen EVOTEC eine Kooperation auf dem Gebiet der Frauen-Heilkunde vereinbart. Die Firma will für den Leverkusener Multi eine Arznei zur Therapie des polyzystischen Ovarial-Syndroms (PCOS) entwickeln. Bei dieser Gesundheitsstörung handelt es sich um eine Erkrankung des Eierstocks, bei der Zysten-Bildungen den Ei-Sprung und so auch mögliche Schwangerschaften verhindern. Daneben forscht EVOTEC für den Global Player noch an Präparaten gegen Gebärmutterschleimhaut-Wucherungen, Husten und Nierenschäden. Die engen Verbindungen zum Pillen-Riesen kommen dabei nicht von ungefähr. Das ehemalige BAYER-Vorstands- und jetzige Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Plischke steht nämlich dem EVOTEC-Aufsichtsrat vor.

Galileo-Studie: Keine Aufklärung

BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO hat viele Risiken und Nebenwirkungen. So kann er beispielsweise schwere Blutungen verursachen, die allzu oft tödlich enden. Trotzdem versucht der Leverkusener Multi unermüdlich, neue Anwendungsfelder für sein Präparat zu finden. Nicht einmal dramatische Zwischenfälle bei den entsprechenden klinischen Prüfungen halten ihn davon ab. So musste der Pharma-Riese im Oktober 2018 die Galileo-Studie abbrechen, weil die Erprobung des Mittels an PatientInnen, die gerade eine künstliche Herzklappe bekommen hatten, gehäuft zu Todesfällen führte (Ticker 1/19). Anfang 2020 publizierten der Konzern und sein US-amerikanischer Vertriebspartner JANSSEN einen Aufsatz über den Arznei-Test in einer Fachzeitschrift. Aber Aufschluss über die hohe Sterberate konnten die beiden Unternehmen nicht geben. „Wir verstehen die Ergebnisse nicht ganz“, gab James List von JANSSEN anlässlich der Veröffentlichung zu Protokoll, vergaß dabei aber nicht, XARELTO eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen. „Da die TeilnehmerInnen am GALILEO-Test sich grundlegend von denen der anderen XARELTO-Tests unterscheiden, bleibt das Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil von XARELTO bei den acht von der FDA (US-amerikanische Gesundheitsbehörde, Anm. Ticker) genehmigten Indikationen positiv“, so der Pharma-Manager.

Zahlreiche XARELTO-Nebenwirkungen

BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO löst immer wieder schwere Gesundheitsstörungen aus. 113.707 Meldungen über gravierende Nebenwirkungen gingen bis zum 30. Mai 2020 bei der Europäischen Datenbank für unerwünschte Arzneimittel-Effekte ein.

XARELTO für junge Erwachsene

Bald läuft das Patent für BAYERs umsatzstärkstes Pharmazeutikum, dem mit vielen Risiken und Nebenwirkungen behafteten Gerinnungshemmer XARELTO, aus. Darum versucht der Konzern fieberhaft, seinem Top-Seller mit dem Wirkstoff Rivaroxaban neue Anwendungsgebiete zu erschließen. So beantragte der Pharma-Riese jetzt in Aussicht auf eine sechsmonatige Patent-Verlängerung eine EU-weite XARELTO-Zulassung zur Behandlung von jungen Thromboembolie-PatientInnen bis 17 Jahre. Dabei ist die Fakten-Lage dünn. Am entsprechenden klinischen Test nahmen nur 500 Kinder und Jugendliche teil. Zudem handelte es sich nicht um eine Doppelblind-Studie. Auch das Ergebnis spricht nicht gerade für das Präparat. Unter dem BAYER-Mittel bekamen 1,2 Prozent der TeilnehmerInnen eine Thromboembolie, unter der Standard-Medikation Heparin mit drei Prozent nicht viel mehr. Zudem traten in der XARELTO-Gruppe mehr Blutungen auf (drei Prozent gegenüber 1,9). Diese seien aber weniger schwer verlaufen, versucht der Leverkusener Multi zu relativieren.

Neue XARELTO-Zulassung

Der BAYER-Konzern hat seinem umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO in den Vereinigten Staaten ein neues – das bisher achte – Anwendungsgebiet erschlossen. Die US-Gesundheitsbehörde FDA erteilte dem Präparat eine Zulassung zur präventiven Behandlung von solchen PatientInnen mit Thromboembolie-Risiko, die wegen akuter internistischer Gesundheitsstörungen wie etwa Schlaganfällen, Infektionskrankheiten oder Herzinsuffienz in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssen.

GLYPHOSAT & CO.

Größeres Krebs-Risiko durch Dicamba

Der von BAYER und anderen Agro-Konzernen vermarktete Pestizid-Wirkstoff Dicamba lässt für LandwirtInnen die Wahrscheinlichkeit steigen, an Leber- und Gallenwegkrebs zu erkranken. Bei FarmerInnen, welche die Substanz intensiv nutzen, stieg das Risiko gegenüber solchen, welche den Stoff nicht einsetzen, um den Faktor 1.8. Die Leukämie-Gefahr nahm ebenfalls zu. Das ergab eine Untersuchung der US-amerikanischen „National Institutes of Health“ (NIH) auf der Basis eines rund 50.000 Bauern und Bäuerinnen umfassenden Daten-Satzes der „Agricultural Health Study“. Auch 20 Jahre nach der Erst-Exposition blieb die erhöhte Gefährdung noch bestehen. Nach dem Fall „Glyphosat“ droht BAYER nun also auch ein Fall „Dicamba“. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte die Bundesregierung in einer Presseerklärung auf, die neuen Erkenntnisse bei den Entscheidungen über Zulassungsverlängerung für dicamba-haltige Produkte zu berücksichtigen. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, hielt die CBG fest.

Notfall-Zulassungen in Deutschland

„Wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist, kann das ‚Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit’ kurzfristig das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung und für maximal 120 Tage zulassen“, heißt es auf der Webpage der Behörde. Und das tut diese immer häufiger. Schon 60 Notfall-Zulassungen gewährte das BVL im laufenden Jahr. Zumeist handelt es sich dabei um die Erlaubnis, die Pestizide in weiteren Kulturen gegen Schadinsekten oder Wildpflanzen nutzen zu können. So verhielt es sich auch bei dem BAYER-Insektizid MOVENTO SC 100. Gleich vier Mal genehmigte das Bundesamt eine Ausweitung der Anwendungszone. So dürfen die bundesdeutschen LandwirtInnen das Mittel mit dem Wirkstoff Spirotetramat zusätzlich gegen die Maulbeer-Schildlaus, die Rote Austern-Schildlaus, den Gemeinen Birnenblatt-Sauger, die Hopfen-Blattlaus, die Apfel-Blutlaus, die Reben-Schildlaus und zahlreiche weitere Tiere einsetzen.

Notfall-Zulassungen in der EU

Nicht nur Deutschland erteilt Notfall-Genehmigungen für Pestizide (s. o.), auch andere europäische Länder tun das. Dabei schrecken einige Staaten nicht einmal davor zurück, bereits auf den Index gesetzte Agro-Chemikalien wie etwa BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO aus der Gruppe der Neonicotinoide kurzzeitig wieder zuzulassen. Finnische, belgische und spanische LandwirtInnen können das Mittel, das die Europäische Union wegen seiner Bienengefährlichkeit im Jahr 2018 aus dem Verkehr gezogen hatte, in diesem Jahr wieder nutzen. Nur in Einzelfällen interveniert die EU. So untersagte sie im Februar 2020 Rumänien und Litauen, die Neonicotinoide wieder aus dem Giftschrank zu holen. Daneben durften sich noch einige Produkte des Leverkusener Multis über eine Ausweitung der Anwendungszone auf bisher verbotene Früchte freuen, so SIVANTO mit dem Wirkstoff Flupyradifuron und RONSTAR (Oxadiazon) in Griechenland, MOVENTO 48 C (Spirotetramat) in Italien und CONVISO ONE (Foramsulfuron und Thiencarbazone-methyl) in der Slowakei. Die einzelnen EU-Mitgliedsländer nutzen das Instrument der Notfall-Zulassungen in unterschiedlichem Maß. Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, strebt die Europäische Union nun eine Harmonisierung der Praxis an. Geschehen ist allerdings bisher noch nichts.

Artensterben durch PONCHO

Die EU hat Pestizid-Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonicotinoide im Jahr 2018 wegen ihrer bienenschädlichen Effekte verboten. In den meisten anderen Ländern der Welt dürfen sich Produkte wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel PONCHO (Wirkstoff: Clothianidin) jedoch weiterhin auf den Feldern tummeln und dort ihr Gefährdungspotenzial entfalten. Und dieses beschränkt sich bei Weitem nicht nur auf Bienen. So haben PONCHO & Co. einen fatalen Effekt auf das Ökosystem „Reisfeld“, wie eine Studie des japanischen Wissenschaftlers Masumi Yamamuro ergab. Die von den Reisbauern und -bäuerinnen eingesetzten Neonicotinoide lösen nämlich eine ganze Ketten-Reaktion aus. Die Mittel töten Libellen ab, die vielen Fischen als Nahrung dienen. Darum ging der Stint-Bestand drastisch zurück, und viele FischerInnen mussten ihren Beruf aufgeben. Der Leverkusener Multi aber bestreitet den Befund und zieht Methodik und Daten-Interpretation Yamamuros in Zweifel. „Es gibt keinen Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Rückgang von Insekten-Populationen und dem Gebrauch von Neonicotinoiden in der Landwirtschaft“, erklärte der Konzern.

PFLANZEN & SAATEN

Pilot-Projekt „Kurzhalm-Mais“

BAYER führt in Mexiko ein Pilot-Projekt mit Kurzhalm-Mais durch. Dem Konzern zufolge erweist sich die gestutzte Pflanze Wetter-Einflüssen gegenüber als stabiler. Zudem braucht die hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete Sorte mit dem Produkt-Namen VITALA weniger Wasser. Auch kommt sie angeblich mit weniger Pestiziden aus, die überdies nicht mehr von der Luft aus versprüht werden müssen. Auf der letzten Hauptversammlung Ende April 2020 gab sich BAYER-Chef Werner Baumann hoffnungsvoll, „dass diese Innovation den Mais-Anbau, und damit den Anbau einer der wichtigsten Kultur-Pflanzen überhaupt, revolutionieren kann.“

GENE & KLONE

Schweine als Ersatzteillager

BAYER setzt sowohl im Pharma- als auch im Agro-Bereich stark auf die „Gentechnik 2.0“, also zum Beispiel auf Gen-Scheren wie CRISPR-Cas9, die das Erbgut angeblich genau an einer vorgegebenen Stelle auftrennen können, um es dann „umzuschreiben“ oder neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einzufügen. Diverse Kooperationsabkommen in Sachen „Genome Editing“ hat der Leverkusener Multi bereits geschlossen. Und Anfang November 2019 investierte er 50 Millionen Dollar in das Start-up eGENESIS. Dieses nimmt sich vor, Schweine als Ersatzteillager für Menschen zu nutzen und in den Tieren Organe für Transplantationen zu züchten. Bisher galten derartige Unterfangen – von moralischen Bedenken ganz abgesehen – als extrem risiko-reich. Im Organismus von Schweinen tummeln sich nämlich viele Viren, sogenannte PERVs (porcine endogenous retrovirus), die das Potenzial haben, gefährliche Krankheiten auszulösen. Die 2009 ausgebrochene Schweinegrippe etwa kostete hunderttausende Menschen das Leben. Aber die eGENESIS-FoscherInnen wollen die PERVs im Erbgut der Tiere einfach mit einer Genschere herausschneiden und damit die Gefahr bannen. „Unser Team wird den PERV-freien Schweinestamm weiterentwickeln, für eine sichere und wirksame Xeno-Transplantation“, so eGENESIS-Mitgründerin Luthan Yang über das Projekt „pig3.0“. Von einer „Sprung-Innovation“ spricht BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich deshalb. Und sein Kollege Dr. Jürgen Eckhardt sekundiert: „Wir glauben, dass eGENESIS den gesamten Markt für Organ-Transplantationen revolutionieren kann.“ Frühere Versuche des Leverkusener Multis, Tiere in Wert zu setzen, erwiesen sich nicht als erfolgreich. Das Klon-Schaf „Dolly“ der schottischen Biotech-Firma PPL THERAPEUTICS, an welcher BAYER einst 8,5 Prozent der Anteile hielt, verstarb vorzeitig. Zudem verweigerten die Tiere auch dem „Gene Pharming“ den Gehorsam. Das vollmundig als „Doing drugs the milky way” angekündigte PPL-Vorhaben, in Euter ein menschliches Gen einzuschleusen und aus ihnen so Reaktoren zur Herstellung eines Wirkstoffes zur Behandlung von Lungenkrankheiten zu machen, scheiterte.

Neue Zulassung, alte Standards

Seit Ende 2013 gelten in der Europäischen Union strengere Standards bei den Import-Genehmigungen für Gen-Pflanzen. Wenn es bloß um die Verlängerungen der Einfuhr-Erlaubnisse geht, will Brüssel diese Maßstäbe jedoch nicht in Anschlag bringen. So erhielt der BAYER-Konzern im Dezember 2019 eine erneute Zulassung für zwei Soja-Arten, obwohl keine bzw. nur mangelhafte Fütterungsstudien vorlagen und die Feldversuche sich nicht an den tatsächlichen Anbau-Bedingungen orientierten. Konkret handelte es sich dabei um das glyphosat-resistente Produkt MON89788 und um die Laborfrucht A2704-12, die immun gegen das jetzt von der BASF vermarktete und in der EU wegen seiner Gesundheitsschädlichkeit nicht mehr zugelassene Pestizid Glufosinat ist. Die Initiative TESTBIOTECH kritisiert die Entscheidung. Nach Ansicht der Organisation bestehen nämlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beschlusses. Sie verweist dabei auf eine EU-Verordnung, in der heißt: „Damit sichergestellt ist, dass Anträge auf Zulassungsverlängerungen in Bezug auf die Prüfverfahren denselben Standards entsprechen, sollten diese Anforderungen auch für Anträge auf Verlängerung der Zulassung von GV-Lebens- und Futtermitteln gelten (GV = gentechnisch verändert, Anm. Ticker)“. Hätte die bisherige Praxis aber trotzdem weiter Bestand, „gäbe es in der EU doppelte Sicherheitsstandards für transgene Pflanzen“, warnt TESTBIOTECH.

WASSER, BODEN & LUFT

CO2-Ausstoß steigt

Der BAYER-Konzern hat erstmals seit vielen Jahren wieder einen separaten Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt. Er hat seine Umweltberichterstattung also nicht reduziert, wie irrtümlicherweise im Ticker 2/20 berichtet. Nur leider gibt es in der Sache selbst kaum Positiveres zu melden, was das Unternehmen hauptsächlich dem „akquirierten Agrar-Geschäft“, also dem MONSANTO-Deal, zuschreibt. So stiegen die Kohlendioxid-Emissionen im Geschäftsjahr 2019 um 830.000 Tonnen auf 3,71 Millionen Tonnen. Ein Großteil dieses Zuwachses ist auf die extrem energie-intensive Glyphosat-Produktion am Standort Soda Springs zurückzuführen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert hier bereits seit Langem Maßnahmen ein, bisher blieb der Global Player allerdings untätig.

BAYER verbraucht mehr Strom

Der im Geschäftsjahr 2019 erstmals vollständig in BAYERs Energie-Bilanz einfließende Strom-Verbrauch des zugekauften MONSANTO-Geschäfts sorgt für eine massive Erhöhung der Zahlen. Der Energie-Einsatz des Konzerns erhöhte sich von 29.903 Terrajoule auf 38.744 Terrajoule.

Mehr Kohle im Strom-Mix

Der BAYER-Konzern verbrauchte im Geschäftsjahr 2019 nicht nur mehr Energie (s. o.), diese kam, was den selbst erzeugten Strom angeht (für den zugekauften Strom macht das Unternehmen keine detaillierteren Angaben), im Vorgleich zum Vorjahr teilweise auch aus schmutzigeren Quellen. So erhöhte sich der Kohle-Anteil am Energie-Mix von 2,38 Prozent auf 13,5 Prozent. Für Flüssigbrennstoffe sanken die Werte hingegen. Sie reduzierten sich von 23,11 Prozent auf 13,44 Prozent. Hauptenergie-Lieferant für den Leverkusener Multi ist mit 66,86 Prozent Erdgas.

Mehr ozon-abbauende Substanzen

Im Geschäftsjahr 2019 haben die BAYER-Werke mehr ozon-abbauende Substanzen ausgestoßen. Der Wert für die „Ozone Depleting Substances“ (ODS) stieg von 9,3 auf 17,8 Tonnen. Und diesmal ist daran nicht MONSANTO schuld. Die Uralt-Dreckschleudern des Konzerns im indischen Vapi sorgten für den Großteil des Zuwachses. An diesem Standort hatte das Unternehmen zwar jahrelang Modernisierungsarbeiten durchgeführt, aber ausgezahlt hat sich das Ganze offenbar nicht.

Mehr flüchtige Substanzen

2019 hat BAYER mehr flüchtige Substanzen in die Luft emittiert als 2018. Von 1.360 Tonnen auf 1.610 Tonnen erhöhte sich der Wert.

Weniger Kohlenmonoxid-Emissionen

Der Kohlenmonoxid-Ausstoß von BAYER ging 2019 gegenüber dem Vorjahr von 3.990 Tonnen auf 3.300 Tonnen zurück.

Mehr Stickstoff-Emissionen

2019 hat der BAYER-Konzern mehr Stickstoff in die Luft emittiert als 2018. Der Wert erhöhte sich von 3.260 auf 4.700 Tonnen.

Mehr Schwefeloxid-Emissionen

2019 hat der BAYER-Konzern mehr Schwefeloxid in die Luft emittiert als 2018. Der Wert erhöhte sich von 730 Tonnen auf 2.310 Tonnen.

Weniger Staub-Emissionen

BAYERs Staub-Emissionen sanken im Geschäftsjahr 2019 gegenüber 2018 von 2.350 Tonnen auf 1.580 Tonnen.

Höhere Abwasser-Frachten

Im Geschäftsjahr 2019 stieg BAYERs Wasserverbrauch gegenüber 2018 von 42 Millionen Kubikmeter auf 59 Millionen Kubikmeter und dementsprechend auch das Abwasser-Aufkommen. Die Gesamtmenge wuchs um 42,1 Prozent auf 26 Millionen Kubikmeter.

Mehr Einleitungen in Gewässer

Im Geschäftsjahr 2019 leitete der BAYER-Konzern mehr schädliche Stoffe in die Gewässer ein als 2018. „2019 stiegen alle Emissionen in das Wasser. Dies ist insbesondere auf die ganzjährige Einbeziehung der Standorte des akquirierten Agrar-Geschäftes zurückzuführen“, heißt es dazu im Nachhaltigkeitsbericht. Die Phosphor-Werte stiegen von 180 auf 510 Tonnen, die Stickstoff-Werte von 390 auf 420 Tonnen, die Schwermetall-Werte von 2,4 auf 2,6 Tonnen, die für organisch gebundenen Kohlenstoff von 600 auf 980 Tonnen und diejenigen für anorganische Salze von 97.000 auf 167.000 Tonnen.

Viele Pestizide in NRW-Gewässern

Die Gewässer in Nordrhein-Westfalen sind stark mit Agro-Chemikalien belastet, wie eine Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen an die CDU/FDP-Landesregierung ergab. Demnach weisen von 351 untersuchten Fluss-Abschnitten des Rheins 207 Pestizid-Rückstände über dem Beurteilungswert auf, der für die WissenschaftlerInnen den Übergang von einem guten in einen mäßigen Zustand markiert. Für die Ems traf dies auf 58 von 59 Bereichen zu, für die Maas auf 47 von 68 und für die Weser auf 65 von 82.

Dormagen: Ein bisschen Umweltschutz

Der BAYER-Konzern baut seine Dormagener Fertigungsanlage zur Herstellung der beiden Fungizide ASCRA XPRO (Wirkstoffe: Bixafen, Prothioconazol, Fluopyram) und ANTRACOL (Wirkstoff: Propineb) nicht nur aus (siehe STANDORTE & PRODUKTION), sondern aus Umweltschutz-Gründen zudem ein wenig um. Das erscheint angesichts der verheerenden Öko-Bilanz des Unternehmens (s. o.) auch dringend geboten. So kündigte die Firma Investitionen in eine leistungstärkere Aufbereitung von Abgasen und Abwässern an. Unter anderem will sie das bei der Prothioconazol-Produktion anfallende Eisen(II)-Clorid zu Eisen(III)-Clorid aufbereiten und wieder in den Herstellungsprozess leiten. Nach Angaben der „Deutschen Energie-Agentur“ sorgt das für eine Reduzierung der Abfall-Ströme um 95 Prozent. Überdies kann der Leverkusener Multi auf diese Art nicht nur den Rohstoff-, sondern auch den Energie-Verbrauch drosseln, was die Kohlendioxid-Emissionen der Fertigungsstätte um rund 9.000 Tonnen pro Jahr reduziert.

PolitikerInnen wollen Geld von BAYER

Die Gewässer Deutschlands sind nicht nur stark mit Pestiziden belastet (s. o.), sondern auch mit Arznei-Rückständen. Den Wasserwerken verursacht das enorme Zusatzkosten bei der Trinkwasser-Aufbereitung. Darum fordern die verantwortlichen PolitikerInnen eine Beteiligung von BAYER & Co. an den Mehraufwendungen. „Nach Auffassung der Umweltministerinnen und -minister sowie der -senatorinnen und -senatoren der Länder gibt es klare Adressaten für eine verursacher-gerechte Kostentragung, da es nur eine geringe Anzahl von Herstellern und Inverkehrbringern von Pflanzenschutzmitteln bzw. von unter Gewässerschutz-Aspekten problematischen Medikamenten gibt“, so die nordrhein-westfälische Landesregierung in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Dementsprechend haben die Bundesländer die Bundesregierung gebeten, „Regelungsperspektiven aufzuzeigen und mögliche nationale und europäische Instrumente zu prüfen“.

Runder Tisch zu Röntgen-Kontrastmitteln

BAYERs Röntgen-Kontrastmittel haben es in sich. Bei deren Inhaltsstoffen handelt es sich nämlich um Abkömmlinge des Schwermetalls Gadolinium. GADOVIST enthält Gadobutrol, PRIMOVIST Gadoxet-Säure und MAGNEVIST Gadopentent-Säure. Diese Substanzen können zahllose Gesundheitsschäden verursachen wie z. B. Herzrhythmus-Störungen, Muskel-Zuckungen, Blutdruck-Schwankungen, Leber-Erkrankungen und Fibrose, ein unkontrolliertes Wachstum des Bindegewebes. Noch dazu zählen die Präparate zu den Arzneimitteln, welche die Gewässer am stärksten belasten. Und auch das liegt an den Schwermetallen, denn diese bauen sich biologisch nur sehr langsam ab. Darum gibt es bereits ein Forschungsprojekt, das bei Röntgen-PatientInnen den Einsatz von Urin-Beuteln testet, um GADOVIST & Co. in den Sondermüll statt in die Kanalisation gelangen zu lassen. Daneben hat die Bundesregierung ein ExpertInnen-Gremium ins Leben gerufen, das die Aufgabe hat, Vorschläge zur Verminderung der Stoff-Einträge von Röntgen-Kontrastmitteln, anderen Medikamenten und Pestiziden zu erarbeiten.

Pilotanlage eliminiert kaum PCB

Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie (SWB 1/14). Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheitsrisiko dar. Von den 1985 in der Bundesrepublik verkauften 72.000 Tonnen landete mehr als ein Sechstel im Bergbau, wo die schweren Gerätschaften viel Hydraulik-Öl zum Schmieren brauchten. „Wir sind mit dem Zeug umgegangen, als wäre es Milch“, zitiert der Spiegel einen Bergmann. Dementsprechend leiden viele seiner KollegInnen heute an den Spätfolgen und zeigen Vergiftungssymptome wie Haut-, Nieren- und Leberschäden. Die Altlasten lagern in Fässern und anderen Behältern, die nicht selten Leckagen aufweisen. Um das PCB nicht in das Grundwasser und die Flüsse gelangen zu lassen, muss der Bergbau-Konzern RAG das Grubenwasser über ein bestimmtes Niveau pumpen. Die kontaminierte Fracht leitet er dann in die Gewässer ein. Das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz entnahm unter anderem an den Bergwerken in Bottrup, Bergkamen und Essen Proben und wies PCB-Belastungen nach, die an manchen Stellen um das Dreifache über den Grenzwerten lagen. Darum hat die RAG jüngst an den Einleitungsstellen „Bergwerke Ost“ und „Ibbenbüren“ Pilotanlagen zum Herausfiltern des PCB aus dem Grubenwasser erprobt. Die Ergebnisse ließen allerdings zu wünschen übrig. Es gelang nur, 30 bis 40 Prozent der Polychlorierte Biphenyle zu eliminieren. Jetzt empfiehlt eine ExpertInnen-Gruppe unter anderem, „zu gegebener Zeit alternative Aufbereitungsverfahren an anderen Einleitungsstellen mit vorhandener Fracht zu testen“.

RAG will fluten

In Nordrhein-Westfalen muss der RAG-Konzern aus seinen stillgelegten Bergwerken das Grubenwasser vollständig abpumpen, um die darin enthaltenen Giftstoffe wie z. B. Polychlorierte Biphenyle – oftmals made by BAYER (s. o.) – nicht ins Grundwasser gelangen zu lassen. Zudem kann so Erd-Erschütterungen vorgebeugt werden. Im Saarland besteht keine Pflicht zu diesen Arbeiten, weil die geographische Lage eine andere ist. Das wollte das Unternehmen ausnutzen und viele Pumpen abstellen. Dagegen klagte jedoch die Gemeinde Nalbach, zu welcher der ehemalige Schacht Primsmulde gehört. Sie erhielt Ende 2019 auch Recht zugesprochen, aber die RAG legte Beschwerde gegen das Urteil ein. Jetzt liegt die Angelegenheit dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zur Entscheidung vor.

Das Rheinbrücken-Fiasko

Durch nichts ließen sich die nordrhein-westfälischen PolitikerIn-nen von CDU, SPD und FDP davon abhalten, Leverkusens marode Rheinbrücke durch einen Neubau zu ersetzen und im Zuge dessen auch die Autobahn A1 auf zwölf Spuren auszubauen, obwohl sie dazu Hand an BAYERs Dhünnaue-Altlast legen mussten. Vergeblich warnten UmweltschützerInnen vor Stoff-Austritten aus der stillgelegten Giftmüll-Deponie und vor Baugrund-Absenkungen durch die fortwährende Zersetzung der organischen Substanzen. Der rot-grünen NRW-Landesregierung unter Hannelore Kraft konnte es gar nicht schnell genug gehen. Der damalige Bau-Minister Michael Groschek (SPD) brachte sogar eine „Lex Leverkusen“ auf den Weg, um Klage-Möglichkeiten gegen das Vorhaben einzuschränken und so die Umsetzung zu beschleunigen. Aus dem gleichen Grund verzichtete er bei der Ausschreibung auf ein Verhandlungsverfahren. Damit vergab sich das Land die Möglichkeit, dem ausgewählten Unternehmen genauere Bedingungen, z. B. zu den Qualitätsstandards, zu stellen. Nur billig sollte alles sein. Und genau das fällt der Politik jetzt auf die Füße. Auf den Stahl, den der General-Unternehmer PORR für die Brücken-Konstruktion von einem chinesischen Subkontraktor bezog, konnte nämlich niemand bauen. 250 bis 600 Mängel pro Bauteil entdeckte der Landesbetrieb „Straßen.NRW“. Nach langem Hin und Her zog die schwarz-gelbe Landesregierung dann die Reißleine. Sie kündigte den Vertrag mit PORR und schrieb die Arbeiten neu aus. Dadurch kommt es nicht nur zu großen Verzögerungen, sondern auch zu erheblichen Kosten-Steigerungen zu Lasten der SteuerzahlerInnen. Für eine Realisierung von Alternativen beim Neustart wie etwa der Tunnel-Lösung, welche die Dhünnaue unangetastet ließe, ist es nach Meinung vieler UmweltschützerInnen allerdings zu spät.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Der Untergang der „Grande America“

Nicht weniger als 25 Transport-Unfälle mit zum Teil als Gefahrgut deklarierter Ladung verzeichnet BAYERs Nachhaltigkeitsbericht für 2019. Der fatalste ereignete sich am 12. März des Jahres. Da geriet das Container-Schiff „Grande America“ rund 330 Kilometer vor der französischen Westküste in Brand und sank. Es bildete sich ein zehn Quadratkilometer großer Ölteppich, der mehr als 250 Vögel das Leben kostete. Neben 2.100 Autos, 62 Tonnen Kunstharz, 16 Tonnen Terpentin-Ersatz und 720 Tonnen Salzsäure befanden sich auch 25 Tonnen BAYER-Fungizide an Bord. Ob die Behälter ausliefen oder mehr oder weniger friedlich auf dem Mee

[Brüning] Die Totengräber der Demokratie

CBG Redaktion

Die Politik der IG FARBEN in der Weimarer Republik

Vor 100 Jahren, am 30. März 1930, übernahm Heinrich Brüning die Regierungsgeschäfte der Weimarer Republik. Mit seiner autoritären Politik, die auf Notverordnungen setzte und dem Parlament so eine StatistInnen-Rolle zuwies, erfüllte er die Forderungen des vom IG-FARBEN-Aufsichtsratschef Carl Duisberg geleiteten „Reichsverbandes der deutschen Industrie“ – und ebnete dem Faschismus den Weg.

Von Reiner Zilkenat

Die Großoffensive des deutschen Monopolkapitals gegen die Arbeiterbewegung und die von ihr erkämpften Errungenschaften begann im Jahr 1929. Sie entwickelte sich parallel zur kapitalistischen Weltwirtschaftskrise, die im Herbst des Jahres begonnen hatte.(1) Welche Ziele sollten realisiert werden?
Erstens sollten die Arbeiter-Organisationen dauerhaft politisch ausgeschaltet werden. Dabei ging es sowohl um die auf revolutionäre Überwindung des Kapitalismus orientierte KPD als auch um die SPD, die auf Reformen innerhalb der bürgerlich-parlamentarischen Ordnung setzte, sowie den von ihr dominierten „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund“. So wollte die Wirtschaft die vom sozialdemokratischen Kanzler Hermann Müller geführte Regierung durch ein autoritär regierendes Kabinett ersetzt wissen, das seine Amtsgeschäfte mit Hilfe von Notverordnungen führen sollte.

Zweitens ging es den Exponenten des Monopolkapitals um die rückhaltlose Wiederherstellung des „Herr-im-Hause“-Status’. Sie reklamierten unverblümt die Rolle des Hausherren in einem Staat für sich, der ihrer Auffassung nach zu viele Kompromisse zu Gunsten der Arbeitenden eingegangen war. In der Kritik standen u. a. der Acht-Stunden-Arbeitstag, das Tarifvertragswesen und der Rechtsanspruch für Erwerbslose auf Zahlung staatlicher Unterstützung.

Drittens existierte ein grundsätzlicher Konsens innerhalb der deutschen Monopolbourgeoisie darüber, dass langfristig ein zweiter „Griff nach der Weltmacht“ vorbereitet werden müsse. Zunächst galt es, die „Fesseln von Versailles“ abzustreifen, die der Weimarer Republik nur ein 100.000-Mann-Heer gestatteten. Unter größtmöglicher Geheimhaltung traf das Kapital in Konzern-Betrieben, z. B. bei den Borsig-Werken in Berlin, mit Wissen und Unterstützung der Reichsregierung Vorbereitungen für den „Tag X“, an dem die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages ihre Gültigkeit verlieren würden, und rüstete sich für die Produktion moderner Waffen.

Parole „Kapitalbildung“

Um ein solches Programm vorzubereiten, tagte am 20. und 21. September 1929 in Düsseldorf die Mitgliederversammlung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI). Hierbei handelte es sich um die mit Abstand einflussreichste Interessenvertretung des deutschen Kapitals, in der die mächtigsten Monopol-Herren des Landes den Ton angaben. Es war „das Gremium der wirklichen Beherrscher Deutschlands“, wie es der kommunistische Reichstagsabgeordnete Theodor Neubauer ausdrückte.(2)

Als Präsident amtierte Carl Duisberg, der Aufsichtsratsvorsitzender der 1925 von BAYER mitgegründeten IG-FARBEN AG, des größten Chemiekonzerns weltweit. Im Präsidium des RDI saßen u. a. Carl-Friedrich von Siemens, Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens-Halske- und der Siemens-Schuckert-Werke AG; Paul Silverberg, Generaldirektor des Rheinischen Braunkohlensyndikats, des größten Produzenten von Braunkohle in Europa; Ernst von Borsig, Großindustrieller aus Berlin und zugleich Vorsitzender der „Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“ und Paul Reusch, Vorstandsvorsitzender der Gutehoffnungshütte AG. Die wichtigste Aufgabe des RDI bestand darin, eine gemeinsame Strategie der deutschen Großindustrie zu formulieren und durchzusetzen.

Die Tagung des RDI fasste den Beschluss, eine programmatische Denkschrift zu erarbeiten, in der die wichtigsten Ziele des Verbandes gegenüber der Reichsregierung und der Öffentlichkeit dargestellt werden sollten. In welche Richtung die in dieser Denkschrift zu formulierenden Vorschläge weisen sollten, legte in Düsseldorf Prof. Dr. Paul Duden, Vorsitzender des Direktoriums der IG Farben, unmissverständlich dar. Er gab die Parole aus, die künftig im Mittelpunkt des RDI-Forderungskatalogs stand: Im Zentrum aller wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen des Staates, aber auch der Inhalte von Tarifverträgen, habe die Förderung der „Kapitalbildung“ für die Unternehmen zu stehen. Deshalb sei „eine mechanische Tariferhöhung (…) identisch mit einer Schmälerung der Kapitalbildung“; es könne „der bisherige Weg auf diesem Gebiete der Tarifbildung nicht weiter gegangen werden.“(3) Der Kapitalbildung müsste auch die Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik des Staates untergeordnet werden. Um jedes Missverständnis über seine Idealvorstellungen zur Festlegung von Löhnen und Gehältern auszuschließen, ließ Duden am Ende seiner Ausführungen die Katze aus dem Sack: Vorbildlich sei in diesem Zusammenhang die „magna charta del lavoro“ („Große Arbeitsverfassung“) des faschistischen Italien, die Streiks strikt untersagte und jede freie Betätigung von Gewerkschaften verbot!(4)

Aufstieg oder Niedergang?

Wenn auch Ende 1929 noch nicht erkannt werden konnte, welche beispiellosen Dimensionen die mittlerweile aus den USA nach Deutschland übergreifende Weltwirtschaftskrise in den kommenden Jahren noch erreichen sollte, so hatte der RDI allerdings begriffen, dass für die von ihm forcierte Kapitaloffensive jetzt günstigere Bedingungen herangereift waren. Angesichts rasch wachsender Arbeitslosigkeit und der damit einhergehenden Schwächung der Kampfkraft der Arbeiter-Organisationen waren die Chancen der Großindustriellen gestiegen, ihre politischen und ökonomischen Ziele durchzusetzen.

Am 2. Dezember 1979 wurde die Denkschrift des RDI der Öffentlichkeit zugeleitet. Welche wesentlichen Forderungen waren in ihr enthalten? Zunächst postulierte der Verband die „Freimachung“ der deutschen Wirtschaft: „Sie muss verschont bleiben von Experimenten und politischen Einflüssen, die von außen her in den Wirtschaftsprozess hineingetragen werden. Der Aufstieg der Industrie und die Beschaffung von auskömmlichen Arbeitsplätzen für die Bevölkerung und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit kann nur auf der Grundlage der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und eines frei schaffenden Gewerbes erzielt werden.“ Und weiter: „Staat und Volk haben (…) das größte Interesse an einer arbeitsfreudigen und erfolgsgläubigen Unternehmerschicht. Je tüchtiger und optimistischer sie ist, je mehr Bewegungsfreiheit sie für ihre Arbeit hat, umso größer wird auch die Produktivität der Wirtschaft, ihre soziale Kapazität, umso günstiger werden auch die Lebensbedingungen für die Bevölkerung.“(5)

Weiteren Lohnerhöhungen erteilte der RDI eine klare Absage. Vielmehr könne die Verbesserung der Lebenshaltung für die breite Masse nur „auf dem Wege einer vermehrten Kapitalbildung und einer Wiederherstellung der Rentabilität“(6), d. h. durch den absoluten Vorrang der Mehrung unternehmerischer Profite erreicht werden.

Zur Steigerung der Profite forderten Duisberg & Co. weitere Reduzierungen der für Unternehmen relevanten Steuern, diese seien „auf das unumgängliche notwendige Maß zurückzudämmen“. Konkret verlangte die Denkschrift die „sofortige Herabsetzung der Gewerbesteuer mindestens auf die Hälfte“(7), wobei perspektivisch „ihre vollständige Beseitigung“(8) gefordert wurde, sowie eine gleichartige Reduzierung der Grundvermögenssteuer und die Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer auf maximal 25 Prozent.(9) Neue Arten von Steuern müssten eingeführt werden, die besonders die Lohnabhängigen zahlen würden, hieß es zudem. Hierzu zählte vor allem das Projekt einer „Mietsteuer“(10), die alle zur Miete wohnenden Bürgerinnen und Bürger, in Höhe eines festzulegenden Anteils ihrer Mietzahlung, an die Finanzämter abzuführen hätten.(11)

Weiterhin propagierten die Unternehmenslenker die Privatisierung öffentlicher Betriebe. Zur Begründung führten sie fernab jeder realen Erfahrung an: Nur „das freie Unternehmertum“ habe sich „als fähig erwiesen, den schwierigen Markt- und Wirtschaftsverhältnissen der Zeit gerecht zu werden und sich stets dabei auch verantwortungsvoll gegenüber den sozialen Forderungen des Staates gezeigt.“(12) Ferner sollten vor allem die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherungen drastisch schrumpfen. „Die Sozialversicherung soll die wirklich Schutzbedürftigen und Notleidenden betreuen, eine unberechtigte, die Volksmoral schädigende Ausnutzung ihrer Einrichtungen aber verhindern.“(13) Dazu hatte der Aufsichtsratsvorsitzende des Deutschen Kali-Syndikates, August Rosterg, bereits am 5. Mai 1929 in einem Zeitungsartikel die Melodie vorgegeben, als er behauptete, „die Hälfte aller Kranken sind Simulanten“.(14) Für die Erwerbslosen galt, dass die Zahlungen der „Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ an sie weiter eingeschränkt werden sollten.(15)
Über die Sphäre der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik hinaus wiesen die Vorschläge zur „Reform“ des Staates und seiner Organe. Hierzu gehörte besonders die Eliminierung des wichtigsten und ältesten Rechtes eines jeden Parlamentes, nämlich das der Bewilligung und Kontrolle des Staatshaushaltes. In diesem Zusammenhang schrieb der RDI ganz unverblümt: „Der Reichstag muss in der Ausübung seines Rechtes, Ausgaben zu bewilligen, weitgehende Selbstbeschränkung üben. Ohne Zustimmung der Reichsregierung dürfen die Ausgaben nicht erhöht werden.“(16)

Im Schlusskapitel der Denkschrift stand dann der heuchlerische Satz: „Wir sind uns darüber klar, dass eine gründliche Durchführung der Reformen von allen Seiten Opfer verlangt, aber diese Opfer müssen unbedingt gebracht werden, um die Gesamtheit der Wirtschaft und des Volkes vor dem Zusammenbruch zu retten.“(17)

Faschisierungskurs

Eine realistische Einschätzung der Denkschrift „Aufstieg oder Niedergang“ konnte nur zu dem Ergebnis gelangen, dass der hier vorgeschlagene ökonomische und politische Kurs nicht im Rahmen einer bürgerlich-parlamentarischen Ordnung realisiert werden konnte. Vielmehr deutete die Gesamtheit der in dieser Denkschrift niedergelegten Forderungen ohne jeden Zweifel in Richtung eines autoritären Regimes. Aus alldem ergab sich: Mit seiner Denkschrift hatte der RDI einen sehr wesentlichen Beitrag zur Installierung einer Variante monopolkapitalistischer Herrschaft geleistet, wie sie das ab dem 30. März 1930 regierende Kabinett unter Heinrich Brüning praktizierte, das seine Amtsgeschäfte mit Hilfe von Notverordnungen des Reichspräsidenten führte anstatt mit vom Parlament verabschiedeten Gesetzen. Zugleich legte es ein Programm für die weitere Faschisierung Deutschlands und den forcierten Kampf gegen die Arbeiterbewegung vor. In den darauffolgenden Jahren zeigte sich dann, dass Kapitaloffensive und Faschisierung nichts anderes waren als zwei Seiten einer Medaille.

Doch der Wechsel der Kanzlerschaft von Hermann Müller zu Heinrich Brüning, und im Verlauf des Jahres 1932 zu Franz von Papen und Kurt von Schleicher, genügte den tonangebenden Herren der Industrie nicht. Nachdem die NSDAP einen immer größer werdenden Massenanhang gewinnen konnte und sie aus den Reichstagswahlen im Juli und November 1932 als stärkste Partei hervorgegangen war (37,3 bzw. 33,1 Prozent der abgegebenen Stimmen), setzten bedeutende Monopolherren und Bankiers endgültig auf Hitler und seine faschistische Bewegung. Einige von ihnen, darunter Fritz Thyssen und Albert Vögler, Aufsichtsratsvorsitzender bzw. Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG, der ehemalige Präsident der Reichsbank Hjalmar Schacht, das Vorstandmitglied der zum FLICK-Konzern gehörenden Mitteldeutschen Stahlwerke AG, Otto Steinbrinck, der Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank AG, Franz Heinrich Witthoeft sowie Otto Wolff, einer der weltweit größten Stahlhändler und Großaktionär diverser Großkonzernen, ebneten der faschistischen Partei durch finanzielle Alimentierung und politische Unterstützung den Weg in die Reichskanzlei.(18)
Und die IG FARBEN AG? Sie pflegte unter anderem über Heinrich Gattineau, Leiter der Presse- und Volkswirtschaftlichen Abteilung des Konzerns, und Heinrich Bütefisch, Direktor der Leuna-Werke, spätestens seit 1931 Kontakte zu Adolf Hitler persönlich sowie zum Gauleiter der NSDAP in Thüringen, SS-Obergruppenführer Fritz Sauckel.(19) Bei diesen Kontakten ging es vor allem um die zur Führung eines Angriffskrieges notwendige Energie-Autarkie Deutschlands. Hier boten sich die IG Farben AG mit ihrem Projekt der Herstellung synthetischen Benzins als Problemlöser an. Das Unternehmen sicherte Hitler und Heß die unbegrenzte Lieferung von Treibstoffen zu. Im Gegenzug erhielt die Firma nach 1933 Absatz-Garantien für synthetischen Treibstoff und Kautschuk („Buna”). Das dafür notwendige Verfahren der aufwendigen Kohlehydrierung war auf dem Weltmarkt bis dahin nicht konkurrenzfähig und damit eine gigantische Fehlinvestition des Konzerns. Nur durch den „Benzin-Pakt“ konnte es sich schließlich amortisieren.Und umgekehrt taten die VertreterInnen der IG FARBEN AG alles, um den „Führer“ der NSDAP an die Macht gelangen zu lassen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Als am 5. März 1933 – kurz nach der Machtübergabe an die Nazis – eine vertrauliche Runde von RepräsentantInnen der Monopole mit Adolf Hitler und Hermann Göring im Palais des Reichstagspräsidenten in Berlin tagte, ging es darum, für die bevorstehenden Wahlen Geld für die Kassen der NSDAP einzusammeln. Der IG-Vertreter Georg von Schnitzler, Vorstandsmitglied des Konzerns, zeigte sich von allen anwesenden Industriellen und Bankiers am spendabelsten. Er sagte die Überweisung von 400.000 Reichsmark auf das Konto der faschistischen Partei zu; eine Investition, die sich aus der Sicht des Konzerns rentieren sollte.(20) Hitler konnte mit Hilfe des Terrors der SA und SS sowie des Einsatzes des staatlichen Repressionsapparates die Wahlen gewinnen (43,9 Prozent der abgegebenen Stimmen plus 8,3 Prozent für die verbündete Deutschnationale Volkspartei) und mit den ökonomischen, politischen, militärischen und ideologischen Kriegsvorbereitungen beginnen; die Unterstützung des weltweit größten Konzerns der chemischen Industrie war ihm dabei sicher.
Die Denkschrift des RDI vom Dezember 1929 stand am Beginn des Prozesses der Faschisierung in Deutschland. Die maßgeblichen Repräsentanten der IG FARBEN gehörten zu den treibenden Kräften und zu den Begünstigten dieses Prozesses. Am Ende lag Europa in Trümmern. Dass die von den Alliierten als Kriegsverbrecher in Nürnberg („Fall 6“) angeklagten Lenker des Konzerns mit vergleichsweise milden Strafen für ihre an KZ-Häftlingen, in Gefangenschaft geratenen Soldaten und SklavenarbeiterInnen verübten Verbrechen davonkamen, war ebenso dem von den USA provozierten Kalten Krieg geschuldet wie der am 31. Januar 1951 verkündete „Gnadenerlass“. Durch diesen Akt des Hohen Kommissars der US-Regierung und Militär-Gouverneurs in Deutschland, John McCloy, erlangten die braunen Manager schon bald ihre Freiheit wieder. Und so konnten Verurteilte wie etwa Fritz ter Meer, Hans Kühne, Heinrich Hörlein oder Wilhelm Rudolf Mann wieder zu BAYER stoßen und dort ihre Karrieren fortsetzen.

Dieser Text ist die erweiterte Fassung eines Artikels, der am 30.11.2019 in der jungen Welt erschien.

Fußnoten

(1) Siehe zum Folgenden Reiner Zilkenat: Sozialabbau in der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932/33, in: Isaf Grün/Benedikt Hopmann/Reinhold Niemerg, Hrsg.: Gegenmacht statt Ohnmacht. 100 Jahre Betriebsverfassungsgesetz – Der Kampf um Mitbestimmung, Gemeineigentum und Demokratisierung, Hamburg 2020 (VSA-Verlag), S.65ff.
(2)Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 4. Wahlperiode, 1928/1930, 115. Sitzung, 13. Dezember 1929, Seite 3544B, (Band 426 der Gesamtreihe).
(3) Mitgliederversammlung des „Reichsverbandes der Deutschen Industrie“ am 20. und 21. September 1929 in Düsseldorf, Berlin 1929 (Veröffentlichungen des RDI, Nr.48), S.49.
(4) Siehe ebenda.
(5) Aufstieg oder Niedergang? Deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik 1929. Eine Denkschrift des Präsidiums des „Reichsverbandes der Deutschen Industrie“, Berlin 1929 (Veröffentlichungen des RDI, Nr.49), S.7f.
(6) Ebenda, S.8.
(7) Ebenda, S.14.
(8) Ebenda, S.35.
(9) Ebenda, S.56.
(10) Ebenda, S.15
(11) Ebenda, S.39.
(12) Ebenda, S.21.
(13) Ebenda, S.12.
(14) August Rosterg: Drehpunkte der deutschen Wirtschaftspolitik, in: Deutsche Bergwerks-Zeitung, Nr.105, 5.5.1929.
(15) Siehe Aufstieg oder Niedergang, S.28f.
(16) Ebenda, S.14.
(17) Ebenda, S.45.
(18) Siehe Reiner Zilkenat: Das deutsche Großkapital, der Keppler-Kreis und die NSDAP: Eine unentbehrliche Vorgeschichte des 30. Januar 1933, in: Rundbrief, hrsg. von der AG Antifaschismus beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE, Heft 3-4/2012, S.4ff.; erweiterte Fassung in: https://nrw-archiv.vvn-bda.de/bilder/keppler-kreis.pdf (letzter Abruf: 14.2.2020)
(19) Siehe derselbe: „Gefangene Hitlers“. Ende November 1945 wurden 23 Manager der IG Farben verhaftet, in: junge Welt, 2.12.2015, S.12/13.
(20) Siehe James Borkin: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich, Frankfurt a. M. u. New York 1979, S. 59 u. Helmuth Tammen: Die I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft. (1925-1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer Republik, Berlin 1978, S.284 u. 431f.

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AKTION & KRITIK

Jahrestagung 2019

Aus gegebenem Anlass widmete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihre diesjährige Jahrestagung, die am 5. Oktober in Düsseldorf stattfand, dem Klimawandel. „Konzerne, Klima, Katastrophen – am Beispiel des BAYER-Konzerns“ war die Veranstaltung überschrieben. Der Journalist Wolfgang Pomrehn führte mit einem Grundsatz-Referat in die Thematik ein. Mit einer Vielzahl von Fakten machte er den Ernst der Lage deutlich. Pomrehn entwarf ein apokalyptisches Bild der Zukunft, dessen Konturen sich heute schon allzu deutlich abzeichnen: lange Dürre-Perioden, Wetter-Extreme, das Ansteigen des Meeresspiegels und in der Folge Nahrungsmittel-Knappheit und Klima-Flüchtlinge. Trotzdem aber fehlt nach Einschätzung des Geo-Physikers der wirkliche Wille, eine Kehrtwende einzuläuten: Seit 2017 steigen die Kohlendioxid-Emissionen weltweit wieder. Wie hoch daran der Anteil der Industrie im Allgemeinen und der BAYERs im Besonderen ist, machte CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann deutlich. Von 3,63 Millionen auf 5,45 Millionen Tonnen erhöhte sich der Kohlendioxid-Ausstoß des Leverkusener Multis im Geschäftsjahr 2018, rechnete Stelzmann vor. Und nicht eben wenig hat die MONSANTO-Übernahme zu dieser verheerenden Klima-Bilanz beigetragen, denn neben allem anderen ist Glyphosat auch ein veritabler Klima-Killer. Vehement wehrt sich der Global Player deshalb gegen strengere Regelungen. Am Beispiel des Emissionshandels legte der Sozialwissenschaftler anschaulich dar, wie BAYER mit Androhungen von Standort-Verlegungen und anderen Mitteln eine wirksame Klima-Politik bekämpft. Zum Glück jedoch existieren Gegenkräfte. Anna Schönberg von der AKTION UNTERHOLZ berichtete von den Protesten gegen die Rodung des Hambacher Waldes, die von einem breiten Bündnis getragen wurden. Sogar Familien mit Kindern beteiligten sich an Akten des Zivilen Ungehorsams, so Schönberg. Die Klima-Streiks von FRIDAYS FOR FUTURE lösten nach den Erfahrungen von Luzie Stift, die der Kölner Dependance der SchülerInnen-Bewegung angehört, ähnliche Prozesse aus. Sie beschleunigten Stift zufolge die politische Bewusstseinsbildung immens: „Anhand dieser Klima-Frage erkennen ganz viele, dass sie antikapitalistisch werden müssen.“ Mit wem die AktivistInnen es dann genau zu tun bekommen, stellte Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG dar. Er wandte sich in seinem Vortrag nämlich der gegenwärtigen Kapital-Fraktion mitsamt den hinter ihr stehenden Superreichen zu. Vor diesem Hintergrund unternahm der Diplom-Kaufmann dann eine Standort-Bestimmung der Konzern-Kritik weit über den Fall „BAYER“ hinaus. Das sorgte für Rede-Bedarf. Auch sonst kam es zu lebhaften Diskussionen. Zum Thema „Klima und Kapitalismus“ verliefen diese auch kontrovers, denn die Spannbreite des Publikums reichte vom ehemaligen BAYER-Beschäftigten bis hin zum gestandenen Linksradikalen. Trotz dieses Konflikt-Potenzials raufte sich mensch aber stets wieder zusammen. Einen Schwerpunkt der Aussprache bildete das Problem „Klima und Klasse“ und die Möglichkeiten, den Spalt, der sich zwischen Klima-AktivistInnen und Teilen der Gewerkschaften aufgetan hat, zu überwinden. Ansätze dazu gab es auch, waren doch alle bereit, die Frage der Arbeitsplätze und der gerechte Lasten-Verteilung mit in die Klima-Debatte einfließen zu lassen. Die Gruppen von Anna Schönberg und Luzie Stift etwa hatten beide schon das Gespräch mit VertreterInnen der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE und anderen Gewerkschaften gesucht und sich über Trennendes und Verbindendes ausgetauscht. Allerdings ist da noch viel zu tun, lautete das Resümee. So nahmen die BesucherInnen der Jahrestagung dieses Mal einen Arbeitsauftrag mit auf den Heimweg.

Bhopal mahnt

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Vor 35 Jahren ereignete sich im indischen Bhopal die bisher größte Chemie-Katastrophe der Menschheitsgeschichte. Am 3. Dezember 1984 explodierte in einem Pestizid-Werk von UNION CARBIDE ein Tank mit Methylisocyanat (MIC) und setzte eine riesige Giftwolke frei. Allein in den ersten drei Tagen starben 8.000 AnwohnerInnen. Und noch immer leiden Millionen von Menschen an den Spätfolgen der Detonation. Die INTERNATIONAL CAMPAIGN FOR JUSTICE IN BHOPAL (ICJB) hatte aus diesen Gründen zu Solidaritätsaktionen aufgerufen. Unter anderem fanden in Berlin und Düsseldorf Mahnwachen statt. Für die ICJB-Aktivistin Rachna Dhingra ist das, was am 3.12.84 passiere, nicht nur eine Geschichte von Bhopal, „sondern eine von Unternehmen, die von Gier und Profiten getrieben sind und diese über das Leben von Menschen und die Umwelt stellen“. Also auch eine von BAYER – umso mehr als die Geschichte des Leverkusener Multis auch eine direkte Verbindung zu der von Bhopal aufweist. Damals hatten die Behörden der Stadt den Konzern nämlich um Unterstützung gebeten, da er umfassende Kenntnisse über die Wirkung von MIC auf den menschlichen Organismus besaß. Aber der Global Player weigerte sich, dieser Bitte nachzukommen. Der renommierte Toxikologe Dr. Max Daunderer, der als einer von wenigen ExpertInnen in Bhopal half, berichtete gar nach seiner Rückkehr, dass Beschäftigte von BAYER vor Ort Feldstudien betrieben, ohne sich an den Rettungsarbeiten zu beteiligen. Und im Jahr 2001 übernahm die Aktien-Gesellschaft zudem das US-amerikanische Bhopal-Schwesterwerk vom „UNION CARBIDE“-Neubesitzer DOW CHEMICAL. Wie weit die Familien-Ähnlichkeit reichte, zeigte sich dann am 28. August 2008, als ein Vorratsbehälter in die Luft ging. Zwei Beschäftigte bezahlten das mit ihrem Leben. Von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“ sprachen AugenzeugInnen. Darum hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) das traurige Jubiläum zum Anlass genommen, einen Offenen Brief an BAYER zu schreiben und darin Fragen zu Störfällen, der Anlagensicherheit und zu den von den Zuleitungen ausgehenden Risiken zu stellen.

Bhopal mahnt

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Die UN hat den 35. Jahrestag der Katastrophe von Bhopal zum Anlass genommen, für die chemische Industrie verbindliche, sanktionsbewehrte Regeln zur Einhaltung der Menschenrechte zu fordern. „Bhopal: Die chemische Industrie muss die Menschenrechte respektieren“, ist die entsprechende Pressemitteilung aus dem Büro des „Hohen Kommissars für Menschenrechte“ (OHCHR) überschrieben. „Weiterhin ereignen sich vermeidbare Katastrophen, weil die chemische Industrie sich weigert, die Verantwortung für die Menschenrechte ernstzunehmen (...) Von tödlichen Explosionen von Fabriken und Lagerstätten bis zu der skandalösen Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit durch die Verseuchung von Wasser, Boden und Luft mit Giftstoffen – die Chemie-Industrie muss mehr zur Einhaltung der Menschenrechte tun“, so der UN-Sonderberichterstatter Baskut Tuncak.

Preis für Felicitas Rohrer

Im Juli 2009 erlitt die damals 25-jährige Felicitas Rohrer durch BAYERs Verhütungsmittel YASMINELLE eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand. Nur durch eine Notoperation gelang es den ÄrztInnen, ihr Leben zu retten. Bereits kurz danach nahm Rohrer den Kampf gegen den Leverkusener Multi auf. Auf der Hauptversammlung des Konzerns konfrontierte sie den Vorstand direkt mit den Auswirkungen ihrer einzig auf Profit-Maximierung ausgerichteten Geschäftspolitik. Scharf griff die Pharma-Geschädigte das Management an. Sie warf ihm vor, eine Pille, von der ein höheres Risiko für Embolien ausgeht als von den älteren Kontrazeptiva der 2. Generation, aggressiv als Lifestyle-Präparate vermarktet und damit den Tod junger Frauen in Kauf genommen zu haben. Zudem strengte Felicitas Rohrer eine Klage gegen den Pharma-Riesen an und rief die Organisaton „Risiko Pille – Initiative Thrombose-Geschädigter“ ins Leben. Am 23. November 2019 erhielt sie für ihr Engagement den Siegfried-Pater-Preis, der nach dem 2015 gestorbenen Publizisten und „Dritte Welt“-Aktivisten Siegfried Pater benannt ist. Die Laudatio hielt aus gegebenem Anlass Jan Pehrke von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG).

Keine Straßenumbennung in Dormagen

Am 29. 9. 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas sowie die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele AktivistInnen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund und Lüdenscheid hatte das Erfolg (siehe auch SWB 1/15). In Dormagen lagen sogar zwei Anträge zu der Causa „Duisberg“ vor. Einen hatten „Die Linke“ und Piraten-Partei gemeinsam eingereicht, ein anderer kam von Bündnis 90/Die Grünen. Die Stadt ließ daraufhin vom ehemaligen Stadt-Archivar Heinz Pankalla und anderen ExpertInnen ein Gutachten erstellen. Dessen Befund war ziemlich eindeutig: „Duisberg engagierte sich (...) massiv für die Erfindung und Produktion von Giftgas im Ersten Weltkrieg (...) Die Quellen belegen zudem, dass Duisberg mit dem Gift-Einsatz kaum moralische Bedenken verband.“ Bei der anschließenden AnwohnerInnen-Befragung sollten diese geschichtliche Fakten als Entscheidungshilfe dienen. Das taten sie jedoch nicht: Von 62 Haushalten lehnten 56 die Umbenennung ab. Auch gegen das Anbringen einer Tafel mit historischen Erläuterungen sprach sich eine deutliche Mehrheit aus. Trotzdem aber wollen die LokalpolitikerInnen zumindest mit einem kleinen Schild auf die Missetaten des ehemaligen Konzern-Lenkers hinweisen. Klartext wird darauf allerdings wohl nicht gesprochen: Die schwarz-rote Ratsmehrheit lehnte die Titulierung Duisbergs als „Kriegsverbrecher“ ab.

CBG auf der Ruhrtriennale

Seit dem Jahr 2002 findet im Ruhrgebiet jeden Sommer das Kunst-Festival „Ruhrtriennale“ statt. Dieses Mal war die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) mit von der Partie. Die Künstlerin Barbara Ehnes lud die Coordination ein, Teil ihres Kunst-Projektes werden. In ihrer mehrteiligen Video-Installation Αλληλεγγύη zum Thema „Solidarität“, bestehend aus zahlreichen Interviews, repräsentierte die CBG den Aspekt des Widerstands gegen die großen Unternehmen. Und so gab CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann Einblick in die Geschichte der Coordination. Zudem analysierte er BAYERs MONSANTO-Übernahme und skizzierte Perspektiven der Konzern-Kritik. Über fünf Wochen lang waren diese Statements dann zusammen mit anderen Beiträgen in der ganzen Bochumer Innenstadt auf Video-Monitoren zu sehen.

Aktion gegen Pflanzen-Patente

Der BAYER-Konzern hält nicht nur Patente auf gen-manipulierte Pflanzen, sondern auch auf solche aus konventioneller Zucht. So beansprucht er etwa geistiges Eigentum auf Tomaten, Gurken, Melonen, Salate sowie auf Gewächse mit bestimmten Eigenschaften wie etwa Stress-Resistenz. Nachdem das Europäische Patentamt (EPA) den Produzenten einer Tomate mit einem reduzierten Wasser-Gehalt sowie eines angeblich gegen Krebs wirkenden Brokkolis Schutzrechte zuerkannt hatte, befasste sich das Europäische Parlament mit der Sache. In einer Entschließung sprachen sich die Abgeordneten gegen Patente auf nicht gen-veränderte Pflanzen und Tiere aus. Darum muss sich jetzt die Große Beschwerdekammer der EPA mit der Sache befassen und ein Grundsatz-Urteil fällen. Zu diesem Verfahren hat ein breites Bündnis aus verschiedenen Organisationen – darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) – und Einzelpersonen Stellungnahmen eingereicht, welche die Kammer bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen muss. 25.000 Statements konnte KEINE PATENTE AUF SAATGUT! übergeben. „Es darf keine Patent-Monopole auf die herkömmliche Züchtung von Pflanzen und Tieren geben. Sonst droht der Ausverkauf unserer Lebensgrundlagen an BAYER & MONSANTO, DOWDUPONT und SYNGENTA“, erklärten die Initiativen.

CBG schreibt Brief

Im Oktober 2019 hat die Zeitschrift Forum Nachhaltig Wirtschaften unkommentiert eine Pressemeldung BAYERs abgedruckt, in welcher der Konzern sich als Vorkämpfer eines nachhaltigen Ernährungssystems darstellt. Das ÖKO & FAIR UMWELTZENTRUM kritisierte das in einer Zuschrift an den Verlag vehement und informierte auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Diese reagierte ebenfalls mit einem Brief. „Wir von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN finden es empörend, dem Unternehmen BAYER als dem größten Agro-Konzern der Welt einfach so eine Plattform zu bieten, um sich als Vorreiter in Sachen „Nachhaltigkeit“ präsentieren zu können. Dabei hätte ein Blick in den letzten Geschäftsbericht des Multis genügt, um zu sehen, wie weit es bei BAYER mit der Nachhaltigkeit her ist“, hieß es in dem Schreiben mit Verweis auf den immensen CO2-Ausstoß des Global Players und andere Umweltsünden des Unternehmens.

ERSTE & DRITTE WELT

Absatzmarkt Indien

Ende Oktober 2019 fanden in New Delhi die deutsch-indischen Regierungskonsultationen statt. Die Bundesregierung verfolgte dabei vorrangig das Ziel, die wirtschaftliche Zusammenarbeit auszubauen. „Nicht nur die jüngsten Herausforderungen auf den amerikanischen und chinesischen Märkten sollten Anreiz dazu geben, sich noch eindeutiger als bisher strategisch im indischen Markt zu positionieren“, heißt es in einer Erklärung des Deutschen Bundestages. Vage mahnt die Petition, dabei auch die „Herausforderungen der globalen Nachhaltigkeits- und Klimapolitik“ stärker zu beachten. So fordert das Parlament die Bundesregierung dazu auf, „deutsche, in Indien tätige Unternehmen zu unterstützen, die Arbeits- und Menschenrechte gemäß des Nationalen Aktionsplans ‚Wirtschaft und Menschenrechte’ der Bundesregierung, der OECD-Richtlinien und vergleichbarer Regelwerke einzuhalten und zu Vorbildern verantwortlicher Unternehmensführung auszubauen.“ Nach Ansicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) braucht es für dieses Bestreben weniger „Unterstützung“ als vielmehr politischen Druck. Die bundesdeutschen Konzerne nehmen bei ihren Indien-Geschäften nämlich die Verletzung sozialer und ökologischer Standards bewusst in Kauf. So duldet der BAYER-Konzern etwa die verheerenden Zustände bei den ersten Gliedern seiner Lieferketten im Pharma-Bereich. Dank „Standort-Vorteilen“ wie niedrigen Löhne und laxen Umwelt-Auflagen können die betreffenden Firmen ohne Rücksicht auf Verluste produzieren, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In ihrer Presseerklärung zu den Regierungskonsultationen forderte die Coordination deshalb, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Und der CBG-Kooperationspartner Anil Dayakar von der Initiative GAMANA, die vor Ort bereits einige Verbesserungen erreicht hat, appellierte an die großen Industrie-Länder, ihren Teil zur Lösung der Probleme beizutragen. „Wir haben die ersten Schritte gemacht. Jetzt wenden wir uns an den Westen. Wir erwarten, dass er sein System ändert. Er hat eine Verantwortung für das, was hier geschieht“, so Dayakar.

Stummer Gast in Genf

Auf internationaler Ebene gibt es einige Bemühungen, die großen Konzerne zur Einhaltung der Menschenrechte entlang ihrer gesamten globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten zu drängen. Deutschland zieht da allerdings nicht so recht mit. So weigern sich Merkel & Co. seit Jahren, das Zusatz-Protokoll des UN-Sozialpakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu unterzeichnen. Dieses sieht bei Verstößen gegen das Abkommen nämlich konkrete Beschwerde- und Untersuchungsverfahren vor. Und so etwas möchte die Bundesregierung dem BAYER-Konzern, dessen indische Pharma-Zulieferer ohne Rücksicht auf Verluste für Mensch, Tier und Umwelt produzieren (s. o.), und den anderen bundesdeutschen Unternehmen lieber ersparen. Darum blieben die VertreterInnen der Großen Koalition auch bei der 5. Verhandlungsrunde zum sogenannten UN-Treaty, die vom 14. bis zum 18. Oktober 2019 in Genf stattfand, stumm. Die Europäische Union tat sich ebenfalls nicht weiter hervor. Da sie kein Verhandlungsmandat habe, müsse sie sich mit einer Positionierung zu den rechtsverbindlichen Instrumenten des Vertrages „zurückhalten“, gibt der Freitag eine Passage aus dem entsprechenden Kommuniqué wieder. Immerhin aber stimmte die EU anders als noch 2018 den Vorschlägen der Treaty-Leitung zum weiteren Procedere zu.

KAPITAL & ARBEIT

1,5 Prozent mehr Entgelt

Bei der diesjährigen Tarif-Runde leitete wiederum der BAYER-Manager Georg Müller für den „Bundesarbeitgeber-Verband Chemie“ (BAVC) die Verhandlungen mit der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE). Er einigte sich mit der Gewerkschaft auf eine Entgelt-Erhöhung von 1,5 Prozent. Diese tritt jedoch erst ab Sommer 2020 in Kraft; ein Jahr darauf gibt es dann noch einmal 1,3 Prozent mehr. Im ersten Halbjahr 2020 bleibt es dagegen bei Einmal-Zahlungen in Höhe von vier bis sechs Prozent eines Monatsentgelts. Das hat „aus Arbeitgeber-Sicht den Charme, dass sie die Löhne nicht dauerhaft verteuern“, schreibt die Rheinische Post. Die IG BCE hatte ursprünglich eine „spürbare“, deutlich über der Inflation liegende Steigerung der Bezüge gefordert. Sie hält sich jedoch zugute, dafür einige andere Verbesserungen erreicht zu haben. So richten BAYER & Co. nun Zukunftskonten für die Beschäftigten ein und überweisen 9,2 Prozent des Monatslohns darauf. Ob die Chemie-WerkerInnen sich diesen Betrag auszahlen lassen oder in Freizeit umwandeln, entscheiden diese selbst. Allerdings haben sich die Unternehmen ein Vetorecht vorbehalten. Darüber hinaus schließt die Chemie-Industrie für jeden Belegschaftsangehörigen eine Pflege-Zusatzversicherung ab und übernimmt den monatlichen Beitrag von 34 Euro.

IT-Abteilung streicht Jobs

Im Jahr 2011 hatte der BAYER-Konzern Teile seiner IT-Abteilung ausgegliedert und damit die Arbeitsplätze von 260 Belegschaftsangehörigen und 290 LeiharbeiterInnen vernichtet. 2012 holte er einige Bereiche wieder zurück. Aber auf Neu-Einstellungen verzichtete der Leverkusener Multi bei diesem „Insourcing“. Durch natürliche Fluktuation wollte er bis Ende 2015 sogar noch einmal mit rund 230 Stellen weniger auskommen. Und Ende 2019 gab es wieder einen Kurswechsel. IT-Chef Daniel Hartert kündigte ein Outsourcing an, dem 950 Jobs im Unternehmen zum Opfer fallen. Pflichtschuldig vergoß er dabei ein paar Krokodilstränen: „Es ist kein einfacher Schritt, sich von so vielen Mitarbeitern zu trennen.“

POLITIK & EINFLUSS

Lieferengpässe: Merkel & Co. tun was

Die vielen Lieferengpässe bei Arzneien (siehe DRUGS & PILLS) schrecken die Öffentlichkeit zunehmend auf. Der 1994 von BAYER gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) will das Problem jedoch nicht wahrhaben. Die Versorgung klappe so gut, „dass es hohe Aufmerksamkeit erfährt, wenn doch einmal ein bestimmtes Präparat nicht verfügbar ist“, meint der Lobby-Club. Die Große Koalition konnte jedoch nicht länger ganz untätig bleiben. Allerdings schraubte sie die Erwartungen gleich herunter. „Lieferengpässe von Arzneimitteln haben sehr unterschiedliche Ursachen und sind daher nicht allein durch gesetzliche Maßnahmen auszuschließen“, erklärte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP. So änderten CDU und SPD mit dem „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittel-Versorgung“ nur einen Passus zu den Rabatt-Verträgen der Krankenkassen. Dieser macht DAK & Co. nun die Vorgabe, bei ihren Pharmazeutika-Ausschreibungen nicht länger nur nach dem billigsten Anbieter zu schauen. Sie müssen bei der Auswahl nun auch auf die „Gewährleistung einer unterbrechungsfreien und bedarfsgerechten Liefer-Fähigkeit“ achten. Und kurz vor Weihnachten 2019 brachte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zudem noch ein Paragraphen-Werk auf den Weg, welches das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ und das „Paul-Ehrlich-Institut“ in die Lage versetzt, strengere Meldepflichten und mehrwöchige Lager-Haltungen von Medikamenten anzuordnen. Überdies will Spahn sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, Pillen-Produktionen nach Europa zurückzuholen. Das dürfte jedoch nicht allzu viel nutzen, da auch hierzulande – wie etwa bei BAYER in Leverkusen (siehe DRUGS & PILLS) – oder in Italien Probleme in den Fabriken auftreten, die Lieferengpässe nach sich ziehen. Die SPD drang auf weitergehende Maßnahmen und wollte beispielsweise die Konzerne für Lieferengpässe haftbar machen, aber die Partei vermochte es nicht, sich gegen ihren Koalitionspartner durchzusetzen.

Kommt das Lieferketten-Gesetz?

Die Lieferketten BAYERS im Pharma-Bereich erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi Arznei-Grundstoffe aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei erst einmal davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne auszuüben. „Sozial- und Umweltstandards in nachhaltigen Wertschöpfungsketten können am besten durch eine intelligente Verknüpfung freiwilliger und verbindlicher Ansätze gestärkt werden (‚smart mix’)“, meint die Große Koalition. Zu diesem Behufe hob sie den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe. In dessen Rahmen erfragten CDU und SPD bei den Firmen, ob - und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollten Merkel & Co. dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Erst einmal schickten überhaupt nur 464 von 3.000 angeschriebenen Unternehmen den Fragebogen zurück, und von diesen erfüllte zudem nur jedes fünfte die sozialen und ökologischen Standards. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Falls die nächste Umfrage kein besseres Ergebnis erbringe, beabsichtige er gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil einen solchen zu schaffen, drohte der Politiker an. Entsprechend empört reagierten die WirtschaftsvertreterInnen. „Mit so einem Gesetz stehe ich ja schon mit beiden Beinen im Gefängnis. Dieser Unfug ist so groß, dass er nicht kommen wird“, erklärte etwa Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer.

Treffen mit Putin

Anfang Dezember 2019 traf sich der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ (OAOEV) in Sotchi mit Wladimir Putin. Auch BAYER-Chef Werner Baumann nahm an der Zusammenkunft, welche die Boulevard-Zeitung Bild ein „Treffen der Schande“ nannte, teil. Baumann & Co. sprachen sich vor Ort für die Gas-Leitung „Nord Stream 2“ sowie für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland aus, „denn die Milliarden, die dadurch verloren gehen, könnten in die Wiederherstellung der Wirtschaft und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents investiert werden“.

PROPAGANDA & MEDIEN

Lobbying gegen Lieferketten-Gesetz

Der Nationale Aktionsplan (NAP) zur Einhaltung der Menschenrechte entlang der Lieferketten nebst im Raume stehender gesetzlicher Maßnahmen (siehe POLITIK & EINFLUSS) macht BAYER & Co. zunehmend nervös. Dementsprechend hoch ist ihr Lobby-Einsatz, wie Recherchen der Initiative INKOTA ergaben. Von Anfang März bis Ende Juli 2019 trafen sich EmissärInnen von Unternehmen oder Unternehmensverbänden insgesamt elf Mal mit VertreterInnen des Bundeswirtschaftsministeriums. Weitere Zusammenkünfte gab es im Auswärtigen Amt und im Kanzleramt. Der Hauptgeschäftsführer der „Bundesvereingung der deutschen Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), der ehemalige Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter, schrieb in der Sache zudem einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). „Die Frage, ob die Bundesregierung ein für die Wirtschaft derart schädliches Gesetz (...) einführt, darf nicht von einem untauglichen und das wirkliche Engagement der Unternehmen verzerrenden Monitoring abhängen (...) Vielmehr sollte die Bundesregierung weiterhin dem Freiwilligkeitsgrundsatz folgen, hieß es in dem Schreiben. Und BDA-Präsident Ingo Kramer redete Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) nach einer persönlichen Begegnung, bei der die beiden über einen Entwurf zum Lieferketten-Gesetz redeten, ins Gewissen. „Ich hatte in diesem Gespräch den festen Eindruck gewonnen, dass sie sich dieses Papier nicht zu Eigen machen wollten. Ich hatte Sie auch so verstanden, dass Sie bereit wären, sich öffentlich von diesem Text zu distanzieren (...) Ich halte es für erforderlich, dass Sie ihre Position klarstellen“, so Kramer.

BAYER wollte Presse-Verband kaufen

Nach Recherchen der britischen Tageszeitung The Guardian wollte der BAYER-Konzern sich durch massive finanzielle Zuwendungen Einfluss auf die US-amerikanische „Foreign Press Association (FPA)“ erkaufen. Der Leverkusener Multi beabsichtigte dem Guardian zufolge, die Non-Profit-Organisation, die hauptsächlich AuslandskorrespondentInnen, andere JournalistInnen und PR-Fachleute zu ihren Mitgliedern zählt, zu nutzen, um das nicht zuletzt durch den MONSANTO-Deal angeschlagene Image des Konzerns aufzupolieren. Zwei ManagerInnen der US-amerikanischen BAYER-Dependance hatten mit dem FPA-Geschäftsführer Thanos Dimadis eine Absprache getroffen, wonach der Agro-Riese nach Zahlung eines bestimmten Betrags einen Sitz im Beirat der FPA erhalten sollte. Im Preis enthalten war auch die Möglichkeit des Agenda-Settings für die Foren, welche die FPA für ihre Mitglieder anbietet. Das gemeinsame Ausrichten einer Konferenz zum Thema „Fake News“ stand ebenfalls zur Debatte. Darüber hinaus plante Dimadis „Hintergrund-Briefings“ mit nationalen und internationalen JournalistInnen zu „Themen, die in BAYERs Kommunikationsprioritäten und strategische Ziele passen“, wie er in einer Mail an den Leverkusener Multi schrieb. Damit nicht genug, ließ Dimadis der Aktien-Gesellschaft im September 2018 noch eine Liste mit über 300 AuslandskorrespondentInnen zur freien Auswahl zukommen: Der Konzern konnte sich aus der Aufstellung diejenigen Personen aussuchen, die er „an sich binden“ wollte. Allerdings hatte Thanos Dimadis wichtige EntscheidungsträgerInnen seiner eigenen Organisation nicht in den BAYER-Deal eingeweiht. Deshalb kam das Projekt mit Dimadis’ Wechsel von der „Foreign Press Association“ zur „Association of Foreign Correspondents in the United States“ zum Erliegen. Als andere FPA-Verantwortliche dann auf den nicht vollständig gelöschten Mail-Verkehr mit der bundesdeutschen Firma stießen, reagierten sie empört. BAYER habe versucht, die FPA zu kaufen, konstatierte Vize-Präsident Ian Williams. Präsident David Michaels sprach im Hinblick auf die zwischen Dimadis und dem Global Player getroffenen Vereinbarungen sogar von einer „Verschwörung“, welche die Integrität der Organisation und des Journalismus an sich bedrohe.

BAYER macht Schule

„Wie DAX-Unternehmen Schule machen“ lautet der Titel einer Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS). Der Autor Tim Engartner zeigt in seiner Arbeit auf, wie massiv die Konzerne mittlerweile die Lehrpläne bestimmen. Nicht weniger als 800.000 – natürlich kostenlose – Lehrmaterialien haben sie bereits erstellt. Und diese müssen noch nicht einmal die bei normalen Schulbüchern üblichen pädagogischen Eignungstests durchlaufen, ehe sie in den Klassenzimmern landen. Natürlich ganz vorne mit dabei: BAYER. Der Untersuchung zufolge „nutzt das Unternehmen alle Formen von Schulmarketing-Aktivitäten“. Unterrichtsmaterialien, Wettbewerbe, Betriebsführungen sowie mobile und stationäre Schullabore zählt Engartner unter anderem auf. Auch die Wimmelbücher, mit denen der Leverkusener Multi schon die Kleinsten in Kindergärten heimsuchte, nennt der Wissenschaftler. „Die Vermutung, dass nicht nur die regional bedeutsame Chemie-Industrie illustriert werden soll, sondern die im bunten Treiben des Wimmelbuches platzierten Logos zugleich ein positives Unternehmensbild evozieren sollen, liegt nahe“, hält er fest und erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Kampagne der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gegen die frühpädagogischen Anwandlungen des Konzerns. Angesichts des alarmierenden Befundes von „Wie DAX-Unternehmen Schule machen“ schreibt OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand im Vorwort: „Stiftung und Autor sind überzeugt, dass dringend gehandelt werden muss, um z. B. den Verlust demokratischer Legitimation schulischer Bildungsinhalte durch Privatisierungstendenzen zu stoppen.“

TIERE & VERSUCHE

Labor fälschte Studien

Der Tierversuchskonzern LABORATORY OF PHARMACOLOGY AND TOXICOLOGY (LPT), der auch BAYER zu seinen Kunden zählt, steht in der Kritik. So hat LPT nach Undercover-Recherchen von TierschützerInnen massiv gegen die ohnehin nicht eben strikten Grenzen des Erlaubten verstoßen. Katzen erhielten bis zu 13 Mal am Tag Stiche in die Beine, Hunde mussten in blutverschmierten Gehegen dahinvegetieren und Affen in viel zu kleinen Käfigen ihren Tod abwarten. Damit nicht genug, führte die Firma auch nicht genehmigte Versuche an Kaninchen durch und manipulierte Studien. Eine Ex-Beschäftigte räumte das in einem Fernseh-Interview freimütig ein. „Ich habe Dokumente gefälscht. Wenn da Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprachen, bin ich angehalten worden, das zu verbessern“, bekannte sie. Eine andere Frau berichtet noch von anderen Methoden. Bei einer Kurzzeit-Studie mit einem Medikament starben Ratten bei der höchsten Dosierung elendig, was der Auftraggeber jedoch nicht erfahren sollte. „Um jetzt dem Kunden eine entsprechende Nachricht nicht mitteilen zu müssen, wurde die höchste Dosierung durch eine deutlich niedrigere ersetzt. Die Tiere wurden ausgetauscht und so ein positiveres Ergebnis erzielt“, so die ehemalige LPT-Angestellte. Das demonstriert einmal mehr, wie wenig aussagekräftig die Tests „am Tier-Modell“ sind. Nach dem Bekanntwerden der unhaltbaren Zustände bei LPT kam es immer wieder zu Demonstra-tionen und Protest-Veranstaltungen, was Konsequenzen hatte. Der Standort Mienenbüttel schloss nach den letzten von den Behörden genehmigten Versuchen an Hunden. Ob das Unternehmen noch weitere Niederlassungen dichtmachen muss, steht bis dato nicht fest.

DRUGS & PILLS

In Treue fest zu IBEROGAST

Auch Medikamente auf pflanzlicher Basis wie BAYERs Magenmittel IBEROGAST, das 2013 mit dem Kauf von STEIGERWALD in die Produkt-Palette des Pharma-Riesen gelangte, können es in sich haben. So schädigt der IBEROGAST-Inhaltsstoff Schöllkraut die Leber. Arzneien mit einer hohen Schöllkraut-Konzentration hat das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) deshalb schon aus dem Verkehr gezogen. Vom Leverkusener Multi verlangte es, diese Nebenwirkung auf dem Beipackzettel zu vermerken und insbesondere Schwangere vor der Einnahme des Präparats zu warnen. Der Konzern lehnte es aber ab, der Anordnung nachzukommen, und zog vor Gericht. Diese Hinhalte-Taktik kostete einen Menschen das Leben. Eine Frau starb an Leberversagen. Da duldete das BfArM dann keinen Aufschub mehr. Es drohte dem Pillen-Riesen mit einem „Sofort-Vollzug“ der Beipackzettel-Änderung. Und da erst fügte sich der Global Player zähneknirschend. Mittlerweile ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft in der Sache sogar wegen fahrlässiger Tötung (siehe SWB 4/19). BAYER aber steht weiter in Treue fest zu dem Mittel. So wartete der Konzern Anfang Dezember 2019 mit einer Pressemeldung auf, wonach „eine internationale Experten-Runde in einer aktuellen Publikation“ IBEROGAST „ein optimales Nutzen/Risiko-Profil bei Reizmagen und Reizdarm“ bescheinigt habe. Bei der „Publikation“ handelte es sich jedoch nicht um eine Studie, wie Unbedarfte annehmen müssen, sondern um die Zusammenfassung der Ergebnisse eines von BAYER gesponserten Workshops mit von BAYER gesponserten MedizinerInnen. Deren Befund, es gäbe „keine Anhaltspunkte für eine relevante Toxizität der Inhaltsstoffe“, wundert deshalb nicht weiter.

NIMOTOP-Lieferengpass

In der Bundesrepublik kommt es seit geraumer Zeit verstärkt zu Liefer-Engpässen bei Arzneimitteln. Auf der aktuellen Fehl-Liste des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) findet sich nun schon zum wiederholten Mal das BAYER-Mittel NIMOTOP. Als Grund dafür, dass das die Gehirn-Durchblutung fördernde Produkt wieder einmal nicht erhältlich ist, nennt der Leverkusener Multi „Produktionsprobleme“. Auch auf das Krebs-Präparat XOFIGO, das Herz/Kreislauf-Pharmazeutikum ADALAT, das Malaria-Medikament RESOCHIN, den Blutdruck-Senker BAYOTENSIN, das Kontrastmittel ULTRAVIST, das unter anderem bei der Akut-Behandlung von Herzinfarkten zum Einsatz kommende ASPIRIN i. v. 500 mg sowie auf die Johanniskraut-Arznei LAIF zur Behandlung milder Depressionen warteten die Apotheken in der Vergangenheit schon vergeblich. Aktuell verzeichnet das BfArM rund 270 Lieferengpässe. Diese entstehen hauptsächlich, weil die Pharma-Riesen die Fabrikation gnadenlos rationalisiert haben. So versuchen sie etwa verstärkt, „just in time“ zu produzieren und auf diese Weise Lager-Kapazitäten abzubauen. Überdies gliedern die Unternehmen die Wirkstoff-Herstellung zunehmend in Länder der „Dritten Welt“ aus. Darum gibt es immer weniger Fertigungsstätten, und wenn es in einer einmal hakt, können andere Standorte nicht mehr einspringen. Aber auch bei BAYER selber treten „Produktionsprobleme“ auf. So musste der Konzern nach einer Intervention der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA seine Leverkusener Arznei-Anlagen wegen vieler Missstände im Jahr 2018 generalüberholen, was „Versorgungsunterbrechungen“ nach sich zog (siehe auch SWB 2/18).

Vom Lieferengpass zum Lieferstopp

Lieferengpässe für BAYERs Malaria-Arznei RESOCHIN mit dem Wirkstoff Chloroquin-Phosphat hatte es in der Vergangenheit schon gegeben (s. o.). Jetzt aber sind die Kanäle ganz dicht, wie Apotheke adhoc berichtet. „Grund dafür ist, dass die Herstellung des Arznei-Stoffs Chloroquin-Phosphat nicht mehr in der erforderlichen Qualität erfolgen kann. Die weltweite Suche nach einem alternativen Hersteller verlief laut Konzern erfolglos, sodass die Produktion zum Stoppen kam“, so das Web-Portal. Die Mängel dürften in Indien aufgetreten sein. Das Land hat sich nämlich gemeinsam mit China und Italien zum Hauptproduzenten von pharmazeutischen Substanzen entwickelt und das Joint Venture, das der Leverkusener Multi dort mit dem heimischen Produzenten ZYDUS gegründet hat, führt Chloroquin-Phosphat auf seiner Produkt-Liste. Entweder also traten in den Werken von BAYER ZYDUS PHARMA Probleme auf oder aber bei den Lieferanten der Basis-Stoffe für das Mittel.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat-Verkäufe gehen zurück

In Deutschland geht der Glyphosat-Absatz zurück. Er sank 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 26,5 Prozent auf 3.450 Tonnen. Die Höchstmarke hatte der Verkauf im Jahr 2008 mit 7.610 Tonnen erreicht.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Feuer in Bitterfeld

Am 15.11.2019 kam es am BAYER-Standort Bitterfeld zu einem Brand. Bei Dacharbeiten auf einem Hochregal-Lager hatten sich Dachplatten entzündet. Auf mehrere Kilometer Entfernung waren die Rauchschwaden zu sehen. Trotzdem wiegelte der Leverkusener Multi sofort ab und erklärte, es bestehe keine Gefahr für Anwohnerinnen und Anwohner.

Brand in Dormagen

Am 19.11.2019 brach in der Tankreinigungsstation des Dormagener Chemie-„Parks“ ein Brand aus. Bei der Säuberung eines Behältnisses fing ein Lösemittel Feuer. Fünf Beschäftigte mussten zur Untersuchung ins Krankenhaus, aber der Verdacht auf Rauchgas-Vergiftung bestätigte sich nicht. Nach Angaben der Betreiber-Gesellschaft CURRENTA kam es auch zu keiner erhöhten Schadstoff-Konzentration in der Luft. An der CURRENTA hält BAYER 60 Prozent der Geschäftsanteile. Im Sommer verkaufte der Konzern diese jedoch an einen Finanzinvestor. Allerdings müssen die Kartell-Behörden dem Deal noch zustimmen.

IMPERIUM & WELTMARKT

BAYER auf der CIIE in Shanghai

Der BAYER-Konzern nahm im November 2019 an der chinesischen Import-Messe CIIE teil. Er präsentierte in Shanghai unter anderem Pharmazeutika, nicht rezeptpflichtige Arzneien und Pestizide. In einem zu dem Event veröffentlichten Statement bezeichnete der Leverkusener Multi die CIIE als eine wegweisende Maßnahme der chinesischen Regierung, um ihre Politik der Öffnung zu stärken.

RECHT & UNBILLIG

Verbotener Pestizid-Einsatz

Die Inseln des US-Bundesstaates Hawaii haben sich zu einem riesigen Freiluft-Labor für die Agro-Riesen entwickelt. Auch die nunmehrige BAYER-Tochter MONSANTO unterhält dort eine Forschungsanlage. Im Jahr 2014 testete sie dort das wegen seiner extremen Giftigkeit verbotene Pestizid Penncap-M. Dabei setzte das Unternehmen auch die Gesundheit der Beschäftigten aufs Spiel. Sie mussten nämlich schon eine Woche nach dem Sprüh-Einsatz auf den Feldern nachsehen, wie die Agro-Chemikalie gewirkt hat, obwohl die Vorschriften dafür die Frist von einem Monat setzen. Darum verurteilte ein Gericht in Honolulu den Leverkusener Multi nun zu einer Strafe in Höhe von zehn Millionen Dollar. „Das rechtswidrige Verhalten in diesem Fall stellt eine Bedrohung für die Umwelt, die umliegenden Gemeinden und die MONSANTO-Arbeiter dar“, so der Richter Nick Hanna. Wie bei den anderen erst nach der Übernahme bekannt gewordenen MONSANTO-Sünden blieb dem Leverkusener Multi auch dieses Mal nichts anderes übrig, als sich reumütig zu zeigen. „Der Vorfall tut uns sehr leid“, bekannte der Konzern und stellte klar, sein Neuerwerb habe damals „weder entsprechend den eigenen Standards noch gemäß der geltenden Gesetze gehandelt“. Ein kleines Aber musste jedoch wie immer dabei sein. Es lägen keine gemeldeten Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt als Folge der illegalen Praxis vor, so der Global Player.

Klage wg. EEG-Tricks

Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage gilt der Förderung alternativer Energien. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken, die sich pro Gigawatt-Stunde auf rund 64.000 Euro belaufen. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen nun verklagt. Der Leverkusener Multi aber ist sich keiner Schuld bewusst und beteuert, sich immer an geltendes Recht gehalten zu haben

[BAYERs Staatsstreich] Wie Carl Duisberg 1917 Bethmann Hollweg stürzte

CBG Redaktion

Vor hundert Jahren wurde Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg zum Rücktritt gezwungen. Die von dem BAYER-Chef Carl Duisberg zusammen mit der Obersten Heeresleitung entfesselte Treibjagd hatte Erfolg. Damit war jede Aussicht auf einen Verständigungsfrieden im Ersten Weltkrieg zunichte gemacht

Von Otto Köhler

Zwölf Jahre sind nun schon vergangen, seit der renommierte Verlag C. H. Beck in Tatgemeinschaft mit dem nicht weniger angesehenen Strukturhistoriker Hans-Ulrich Wehler geschichtsamtlich festgelegt hatte, was heute vor hundert Jahren geschah und was Friedrich Meinecke, der „führende Repräsentant der deutschen Geschichtswissenschaft” (Gerhard A. Ritter) als „Militärrevolution” völlig falsch erlebt haben muss. Damals, 2005, ging es darum, dass bei Beck die in halb Europa gedruckte „Kurze Geschichte der Demokratie” des Althistorikers Luciano Canfora nicht verlegt werden durfte. Unter anderem deshalb, weil Canfora unter Berufung auf Meinecke schrieb, dass Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg durch einen „staatsstreichähnlichen Akt abgesetzt” wurde. Beck-Cheflektor Dr. Detlef Felken stellte in einer an alle großen Feuilleton-Redaktionen verteilten Fehlerliste fest, es sei „falsch”, dass des Reichskanzlers Absetzung 1917 einem Staatsstreich nahegekommen sei. Und Professor Dr. Wehler bekräftigte: „Die Absetzung von Bethmann-Hollweg sic hat nichts mit einem Staatsstreich zu tun.” Nichts?

Weg mit Schöffen und Gerichten

Für Geheimrat Carl Duisberg, den Generaldirektor von BAYER & Co. in Leverkusen und Gründer der später bis nach Auschwitz ausgreifenden INTERESSENGEMEINSCHAFT FARBEN, begann das Jahr 1917 mit allerlei Arbeit. Wichtig war zunächst einmal, mit der Justiz aufzuräumen. Und da kam Duisberg ein Aufruf des Verlegers und „Schriftleiters” der Deutschen Juristen-Zeitung, Dr. Otto Liebmann, gerade recht. Der hatte sich an eine „Anzahl hervorragender Männer” gewandt, sie sollten unter der Überschrift „ein dringendes Gebot” für eine „Einschränkung der Rechtspflege auf das Notwendigste” eintreten. Das kam Carl Duisberg sehr gelegen. „Ihr Mahnwort an die Justiz und an das deutsche Volk – ein dringendes Gebot – es kommt zur rechten Zeit, am rechten Ort.” Denn, so formulierte es Duisberg: „Das Friedensangebot, selbst wenn es von unseren Feinden angenommen wird, zwingt uns zum energischen” – und für BAYER profitablen – „Wettrüsten, erst recht aber, wenn es leider vergeblich gewesen ist. Dann heißt es, zum letzten Schlag, zum entscheidenden Sieg alles einzusetzen für unseres Volkes Existenz, für Deutschlands Ehre. Dann hinweg mit Klagen und Prozessen, mit Schöffen und Schwurgerichten.”

Dieser Aufruf machte sich gut in Deutschlands führender Juristenzeitung, die pünktlich 1933 vom Verlag C. H. Beck arisiert wurde, der wiederum Carl Schmitt („Der Führer schützt das Recht”, 1934) als Herausgeber einsetzte. Duisberg hatte allerdings banale Motive für seine Forderung, Klagen, Prozesse und Gerichte hinwegzufegen.

Bitter hatte er sich in der Vergangenheit bei Oberstleutnant Max Bauer – seinem Vertrauten in Paul von Hindenburgs und Erich Ludendorffs Oberster Heeresleitung, mit dem er seine Rüstungs- und Giftgasgeschäfte abwickelte – über den Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn beklagt: „Wir wurden gebremst, wenn wir uns weiter betätigen wollten, wir wurden verärgert und in die Schranken des bureaukratischen, geschäftsordnungsmäßigen Betriebes zurückgewiesen, wir wurden geschimpft und gescholten, wenn wir uns rührten und regten und aus dem gewohnten Gleise heraustraten. Anstelle dankbarer Anerkennung, wie wir sie erwarten konnten, und wie sie zeitweise auch gewährt wurde, trat die übliche, nie Lob, aber wohl Tadel zeigende Amtsmiene, trat Krittelei und Nörgelei und von der Reichstagsmehrheit gewünschte Knauserei.”
Besonders heilig waren Duisberg die Kriegsprofite, deren gerichtliche Untersuchung er fürchten musste. Dem in einem Schreiben des Kriegsministeriums geäußerten Begehren, die an Rüstungsaufträgen wild verdienende Industrie solle sich in die Bücher gucken lassen, begegnete er mit verständlicher Wut. Auf dieses Verlangen gebe es, schrieb er im Brief an Bauer, „keine Antwort als die von der gesamten Industrie beschlossene Ablehnung dieses Eindringens in die tiefsten Geheimnisse unserer Privatwirtschaft, um entweder die Schwachen, Ängstlichen und nicht auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit Stehenden zu falschen Mitteilungen zu veranlassen oder den Tüchtigen, Starken und Aufrichtigen aus den Einzelheiten ihrer Preisaufstellung einen Strick zu drehen”.

Doch den wollte er sich nicht drehen lassen. Darum forderte er fürs neue Jahr 1917: „Hinweg mit Klagen und Prozessen, mit Schöffen und Schwurgerichten.” Der Kriegsminister von Hohenborn war nun weg. Jetzt galt es im neuen Jahr, den mit den Forderungen der Militärs nicht ganz kompatiblen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg aus dem Amt zu jagen. Der hatte zwar von Anfang an den Krieg ordentlich mitgemacht und befriedigende Kriegsziele entwickelt, aber jetzt – die Siege blieben aus – machte der Zivilist schlapp und setzte auf einen „Verständigungsfrieden”. Das konnte weder der Heeresleitung noch der Rüstungsindustrie recht sein, die beide solide vom Krieg genährt wurden.

Männer aus Stahl

Und so fand sich Carl Duisberg am Sonnabend, den 13. Januar 1917 – genau sechs Monate, bevor Bethmann Hollweg zurückgetreten wurde – im Düsseldorfer Industrie-Club wie schon im Vorjahr mit einer „Tischrede” vor den deutschen Schwerindustriellen und Generälen wieder. Ihm war bekannt: „Im Schützengraben kämpfen zwar Gebildete und Ungebildete, Arme und Reiche nebeneinander. Aber die Masse daselbst wird repräsentiert durch die Unterschicht. Da nun die Friedensbewegung von seiten der Sozialdemokratie” – „Friedensflennerei” hatte er so was gerade genannt – „hier in intensivster Weise betrieben worden war, musste man darauf Rücksicht nehmen.” Es sei ja ohnedies klar gewesen, „dass ein solches Angebot beim Gegner keinen Erfolg haben könnte”. „Bravo” ertönte es da von den Tischen. „Jetzt sind hoffentlich die Freunde des ewigen Friedens endgültig davon überzeugt, dass es wirklich um Sein oder Nichtsein eines jeden von uns geht.” – „Sehr richtig” lautete die Antwort aus dem Saal.
Nun sollte es wirklich möglich sein, die „fehlende Einigkeit” des deutschen Volkes wiederherzustellen, wie sie 1914 bestand: „Jetzt könnte ein starker energischer Mann an der Spitze der deutschen Reichsleitung stehend, dies mit Leichtigkeit machen.” Der rechte Moment sei schon verpasst: „Es fehlt eben dem deutschen Volke eine solche Bismarck-Natur.”

Aber da gibt es noch Hindenburg. Und den „ungehemmten U-Bootkrieg” gegen Amerika und seine Schiffe. Keine Furcht vor einer Kriegserklärung aus den Vereinigten Staaten! Lebhafter Beifall. „Jeder, der in Amerika war, weiß, dass dort nur Ellenbogen und Revolverpolitik hilft sic!.”
„Beim Militär gilt die Norm: Wenn einem Führer der Auftrag zuteil wird, und er führt ihn nicht mit Erfolg durch, ob er schuld hat oder nicht, so muss er gehen.” – „Sehr Richtig”-Rufe der Industriellen verzeichnet hier das Protokoll, alle wussten, dass Hindenburg und Ludendorff damit nicht gemeint sind. Duisberg fuhr fort: „Meine Herren, wenn nun auch in der Zivilverwaltung” – er meinte die Reichsregierung unter Bethmann Hollweg – „derselbe Grundsatz Geltung hätte, und ich hoffe, er wird einmal durchgeführt werden, dann erst wird der Spruch wirklich in Erfüllung gehen, den ein hochstehender Mann im Deutschen Reich geprägt hat: ‚Dem Tüchtigen die Bahn frei!’” Dann aber müssten „die Untüchtigen” – jeder der Industriellen verstand: Bethmann Hollweg und seine Leute – gehen, „sonst ist kein Platz für den Tüchtigen vorhanden” – für Hindenburg. Und deshalb, befahl Duisberg, „hoffe ich zuversichtlich, dass militärische Rücksichten und Grundsätze hier Platz greifen”. Den BAYER-Chef übermannte es: „Und wenn dann Männer aus Stahl nicht nur im Schützengraben, sondern an der obersten Stelle stehen, wenn dann nicht nur Glacéhandschuhpolitik, sondern Faustpolitik getrieben wird, wenn es dann zu Friedensverhandlungen kommt, brauchen wir um die Friedensziele gar keine Sorge zu haben” – ein deutsches Europa mit Siedlungsraum im Osten und in Afrika. Und Duisberg versprach der versammelten Industrie: „Sie können sich darauf verlassen, wenn Hindenburg und Ludendorff auch hierbei mitwirken, gibt es einen glänzenden Frieden für unser deutsches Vaterland.”

Und Duisberg kommandiert, wo es keiner Anweisung mehr bedarf: „In diesem Sinne bitte ich Sie, aufzustehen und zu rufen: ‚Unser deutsches Vaterland, es lebe hoch, hoch, hoch!’” Das Redeprotokoll des Industrieklubs vermerkt: „Die Versammlung stimmt begeistert ein.”

Gut drei Wochen später, am 6. Februar 1917 in München, setzte der BAYER-Chef als ehemaliger Vorsitzender des Vorstandsrates des Deutschen Museums seine Agitation gegen den Reichskanzler in Gegenwart Seiner Majestät König Ludwig III. und zahlreicher Wirtschaftsgranden fort. Er forderte eine Militärdiktatur in der Form, dass „eine starke, das allgemeine Vertrauen besitzende Persönlichkeit an die Spitze der Reichsleitung treten” müsse, die „eine einigende und fortreißende Kraft” besäße, um „uns in dem ungeheuren Kampf zum Sieg zu führen” – jeder verstand: Hindenburg soll anstelle von Bethmann Hollweg das Deutsche Reich regieren. Und nebenbei – auch das gehört dazu – verkündete Geheimrat Dr. Carl Duisberg als Vorstandsratsvorsitzender, dass „Frau Geheimrat Duisberg, Leverkusen, für die Stiftung eines Flügels” zum lebenslänglichen Mitglied des Deutschen Museums ernannt sei – die Deutschen blieben auch im Zeichen des vom Herrn Gemahl hochprofitabel belieferten Gaskrieges ein Kulturvolk.

Das Deutsche Museum war das Vorspiel. 19 Tage später treten 32 Industrielle und Militärs – der Kaiser liegt nach einer Bruchopera¬tion seit Tagen im Bett – im Berliner Adlon-Hotel zur Vorarbeit für den Putsch gegen Bethmann Hollweg an. Die Anführer sind Carl Duisberg, der bis in den Tod Hindenburg treu bleibt, und der Großindustrielle Emil Kirdorf, der es später mehr mit Hitler hält und dafür von diesem 1938 ein Staatsbegräbnis spendiert bekommt.

Auf Gewalt eingestellt

Gustav Stresemann hatte bei der Hotelleitung den Kaisersaal bestellt – für einen Vortrag über die „chemische Industrie”. Das war durchaus korrekt. Denn schon in der Einladung hieß es: „Mehr denn je ist es unsere vaterländische Pflicht, die Entlassung Bethmann Hollwegs zu verlangen.” Duisberg erklärt an diesem 25. Februar 1917 im Kaisersaal, er handle „im Einverständnis von Ludendorff und Hindenburg”. Er entwarf in seiner Rede ein Programm, das in Briefen an den Kaiser und an Ludendorff niedergelegt wurde. Darin hieß es: „Wenn es zum Gegensatz käme, entweder Hindenburg oder Bethmann, die Beseitigung Bethmanns wäre sicher (…) Wir sind ganz auf Krieg und Gewalt eingestellt, und das Beste wäre, wenn diese Sachlage auch äußerlich zum Ausdruck käme, dass der Marschall auch Kanzler wäre … Wenn der Marschall im Felde siegt, siegt auch der Kanzler in der ‚Politik’. Denn jetzt ist ‚Politik’ gleich Krieg und Krieg gleich ‚Politik’”.
Hindenburg-Biograph Wolfram Pyta glaubt: „Die Reaktion des Kaisers auf die Adlon-Versammlung offenbart indes den” – nun ja, das wird sich noch zeigen – „geringen Einfluss schwerindustrieller Interessen: Wilhelm II. reagierte erbost, wobei sich sein Zorn nicht nur gegen die teilnehmenden Industriellen richtete, denen er ‚Hochverrat’ vorwarf. Seine Wut über deren Einmischung in seine allerhöchsten Befugnisse gipfelt” – und das zu schreiben, daran konnte ihn weder ein Detlef Felken noch ein Hans-Ulrich Wehler hindern, denn Pyta wurde nicht von Beck, sondern von Siedler verlegt – „in dem Satz: ‚Das ganze Gebaren würde Mich berechtigen, die Teilnehmer an der Versammlung ohne Weiteres verhaften und nach Spandau bringen zu lassen’”. Geringer Einfluss? Wilhelm Zwo kapituliert am 17. Juli 1917 vor dem militärisch-industriellen Putsch, indem er Bethmann Hollweg, der eigentlich sein Vertrauen genießt, zwingt, seinen Rücktritt einzureichen. Sorgfältig abgestimmt mit Duisbergs Adlon-Auftritt am 25. Februar hatte dessen Freund, der Oberstleutnant Bauer, eine Denkschrift „Bemerkungen über den Reichskanzler” für Ludendorff ausgearbeitet, die der Reichsregierung vorwirft: „1. Sie hat versäumt, die Hilfsmittel des Landes rechtzeitig auf den Krieg einzustellen, und gefährdet jetzt den Ausgang des Kampfes. 2. Sie hat im Inneren verfahrene Verhältnisse geschaffen.” Und dies habe, das spricht Duisberg aus dem Herzen, zu einer bedenklichen Aufwärtsentwicklung der Löhne und zu weitgehenden politischen Forderungen geführt. Der Vorwurf gegen Bethmann Hollweg: „Statt durch starkes Zugreifen und Belehrung Ordnung zu schaffen und das Volk über seine Pflichten aufzuklären, hat sich die Regierung von den Kreisen leiten und treiben lassen, die schon im Frieden als eine Gefahr für Staat und Monarchie erkannt waren”. Anfang Juli tauchte Oberstleutnant Bauer in Berlin auf und verbreitete unter den Politikern: Hindenburg und Ludendorff hätten den Kaiser gewarnt, sie könnten nicht länger mit Bethmann zusammenarbeiten: der oder sie müssten zurücktreten. Erst als ihre Drohung durch Bauers gezielte Indiskretion in ganz Berlin verbreitet war, setzten Hindenburg und Ludendorff dem Kaiser mit einem telegraphischen Abschiedsgesuch, das sie schon am Vortag dem Kriegsminister zur Kenntnis gegeben hatten, die Pistole auf die Brust.
Der Kaiser im Krieg ohne Oberste Heeresleitung? Wilhelm musste kapitulieren und Bethmann Hollweg anweisen, seinen Rücktritt einzureichen. Duisberg und die Generale, sie hatten gesiegt, sie hatten dem Monarchen ihren Willen aufgezwungen.

Auf den Arsch gefallen

Pünktlich am 30. Januar 2017 – man hat Stil – stellte der Verlag C. H. Beck zusammen mit der Gerda-Henkel-Stiftung, die „herausragende geisteswissenschaftliche Forschungsleistungen” fördert, ein „Opus magnum” vor: „Carl Duisberg. 1861–1935. Anatomie eines Industriellen” von Werner Plumpe. Für diesen Vorsitzenden des „Wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ (GUG), die 1976 zur Abwehr „ideologisch befrachteter Historiker” gegründet wurde, ist klar, dass Duisberg in diese Angelegenheit, die man nicht mal staatsstreichartig nennen darf, nur so hineingestolpert ist.
Er hatte mit der Adlon-Gesellschaft eigentlich gar nichts zu tun, er wollte sie doch nur durch starke Worte vom Handeln abhalten. GUG-Plumpe: „Carl Duisberg nahm an der Versammlung teil, hielt eine längere Rede – und, da Teile davon” – so ein Pech – „den Behörden, vor allem aber der Öffentlichkeit umgehend bekannt wurden, erschien (!) er über Nacht (!) als Kopf einer ‚Kanzler-Fronde’, der sich nun erheblicher Kritik aus allen Teilen des Reichs ausgesetzt sah. Der Kaiser war über die Adlon-Versammlung sichtlich verärgert (…)”
Plumpe: „Am eigentlichen Sturz Bethmann Hollwegs war Duisberg nur noch mittelbar beteiligt.” Beweis: Er war an diesem Tag gar nicht in Berlin, wie ein Brief von ihm belegt: „Im entscheidenden Augenblick rutschte ich aber auf der Treppe aus und fiel derartig auf die bessere Hälfte meines Körpers, dass der Arzt den Teil wenigstens eine Nacht lang auf Eis legen ließ.” Zwar hätte er am nächsten Tag noch fahren können, aber er betrachtete seinen Fall auf den Arsch als ein „Zeichen des Himmels”, es lieber nicht zu tun, sondern „die Uhr, die ich mitaufgezogen, ruhig ablaufen zu lassen”.

Letztes Mysterium des Kapitals

Dass er im Auftrag gehandelt hatte, darüber legte Duisberg am 26. Juni 1931 in einem Brief an Hitler-Freund Kirdorf – vielleicht ungewollt – ein umfassendes Geständnis ab: „Ich habe mit Ihnen zu den größten Gegnern des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg gehört, habe ihn bekämpft, wo ich konnte (…)”. Ja, er, Duisberg, habe „im Auftrag des früheren Generalfeldmarschalls und jetzigen Reichspräsidenten v. Hindenburg, als sein Versuch in Pless, ihn (Bethmann Hollweg, O. K.) beim Kaiser zu Fall zu bringen, missglückt war, dann beim König von Bayern einen direkten Angriff gegen ihn unternommen”. Im Auftrag Hindenburgs – also eine zivil-militärische Zusammenarbeit beim Putsch gegen den Reichskanzler.
Auf dem Schutzumschlag des Opus magnum legt der Verlagskonzern C. H. Beck sein Bekenntnis ab: „Anhand des Lebenswegs des Carl Duisberg, des Begründers der modernen chemischen Industrie, beleuchtet Werner Plumpe dieses letzte Mysterium unseres Wirtschaftssystems”. Richtig, nämlich wie Krieg, Gasmord, Rüstungsprofit, Militärdiktatur und beginnender Faschismus sich in einer vorbildhaften Unternehmerfigur zusammenfügen.
Duisberg starb am 19. März 1935. Plumpe vermerkt: „Dabei war Hitlers Telegramm an Johanna Duisberg eher nichtssagend.“ So kann man das wirklich nicht sagen. Der Führer im Telegramm-Wortlaut: „Die deutsche Chemie verliert in ihm einen ihrer ersten Pioniere und einen erfolgreichen Führer, die deutsche Wirtschaft einen ihrer großen Organisatoren. Sein Name wird in Deutschland in Ehren weiterleben.”

Doch Adolf Hitler hat sich da getäuscht, und das betrübt den Unternehmensforschungsvorsitzenden sehr. Am Ende des Kapitels über Duisbergs „Tod und Nachleben” klagt Plumpe: „(…) und jüngst war die Coordination gegen Bayer-Gefahren, ein Zusammenschluss u. a. kritischer Aktionäre, mit ihrer Kampagne, die nach Carl Duisberg benannten Straßen und Schulen in Deutschland umbenennen zu lassen, zumindest in Dortmund erfolgreich. Anderswo laufen Verfahren, und es ist keineswegs sicher, wie sie ausgehen.”

Dieser Artikel erschien zuerst in der jungen Welt. Das Stichwort BAYER druckte ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Zeitung nach.

[125 Jahre] 125 Jahre Werk Leverkusen

CBG Redaktion

Presse Information vom 5.12.2016

Coordination gegen BAYER-Gefahren e. V.

Jubiläumsfeier bei BAYER / Grußwort von Hannelore Kraft

Konzerngeschichte nicht weißwaschen!

Am kommenden Mittwoch feiert der BAYER-Konzern sein 125-jähriges Bestehen am Standort Leverkusen. Zu den GratulantInnen wird auch die NRW-Landeschefin Hannelore Kraft gehören. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) fordert die Ministerpräsidentin auf, in ihrer Laudatio das lange Sündenregister des Unternehmens nicht auszuklammern.

„Obwohl die Stadt Leverkusen Stammsitz eines der größten Konzerns der Welt ist, erlebt sie eine Rekord-Finanznot. Bei Schulen, Kinderbetreuung, Gesundheit und Freizeit – überall ist der Mangel spürbar. Die Kommune ist sogar auf die Unterstützung des Landes aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen gewiesen. Und das alles, weil BAYER sich durch tausend legale Steuertricks um Abgaben in Millionen-Höhe drückt. Statt Lobreden erwarten wir deshalb Kritik von Hannelore Kraft“, erklärt Antonius Michelmann, Geschäftsführer der CBG.

Auch die dunklen Kapitel aus der Vergangenheit des Pharma-Riesen muss die Politikerin nach Ansicht der Coordination ansprechen. „BAYERs selbst schweigt gerne zu Themen wie Pestizid-Vergiftungen, Medikamenten-Skandalen, chemische Kampfstoffen, ZwangsarbeiterInnen oder generell der Rolle des Unternehmens im Nationalsozialismus. Wir fordern Frau Ministerpräsidentin Kraft dazu auf, bei dieser Weißwaschung nicht mitzumachen!“, so CBG-Vorstand Jan Pehrke.

Und Mitvorstand Axel-Köhler-Schnura ergänzt: „Bereits im 19. Jahrhundert gab es zudem massiven Widerstand von AnwohnerInnen und Belegschaft gegen die anhaltende Luft- und Wasserverschmutzung. In vielen Fällen konnte hierdurch ein besserer Arbeits- und Umweltschutz erkämpft werden. Der Widerstand gegen die zumeist rücksichtslose Konzern-Politik gehört untrennbar zur Geschichte von BAYER.“

BAYER war als Teil der IG FARBEN an den grässlichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte beteiligt: die IG FARBEN lieferten Zyklon B für die Gaskammern, unternahmen Menschenversuche in den KZs und ließen sich in Auschwitz eine riesige Fabrik von SklavenarbeiterInnen bauen. Im konzern-eigenen Konzentrationslager Auschwitz-Monowitz kamen zehntausende ZwangsarbeiterInnen ums Leben. Trotz dieser Verbrechen hat BAYER nie eine unabhängige Untersuchung der Firmen-Historie veranlasst.
Einige weitere Hintergründe zur BAYER-Geschichte:

=> Zeitgleich mit dem Schmerzmittel ASPIRIN brachte der Konzern HEROIN auf den Markt, u. a. als Hustenmittel für Kinder. Schon kurz nach der Markteinführung wiesen Ärzte auf das Suchtpotential hin. Trotzdem führte BAYER fünfzehn Jahre lang eine globale Werbekampagne für das neue Präparat durch. Während an den Siegeszug von ASPIRIN mit Ausstellungen und Forschungspreisen erinnert wird, wird das Stiefkind HEROIN heute verleugnet.

=> Der langjährige BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg beteiligte sich im 1. Weltkrieg persönlich an der Entwicklung von Giftgas und setzte den völkerrechtswidrigen Einsatz an der Front durch. Duisberg war mitverantwortlich für die Deportation zehntausender belgischer ZwangsarbeiterInnen und forderte die Annexion von Belgien, Nordfrankreich sowie von (so wörtlich) „deutschem Lebensraum“ in Polen und Russland.

=> Die IG FARBEN, der Zusammenschluss der deutschen Chemie-Industrie, waren eng in den Eroberungskrieg des Dritten Reichs eingebunden. Der Konzern folgte der Wehrmacht in die eroberten Länder Europas und übernahm meist innerhalb weniger Wochen die dortige Chemie-Industrie, Kohlegruben und die Ölförderung.

=> In den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen beschäftigte sich ein eigenes Verfahren mit den IG FARBEN. Dabei wurde z. B. festgestellt: „Unstreitig sind verbrecherische Experimente von SS-Ärzten an Konzentrationslager-Häftlingen vorgenommen worden. Diese Experimente sind zu dem ausdrücklichen Zweck erfolgt, die Erzeugnisse der IG FARBEN zu erproben.“

=> Die in Nürnberg verurteilten Manager konnten nach Verbüßung ihrer Haftstrafe ihre Karrieren ungehindert fortsetzen. So wurde Fritz ter Meer Aufsichtsratsvorsitzender von BAYER. Gegenüber den ZwangsarbeiterInnen in Auschwitz äußerte er wenig Mitgefühl; ihnen sei „kein besonderes Leid zugefügt worden, da man sie ohnedies getötet hätte“. BAYER hielt das nicht davon ab, einer Studien-Stiftung den Namen „Fritz-ter-Meer-Stiftung“ zu geben.

=> In den Laboren von BAYER wurde auch im Dritten Reich an chemischen Kampfgasen geforscht. Der Erfinder von SARIN und TABUN, Dr. Gerhard Schrader, leitete nach dem Krieg die Pestizid-Abteilung von BAYER.

=> Etwa die Hälfte aller Bluter weltweit wurde in den 80er Jahren mit HIV infiziert, ein Großteil durch Produkte von BAYER. Jahrelang setzte der Konzern die existierenden Inaktivierungsverfahren aus Kostengründen nicht ein. Noch nach dem Verbot unbehandelter Blutprodukte in den USA und Europa wurden übriggebliebene Chargen nach Lateinamerika und Asien exportiert. Tausende Bluter bezahlten dies mit ihrem Leben.

=> Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt die Zahl der jährlichen Pestizidvergiftungen auf bis zu 20 Millionen. Rund 200.000 Fälle verlaufen tödlich, dazu kommt eine hohe Dunkelziffer. Für einen großen Teil der Vergiftungen ist BAYER verantwortlich; die Firma ist mit einem Weltmarktanteil von 17 Prozent der zweitgrößte Pestizid-Hersteller der Welt. Mit der MONSANTO-Übernahme würden es sogar 27 Prozent sein. Obwohl das Unternehmen einräumt, dass „der sachgerechte Umgang mit Pflanzenschutzmitteln unter bestimmten Bedingungen in einigen Ländern der Dritten Welt nicht immer gewährleistet ist“, verkauft BAYER weiterhin hochgiftige Wirkstoffe, vor allem in Entwicklungsländern.

Weitere Informationen zur BAYER – Geschichte.

Carl Duisberg

CBG Redaktion

18. Februar 2016

Dortmund: Carl-Duisberg-Strasse umbenannt

Erfolg für die Kampagne der Coordination gegen BAYER-Gefahren: die Dortmunder Carl-Duisberg-Straße wurde nun in „Kleine Löwenstraße“ umbenannt. Damit wurde ein Beschluss vom Dezember 2014 umgesetzt.

Duisberg setzte im 1. Weltkrieg den Einsatz von Giftgas durch, betrieb die Deportation von Zwangsarbeitern und forderte die Annexion großer Teile Osteuropas. Höhepunkt von Duisbergs Lebenswerk war der Zusammenschluss der deutschen Chemie-Industrie zur IG FARBEN.

Carl Duisberg taugt nicht als Vorbild für künftige Generationen. Die CBG fordert nun auch Umbenennungen der nach Duisberg benannten Straßen in Bonn, Krefeld, Frankfurt, Wuppertal und Leverkusen, der Carl Duisberg-Centren und des CD-Gymnasiums in Wuppertal.

alle Infos zur Kampagne

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[Ticker] STICHWORT BAYER 01/2016 – TICKER

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

CBG-Jahrestagung 2015
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) widmete ihre diesjährige Jahrestagung dem Thema „Die Plastik-Flut – ein Öko-Desaster made by BAYER & Co.“ Der Meeres-Chemiker Prof. Dr. Gerd Liebezeit zeichnete in seinem Eingangsvortrag ein verheerendes Bild von der Lage. Millionen Tonnen Plastik-Müll verunreinigen die Ozeane. Ein großer Teil der Fische und Seevögel hat Spuren von Plaste & Elaste im Körper, und an den Küsten schwemmen Kadaver von Tieren an, die einen vollen Magen hatten und trotzdem verhungert sind, weil sie nur Fischernetze, PET-Flaschen und andere Plastik-Teile als „Nahrung“ zu sich genommen hatten. Liebezeit kritisierte deshalb die Bundesregierung, die im Gegensatz zu „Entwicklungsländern“ wie Bangladesh oder Ruanda nicht einmal willens war, durch ein Verbot von Plastiktüten zu einer Reduktion der Kunststoff-Produktion beizutragen. Marijana Toben vom BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ gab dagegen ein wenig Hoffnung. Sie stellte die erfolgreiche BUND-Kampagne gegen Mikroplastik in Kosmetika und Körperpflege-Produkten vor, die für viele der gesundheitsschädlichen Winzlinge das Ende bedeutete. Toben warnte jedoch davor, den Bekenntnissen der Industrie blindlings zu vertrauen – es gelte, ihren Umstieg auf unbedenklichere Alternativen ganz genau zu beobachten. CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes ging das Problem in bewährter Coordinationsmanier grundsätzlich an. Er begann mit der energie-intensiven Kunststoff-Herstellung, widmete sich hiernach mit Bisphenol A einem besonders gefährlichen Stoff, kritisierte dann BAYERs Nachhaltigkeitsstrategie als reine PR-Maßnahme und skizzierte abschließend Grundzüge einer Chemie-Wende. Durch die lebhaften, fachkundigen und nicht selten von persönlichem Engagement auf dem Gebiet geprägten Diskussionsbeiträge trugen die BesucherInnen das Ihrige zum Gelingen der Veranstaltung bei, so dass am frühen Abend alle angeregt und zufrieden die Heimreise antreten konnten.

Viele CBG-Vorträge
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) erhält immer wieder Anfragen zu Vorträgen, denen sie auch gerne nachkommt. So berichtete CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes bei der „Linken Medien-Akademie“ in Berlin über die vielfältigen Lobby-Aktivitäten BAYERs. Am Konzern-Stammsitz Leverkusen versorgte er die TeilnehmerInnen des „Klima-Pilgerwegs“ mit Informationen über den immensen Kohlendioxid-Ausstoß des Global Players. Bei der „Offenen Akademie“ in Gelsenkirchen referierte Mimkes über die Auseinandersetzungen um die Offenlegung des Kooperationsvertrages, den der Leverkusener Multi mit der Universität Köln vereinbart hatte. Und in Bremen ging der CBGler auf Einladung der „Volkshochschule Delmenhorst“ und des „Labors für Chemische und Mikrobiologische Analytik“ über die Marathon-Distanz und legte in zweieinviertel Stunden die Geschichte der deutschen Chemie-Industrie dar.

„Stoppt die alte CO-Pipeline!“
Nicht nur die zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld verlegte Kohlenmonoxid-Pipeline wirft Sicherheitsfragen auf. Auch die in den 1960er Jahren zwischen Dormagen und Leverkusen gebaute Verbindung weist gravierende Mängel auf. Das offenbarte sich der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, nachdem sie bei der Bezirksregierung Köln Einsicht in die entsprechenden Unterlagen genommen hatte. Besonders an dem Rhein-Düker, mittels dessen die Pipeline den Fluss unterquert, zeigen sich Korrosionsschäden, also Abnutzungserscheinungen an den Bau-Bestandteilen. Die CBG veröffentlichte den Befund, und kurz danach kündigte BAYER einen Düker-Neubau an. Dieses Vorhaben beseitigt die Gefahr jedoch nicht, die von dem Transport gefährlichen Giftgases quer durch Nordrhein-Westfalen ausgeht. Darum lehnt die Coordination es ab und hat auch bereits eine Einwendung gegen das Projekt formuliert. Der Leverkusener Multi aber will es unbedingt durchdrücken. Er hat aus dem PR-Desaster bei seiner anderen Pipeline-Baustelle gelernt und versucht nun, durch Dialog-Formate Akzeptanz für die Düker-Arbeiten zu schaffen. Aus diesem Grund beauftragte er die Agentur JOHANSSEN + KRETSCHMER mit der Ausrichtung einer Informationsveranstaltung. Sie fand am 10. November in der Bürgerhalle Leverkusen-Wiesdorf statt. Die COORDINATION ließ sich an dem Tag aber nicht einbinden. Sie hielt vor dem Eingang eine Kundgebung ab, auf der sie die Stilllegung der Alt-Pipeline forderte. „Für ergebnis-offene Diskussionen stehen wir gerne zur Verfügung, nicht aber für Alibi-Veranstaltungen zur Akzeptanz-Förderung“, erklärte die CBG. Allzu viele andere standen dafür auch sonst nicht zur Verfügung. Nur rund 15 BürgerInnen fanden sich im Saal ein.

MedizinerInnen gegen alte CO-Leitung
Auch ÄrztInnen wenden sich gegen die alte, zwischen Dormagen und Leverkusen verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline, der momentan eine Teil-Renovierung bevorsteht (s. o.). Da bei einem möglichen Gas-Austritt wegen der akuten Toxizität des Gases kaum Ansatzpunkte für ärztliche Notfall-Maßnahmen bestehen, forderten 94 MedizinerInnen eine sofortige Stilllegung der Leitung. „Wir sind nicht länger gewillt, dieses Hochrisiko-Projekt außerhalb des Werksgeländes von BAYER hinzunehmen, nur damit das Unternehmen eine unverantwortlich große Menge an CO vorhalten kann. Daher verlangen wir, die CO-Pipeline von Dormagen nach Leverkusen schnellstens zu stoppen“, erklärte Dr. Gottfried Arnold für die Gruppe.

Ein Musical gegen die CO-Pipeline
BAYERs umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline schaffte es jetzt sogar auf die Theater-Bühne. Am 23. Oktober 2015 hatte „Rheinheim – das Katastrophen-Musical“ Premiere. Kinder und Jugendliche aus Monheim und Langenfeld führten das Stück auf; für die Co-Produktion taten sich Monheimer Schulen und Kindergärten, die Musikschulen Monheim und Langenfelds sowie das Hitdorfer Matchbox-Theater zusammen. Und das Stück um die böse Frau Dr. Blöker von der Reichol AG, den in die Jahre gekommenen Action-Helden Briece Wullis, einen zerstreuten Professor, Werkschutz-AgentInnen und vier junge ReporterInnen mit Spürsinn für Industrie-Skandale kann sogar mit einem Happy End aufwarten. Im echten Leben ist hingegen das dicke Ende für die Giftgas-Leitung leider noch nicht gekommen.

Offener Brief an National Geographic
Der Leverkusener Multi gehört mit seiner unökologischen Produktionsweise und Hervorbringungen wie gefährlichen Industrie-Chemikalien und Pestiziden zu den großen Umweltsündern. Um das zu kaschieren, betreibt er Greenwashing, indem er mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen und Umwelt-Organisationen Kooperationen eingeht. Mit der „National Geographic Society“, die unter anderem die Zeitschrift National Geographic herausgibt, arbeitet das Unternehmen nun schon zum zweiten Mal zusammen. Im Oktober 2015 ließ die Gesellschaft sich für die ganz auf den agro-industriellen Komplex setzende Landwirtschaftssparte des Konzerns einspannen. Gemeinsam mit BAYER CROPSCIENCE präsentierte sie das Online-Spiel „Top Crop“, das sich angeblich den „komplexen Problemen beim Anbau von Nahrungsmitteln für eine wachsende Weltbevölkerung“ widmet. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisierte die Partnerschaft in einem Offenen Brief an die „National Geographic Society“ scharf. „BAYER ist der zweitgrößte Hersteller von Pestiziden und einer der zentralen Anbieter von gentechnisch verändertem Saatgut. Die von BAYER propagierte Landwirtschaft, die auf einem intensiven Einsatz von Agro-Chemikalien und Dünger basiert, schädigt Böden und Biodiversität irreversibel und gefährdet dadurch die Ernährungssicherheit. National Geographic sollte sich nicht dafür hergeben, Geld aus der Portokasse von BAYER anzunehmen und dadurch zum ‚Greenwashing’ des Konzerns beizutragen“, hieß es darin etwa.

Virtueller MIRENA-Flashmob
BAYERs Hormon-Spirale MIRENA hat Nebenwirkungen wie nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen, Unruhe, Schlaflosigkeit, permanente Bauchkrämpfe und Oberbauchschmerzen. Allein die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erhielt bereits 45.000 Meldungen über unerwünschte MIRENA-Effekte. Darum setzen sich immer mehr Frauen zur Wehr. Sie verklagen den Leverkusener Multi – in den USA gibt es bereits über 2.000 Prozesse – und führen Aktionen durch. So kam eine bundesdeutsche Gruppe zu einem virtuellen Flashmob auf BAYERs Facebook-Seite zusammen und forderte dort unter anderem aussagekräftigere Beipackzettel und einen Widerruf der Aussage, MIRENA würde nur lokal wirken.

Neues von der Duisberg-Kampagne
Am 29. September 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele Menschen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund und Lüdenscheid hatte das schon Erfolg (siehe auch SWB 1/15). Andere Orte wie z. B. Frankfurt und Marl haben noch keine Entscheidung gefällt. Der Bürgermeister des BAYER-Standortes Dormagen beauftragte das Stadtarchiv mit einer Prüfung. Diese fiel nicht eben zu Gunsten Duisbergs aus. CDU, FDP und die Zentrumspartei wollten jedoch trotzdem keine Initiative ergreifen, die SPD blieb gespalten. Darum schlug der Bürgermeister vor, die AnwohnerInnen selbst über die Sache entscheiden zu lassen. Und da diese sich hauptsächlich von praktischen Erwägungen leiten lassen dürften, wird es wohl keine Adress-Änderungen in Dormagen geben. Bonn und Waldshut-Tiengen haben sich ebenfalls gegen einen neuen Namen entschieden. Auch die Universität Marburg hielt an Duisberg fest und ließ ihm seine Ehrendoktor-Würde. In Bergisch-Gladbach hingegen stand die Straßen-Bezeichnung zwar nicht zur Debatte, die Stadt hat aber ein Straßennamen-Buch herausgegeben, das auch einen kritischen Artikel zu Duisberg enthält.

UN-Kritik an BAYER
Bei seinem Deutschland-Besuch im Herbst 2015 beanstandete der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Buskat Tuncak, die von den Chemie-Konzernen betriebene Politik der doppelten Standards. „Gefährliche Pestizide, die in der EU zur Verwendung verboten sind, werden von einigen deutschen Unternehmen immer noch in Länder exportiert, die nicht über ein angemessenes System zur Kontrolle dieser Pestizide verfügen“, so Tuncak. Ganz konkret kritisierte er dabei auch den Leverkusener Multi. „BAYER hat zugegeben, dass noch hochgefährliche Pestizide hergestellt werden, hat aber auch eingeräumt, dass daran gearbeitet wird, nach und nach aus den Produkten auszusteigen. Mich befriedigt allerdings nicht, dass es keinen konkreten Zeitplan dafür gibt“, sagte der Sonderberichtserstatter. Das PESTIZID-AKTIONS-NETZWERK (PAN) machte bei seiner letzten Inventur im Jahr 2012 64 hochgefährliche Ackergifte in den Beständen des Konzerns aus. 15 davon verkauft er nur in Afrika, Asien und Lateinamerika; elf Substanzen dieser Gruppe wie etwa Fipronil, Mancozeb und Diuron sind hierzulande gar nicht (mehr) zugelassen (SWB 3/12).

ESSURE-Protest in den USA

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ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation, zieht immer mehr Kritik auf sich. Die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen, kann nämlich beträchtliche Gesundheitsschädigungen hervorrufen. Allzu oft bleibt die Spirale nicht an ihrem vorgesehenen Ort, wandert vielmehr im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Nebenwirkungen. Aktionsgruppen in den USA riefen deshalb den 15. Juli 2015 zum landesweiten Protesttag aus. Mit Parolen wie „Don’t be sure with ESSURE“ oder „BAYER stole my uterus – people before profits“ gaben Frauen auf den Straßen ihren Unmut über das Medizin-Produkt Ausdruck.

ESSURE-Protest in den USA

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Die unerwünschten Arznei-Effekt von BAYERs Sterilisationsspirale ESSURE (s. o.) bewogen den republikanischen Politiker Mike Fitzpatrick, einen Verbotsantrag in den Kongress einzubringen, den „E-Free Act“. „Die durch ESSURE verursachten Schäden sind gut dokumentiert und reichen weit. Trotz all dieser Fakten bleibt das Medizinprodukt auf dem Markt, mit einem Zulassungsstempel der FDA (US-Gesundheitsbehörde, Anm. Ticker) versehen. Das ist unakzeptabel für mich und die Zehntausenden von ‚ESSURE Sisters’, die mit den Nebenwirkungen leben müssen“, sagte Fitzpatrick zur Begründung. Ursprünglich versicherte ihm mit Rosa DeLauro sogar eine Demokratin ihren Beistand, ein ungewöhnlicher Akt angesichts der aktuellen Grabenkämpfe zwischen den beiden Parteien. Die Abgeordnete aus Connecticut zog ihre Unterstützung jedoch wieder zurück, weshalb der „E-Free Act“ kaum Chancen hat, Gesetzeskraft zu erlangen.

Transparenz für Stiftungsprofessuren?
Der Leverkusener Multi unterhält diverse Stiftungsprofessuren. In Niedersachsen muss der Konzern über die genauen Modalitäten bei der Einrichtung der Lehrstühle künftig vielleicht etwas genauer Auskunft geben. Das Bundesland bereitet nämlich ein Informationsfreiheitsgesetz vor, das Transparenz-Regelungen für die entsprechenden Vereinbarungen vorsieht. So kann die Öffentlichkeit dann etwa erfahren, wie viele Wörtchen die Konzerne bei der Berufung der Hochschul-LehrerInnen mitzureden haben. Den Landtag passiert hat das Paragrafen-Werk allerdings noch nicht.

Transparenz bei Beobachtungsstudien
Erkenntnisse werfen die Beobachtungsstudien zu Arzneien, die MedizinerInnen mit ihren PatientInnen durchführen, kaum ab. Das ist auch gar nicht Sinn der Übung. Die Anwendungsuntersuchungen – wie sie BAYER etwa zu seinem Multiple-Sklerose-Präparat BETAFERON in Auftrag gegeben hat – verfolgen nur den Zweck, die Kranken auf das getestete Präparat umzustellen. Und dafür zahlen die Pharma-Riesen den ÄrztInnen viel Geld. „Fangprämien“ nannte ein ehemaliger Vorsitzender der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ diese Zuwendungen einst. Genauere Informationen zu den Anwendungsbeobachtungen (AWB) müssen die Unternehmen den Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ (BfArM) übermitteln. Die Deutschland-Sektion von TRANSPARENCY INTERNATIONAL wollte sich diese Unterlagen einmal genauer ansehen und stellte einen Antrag auf Einsichtnahme. Von den drei angesprochenen Institutionen stellte sich nur das BfArM quer. Erst nach zwei Klage-Verfahren gelang es Transparency, Zugang zu den Dokumenten zu erhalten. Der Grund für das Blockade-Verhalten erschloss sich gleich nach Lektüre der Akten. Das BfArM war nämlich seinem gesetzlichen Auftrag, die Anwendungsbeobachtungen zu beobachten, mitnichten nachgekommen. Die Einrichtung versah das Material meistens nur mit einer Posteingangsnummer und heftete es ab. Unstimmigkeiten, die Transparency gleich ins Auge stachen wie etwa unvollständige Meldungen, fehlende Beobachtungspläne und fehlende Angaben zu den Honoraren, bemerkte das Bundesinstitut folglich nicht. Auch verglich es die erhaltenen Angaben nicht mit denen, die BAYER & Co. gegenüber den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemacht hatten, so dass die stark differierenden Auskünfte über die Anzahl der AWB nicht weiter auffielen. „Es erfolgte offensichtlich seitens der Institutionen kein Abgleich untereinander, auch gegenüber den Meldenden wurden kaum Beanstandungen erhoben. Ebenso wenig interessierte man sich für den Verlauf oder die Ergebnisse der AWB, vor allem hinsichtlich der Arzneimittel-Sicherheit“, kritisiert TRANSPARENCY INTERNATIONAL. Das Resümee der Organisation lautet deshalb: „Der wissenschaftliche Nutzen von AWB für die Allgemeinheit ist also gleich Null.“ Der Nutzen für die MedizinerInnen ist hingegen hoch. Die 126.764 von 2008 bis 2010 an den Beobachtungsuntersuchungen beteiligten ÄrztInnen erhielten für ihre Arbeit mit den über eine Million PatientInnen im Durchschnitt 19.000 Euro. Zehnmal stellte dabei der Leverkusener Multi den Scheck für „Studien“ mit insgesamt 6.500 Menschen aus. Als Konsequenz aus dem Studium der Unterlagen fordert Transparency nun strengere Auflagen für die Anwendungsuntersuchungen.

Protest gegen SIVANTO
BAYER preist das Pestizid SIVANTO mit dem Inhaltsstoff Flupyradifuron als Alternative zu den bienengefährlichen Substanzen GAUCHO und PONCHO an. SIVANTO zählt zwar nicht wie GAUCHO (Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) zu den Neonicotinoiden, sondern zu den Butenoliden, aber es wirkt wie die beiden Agro-Gifte systemisch und blockiert ebenso wie diese die Reiz-Weiterleitung an den Nervenbahnen. Deshalb bestehen massive Zweifel daran, ob der Stoff wirklich so „bienenfreundlich“ ist, wie der Leverkusener Multi behauptet. So hält Michele Colopy von der Organisation POLLINATOR STEWARDSHIP COUNCIL fest: „Die Forschungsergebnisse weisen vielleicht auf keine akute toxische Wirkung bei der ersten Anwendung hin, aber Zweit- und Drittanwendung zeigen eindeutige Effekte auf die Bienensterblichkeit, das Verhalten, die Brut-Entwicklung sowie Pollen und Nektar.“ Trotzdem erteilten die US-Behörden dem Produkt die Zulassung. Kanada hat noch nicht über eine Genehmigung entschieden, aber im Vorfeld regt sich bereits heftiger Widerstand gegen SIVANTO. HEALTH CANADA, SumOfUs und die „DAVID SUZUKI FOUNDATION“ rufen dazu auf, dem Pestizid kein grünes Licht zu erteilen, und haben eine Kampagne gestartet.

Gen-Soja: TESTBIOTEST kritisiert EU
Die Europäische Kommission entscheidet demnächst über die Einfuhr-Genehmigung von BAYERs Gen-Soja FG72. Dank Manipulationen an ihrem Erbgut übersteht die Laborfrucht Heimsuchungen durch die Pestizide Isoxaflutol und Glyphosat, während Wildkräuter den Agro-Giften erliegen. Bei Isoxaflutol haben die „ZukunftstechnologInnen“ auf einen 20 Jahre alten Inhaltsstoff zurückgegriffen, der ebenso wie sein Pendant Glyphosat im Verdacht steht, Krebs zu erregen. Die Organisation TESTBIOTEST hat die EU wegen dieser Risiken und Nebenwirkungen aufgefordert, eine detaillierte Untersuchung zu den Chemikalien durchzuführen, ehe sie ihre Entscheidung fällt. „Es ist Aufgabe der EU-Kommission, für eine Risiko-Prüfung zu sorgen, die den Anforderungen der EU-Gesetze genügt. Diese basieren auf dem Vorsorge-Prinzip und fordern hohe wissenschaftliche Standards. Die Risiko-Bewertung muss daher auch die gesundheitlichen Auswirkungen von speziellen Mischungen von Spritzmittel-Rückständen einbeziehen“, so der Testbiotestler Christoph Then. Brüssel lehnte seine Forderung jedoch ab.

Warnung vor Testosteron-Mitteln
Mit großer Anstrengung arbeitet der Leverkusener Multi daran, die „Männergesundheit“ als Geschäftsfeld zu etablieren und Hormon-Präparaten wie NEBIDO oder TESTOGEL neue und nur selten zweckdienliche Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. Zu diesem Behufe hat der Pharma-Riese die Krankheit „Testosteron-Mangel“ erfunden und sie zu „männlichen Wechseljahresstörungen“ erhoben. Studien hingegen warnen wegen Nebenwirkungen wie Herzinfarkt, Harntrakt-Schädigungen, Schrumpfung des Hoden-Gewebes, Beeinträchtigung der Zeugungsfähigkeit, Brust-Wachstum, Bluthochdruck, Blutverdickung, Ödeme und Leberschäden vor den Mitteln (siehe auch Ticker 4/15). Ungeachtet dessen verschreiben MedizinerInnen die Pharmazeutika immer häufiger – die Pharma-DrückerInnen von BAYER & Co. machen offenbar ganze Arbeit. Dr. Thomas Vögeli, Leiter der Aachener „Klinik für Urologie“ kritisiert den Umgang mit NEBIDO & Co.: „Es kommen Patienten zu uns, die halbwegs normale Testosteron-Werte haben – und trotzdem von Urologen oder Hausärzten Hormone verabreicht bekommen“, so Vögeli: „Das ist unverantwortlich.“

KAPITAL & ARBEIT

Grenzach: BAYER streicht 200 Stellen
Der Leverkusener Multi vernichtet in seinem Grenzacher Werk 200 der 660 Arbeitsplätze. Der Konzern stellt an dem Standort die Salben BEPANTHOL und BEPANTHEN her und befüllt Fertigspritzen und Injektionsfläschchen für andere Pharma-Unternehmen. Mit ausbleibenden Aufträgen von diesen Fremdfirmen begründet der Pillen-Riese nun die Stellen-Streichungen, die LeiharbeiterInnen ebenso betreffen wie Beschäftigte mit befristeten und unbefristeten Verträgen. „Die Kollegen sind spürbar entsetzt, fassungslos und enttäuscht“, hält der Betriebsratsvorsitzende Armin Schranz fest und kritisiert die Verantwortungslosigkeit des Personals in den Top-Rängen. „Erfahrene Manager, die uns bis dahin geführt haben und die wir eigentlich in diesen schwierigen Zeiten dringend benötigen, verließen uns nach und nach und ließen uns mit unseren Sorgen und Problemen alleine“, so Schranz. Er verweist auch auf die – sich nun als sinnlos erweisenden – Opfer, welche die Belegschaft erbracht hatte, als BAYER die Produktionsstätte im Zuge des Kaufs von ROCHEs „Consumer Health“-Sparte übernahm, und warnt vor weiteren Einschnitten. „Nachdem altgediente Mitarbeiter nach dem Betriebsübergang von ROCHE zur BAYER AG zur Sicherung des Standortes große Verluste der Betriebsrenten-Ansprüche hinnehmen mussten, dürfen weitere Einbußen keinesfalls folgen“, mahnt Schranz. Um das sicherzustellen, will der Betriebsratschef bei den laufenden Verhandlungen mit dem Global Player eine Standortsicherungsvereinbarung durchsetzen.

500 Euro Monatslohn in China
Das Reich der Mitte hält für BAYER viele Standort-Vorteile bereit. So braucht der Leverkusener Multi in der Pharma-Produktion beschäftigten Frauen nur einen Monatslohn von umgerechnet 500 Euro zu zahlen. Auch mit den Sozialleistungen kann sich der Konzern zurückhalten. Mutterschutz gewährt er nur wenige Wochen. Grund genug für den Pharma-Riesen, die Pillen-Produktion in Peking auszuweiten. 100 Millionen Euro investiert er in den Ausbau des dortigen Werkes.

Klagen über Arbeitsverdichtung
Am Wuppertaler Pharma-Standort von BAYER leidet die Belegschaft unter einer massiven Arbeitsverdichtung. „Die Mitarbeiter beklagen die hohe Taktzahlen“, „Man hat nur noch zu funktionieren“, „Bei der Urlaubsabsprache kommt man sich vor wie ein Bittsteller“ – diese Stimmen aus der Produktion zitiert die Wuppertaler BELEGSCHAFTSLISTE, eine Gruppe kritischer Chemie-GewerkschaftlerInnen im Wuppertaler BAYER-Werk. Dem Belegschaftsinfo zufolge lässt der Pillen-Riese Schichten mit zwei statt wie eigentlich vorgesehen mit vier Beschäftigten fahren und bürdet durch die heißlaufenden Maschinen vor allem den SchlosserInnen und dem Kontroll-Personal viele Lasten auf. Darüber hinaus arbeiten Belegschaftsangehörige bis zu 17 Tage ohne Pause durch und häufen Überstunden ohne Ende an. „Hier muss Abhilfe geschaffen werden“, fordert die BELEGSCHAFTSLISTE.

Feine Unterschiede beim Bonus
Von seinem 2014er Rekord-Gewinn gab BAYER mit 420 Millionen Euro auch bisschen was an die 18.200 Tarif-Beschäftigten in der Bundesrepublik weiter. Bei BAYER HEALTH CARE profitierten davon jedoch nicht alle in gleichem Maße. Die in der Produktion arbeitenden Belegschaftsangehörigen erhielten nicht so viel wie diejenigen aus dem Bereich „Forschung & Entwicklung“. „Wieso bekommen unsere Produktionskollegen weniger als ‚Forschung und Entwicklung?“, fragte die im Wuppertaler BAYER-Werk aktive alternative Gewerkschaftsgruppe BELEGSCHAFTSLISTE deshalb kritisch und stellte fest: „Die Kollegen haben sicher nicht weniger zum überragenden Geschäftserfolg beigetragen!“

Neuer Tarifvertrag in Berkeley
Das BAYER-Werk in Berkeley gehört zu den wenigen US-Niederlassungen des Konzerns mit einer organisierten Arbeiterschaft, aus anderen Werken vertrieb der Leverkusener Multi die Gewerkschaften erfolgreich. 2012 hatte es an dem kalifornischen Standort nahe San Francisco noch harte Tarif-Verhandlungen gegeben, die von Solidaritätsaktionen im ganzen Land begleitet waren. 2015 hingegen blieben die großen Auseinandersetzungen aus. Der Konzern einigte sich mit den GewerkschaftlerInnen relativ schnell auf einen neuen Tarif-Vertrag mit 4-jähriger Laufzeit. Offenbar hat sich das Unternehmen mit der Existenz der Beschäftigten-Vertretung abgefunden.

DRITTE WELT

Aus für die „Food Partnership“
Im Jahr 2012 rief der damalige Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel die „German Food Partnership“ (GFP) ins Leben. BAYER, BASF, SYNGENTA und weitere Firmen beteiligten sich an der Kooperation. „Mit ihrem Kapital, vor allem aber ihrem Know-how und ihrer Wertschätzung für Umwelt- und Sozialstandards trägt die Privatwirtschaft ganz wesentlich zu entwicklungspolitischen Fortschritten bei“, so begründete der FDP-Politiker die Zusammenarbeit damals. Der Leverkusener Multi wirkt an dem GFP-Projekt „Better Rice Initiative in Asia“ mit. Er nutzt es als Vehikel, um seinen nach einer agro-industriellen Produktionsweise verlangenden, sich nicht zur Wiederaussaat eignenden Hybrid-Reis zu vermarkten. Zur Erhöhung der Versorgungssicherheit und Stärkung der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen trägt die Unternehmung hingegen nichts bei. Darum kritisierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN die Liasion zwischen dem „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) und der Industrie scharf. Andere Verbände wie OXFAM und FIAN protestierten ebenfalls gegen die Entwicklungshilfe für multinationale Konzerne. Das Engagement hatte jetzt Erfolg. Das BMZ beendet die „German Food Partnership“. Die Reis-Initiative und andere Programme laufen jedoch weiter. Andere Formen dessen, was Niebel einst „Schulterschluss mit der Privatwirtschaft“ nannte, brauchen sich um die Überweisungen aus Berlin auch keine Sorgen zu machen. Die „Neue Allianz für Ernährungssicherung“ von MONSANTO, BAYER & Co., kann sich ebenso nach wie vor über hohe Subventionen freuen wie develoPPP, in dessen Rahmen der Leverkusener Multi an einem Vorhaben zur Behebung der Mangelernährung von afrikanischen Frauen teilnimmt. Und für die „Grünen Innovationszentren“, für die der Agro-Riese in Indien gerade eine Messstation zur Erfassung von Pilz-Sporen baut, gilt das Gleiche.

Kenia: Streit um Parallel-Importe
In manchen afrikanischen Ländern kosten bestimmte Medikamente bis zu 50 Mal mehr als in anderen Staaten auf der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt als Beispiel BAYERs Antibiotikum CIPROFLOXACIN, von dem eine Packung mit 100 Tabletten in Mozambik zu einem Preis von 740 Dollar erhältlich ist, während InderInnen dafür nur 15 Dollar zahlen müssen, weil die Arznei dort Konkurrenz in Form von billigen Nachahmer-Produkten hat. Die WHO hält deshalb die Einfuhr dieser günstigeren Präparate („Parallel-Import“) ausdrücklich für ein legitimes und auch nicht die Regeln der Welthandelsorganisation WTO verletzendes Mittel, um die Medikamenten-Versorgung sicherzustellen. Genau zu diesem Instrument will jetzt das kenianische Gesundheitsministerium greifen, aber die Industrie-Vereinigung „Pharmaceutical Society of Kenya“ sträubt sich dagegen.

POLITIK & EINFLUSS

Konzerne kritisieren Klima-Abkommen
Auf der Pariser Klima-Konferenz kamen die Teilnehmer-Länder überein, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad zu begrenzen. Einen verbindlichen Fahrplan zum Erreichen dieses Zieles haben die Staaten allerdings nicht beschlossen. Aber nicht daran stören sich BAYER & Co. Die Konzerne kritisieren die Vereinbarung, weil diese sie nicht vor den Wettbewerbsnachteilen schützt, die ihnen die aus ihrer Sicht zu ambitionierte Politik der EU auf diesem Gebiet beschert hat. Der Präsident des „Bundesverbandes der deutschen Industrie“, Ulrich Grillo, beklagte die angeblich unfaire Lastenverteilung und forderte ein Klimaschutz-Moratorium. „Es ist jetzt nicht die Zeit, überstürzt über neue EU-, geschweige denn nationale Ziele nachzudenken“, so Grillo. Sein Kollege Holger Lösch aus der BDI-Geschäftsführung leitete aus den Pariser Beschlüssen die Schlussfolgerung ab, „dass Deutschland und Europa auch weiterhin ihre Industrien vor ungleichen Wettbewerbsbedingungen schützen müssen“, und der Hauptgeschäftsführer des „Verbandes der Chemischen Industrie“, Utz Tillmann, wusste dafür sogar schon ein erstes Betätigungsfeld zu nennen. Die Europäische Union dürfe den Unternehmen bei der anstehenden Reform des Emissionshandels keine neuen Auflagen machen, meinte Tillmann.

Offene Bundestagstüren für BAYER
In wichtigen Hauptstädten wie Berlin, Brüssel, Washington und Peking unterhält der Leverkusener Multi so genannte Verbindungsbüros für seine Lobby-Arbeit. Patricia Solaro, welche die Dependance am bundesdeutschen Regierungssitz leitet, beschreibt ihre Tätigkeit allerdings ein wenig anders: „Wir sind Dienstleister für die Politiker, das bedeutet, wir müssen komplexe Sachverhalte aus den Bereichen ‚Pharma‘, ‚Gesundheit‘ und ‚Chemie‘ verständlich darstellen“. Und dazu hat BAYER soviel Gelegenheit wie kaum ein anderes Privat-Unternehmen. Gleich sieben Beschäftigte des Konzerns verfügen über Hausausweise für die Bundestag, nur die Lobby-Agentur EUTOP besitzt mehr. Ausgestellt hat die Dokumente für den Pharma-Riesen ausnahmslos die CDU-Fraktion. Die hatte dann auch ebenso wenig wie die SPD ein Interesse daran, dass die Liste mit den privilegierten Konzernen, Organisationen und Verbänden ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Es war eine Klage des Tagesspiegels nötig, um die Parteien zur Preisgabe der Unterlagen zu zwingen.

Steinmeier preist BAYER & Co.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat für die Neuausgabe des „Lexikons der deutschen Weltmarkt-Führer“ ein Grußwort verfasst und lobt BAYER & Co. darin in den höchsten Tönen. „Der Erfolg deutscher Weltmarkt-Führer speist sich aus mehr als einem ausgeprägten Gespür für Marktchancen und herausragender Innovationskraft. Vernunft, Verantwortung und langfristige Orientierung – das sind die Werte, die das Handeln dieser Unternehmen bestimmen“, schreibt der Sozialdemokrat und schwärmt von seinen Besuchen der Firmen-Standorte im In- und Ausland. Dass es mittlerweile kaum noch einen nicht vorbestraften Dax-Konzern gibt und nicht nur das Sündenregister von BAYER kaum noch zu überblicken ist, ficht ihn dabei nicht an.

Schmidt knickt vor BAYER & Co. ein
Viele TierzüchterInnen verwenden Gentech-Pflanzen als Futtermittel. Darum fordern Gentechnik-GegnerInnen schon seit Langem eine Kennzeichnungspflicht für tierische Produkte, in denen Labor-Früchte von BAYER & Co. stecken. Auch die Bundesregierung bekannte sich in ihrem Koalitionsvertrag zu einer solchen Maßnahme. Jetzt schrieb die Große Koalition das Projekt allerdings ab. Das Vorhaben „finde derzeit keine ausreichende Unterstützung seitens der Europäischen Kommission und der Mitgliedsstaaten“, hieß es kurz und knapp in dem von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt CSU vorgelegten agrarpolitischen Bericht. „Die Bundesregierung betrügt die Bürgerinnen und Bürger, die Gentechnik im Essen und auf den Äckern mehrheitlich ablehnen, ein weiteres Mal“, kritisierte Harald Ebner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Duin im Chemie-Mobil
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) hat eigentlich nichts gegen die gefährliche Kohlenmonoxid-Pipeline, die zwischen den BAYER-Standorten Krefeld und Dormagen verläuft und immer noch ihrer Inbetriebnahme harrt. Er warf dem Leverkusener Multi nur vor, die BürgerInnen bei der Entscheidung nicht eingebunden zu haben. Deshalb mahnte er eine bessere Öffentlichkeitsarbeit an. Frucht dieser Offensive ist nun das Chemie-Mobil des nordrhein-westfälischen „Verbandes der Chemischen Industrie“, das im Herbst 2015 Stadtfeste und Märkte heimsuchte. Der Minister ließ es sich dann auch nicht nehmen, dem Gefährt seine Aufwartung zu machen, für einen Foto-Termin zur Verfügung zu stehen und Zitierfähiges kundzutun. „Die Menschen vor Ort können sich so über die Vielfalt und Bedeutung der Produkte der chemischen Industrie informieren. Das schafft Vertrauen und legt die Basis für ein lebendiges Miteinander“, lobte der Sozialdemokrat die Propaganda-Aktion.

Peking: Kraft besichtigt BAYER-Werk
Auf ihrer China-Reise im Frühjahr 2015 begleitete die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) eine 40-köpfige Delegation mit Wirtschafts-, Wissenschafts- und MedienvertreterInnen. Darunter befand sich auch der BAYER-Vorstand Michael König. Damit nicht genug, stattete Kraft überdies noch BAYERs Pharma-Werk in Peking einen Besuch ab und verlieh der Fertigungsstätte ministrielle Weihen. „Wir sind wirklich beeindruckt, mit welchen Standards hier produziert wird“, ließ sich die Sozialdemokratin vernehmen.

BAYER & Co. fordern Maßnahmen
Mitte März 2015 kamen der „Bundesverband der deutschen Industrie“ und andere Wirtschaftsverbände mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen. Im Vorfeld des Treffens veröffentlichten BAYER & Co. eine lange Wunschliste. Darin forderten die Konzerne Maßnahmen zur Stärkung des Standortes Deutschland durch mehr Investitionen in die Infrastruktur, „Bürokratie-Abbau“ und bessere Anlage-Bedingungen für Wagnis-Kapital. Darüber hinaus klagten die Unternehmen über hohe Strom-Kosten und warnten vor zusätzlichen Belastungen etwa durch die von der EU geplante Neuregelung des Handels mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Statt mit einem „verschärften Ordnungsrecht“ zu operieren, müsse die Energie-Politik Anreize setzen und auf das Prinzip „Freiwilligkeit“ vertrauen, hielten die Multis darüber hinaus fest. Auch ein Wiederaufschnüren des Gesetzes-Pakets mit den Hartz-„Reformen“ verbaten die Firmen sich. „Die Bundesregierung darf die Reform-Uhr auf dem Arbeitsmarkt nicht immer weiter zurückdrehen. Das gilt gerade für die Zeitarbeit und Regulierung von Werk- und Dienstverträgen“, heißt es in der „Gemeinsamen Erklärung“.

BAYER & Co. vs. Hillary Clinton
Hierzulande kritisierte Karl Lauterbach jüngst in seinem Buch „Die Krebs-Industrie“ die Mondpreise für Onkologie-Medikamente scharf. In den USA wächst der Unmut über die hohen Kosten für die Pharmazeutika ebenfalls (siehe SWB 1/16). So protestierten schon PatientInnen-Verbände und ÄrztInnen gegen die Profit-Sucht von Big Pharma. Und kurz nachdem 118 Krebs-ExpertInnen einen Maßnahmen-Katalog zur Reduzierung der Arznei-Ausgaben vorgelegt hatten, veröffentlichte auch Hillary Clinton von der demokratischen Partei einen Plan zur Reduzierung der Renditen nicht nur bei Krebs-, sondern auch bei Alzheimer- und Parkinson-Therapeutika. BAYERs US-amerikanischer Lobby-Verband PhRMA reagierte postwendend und tischte die altbekannten Argumente für die Beibehaltung des lukrativen Status Quos auf: „Secretary Clintons Vorschlag würde die Uhr des medizinischen Fortschritts zurückdrehen und den Fortschritt im Kampf gegen diejenigen Krankheiten bremsen, welche die Menschen am meisten fürchten.“

Steuerbefreiung in Mishawaka
In den USA macht BAYER es sich zur Gewohnheit, vor Investitions- oder Deinvestitionsentscheidungen zu eruieren, ob die Standorte zu Steuer-Reduzierungen bereit sind (siehe auch TICKER 2/15). Mit Mishawaka ging nun erneut eine Gemeinde auf die Erpressung ein. Gegen die Versicherung des Konzerns, 50 bis 60 Arbeitsplätze zu schaffen, stellte die Stadt dem Global Player gehörige Nachlässe in Aussicht. Im ersten Jahr will Mishawaka ihm aller Abgaben erlassen, im zweiten 90 Prozent, anschließend 80 Prozent und so weiter, bis der Leverkusener Multi nach einer Dekade dann wieder normal zahlen muss.

PROPAGANDA & MEDIEN

XARELTO-Kampagne mit Ballack
Da der Gesetzgeber in der Bundesrepublik direkte Werbung für Arzneien nicht gestattet, greift BAYER zu indirekten Methoden. Die Reklame für seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO – allein im Jahr 2014 gingen beim „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ 161 Meldungen über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Mittel ein – tarnt der Leverkusener Multi beispielsweise als Aufklärungskampagne zum Thema „Schlaganfall“. Bereits seit vier Jahren läuft die PR-Aktion „Rote Karte für den Schlaganfall“ mit dem ehemaligen BAYER-Leverkusen-Fußballer Michael Ballack als prominentes Gesicht. Als Kooperationspartner mit dabei: Die PatientInnen-Organisation „Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe“, die dem Global Player den Kontakt zur Zielgruppe sichert.

Große Tierarznei-Verkaufsshow
Bei der Vermarktung von Tier-Arzneien stoßen BAYER & Co. auf noch weniger Grenzen als bei der Verkaufsförderung von humanmedizinischen Produkten. Das nutzen die Unternehmen weidlich aus. So veranstaltete die Branchen-Vereinigung „American Veterinary Medical Association“ im Dezember 2014 eine 4-tägige Messe, die rund 9.000 VeterinärInnen besuchten. Mit freien Mahlzeiten, kleinen, die Freundschaft erhaltenden Geschenken, Rock-Konzerten und anderen Events hielten die Konzerne ihre Kundschaft bei Laune. So bot der Leverkusener Multi einen Magier auf, um einen Vortrag mit „Produkt-Informationen“ einzuleiten und belohnte die ZuhörerInnen anschließend mit einem USB-Ladegerät.

BAYER sponsert Jugend-Agrar-Gipfel
Der Leverkusener Multi investierte in die Zukunft seines Landwirtschaftsgeschäfts und rief deshalb den Jugend-Agrar-Gipfel ins Leben. Gemeinsam mit der JunglandwirtInnen-Organisation „Future Farmers Network“ lud BAYER Ende August 2015 „rund 100 junge Vordenker aus aller Welt“ ins australische Canberra ein, um ihnen nahezubringen, was ein Agro-Riese so unter einer nachhaltigen Acker-Bewirtschaftung versteht.

BAYER sponsert ÄrztInnen-Kongresse
Zur Pflege der medizinischen Landschaft sponsert der Leverkusener Multi auch ÄrztInnen-Kongresse. Im November 2015 „unterstützte“ er nach Informationen der Initiative BIOSKOP den Kongress der „Deutschen Hochdruck-Liga“ zu „Hypertonie und Prävention“ mit 18.000 Euro und die Arbeitstagung der „Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie“ mit 5.000 Euro. Im Oktober konnte sich die „Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Urologen“ über 2.000 Euro freuen, und auch die Veranstaltungen des Geriatrie-Forums und der „European Association of Nuclear Medicine“ bedachte der Leverkusener Multi. Am meisten ließ er sich jedoch den Kongress der „Deutschen Gesellschaft für Neurologie“ (DGN) kosten, der vom 23. bis zum 26. September in Düsseldorf stattfand. Über 180.000 Euro investierte der Konzern hier – gut angelegtes Geld, denn diese Medizin-Gesellschaft zählt zu den einflussreichsten Verfechtern des umstrittenen BAYER-Gerinnungshemmers XARELTO. So widersprach die DGN ausdrücklich der XARELTO-Kritik der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ und empfiehlt das Medikament in seinen Leitlinien.

BAYER sponsert Fortbildungen
Der Gesetzgeber verpflichtet die MedizinerInnen darauf, ihre Kenntnisse ständig zu erweitern. Die betreffenden Fortbildungsmaßnahmen unterliegen allerdings dem Einfluss von BAYER & Co. 60 bis 70 Prozent der Angebote finanziert Big Pharma. Der Leverkusener Multi arbeitet dabei besonders eifrig daran, das Wissen der ÄrztInnen über seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO zu mehren und bietet zu diesem Behufe Veranstaltungen wie „ThromboVision 2015“ und Vorträge wie „Die neuen Antikoagulantien im perioperativen Umfeld“ an. Eigentlich müssten die ÄrztInnenkammern prüfen, ob ihre KollegInnen bei solchen Gelegenheiten der unrechtmäßigen Einflussnahme von BAYER & Co. unterliegen, aber den Standes-Organisationen reicht meist die unverbindliche Erklärung der AusrichterInnen, es würden keine kommerziellen Interessen verfolgt. „Solche Formen der Fortbildung müssten verboten werden“, fordert TRANSPARENCY INTERNATIONAL deshalb. Das dürfte jedoch kaum geschehen, obwohl die Bundesregierung gerade ein Paragrafen-Werk zur Unterbindung der Korruption im Gesundheitswesen vorbereitet. Dieses hat nämlich nur Käuflichkeit durch Bestechung im Blick, nicht aber die indirekteren Wege, die MedizinerInnen auf Konzern-Kurs zu bringen, wie sie z. B. Vorteilsgewährungen eröffnen. Christiane Fischer von der ärztlichen Antikorruptionsinitiative MEIN ESSEN ZAHLE ICH SELBST beklagt diese Gesetzeslücke: „Der größte Teil der Korruption im Gesundheitswesen läuft über Vorteilsnahme und Vorteilsgabe.“

VDMJ verleiht BAYER-Preis
Der Leverkusener Pillen-Riese versucht, Medizin-JournalistInnen an sich zu binden. Zu diesem Behufe kooperiert er mit dem „Verband Deutscher Medizin-Journalisten“ (VDMJ) und lobt mit ihm gemeinsam den „Deutschen Medizinjournalisten-Preis“ aus. 2014 ging die Auszeichnung an Andreas Wenderoth für einen Artikel über einen Demenz-Kranken.

TIERE & ARZNEIEN

Falsche Antibiotika-Statistik
Ende März 2015 vermeldete das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ (BVL): „Antibiotika-Abgabe in der Tiermedizin sinkt weiter.“ Das war an sich schon eine fragwürdige Aussage. Da die Präparate nämlich immer effektiver wirken, sagen die nackten Zahlen nur wenig aus: Während eine Tonne des Alt-Antibiotikums Tetracyclin gerade einmal für 39.000 Mastschweine langt, vermögen die LandwirtInnen mit einer Tonne von BAYERs BAYTRIL 2,2 Millionen Tiere zu versorgen. Jetzt aber kommen noch mehr Zweifel an den Angaben auf, denn die BVL-Statistik weist beträchtliche Lücken auf. Sie erfasste längst nicht alle Betriebe; allein aus Baden-Württemberg fehlen Daten von mehr als der Hälfte aller Tier-Fabriken. Und die Behörde setzte diese Leerstellen einfach mit Null gleich und verbuchte sie unter „kein Antibiotika-Verbrauch“, was das Bild natürlich entsprechend verzerrte. „Wir brauchen hier einen ganz schnellen Neustart, mit diesen Zahlen können wir überhaupt nichts anfangen“, forderte der agrar-politische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, deshalb.

Viele Antibiotika-Überdosen
Ein 2014 erlassenes Gesetz schreibt MassentierhalterInnen vor, den Behörden ihre Antibiotika-Gaben zu melden. In Niedersachsen lag der Verbrauch von BAYTRIL & Co. in 6.000 von 21.000 Betrieben so hoch, dass die UnternehmerInnen einen Reduktionsplan erstellen mussten.

Antibiotika-Zahlen bleiben geheim
Die Bundesregierung hat die MassentierhalterInnen 2014 per Gesetz angewiesen, den Behörden Zahlen über ihre Antibiotika-Gaben zu liefern (s. o.). Das Bundeslandwirtschaftsministerium möchte die Daten allerdings unter Verschluss halten. Es hat die Landesregierungen angewiesen, ParlamentarierInnen und JournalistInnen die entsprechenden Informationen nicht zur Verfügung zu stellen. Offenbar fürchtet Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) die Wahrheit über die Medikamenten-Exzesse in den Ställen und über ZüchterInnen, die sich der Meldepflicht entziehen. Peter Sauer von der Initiative ÄRZTE GEGEN MASSENTIERHALTUNG schätzte das ähnlich ein: „Da drängt sich der Verdacht auf, dass es etwas zu verbergen gibt.“

Zulassung für ZELNATE
Im Jahr 2008 hatte BAYER von JUVARIS BIOTHERAPEUTICS die Lizenz zur exklusiven Nutzung einer Immun-Therapie im Veterinär-Bereich erworben. Sieben Jahre später erhielt der Leverkusener Multi in den USA die Genehmigung für die Vermarktung des auf dieser Basis entwickelten Immun-Stimulans ZELNATE. Das Präparat soll bei Rindern mit Atemwegserkrankungen begleitend zu Antibiotika zum Einsatz kommen und so helfen, die Gaben dieser umstrittenen Mittel (s. o.) zu reduzieren.

DRUGS & PILLS

Immer noch viele YASMIN-Rezepte
Frauen, die drospirenon-haltige Pillen wie BAYERs YASMIN zur Empfängnis-Verhütung nehmen, tragen im Vergleich zu solchen, die levonorgestrel-haltige Kontrazeptiva bevorzugen, ein bis zu dreimal so hohes Risiko, eine Thromboembolie zu erleiden. Trotzdem verschreiben die MedizinerInnen diese Mittel nach wie vor häufig, wie aus dem „Statusbericht zu oralen Kontrazeptiva“ der Techniker Krankenkasse hervorgeht. Von AIDA setzte der Leverkusener Multi 2014 155.000 Packungen ab; in der Liste der meistverordneten Kontrazeptiva belegt das Präparat damit Platz 26. Von YAZ verkauften sich 153.000 Einheiten (Rang 27), von YASMINELLE 124.000 (34) und von YASMIN 104.000 (37). BAYERs MAXIM mit dem Wirkstoff Dienogest, der die Thromboembolie-Gefahr für die Frauen im Vergleich zu Levonorgestrel um den Faktor 1,7 erhöht, führt die Liste an. Über zwei Millionen Mal ging das Produkt über die Apotheken-Ladentische. „Die Markt-Dominanz der Pillen mit dem höheren Risiko ist ein Beispiel dafür, dass wir noch nicht verstehen, wie Risiko-Kommunikation wirksam funktioniert. Und andererseits scheint es effektive Strategien zu geben, diese Risiken geringfügig erscheinen zu lassen“, hält die Krankenkasse dazu mit Verweis auf die Marketing-Methoden von BAYER & Co. fest. Dagegen hebt sie positiv das Vorgehen der französischen Behörden hervor, welche die Kosten für die besonders gefährlichen Verhütungsmittel nicht mehr erstatten, was zu einem Rückgang der Lungenembolie-Fälle bei Frauen um bis zu 27,9 Prozent führte.

Neue Tests mit ADEMPAS
Bisher haben die Behörden BAYERs ADEMPAS zur Behandlung der beiden Lungenhochdruck-Krankheiten CTEPH und PAH zugelassen. Der Leverkusener Multi will jedoch die Indikationen erweitern und hat mit der klinischen Erprobung des Mittels zur Therapie von Kindern mit Lungenhochdruck begonnen. Und obwohl das Fach-Magazin Arzneimittelbrief die therapeutischen Effekte schon bei dieser Krankheit nur als „marginal“ bewertet, hält der Konzern zusätzlich noch nach ganz anderen Anwendungsgebieten Ausschau. So testet er ADEMPAS gerade als Arznei gegen die systemische Sklerose, eine Autoimmun-Krankheit. Und darüber hinaus beabsichtigt er, das Pharmazeutikum bei Herz-Insuffizienz und Schädigungen der Niere in Anschlag zu bringen.

ALEVE: Mehr Warnhinweise
Entzündungshemmende Schmerzmittel wie BAYERs ALEVE (Wirksubstanz: Naproxen) steigern das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere Herz-Kreislauf-Krankheiten mit möglicher Todesfolge. Darum mussten die Hersteller die Packungen auch mit entsprechenden Warnhinweisen versehen. Der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde „Food and Drug Administration“ (FDA) reichte das jedoch noch nicht. Neuere Studien, die das Gefährdungspotenzial der Mittel noch einmal höher einschätzen, bewogen die FDA dazu, die Pharma-Riesen aufzufordern, die von ALEVE & Co. ausgehenden Gefahren noch deutlicher als bisher herauszustellen.

Prophylaxe mit ASPIRIN gefährlich
In den USA schlucken fast 40 Prozent der Menschen über 50 Jahre ASPIRIN, um damit Herzinfarkten und anderen Gesundheitsschädigungen vorzubeugen. Diese Zahl alarmiert MedizinerInnen, weil die prophylaktische Wirkung mit einer größeren Gefahr von Blutungen erkauft ist. Sie empfehlen die regelmäßige Einnahme von ASPIRIN nur Personen zwischen 50 und 59 mit einem erhöhten Risiko für Herz/Kreislaufkrankheiten. Dies- und jenseits dieser Altersgrenze überwiegen den WissenschaftlerInnen zufolge die Nachteile. Auch den Einsatz des „Tausendsassas“ zur Verhinderung von Krebs empfehlen die ForscherInnen nicht. Sie halten die Untersuchungen, die entsprechende ASPIRIN-Effekte nahelegten, für nicht belastbar. „Die beschriebene Wirkung war ein Zufallsfund aus Studien, in denen es eigentlich um Herz/Kreislauf-Leiden ging“, relativiert Bernd Mühlbauer von der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ das Ergebnis einer dieser Arbeiten: „Der unabhängige Befund, dass ASPIRIN vor Krebs schützt, steht noch aus.“

Deutlichere CIPROBAY-Warnhinweise
Die Liste der Nebenwirkungen von BAYERs Antibiotikum CIPROBAY ist lang. Die Arznei aus der Substanzklasse der Fluorchinolone kann unter anderem Sehnen-Entzündungen, Sehnenrisse, die Autoimmun-Krankheit „Myasthenia gravis“, Netzhaut-Ablösungen, die Herzstörung „QT-Syndrom“ und Nervenleiden wie die periphere Neuropathie auslösen. Der Leverkusener Multi muss diese Gegen-Anzeigen zwar auf den Medikamenten-Schachteln bzw. im Beipackzettel aufführen, aber das reichte der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA nicht. Nach einer Anhörung mit ExpertInnen und PatientInnen beschloss die Einrichtung, BAYER zu deutlicheren Formulierungen zu veranlassen. Nicht wenige MedizinerInnen votierten sogar dafür, in einigen Fällen zur höchsten Alarmstufe, der „Black Box Warning“, zu greifen. Zudem übersteigt nach Meinung des Gremiums das Risiko von CIPROBAY und anderen Fluorchinolonen in manchen Anwendungsbereichen den Nutzen. Deshalb plädierte es dafür, die Mittel für Indikationen wie Nasennebenhöhlen-Entzündungen (s. u.), Blaseninfektionen und bakterien-induzierte chronische Bronchitis nicht länger zuzulassen.

CIPROBAY hilft nicht bei Sinusitis
CIPROBAY und andere Medikamente aus der Substanzklasse der Fluorchinolone helfen nicht bei der Behandlung von Nasennebenhöhlen-Entzündungen. Das ergab eine Auswertung von neun Studien mit insgesamt 2.547 Sinusitis-PatientInnen. CIPROBAY & Co. brachten nicht nur das Kunststück fertig, weniger zu helfen als Placebos, sie malträtierten nicht wenige ProbandInnen überdies noch mit gefährlichen Nebenwirkungen (s. o.).

Mehr Antibiotika, mehr Resistenzen
Einer neuen Untersuchung zufolge nimmt der Antibiotika-Verbrauch weltweit zu und damit auch die Anzahl der Krankheitserreger, die Resistenzen gegen die Mittel herausbilden. Zwischen 2000 und 2010 erhöhte sich der Absatz von 50 auf 70 Milliarden Einheiten – eine Steigerung von über 30 Prozent. Das „Center for Disease Dynamics, Economics & Policy griff für die Studie „The State of World’s Antibiotics 2015“ auf Daten aus 71 Staaten zurück und beobachtete gerade auch in Entwicklungs- und Schwellenländern hohe Steigerungsraten. BAYERs CIPROBAY profitiert sehr von dem Boom und ist dementsprechend auch für dessen Kehrseite verantwortlich: Das Präparat kann einer immer größeren Zahl von Bakterien nichts mehr anhaben. In Uganda, Tansania und Ghana zeigt es sich etwa wirkungslos gegen den Keim Neisseria gonorrhoeae, Auslöser der Geschlechtskrankheit Gonorrhoe. Gegen in Geflügel nachgewiesene Krankheitserreger kommt das Pharmazeutikum ebenfalls kaum noch an, denn sein veterinär-medizinisches Pendant BAYTRIL findet in allzu vielen Ställen der Fleisch-Industrie Anwendung. Gegen Salmonellen versagte CIPROBAY in 10 bis 98 Prozent der Fälle, gegen den Campylobacter spp in 55 bis 69 Prozent der Fälle und gegen Escherichia coli in 56 Prozent der Fälle. Befällt dieses Bakterium Schweine, so muss die Arznei in 31 Prozent der Fälle kapitulieren. Gegen E.coli-Isolate aus Rindern richtete es in 36 Prozent der Fälle nichts mehr aus und gegen solche aus Hühnern in 19 bis 28 Prozent der Fälle. So vermögen E.coli & Co. dann über den Fleischverzehr ungestört in den menschlichen Organismus zu gelangen und dort Krankheiten auszulösen, gegen die kein Kraut mehr gewachsen ist. Ein WissenschaftlerInnen-Team von der Princeton University um die Humanbiologin Aude Teillant hat diesen Zusammenhang genauer analysiert. Wenn prophylaktisch zum Einsatz kommende Antibiotika zehn Prozent ihrer Wirksamkeit einbüßen, wächst die Zahl der Infektionen um 40.000 und die der Todesfälle um 6.300. Verlieren die Präparate gar 70 Prozent ihrer Durchschlagskraft, nimmt die Zahl der Infektionen um 280.000 und diejenige der Todesfälle um 15.000 zu.

Marketing-Nebenwirkung „Resistenzen“
Die aggressive Vermarktung von Antibiotika hat der BUKO PHARMA-KAMPAGNE zufolge einen großen Anteil an der Ausbreitung von Resistenz-Bildungen. So bewirbt der Leverkusener Multi etwa sein Produkt AVELOX in MedizinerInnen-Zeitschriften mit dem Slogan „Verlieren Sie keine Zeit, wenn Sie Atemwegsinfektionen bei Erwachsenen behandeln“, obwohl der zur Gruppe der Fluorochinolone gehörende Wirkstoff Moxifloxacin zu den Reserve-Antibiotika zählt. Diese sollten eigentlich nur zum Einsatz kommen, wenn andere Substanzen versagen. Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern finden AVELOX & Co. reißenden Absatz. In Mexiko beispielsweise unterliegen die Präparate nicht der Verschreibungspflicht, weshalb Apotheken schon in ihren Schaufenstern für BAYERs Fluorochinolon-Therapeutikum CIPROBAY und andere Mittel Reklame machen. Und in Indien kritisieren WissenschaftlerInnen die gängige Praxis der ÄrztInnen, bereits bei Durchfall Rezepte für Antibiotika auszustellen.

BAYER vermarktet neues Antibiotikum
Im Jahr 2011 erwarb BAYER von dem Unternehmen TRIUS die Vermarktungsrechte an dem Antibiotikum Tedizolid für die Regionen Asien, Afrika, Lateinamerika und Mittlerer Osten. Unter dem Produktnamen SIVEXTRO will der Leverkusener Multi die Substanz künftig als Mittel gegen das MRSA-Bakterium in Umlauf bringen. Darüber hinaus testet der Pharma-Riese den Wirkstoff gemeinsam mit MERCK & Co. als Therapeutikum gegen eine bestimmte Art von Lungenentzündung.

Zweifel an XARELTO-Tests
Die Zuverlässigkeit der Tests, mit denen der Leverkusener Multi eine Zulassung für seinen umstrittenen Gerinnungshemmer XARELTO erlangt hat, steht in Zweifel, wie das Handelsblatt berichtete. Nach Angaben der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA benutzten die WissenschaftlerInnen bei den Klinischen Prüfungen ein defektes Gerät zur Bestimmung der Gerinnungswerte der ProbandInnen, was die Ergebnisse verzerrte. Nach dem Erscheinen des Artikels verlor die BAYER-Aktie sofort drei Prozent an Wert und sackte damit so tief wie kein anderes Papier an diesem Tag. In einer umgehend veröffentlichten Erklärung verwies der Pharma-Riese auf Kontroll-Untersuchungen mit einem anderen Monitor-System, das die ursprünglichen Resultate angeblich bestätigte. Trotzdem überprüfen jetzt sowohl die EMA als auch ihr US-Pendant FDA die vom Global Player eingereichten Unterlagen. „BAYER arbeitet eng mit den Gesundheitsbehörden zusammen, um mögliche Fragen zu klären“, heißt es dazu aus der Konzern-Zentrale. Mit welchen Risiken die Einnahme des Präparats verbunden ist, belegen Zahlen des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte“. Es erhielt allein im Jahr 2014 161 Benachrichtigungen über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Mittel; insgesamt erfolgten rund 2.000 Meldungen wegen unerwünschter Pharma-Effekte.

XARELTO: schwankende Gerinnungswerte
In den Klinischen Prüfungen zeigte sich BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO dem altgedienten Marcumar nicht überlegen. Deshalb wirbt der Leverkusener Multi mit den praktischen Vorteilen der Arznei wie dem Wegfall der regelmäßigen Blutgerinnungsmessung. Aber selbst damit ist es nicht weit her. So räumte ein Konzern-Wissenschaftler gegenüber dem Handelsblatt ein, dass die Gerinnungswerte unter XARELTO eine erhebliche Schwankungsbreite aufweisen. Wegen des damit verbundenen Blutungsrisikos lässt das Kontrollen dringend angeraten erscheinen. Erst später relativierte der BAYER-Mediziner seine Aussage wieder – es habe ein „Irrtum“ vorgelegen.

BAYER nutzt AMNOG-Lücke aus

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Nach dem Arzneimittel-Neuverordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 müssen neue Medikamente eine Kosten/Nutzen-Prüfung durchlaufen. Schaffen die Arzneien es dann in diesem Prozess, ihre Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Pharmazeutika unter Beweis zu stellen, können die Hersteller in den Verhandlungen mit den Krankenkassen einen besonders hohen Preis für die Präparate verlangen. Gelingt es den Medikamenten hingegen nicht, den Nachweis über ihre besondere Qualität zu erbringen, so haben sich die Therapie-Kosten an denjenigen zu orientieren, welche die bislang verfügbaren Produkte verursachen. Viele Konzerne geben sich von vornherein mit der zweiten Option zufrieden, weil ihnen auch der Normalpreis ein gutes Auskommen sichert. Deshalb legen sie es gar nicht darauf an, einen Zusatznutzen bestätigt zu bekommen, und reichen dem „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) unvollständige Dossiers ein oder verzichten ganz auf Dokumente aus klinischen Tests. So ging BAYER beispielsweise bei dem Magenkrebs-Mittel STIVARGA mit dem Wirkstoff Regorafenib vor. Der Global Player rechtfertigte sein Vorgehen zu allem Überfluss auch noch mit ethischen Motiven. STIVARGA hätte in den Versuchen so gut angeschlagen, dass die MedizinerInnen es den Kranken aus der Placebo-Gruppe nicht vorenthalten wollten und die Versuche vorzeitig abbrachen. Deshalb konnten aber leider keine Aussagen über den Zusatznutzen mehr erhoben werden. Ein fadenscheiniges Argument, das auch andere Konzerne gerne nutzen, um neue Arzneien auf den Markt schleusen, die keinen echten Vorteil für die PatientInnen bieten. Darum wächst auch die Kritik an diesem Schlupfloch des Arzneimittel-Neuverordnungsgesetzes. „Falls das AMNOG ernst gemeint ist, müsste es eine Verpflichtung geben, Dossiers abzugeben“, sagt etwa Wolfgang Becker-Brüser von der industrie-unabhängigen Fachzeitschrift arzneimittel-telegramm. Die Große Koalition sieht jedoch aktuell keinen konkreten Handlungsbedarf. Aber die Bundesregierung beobachte die Vorgänge aufmerksam und werde die Initiative ergreifen, sollte sie „zu der Überzeugung kommen, dass eine gesetzliche Änderung erforderlich ist“, wie es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ heißt.

BAYER nutzt AMNOG-Lücke aus

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Der Leverkusener Multi profitiert noch von einer weiteren Lücke des Arzneimittel-Neuverordnungsgesetzes (AMNOG). Diese tat sich mit dem Regierungswechsel 2013 auf. Die neu an die Macht gekommene Große Koalition beschloss nämlich, schon länger zugelassene Medikamente von einer Kosten/Nutzen-Bewertung auszunehmen und den entsprechenden AMNOG-Passus zu streichen. Ulrike Faber, die als PatientInnen-Vertreterin an den Überprüfungen der Arzneien teilnimmt, kritisierte diese Verschonung des Bestandsmarkts gerade auch im Hinblick auf die Gerinnungshemmer XARELTO (Wirkstoff: Rivaroxaban) von BAYER und PRADAXA (Wirkstoff: Dabigatran) von BOEHRINGER. „Ebenso skandalös ist die Nichtbewertung der neuen oralen Antikoagulantien (Dabigatran, Rivaroxaban) – bei explodierenden Verordnungszahlen, extremen Kosten und nicht bewertetem Zusatznutzen“, schrieb sie in der vom VEREIN DEMOKRATISCHER ÄRZTINNEN UND ÄRZTE herausgegebenen Zeitschrift Gesundheit braucht Politik.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Immer mehr Pestizide
Die Agro-Riesen setzen immer mehr Pestizide ab. Global stiegen ihre Umsätze im Jahr 2014 um 4,5 Prozent auf 56,7 Milliarden Dollar. In der Bundesrepublik konnten die Konzerne sogar einen Zuwachs von 6,2 Prozent auf 1,6 Milliarden Euro verzeichnen. BAYERs Ackergift-Geschäft lag dabei noch über dem Schnitt. Das Unternehmen nahm in diesem Segment mit 6,6 Milliarden Euro 7,2 Prozent mehr ein als 2013.

Neonics-Teilverbote ohne Wirkung
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie die BAYER-Wirkstoffe Imidacloprid (GAUCHO) und Clothianidin (PONCHO) haben einen erheblichen Anteil am weltweiten Bienensterben. Darum erfolgten auf nationaler Ebene 2008 und EU-weit Ende 2013 Anwendungsbeschränkungen. Gebracht haben die Maßnahmen jedoch kaum etwas, wie eine Kleine Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ergab (siehe SWB 1/16). Die Verbrauchsmengen gingen nämlich nicht zurück. Das „Bundesministerium für Landwirtschaft“ begründete das gegenüber der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wie folgt: „Die Absatzmengen von Neonicotinoid-Wirkstoffen umfassen die in Deutschland abgegebene Menge aller Neonicotinoid-Wirkstoffe und damit mehr Wirkstoffe, als die auf EU-Ebene Verordnung (EU) Nr. 485/2013 verbotenen Wirkstoffe Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. In Deutschland sind zwar die Anwendungen als Saatgut-Behandlungsmittel bei bienen-attraktiven Kulturen und die Anwendungen im nicht-beruflichen Anwender-Bereich verboten und die Zulassungen entsprechend eingeschränkt, diese Anwendungsbereiche fallen mengenmäßig jedoch weit weniger ins Gewicht als z. B. Wirkstoffe in Spritz-Anwendungen.“ Die CBG forderte die verantwortlichen Stellen deshalb auf, bei der demnächst anstehenden EU-Entscheidung über die weitere Zukunft von GAUCHO & Co. die Konsequenzen aus diesem Befund zu ziehen und die Neonicotinoide komplett zu verbieten.

Neonics gefährden nicht nur Bienen
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie die BAYER-Produkte GAUCHO und PONCHO (s. o.) gefährden nicht nur Honigbienen, sondern auch andere Tiere. Darauf hat jetzt die EASAC, das von den Wissenschaftsakademien der EU-Staaten gebildete BeraterInnen-Gremium, hingewiesen. Mehrere Studien, die Gefahren für Hummeln, Wildbienen, Schmetterlinge und Nachtfalter durch GAUCHO & Co. ausgemacht hatten, bestätigen diese Einschätzung der EASAC.

Propaganda-Studie zu GAUCHO & Co.
Professor Harald von Witzke, der an der Berliner Humboldt-Universität einen Lehrstuhl für „Internationalen Agrarhandel und Entwicklung“ innehat, gründete 2009 den Thinktank „Humboldt Forum for Food and Agriculture e. V. (HFFA), dabei geschickt auf den Renommee-Transfer durch den Namen Humboldt setzend. Zu den Partnern des Forums zählen BAYER, BASF, NESTLÉ, E.ON und KWS SEED – und so sehen die Expertisen der Denk-Fabrik dann auch aus. Witzke greift den Agro-Multis nämlich bevorzugt mit Untersuchungen unter die Arme, die es dann unter Überschriften wie „Studie belegt Wohlstandsgewinn durch moderne Landwirtschaft“ in die Presse schaffen. BAYER erteilt dem HFFA da natürlich gerne Aufträge. Jüngst bestellte der Leverkusener Multi beim Forum eine Ehrenrettung der als bienengefährlich verschrienen Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide, zu der unter anderem die BAYER-Produkte PONCHO und GAUCHO gehören. Nach Meinung des Pestizid-Experten Lars Neumeister unterliefen dem HFFA dabei allerdings jede Menge Fehler. Nicht weniger als 15 Punkte umfasst seine Mängelliste. So belegten die Autoren etwa ihre These, das Verbot von PONCHO & Co. würde zu Ernte-Verlusten in Höhe von bis zu 23 Milliarden Euro führen, nicht mit empirischem Material. Zudem arbeiteten sie mit unrealistischen Modellen und nahmen die wissenschaftliche Literatur zum Thema nur unzureichend zur Kenntnis. Als „Corporate science fiction“ bezeichnet Neumeister die Arbeit deshalb.

Leverkusener Bienensterben
2014 verendeten in Leverkusen, nicht weit entfernt von den Pestizid-Versuchsfeldern des Agro-Multis, Millionen Bienen. Als Todesursache stellten die Behörden dann auch zweifelsfrei BAYERs Ackergift Clothianidin fest. Aber einen Zusammenhang zwischen den Feldversuchen des Konzerns und den verendeten Bienenvölkern konnte das beauftragte Labor dann überraschenderweise nicht ausmachen, obwohl AugenzeugInnen noch unmittelbar vor dem großen Sterben einen massiven Spritz-Einsatz beobachtet hatten. Auf eine kritische Nachfrage hin stritten die WissenschaftlerInnen jedoch einseitige Untersuchungsmethoden ab. Man empfinde BAYER gegenüber keine Loyalität, sei unabhängig und hätte sorgfältig getestet, hieß es.

Glyphosat schädigt Darmflora
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat, der hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz kommt, aber auch in BAYER-Mitteln wie GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE enthalten ist, gilt als gesundheitsgefährdend. So hat die Weltgesundheitsorganisation die Substanz im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Darüber hinaus schädigt der Stoff nach Forschungen von Stefanie Seneff und Anthony Samsel das Immunsystem. Er hemmt die Produktion von CYP-Enzymen, die im Zusammenspiel mit der Darmflora eine wichtige Rolle bei Entgiftungsprozessen spielen. Den WissenschaftlerInnen zufolge kann das nicht nur zu Krebs, sondern auch zu Herz-Krankheiten, Depressionen, Diabetes, Alzheimer und Unfruchtbarkeit führen.

Glyphosat schädigt Lungen
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat (s. o.) kann bei Kindern Schädigungen der Atemwege und der Haut hervorrufen. Zu diesem Ergebnis kommt eine argentinische Studie. Die WissenschaftlerInnen verglichen den Gesundheitszustand von 50 Kindern in ländlichen Regionen, wo auf den Feldern viel Glyphosat zum Einsatz kommt, mit demjenigen von 25 AltersgenossInnen, die in Städten aufwachsen. Das Resultat: Die Landkinder litten deutlich öfter an Atemwegsbeschwerden und Hautkrankheiten.

PAN dokumentiert Abdrift-Fälle
Wenn LandwirtInnen Pestizide ausbringen, dann bleiben die Stoffe nicht einfach auf den Feldern. Der Wind trägt sie teilweise weit fort. Abdrift nennen WissenschaftlerInnen dieses Phänomen, das bei den AnrainerInnen der Äcker oft zu gesundheitlichen Problemen führt. Das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) dokume

[Dormagen] Carl Duisberg

CBG Redaktion

Presse Info vom 20. November 2015

Umbenennung der Carl Duisberg-Straße in Dormagen:

„Stadtrat muss Farbe bekennen“

Der Dormagener Planungs- und Umweltausschuss konnte sich in seiner Sitzung am Dienstag zu keiner Entscheidung über den Umgang mit belasteten historischen Personen durchringen. Stattdessen sollen die Anwohner der Carl-Duisberg-Straße und der Hindenburgstraße selber über eine mögliche Umbenennung entscheiden. Sowohl die Grünen als auch die Piraten hatten einen Antrag auf Namensänderung gestellt.

Vor der Debatte hatte der Kreisarchivar eine detaillierte Stellungnahme zum Leben Carl Duisbergs erstellt. Darin werden einige positive Aspekte wie „soziale Akzente“ sowie Duisbergs Unterstützung der Wissenschaft genannt. Ausführlich werden jedoch auch die Aspekte, die zur Forderung nach einer Umbenennung führten, dokumentiert - insbesondere Duisbergs Unterstützung für rechtsextreme Parteien, seine Forderung nach einem Einsatz von Zwangsarbeiter/innen (gerade auch in Dormagen) sowie seine Verantwortung für die Verwendung chemischer Kampfstoffe. Unter Duisbergs Leitung war die Firma BAYER zudem zum größten Sprengstoff-Produzenten Deutschlands aufgestiegen.

Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Duisberg ist ein klassischer Kriegsgewinnler, der für den mörderischen Verlauf des 1. Weltkriegs mitverantwortlich ist. Die Dormagener Stadtspitze sollte ein Zeichen setzen und sich für eine Namensänderung einsetzen. Stattdessen hofft sie offenbar, dass die Anlieger den Antrag wegen der damit verbundenen Unannehmlichkeiten ablehnen werden. Nun muss der Stadtrat Farbe bekennen und eine Umbenennung beschließen.“ Mimkes schlägt vor, dass die Stadt den Anwohnerinnen und Anwohnern alle Gebühren erlässt, die mit einer Umbenennung verbunden sind, zum Beispiel bei der Beschaffung neuer Ausweispapiere.

Andere Städte zeigten mehr Geschichtsbewusstsein als Dormagen. So hatten die politischen Gremien in Dortmund und Lüdenscheid Ende letzten Jahres beschlossen, die örtlichen Carl Duisberg-Straßen umzubenennen.

Hintergrund
=> Im 1. Weltkrieg entwickelte Carl Duisberg Giftgase wie „Grünkreuz“ und „Senfgas“, testete diese erstmals an der Front und verlangte vehement ihren Einsatz. Die Firma BAYER baute er zum größten deutschen Sprengstoff-Produzenten um.

=> Gegenüber den Generälen Hindenburg und Ludendorff beklagte Duisberg den Mangel an Arbeitskräften und forderte mit dem Ausspruch „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“ den Einsatz von Zwangsarbeitern. Das Reichsamt des Inneren griff Duisbergs Vorschlag auf und ließ zehntausende Belgier deportieren; mehrere Tausend starben.

=> Duisberg war Mitglied der rechtsradikalen und antisemitischen Deutschen Vaterlandspartei. Duisberg setzte sich vehement für die Annexion Belgiens und großer Gebiete in Osteuropa ein.

=> Carl Duisberg war die treibende Kraft beim Zusammenschluss der deutschen Chemie-Industrie zur IG FARBEN im Jahr 1925. Während der Weimarer Republik organisierte Duisberg Spenden an nationalistische Parteien, spätestens seit 1930 auch an die NSDAP. Kein anderes Unternehmen kollaborierte in der Folgezeit so eng mit dem Dritten Reich.

Das Dortmunder Stadtarchiv kam zu dem Ergebnis: „Duisberg gehörte zu den führenden deutschen Industriellen, die während des Krieges die - auch nach dem damals geltenden internationalen Kriegsrecht illegale - Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland durchsetzten. (…) Als Patriarch lehnte er bis zu seinem Tod Gewerkschaften entschieden ab.“

Das Lüdenscheider Stadtarchiv schrieb in seinem Votum: „Während des Ersten Weltkriegs wurde unter Duisbergs Vorsitz bei Bayer Giftgas für den Kriegseinsatz produziert. Abfallprodukte der Chemischen Industrie, die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfte, dienten als Rohstoffe. In Leverkusen war das u. a. Phosgen, ein Gas, das besonders grausam wirkt“.

weitere Informationen:
=> Die Stellungnahme des Kreisarchivars
=> Informationen zu Carl Duisberg

[Ticker] STICHWORT BAYER 04/2015 – TICKER

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Marburg: Duisberg bleibt Dr. h. c.
Am 29. September 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele Menschen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund und Lüdenscheid hatte das schon Erfolg (siehe auch SWB 1/15). Andere Orte wie z. B. Frankfurt, Marl und Dormagen haben noch keine Entscheidung gefällt. Bonn und Waldshut-Tiengen hingegen haben einen entsprechenden Änderungsantrag schon abgelehnt. Auch die Universität Marburg hielt an Duisberg fest und ließ ihm seine Ehrendoktor-Würde. Der Fakultätsrat kam zu der Entscheidung, den Titel posthum nicht aberkennen zu können, was rechtlich aber sehr wohl möglich ist. Die Dekanin versicherte der CBG jedoch, der Fall habe „im Fachbereich großes Interesse geweckt“ und die Hochschule wolle „in Lehrveranstaltungen und durch Arbeiten von Nachwuchs-Wissenschaftlern die Rolle Duisbergs untersuchen“.

USA: Protest gegen GAUCHO & Co.
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) gelten als besonders bienengefährlich. Die EU hat deshalb Imidacloprid, Clothianidin und andere Stoffe dieser Substanz-Klasse mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt. Auch in den USA wächst die Kritik an diesen Agro-Chemikalien. So kamen Mitte September 2015 BienenzüchterInnen, LandwirtInnen und UmweltschützerInnen in North Carolinas Hauptstadt Raleigh zusammen, um dem Gouverneur eine das Verbot dieser Mittel verlangende Petition zu übergeben, die 500.000 Menschen unterzeichnet haben. Ursprünglich wollten die AktivistInnen den Leverkusener Multi selber die Unterschriften aushändigen, aber das Unternehmen folgte einer entsprechenden Einladung nicht. „Wenn es BAYER wirklich ernst ist mit der Bienengesundheit, dann muss der Konzern den mehr als 500.000 Amerikanern Gehör schenken, die ihn zum Wohl der Umwelt, des Lebensmittel-Systems und der Nahrungsmittel-Versorgung auffordern, den Verkauf bienengefährlicher Pestizide zu stoppen“, sagte Tiffany Finck-Haynes von FRIENDS OF THE EARTH.

ERSTE & DRITTE WELT

BAYER expandiert in Afrika
Für BAYERs Landwirtschaftssparte spielt der afrikanische Kontinent eine immer größere Rolle. Bis zum Jahr 2023 erwartet der Konzern eine Verdoppelung des dortigen Ackergift-Marktes. Deshalb besitzt er mittlerweile in zwölf afrikanischen Ländern Niederlassungen, wobei der Gen-Gigant sich auf die wirtschaftlich erfolgreicheren Nationen konzentriert. Der Global Player bietet in diesen Staaten nicht nur Saatgut und Pestizide an, sondern hält auch Schulungen ab. Zudem arbeitet der Konzern intensiv mit dem öffentlichen Sektor zusammen – und greift dafür teilweise auf Entwicklungshilfe-Gelder zurück. So gehört die Aktien-Gesellschaft etwa der „German Food Partnership“ (GFP) an, die das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ mit rund 30 Firmen gegründet hat, und betreibt im GFP-Rahmen die „Competitive African Rice Initiative“. „BAYER CROPSCIENCE unterhält bereits Public-Private-Partnerships entlang der gesamten Lebensmittel-Wertschöpfungskette – von landwirtschaftlichen Lieferketten über eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung und die Agrarforschung bis hin zur Mikrofinanzierung“, verkündete das Unternehmen 2014 auf dem „AGCO Africa Summit“ in Berlin stolz, den es gemeinsam mit dem Landmaschinen-Hersteller AGCO, RABOBANK und der „Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft“ veranstaltet. Dabei hat der Multi auch die Kleinbauern und -bäuerinnen entdeckt, zumindest rhetorisch, gibt es doch von Entwicklungshilfe-Organisationen immer wieder Kritik am „Think Big“ des agro-industriellen Komplexes. „Afrikanische Kleinbetriebe können einen großen Beitrag zur Ernährung der Weltbevölkerung leisten“, sagt der BAYER-Manager Marc Reichardt. Allerdings müssten sie dafür größer werden und auf die „innovativen“ Produkte seines Hauses zurückgreifen, meint er. Hunger und Unterernährung gehen für ihn nämlich nicht auf Verteilungsprobleme zurück, sondern „auf den mangelnden Zugang zu Produktionsmitteln wie Dünger, qualitativ hochwertiges Saatgut, innovative chemische und biologische Pflanzenschutz-Lösungen sowie Maschinen und andere wichtige landwirtschaftliche Geräte“.

POLITIK & EINFLUSS

Massive Kritik an IMI
Im Jahr 2009 hat die EU die „Innovative Medicines Initiative“ (IMI) gestartet, um die europäische Pharma-Branche im internationalen Wettbewerb zu stärken. Der „Public Private Partnership“ zwischen Brüssel, den Pharma-Multis, Universitäten und Forschungseinrichtungen steht dafür ein Etat von fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Die Hochschulen hatten zunächst große Hoffnungen in das Projekt gesteckt, weil sie hofften, endlich ähnlich große Etats wie BAYER & Co. zur Verfügung zu haben und so ihre Stellung gegenüber der Industrie stärken zu können. Nun äußern sie jedoch vehemente Kritik an IMI, weil Big Pharma die Forschungspläne diktiert. Die Unternehmen hätten „eine sehr starke Vormachtstellung“, klagt eine Forscherin. So behindern die Multis etwa Vorhaben, wenn diese eigenen zu sehr ähnelten, oder zwingen Instituten Studien-Designs auf, die den Einrichtungen keinen vollständigen Zugang zu den Daten erlauben. Bereits im Oktober 2010 prangerten deshalb die beiden europäischen Hochschulverbände „League of European Research Universities“ und „European University Association“ das Vorgehen der Pillen-Riesen an. Der EU-Haushaltsausschuss monierte derweil einen intransparenten Umgang mit den Förder-Milliarden und gab die Gelder erst mit Verzögerung frei. BAYER hingegen schwärmt von der „Innovative Medicines Initiative“: „IMI hat mit über 40 großen Konsortien erfolgreich ein neues Modell der Zusammenarbeit aller relevanten Partner im Gesundheitsbereich etabliert, um übergreifende Problemfelder zu bearbeiten, die keine Institution allein bearbeiten könnte oder würde.“ Eines dieser Problemfelder stellen für die Konzerne offenbar die PatientInnen dar. Deshalb wollen sie sich mit Hilfe von IMI in der „Europäische Patienten-Akademie zu therapeutischen Innovationen“ die passenden heranzüchten.
„Mit einem geeigneten Training können Patienten-Vertreter akzeptierte Partner in Wissenschaft, Ethik- und Kontrollausschüssen werden und dabei klinische Studien, Arzneimittel-Entwicklung und Zugangsstrategien verbessern und beschleunigen“, meinen die Unternehmen. Der Leverkusener Multi leitet im Rahmen von IMI zudem mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf einen Forschungsverbund, der Biomarker zur Krebs-Diagnose entwickelt. Darüber hinaus ist er an der Entwicklung einer Software beteiligt, welche die Risiken und Nebenwirkungen von Arzneimittel-Kandidaten in klinischen Tests analysieren soll. Überdies baut der Global Player einen europäischen Masterstudiengang für ArzneimittelsicherheitsexpertInnen mit auf und mischt unter anderem noch bei Projekten zur Immunologie und zum Management von medizinischen Daten mit.

Vapi: bald noch verseuchter?
Die indischen Behörden stufen Vapi als den verschmutztesten Ort des Landes ein. Nirgendwo sonst im Staat sind Wasser, Boden und Luft derart verseucht. Der Leverkusener Multi hat gehörigen Anteil daran. Er zählt die Stadt neben Dormagen, Knapsack, Frankfurt und Kansas City zu den wichtigsten Pestizid-Standorten. Seine dortige Produktionsstätte belastet die Umwelt jedoch deutlich stärker als das die entsprechenden Anlagen in der Bundesrepublik oder den USA tun. So stammen 94,9 Prozent aller die Ozonschicht zerstörenden Stoffe, die der Konzern weltweit emittiert, aus Vapi. Bei den flüchtigen organischen Substanzen, den so genannten VOCs, beträgt der Anteil 68,2 Prozent. Wegen solcher und anderer Dreckschleudern hat eine frühere indische Regierung ein Gesetz erlassen, das neue Ansiedlungen im Industrie-Gebiet verbietet. Die „Vapi Industries Association“, der BAYER nicht angehört, will jetzt eine Aufhebung des Moratoriums erreichen. Und Premierminister Narenda Modi hat bereits Entgegenkommen signalisiert. Der Himmel über Vapi könnte also bald noch düsterer werden.

Duin beim „Bio-Europe-Spring“
Im März 2015 besuchte der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin in Paris die Biotech-Konferenz „Bio-Europe-Spring“, auf der auch BAYER vertreten war. Beim NRW-Landesempfang, der unter dem Motto „Schlüssel-Technologien made in NRW“ stand, sprach der Sozialdemokrat Gruß- und Schlusswort.

Grußwort von Löhrmann
Die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann hat gute Beziehungen zu BAYER. So bedachte sie dann auch die Feier zum 50-jährigen Bestehen des Landeswettbewerbs „Jugend forscht“, die im Leverkusener BayKomm stattfand, mit einem Grußwort.

Schmidt beim „AGCO Africa Summit“
Seit einiger Zeit hat BAYER den afrikanischen Kontinent als Absatzmarkt für seine Landwirtschaftsprodukte entdeckt (siehe ERSTE & DRITTE WELT). Darum veranstaltet der Leverkusener Multi seit einiger Zeit in Berlin gemeinsam mit dem Landmaschinen-Hersteller AGCO, RABOBANK und der staatlichen „Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft“ auch einen Kongress zum Agro-Business in Afrika. Und in diesem Jahr konnte der Global Player dort Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt als Gast begrüßen. Der CSU-Politiker mahnte auf dem „AGCO Africa Summit“ aus gegebenem Anlass, die Entwicklung in den Ländern dürfte nicht an den Kleinbauern und -bäuerinnen vorbeigehen und müsse „im Einklang mit der Umwelt und den Schutzrechten der Bevölkerung stehen“.

PROPAGANDA & MEDIEN

Extrem-Lobbying in Brüssel
Im Jahr 2014 ließ BAYER sich das Lobbying bei der Europäischen Union in Brüssel rund 2,5 Millionen Euro kosten. 15 Personen beschäftigt der Leverkusener Multi dort; acht von ihnen haben offiziell Zugang zu den EU-ParlamentarierInnen.

Von der FDA zu BAYER
BAYERs Ruf in den Vereinigten Staaten ist wegen der vielen Schadensersatz-Prozesse um YASMIN, XARELTO & Co. nicht der Beste. Darum ging der Leverkusener Multi jetzt in die Offensive und verpflichtete mit Steven Immergut einen ehemaligen Mitarbeiter der Presseabteilung der US-Gesundheitsbehörde FDA als obersten Öffentlichkeitsarbeiter seiner US-amerikanischen Pharma-Sparte.

Bisphenol-Lobbying in Brüssel
Viele Chemikalien enthalten Wirkstoffe, die in ihrem chemischen Aufbau Hormonen ähneln. Zu diesen endokrinen Disruptoren zählen im BAYER-Sortiment unter anderem Biozide wie BAYER GARTEN FLIEGENSPRAY und Bisphenol A, das z. B. in Lebensmittel-Verpackungen Verwendung findet. Vom menschlichen Körper aufgenommen, können diese Substanzen Fehlsteuerungen im Organismus auslösen und zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen. Die Europäische Union plant deshalb Maßnahmen, aber der Lobby-Druck verzögert den Prozess massiv. Der Leverkusener Multi kann dabei kräftig mitbremsen, denn er verfügt über das notwendige Herrschaftswissen. Einer seiner Brüsseler LobbyistInnen (s. o.) sitzt nämlich als Beobachter in der ExpertInnen-Gruppe der EU-Kommission zu den endokrinen Disruptoren.

PR-Offensive zu ESSURE
Bei ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Mittel zur Sterilisation, handelt es sich um eine kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen. Allzu oft jedoch bleibt die Spirale nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Nebenwirkungen. Darum zieht ESSURE viel Kritik auf sich. Allein die Facebook-Gruppe „Essure Problems“ hat über 11.000 Mitglieder. Der Konzern reagiert darauf mit einer PR-Offensive. Der oberste US-amerikanische Öffentlichkeitsarbeiter des Unternehmens, Ray Kerins, hat sein Team angewiesen, direkt mit den Verfasserinnen von Facebook-Posts und Twitter-Nachrichten Kontakt aufzunehmen und Schadensbegrenzung zu betreiben.

PR-Offensive zum Bienensterben
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie BAYERs Saatgutbehandlungsmittel GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) gelten als besonders bienengefährlich. Die EU hat deshalb Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam mit einem vorläufigen Verkaufsbann belegt. Auch in den USA wächst die Kritik an diesen Substanzen (siehe auch AKTION & KRITIK). Deshalb hat die US-amerikanische Öffentlichkeitsarbeitsabteilung des Leverkusener Multis, die 80 Beschäftigte umfasst, eine PR-Offensive gestartet. Sie schuf ein mobiles „Bee Care Center“ und zog damit vor den Kongress, den Washingtoner Bahnhof und den Botanischen Garten, um den Konzern als großen Bienen-Kümmerer in Szene zu setzen. Zudem spendete der Agro-Riese Geld für das Anpflanzen von Blumen mit pollen-reichen Blüten.

BAYER sponsert Pestizid-Kongress
BAYER und MONSANTO zählten zu den Hauptsponsoren des „18. Internationalen Pflanzenschutz-Kongress IPPC“, der Ende August 2015 in Berlin stattfand. Die anwesenden WissenschaftlerInnen fanden dann auch kein kritisches Wort zu dem von den beiden Agro-Multis vertriebenen Pestizid Glyphosat, obwohl die Weltgesundheitsorganisation WHO dieses unlängst als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. Es werde nur nicht immer sachgemäß angewandt, meinten die ForscherInnen und schlugen Schulungsprogramme für LandwirtInnen vor. Einen Zusammenhang zwischen den milden Gaben der Konzerne und den wohlmeinenden Äußerungen zu der chemischen Keule stritt der Kongress-Präsident Holger Deising allerdings vehement ab. „Als Vorsitzender des Programm-Komitees kann ich sagen, dass zu keiner Zeit so etwas eine Rolle gespielt hat. Wir haben keine Abhängigkeiten von irgendwelchen Industrie-Firmen“, sagte der an der Hallenser „Martin-Luther-Universität“ zu Pflanzen-Krankheiten und Pflanzenschutz forschende Professor.

BAYER sponsert „CancerLinQ“
Krebs-Medikamente nehmen in BAYERs Produkt-Palette viel Raum ein. Darum legt der Pharma-Riese Wert darauf, sich mit den entsprechenden Medizin-Gesellschaften wie z. B. der „American Society of Clinical Oncology“ (ASCO) gutzustellen. Und kleine Geschenke erhalten dabei die Freundschaft. So spendete der Leverkusener Multi eine Million Dollar für das ASCO-Projekt „CancerLinQ“, eine Internet-Plattform, die Daten von Krebs-PatientInnen zusammenträgt. Sicherlich spekuliert der Leverkusener Multi dabei auch darauf, später einmal Zugang zu dieser Datenbank zu erhalten.

BAYER bildet JournalistInnen fort
Seit 2014 kooperiert der Leverkusener Multi mit der US-amerikanischen „National Press Foundation“ und finanziert Fortbildungsprogramme zu medizinischen Themen. Dieses Jahr bietet er ein Seminar zu Masern und der Kontroverse um Schutz-Impfungen an.

DRUGS & PILLS

Studie warnt vor Testosteron-Pillen
Mit großer Anstrengung arbeitet der Leverkusener Multi daran, die „Männergesundheit“ als neues Geschäftsfeld zu etablieren und Hormon-Präparaten wie NEBIDO oder TESTOGEL neue und nur selten zweckdienliche Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. Zu diesem Behufe hat der Pharma-Riese die Krankheit „Testosteron-Mangel“ erfunden und sie zu „männlichen Wechseljahresstörungen“ erhoben. Studien warnen hingegen vor den Mitteln. So stellte eine Untersuchung von Shalender Bhasin, die das Journal of the American Medical Association veröffentlichte, ausbleibende Haupt-, dafür aber zahlreiche Nebenwirkungen fest. Der Mediziner von der „Harvard Medical School“ konnte keinerlei positive Effekte der Produkte auf die Arterien-Verkalkung feststellen, auch Potenz- oder Libido-Probleme behoben NEBIDO & Co. nicht. Dafür beobachteten Bhasin und sein Team viele gesundheitsgefährdende Begleiterscheinungen wie eine Blut-Verdickung, welche die Thrombose-Gefahr anwachsen lässt und einen gestiegenen PSA-Wert, der auf ein erhöhtes Prostatakrebs-Risiko verweist. Zu ähnlich besorgniserregenden Ergebnissen war zuvor schon die Studie einer ForscherInnen-Gruppe um Jared L. Moss von der Universität Knoxville gekommen. Sie hatte herausgefunden, dass die Testosteron-Spritzen die Zeugungsfähigkeit beeinträchtigen. Zudem registrierten die WissenschaftlerInnen Schrumpfungen des Hodengewebes und Samenzellen-Missbildungen. Auf der langen Liste der Risiken und Nebenwirkungen von Testosteron-Medikamenten stehen außerdem Herzinfarkt, Harntrakt-Schädigungen, Brust-Wachstum, Bluthochdruck, Ödeme und Leberschäden.

Gefährliche Hormonersatz-Therapie
BAYER & Co. ist es gelungen, die Wechseljahre zu einer Krankheit zu erklären, bei der nur eins hilft: die Hormonersatz-Therapie. Was die Konzerne „Menopausen-Management“ nennen, bezeichnen KritikerInnen als „die Medikalisierung körperlicher Umbruchphasen im Leben von Frauen“. Und diese setzt die Patientinnen erheblichen Gesundheitsgefahren aus. So erhöhen die Hormon-Gaben das Risiko für Demenz, Thrombosen, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Brustkrebs. Und Anfang 2015 hat ein ForscherInnen-Team um Richard Peto von der Universität Oxford diese Liste noch um Eierstockkrebs erweitert. Ob das alles bei der derzeitigen Überarbeitung der ärztlichen Leitlinie zur Hormonersatz-Therapie Berücksichtigung findet, steht allerdings in Zweifel. Der Leverkusener Multi hat nämlich beste Beziehungen zu den FrauenärztInnen im Allgemeinen und ihrer Fach-Organisation „Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe“ im Besonderen.

Pillen-Preise mit Akzeptanz-Problem
Der Leverkusener Multi rechtfertigt die hohen Arzneimittel-Preise stets mit dem hohen Forschungsaufwand, den er angeblich betreiben muss, um neue Medikamente zu kreieren. Dabei steckt der Konzern viel mehr Geld in das Pharma-Marketing als in die Pharma-Forschung. So will denn auch das Argument in der Bevölkerung nicht so recht verfangen, wie der Pillen-Riese durch eine von ihm in Auftrag gegebene Umfrage erfuhr. Der Aussage: „Damit die Arzneimittel-Industrie teure Forschung auch langfristig finanzieren kann, ist es wichtig, dass sie angemessene Preise erzielt“, mochten nämlich nur 51 Prozent der Befragten zustimmen. „Daran wollen und müssen wir arbeiten“, kommentierte Frank Schöning, der Geschäftsführer von BAYER VITAL, bedröppelt das enttäuschende Ergebnis.

Kooperation mit PROTEROS
BAYER hat eine Zusammenarbeit mit PROTEROS vereinbart. Der Leverkusener Multi will auf der Basis eines von dem Münchner Biotech-Unternehmen entdeckten Proteins, das Regulationsprozesse der Herz-Membranen steuert, ein Medikament entwickeln und finanziert deshalb die weiteren Forschungsarbeiten der Firma.

PESTIZIDE& HAUSHALTSGIFTE

Pestizide in Lebensmitteln
Die Europäische Behörde für Lebensmittel-Sicherheit (EFSA) veröffentlichte im Frühjahr 2015 die Ergebnisse ihrer Untersuchung über Pestizid-Rückstände in Lebensmitteln. In 45 Prozent aller 81.000 Proben fanden sich Spuren von Agro-Chemikalien. Bei 1,5 Prozent der Samples überschritten die Rückstände die zulässigen Höchstwerte. Dabei lagen auch viele von BAYER vertriebene Wirkstoffe über den zulässigen Limits. So wiesen die ForscherInnen Überdosen von Tebuconazole, Trifloxystrobin, Ethephon, Spiromesifen, Chlorpyrifos, Pencycuron, Folpet, Prochloraz und Carbendazim nach.

Grenzwerte nach BAYER-Gusto
Jährlich ändern sich ca. 40 Prozent der gesetzlich festgelegten Pestizid-Grenzwerte. Deren Bestimmung erfolgt nämlich keinesfalls nach wissenschaftlich objektiven Kriterien, wie Gutgläubige vielleicht annehmen mögen. Die Limits richten sich vielmehr nach dem Aufkommen der Überschreitungen. Gibt es zu viele davon, so legen die Behörden die Latte nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“ auf Antrag der Konzerne einfach ein bisschen höher. Auch BAYER wird in diesem Sinne tätig. So hat der Agro-Riese beispielsweise die Höchstgehalte für Fluopyram-Rückstände in Endivien, Trifloxystrobin-Rückstände in Strauchbeeren, Spirotetramat-Rückstände in Oliven für die Öl-Produktion und Ethephon-Rückstände in Tafeltrauben und Oliven anheben lassen.

MOON PRIVILEGE schädigt Reben
BAYERs Antipilz-Mittel MOON PRIVILEGE (Wirkstoff: Fluopyram) hat verheerende Schäden im Weinbau verursacht. Die Reben vertrockneten und trugen kaum Beeren; die Blätter zeigten Deformationserscheinungen. Durch den Ernte-Ausfall entstand allein schweizer Weinbauern und -bäuerinnen ein Minus von rund 135 Millionen Franken. Ihre KollegInnen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien klagen ebenfalls über Verluste durch das Pestizid, das der Leverkusener Multi auch unter dem Namen „LUNA PRIVILEGE“ vertreibt. Mit den ersten Schadensersatz-Klagen sieht der Agro-Riese sich deshalb schon konfrontiert. Und er scheint sogar gewillt zu zahlen. Es besteht „eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang“, räumt das Unternehmen ein. Angesichts der unvorhergesehenen Risiken und Nebenwirkungen des Mittels steht zudem die Zulassungspraxis der Behörden in der Kritik.

Mehr MPE aus Hürth
BAYERs Pestizid-Wirkstoff Glufosinat erfreut sich derzeit einer großen Nachfrage, weil immer mehr Unkräuter der MONSANTO-Substanz Glyphosat trotzen. Darum erweitert der Leverkusener Multi an vielen Standorten die Produktionskapazitäten für die unter den Namen LIBERTY und BASTA vermarktete Agro-Chemikalie. Nachdem der Konzern unlängst die Fertigung in Höchst ausgebaut hatte, nahm er im August 2015 in Hürth-Knapsack eine neue Anlage für das Glufosinat-Vorprodukt Methanphosphonigsäureester (MPE) in Betrieb. Dass die EU angekündigt hat, Glufosinat 2017 wegen seiner Gefährlichkeit aus dem Verkehr zu ziehen, störte das Unternehmen dabei nicht. Der Global Player hat es nämlich hauptsächlich auf die Absatz-Märkte in Südamerika und in den USA abgesehen. Dort investiert er in Mobile, Alabama und Muskegon, Michigan ebenfalls kräftig, um die Herstellung der Substanz zu forcieren. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kritisiert diese Praxis der doppelten Standards scharf und fordert ein weltweites Verbot der Chemikalie.

Vorerst weiter mit Glyphosat
Der Pestizid-Wirkstoff Glyphosat, der hauptsächlich in Kombination mit MONSANTOs Gen-Pflanzen zum Einsatz kommt, aber auch in BAYER-Mitteln wie GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE enthalten ist, gilt als gesundheitsgefährdend. So hat eine Krebsforschungseinrichtung der Weltgesundheitsorganisation die Substanz im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft und damit das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ in Erklärungsnot gebracht, das der Agro-Chemikalie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hatte. Eigentlich sollte die Europäische Union bis Ende 2015 über eine Verlängerung der Zulassung des Stoffes befinden. Nun hat die Kommission die Entscheidung aber wegen der unterschiedlichen Einschätzungen des Glyphosat-Sicherheitsprofils vertagt und den Verkauf des Pestizids vorerst bis zum Juni 2016 weiter genehmigt. Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger kritisierte das scharf. „Es ist inakzeptabel, dass die EU-Kommission Europas Bevölkerung weiter einer Substanz aussetzen will, die von der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wurde“, so Weiger.

WHO kritisiert Glyphosat-Studien
Während die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation das umstrittene, auch von BAYER vertriebene Pestizid Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ bezeichnete (s. o.), stufte eine andere Abteilung der WHO die Agro-Chemikalie als unbedenklich ein. Eine aus WHO-WissenschaftlerInnen und ForscherInnen der Agrar-Organisation der Vereinten Nationen gebildete Gruppe, die „Joint FAO/WHO Meetings on Pesticide Residues (JMPR), konnte keine gesundheitsgefährdenden Glyphosat-Effekte ausmachen, was die Agro-Riesen natürlich gerne hörten und weiterverbreiteten. Jetzt haben aber vom JMPR selbst berufene ExpertInnen dem Gremium bei ihrer Bewertung Versäumnisse nachgewiesen. So hat dieses nach Meinung der Fachleute viele Studien nicht ausgewertet und sich bei seinem Votum stattdessen vorwiegend auf Untersuchungen der Hersteller gestützt. In Anbetracht dieses Urteils tritt die WHO nun für eine Neubewertung des Ackergifts ein. Und der Grünen-Politiker Harald Ebner forderte ein sofortiges Verbot: „Es kann nicht sein, dass Menschen Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind, weil die zuständigen Behörden womöglich vorsätzlich im Profit-Interesse gepfuscht haben.“

GENE & KLONE

Genpollen fliegen bis zu 4,5 km weit
In einem großangelegten Versuch haben die Universität Bremen, das Ökologie-Büro Bremen und das „Bundesamt für Naturschutz“ über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg untersucht, wie weit sich Pollen von gen-manipulierten Pflanzen ausbreiten. Das Ergebnis hat die Fachwelt in Erstaunen versetzt: Strecken von bis zu 4,5 Kilometer legte der Blütenstaub zurück. Die gängigen Regeln, die höchstens einen Abstand von ein paar hundert Metern zwischen Feldern mit Gen-Konstrukten und solchen mit konventionellen Ackerfrüchten vorschreiben, waren damit Makulatur. Die Europäische Lebensmittel-Behörde EFSA zog die Konsequenz und setzte das Zulassungsverfahren für den von PIONEER und DOW AGROSCIENCES entwickelten Gentech-Mais 1507, der unter anderem gegen das gefährliche BAYER-Pestizid Glufosinat resistent ist, erst einmal aus.

China lässt BAYER-Soja rein
Ein Großteil der chinesischen Bevölkerung steht der Gentechnik skeptisch gegenüber. Deshalb hat die Regierung bisher den Anbau von Labor-Früchten nicht genehmigt. Und auch beim Import von Pflanzen mit verändertem Erbgut zeigt sich das Land restriktiv. Seit im Jahr 2013 an den Häfen eine Ladung Soja anlandete, die mit SYNGENTAs in dem Staat nicht zugelassenen Produkt AGRISURE VIPTERA kontaminiert war, ließen die Behörden ein Fünftel der Lieferungen wieder zurückgehen. Zudem nimmt sich das Reich der Mitte viel Zeit für Genehmigungsverfahren. BAYER & Co. kritisierten dieses Vorgehen scharf und bezeichneten es als „allzu politisch“, „intransparent“ und „unkalkulierbar“. Das hat offensichtlich gefruchtet. Ende 2014 genehmigte der Staat den Import von BAYERs Soja LL55, der gentechnisch auf eine gemeinsame Verwendung mit dem gefährlichen Pestizid Glufosinat geeicht ist. Als „gute Nachricht für die Landwirte“ und „gute Nachricht für BAYER“ bezeichnete der Leverkusener Multi die Entscheidung.

Wieder kein EYLEA-Zusatznutzen
BAYERs zur Therapie der feuchten Makula-Degeneration – einer Augenerkrankung, die zur Blindheit führen kann – zugelassene Augen-Arznei EYLEA erschließt nicht gerade medizinisches Neuland. In den klinischen Prüfungen gelang es dem Gentech-Medikament mit dem Wirkstoff Aflibercept nicht, das NOVARTIS-Präparat LUCENTIS zu übertrumpfen, was der Leverkusener Multi auch selbst einräumen musste. Trotzdem erweitert der Leverkusener Multi das Anwendungsspektrum des Mittels permanent. Und auch bei den neuen Indikationen sieht die Bilanz nicht besser aus. Das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWIG) hat dem Präparat noch nie einen Zusatznutzen bescheinigen können. Erst im Juni 2015 lehnte die Behörde wieder einen BAYER-Antrag ab. Sie vermochte EYLEA bei der Behandlung eines Sehschärfe-Verlustes bei einem Makula-Ödem, das von einem Verschluss einzelner Augen-Venen herrührt, keinen Vorteil gegenüber anderen Therapie-Formen zu bescheinigen.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

Bisphenol auf Bundesrat-Agenda
BAYER ist mit einer Jahresproduktion von ca. einer Million Tonnen einer der größten Produzenten der Industrie-Chemikalie Bisphenol A (siehe auch POLITIK & EINFLUSS). Drei Prozent davon kommen in Verpackungen von Nahrungsmitteln wie etwa Konservendosen zum Einsatz. Die Substanz ähnelt in ihrem chemischen Aufbau Hormonen, was zu Stoffwechsel-Irritationen und damit zu Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen führen kann. Die EU hat deshalb bereits die Verwendung des Stoffes in Babyflaschen untersagt und schärfere Grenzwerte erlassen. Nordrhein-Westfalen und zwei weiteren Bundesländern gehen diese Maßnahmen allerdings nicht weit genug. Sie brachten in den Bundesrat einen Antrag mit der Forderung ein, die Verwendung von Bisphenol in Lebensmittel-Verpackungen generell zu verbieten, so wie es Frankreich schon getan hat.

Dauerproblem Holzschutzmittel
BAYERs Tochter-Firma DESOWAG hat bis Mitte der 1980er Jahre das Holzschutzmittel XYLADECOR produziert, das rund 200.000 Menschen vergiftete. Erst als die Geschädigten gegen den Konzern und andere Hersteller vor Gericht zogen und damit das bislang größte Umwelt-Strafverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik initiierten, trennte sich der Leverkusener Multi von der DESOWAG. In vielen Häusern treiben die Produkte aber nach wie vor ihr Unwesen. Die Stiftung Warentest hat noch 2013 in Holz-Proben hohe Konzentrationen festgestellt. Ein besonderes Risiko besteht nach Meinung von ExpertInnen, wenn Umbau-Maßnahmen anstehen und die gefährlichen Stoffe etwa durch das Abschleifen von Holz verstärkt freigesetzt werden. Die Politik verschließt jedoch die Augen vor dem Problem. „Der Bundesregierung liegen keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor, dass nachweisbare gesundheitliche Gefahren für Bewohnerinnen und Bewohner heute noch von den vormals mit PCP- oder Lindan-haltigen Holzschutzmitteln gestrichenen Wohnhäusern ausgehen“, heißt es in einer Antwort der Großen Koalition auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ zu den anhaltenden Folgen des Holzschutzmittel-Skandals.

Anfrage zum Holzschutzmittel-Skandal
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ zu den nachhaltigen Folgen des Holzschutzmittel-Skandals blieb die Bundesregierung nicht nur, was die immer noch andauernden Gesundheitsgefährdungen durch das ehemalige BAYER-Produkt XYLADECOR und andere Präparate anbetrifft, einsilbig und scheinheilig (s. o.). Obwohl ExpertInnen bereits Anfang der 1980er Jahre vor XYLADEDOR & Co. gewarnt hatten, reagierte das damalige Bundesgesundheitsamt nicht. Dieses sei zwar den Berichten „vertieft nachgegangen. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den eingetretenen Gesundheitsstörungen und Holzschutzmittel-Belastung konnte aber nicht belegt werden“, so die Große Koalition. Auch wussten Merkel & Co. nicht zu sagen, warum die Geschädigten ihre Ansprüche gegen BAYER und die anderen Unternehmen in Prozessen kaum geltend machen konnten: „Der Bundesregierung liegen darüber keine Erkenntnisse vor.“ Ebenfalls keine Informationen hat diese zum Ausmaß der Verbreitung der Mittel, zur Zahl der Opfer und zu den Kosten, welche die Substanzen verursachten.

CO & CO.

Einwendung gegen neuen Rhein-Düker
Nicht nur die zwischen den BAYER-Werken Dormagen und Krefeld verlegte Kohlenmonoxid-Pipeline wirft Sicherheitsfragen auf. Auch die in den 1960er Jahren zwischen Dormagen und Leverkusen gebaute Verbindung hat gravierende Mängel. Das offenbarte sich der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, nachdem sie bei der Bezirksregierung Köln Einsicht in die entsprechenden Unterlagen genommen hatte. Besonders an dem Rhein-Düker, mittels dessen die Pipeline den Fluss unterquert, zeigen sich Korrosionsschäden, also Abnutzungserscheinungen an den Bau-Bestandteilen. Die CBG veröffentlichte den Befund, und kurz danach kündigte BAYER einen Düker-Neubau an. Dieses Vorhaben beseitigt die Gefahr jedoch nicht, die von dem Transport gefährlichen Giftgases quer durch das Land ausgeht. Darum lehnt die Coordination es ab und hat eine Einwendung gegen das Projekt formuliert. „Ein solches Risiko ist für die Bevölkerung untragbar und wegen der Möglichkeit einer dezentralen Kohlenmonoxid-Produktion in den einzelnen Werken auch nicht notwendig“, heißt es in dem Schreiben an die Bezirksregierung unter anderem.

STANDORTE & PRODUKTION

Brunsbüttel: Neustart für MDI-Plan
2012 kündigte BAYER an, die TDI-Anlage am Standort Brunsbüttel zu einer Fertigungsstätte für MDI umzurüsten. Ein Jahr später legte der Leverkusener Multi die Pläne wieder ad acta, da die Absatz-Zahlen für TDI stiegen. Jetzt holt der Konzern sie erneut hervor – und muss sich abermals mit der Kritik der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) an dem Vorhaben befassen. Nach Ansicht der Coordination berücksichtigt das Vorhaben die Möglichkeit eines Austrittes großer Mengen des Giftgases Phosgen nämlich nicht in ausreichendem Maße. So will das Unternehmen den Bau zwar mit einer Einhausung schützen, womit er einer langjährigen Forderung der Umweltverbände nachkommt, diese aber nicht aus Beton, sondern nur aus Blechplatten errichten. Zudem verzichtet der Konzern auf eine Ammoniak-Wand als zweites Sicherheitssystem.

BAYER-Opfer Hohenbudberg
Die Standort-Städte, die heute so sehr unter BAYERs verkommener Steuer-Moral leiden, haben schon viel Opfer für den Konzern erbracht. So musste in Krefeld einst ein ganzer Ortsteil dem Expansionsdrang des Multis weichen. In den 1960er Jahren besiegelte die Erweiterung des Chemie-„Parks“ das Schicksal von Hohenbudberg und seiner rund 2.000 EinwohnerInnen. Heute zeugen nur noch die Kirche St. Matthias und drei Häuser von seiner Existenz.

RECHT & UNBILLIG

Uni-Vertrag bleibt vorerst geheim
Im Jahr 2008 ging BAYER mit der Kölner Hochschule eine Kooperation auf dem Gebiet der Pharma-Forschung ein. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Initiativen befürchteten eine Ausrichtung der Arznei-Forschung auf Profit, eine Entwicklung von Präparaten ohne therapeutischen Mehrwert, eine Verheimlichung negativer Studienergebnisse und einen Zugriff des Konzerns auf geistiges Eigentum der Hochschul-WissenschaftlerInnen. Deshalb forderten die Organisationen eine Offenlegung des Vertrages. Die Universität verweigerte das jedoch, weshalb die CBG eine Klage einreichte. Nach dem Kölner Verwaltungsgericht lehnte diese nun auch das Oberverwaltungsgericht Münster ab (siehe auch SWB 4/15). In der Urteilsbegründung verwies der Richter auf einen Ausnahme-Paragrafen im Informationsfreiheitsgesetz NRW, der Forschung und Lehre von Offenlegungspflichten entbindet. Während der Verhandlung hatte die Coordination vergeblich darauf hingewiesen, dass sich ihr Interesse an dem Vertrag gerade auf die Teile bezieht, die nicht unmittelbar der Wissenschaft zuzuordnen sind, beispielsweise Vereinbarungen zu Patenten und zur Verwertung der Ergebnisse. „Das Urteil verdeutlicht, dass das nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsgesetz überarbeitet werden muss. Die generelle Ausklammerung des Hochschulbereichs von jeglicher Transparenz muss durch eine differenzierte Regelung ersetzt werden, sonst droht eine Ausrichtung der universitären Forschung auf rein wirtschaftliche Interessen“, erklärte die CBG nach dem Richter-Spruch. Eine Entscheidung darüber, ob sie gegen den OVG-Entscheid, der eine Revision nicht zugelassen hat, Beschwerde einlegt, hat die Coordination noch nicht gefällt.

Millionen-Strafe für Explosion
Am BAYER-Standort Institute war es am 28. August 2008 zu einer Explosion gekommen, in deren Folge zwei Beschäftigte starben (SWB 3/08). Anschließend nahm die US-amerikanische Arbeitsschutzbehörde OSHA Untersuchungen auf und stellte „mangelhafte Sicherheits-Systeme, signifikante Mängel der Notfall-Abläufe und eine fehlerhafte Schulung der Mitarbeiter“ fest. Wegen dieser und anderer Versäumnisse muss der Leverkusener Multi nun eine Strafe von 5,6 Millionen Dollar zahlen. Das Geld fließt nach dem Willen der US-Umweltbehörde EPA zum größten Teil in Projekte, welche die Sicherheit von Chemie-Anlagen erhöhen. Bereits 2010 hatte die Arbeitsschutzbehörde OSHA dem Global Player in der Sache eine Kompensationszahlung von 150.000 Dollar auferlegt.

Weiterer YASMIN-Vergleich
Frauen, die drospirenon-haltige Pillen wie BAYERs YASMIN zur Empfängnis-Verhütung nehmen, tragen im Vergleich zu solchen, die levonorgestrel-haltige Kontrazeptiva bevorzugen, ein bis zu doppelt so hohes Risiko, eine Thromboembolie zu erleiden. Massen von Geschädigten oder deren Hinterbliebene haben deshalb bisher vor allem in den USA Einzel- oder Sammelklagen gegen den Multi angestrengt. Im August 2015 kam es dort gegen die Zahlung von 57 Millionen Dollar zu einem Vergleich mit 1.200 Betroffenen. Insgesamt kosteten den Pillen-Riesen solche Vereinbarungen schon über zwei Milliarden Dollar.

Behörden gegen Kontrazeptiva-Monopol
Als der Leverkusener Multi 2014 vom US-Unternehmen MERCK die Sparte mit den nicht verschreibungspflichtigen Produkten erwarb, gelangten nicht nur Sonnencremes, Fußpflege-Mittel und Magen/Darm-Arzneien neu ins BAYER-Sortiment, sondern auch die MERCILON-Kontrazeptiva mit den Wirkstoffen Desogestrel und Ethinylestradiol. Zusammen mit seinen anderen Verhütungsmitteln kommt der Pharma-Riese damit in Südkorea auf einen Markt-Anteil von 82 Prozent. Das war der dortigen Monopol-Kommission zu viel. Deshalb wies sie den Global Player an, sich von einem Teil dieses Geschäftssegmentes zu trennen.

Das Potenzmittel-Kartell
In der Schweiz zieht sich die juristische Auseinandersetzung um ein Potenzmittel-Kartell, das BAYER, PFIZER und ELI LILLY gebildet hatten, schon lange Jahre hin. Nach Ermittlung der Behörden hatten sich die Pharma-Multis für LEVITRA & Co. auf identische Preis-Empfehlungen geeinigt. Die Wettbewerbskommission WEKO hat deshalb 2009 Strafen in Höhe von insgesamt 5,7 Millionen Franken verhängt. Die Multis fochten die Entscheidung jedoch juristisch an. Das Bundesverwaltungsgericht des Landes erklärte die Klage 2013 auch für berechtigt. Es gebe gar keinen Wettbewerb in diesem Segment, da ein Werbeverbot herrsche und der Schamfaktor die KonsumentInnen von Preisvergleichen abhalte, befanden die RichterInnen, und wo es keinen Wettbewerb gebe, kann es auch keine Wettbewerbsverstöße geben. Anfang 2015 hob das schweizer Bundesgericht dieses Urteil aber auf und verwies den Fall wieder an das Verwaltungsgericht.

Whistleblower-Schutz für Simpson
In ihrer Zeit als BAYER-Beschäftigte bekam Laurie Simpson einen umfassenden Einblick in die Praxis des Leverkusener Multis, die Risiken seiner Arzneimittel zu verschweigen und diese mit Hilfe illegaler Marketing-Methoden zu vertreiben. Sie kritisierte dieses Vorgehen intern und musste dafür berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Darum machte sie die Fälle öffentlich und begann zwei Prozesse gegen den Pharma-Riesen. In dem Verfahren um das bei OPs zum Einsatz kommende Blutstill-Präparat TRASYLOL wirft Simpson dem Konzern vor, der medizinischen Öffentlichkeit und den PatientInnen das gesundheitsgefährdende Potenzial des Mittels verheimlicht zu haben, ungeachtet der Tatsache, dass dazu eindeutige Informationen vorlagen. Zudem beschuldigt sie das Unternehmen, den Verkauf des Pharmazeutikums mit illegalen Methoden wie dem Einräumen von Rabatten und der Gewährung anderer Vergünstigungen befeuert zu haben. Darüber hinaus lastet sie dem Global Player an, den Gebrauch von TRASYLOL auch bei Operationen wie beispielsweise Leber-Transplantationen empfohlen zu haben, obwohl für die Indikationen gar keine Zulassungen vorlagen. Zwei ihrer Vorwürfe hielt ein Gericht in New Jersey für so substanziell und schwerwiegend, dass es Simpson das Recht zusprach, dafür den „False Claims Act“ in Anspruch zu nehmen, das US-amerikanische Schutzprogramm für WhistleblowerInnen. BAYER focht die Entscheidung an, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.

FORSCHUNG & LEHRE

Forschungssubventionen: 8 Millionen
Im Jahr 2014 förderte die öffentliche Hand allein in der Bundesrepublik 80 Forschungsprojekte mit BAYER-Beteiligung und zahlte dem Konzern dafür ca. acht Millionen Euro.

BAYERs Nachhaltigkeitslehrstuhl
Der Leverkusener Multi finanziert an der Berliner Humboldt-Universität einen Lehrstuhl für „Nachhaltige Landnutzung und Klimawandel“. Mit dem Kohlendioxid-Ausstoß des Global Players, der 2014 rund 8,7 Millionen Tonnen betrug, dürfte sich der Stiftungsprofessor Hermann Lotze-Camper dabei eher nicht beschäftigen.

[Marburg] Carl Duisberg

CBG Redaktion

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren forderte die Theologische Fakultät der Uni Marburg auf, die Ehrendoktorwürde von Carl Duisberg zu entziehen. Die Fakultät veröffentlichte daraufhin eine Stellungnahme. Beide Schreiben sind anbei dokumentiert. Die örtliche Presse berichtete über die Diskussion. Ausführliche Informationen zu Carl Duisberg finden sich hier.

20. Juli 2015

Stellungnahme des Fachbereichs Evangelische Theologie

Fachbereich regt Forschungen zu Carl Duisberg an

Anlässlich des Festakts zum 400-jährigen Bestehen der Philipps-Universität am 30.7.1927 wurde unter anderem Prof. Dr. h.c. mult. Carl Duisberg, damals Aufsichtsratsvorsitzender der IG-Farben, von der Evangelisch- Theologischen Fakultät ein Ehrendoktor verliehen. Begründet wurde dies mit seinem großen sozialen Engagement für die Arbeiterschaft seiner angestammten Firma Bayer und mit seiner Förderung studentischen Lebens und der Wissenschaft. 1920 koordinierte er beispielsweise die Gründung des „Stifterverbandes der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“, und er engagierte sich für die wenig später entstehende „Dahrlehenskasse der Deutschen Studentenschaft“. In der damaligen Fakultät fand ferner Duisbergs Interesse für aufkommende ökumenische Fragen ein positives Echo.

Der Fachbereich Evangelische Theologie wurde kürzlich aufgerufen, die Ehrendoktorwürde zurückzunehmen, da Duisberg im 1. Weltkrieg die Entwicklung und Produktion chemischer Giftstoffe vorantrieb und den Einsatz belgischer Zwangsarbeiter befürwortete. In der Tat war Duisberg aus heutiger Sicht eine ambivalente Persönlichkeit: Herausragendes soziales Engagement steht Positionen gegenüber, die aus ethischer Sicht heute klar zu verurteilen sind.

Der Fachbereich Evangelische Theologie zeichnet sich durch eine lange Tradition einer liberalen und auch der eigenen Geschichte gegenüber kritischen Theologie aus. Vor allem die Marburger Theologie im Nationalsozialismus ist gut erforscht. Deshalb erscheint es angemessen, im vorliegenden Fall den Weg einer differenzierten Beleuchtung der eigenen Geschichte weiter zu verfolgen. Dies hat gegenüber einem einmaligen Akt der Aberkennung einer Ehrendoktorwürde den Vorteil der Nachhaltigkeit. Der Fachbereich regt daher zur wissenschaftlichen Erforschung des Themenkomplexes an: der Rolle Carl Duisbergs als Unterstützer der Universität, seiner Rolle im Kontext der Theologie sowie der Verflechtungen von Politik und Theologie zur Zeit der Weimarer Republik.

Prof. Dr. Bärbel Beinhauer Köhler
Dekanin des Fachbereichs Evangelische Theologie Marburg

Theologische Ehrendoktorwürde von Carl Duisberg

2. Juli 2015

Dekanat der Theologischen Fakultät
Lahntor 3
35032 Marburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

in den 80er Jahren habe ich an der Philipps-Universität studiert. Nun stieß ich in der Publikation „Carl Duisberg – Briefe eines Industriellen“ von Dr. Kordula Kühlem auf die Information, dass der Chemiker Carl Duisberg im Jahr 1927 in Marburg einen Ehrendoktor für Theologie erhielt.

Carl Duisberg ist in keiner Weise als Vorbild für künftige Generationen geeignet. In mehreren Städten wurde in den letzten Monaten eine Umbenennung von Duisberg-Straßen beschlossen. Daher möchte ich Sie bitten, ein Verfahren zur Aberkennung der Ehrendoktorwürde einzuleiten.

zur Begründung des Antrags:
Im November 2014 wurde in Dortmund eine Umbenennung der dortigen Carl-Duisberg-Straße beschlossen. Zur Begründung schreibt das Dortmunder Stadtarchiv: „Duisberg gehörte zu den führenden deutschen Industriellen, die während des Krieges die - auch nach dem damals geltenden internationalen Kriegsrecht illegale - Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland durchsetzten. (…) Als Patriarch lehnte er bis zu seinem Tod Gewerkschaften entschieden ab. Er war von Beginn an Gegner der Weimarer Demokratie.“ Die vollständige Stellungnahme finden Sie unter http://www.cbgnetwork.org/downloads/Stellungnahme_Stadtarchiv_Dortmund.pdf

Am 8. Dezember folgte der Stadtrat von Lüdenscheid und beschloss eine Umbenennung des dortigen Duisbergwegs. Das Lüdenscheider Stadtarchiv schreibt unter anderem: „Während des Ersten Weltkriegs wurde unter Duisbergs Vorsitz bei Bayer Giftgas für den Kriegseinsatz produziert. Abfallprodukte der Chemischen Industrie, die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfte, dienten als Rohstoffe. In Leverkusen war das u. a. Phosgen, ein Gas, das besonders grausam wirkt“, siehe: http://www.cbgnetwork.org/downloads/Duisberg_Stadtarchiv_Luedenscheid.pdf

In Frankfurt am Main wurde ebenfalls ein Verfahren zur Umbenennung der dortigen Duisbergstraße eingeleitet. Wie Sie vielleicht wissen, wurde auch in Marburg intensiv über die Umbenennung des Carl-Duisberg-Hauses diskutiert. An dem Gebäude wurde inzwischen eine Gedenktafel angebracht, siehe: http://www.studentenwerk-marburg.de/?id=78

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte Carl Duisberg die Vermarktung von Heroin als angeblich harmlosem Hustenmittel betrieben. Als Wissenschaftler das Suchtpotential des Präparats anprangerten, äußerte Duisberg, man müsse die „Gegner mundtot schlagen“. Obwohl sich rasch die Gefahr der Abhängigkeit herausstellte, führte die Firma Bayer den Verkauf von Heroin über Jahrzehnte hinweg fort.

Im 1. Weltkrieg beklagte Duisberg gegenüber den Generälen Hindenburg und Ludendorff den Mangel an Arbeitskräften. Mit dem Ausspruch „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“ forderte er den Einsatz von Zwangsarbeitern. Das Reichsamt des Inneren griff Duisbergs Vorschlag auf und ließ 1916 zehntausende Belgier deportieren. Mehrere Tausend starben.

Zur selben Zeit entwickelte Carl Duisberg gemeinsam mit Fritz Haber Giftgase wie „Grünkreuz“ und „Senfgas“, testete diese erstmals an der Front und verlangte vehement ihren Einsatz - wissentlich gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßend.

1917 wurde Duisberg Mitglied der rechtsextremen Deutschen Vaterlandpartei. Zudem war er Vorstandsmitglied des „Unabhängigen Ausschuß für einen deutschen Frieden“, einer Gründung des antisemitischen Alldeutschen Verbands. Duisberg forderte die Annexion der besetzten Gebiete in Belgien und Nordfrankreich und etwas später auch “deutschen Lebensraum” in Polen und Russland. Duisberg hatte beste Kontakte zur Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff und mischte sich offensiv in die Kriegszielplanung ein. Auch forderte er den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und setzte sich erfolgreich für die Absetzung des (angeblich zu nachgiebigen) Kanzlers Bethmann-Hollweg ein.

Der Weimarer Republik stand Duisburg von Anfang an ablehnend gegenüber. Duisburg organisierte Spenden an nationalistische Parteien, spätestens seit 1930 auch an die NSDAP. 1931 forderte Duisberg, der mittlerweile Aufsichtsratsvorsitzender der IG FARBEN geworden war: „Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, dass er keine Hemmungen hat, so muss diesem Mann unbedingt Folge geleistet werden.“

Im Gegenzug für ihre Millionen-Spenden erhielt die IG FARBEN von den Nationalsozialisten Absatzgarantien für synthetischen Treibstoff und Kautschuk. Kein anderes Unternehmen kollaborierte in der Folgezeit so eng mit dem Dritten Reich. Anlässlich seiner Pensionierung frohlockte Carl Duisberg denn auch: „Ich freue mich auf einen Lebensabend unter unserem Führer Adolf Hitler.“

Aus meiner Sicht ist ein Kriegstreiber, der persönlich den Einsatz von Giftgasen und die Deportation von Zwangsarbeitern forciert hat, nicht geeignet, mit einer theologischen Ehrendoktorwürde ausgezeichnet zu werden. Bitte informieren Sie mich über die weiteren Schritte.

Mit herzlichen Grüßen,

Philipp Mimkes
Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG)
Postfach 15 04 18
40081 Düsseldorf

[HV Bericht] STICHWORT BAYER 03/2015

CBG Redaktion

KritikerInnen dominieren BAYER-HV

Das Tribunal

Die „verkehrte Welt“, die sich auf der letzten BAYER-Hauptversammlung mit der großen Dominanz von Konzern-KritikerInnen auftat, kam auch am 27. Mai nicht wieder ins Lot. Erneut lasen 26 RednerInnen dem Konzern von morgens früh bis abends spät die Leviten. Sie setzten sich mit gefährlichen Medikamenten, Plastik-Abfällen, der Vergangenheitspolitik des Konzerns, der Abspaltung der Kunststoff-Sparte sowie all den vielen anderen ohne Rücksicht auf Verluste betriebenen geschäftlichen Aktivitäten zur Rendite-Steigerung auseinander.

Alle Redebeiträge finden Sie hier

Eigentlich schien das unwiederholbar: 2014 auf der BAYER-Hauptversammlung hatten 26 Konzern-KritikerInnen Einspruch gegen die gnadenlose Profit-Jagd erhoben und damit die RednerInnen-Liste ganz klar dominiert. Und jetzt das: Erneut traten 26 RednerInnen ans Pult, und konfrontierten Konzern und AktionärInnen ebenso umfangreich wie qualifiziert mit Kritik an den profitablen Geschäften. Auch vor der Kölner Messehalle braute sich wieder viel zusammen. Das Unternehmen versuchte jedoch mit allen Mitteln zu verhindern, dass Bilder davon künden und ein Firmenlogo neben den Protestaktionen auftaucht: Keine BAYER-Fahne, kein Plakat und kein sonstiger Hinweis zeigte an, dass hier einer der großen Dax-Konzerne sein jährliches AktionärInnen-Treffen abhielt.

Trotzdem war klar, dass hier gegen die Geschäftspolitik von BAYER demonstriert wurde. Dafür sorgten schon die eindeutigen Transparente und Flugblätter. Und wie in den vergangenen Jahre herrschte vor dem Eingang zur Hauptversammlung ein buntes Treiben. ImkerInnen zeigten sich in voller Montur mit ihren Arbeitsgeräten und protestierten gegen BAYERs bienenschädigende Pestizide. Unterstützung erhielten sie dabei von BUND- und SumOfUs-VertreterInnen, die in Bienen-Kostüme gehüllt Flugblätter verteilten. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN war derweil in See gestochen und hatte auf dem Messe-Gelände ein Meer angelegt, in dem Spülmittel-Flaschen und andere Behältnisse schwammen, um den AktionärInnen das Plastikmüll-Problem plastisch vor Augen zu führen. Darüber hinaus machten junge Frauen mit T-Shirts, die mit Aufdrucken wie „Erfolgsbilanz ‚die Pille’: Valerie, 23, Schlaganfall“ Einblick in ihre Krankenakten gaben, auf ihr Schicksal als Verhütungsmittel-Geschädigte aufmerksam. Andere riefen mit Plakaten die Risiken und Nebenwirkungen der Medikamente des Pharma-Riesen ins Gedächtnis. Zu einem drastischeren Mittel griff das Ehepaar Zwartje: Es konfrontierte die AktionärInnen mit einem großen Foto, das ihre durch eine BAYER-Pille gestorbene Tochter Lena zeigt.

Drinnen offenbarte sich den HV-BesucherInnen dann ein Kontrastprogramm. „BAYER-Aktionäre treffen auf heile und kranke Welten“, so drückte es die Rheinische Post aus. Heil war die Welt des Profits, und zwar gerade weil sie ihre Ziele ohne Rücksicht auf Verluste für Mensch, Tier und Umwelt verfolgt: Um zwei Seiten einer Medaille handelt es sich bei den beiden auf den ersten Blick so disparaten Sphären. Und um den Aktien-HalterInnen den Übergang ein wenig zu erleichtern, zeigte BAYER-Chef Marijn Dekkers zu Anfang seiner Hauptversammlungsrede sogar Gefühle. Er erzählte davon, wie sehr ihn als gelernter Chemiker bei seinem Vorstellungsgespräch die Konzern-Maxime „Science For A Better Life“ beeindruckt habe. „Wissenschaft. Für ein besseres Leben. Das hat mich umgehauen“, schwärmte er und entschuldigte sich sogleich für seinen lockeren Umgangston, der vermutlich eher der von BAYERs Kommunikationschef Herbert Heitmann war.

Nach dieser Overtüre ging Dekkers allerdings rasch wieder zum „Business as usual“ über und widmete sich dem schnöden Zahlenwerk. Er sprach über den Rekord-Umsatz, die Kurs-Entwicklung, die Wachstumstreiber, die Profit-Aussichten im laufenden Geschäftsjahr und verkündete eine Dividenden-Erhöhung. Dafür bedankten sich die anschließend zu Wort kommenden zwei AktionärInnen-Vertreter dann auch artig und beendeten damit gleichzeitig das Kontrastprogramm. Von nun an folgten bis zum Abend nur noch Beiträge über „kranke Welten“. Dem Global Player blieb dabei nur übrig, „die schlechtesten aller Welten“, die emotional erschütternden Zeugnisse der Medikamenten-Geschädigten oder ihrer Angehörigen, ganz an den Schluss der Veranstaltung zu setzen, in der Hoffnung, die meisten AktionärInnen hätten sich da schon längst auf die Heimreise gemacht.

Als aber beispielsweise Karl Murphy zum RednerInnen-Pult schritt, war der Saal bei Weitem nicht leer. So konnten noch viele mitverfolgen, welche verheerenden Folgen der von seiner Mutter genutzte Schwangerschaftstest DUOGYNON bei ihm hatte. Der Engländer zeigte den HV-BesucherInnen die Auswirkungen des Pharmazeutikums, das der 2006 von BAYER geschluckte Konzern SCHERING bis in die 1970er Jahre hinein vermarktete, indem er seine beiden Hände mit den teilweise verstümmelten Fingern hochhielt. In seiner Rede, deren Übersetzung Anabel Schnura vortrug, trug er überzeugende Belege für das Gefährdungspotenzials des Präparates vor. „Ich bin im Besitz von 102 Studien, darunter auch Studien aus Deutschland, die über 3.500 Fälle von Missbildungen bei Babys aufzeigen, deren schwangere Mütter entweder hormonelle Schwangerschaftstests oder die Antibaby-Pille verordnet bekamen“, so Murphy. Und er warf dem Unternehmen vor, schon frühzeitig von den Risiken gewusst zu haben, ohne die ÄrztInnen darüber zu informieren.

Margret-Rose Pyka hatte wie Karl Murphys Mutter DUOGYNON nichtsahnend angewendet und wie sie ein Kind mit einer Behinderung zur Welt gebracht. „Sie müssen sich vorstellen, das sind zwei kleine Tabletten, die haben die Wirkung von zwei bis drei Packungen Antibaby-Pillen, und diese geballte Hormon-Bombe kommt auf ein paar Millimeter werdendes Leben. Und damit rechnet man als Frau nicht“, mit diesen Worten beschrieb sie die fatalen Effekte des Produktes. Pyka hatte sich später auch in einer Initiative engagiert, um andere Menschen das Schicksal ihrer Familie zu ersparen, stieß dabei allerdings rasch auf Grenzen: „Ich habe damals mit den Behörden gesprochen, und die Behörden haben mir gesagt: ‚Wir können das Produkt nicht vom Markt nehmen, weil die Markt-Macht von SCHERING zu groß ist“. Zum Schluss brachte sie das Thema „Entschädigungen“ zur Sprache. „Wir sind alle eine BAYER-Familie. Da gibt es auf der einen Seite die Mitarbeiter, die den Gewinn erwirtschaften, und dann gibt es in der Familie diejenigen, die von BAYER-Produkten negativ betroffen sind, und jetzt ist die Frage, wie geht so eine BAYER-Familie mit ihren Mitgliedern um, und zwar mit den Schwachen“, führte sie aus und schlug dem Vorstand vor, einen Runden Tisch zur Schadensregulierung einzuberufen.

Margret-Rose Pyka war offenbar der Meinung, unter vernünftigen Menschen müsste sich für solch ein Problem doch eine Lösung finden lassen. Aber die BAYER-ManagerInnen betrachten sich nicht als Personen, die frei über solche Angebote entscheiden können. Sie sehen sich an den Auftrag der Eigentümer des Konzerns, vor allem der GroßaktionärInnen und der InvestorInnen, gebunden, so viel Profit wie möglich zu erwirtschaften. Und ein Entgegenkommen in der Schadensersatz-Frage birgt in den Augen des Vorstandes das Risiko, weitere Ansprüche von Geschädigten nach sich zu ziehen und so den Gewinn zu schmälern. „Selbstverständlich stehen wir zu unseren Produkten, wir müssen aber bei der Regulierung von Ansprüchen auch juristische Aspekte mit berücksichtigen“, so drückte Marijn Dekkers diesen Sachverhalt aus und beschied Pyka: „Im von Ihnen angesprochenen Kontext sehen wir daher keine Grundlage für Entschädigungszahlungen.“

Was die verheerenden Wirkungen der Antibaby-Pillen aus der YASMIN-Produktfamilie betrifft, sahen allerdings US-amerikanische Gerichte „eine Grundlage für Entschädigungszahlungen“. 1,9 Milliarden Dollar musste der Konzern bisher dafür aufwenden. Das sei „den Besonderheiten des Rechtssystems in den USA“ geschuldet und beruhe auf den spezifischen Fakten des jeweiligen Einzelfalles, so Dekkers auf eine entsprechende Frage der YASMIN-geschädigten Kathrin Weigele. Er hob jedoch auch hier wieder den „juristischen Aspekt“ hervor, dies sei im Rahmen eines Vergleiches und ohne Anerkenntnis einer Haftung geschehen.

Für Weigele, ihre Leidensgenossin Felicitas Rohrer sowie für das Ehepaar Zwartje, das die beiden Frauen zum Rednerpult begleitet hatte, denen keine so verbraucherschutz-freundliche Gerichte wie in den Vereinigten Staaten zur Seite stehen, hatte BAYER nur formelhafte Beileidsbekundigungen übrig. Felicitas Rohrer hatte sich vorher solche Floskeln ausdrücklich verbeten, Marijn Dekkers ließ sich davon allerdings nicht abhalten. „Deshalb wiederhole ich mich zwar, wenn ich Ihnen sage, dass mich ihre persönliche Geschichte bewegte und weiter bewegt“, eröffnete der Vorstandsvorsitzende der jungen Frau, bevor er wieder zur Tagesordnung überging: „Das Sicherheitsprofil unserer oralen Kontrazeptiva entspricht dem vergleichbarer hormoneller Verhütungsmittel auf dem Markt.“

Unerbittlich zeigte sich der Leverkusener Multi auch wieder in der Sprach-Frage. Der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning als Versammlungsleiter untersagte es Valerie Williams, die wie Karl Murphy extra aus Großbritannien angereist war, um über ihre Erfahrungen mit dem Schwangerschaftstest DUOGYNON zu berichten, ihre Rede in der Muttersprache zu halten. Während Wenning als Aufsichtsratsmitglied der DEUTSCHEN BANK kein Problem damit hatte, dass sich der damalige Co-Vorsitzende Anshu Jain auf deren Hauptversammlung größtenteils des Englischen bediente, blieb der ehemalige BAYER-Chef Williams gegenüber hart: „Redebeiträge und Fragen sind auch in diesem Jahr nur in deutscher Sprache möglich“. CBG-Vorstandsmitglied Axel Köhler-Schnura kritisierte das scharf. „Wann wird dieser entwürdigende, skandalöse und arrogante großdeutsche Sprach-Zopf bei BAYER endlich abgeschnitten“, fragte er. Aber Wenning zeigte sich uneinsichtig. „Wieso Sie den Gebrauch der deutschen Sprache für arrogant halten und als skandalös empfinden, erschließt sich mir übrigens, Herr Köhler-Schnura, nicht“, so der Ober-Aufseher des Konzerns.

Das CBG-Urgestein setzte aber auch noch andere Themen auf die Agenda der Hauptversammlung. Er sprach über das, was Marijn Dekkers in seiner Eröffnungsrede als den „Wandel zu einem reinen Life-Science-Unternehmen“ und eine Konzentration „auf unsere innovationsstärksten Bereiche“ beschrieben hatte: die Trennung von der Kunststoff-Sektion BAYER MATERIAL SCIENCE. „Dieser schwerwiegende Eingriff in den Betriebsfrieden dient einzig und allein dazu, die bereits unverschämte Profit-Rate weiter zu steigern“, konstatierte Köhler-Schnura und prophezeite den dort Beschäftigten ein ähnliches Schicksal wie den KollegInnen der 2004 ausgegliederten, heute unter dem Namen LANXESS firmierenden Plaste- und Chemie-Sparte: „Lohndumping und Vernichtung von Arbeitsplätzen im großen Stil“. Darüber hinaus griff der Diplom-Kaufmann noch BAYERs windige Umtriebe im Netz auf. Der Konzern hatte eine Agentur beauftragt, um „Online-Reputationsmanagement“ zu betreiben und mittels gefaketer Postings auf Facebook und in Foren Produkte des Unternehmens anzupreisen, komplett mit kruden Rechtschreibfehlern als besonderem Authentizitätsausweis. „Ich wüsste schon gerne von Ihnen, Herr Dekkers, wie sich solche (...) Methoden ihres Konzerns mit den von Ihnen immer wieder beschworenen Verhaltensregeln vertragen, in denen so Sätze zu lesen sind wie: ‚BAYER bekennt sich ohne Einschränkung zum Wettbewerb mit fairen Mitteln?’“ Da blieb dem Niederländer kaum etwas anderes übrig, als den Vorgang zu bedauern. Als eine Unternehmensstraftat wertete er die Manipulationen allerdings nicht, für ihn handelte es dabei lediglich sich um Einzelfälle bzw. „Aktivitäten einzelner Mitarbeiter“, die dann auch als Bauernopfer herhalten und den Pharma-Riesen verlassen mussten.

CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes sprach ebenfalls ein ganzes Bündel von problematischen BAYER-Aktivitäten an. So kritisierte er die massenhafte Herstellung von biologisch nicht abbaubaren Kunststoffen, deren drastische Folgen für die Ozeane die Coordination vor den Messehallen mit dem vor Plastikmüll berstenden Miniatur-Meer illustriert hatte. Als den „Gipfel nicht-nachhaltiger Kunststoff-Produktion“ bezeichnete Mimkes dabei die Fertigung von Mikroplastik für die Kosmetik-Industrie, das Kläranlagen mühelos überwindet und ungefiltert in die Gewässer gelangt. Aber nicht nur die Chemie-Wende, auch die Energie-Wende hat der Leverkusener Multi dem CBGler zufolge verschlafen, und zwar so sehr, dass der Konzern sich im Gegensatz zu den vergangenen Jahren gar nicht mehr traut, den verschwindend geringen Prozentsatz, den der Anteil erneuerbarer Energien in seinem Strom-Mix einnimmt, im Geschäftsbericht aufzuführen. Weit entfernt davon, hier eine Umkehr einzuleiten, setzt der Global Player auch noch auf die mit vielen Umweltrisiken behaftete Fracking-Technologie. „Offenbar werden hier bei BAYER entscheidende Weichen falsch gestellt“, resümierte Mimkes. Nicht nur mit der Zukunft tut sich das Unternehmen jedoch schwer, sondern auch mit der Vergangenheit. Noch vor zwei Jahren hatte Dekkers auf der Hauptversammlung die „historischen Verdienste“ des ehemaligen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg gerühmt, der im Ersten Weltkrieg mitverantwortlich für die Entwicklung von Chemie-Waffen und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte. Anlässlich des 100. Jahrestages des ersten Giftgas-Einsatzes im belgischen Ypern wies Mimkes noch einmal auf die fatale Rolle Duisbergs bei der Entwicklung dieser Massenvernichtungswaffe hin und nannte dies als einen der Gründe dafür, warum sich immer mehr Städte und Gemeinden entscheiden, ihre Carl-Duisberg-Straßen umzubenennen.

Der große Vorsitzende wollte es allerdings nicht zulassen, am Denkmal zu rütteln. „Die historische Forschung würdigt die Leistung Carl Duisbergs als herausragende Unternehmer-Persönlichkeit“, konstatierte er und hielt fest: „Die angesprochenen historischen Themen bedürfen einer differenzierten Beurteilung durch Fach-Historiker, sie sollten daher meines Erachtens nicht Gegenstand gesellschaftspolitischer Agitation sein.“ In diesem Sinne sprach er dann auch von der Umbenennungsinitiative als „einer gesteuerten Kampagne“. Und sein Blick in die Zukunft entsprach ebenfalls nicht dem von Philipp Mimkes. Für Marijn Dekkers war bei BAYER alles im grünen Bereich. Von einer Mikroplastik-Produktion in den heimischen Werken wusste er nichts, und die Erneuerbaren Energien seien leider „im größeren Stil nicht wirtschaftlich“, aber ungeachtet dessen sah er den Multi dank angeblich hocheffizienter Kraftwerke und hochinnovativer Verfahrenstechnologien in der Kunststoff-Fertigung voll auf Nachhaltigkeitskurs.

Auf unzählige weitere Fragen musste der Vorstandsvorsitzende an diesem Tag Antworten bzw. Schein-Antworten finden. Die Konzern-KritikerInnen setzten noch das Bienensterben sowie andere Risiken und Nebenwirkungen von Ackergiften, die Gentechnik, Tierversuche, die Kohlenmonoxid-Pipeline, BAYERs Steuervermeidungsstrategien, die Rolle des Großinvestors BLACKROCK, die Datensicherheit und die JADELLE-Kontrazeptiva auf die Tagesordnung. Damit bestimmten sie den ganzen Ablauf der Hauptversammlung. In den Abstimmungsergebnissen spiegelte sich das allerdings nicht wider, aber so geht es eben zu in der markt-konformen Demokratie. Am Ende votierten 98,5 Prozent für die Entlastung des Vorstands und 96,9 Prozent, was angesichts der Kapital-Verhältnisse schon ein Erfolg ist, für die Entlastung des Aufsichtsrates. Und bei der Abstimmung über die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erreichte der Widerspruch sogar mehr als 10 Prozent. Ob das eine Folge der in der Hauptversammlung vorgetragenen massiven Kritik an dem Steuervermeidungskonzern PWC war, bleibt allerdings offen. Von Jan Pehrke

BAYER trotzt Kritik

„Wir stehen zu unseren Produkten“

Was sonst noch geschah: KritikerInnen brachten auf der Hauptversammlung zahlreiche weitere Themen zur Sprache. So setzten sie zusätzlich das Bienensterben, das Pestizid Glyphosat, die Gentechnik, die Medikamente XARELTO und JADELLE, die Tierversuche, die Datensicherheit, die Kohlenmonoxid-Pipeline, die Rolle des Großinvestors BLACKROCK und BAYERs Steuervermeidungsstrategien auf die Tagesordnung.

Auch auf der diesjährigen Hauptversammlung des Leverkusener Multis nahm das Thema „Bienensterben“ wieder breiten Raum ein. Gleich sechs KritikerInnen beschäftigten sich mit dieser Nebenwirkung der BAYER-Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide wie GAUCHO und PONCHO. Die Imkerin Annette Seehaus-Arnold, Kreisvorsitzende der ImkerInnen der Region Rhön-Grabfeld, legte dem Global Player eine Schadensbilanz vor. „Meine Imker-Kollegen mussten in diesem Winter wieder sehr hohe Verluste an Bienenvölkern hinnehmen. Viele haben sogar alle Völker verloren“, klagte sie. Dabei hätten die BienenzüchterInnen alle Anweisungen zum Schutz der Bienen vor der Varroa-Milbe befolgt, in der BAYER die eigentliche Ursache für den Tod der Bienen sieht. Seehaus-Arnold hatte den Agro-Riesen hingegen in Verdacht, die Bedrohung durch die Varroa-Milbe künstlich aufzubauschen, um von den gefährlichen Effekten seiner Pestizide abzulenken. Und selbst wenn diese einen negativen Einfluss auf die Bienengesundheit haben sollten: „Es kommt nicht auf den Erreger an, sondern auf den Boden, auf den er fällt“, zitierte Seehaus-Arnold Louis Pasteur. Und diesen Boden haben der Imkerin zufolge GAUCHO & Co. besonders fruchtbar für den Erreger gemacht.

Flurschäden
Die Europäische Union schätzt die Mittel ebenfalls als sehr gefährlich ein. Nach Ansicht der EU-Kommission bergen sie „etliche Risiken für die Bienen“. Darum hat Brüssel einen zunächst zweijährigen Verkaufsstopp angeordnet. Der Leverkusener Multi aber geht in Tateinheit mit SYNGENTA gerichtlich gegen das Votum vor. „Warum akzeptieren Sie die Entscheidung nicht? Warum gefährden Sie wissentlich das Überleben der Honigbienen“, fragte Lea Horak von RETTET DEN REGENWALD den Vorstand deshalb. Wiebke Schröder von SumOfUs bezeichnete das als „aggressives Verhalten“ und überreichte den Konzern-ManagerInnen über eine Million Unterschriften, die ihre Organisation gegen die Klage gesammelt hatte. „Nehmen Sie die Neonicotinoid-Bedrohung ernst“, mahnte sie eindringlich angesichts der großen Bedeutung, die Bienen durch die Bestäubung von Nutz-Pflanzen für die Nahrungsmittelversorgung der Menschen haben.
Wie richtig die Entscheidung der EU war, drei Neonicotinoide von BAYER und SYNGENTA mit einem Moratorium zu belegen, bestätigte derweil der Imker Markus Bärmann mit seinen Erfahrungen aus der Praxis. „Dieses Frühjahr war bei den Bienen vieles anders. So viel anders, wie ich es seit zwanzig Jahren nicht mehr erlebt habe! Endlich wieder Insekten in der Luft und am Boden!“, schwärmte er. Auch über orientierungslos umherfliegende Bienen musste Bärmann nicht mehr klagen.
Corinna Hölzel vom BUND widmete sich derweil einem immer noch erhältlichen Neonicotinoid-Wirkstoff, der unter anderem in BAYERs CALYPSO und LIZETAN sein Unwesen treibt: Thiacloprid. „Thiacloprid ist ähnlich besorgniserregend wie die drei verbotenen Wirkstoffe, denn es gehört zur gleichen Gruppe“, stellte sie fest und führte zum Beleg eine Studie des Berliner Bienenforschers Randolf Menzel an, wonach Bienen nach dem Kontakt mit dieser Agrochemikalie nicht mehr in ihren Stock zurückfanden. Auch der Imker Christoph Koch vom DEUTSCHEN BERUFS- UND ERWERBSIMKERBUND berichtete vom Gefährdungspotenzial dieses Produkts. Er verwies dabei auf Zahlen, die das „Deutsche Bienen-Monitoring“ ermittelt hat. Rückstände von sage und schreibe 23 verschiedenen Pestiziden wiesen die WissenschaftlerInnen in den von den Bienen gesammelten Pollen nach. Darunter befanden sich „beängstigend viele Proben mit extrem hohen Thiacloprid-Werten“, so Koch. Der Agro-Riese bestreitet den Sachverhalt jedoch und bewirbt CALYPSO und LIZETAN als „nicht bienengefährlich“. Weil der BUND das als eine Irreführung der VerbraucherInnen bezeichnete, verklagte BAYER den Umweltverband, was Christoph Koch ebenso wie Corinna Hölzel scharf kritisierte – und das Düsseldorfer Landgericht ebenfalls als nicht berechtigt ansah: Es entschied im März 2015 zu Gunsten der Initiative.
„BAYER respektiert das Urteil, da in diesem Verfahren die juristische Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz des Eigentums im Mittelpunkt stand“, erklärte Marijn Dekkers. Und weder von dieser Niederlage noch von den vielen Unterschriften, die SumOfUs sammelte, lässt der Konzern sich davon abbringen, die Auseinandersetzung über die Gefährlichkeit seiner Pestizide vornehmlich auf juristischem Wege zu führen. Er verfolgt die Klage gegen die EU weiter. Dekkers zufolge ging die Kommission gegen die Ackergifte vor, ohne neue Erkenntnisse über unerwünschte Effekte der Mittel zu haben, was seiner Ansicht nach die Rechtssicherheit gefährdet. „Deshalb legen wir weiterhin Wert auf eine gerichtliche Klärung“, so der Ober-BAYER. Immer noch hat er nicht die Spur eines Zweifels an GAUCHO und PONCHO. „Wir stehen zu unseren Produkten. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass Neonicotinoide sicher sind, wenn sie verantwortungsvoll und vorschriftsmäßig eingesetzt werden“, hielt er fest und machte für das Bienensterben neben der Varrao-Milbe nur noch extreme Umwelt- und Klima-Einflüsse sowie eine Veränderung der landwirtschaftlichen Strukturen verantwortlich.
Julia Sievers-Langer von der AGRAR KOORDINATION widmete sich zwei anderen Pestizid-Wirkstoffen, die zwar nicht zur Gruppe der Neonicotinoide gehören, es aber trotzdem in sich haben: Glyphosat und Glufosinat. Glyphosat, das BAYER etwa unter den Namen GLYPHOS, USTINEX G oder KEEPER vermarktet, hat das Krebsforschungsinstitut der Weltgesundheitsorganisation jüngst als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft, berichtete Sievers-Langer. Und von Glufosinat, das der Leverkusener Multi vor allem in Kombination mit seinen Gen-Saaten vertreibt, gehe sogar nach Meinung der Europäischen Union ein hohes Gesundheitsrisiko aus. Die globale Glufosinat-Produktion verdoppeln zu wollen, obwohl die EU-Zulassung 2017 ausläuft, bezeichnete die Aktivistin deshalb als „Skandal“. Sie forderte eine Erklärung dafür ein. „Welche Argumente können schwerer wiegen als die Verpflichtung, die Entstehung von Missbildungen bei Embryos als Folge des Glufosinat-Einsatzes zu verhindern?“, fragte sie den Vorstand. Darauf antwortete Dekkers allerdings nicht. Stattdessen stellte er Glufosinat angesichts der immer mehr Pestiziden trotzenden Wildpflanzen als wichtige Alternative für die LandwirtInnen dar und betonte die herausragenden Produkt-Eigenschaften. Und was die Risiken und Nebenwirkungen angeht, da ist es für den Konzern damit getan, sich „für den sicheren, vorschriftsmäßigen Einsatz“ einzusetzen.
Dr. Christopher Faßbender von der Tierschutz-Organisation PETA thematisiert das Leid, das Versuchstiere ertragen müssen, die mit Pestizid-Wirkstoffen imprägnierte Halsbänder gegen Zecken-Befall testen. Bis zu 400 Tage dauern die Erprobungen, bei denen Hunde und Katzen wiederholt über mehrere Stunden Parasiten in engen Transportboxen ausgesetzt sind. Dekkers äußerte sich aber nicht zu dem konkreten Fall. Er erging sich stattdessen in Ausführungen über die Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf, die BAYER angeblich übernehme.
Christoph Then vom Verein TESTBIOTECH und Sibylle Arians konfrontierten die Hauptversammlung mit einem Schadensbericht zur „grünen“ Gentechnik. „Offensichtlich hat die Firma BAYER die Kontrolle über ihre gentechnisch veränderten Pflanzen längst verloren“, konstatieren die beiden und präsentierten eine lange Liste mit „Unfällen“. Sie begann mit dem Genreis-Skandal, bei dem sich Spuren von BAYERs LL601-Laborfrucht in normalem Haushaltsreis fanden, und reichte über kontamierten Mais bis zu Auskreuzungen von Gen-Raps und Gen-Baumwolle. Zu diesen Kontrollverlusten wollte sich der BAYER-Chef allerdings nicht äußern. Er beließ es bei Allgemeinplätzen über einen verantwortungsvollen Umgang mit der Risikotechnologie und stellte deren Beitrag zur Sicherung der Nahrungsmittel-Versorgung heraus, ungeachtete der Tatsache, dass die meisten Genpflanzen als Futter in den Ställen der MassentierhalterInnen landen.

Pillenschäden
Roland Holtz wandte sich der Pillen-Sparte zu und nahm sich mit dem Blutgerinnungshemmer XARELTO BAYERs Bestseller vor. Holtz, der lange Jahre in der pharmazeutischen Industrie gearbeitet hat und die Branche aus ethischen Gründen verließ, unterzog die Zulassungstests einer genaueren Betrachtung. Er enthüllte, mit welchen Tricks der Leverkusener Multi eine Nicht-Unterlegenheit des Mittels gegenüber den herkömmlichen Präparaten demonstrieren konnte. So hat der Konzern beispielsweise den ProbantInnen der Vergleichsgruppe ihr Medikament nicht in der richtigen Dosierung verabreicht. Darauf ging Marijn Dekkers jedoch nicht näher ein. Lieber verlas er Textbausteine aus den Werbe-Broschüren zu dem Pharmazeutikum, das es allein 2014 auf fast 2.000 Meldungen über unerwünschte Arznei-Effekte brachte und in Verdacht steht, für 161 Todesfälle verantwortlich zu sein.
Susanne Schultz vom GEN-ETHISCHEN NETZWERK problematisierte in ihrem Beitrag, wie BAYER mit seinem Langzeitverhütungsmittel JADELLE eine Entwicklungshilfe-Strategie stützt, die weniger gegen die Armut als vielmehr gegen die Armen gerichtet ist und deren Vermehrung eindämmen will. „JADELLE wurde vom bevölkerungspolitischen Think Tank ‚Population Council’ dafür entwickelt, Frauen in den Ländern des Globalen Südens möglichst langfristig unfruchtbar zu machen“, so Schultz – und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Nebenwirkungen wie starke oder ausbleibende Monatsblutungen, Depressionen, Migräne und abrupte Gewichtszunahmen oder –abnahmen zählte die Wissenschaftlerin von der Frankfurter Goethe-Universität auf.
Während BAYER die Ärmsten der Armen mit einem fünf Jahre wirkenden Silikonstäbchen bestückt, das in den Oberarm eingenäht wird, versucht der Pharma-Riese die reicheren Afrikanerinnen für seine teuren Kontrazeptiva zu gewinnen, kritisierte Daniel Bendix von GLOKAL e. V. Und wenn BAYER offiziell verkündet, „Kundinnen, die für ihre reproduktiven Gesundheitsdienstleistungen mehr zahlen können, dazu zu bringen, auf diese Produkte umzusteigen“, dann firmiert das Ganze auch noch unter Entwicklungshilfe und speist sich zum Teil aus staatlichen Geldern, so Bendix. Konkret nannte der Sozialwissenschaftler von der Universität Kassel Zahlungen von der US-amerikanischen Entwicklungshilfe-Einrichtung USAID. Dekkers focht das nicht an: Er gab unverdrossen den Albert Schweitzer. Der Pharma-Riese kalkuliere nur mit einer geringen Marge, und die staatliche Unterstützung würde gerade einmal ermöglichen, kostendeckend zu arbeiten, behauptete er. Und auch mit JADELLE betätigt sich der Konzern nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden nur als Samariter, reduziere das selbstverständlich sichere und gut verträgliche Mittel doch die Säuglings- und Müttersterblichkeit bei Geburten in beträchtlichem Maße. „Ohne Schwangerschaften keine Schwangerschaftskomplikationen“ – so lautete seine bestechende Logik.
Dieter Donner befasste sich hingegen mit den Risiken und Nebenwirkungen, die von BAYERs Kunststoff-Abteilung ausgehen und beschäftigte sich mit einer Sache, die für den Multi schon zu einer Altlast mutierte, ehe sie überhaupt in Betrieb ist: mit der von Dormagen nach Krefeld verlaufenden Kohlenmonoxid-Pipeline. Auch 2014 war wieder ein schwarzes Jahr für das Projekt, wie der Presse-Koordinator der STOPP-BAYER-CO-PIPELINE-INITIATIVE resümierte. Erst legte die nordrhein-westfälische Landesregierung ein Gutachten vor, wonach es sicherere und sogar preisgünstigere Alternativen zu der Rohrleitung gibt, und dann beurteilte das Oberverwaltungsgericht Münster das Pipeline-Gesetz auch noch als verfassungswidrig. Zudem muss das Unternehmen sich weiter mit der Klage von Heinz-Josef Muhr auseinandersetzen, obwohl dieser jüngst verstarb. Donner, der zum Gedenken an Muhr einen Trauerflor trug, kündigte nämlich an, dass der Prozess trotzdem weitergeführt wird. Angesichts all dieser Unbill fragte Rainer Kalbe den Vorstand, ob er denn einen Plan B hätte. „Diese Frage stellt sich für uns nicht“, antwortete ihm Marijn Dekkers, denn die Giftgas-Leitung gewähre „ein Höchstmaß an Sicherheit“.
Sicherheitsproblemen virtueller Art nahm sich der IT-Berater Fabian Keil an. Er erbat vom Vorstand Informationen zum Datenschutz bei BAYER und erkundigte sich danach, welche Vorkehrungen der Konzern, der auch mit externen IT-Dienstleistern in den USA zusammenarbeitet, gegen Ausspäh-Versuche von NSA & Co. trifft. Eine konkrete Antwort darauf blieb der Vorstandsvorsitzende Keil schuldig, einmal mehr flüchtete Dekkers sich ins Allgemeine und versicherte dem kritischen Aktionär, beim Pharma-Riesen würden hohe Sicherheitsstandards im Computer-Bereich gelten.

Steuerschäden
Der Verfasser dieser Zeilen setzte die Steuermoral des Gen-Giganten auf die Agenda. „Aktuell ist das Unternehmen der wertvollste Konzern im Dax. Die Stadt Leverkusen aber, in der BAYER seinen Stammsitz hat, darbt“, hob er an und führte die ganz legalen Steuertricks auf, die so etwas ermöglichen. Zu den Mitteln der Wahl gehören für den Multi vor allem Niederlassungen in Holland und Belgien, die Anteile an BAYER-Gesellschaften halten und steuermindernde Zins- und Kredit-Transaktionen abwickeln. Zu den ständig sinkenden Gewerbesteuer-Zahlungen räumte der Vorstandsvorsitzende in bemerkenswerter Offenheit ein: „Die Strukturen des heutigen globalen Konzerns sind mit denen von BAYER aus den 80er und 90er Jahren nicht mehr vergleichbar.“ Er gab auch detaillierte Auskünfte zu den Struktur„reformen“. So haben holländische oder belgische Briefkasten-Firmen wie BAYER WOLRD INVESTMENTS Besitztitel an rund einem Fünftel aller 350 Gesellschaften des Konzerns. Und das Volumen ihrer Steuerspar-Geschäfte ist immens. So hat allein BAYER-Antwerpen anderen Töchtern des Global Players 2014 Kredite in einem Volumen von 13,4 Milliarden Euro gewährt.
Der Publizist Dr. Werner Rügemer stellte schließlich die für eine AktionärInnen-Versammlung zentrale Frage: Wem gehört BAYER eigentlich? Er legte die intransparenten Besitz-Verhältnisse dar, schilderte, wie die großen Finanzinvestoren beinahe täglich ihren Aktien-Anteil an dem Unternehmen verändern und forderte Aufklärung. Stellvertretend befasste Rügemer sich näher mit den Praktiken der Gesellschaft BLACKROCK, die 6,2 Prozent der BAYER-Papiere hält und wegen Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz im März 2015 eine Strafe in Höhe von 3,25 Millionen Euro zahlen musste. Unter anderem wollte Werner Rügemer von der Management-Riege wissen, wie sich die Beziehungen des Finanzinvestors zum Agro-Mogul konkret gestalten und ob BLACKROCK Einfluss auf die Einscheidung hatte, sich von der Kunststoff-Sparte zu trennen. Es gebe „einen regelmäßigen Gedankenaustausch“, antwortete Dekkers, im Geschäftsjahr 2014 hätten zwei Einzelgespräche auf Vorstandsebene in New York und Boston stattgefunden. Druck hat der Global Player dort laut Marijn Dekkers nicht bekommen: „Wir haben die Portfolio-Manager von BLACKROCK als konstruktive, interessierte und die Unternehmensstrategie unterstützende Aktionäre kennengelernt.“
Solche hat die Aktien-Gesellschaft am 27. Mai auf der Hauptversammlung hingegen kaum kennengelernt. Mit 26 kritischen AktionärInnen musste sie sich in den Kölner Messehallen auseinandersetzen. Und als reiche all dies noch nicht, wirkte das auch noch ansteckend, so dass sich auch andere zu Interventionen ermuntert fühlten. Uta Behrens vom „Deutschen Juristinnen-Bund“ mahnte mehr Frauen-Förderung an, die französische Journalistin Elise Lucet thematisierte weitere Pestizid-Probleme und Margret Seitz brachte aus gegebenem Anlass Fehler bei vergangenen Unternehmensabspaltungen auf Tapet. So musste der Leverkusener Multi seine Rekorde-Ergebnisse alleine feiern, die Hauptversammlung ist dafür seit Langem schon kein Ort mehr.

Schamlose Profite

Eine Aktie des Leverkusener Multis hat einen Wert von 2,56 Euro. Auf diesen Wert zahlte der Konzern eine Dividende von 2,25 Euro. Das entspricht einer Rendite von sage und schreibe 88 Prozent. Um der Öffentlichkeit diese Schamlosigkeit zu verschleiern, wählt der Global Player als Berechnungsgrundlage jedoch den aktuellen Kurswert des BAYER-Papiers, der gegenwärtig etwa 134 Euro beträgt. Und damit – Hokuspokus – macht der Dividenden-Ertrag nur noch 1,7 Prozent aus.

Abstimmungsergebnisse

Die Abstimmungen auf den AktionärInnen-Hauptversammlungen der Konzerne dominieren wenige GroßaktionärInnen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.) Sie sorgen für sichere Mehrheiten von 90 Prozent + x. Die vielen hunderttausend KleinaktionärInnen besitzen zusammen lediglich fünf bis zehn Prozent der Aktien. Entsprechend sind die Zahlen der Nein-Stimmen auf den Hauptversammlungen des Leverkusener Multis durchaus als Erfolg der Kritischen AktionärInnen bei BAYER zu werten. (Da das Unternehmen die Anzahl der Enthaltungen nicht nennt, ergeben sich im Verhältnis der absoluten Zahlen zu den Prozent-Angaben Schwankungen.)

Gewinn-Verwendung

Nein-Stimmen: 899.013 (0,3 Prozent)

Entlastung Vorstand

Nein-Stimmen: 505.329 (1,5 Prozent)

Entlastung Aufsichtsrat

Nein-Stimmen: 9.984.692 (3,1 Prozent)

Abschlussprüfung durch PWC (PricewaterhouseCoopers)

Nein-Stimmen: 44.346.258 (13,2 Prozent)

Giftgas

CBG Redaktion

Presse Information vom 17. April 2015

22. April: 100 Jahre Giftgas-Einsatz in Ypern

„BAYER entzieht sich bis heute der Verantwortung“

Am kommenden Mittwoch jährt sich der erste Einsatz chemischer Kampfgase zum hundertsten Mal. Am 22. April wurden im belgischen Ypern erstmals 167 Tonnen Chlorgas auf einem Schlachtfeld eingesetzt. Es bildete sich eine 6 km breite und 600–900 m tiefe Gaswolke, die auf die französischen Truppen zutrieb. Allein bei diesem Angriff gab es mindestens 1.000 Tote und 4.000 Schwerverletzten. Am 1., 6., 10. und 24. Mai folgten Giftgas-Angriffe gegen britische Soldaten.

Bereits kurz nach Beginn des 1. Weltkriegs war eine Kommission ins Leben gerufen worden, die sich mit der Nutzung giftiger Abfallstoffe der Chemie-Industrie zu Kriegszwecken beschäftigte. Sie unterstand dem Generaldirektor von BAYER, Carl Duisberg, sowie dem Chemiker Walter Nernst. Die Kommission empfahl der Heeresleitung zunächst die Nutzung von Chlorgas. Damit wurde wissentlich gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen, die den militärischen Einsatz von Giftgas seit 1907 verbietet.

Carl Duisberg war bei den ersten Giftgasversuchen auf dem Truppenübungsplatz in Köln-Wahn persönlich anwesend. Den chemischen Tod pries er begeistert: „Die Gegner merken gar nicht, wenn Gelände damit bespritzt ist, in welcher Gefahr sie sich befinden und bleiben ruhig liegen, bis die Folgen eintreten.“ In Leverkusen ließ die Firma eigens eine Schule für den Gaskrieg einrichten.

Unter Carl Duisbergs Leitung wurden bei BAYER immer giftigere Kampfstoffe entwickelt, zunächst Phosgen und später Senfgas. In Briefen an die Oberste Heeresleitung forderte er vehement deren Einsatz: „Die einzig richtige Stelle aber ist die Front, an der man so etwas heute probieren kann und auch für die Zukunft nicht sobald wieder Gelegenheit hat, so etwas auszuprobieren. Ich kann deshalb nur noch einmal dringend empfehlen, die Gelegenheit dieses Krieges nicht vorübergehen zu lassen“. Duisberg beauftragte sogar den Maler Otto Bollhagen, Szenen der Kriegsproduktion für das Frühstückszimmer der BAYER-Direktoren zu malen. Das Gemälde zeigt die Erprobung von Giftgas und Gasmasken in der Wahner Heide bei Köln.

Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG): „Bis heute stellt sich BAYER nicht seiner Mitverantwortung für das Völkergemetzel 1914/18. Seit 100 Jahren weigert sich der Konzern, zu den Verbrechen der chemischen Kriegsführung, der Kriegstreiberei, der Zwangsarbeit und der Sprengstoff-Produktion Stellung zu beziehen. BAYER distanziert sich nicht einmal vom damaligen Generaldirektor Carl Duisberg, der damals auf den Auslieferungslisten der Alliierten stand und eine Anklage als Kriegsverbrecher fürchten musste.“ In Dortmund und Lüdenscheid wurden kürzlich Carl-Duisberg-Straßen wegen dessen Verantwortung für Giftgas-Einsatz und Zwangsarbeit umbenannt. Entsprechende Verfahren laufen auch in Bonn, Frankfurt, Dormagen und Marl.

BAYER stellte während des Krieges auch Gasmasken her und stieg zum größten Sprengstoff-Produzenten Deutschlands auf. Dank staatlich garantierter Preise stiegen die Profite in ungeahnte Höhen.

Insgesamt geht die Forschung von 60.000 Kampfgas-Toten im 1. Weltkrieg aus. Auch die nächste Generation von Giftgasen, Organophosphate wie SARIN und TABUN, entstammt den Laboren von BAYER. Entwickelt wurden die Substanzen 1936 bzw. 1938 in Wuppertal von Dr. Gerhard Schrader (das „S“ in Sarin steht für Schrader). Bis zum Ende des 2. Weltkriegs wurden in der Giftgas-Fabrik in Dyhernfurt rund 12.000 Tonnen Tabun produziert. Gerhard Schrader leitete nach dem Krieg die Pestizidabteilung von BAYER.

weitere Informationen:
=> 100 Jahre Giftgas-Tradition bei BAYER
=> Giftgas, Sprengstoffe, Zwangsarbeit: BAYER im 1. Weltkrieg
=> Artikel zum Giftgas „Lost“: http://bdfwt.de/wp-content/uploads/2014/10/04_artikel_lost_kw.pdf
=> Informationen zu Carl Duisberg